April 2008                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

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Di 1.04.08   9:45

Ich habe meinen anfänglichen Impuls, alle Leser per Klick auf eine Sexseite umzuleiten, unterdrücken können. Stattdessen lasse ich Sie ein wenig in der Zeit vagabundieren, soviel April muss sein.

Die Sonne scheint, ich genieße eine goldene Serie, bei der ich Bakterien mit 180 KmH durch meine Nasenlöcher ins Freie jage. Diese Serien scheinen ein Erbteil meiner Mutter. Auch sie genoss das. Unsere gemeinsame Nies-Frequenz lag und liegt immer so zwischen 7 und 13.

Mein Hörspiel wächst langsam, aber stetig.
Manchmal staune ich, dass ich trotz geringer Verkaufsaussichten immer wieder von vorn beginne.
Das muss eine unheilbare Krankheit sein, der ich so einen Starrsinn schulde.
So. Und jetzt anfangen.

10:34

Als ich vor wenigen Minuten in die Küche kam, fand ich diese Hand.

 

Musik: Carsten Hölscher / nightsky-music

12:23

Wem gehört sie?
W
ie ist sie dorthin gekommen?
Beachten Sie auch die Einkerbung am Ringfinger.
Dort fehlt ein Ring.
Wahrscheinlich war es ein wertvoller Ring.
Handelt es sich also um Raubmord?
Wenn ja, ist es erstaunlich, dass bei diesem Massaker der Ringfinger nicht einfach abgehackt wurde, das wäre schneller gegangen. Aber es scheint wohl so, dass sich die Täter sicher fühlten.

PS.
Wenn ich meinen Statistiken glauben darf, hat noch niemand auf diese Seite gefunden.
Da kann man mal wieder sehen, wie blöd der Mensch ist. Er hätte doch einfach nur auf April klicken müssen im falschen April, ZACK, schon wäre er hier und könnte meinen spannenden Recherchen folgen.
So wird er bis morgen warten müssen. Dann liegt der Link wieder da, wo er hingehört.

Für alle, die es dennoch schaffen: Glückwunsch.

PPS.
Wo ist die Leiche?

15:10

Immer noch niemand. Lachhaft!

18:10

Immer noch niemand.

 

Mi 2.04.08   9:46

Hitchcock hat hinsichtlich der Dramaturgie seiner Filme einmal gesagt, dass ein ein Revolver, der in der Dekoration auftauche, irgendwann im Verlauf auch verwendet werden müsse.

Die neue Soap Staffel, die augenblicklich in Münster über die Bühne geht, hält sich nicht mehr an diesen Grundsatz. Das war im vorigen Jahr anders.

Plausibilität, ein Gott, dem ich diene, ist jetzt vielfach außer Kraft gesetzt.
Dennoch ist die Soap lustig und unterhaltsam, und ich denke darüber nach, ob ich - wenn ich demnächst zum TÜV muß, nicht auch gleich meine Götter einer Überprüfung unterziehe.

Was die Dummheit der Menschen anlangt, muß ich mich korrigieren: immerhin haben mehr als zwei Drittel aller Leser am 1. April doch noch auf diese Seite gefunden.

Glückwunsch.

13:15

Wenn heute in Bukarest auf der Nato Tagung u.a. darüber diskutiert wird, ob die Ukraine reif für die Nato sei (was die Regierenden unseres Landes bezweifeln), frage ich mich, wieso sie die sogenannte ehemalige DDR reif für den Westen hielten, damals, 1990, wenn ich doch mit steter Regelmäßigkeit lese, wie bitter es ist, dort als Afrikaner, Inder, Asiat etc. pp. zu leben.

Ich mißtraue Ossis noch mehr als mir.

Erfreulich hingegen die Nachricht, dass die Nike Näherinnen in Vietnam (Monatsgehalt: 59 Dollar) für höhere Löhne streiken.

 

Do 3.04.08   10:42

Mein alter Freund (und Held meiner Studienzeit) Kurt Vonnegut Jr. rät mir im Hinblick auf mein Hörspiel drei Szenen vorm Ende dies....

1. Geben Sie dem Leser mindestens eine Figur, der er die Daumen drücken kann.
2. Jede Figur sollte etwas wollen, und sei es nur ein Glas Wasser.
3. Jeder Satz muss eins von zwei Dingen tun: Charaktereigenschaften enthüllen oder die Handlung vorantreiben.
4. Fangen Sie so nah am Schluss an wie möglich.
5. Seien Sie Sadist. Egal, wie süß und unschuldig Ihre Hauptpersonen sind - lassen Sie ihnen schreckliche Dinge zustoßen, damit der Leser sehen kann, wie sie beschaffen sind.

6
. Schreiben Sie so, dass es nur einem einzigen Menschen gefällt. Wenn Sie ein Fenster aufreißen und es mit der ganzen Welt treiben, sozusagen, zieht sich Ihre Geschichte eine Lungenentzündung zu.
7. Geben Sie Ihrem Leser sobald wie möglich soviel Informationen wie möglich. Soll die Spannung doch sehen, wo sie bleibt. Die Leser sollten so umfassend darüber Bescheid wissen, was wo und warum vorgeht, dass sie die Geschichte selbst zu Ende führen könnten, falls Kakerlaken die letzten paar Seiten gefressen haben.

Kurt Vonnegut, Harry Rowohlt: Suche Traum, biete mich. Gebundene Ausgabe. 2001. Carl Hanser Verlag. ISBN/EAN: 9783446200623.

Roger, Kurt. Das ist auch mein Ansatz.

12:48

Cappuccino mit aufgeschäumter Milch, Schoko-Plätzchen, Zigarette im Mundwinkel: das Hörspiel wird turbulent, das Leben ist schön, mal sehn, vielleicht bin ich heute abend schon fertig.

 

Fr 4.04.08   9:50

Nein. Bin nicht fertig. Bin unglücklich. Werde mich im Bad entleiben, und dann sollt ihr mal sehn, wie ihr eure verkackten Hörspiele fertig kriegt.

14:03

Erhielt vorhin diese Mail und knickte darauf alle Links zu meinen Videolesungen.

Hallo Herr Mensing,
herzlichen Dank für Ihre neueste Infomail. Sie waren bei uns in der
Theresienschule Münster zusammen mit Senioren zu einer Lesung als
Gewinnerklasse bei einem Wettbewerb der WGM Münster. Daher kenne ich
auch Ihren lebendigen und mitreißenden Stil, Bücher vorzutragen.
Dies ist auch der Grund meiner Mail. Ich habe mir Ihre Videolesungen
angeschaut. Ich finde, Sie verkaufen sich darin weit unter Wert. Wenn
ich vorher nur diese Informationen hätte, würde ich Sie als Schulleiter
nicht engagieren wollen (und ich fände es schade, wenn anderen
Schulleitern das ebenso ergehen würde!). Ich könnte mir vorstellen, dass
eine Aufnahme bei einer reellen Veranstaltung viel mehr wirkt und ihre
besondere Art wesentlich besser zur Geltung kommt. Erlauben Sie mir das
persönliche Wort, so wirkt es sehr langweilig.
Ich hoffe, Sie verstehen meine Kritik als konstruktiv und nicht an
Ihrer Person bezogen. Die Idee mit der Videolesung im Internet ist
brillant, aber die Ausführung sollte besser vorbereitet sein.

Danke nochmal für die Rückmeldung.

 

Sa 5.04.08   12:10

M., der all die Jahre fleißig war, stellte fest, dass sich sein Soll auf beunruhigende Weise gedoppelt hatte. Er versuchte, sich mit Beginn des neuen Quartals herauszureden, aber das war, wie so vieles, Selbstbetrug. Als Parodie seiner Selbst trug er seiner zu allem entschlossenen Frau die Einkaufstasche durch den großen Supermarkt X., um sich dann, als es ans Zahlen ging, beschämt abzuwenden.

Gut, er finanzierte das Auto, das Benzin für das Auto, die Urlaube, aber wenn nicht bald etwas geschähe, wäre es zappenduster. Wo blieb denn die begeisterte Redakteurin, die vor noch nicht allzulanger Zeit gesagt hatte, er wäre jederzeit willkommen? Er hatte ihr danach sofort Futter gegeben. Hatte sie es gefressen? Oder war es falsch, gleich nachzulegen?

Vorm Supermarkt hatte er ... getroffen, den er noch aus Kindergartenzeiten kannte. Ein gelernter Studienrat, dem es nie gelungen war, eine Anstellung zu finden und der sich seitdem als Künstler definierte, ohne nähere Angaben über seine Kunst machen zu können. Er trug einen australischen Trapperhut, der im Outback sicher Sinn macht.

