April 2010                                       www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag


Do 1.04.10 9:32

Aß heute früh Dackelpastete. Sehr lecker. Das Toben mit alten Männern, elektrischen Gitarren und verschiedenen Drogen auf einem Bauernhof fällt leider aus. Der April pustet Melodien ums Haus. Herr M. hat logistische Probleme. Er muss Ostereinkäufe machen. Die Dackelpastete war von Netto. Kurzhaardackelpastete ohne Schwanz. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Herr M. beißt sich in den Arsch, kann es aber nicht ändern. Helfen kann auch keiner. Er wird alle mit Spott überschütten, wenn Zeit kommt. Aber Zeit ist schon da. Was denn nun?

Fr. 2.04.10 10:46

Man denkt nicht, dass das ein Ort wäre, an dem sich zum Abend Tänzer treffen. Man würde eher glauben, dass es ein konspirativer Ort sei, ringsum ausgeschlachtete Autos, große Pfützen im Hof, die Umgehungsstraße gleich nebenan, und doch: da ist der Shakers Club und da trifft man sich jeden Donnerstag, um Salsa zu tanzen.

Ich bin da, und ich bin dort verabredet. Der Kugelblitz kommt, mit ihm will ich üben.Wir brauchen 20 Minuten, eh wir uns erinnern, welche Kombinationen wir letzten Sonntag getanzt haben. Beim Ausprobieren wird viel gelacht, denn ich neige zu improvisierten Auswegen aus verhaspelten Choreografien. Der Kugelblitz nimmt das ernster als ich, schließlich hat er Jazz getanzt. Letztendlich aber kriegen wir den Ablauf hin und tanzen geschlagene zwei Stunden, dann muss der Kugelblitz heim zum Mann.


Zum Glück kenne ich mittlerweile einige Salseros (ob die so heißen), die sind verrückt, die fahren kreuz und quer durch die Republik, es gibt Kongresse, Konvente, in Münster gibt es vom 16.-18.04 eine dreitägige Salsa-Party, und da ist es nicht so, wie bei anderen Parties, wo die Gäste so lange herumstehen, bis sie betrunken sind, um dann torkelnd über die Frauen herzufallen, nein, Salseros tanzen vom ersten Augenblick an und trinken Wasser, um nicht zu dehydrieren. Zwei, drei Kilo Gewichtsverlust an so einem durchgetanzten Abend sind keine Seltenheit.

E
s gibt zwei Erkenntnisse, die ich auf meine Fahnen schreiben darf. Ersten: man attestiert mir Führungsstärke, was wichtig ist, denn beim Salsa führt der Mann, da gibt es nicht die butterweichen Komplikationen der Emanzipationsbewegung, und wenn dann eine sehr gute Tänzerin (die ein bisschen zu sportlich tanzt, mehr Richtung: Olympiade) sagt, du führst gut, dann freut das den Mann.

Und wenn eine andere sagt: ach, 61 bist du, das sieht man gar nicht, dann freut das den Mann auch, wenngleich es ihm doch am Arsch vorbeigeht, denn 61 sind 61, ob man's sieht oder nicht. Hätte antworten können, schau dir mal mein rechtes Krampfadernbein an.

Und schließlich meine Tänze mit Kimberly, schwarze Mutter, weißer Vater, aber Afrika hat gesiegt. Da passte alles, und dann ist es richtig schön. Noch schöner ist, dass Altersunterschiede keine Rolle spielen bei den Salseros: Kimberly, die drei oder viermal mit mir getanzt hat, ist nicht älter als 22, 23 vielleicht. Und sie hat nicht aus Mitleid mit mir getanzt.

Schweißnass (drei Lagen durch) schließlich gegen ein Uhr zum Bahnhof, eine Viertelstunde auf den Nachtbus gewartet und heim ins Bett.

Als ich ging, fragte Kimberly: sehen wir uns am Samstag in Wuppertal?
Nein, also so weit muss ich nicht fahren, um tanzen zu gehen.
Wenn's um Geschlechtsverkehr ginge, das wäre was anderes.


