Schlichter Judenhass

Die linken Gewaltfantasien von Ted Honderich

Von Natan Sznaider

Man soll es sich nicht nehmen lassen, dem Suhrkamp Verlag herzlich zum 40. Geburtstag seiner edition suhrkamp zu gratulieren. Denn Suhrkamp beweist mal wieder Mut zum Querdenken. Was es bisher nur auf radikalen Webseiten zu lesen gibt, spricht ein Buch des Suhrkamp Verlags jetzt aus: Juden in Israel umzubringen ist ein moralischer Akt, ein moralisches Recht. Die Tötungen sind unvermeidlich. Im Befreiungskampf der unterdrückten Völker darf man zu solchen Mitteln greifen und Café- und Restaurantbesucher einfach in die Luft jagen und in Stücke reißen.

Der Philosoph Ted Honderich gibt in seinem Buch Nach dem Terror - Ein Traktat, das von Suhrkamp in seine Editionsreihe aufgenommen wurde, die philosophische Rechtfertigung des Terrors. "Diejenigen, die sich selbst für die Sache ihres Volkes getötet haben, haben sich in der Tat selbst gerechtfertigt", so heißt es auf Seite 236. Honderich scheint ein erotisches Flattern beim Schreiben dieser Sätze zu verspüren und weiß, dass er eine "schreckliche Wahrheit" ausspricht. "Der angesehene kanadische Philosoph Ted Honderich", heißt es im Klappentext, "zeigt mit diesem ethisch-politischen Traktat, was man als angewandte philosophische Ethik bezeichnen könnte." Aufrufe, Israelis in die Luft zu jagen, werden so als angewandte philosophische Ethik bezeichnet.

All das kann man als das Gewäsch eines Durchgedrehten betrachten. Aber es scheint mehr auf dem Spiel zu stehen. Wie in der gestrigen Ausgabe dieser Zeitung zu lesen war, wurde das Buch von keinem Geringeren als Jürgen Habermas empfohlen, dem es nun Leid tut, auf Gefühle keine Rücksicht genommen zu haben. Da macht es sich der angesehene deutsche Philosoph zu einfach. Deprimiert sei er durch seinen Amerika-Aufenthalt gewesen. Und es scheint, dass diese Depression ihn dazu veranlasst hat, ein Buch für die Jubiläumsausgabe der edition suhrkamp zu empfehlen, das offen für den Mord an Israelis plädiert und sich auch trotz der Habermasischen Drehungen den Vorwurf des Antisemitismus nicht ersparen kann.

Ein bisschen habe er aufgeatmet, als das Manuskript des Kollegen eine andere Sicht zur Geltung brachte. Alle Achtung. Bei Habermas ist die Rechtfertigung des Terrors gegen Juden nicht mehr als das "Gerechtigkeitspathos eines alten Sozialdemokraten". Lieber Herr Habermas, das hat nichts mehr mit gewachsenen Empfindlichkeiten zu tun. Ihre zwar distanzierte, aber vorhandene Solidarität mit dem Kollegen macht Sie in den Augen nicht nur vieler jüdischer Menschen suspekt.

Denn ein kurzer Blick auf die Homepage des "angesehenen" Philosophen (http://www.ucl.ac.uk/~uctytho) zeigt sehr schnell, welch Geistes Kind er ist. Dort wird dem Begriff der Selbstinszenierung eine ganz neue Bedeutung gegeben. Größenwahn ist wahrscheinlich einer der bescheidensten Begriffe, mit denen man diese Website bewundern müsste.

Gewiss, dafür gibt es das Internet, alles darf gesagt werden. Dort findet man auch das Papier "Terrorism for Humanity", eine Art philosophischer Leitfaden, warum Palästinenser weitermachen müssen, sich und ihre Feinde in die Luft zu jagen. Vielleicht sollte man Honderich davon unterrichten, dass sogar die Palästinenser nicht mehr daran glauben wollen. Auch haben die großen Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch Terrorangriffe auf Zivilisten als "Verbrechen gegen die Menschheit" bezeichnet.