... hatte ihm die Tür des Wagens geöffnet. M. hatte gesagt, wenn Sie mir nun noch die Gehhilfe reichen würden. Kleiner Spaß. Frohes Lachen. Die nächsten Minuten zwischen den Regalen des Supermarktes hatte M. versucht, sich an ...'s Namen zu erinnern. Es war ein Name, der auf ARD endete. Nur - was für einer? Ach ja, jetzt wusste er's wieder. B.

M.'s Terminkalender für den anstehenden Monat war ein Trauerspiel. Drei Lesungen zwar, aber nur zwei bezahlt, dazu eine Reise nach Mensingeweer, die ein Fotograf vorgeschlagen hatte, der M.'s Texte zur Skulptur 2007 gelesen und genossen hatte. Die Reise ist vornehmlich ein Spaß, eine imaginäre Suche nach den Wurzeln des Namens Mensing, ein Projekt, das von beiden Teilnehmern so offen wie möglich gedacht ist: man trifft sich, man trifft sich zum ersten Mal, man fährt los. Mensingeweer liegt in der Nähe von Groningen, und dort wird man schauen, was einem über den Weg läuft. Der eine prodziert daraus Text, der andere Fotos, und natürlich hofft man, später ein wenig Geld daraus destillieren zu können.

Ob Beten hilft?

Zwei Drittel seines Solls ließen sich durch Erspartes ausgleichen. Aber vor ihm lagen noch Steuern und TÜV. Die Eisen im Feuer mochten glühen oder nicht, die Halbwertzeit seiner auf den Tischen der Lektorate schmorenden Manuskripte lag zwischen 6 Monaten und einem Jahr und endete gern in lapidaren Standardbriefen ohne jede Aussagekraft.

Zudem regnete es in Strömen, aber immerhin, M. lebte nicht auf der Straße, M. war kein Ausgestoßener, M. hatte keine bösartigen Krankheiten, jedenfalls keine, von denen er wusste, er hatte kaum Laster, bis auf die, die er sich nicht eingestand und/oder verheimlichte, denn das wäre ja noch schöner, nichts haben und sich auch noch vor aller Welt zum Affen machen.

Nein, nein. M. ging es gut, er war Herr seiner Zeit, wer konnte das heutzutage schon von sich behaupten. Falls es ein Schicksal zu beklagen gäbe, wäre es das Schicksal der Welt, nicht sein eigenes, und dieses Schicksal (also das der Welt) war nie besser oder schlechter gewesen als der Augenblick selbst, immer schon hatten alle Bewohner dieses Planeten ständig das Gute gewollt und das Schlechte getan, und wer war M. denn, dass er das ändern könnte.

Pläne zuhauf. Berge beschriebenes Papier, aber die Kundschaft hielt sich zurück. Exzellente Rezensionen, propheziehener Durchbruch von berufener Seite, aber der ließ auf sich warten. Das, fand M., war schade. Andererseits verlieh ihm sein Status die Möglichkeit, still und ohne Einspruch von außen zu arbeiten, was er ja täglich tat, und - dachte M., könnte es dann nicht sei, dass irgendwann der Knoten platzt? Dass er sich plötzlich mit Nachfrage konfrontiert sähe und nur noch lässig in seine Speicher abtauchen müsste, um eine neue Taube hervorzuzaubern, seinetwegen auch ein Kaninchen.

Ja, mochte es regnen, soviel es wollte, solange der Gerichtsvollzieher nicht vor der Tür stand, war alles gut, solange man nicht mit Fingern auf ihn zeigte, sowieso, und überhaupt: hatte M. nicht erst gestern noch liebevollen Zuspruch erfahren, als er im Supermarkt auf seine Frau wartend auf eine der Kindergärtnerinnen seiner Kinder traf, die ihm glaubhaft vermittelte, dieses Buch von ihm sei ein so schönes Buch, wie oft sie das schon verschenkt habe.

Ach ja, Sie waren das? -

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, hatte M. noch lachend erklärt, dann - draußen - hatte er sich entnervt vor einen silberfarbenen, überdimensionierten, von einer kleinen, blonden toupierten Frau gesteuerten Four-Wheel-Drive gestürzt, war exakt in zwei Teile gefahren, auf dem Asphalt geplättet, von herbeieilenden ZIVIS in rotweißen Alarmjacken abgekratzt und wieder zusammengesetzt worden, nach Hause geschlichen, um dort bis in die tiefe Nacht zu lesen, Dub-Internetradio zu hören und sich glücklich zu schätzen, dass er nicht unter irgendeiner Brücke schlafen musste, wie so viele andere, dass von ihm keine Sex-Videos kursierten, die ihn in Nazi-Uniform KZ spielend zeigten, dass er nicht zu denen gehörte, die - nach Milliardenverlusten ihrer halsbrecherischen, ungezügelten, unmoralischen Spekulationen am internationalen Finanzmark - dreist erklärten, nun sei es aber an der Zeit, dass öffentlich Hände eingriffen, ja, er war glücklich, dass er mit diesem Pack nichts zu schaffen hatte, dass dieser Krug an ihm vorbeigegangen war, und als er sich schließlich ins Bett legte, um all die Mühsal wegzuschlafen, traf ihn, wie alle drei bis sechs Monate, der gemeine Arschochschmerz, der, wie er seit März letzten Jahres wusste, Proctalgia Fugax genannt wird. Da gegen diesen Schmerz kein Kraut gewachsen ist, blieb ihm nichts, als ihn als nächtlichen Begleiter für die nächsten halbe bis dreiviertel Stunde zu akzeptieren.

Dann schlief er ein. Dann erwachte er. Dann begann der Tag wie beschrieben. Dann kam, insgeheim geahnt, von Amazon ein Buch, aus dem er weiter oben zitiert hatte, und heute Abend wird M. den amerikanischen Gitarristen Michael Landau hören, worauf er sich sehr sehr freut.

PS.

Aufseufzen über M.'s größten Fehler: warum nannte ihn keines seiner Kinder Papa?
Ganz einfach. M. war dem Zeitgeist aufgesessen und hatte, wenn er von sich sprach, wohl nie erwähnt, dass er Papa sei. Solche Dummheiten hängen einem bis ans Lebensende nach. Aber vielleicht würden sie ja, kurz bevor er den Arsch endgültig zusammenkniff, doch einmal Papa zu ihm sagen.

 

So 6.04.08   12:09

Michael Landau...


 

Gary Novak Chris Chaney

 

 

Mo 7.04.08   11:38

Sah letzte Woche einen Bericht über Forschungen des gegenseitigen menschlichen Erkennens, das zur Vereinigung führt (längerfristig oder nicht steht auf einem anderen Blatt), oft Zufall genannt. Die Hinweise aber, dass die Wahl eines Partner ganz und gar nicht auf Zufälligkeiten beruht, sondern auf genetischen (also dem Auswählenden unbewussten) Präferenzen, verdichten sich mit jedem Tag. Wie überhaupt der seit Freud gebräuchliche Ansatz, alles mit Seele (Psyche) und deren frühkindlicher Prägung zu deuten, mehr und mehr der naturwissenschaftlichen Erklärung zu weichen scheint.

Tja, und was hat man, wenn man sechzig wird?
Zwei genetisch geschüttelte Cocktails, beide werden geliebt, beide lieben sich und was tun sie: sie streiten, diese Idioten und bringen ihre Mixer um den gesunden Nachtshlaf.
Streiten um nichts, anstatt ihre Cocktailmixer zu Rate zu ziehen.
Kain und Abel quasi Hilfsausdruck.

Holzköpfe. Schämt euch.

14:54

Eine Lesung verkauft.
Auf dem Sprung. Um 16:00 werde ich für den Kinderschutzbund lesen.
Fürchte, das wird haarig, da die Kinder aus kompliziertesten Familien mit ebenso komplizierten Hintergründen kommen und die Gruppe sehr klein ist, also kaum Raum für den Einzelnen, sich in der Gruppe zu verstecken. Aber da habe ich schon ganz andere Kinder geschaukelt.

18:30

Völlig unbegründet meine Befürchtungen, nette Kinder aus gutem Hause. Guten Eindruck hinterlassen. Presse war auch da, müssen die, ist ja für einen guten Zweck, mir hat's Spaß gemacht, was will man mehr.

 

Di 8.04.08   9:40

Die Erdung von Einträgen wie diesem ist eine grundlegend andere, wenn man ihn auf den ersten Blick einem Wochentag zuordnen kann. Daran hatte ich all die Jahre, die ich dieses Tagebuch führe, nicht gedacht. Daher arbeite mich nun bis zu den Anfängen meiner Eintragungen vor, das ist zwar Arbeit, aber es ist angenehme Arbeit, eher eine Art Meditation, weil blöd genug, um nicht nachdenken zu müssen.

