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Hermann Mensing

Fastfood für die Klick-Agenten

Die Aufgabe war klar: Senden Sie M. einen Satz, er macht eine Geschichte daraus.
     Hatte M. darüber nachgedacht, was ihn erwartete? -
     Nein, hatte er nicht.
     Gab es ein Motiv, die Aktion zu starten? - 
     Ja, Abenteuerlust im Allgemeinen, Reiselust im Besonderen.
     Jeder Satz  (hoffte M.) könnte den Beginn einer Reise markieren. 
     Da er die Reise ins Blaue allen anderen Reisen vorzieht,  da er sich jeder Animation  verweigert, sich mit jedem Plan überwirft, schien ihm diese Aktion gerade richtig.
     satz-für-satz.
     M. hoffte auf Zündfunken für Kurzurlaube: zehn, fünfzehn Zeilen, mehr nicht.
     Häppchen, um den Hunger der sich durch die Tiefen des Internet klickenden Agenten zu stillen. Aber eh sie diesen Hunger stillen könnten, müssten sie liefern.  Müssten ihr Innerstes nach außen kehren und einen Satz formulieren.  Müssten sogar ihre Namen hergeben, heraustreten aus dem Wald der anonymen Internet-Spanner und sagen: 
     Hier bin ich. Das ist mein Satz. Hier mein Name, mein Wohnort, mein Land.
     Offenbar war es gar nicht so schwer, diesen Schutzraum zu verlassen.
     Glückwunsch also den Mutigen aus Deutschland, Griechenland , den Niederlanden, Italien, Japan, Österreich, Schweiz und Spanien.
     Glückwunsch, bis auf den, der sich Soleilmoon Pupsnudel nannte.  Aber da hatte M. Schlimmeres erwartet. Dumm darf schließlich jeder sein. Dafür kann er nichts.
     Politische Idioten traten nicht auf.
     Bis auf eine, die sich Möllefrau nannte, Munsterlager als Wohnort angab und glaubte,  Möllemann als Opfer derer darstellen zu müssen, die den Deutschen verbieten, die Wahrheit zu sagen.
     Sehr lustig, Frau Möllefrau, selten so gelacht.
     Wir würden gern wissen, um wen es sich ihrer Meinung dabei handelt. 
     Schon zahlreicher waren Menschen, die sich aufgerufen fühlten, ewig gültige Wahrheiten zu verkünden.
     Das Leben ist wie ein Spiel - manchmal verlieren wir, bevor das Spiel begonnen hat
     Als Reiselektüre taugt so etwas nicht, aber da M. häufig das Toilettenpapier ausgeht, weiß er schon, was er damit tut.
     Sprücheklopfer tauchten auch auf.
     Die Examensphase macht mir nicht nur bewusst, wie abhängig ich von dem System bin, sondern auch wie allein man in der Globalität sein kann!
 
     Wow!
     Dem »Common Sense« zum Trotze wollte er nicht von der Konsumgesellschaft assimiliert werden und verweigerte sich beharrlich allen Bemühungen der Indoktrination.
     Wahnsinn!
     Darüber hatte M. noch nie nachgedacht.  -
     Was jetzt?  Musste er sein Weltbild neu ordnen? Und dann? - Abbitte leisten?
     Er wusste es nicht. Aber dem, der dem Common Sense trotzen wollte, antwortete er.
     Verdächtig aktiv waren die tiefsinnigen Poeten.
     »...wo die blauen Bienen gelbe Wolken trinken und lilafarbene Bäume mit dem Stamm nach oben wachsen... Warst Du schon dort?« 
     Antwort: Nein. Wohl aber war ich, wo fette Aasgeier hocken und reißen, wo Liebhaber sich in Worten verlieren und Asche vom Himmel fällt.
     Noch schöner:
     Ihre Augen spiegelten seine graue Welt in einem Tagebuch ausgelassener Sünden.
     Gut, graue Welt, so gehe denn hin....
     M. senkte bescheiden sein Haupt.
     So viel Tiefsinn, menschliche Wärme, so viel Zuwendung hatte er nicht erwartet.
     Drei Wochen war es sein großes Vergnügen, seinen Computer zu starten, ans Netz zu gehen und sich neue Sätze herunter zu laden.
     232 waren es insgesamt. 113 wählte er aus und verwandelte sie in Geschichten. Immerhin: eine Quote von 48,7%. 
     15% aller Sätze kamen aus Metropolen, falls man Städte zwischen 250- und 500.000 Einwohner berücksichtigt.  Lässt man diese außen vor, halbiert sich diese Zahl noch einmal. 
     Woraus M. schließt, dass der Mensch auf dem Lande, in Kleinsölk etwa, in Unterweitersdorf, in Traismauer, Altefähr, in Gumpoldskirchen oder in Stutensee weniger Gelegenheiten zur Ablenkung besitzt und daher gern im Internet surft.
     M. kann jetzt sogar sagen, wann der Agent unterwegs ist, er kann Stunde und Tag nennen, er erinnert einen leichten Frauenüberhang bei den Einsendern, wenngleich er den nicht ausgezählt hat.
     Sicher aber sind Stunde und Tag.
     45,2% aller Einsender waren zwischen 12.00 und 18.00 Uhr aktiv.  -
     33,18 % zwischen 18.00 und 0.00 Uhr. -
     17,67% zwischen 6.00 und 12.00 Uhr und nur ganze 3,87%  (9 Personen) waren zu nachtschlafender Zeit zwischen 0.00 und 6.00 unterwegs.  -
     Sieger mit den meisten Einsendungen ist Mittwoch, der 30.10, dicht gefolgt vom Donnerstag, dem 24.10. Etwas abgeschlagen folgt Donnerstag der 31.10, dichtauf Freitag der 1.11.02.
     Doch nun ist alles vorbei. Der Zugang für weitere Sätze ist gesperrt. Die Aktion ist beendet.
     Aber nichts war umsonst.
     M., der in der vergangenen Woche auf acht Lesungen unterwegs war, hat Lehren gezogen. Wenn er schon aus eingesandten Sätze kleine Geschichten machen konnte, warum sollte so etwas mit Sätzen, die ihm aus dem Auditorium zugerufen würden, nicht auch möglich sein?
     Gesagt, getan und so bleibt als erstes Ergebnis der satz-für-satz Aktion festzuhalten, dass M. jetzt über ein neues Element seiner Lesungen verfügt: die Improvisation. 
     Rufen Sie ihm einen Satz zu, er antwortet mit einer Geschichte. 
     Natürlich hatte er gehofft, die Medien würden auf seine Aktion aufmerksam, natürlich hatte er gehofft, man würde ihn auf Händen durch die Republik tragen und mit Gold und Edelsteinen überschütten, aber nur ruhig, M. ist erfahrener Reisender, M. ist Zeitmillionär, es wird schon noch werden.
     Bis dahin wird er weiter den Garten der Worte beackern, wird Worte zu Sätzen auf Schnüre ziehen und Sätze zu Geschichten verdichten.
     Ganz einfach, sehr schwer, und sein größtes Vergnügen.  Vielen Dank.

 

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Hermann Mensing
11.11.2002