Sa 3.04.10 10:54

Wenn ich bloß bunte Eier legen könnte, aber nein, nicht einmal die Grundfarbe kann ich kontrollieren. Mal kacke ich weiße, dann braune. Anstregend, vor allem wegen der Hämhorriden. Bin schon seit gestern bei der Arbeit, habe heute früh noch einen Korb voll gemacht, bin dann die Einkaufsrunde gelaufen, hatte mir Bestzeit verordnet, blieb aber einige Hundertstel unter Rekord. Jetzt noch in die Metropole, dies und das kaufen, dann ist Wochenende und wir erwarten Gäste. Hunderte, Tausende werden kommen und ich sitze da mit wundem Arsch. Nicht schön.

18:45

Der Ostertisch es gedeckt. Der Mann ist seit heute früh unterwegs. Er hat vier verschiedene Supermärkte besucht, einen Wochenmarkt, er hat auf Listen Dinge durchgestrichen und neue hinzugefügt, jetzt können sie den halbnackten Heiligen getrost vom Kreuz nehmen. Soll er zum Frühstück kommen morgen, er ist herzlich eingeladen.


So 4.04.10 9:26

Ohne dich ist für den Arsch.



20:31

Ich öffne die Balkontür und gehe hinaus. Es riecht nach Osterfeuern. Sie brennen überall. Ich könnte eines nach dem anderen abfahren, aber ich bin zu faul. Außerdem regnet es. Ich atme den Geruch und höre dem Regen zu. Drinnen läuft Astral Week, eine meiner ersten Platten. Alle Gäste sind fort. Seit 10 Uhr war das Haus voll. Ich trinke Whisky. Der Tag war schön. Ich habe es geschafft, dass die Gäste sich wohl fühlten. Darauf bin ich stolz. Dein Geist ist mein Geist. Ich liebe dich.


Mo 5.04.10 9:58



So sah ich damals aus. Ich musste keine Romane schreiben, um die Welt zu begreifen, aber ich begriff sie auch damals schon nicht. Und jetzt, wo ich begreife, dass mein Frieden davon ist, hänge ich auf Seite 177 und traue mich nicht, Seite 178 zu schreiben. Die Sonne scheint und ich denke an Flucht. Aber wohin könnte ich fliehen. In die Arme meiner Frau würde ich fliehen, aber das geht nicht. Also bleibe ich, wo ich bin.

23:20

Romanschreiben macht im Augenblick keinen Sinn.


Di 6.04.10 10:33

Ich kann mit Ferien nichts anfangen. Ich hatte nie welche. Ich hatte Tage immer zur freien Verfügung. Jetzt zähle ich sie. Nächsten Montag geht es wieder los, denke ich. Es ist ein bisschen unglücklich, dass ich mitten in einem Roman steckend diesen Job bekommen habe. Das eine behindert das andere, das andere das eine. Zu ändern ist es nicht. Kopf hoch, Herr M., niemand treibt, niemand sagt, morgen. Sie haben alle Zeit der Welt. Und jeden Monat kommt Geld ins Haus, also ...

22:02

Ich hatte einen schönen Ferientag. Ich war bei Carsten. Carsten baute gerade ein Regal für seine Bonsais. Die Sonne schien. Der Hund vom Bauer, der beste Freund von Carstens Studiokatze, versuchte, die Katze zu vögeln, wir tranken Kaffee, ich spielte Klavier, ich lud mir eine neue Dreamweaver-Version auf meinen Rechner, eine Nuendo-Version ebenfalls, wir aßen Kuchen vom Dorfbäcker, und als ich so saß und dachte, aha, also kann ich mit Ferien doch etwas anfangen, hatte ich eine Idee für den Fortgang meines Romans. Seitdem denke ich darüber nach, und wie das so ist, eine Idee zieht andere nach sich. Also werde ich sehen.



Mi 7.04.10 17:57

Plötzlich hat Herrn M. eine breitärschige Zufriedenheit überfallen, dass es fast schon wieder zuviel ist. Heute morgen hat er sich aufs Rad gesetzt und ist 60 Kilometer durch's Münsterland gefahren, was jedem CitySlicker wärmsten zu empfehlen ist. Radeln mit einem Dichter könnte ich anbieten. Ist aber nicht billig. Heute abend wird er tanzen. Und morgen auch. Und den Roman wird er mit links rausrotzen, irgendwie.