Währenddessen gibt es draußen neue Sensationen, auch diese sind mit ohrenbetäubendem Lärm verbunden: zwei unserer maroden Schornsteine werden abgetragen, da sie "tot" sind.

PS.

Unser 80jährige Nachbarin findet, ich hätte mich gut gehalten, wäre "noch so fit", sähe fabelhaft aus etc. pp. Und? Höre ich Applaus? Nein, natürlich nicht. Darauf kann ich nur sagen: Bettina, pack deine Brüste ein, Bettina zieh dir bitte etwas an....

15:06

Ansonsten nichts erlebt.
Noch keinen Schritt vor der Tür gewesen.
Nur immer Mo, Di, Mi, Do, Fr, Sa, So geschrieben.
Ein Jahr steht noch aus. Das Jahr 2003. Alle übrigen sind aufgefrischt.
Nun können Sie sich ausrechnen, wie oft ich diese Buchstabenkombinationen geschrieben habe.

18:38

Modimidofrsaso.

 

Mi 9.04.08   11:41

Das mir: ein Geiger als Gastmusiker der gestrigen Session im Hot Jazz. Nicht einmal die berühmtesten Geiger im Jazz haben mich je überzeugt, schon gar nicht, wenn sie elektrisch wurden. Hätte ich nicht zuhause bleiben können? Mich aufs Sofa legen?

Zum Beispiel darüber nachdenken, dass mir mein freundlicher Urologe den an sich für ihn ja nicht in seinen Bereich fallenden Rat gab, hinsichtlich des bei mir vor etwa einem Jahr aufgetretenen Anusjuckens gefälligst den Schließmuskel erst einmal seine Arbeit tun lassen, sprich: Wurst abkneifen, denn das Innenleben des Enddarmes sei derart sensibel, dass es in diesem Bereich schon mal jucken könne.

Vor allem kein Wasser dran, mahnte er, lieber aufs Papier spucken, vielleicht ein wenig Öl, vor allem aber: richtig abkneifen. Nun kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich je nicht richtig abgekniffen hätte, (schöne Nieren, sagte er so nebenbei, als er mich scannte), und sagte: hab ich doch immer getan. Versuchen Sie's mal, riet er, seitdem bin ich wieder juckfrei.

Ja, ich hätte zuhause bleiben sollen, statt als Elder Statesman in meiner Ecke zu sitzen und mir das Gefiedel anzuhören, an meinem spanischen Rotwein zu nippen und in Trübsal darüber zu verfallen, dass ich kein Meister der Kommunikation bin, sondern eher ein stiller Beobachter.

Da halfen auch die freundlich feurigen Blicke der drei schwarzen Damen an der Theke kaum, die sie mir zuwarfen, als ich an ihnen vorbei zum stillen Ort schlich. Ich hätte nicht hier sein sollen. Modimidofrsaso, sagte ich, aber natürlich verstand das niemand. Modimidofrsaso, wiederholte ich, aber umsonst. Das Gefiedel hielt an, und mehr denn je war ich der Überzeugung, dass mich eine Geige, von Isaac Stern oder Heifetz gespielt, zwar zu Tränen rührt, als Stimme des Jazz jedoch nur nervt.

Dann begann die Session. Man fragte mich, ob ich spielen wolle. Nein, eigentlich hätte ich ja heimfahren wollen, aber Spielen ist Spielen, also spielte ich die bekannten Lieder, jeder Saxophonist spielte seinen Chorus, immer schön der Reihe nach, sowas kann dauern. Zwei Saxophonisten, ein Posaunist, der Pianist will auch, der Bass muss sowieso, und dann ich auch noch. Zum Heulen. Jazz kann so langweilig sein.

Dabei hatte ich doch bei Michael Landau gehört, wie Musik klingen kann, wie offen die Räume sein können, wie spannend es wird, wenn man aufeinander hört und die Soli nur spielt, wenn sie Sinn machen.

Nichts davon gestern abend. Soli um der Soli willen, eines nach dem anderen, bis sie einem zum Hals heraushängen. Die schwarzen Damen (sehr schwarz, sehr korpulent) winkten freundlich zum Abschied, jetzt fehlte zu meinem Glück nur noch eine Sängerin, um die Katastrophe perfekt zu machen.

Die Sängerin kam. Die Sängerin sang. Ich flüchtete.

Heute früh träumte ich das Ende meines Hörspiels.
Ich sah die Szene, ich hörte sie, ich war sicher, sie in die Wirklichkeit retten zu können, aber als ich aufstand, waren wieder nur nicht reproduzierbare Erinnerungsschnipsel übrig. Also werde ich nun in die Stadt fahren, mich in ein Café setzen und Schriftsteller spielen. Werde in meine kleine schwarze Kladde kritzeln, in diese berühmte schwarze Kladde, die schon alle berühmten Schriftsteller dieser Welt besaßen, diese schwarze Kladde, deren Name mir gerade nicht einfällt.

Ja, das werde ich tun.

15:43

Moleskine heißt sie, die Kladde.
Steht sogar hintendrauf. Blindheit ist eben nicht nur eine Frage des Sehens.

Kaufbefehl: Paulus Böhmer: Kadish I bis X, Schöffling Verlag Frankfurt ISBN 3-89561-126-3

18:59

Nochmal Landau.

 

Do 10.04.08   11:41

Hermann Mensing liest für Sie:
Und, höre ich Ihr Angebot?

300 Euro werden verlangt, 300 Euro , wer bietet mehr. 300 Euro zum ersten, 300 Euro zum zweiten, 350 Euro , der Herr da drüben, 350 Euro zum Ersten, 400, 400 Euro die Dame, 450 Euro da drüben, 450 zum Ersten, 450 Euro zum... 600, höre ich 600? 600 Euro zum Ersten, zum zweiten, 800, 800 Euro zum Ersten, 850, 900, 945000000000, höre ich 945000000000 Euro, 945000000000 Milliarden Euro zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten.

PS.
Endlich ist klar, wo die Banken ihr Geld versenkt haben.

12:11

Neue Version des Klassikers.

 

 

Fr 11.04.08   9:51

Irgendetwas muss geschehen sein an diesem Donnerstag, den 27.03.08. Eine nächtliche Verhaftungswelle vielleicht, von der Öffentlichkeit unbeobachtet, eine Aktion, die weltweit vonstatten gegangen ist, genau weiß ich es nicht, aber ich stelle mir vor, dass bestausgerüstete Ermittler unterwegs waren, wahrscheinlich in den frühen Morgenstunden, wie man immer hört, werden sie vor Haustüren gestanden- und auf Einlass gedrängt haben.

Und dann? Sind all diese Männer und Frauen verhaftet worden? Oder hat man nur ihre technische Ausrüstung beschlagnahmt und Verfahren eröffnet? Ich weiß es nicht, aber in einem bin ich mir sicher: es muss eine weltweite Aktion gewesen sein, wenngleich mit Schwerpunkt in angesächsischen Ländern, denn viele der Täter stammten von dort. Auf jeden Fall aber war es eine erfolgreiche Aktion, denn seitdem erreicht mich kein Spam mehr.

In den ersten spamfreien Tagen fühlte ich mich regelrecht vernachlässigt, wenn bei Öffnen meines E-Mail-Kontos nicht mindestens zehn, fünfzehn, oft auch über zwanzig Spams heruntergeladen und markiert im Mülleimer landeten, jetzt langsam habe ich mich an den spamfreien Raum gewöhnt. Ich hoffe, dass er mir erhalten bleibt.

13:42

Es gibt Menschen, die halten mich für einen der Täter.

Entfernen Sie uns bitte aus Ihrem Mailverteiler,
da es sich um unverlangte Werbung (SPAM) handelt.
Rüdiger B.
Schulleiter

Hermann Mensing schrieb:

Betr.:
Fachkonferenz Deutsch Lesungen Hermann Mensing Kinder- u. Jugendbuchautor

Guten Tag,

als Kinder- u. Jugendbuchautor habe ich in den letzten Jahren Hörspielworkshops mit Schülern von Haupt- u. Gesamtschulen durchgeführt, an fast 200 Grundschulen gelesen, seltsamerweise aber kaum an Gymnasien. Ich finde das schade und möchte das ändern.

Sollten Sie also Interesse an einer Lesung haben, rufen Sie mich einfach oder informieren Sie sich auf meiner Webseite.
Sie finden dort Anregungen und Texte (unter Projekte : Downloads für Lehrer ) sowohl für die Klassen 5 und 6 als auch für höhere Jahrgänge.
Ich würde mich freuen, wenn ich Ihr Interesse geweckt hätte.