Die Honderich-Debatte
In einem offenen Brief (FR vom Dienstag) hat der Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, Micha Brumlik, schwere Vorwürfe gegen das im Suhrkamp Verlag veröffentlichte Buch Nach dem Terror. Ein Traktat von Ted Honderich erhoben. Honderich verbreite „antisemitischen Zionismus“ und rechtfertige dabei nicht nur die „Ermordung jüdischer Zivilisten in Israel“, sondern empfehle „eben dies Tun auch zur Nachahmung“. Brumlik forderte in seinem Brief den Suhrkamp Verlag dazu auf, das Buch Honderichs „unverzüglich vom Markt zu nehmen“. In unserer gestrigen Ausgabe antwortete Jürgen Habermas auf den Brief Brumliks. Habermas, der das Buch Honderichs an den Suhrkamp Verlag empfohlen hatte, verwahrt sich gegen den AntisemitismusVorwurf. Er erkennt aber in dem Buch durchaus einige Sätze, die sich, „wenn man sie ohne hermeneutische Nachsicht aus dem Zusammenhang der Argumente löst, auch gegen die Intention eines Autors immer für antisemitische Zwecke verwenden“ ließen. Habermas räumt ferner ein, dass es sich bei dem Buch um ein „hemdsärmliges Pamphlet“ handelt. Jetzt antwortet der in Tel Aviv lebende Soziologe und energische Kritiker der Scharon-Politik Natan Sznaider. Gestern erklärte Suhrkamp, dass er das Buch nicht wieder auflegen werde. (Wortlaut auf dieser Seite). FR



Dem Philosophen kann das egal sein. Er findet, dass Pizza essende Mütter und ihre Kinder moralisch gerechtfertigte Opfer im anti-imperialistischen Befreiungskampf sind. Natürlich darf man solchen Unsinn verbreiten. Im Internet geht ja bekanntlich alles. Dort tummelt sich Seriöses neben den tiefen Gedanken eines jeden Wahnsinnigen. Deshalb begrüßen wir das Netz als demokratischen Tummelplatz jeder Idee. Dem Nutzer muss man dann zutrauen, sich Gedanken zu machen. Sollte einer der renommiertesten Verlage nun zum Tummelplatz aller Judenmordfantasien werden? Nur zu. Zensieren will man ja nicht. Terror für die Menschlichkeit ist da nur die neueste Variante des philosophischen Hasses auf Juden und natürlich auch auf Amerika.

Und natürlich hängen die Dinge zusammen. Terror für die Menschlichkeit, nur zu! Denn auch die Opfer des 11. Septembers sind selbst Schuld an ihrem Unglück. Ihre Schuld liegt in den Augen des neuen Suhrkamp-Philosophen nur in der Tatsache, dass sie ein besseres Leben lebten und dass sie dieses Leben nicht verdienten und es auch noch dazu auf Kosten der Unterdrückten lebten.

Das Morden des 11. Septembers war moralisch gerechtfertigt, weil die Kindersterblichkeit in Malawi zu hoch ist. Angewandte philosophische Ethik nennt man das. Dass dieser Philosoph dann auch noch lügt (wie in der Behauptung, dass zwischen 1989 bis 1991 250 000 bis 400 000 sowjetische Juden auf arabischem Gebiet angesiedelt wurden), ist wohl keinem Lektor aufgefallen. Oder man glaubt, dass Israel eben ohne wahre Legitimation auf arabischen Boden existiert. Auch das wird salonfähig. Kein Wunder, dass man hier der Menschlichkeit wegen terrorisieren muss.

