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Hermann Mensing: Hexen

Leider war das Vergnügen bisher einseitig. Ich kannte sie nur in der Rolle, in der sie auftrat, ich kannte ihr Kostüm und ihre Stimme, die es mir angetan hatte.

Schon fünf oder sechsmal war ich ins Theater gegangen, um zu sehen, wie sie an die Rampe trat und ihr Lied sang. Dieses Lied mit dieser Stimme.

Immer muss ich Böses stiften, immer muss ich böse sein.

Auf Dauer wurde es teuer, eingekreist von heulenden Kindern, die gebannt auf die Hexe starrten und sich an ihre Eltern kuschelten, in der ersten Reihe zu sitzen. Die Platzanweiserinnen grüßten mich schon. Ich weiß nicht, wofür sie mich hielten. Wie aber sollte ich an die Sängerin rankommen, ohne mich lächerlich zu machen.

Hexen, dachte ich.

Um die Kirche pfiff ein scharfer Wind. Vorm Brunnen lagen zerschlagene Bierflaschen, Plastiktüten taumelten gebauscht, das Tumbleweed der Einkaufspassagen. Die Salzstraße war leergefegt. Der gefrorene Matsch hatte Bruchkanten gebildet, die unter meinen Sohlen knirschten. Faustgroße Hundeschisse waren von Eis eingeschlossen.

Hexen! dachte ich und trabte weiter.

Als ich zu einer Ampel kam, sprang sie auf Grün. Ich überquerte ohne Hast die Fahrbahn, lungerte eine Zigarettenlänge vorm Haupteingang des Theaters herum und sah mir die Spirale an, das Werk eines habilitierten Künstlers, das viele für die Überreste einer schlampig durchgeführten Installation hielten. Die Spirale vibrierte.

Dann ging ich ins Theatercafé, suchte mir einen Platz in der hintersten Ecke, griff nach einer Illustrierten und blätterte darin herum. Die Kellnerin kam. Ich lächelte. Ihre grünen Augen gefielen mir. Ihre weiße Schürze war gestärkt, die Schleife am Hintern sah aus wie ein Propeller.

Ich bestellte Metaxa. Der Propeller wirbelte davon. Ich summte das Hexenlied. Sie gefiel mir, verdammt. Aber die Vorstellung hatte gerade erst begonnen. Ich vertrieb mir die Zeit mit einem Kreuzworträtsel.

Reihe von Buchstaben: Ärsche. Raubtier: Frau. Alpenblume: Skistock. Innenorgang: Angst. Lebensgemeinschaft: Geld. Fröhliches Fest: Stuhlgang. Schlußstück: Ende.

Der Propeller brachte meinen Metaxa. Hinter der Theke wurde gelacht. Im Foyer öffneten sich die Türen, Menschen quollen heraus, das Café füllte sich. Rauschschwaden stand über den Tischen, Gesprächsfetzen, Wolken Parfüm.

Der Propeller hastete von Tisch zu Tisch.

Nach 15 Minuten war der Spuk vorbei. Das Café war wieder leer, bis auf mich und die Möpsin.  Ja, kein Zweifel, da hinten saß sie mutterseelenallein und pustete Rauch in die Luft. Ich kannte sie aus der Parfümerie, in der ich meiner Frau letzte Woche Chanel No.5 gekauft hatte.

Ich bestellte noch einen Metaxa, zahlte, stürzte ihn weg und ging zu ihr. Sie erkannte mich lächelnd.

"Hat es Ihnen nicht gefallen?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Wie wär's, wenn wir ausgingen?" Ich hörte mich, konnte aber kaum glauben, was ich da sagte.

"Ja", sagte sie, "das ist eine gute Idee."

Zwei Stunden später lagen wir in einem mit blauem Satin bezogenen Bett. Sie über mir, ihren kleinen rosigen Arsch mir entgegengestreckt, meine Nase vor ihrer violetten Pflaume, sie bemüht, es mir zu besorgen.

Ich konnte es kaum glauben, aber um wegzurennen, war es zu spät. Schließlich hatte ich eine Hexe gewollt, nun hatte ich eine.

Aaajjjjj! quiekte sie.

Das war ein Leben.

Was sie dann sagte, warf mich um.

"Heute werde ich vierzig", sagte sie.

 

Die vollständige Geschichte erschien im März 1991 in

"Knapp vierzig - Das Buch zum 40sten - Rowohlt Taschenbuch

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