Mit freundlichen Grüßen

Solche Mails verschicke ich nun seit Jahren, die dazu notwendigen Adressen habe ich beim Landesamt für Statistik erworben, derart pikierte Zurecht- und Zurückweisung habe ich jedoch bislang nur zweimal erfahren.

Also Herr B., Sie sind nicht allein, es gibt noch einen Rektor, der ähnlich denkt.

Ich nehme an, Sie sind ein guter Mensch, Sie engagieren sich, und schweben als Rektor eines Gymnasiums naturgemäß weit über den schnöden Gefilden des Alltags - sprich, Kinderliteratur existiert für Sie gar nicht, höchstens Die Welle, alles andere ist SPAM. Daher bin ich glücklich, Ihnen mitteilen zu können, dass ich Sie nicht mehr in meinem Verteiler führe.

PS.
Es juckt mich zwar, ihren Namen und ihre Adresse zu erwähnen, aber ich verkneife es mir und vertraue der Imagination meiner Leser, wenn ich mich darauf beschränke, dass es sich bei ihrem Gymnasium um ein Städtisches Gymnasium in einer Kreisstadt des westlichen Münsterlandes handelt, deren Autokennzeichen häufig zu Frohsinn führt, weiß man dann doch, dass es sich um Chaoten ohne Ende handelt.

Heiliger Nepomuk, steh uns bei!

18:42

Fischreiher beobachtet Goldfische im Gartenteich der Nachbarn...

22:49

Schärfe schafft mein kleiner Fotoapparat auf diese Entfernung nicht, da ist der Digital-Zoom überfordert, bin schon froh, dass er mir Grün gibt, um den Auslöser nach unten durchzudrücken. Aber ich mag das Foto, es hat Frühling, Himmel und die Schönheit dieses Vogels, der mir wegen seines zurückgelegten Kopfes beim Fliegen immer die Frage aufdrängt, warum er das tut, der Storch aber, dessen Hals ja nur wenig länger ist, nicht.

Die Woche geht zuende, ich war kaum vor der Tür, meine Zeit verging vorm Rechner, das Hörspiel ist fertig. Montag lese ich dank einer mutigen Rektorin, die vorgestern anrief und fragte, ob ich auch kurzfristig zu buchen sei, in Essen.

Was für eine Frage!
Ich komme jederzeit, ich warte ja nur darauf, dass man mich anruft.
Heute früh bestätigte sie den Termin.
Also Montag zweimal in Essen. 180 Kinder.
Mittwoch dann diese nichtsnutzige Reise nach Mensingeweer, wo uns jemand erwartet.

Gutentag Hermann Mensing,
Ja, sie haben recht, ich erinnere mich ihren mail noch immer gut.
Und sie haben glück, ich habe ein freien Tag am 16sten.
Ich werde ihr beiden gerne empfangen und Mensingeweer sehen lassen.
Kommen sie erst bei mir Kaffee trinken, dann sehen wir danach was wir tun.
Morgens mache ich immer erst Einkaufen, also wenn sie rund 10.30 Uhr
bei mir sein können ist das gut.
Ein Fotograf und ein Kinderbuchschreiber empfangen ist mir angenehm,
denn beide Themen liegen mir na am Herz.
Wenn sie mal kuken auf unseren Kampingplatz-site : www.hogelaand.nl
dann können sie den Weg nach hier sicher finden.
Klicken sie auf Bereikbaarheid und danach auf die gezeigte Karte für den richtigen Weg.
Bis am 16sten, mein telefoonnummer ist ...
Mit vrundlichem Gruss,
Tonnis
bitte befestigen sie diesen mail so das ich weis das sie es gelezen haben

 

Sa 12.04.08    14:25

Ob der Fischreiher erfolgreich war, konnte ich nicht mehr beobachten. Er hatte sich vom Dach in drei Etappen hinunter in den Garten vorgewagt, von meinem Schreibtisch aus konnte ich gerade noch seinen Kopf und ein Stück Hals sehen, und beobachtete den Teich sehr aufmerksam. Dann muss ich mich wohl einen Augenblick abgewendet haben, denn im nächsten war er fort, ich vermute, am Teich, denn wenn er davon geflogen wäre, hätte ich das aus den Augenwinkeln heraus sicher bemerkt, groß wie der Vogel ist, wenn er seine Flügel ausbreitet.

Ich habe beide Daumen für ihn gedrückt, denn die Nachbarn sind mir verhasst, Ignoranten mit Gardinenfetischismus, Wochenenorgien mit Rasenmäher, Kreissäge und was ihnen sonst gerade einfällt, denen gönne ich, dass man ihnen die Goldfische aus dem Teich frisst. Besser noch: diese teuren japanischen Karpfen, Kois.

Ansonsten: Nichtstun. Lesen. Rinderkraftbrühe essen.
Gleich auf einen kurzen Gang raus an die frische Aprilluft, die zu gar nichts einlädt, um bei Plus Spargel fürs Hühnerfrikassee zu kaufen.

Morgen dann dies:

Udo Lindenberg und Gronau
Aus den Fünfzigern ins neue Jahrtausend
Wurzeln - Schnittpunkte - Berührungen
Ein historisch-musikalischer Rundgang mit Hanspeter Dickel
Originalschauplätze - Photos - Filme - Musik - Zeitzeugen

Beginn: 14 Uhr (Fußexkursion, etwa 3 Std. mit Gelegenheit zum Eierlikör ...)
Start: Rock- u. Popmuseum, Udo-Lindenberg-Platz 1
Teilnahmekarten: 8 Euro
Vorverkauf: Geschäftsstelle der Westfälischen Nachrichten, Pumpenstraße 3
Rock- u. Popmuseum, Udo-Lindenberg-Platz 1

Das könnte lustig werden, der Veranstalter erwartet dreißig Lindenberg-Fans aus Thüringen.
Für die war Udo die Fackel der Freiheit. Und ich hasse den Ossi ja nur als Ossi, nicht als Individuum.

Sagte vorgestern zu U. im CD-Forum: jetzt schocke ich dich. Gib mir mal die neue Lindenberg.
U. sah mich an und erwiderte: Och, die ist ganz in Ordnung.
War sie dann auch.

15:40

Beim Surfen erfährt man so nebenher, dass das Goethe-Institut Helene-Weber-Allee 1 D-80637 Muenchen am 10.04 79mal auf meine Webseite zugegriffen hat, fast 4 MB, und man denkt: hat es endlich jemand gemerkt?


So 13.04.08   10:20

Kaum aus dem Bett, denkt man: wäre es nicht einfacher, Lotto zu spielen, als weiter den Hermann zu machen....

20:37

Wie mich die Heimat nach all den Jahren immer noch seltsam anrührt. Nix zu machen, dieses stinkige Kaff hängt mir nach bis zum letzten Tag.

 

Mo 14.04.08   13:35

Lieber Hermann,

du solltest endlich anfangen, Lotto zu spielen, dazu bist du noch längst nicht zu alt. Du weißt ja, dass dir die rätselhaftesten Dinge zufliegen wie Allergikern Pollen, warum also nicht einfach auffangen die Zahlen, es sind ja nur sechs plus Zusatzzahl, notieren, am nächsten Mittwoch ankreuzen, und dann schon mal Vorsorge tragen, wohin abzuhauen wäre, am Donnerstag, wenn der nicht geringe Betrag auf deinem Konto erscheint.

Du würdest dann da ein stilles, zurückgezogenes Leben führen, sicher, aber das ist natürlich auch nicht ganz so einfach, denn gerade eben erst hast du erfahren, dass die Klimaerwärmung nicht nur von der Umweltverschmutzung kommt, nein, sie kommt auch davon, dass die Luft über unseren Breitengraden immer sauberer wird, und das verwirrt dich nun zusätzlich.

Als wären da nicht schon genug Irritationen. Als wäre da nicht der Alltag, an dem du jetzt seit 59 Jahren mehr oder weniger verzweifelst, als wären da nicht die lustlosen, desinteressierten Menschen, derer du heute ein ganzes Lehrerzimmer voll getroffen hast, diese augenscheinlich schon Toten, die den Montag noch mehr hassen als du, die sich noch überforderter fühlen, als du dich je fühlen könntest.

Hopplahopp muss alles gehen, wir haben ja heute diesen Pausenclown da, lass den mal machen, der macht das doch ganz gut, ach, jetzt will er auch noch ein Lied singen? Na bitte, aber nicht zu lang.

Lieber Hermann,

beim nächsten Mal packst du deine Kalaschnikow ein und veranstaltest ein Blutbad, so wie sie das in Amerika immer machen und hin und wieder ja auch schon hier, weil - was aus Amerika kommt, hat Zukunft und man will ja nicht hinterwäldlerisch sein.