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Sogar die englische Zweigstelle der Hilfsorganisation Oxfam International (Oxforder Komitee zur Linderung von Hungersnot) wollte mit Honderich nichts zu tun haben. Er wollte ihnen 5000 Pfund aus den Einnahmen seines Buches überweisen, aber Oxfam wollte mit diesem Blutgeld nichts zu tun haben. Ein moralisch getragener Ruf zum Terrorismus und Mord war auch dieser Organisation zu viel. Natürlich sah Honderich diese Ablehnung durch "zionistische Drohungen" verursacht. Die Interviews mit ihm, die auf seiner Website zu finden sind, haben den Geschmack eines paranoiden Fanatikers, der überall Zionisten und Juden am Werk sieht, die ihn zum Stolpern bringen wollen. Norman Finkelstein, der Autor des umstrittenen Buches über die "Holocaust-Industrie", lässt grüßen. Und wie bei Finkelstein kann man sich schon auf die Lesereisen Honderichs freuen, und dass da endlich mal jemand sagt, was man auch schon denkt und dass es doch klar ist, wer Schuld an wessen Unglück ist.
Und wie Finkelstein wird sich auch Honderich darauf einstellen müssen, dass er zum Liebling der antisemitischen Szene werden wird. Und das heißt heute, viele Bücher zu verkaufen. Aber Vorsicht: Oxfam nimmt keine Spenden aus dieser Ecke an. Mit der deutschen Veröffentlichung wird dieser fanatische Anti-Israelismus und Anti-Amerikanismus nun in den Mainstream hineingebracht.

Selbstmordattentate in Autobussen, in der Universitätsmensa, in vollen Cafés und Restaurants, Hunderte von Toten und Tausende von Verletzten, und das alles im Namen einer angewandten philosophischen Ethik. Sogar die Hamas würde da laut lachen. Denn sie wissen genau, was sie dazu antreibt. Nicht die schlechte Lebensqualität, wie Honderich so philosophisch traktiert, kein marxistischer Determinismus, der Menschen zu Verzweiflungsaktionen antreibt (so die ersten Kapitel des Honderich-Traktats), sondern schlichter Judenhass. Und das ist es auch, was hinter diesem Buch steht. Das Wahnwitzigste hinter dem Honderich-Argument ist, dass der palästinensische Terror durch Erfolg gerechtfertigt wird.

Welchen Erfolg er meint, ist völlig unklar. Für ihn war der 11. September kein Erfolg. Er "versteht" die Attacken, will sie aber dann doch nicht mehr moralisch rechtfertigen. Aber Terror im Nahen Osten ist etwas anderes. Darüber freut er sich. Für Honderich sind die Terroropfer nichts anderes als Dünger für seine krankhafte Gewaltfantasie. Es ist schon ein merkwürdiger Ausdruck linker Kultur, dass alles erlaubt ist, wenn nur die Absichten gut gemeint sind. Und wenn es sich um tote Juden handelt, können viele ihre klammheimliche Freude wohl schlecht unterdrücken. Aber es sind wirkliche Menschen, die hier in die Luft gesprengt werden. In den Gewaltfantasien vom Schlage Honderich verwandeln sich Bandenführer bei Kerzenlicht zu an Che Guevara erinnernde Kultfiguren. Für das bildungsbürgerliche Lesepublikum von Suhrkamp ist das alles vielleicht hoch spannend. Was spielt überhaupt noch eine Rolle, wenn die globale Schickeria sich im Sessel zurücklehnt und sich durch den Nahostkonflikt unterhalten lässt? Opfer müssen her und Täter, und bitte das Ganze ohne störende Zwischentöne, im globalen Kampf um die Tränen der Zuschauer.

Aber dort, im Nahen Osten, leben richtige Menschen. Menschen, die von einer der stärksten Militärmächte sehr schlecht behandelt und unterdrückt werden, und Menschen, die sich nicht mehr auf die Straße trauen und deren Kinder in den Schulen lernen, sich gegen die drohenden Terroranschläge zu schützen. Und Menschen auf beiden Seiten, die alles menschenmögliche tun, um eine friedliche Lösung zu finden. Das Letzte, was diese Menschen brauchen, sind solche philosophischen Traktate. Dass Suhrkamp dieses Buch veröffentlichte, dass es von Jürgen Habermas für die Jubiläumsreihe empfohlen wurde, bleibt ein Schandfleck des Verlages. Ein Rückruf des Buches, wie an dieser Stelle von Micha Brumlik zu Recht gefordert wurde, wird daran nichts ändern.

Natan Sznaider lehrt Soziologie am Academic College of Tel-Aviv-Yafo, Israel. Er hat bei Suhrkamp "Die Erinnerung im Globalen Zeitalter: Der Holocaust" veröffentlicht.

 

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