Also:

zunächst werden alle, die bei dichtem Regen auf der Autobahn ohne Licht fahren, rücksichtslos von der Bahn geschossen. Das macht die Autobahn zwar nicht freier, ich meine, es räumt nicht die Staus, die heute früh von Recklinghausen Hochlarmark bis kurz vor Essen standen, aber es könnte dir doch Freude bereiten und wer weiß, vielleicht hätte ja doch der ein oder andere plötzlich Angst und gäbe die Bahn frei.

Wenn du dann schließlich zwei Minuten vor Beginn deines ersten Auftrittes dort ankommst, wo du ankommen wolltest, könntest du - - - ach Hermann, weißt du was, lass es. Es bringt nichts. Du weißt doch, dass es nichts bringt. So ist das eben, und weil es eben so ist, hast du dich nie damit abfinden können.

Ob das allen anderen genauso geht?

Hallo liebe Andere,
wie wäre es, wenn wir uns zusammen täten, wenn wir uns das einfach nicht mehr gefallen ließen.

Blöder Idealist, glaubst du im Ernst, dass sich hier je irgendetwas ändern würde?
Nie im Leben wird sich hier etwas ändern, weder hier noch sonstwo.
Du hättest es ja längst gemerkt, aber da du nichts gemerkt hast, hat sich auch nichts verändert.

Also:

Die Zahlen für den nächsten Mittwoch lauten: 3, 15, 19, 43, 59 62: Zusatzzahl 11.
Oder gehen die gar nicht über 60?

Siehste, nicht einmal das weißt du, also bleibt doch wohl nichts, als die Kalaschnikow mitzunehmen. Und dann aber: poooh, wie das Blut spritzt und wie dir schlecht wird von all den herumfliegenden Körperteilen, das hättest du nun so auch nicht erwartet, aber das Magazin ist noch nicht leer, also pumpst du noch eine Salve und noch eine und dann stapelst du die Lehrer, die ja -. soweit es deine Klientel betrifft - Lehrerinnen sind, fein säuberlich und siehst zu, dass du Land gewinnst.

Irgendwo, das weißt du, gibt es eine verschwiegene Höhle, und da könntest du den Kampf ums Überleben fern von Rundfunk, Fernsehen, Zeitung und Internet erneut aufnehmen, nur um festzustellen, dass es der gleiche Kampf ist, dass dir die gleichen Hindernisse im Weg sind und versuchen, dir den Tag zu versauen, und weil das so ist, bleibst du dann doch hier.

Schließlich hast du dir beizeiten die schönste aller Frauen auf deine Seite gezogen, der einzige Mensch unter all den Wahnsinnigen und Halbwahnsinnigen, der dich sein lässt, wie du bist, ohne auch nur einmal irgendeinen Vorwurft abzulassen wie all die anderen, die diese schöne Erde verseuchen, und dann sitzt ihr abends da, schaut Wer wird Millionär, und immer, wenn die entscheidende Frage kommt, britzelt plötzlich der Sender weg, weil das nämlich eine neue Erfindung ist, das Schlimmste seit Erfindung des Fernsehens überhaupt, das Digitalfernsehen über terrestrische Sender, dessen Erfinder vor die Wand gehört.

Ja, lieber Hermann, so ist das und ich hoffe sehr, dass dich diese Zeilen erreichen, denn manchmal befürchte ich, dass du deine Reise frühzeitig beendest könntest, dann wieder weiß ich, dass du das nie tun wirst, weil du ein Feigling bist, der noch nie richtig gearbeitet hat und das in diesem Leben wohl auch nicht mehr tun wird, weil du, als es soweit war, den Marsch durch die Institutionen anzutreten, besseres wusstest und dieses Besserwissen bis heute verteidigst wie einen Schatz.

Dass aber auch Schätze stinken und einem die Laune vergällen, durftest du heute mal wieder erfahren. Ich nehme an, es wurde auch Zeit, denn im Grunde sind es ja nur die Rahmenbedingungen, die so beschissen sind, im Grunde ist es nur der Apparat und seine dort auf die Rente wartenden Mitläufer, der dich jedesmal wieder so in Raserei bringst, dass du ... siehe oben.

Danke, dass du zugehört hast, Hermann.
Du bist ein feiner Kerl, ich mag dich, und ich wette, eines Tages wirst du dich zurücklehnen können und sagen: okay, ich habe es versucht, das ist doch immerhin etwas.

Di 15.04.07   10:42

Der Schriftsteller M. hat im Jahr 2007 einen Umsatzeinbruch von 35,11% zum Vorjahresumsatz hinnehmen müssen. Während andere bei solche Einbrüchen aus dem Fenster springen oder mit großzügigen Abfindungen in Rente geschickt werden, hält M. die Stellung. Wie mutig!

15:55

Sah vor einer halben Stunde einen Storch in den Aa Niederungen und musste feststellen, dass dessen Hals eindeutig kürzer ist als ein Fischreiherhals. Also liegt es doch an der Länge, nehme ich an.

18:36

Das dritte Haus links, ein Hörspiel für Kinder, ist fertig.
Jetzt heißt es: machen Sie ein Angebot. Oder: ab damit in die Schublade.

Harrrrrrr harrrrr harrrrrrr....

 

Do. 17.04.08   11:44

Wann immer ich die vage Absicht äußerte, mir ein Navigationsgerät zuzulegen, erntete ich milden Spott, gepaart mit dem Hinweis, ich hätte doch bisher immer alles gefunden, also mache mein mir angeborener Orientierungssinn so ein Gerät überflüssig.

Das stimmt. Ich habe mich in noch keiner Weltgegend verloren, selbst in Ländern, deren Straßenbezeichnungen ich nicht lesen konnte, bin ich immer ans Ziel gelangt, man könnte also obige Argumente gegen ein GPS gesteuertes Gerät durchaus gelten lassen.

Nun war ich gestern zum ersten Mal mit jemandem unterwegs, der auf GPS Navigation vertraut.
Ich hatte mir die zu fahrende Route vorher auf der Karte angesehen, ich hatte mir sowohl vom ADAC als auch von Google entsprechende Beschreibungen aus dem Netz geladen, war aber (was wohl nur Männern begreiflich ist), doch sehr fasziniert von diesem, von seinem Besitzer Margot genannten Gerät.

Margot war darauf programmiert, kürzeste Verbindungen zwischen A und B zu finden, schnappte aber nicht ein, wenn wir ihre Vorschläge missachteten, sondern orientierte sich jedesmal innerhalb weniger Sekunden neu und gab dann entsprechend veränderte Routenvorschläge aus.

So weit, so gut. Die Faszination war da, aber alles, was Margot bis zum Erreichen des Zielortes leistete, hätte ich auch geleistet.

Zielort war ein Bauernhof 20 Kilometer nördlich von Groningen.

Als wir nach einem mehrstündigen Aufenthalt von dort wieder aufbrachen, um zu einem Landgut Mensinge zwanzig Kilometer südlich von Groningen zu fahren, wäre ich, meinem Orientierungssinn folgend, vom Bauernhof zurück auf die Hauptstraße gefahren, bis Groningen der mir bekannten Route gefolgt, um mich dann neu zu orientieren.

Nicht so Margot.

Margot schlug vor, dem vom Bauernhof nach links in südwestlicher Richtung weisenden Feldweg zu folgen, und leitete uns in der nun folgenden Dreiviertelstunde mit sanften Hinweisen (in hundertfünfzig Meter rechts abbiegen, dann der N 376 folgen) durch ein Gewirr sich kreuzender, Grachten folgender oder überquerender, Kreisverkehre passierender Straße zielgenau in ein Wohngebiet und dort in eine Straße namens Mensinge, die der Navigator als Zielort eingegeben hatte.

Wobei wir an einen Punkt gelangt sind, der jedem Computernutzer bekannt ist:
ein Computer tut bekanntlich nur das, was man ihm aufträgt. Ein falsches Zeichen, ein Komma zuviel, ein Punkt zu wenig, ein Buchstabendreher, schon ist man zwar am Zielort, stellt aber dort fest, dass es der falsche Zielort war.

Inmitten dieses Wohngebietes also, auf der Straße Mensinge, programmierte der Navigator sein Gerät neu, diesmal mit den korrekten Koordinaten, und in weniger als einer Viertelstunde waren wir vor Ort.

Ich war beeindruckt, hatte ich doch auf der Fahrt vom Ausgangspunkt bis hierher soviel schöne Landschaft gesehen, so viel beeindruckende Horizonte, soviel Wald und Wiesen durchfahren, wie selten in Holland zuvor.

Natürlich hätte man diesen Weg auch per normaler Kartennavigation finden können, das aber hätte bedeutet, dass der Platz rechts neben dem Fahrer mit einem des Kartenlesens kundigen Beifahrer besetzt gewesen wäre, dessen ausgebreitete Karte den zur Verfügung stehenden Raum bis knapp vorm Lenkrad ausgefüllt hätte und zudem zu ständigen Diskussionen über jetzt gleich links oder nun rechts geführt hätte.

Ob wir uns nun tatsächlich ein solches Gerät zulegen oder weiterhin nur davon sprechen, ist noch nicht ausgemacht, denn natürlich setzen die Finanzen einem berühmten Schriftsteller wie mir ständig neue Grenzen, mal himmelhoch jauchzend, dann wieder eher Ebbe.

Das augenblicklich Finanzloch ist nach wie vor mit dem Finanzdebakel des internationalen Marktes vergleichbar, sollte sich aber, wie weiter oben angekündigt, zu dem schriftstellerischen Erfolg demnächst auch der finanzielle gesellen, werden wir nicht zögernd, uns eine jadegrüne Jaguar-Limousine mit Navigationsgerät zuzulegen, man soll nicht nur bescheiden sein.

 

Fr 18.04.08   10:25

Da saß er nun.
Drei Flaschen Bier im Rucksack, ein frisches Paket Zigaretten, er raucht ja nicht mehr.
Das ist sein letztes Paket. Da saß er, und ich hatte, kurz bevor er kam, gelesen, dass eine schweizer Forschungsgruppe erneut Versuche mit LSD in der Therapie durchführt.

Als hätte er diese Versuche nicht längst an sich durchgeführt.
Als hätte er nicht auf diesem Stuhl gesessen, hinabgeschaut und feststellen müssen, dass es bis zum Boden unendlich weit ist, so weit, als hätte man ihn samt Stuhl im All ausgesetzt und er müsse zur Erde hinabschauen. Er hatte sich festhalten müssen, um nicht vor Schwindel hinunter zu fallen, aber beim nächsten Blick hatte sich schon wieder alles verändert. Nun schien es, er säße im Teppichflor und der sei im Begriff, ihn zu überwuchern.

So etwas geschieht, wenn man der Hinrchemie mit Lysergsäure kommt.

Er hat in den letzten vierzig Jahren fast alles probiert, was zu probieren war.
Und es hat ihn dahin gebracht, wo er jetzt ist.
Er ist Vater.
Er hat eine Frau, die ihn liebt.
Was will er mehr?

Er ist in einem Alter, in dem jeder beginnt, zu rekapitulieren.
Habe ich mein Leben vertan?
Habe ich alles falsch gemacht?
Hätte ich nicht alles anders machen sollen?

Er steckt fest zwischen diesen Fragen.
Sein Dilemma: er hätte so vieles gekonnt.
Das dämmert ihm und er scheint nicht glücklich damit.

Wäre er zu trösten gewesen, und wenn ja, wie?

Nein, niemand ist zu trösten, jeder steckt in seinem Dilemma, es braucht dazu keine Drogen, dazu reicht ein normales Leben: Erfolg oder Misserfolg, Fragen sind überall und wer sie nicht mit Gott im Zaum halten kann, muss sehen, wie er klar kommt.

Also, nur Mut, nichts ist umsonst, nichts ist vertan, jeder hat nur das eine Leben und es gibt keine Vorschrift, die sagt, lebe es so und nicht anders. Schwer ist es immer.

14:32

Vorgestern in Mensingeweer....

von links: Roman Mensing, Ignace, Tonnis, Hermann Mensing

17:09

Sie trägt einen burgunderfarbenen Mantel, die Straßenseite, von der sie den Zebrastreifen in Angriff nimmt, verweist auf das Viertel, und das Viertel ist ein gutes Viertel. Wer da wohnt, ist nicht arm. Sie ist über achtzig, sie ist klein, sie war blond, damals, als sie jung war, sie hat blaue, wache Augen und ein warmes Gesicht, sie geht nur wenig gebeugt, aber federnd, nicht alt, und ihre Arme schwingen in leichter Rücklage weit aus. Lange Arme, irgendwie lange Arme für diese kleine Person, die da energisch die Straße kreuzt, wenngleich ohne Eile. Ob sie wohl Kinder hat, und was wohl ihr Mann war, wo sie wohl hin will, und was sie gern sieht, wenn sie fern sieht, ob sie noch selbst kocht, was sie am liebsten isst, ob sie liest, ob sie schon müde ist an der Welt oder noch froh sein kann, das alles füllt mich für die Momente, die mir bleiben, sie zu sehen, dann hat sie die Straße überquert, die Ampel springt auf grün, ich fahre an, ich biege rechts ab, ich sehe sie noch einmal, dann bin ich fort, sehe schon wieder andere Menschen, jedoch ohne bleibende Bilder. Nur diese alte Frau bleibt vom Tag.

 

Sa 19.04.08   20:17

Willi und ich spielen Polizei in Willis Eisenbahnspielkeller in Köln.
Sehr netter Mann, der Willi.



So 20.04.08  10:17

Es handelt sich nicht um Willi Moll aus Stommeln.
Willi Moll aus Stommeln ist eine Figur aus einem Lied von Stoppok.
Heute abend werde ich Stoppok sehen. In Nordhorn. Das Erstaunlichste ist: ich habe Freikarten.

Und das kam so: jemand aus Nordhorn hatte eine Textzeile aus Stoppoks Lied ausgegoogelt, um festzustellen, wo Stoppok schon Widerhall gefunden hat. Dabei ist er auf meine Seite gelangt. Noch erstaunlicher: dieser Jemand ist beruflich in der Jugendarbeit engagiert. Sehr engagiert.

Nachdem er mich gefunden hatte, hat er begonnen, meine Seite unter die Lupe zu nehmen.
Und er fand: wir müssen uns vernetzen. So etwas geschieht also doch: es gibt außer all den Internetspannern in diesem weltweiten Netz auch interessierte Menschen, die Nägel mit Köpfen machen.

Danke, Martin.
Wir sehen uns heute abend. Ich freue mich schon.

11:57

So sieht Willis Eisenbahnland aus.

 

Mo 21.04.08   9:56

Der Mond stand voll, und weil das Land nordwestlich der Ems flacher und flacher wird, ging der Blick über weite Felder voll dunklem Nichts, Baumgruppen, rot blinkende Postionslichter auf Windkraftanlagen und das schwarze Band der Straße. Dazu seltsam hohes, sehr schnelles Knistern aus einer rechts vorn über meinem Kopf gelegenen Stelle des PKW, die nie vorher vibriert, geschweige geknistert hatte.

Wir waren auf dem Heimweg. In der Alten Weberei Nordhorn hatten wir Stoppok gesehen. Ein entspannter Abend. Habe aber in Erinnerung, Stoppok schon mit einer dichter zusammen spielenden Band gesehen zu haben. In dieser ist Stoppok vorn und die Band begleitet. Trotzdem: schönes Konzert. Zugang direkt bis zum Bühnenrand. Einziger Misston: das Display meiner Kamera schmierte ab. Kühles Volk übrigens da oben, wo die Welt zusehend ausdünnt, sie brauchen noch länger als der Westfale, und der ist schon gern reserviert.

18:04

Martin Scorsese: Shine a light

Als ich klein war, war man entweder Beatles oder Rolling Stones.
Ich war Beatles, wenngleich mir die frühen Alben der Stones gefielen, aber ich hatte mich entschieden, ich war brav.

Letzte Woche sah ich das von Martin Scorsese verfilmte Konzert der Rolling Stones im Beacon Theater New York.

Und wer kündigt die Band an? Herr Clinton. Leicht vergrätzt also, eh es richtig losging.
Nicht, dass Bill Clinton zu meinen Erzfeinden zählt, aber ich fand ihn unpassend, ich fand, er hatte da nichts zu suchen. Ich fand auch das Beacon Theater nicht passend.
Goldener Stuck, Plüsch und ein High Society Publikum.

Hyperaktiv wie immer Mick Jagger. Ich glaube, er ist ein reinkarnierter Hahn. Sympathisch: Charlie Watts. Schon nach der zweiten Nummer schaut er zu Daryl Jones herüber und prustet erschöpft. Wie eine mit Kajal verschönte Kartoffel, die im Keller überwintert hat: Keith Richards. Der Zigeuner: Ron Wood.

Das Erstaunlichste an den Rolling Stones ist, dass vier Musiker mit so limitierten instrumentalen Fähigkeiten über vierzig Jahre erfolgreich sein können. Ich schätze, das ist ihr Geheimnis.

Mein Höhepunkt: Connection, ein Lied aus der frühen Phase der Band.
Keith Richards singt ohne die Zappeleien seines Chefs. Sowas hat er nicht nötig.

Alles in allem aber ein langweiliger Film.
Und dann auch noch die muffig riechende junge Frau links neben mir.
Und, als ich den Kinosaal betrat, Musik von BAP. Grauenhaft.

 

Di 22.04.08   9:11

Anne Sophie Mutter trägt Achselhaar.
Das macht sie sympathisch. Woher ich das weiß? Das bleibt mein Geheimnis.

13:32

Kleiner Reisebericht, hier...

 

Mi 23.04.08   15:43

Platt nach zwei Lesungen in Soest. Mensch, war ich gut.....

19:15

Hier der Beweis:

Lieber Herr Mensing,

ich möchte mich noch einmal ganz herzlich für Ihren engagierten, tollen Vortrag Ihres Romans heute Morgen bedanken. SchülerInnen und LehrerInnen waren gleichermaßen begeistert, wobei die Aufmerksamkeit einiger Kinder zum Schluss ein wenig nachließ. Ich hoffe, Sie sind gut wieder in Münster angekommen und es hat auch Ihnen etwas Freude bereitet.

 

Do 24.04.08   9:33

Die Nachbarn wissen nicht wirklich, was ein Schriftsteller Tag für Tag tut. Einer kreuzt jeden Morgen um diese Zeit den Hinterhof, um in seiner Garage, die meinem Fenster gegenüberliegt, Dinge zu sortieren, von denen ich widerum nichts weiß.

Er schaut zu mir hoch, er grüßt, ich grüße zurück, wir mögen uns, er ist ein jovialer Mensch, und ich denke dann immer, was er jetzt wohl denkt. Und was er seiner Frau erzählt? Sagt er, dieser Mensing sitzt Tag und Nacht am Schreibtisch? Sagt er, dieser Mensing ist verdammt fleißig?

Ich glaube, dieser Mensing ist wirklich fleißig.

Gestern war er so fleißig, dass er sich, als wieder zuhause war, kaum noch bewegen konnte.
Er hatte bei zwei Lesungen alles rausgehauen, was er raushauen konnte, hatte gestikuliert, geflüstert, geschrien, er hatte Lieder gesungen und mit den Kindern neue Strophen getextet, er hatte gefragt und zu Fragen animiert, zweimal eineinhalb Stunden hatte er den Hermann gemacht und war mit dem Gefühl nachhause gefahren, dass es besser kaum hätte kommen können.

Als er dann spätnachmittags in der noch warmen Frühlingssonne auf dem Balkon saß, stieß ihm eine Frage immer wieder auf: wie kann es sein, dass ich, wo ich so erfolgreich Lesungen absolviere und dabei so nah an die Kinder herankomme, dass diese fast vergessen, dass ich ein alter Mann und noch dazu ein Schriftsteller bin, so wenig Bücher verkaufe?

Das wird mir immer ein Rätsel bleiben.

Ich meine, schließlich kenne ich eine Reihe Kollegen, deren Vortrag zum Gähnen langweilig ist. Schließlich weiß ich, dass Langeweile das Schlimmste ist, was ein Schriftsteller verbreiten kann. Und ich weiß auch, dass ich nicht langweilig bin

Wieso kaufen nicht mehr Leute meine Bücher?

Gegen 22 Uhr lag ich im Bett. Als ich heute früh erwachte, hatte ich das Gefühl, ich hätte die ganze Nacht mit Flugträumen verbracht. Ich sei in einem fort über einer große Wiese gekreist wie ein Raubvogel. Und dann fiel mir wieder ein, dass ich in der letzten Woche an unterschiedlichsten Stellen abgerissene Flügel von Vögeln gesehen hatte. Raubvogelflügel und ein Taubenflügel.

Die Welt ist voller Geheimnisse und ich liebe das Leben.

12:26

Neues Lied, hier...

 

Fr 25.04.08 14:28

Wenn Sie Darwins Alptraum gesehen haben, wird Ihnen einleuchten, dass es nicht mehr allzu lang dauern kann, bis wir, die Nutznießer der globalen Menschenverachtung, Ausbeutung und Tötung, bald zahlen müssen. Sollten Sie diesen Film nicht gesehen haben, haben Sie vielleicht ruhiger geschlafen als ich, aber die Zeche werden Sie trotzdem zahlen.

Ich war gerade in Thomas Phillipsens Schnäppchenmarkt.
Ich wollte dort eine Fußmatte kaufen, fand aber keine passende.
Dennoch ist dieser Schnäppchenmarkt bis unter die Decke vollgepackt mit Dingen, die es zu diesen Preisen eigentlich nicht geben dürfte.

Sie entstehen unter anderem in Werkstätten wie dieser, in der Leder verarbeitet wird.

Das Foto stammt von Christoph Rehage, einem jungen Mann, der im November letzten Jahres in Peking aufbrach, um zu Fuß nach Hause, nach Bad Nenndorf, zu laufen. In diesen Tagen hat er die ersten 2.200 Kilometer hinter sich und postet jeden Tag neue, atemberaubende Fotos aus dem Land der Mitte.

Von diesen Fotos und aus seinem Blog lerne ich, dass die Menschen dort genau so sind, wie die Menschen überall auf der Welt, freundlich oder nicht freundlich, Menschen eben. Aber sie werden sich rächen, darauf können Sie Gift nehmen.

 

Sa 26.04.08   11:39

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ich sah aber drei, gestern, als ich mit dem Rad nach Münster fuhr, um im Club Courage Musik zu machen. Ich fuhr langsam, denn über mir zog eine großflächige Regenwolke Richtung Nordost. Bis zur Autobahnbrücke hatte sie mich sanft beregnet. Dann entschloss ich mich, langsamer zu fahren, und siehe da, sie zog fort und ließ mich in Ruhe.

Die Session war nicht zu vergleichen mit der vor ein paar Wochen. Eine andere Band hatte vorgelegt, deren Bassist spielte anschließend mit Albert Early Bird und den Working Worms, und das passte nicht. Wir Working Worms sind ein verschworenes Trio, das keine Bassisten duldet.

Anschließend Diskussionen über die Revolution. Man trifft sich dort einmal die Woche, um Marx zu lesen. Man glaubt nach wie vor an die Utopie. An sich sind Utopien nichts Schlechtes, die Fragezeichen aber, die sich über solch theoretischen Gebäuden aufbauen, sind, wenn man, wie ich, bald 60 wird, so mächtig, dass sie nicht mehr bestehen können. Worte sind Worte. Mehr nicht. Demgegenüber stehen Menschen mit ihren Widersprüchen. Das lässt sich unter keinen Hut bringen. Das Höchste, was man erwarten darf, ist der Kompromiss. Das ist nicht viel, aber immerhin vermeidet er Tote.

PS. Wenngleich auch das nicht stimmt. Tote gibt es nach wie vor. Aber eben nicht hier, sondern woanders.

16:54

In den Vergnügungsviertel der Stadt lärmten Nachtschwärmer, als ich gegen Mitternacht nach Hause radelte. Ich dachte, ein Glück, dass ich hier nicht wohne. Ich hatte Bauchschmerzen. Seit etwa 22 Uhr hatte ich so ein seltsames Stechen rechts. In Höhe des Coesfelder Kreuzes dachte ich zum ersten Mal, dass es etwas Ernstes sein müsse. Ich neige nicht zur Hypochondrie, aber dieser Schmerz hatte es in sich. Beim Ratio Supermarkt kam ich auf die Idee, den Gürtel meiner Hose zu lockern. Sie müssen wissen, ich trage hin und wieder Hip Hopper Jeans, viel zu weit, viel zu lang, sehr bequem eigentlich, wenn ich sie mit Hosenträgern auf Hüfthöhe halte, aber die hatte ich an diesem Abend aus verschiedenen, nur mir einleuchtenden Gründen nicht angelegt. Ich knöpfte also meinen Mantel auf und öffnete freihändig fahrend den Gürtel. Kaum war das geschehen, brachen sich Faulgase Bahn. Ich war allein, es war tiefe Nacht, ich hatte also keinerlei Rücksicht zu nehmen und fühlte, wie sich der Schmerz augenblicklich verflüchtigte. Glücklich, einer möglicherweise tödlichen Erkrankung mit langem, vorherigen Leiden entkommen zu sein, tat ich das Meinige zur Verschärfung des Klimawandels. Wie schön kann Umweltverschmutzung sein, dachte ich. Und wie hatte ich nur vergessen können, dass ich zum Abendessen zwei Teller Linsensuppe gegessen hatte. Dummer Mensch, dachte ich.

PS. File under: Flatulenz

 

So 27.04.08   18:38

Seit die Abschussquoten für Radfahrer im vorigen Jahr drastisch gesenkt wurden, kommt es an Tagen wie diesem (21 Grad - Frühling) zu unterträglichen Massierungen in Feld und Flur. Überall kurven sie herum, die meisten von ihnen blutige Amateure, denen man besser aus dem Weg geht. Selbst mit hervorragender Ortskenntnis findet man kaum noch einen unbelebten Landwirtschaftsweg, navigieren viele doch schon mit GPS, dem sie blindlings folgen, ohne zu wissen, wo sie sich tatsächlich befinden.

Alle Interventionen bezüglich wieder zu erhöhender Abschussquoten werden mit Hinblick auf die boomende Freizeitindustrie ignoniert. Selbst die größten Deppen dürfen Räder mieten und torkeln darauf stadtauswärts, wo man sie mit hochroten Köpfen verloren im Straßenbegleitgrün hockend Bier trinken sieht.

Das ist kein Vergnügen.

 

Mo 28.04.08   8:10

Eh ich gleich zu einer Lesung fahre, noch dies. Ein schönes Erlebnis, wenngleich nicht einfach zu schildern. Es spielt in der Eisdiele San Remo in Havixbeck. Wie fast alle dörflichen Eisdielen ist sie noch in italienischer Hand. Die Eigentümer stammen aus der Region Cortina d'Ampezzo, wie es sich für Eisdielenbesitzer gehört. Die Chefin ist eine große Person, hat dunkelbraunes Haar, einen kleinen Bauch, sie hat ein Pokerface und einen sehr sehr trockenen Humor.

Wir sind vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr dort, aber sie erkennt uns jedesmal und weiß sofort, was wir wollen. Spaghettieis. Wir genießen in der Sonne. Als wir unsere Becher leergelöffelt haben, streicht sie eher zufällig vorbei und sagt: Wollt ihr noch eins?

Ich sage: Ja, einen Eimer voll, aber wir haben kein Geld mehr.

Wenig später bringt sie uns noch eine Schale Spaghettieis. Die schenke ich euch, sagt sie, weil ihr ja kein Geld mehr habt. Ich sage: Soll ich jetzt singen? Sie antwortet: Ja, aber nur, wenn du kannst. Als es ans Zahlen geht, rechnet sie zwei Spaghettieis ab. Ich schaue sie an und sage: So, ich singe jetzt. Und beginne mit den ersten beiden Zeilen eines Adriano Celantano Liedes: Una fiesta sui prati.... Worauf sie sagt: Wenn schon, dann festa. Celantano war Italiener. Wie? frage ich. Festa, sagt sie, nicht fiesta. Fiesta ist Spanisch.

So angefeuert vom Glück menschlichen Miteinanders schaffen wir auch noch die letzten Kilometer nach Hause.

Und, Frau M., habe ich das einigermaßen korrekt wiedergegeben?

14:13

Liebreizender Empfang,
kein Wasser, kein Kaffee,
die Kinder kommen dann gleich, ach ja,
und die Rechnung zahlt ja der Förderverein.
Hatte ich vorbereitet.
Bitte. Danke. Abgang.

M. steht allein im Computerraum und überschaut die zahlreichen, noch nicht besetzten Stühle. Dann schneit ein Pressejüngling herein und glaubt, weil er von der WN ist, könne er dumme Fragen stellen, die er nicht vorbereitet hat. Zücke meine Visitenkarte und leite ihn auf meine Webseite um.

Dann kommt einer von der MZ und hat eine umwerfende Idee: ich solle mich doch gleich, wenn die Kinder da wären, einmal kurz zwischen sie setzen, mein Buch hochhalten und so tun, als läse ich.

Die Kinder kommen. Ich posiere für ein Foto. Rabarber rabarber rabarber, murmle ich, während die beiden Pressevertreter vorn stehen und Volksnähe faken. Dann lese ich.

Das Handy des MZ Vertreters meldet sich mit Grand Prix Geräuschen. Dreimal, viermal, fünfmal. Dann ist es still. Ich lese weiter. Die Kinder sind aufmerksam. Die Pressevertreter gehen.

Ich lese fast eineinhalb Stunden, ich spreche mit den Kindern, ich lasse sie spekulieren, fortführen, ausmalen, ich singe Lieder mit ihnen, die Zeit fliegt, ich habe fertig.

Schöne Lesung, ja, aber die immer wiederkehrende Frage wird auch hier nicht beantwortet.
Wieso lassen sich Lehrer so eine Gelegenheit einfach durch die Finger sausen?
Wieso schicken sie 80 Kinder in eine Lesung, ohne sie vorzubereiten?
Wieso zahlen sie 300 Euro, wenn sie doch nichts weiter wollen als ihre Ruhe?

Deprimierend.

 

Di 29.04.08   12:00

Alten Familientraditionen folgend fuhr ich in den Wald bei Alvingheide, um dort am Sonntag gesichtete, großflächig wachsende Vergissmeinnicht umzusiedeln. Die Umsiedler scheinen glücklich, das Projekt ist gelungen.

Was aber nun mit dem vor mir liegenden Brief anfangen, in dem sich jemand als Mutter vorstellt, die mit einer Gruppe Eltern und Lehrern das Sommerfest einer Schule organisiert und  "Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und besonders der Schriftstellerei sucht, die sich auf dem Schulfest als Vorleser einbringen möchten", von denen sie glaubt, sie könne mit deren Hilfe viele Gäste anziehen, die dann das Büchereiprojekt der Schule unterstützen würden.

Gute Dame, sie haben einen Fehler gemacht, denn Sie beziehen sich auf eine meiner Info-Mails, (die Sie, wie sie sagen, vom Rektor jener Schule erhielten), mit denen ich auf meine Lesungen aufmerksam mache. Woraus ich schließe, dass Sie mich überhaupt nicht kennen.

Hätten sie gesagt, Herr M., ich bin schon lange begeistert von ihrer Arbeit (und hätten dann Lieblingsstellen aus mindestens drei meiner Romane zitiert), ich würde nicht zögern, für die gute Sache zu lesen. So aber bleibt der fade Geschmack, dass sie etwas umsonst haben wollen um des Umsonsthabenwollens.

Also nicht mit mir, gute Dame Frau Doktor.

 

Mi 30.04.08   8:54

Heute musste ich die Zeitung nicht einmal mehr aufschlagen, um an 1968 erinnert zu werden.
Gloße Sache, gloße Sache, hätte mein früherer Lieblingsnachbar Hiroshi sicher zu meiner ungezügelten Fleude gestammelt, seit Wochen geht das nun so, dabei ist erst der vierzigste Jahrestag. Wie wird das bloß in zehn Jahren, wenn die Erinnerungen noch verschwiemelter sind und keiner mehr richtig weiß.

Ich bin, Gott sei's getrommelt und gepfiffen, kein 68er, sondern ein 49er und daher ein Hippie.
Das Jahr 1968 habe ich wie folgt verbracht: im März legte ich meine Kaufmannsgehilfenprüfung ab. Ich war danach Speditionskaufmann.

Im April kündigte ich.

Den Frühsommer und Sommer über war ich zuerst in München (Film: Zur Sache Schätzchen, daher: Englischer Garten, draußen pennen, Hippies), ich war am Starnberger See (in einer Höhle pennen, Hippies, Mädchen), ich war in Basel (Mädchen, Party), dann war ich in Schweden und Finnland (Party, Mädchen, hoffentlich bald Geschlechtsverkehr: kuck, geht doch), danach blieb noch Zeit, nach Zandvoort zu fahren, da mein zweiter Bildungsweg erst im Herbst begann. Auch in Zandvoort war ich wegen Party und Mädchen (fortgeschrittener GV).

Ein schöner Sommer, dieser 1968 Sommer.

Ich war 19. Falls ich mich politisch geäußert haben sollte (was ich sicher tat, denn ich hatte zu allem eine dezidierte Meinung und sagte sie auch), dürfen Sie davon ausgehen, dass sie sich am Rande des äußersten Randes jeder politischen Meinungsäußerung bewegte.

Kopf ab für Kapitalisten. Alles niedermachen. Feierabend. Ende.

Aber Sie dürfen auch davon ausgehen, dass das alles nur meiner persönlichen Unterhaltung diente, denn falls mich auf dieser Welt je irgendetwas interessiert hat, war es mein Wohlergehen. In jenem Sommer vor allem mein Fortschritt mit Mädchen.

Vom Elend der anderen habe ich immer gewusst, aber nie, nie auch nur eine Idee gehabt, wie ich es hätte lindern können. Wahrscheinlich wollte ich es auch gar nicht. Ich will es immer noch nicht. Das einzige, was ich will, ist mein Glück. Typisch Hippie eben, ein Hedonist wie er im Buche steht, wenngleich ich nie ein Hippie war. Solche Widersprüche werden Sie schon aushalten müssen.

13:20

Und schon wieder ein Lied.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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