Do 8.04.10 17:14

Feierabend. 200 Seiten erreicht.

Fr 9.04.10 9:25

Die Tanzfläche war noch leer, keiner wollte so recht, nur Herr M. wollte, und dann fand er jemand, der auch bereit war. Kaum waren die ersten Figuren getanzt, folgten andere Paare. Aber das wollte ich nicht erzählen. Ich wollte erzählen, dass Herr M., während er all das ausprobierte, was er sich wieder und wieder als Video angeschaut und als Bewegungsablauf eingeprägt hatte, aus den Augenwinkeln mehrfach das freundliche Lächeln eines offenbar sehr jungen, sehr zierlichen, schwarzhaarigen Menschen registrierte, schwarzhaarig, ganz schwarzhaarig, sehr jung, dachte Herr M., und auf den ersten Blick kaum auszumachen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war.

Herr M. tanzte, Herr M. geriet in Schweiß, wie er immer schnell in Schweiß gerät, wenn er tanzt, Herr M. machte eine Pause, und da stand plötzlich dieser sehr junge, sehr zierliche, schwarzhaarige Mensch vor ihm, reichte ihm kaum bis zur Brust und sagte sehr freundlich, ob er etwas fragen könne, Herr M. könne natürlich Nein sagen.

Natürlich, sagte Herr M., und der zierliche, schwarzaarige Mensch, der offenbar eine sehr junge Frau war, vielleicht aber doch über zwanzig, das ließ sich nicht eindeutig sagen, denn der Mensch hätte auch als griechischer Knabe durchgehen können, sagte, ob er ihm zeigen könne, wie das geht, dieses Tanzen. Natürlich, sagte Herr M., das ist eigentlich ganz einfach und er zeigte ihm die Basico Grundschritte. Die beiden tanzten zusammen. Dieser zierliche, schwarzhaarige Mensch, eine Frau, das war jetzt klar, tanzte voll Hingabe und Freude, und als Herr M. sagte, sie habe doch sicher schon einmal getanzt, sagte sie, ja, aber das sei sieben Jahre her. Herr M. wollte nicht fragen, wie alt sie ist, wunderte sich dennoch, denn vor sieben Jahren, dachte er, wäre sie vielleicht noch zur Grundschule gegangen, aber das konnte wohl nicht sein.


Sa 10.04.10 22:25


Das Werk

Stille brütend schaut der Meister
auf sein umfangreiches Werk,
denkt demütig: Scheibenkleister,
finde keinen Reim auf Erk. Finde keinen Reim auf Leben,
finde meine Brille nicht,
hab mein Hirn längst abgegeben,
dopple täglich mein Gewicht. Heißa, das ist eine Freude,
wenn sich Tag auf Tag nicht reimt,
eine stille Augenweide -
hab wohl alles nur geträumt.





So 11.04.10 16:33

Manchmal schreibe ich Rechnungen. Gestern erhielt ich eine Antwort.
Aber hören Sie selbst. Sie stammt von der BMW Group, die meine nächste Lesung sponsort.




Mo 12.04.10 13:56

C. hat sich mit mir verbrüdert. Hatte vor drei Wochen einen bösen Streit mit ihm, er hatte mein vulgäres Sprachgen gereizt, aber heute wollte er auf meinen Schultern reiten, und ich dachte, gut, also liefen wir los. Er wiegt 42 Kilo. Wir balancierten über einen Balken, er ritt auf meinen Schultern zurück, und jemand sagte, wenn C. erst einmal Vertrauen in dich gefasst hat, kannst du mit ihm Pferde stehlen.

Diese Woche wird geprägt sein von Erforschungsspaziergängen in die umliegenden Wälder. Ich frage mich allerdings, ob sich das in Spielen erschöpft, oder Erkenntnisgewinne bringt.

Di 13.04.10 16:41

Saß gestern abend auf dem Sofa, war fast schon im Bett, meine Nase lief und alles roch nach Grippe, der Rechner stand noch auf meinen Knien und ich dachte, wirf noch einen Blick auf den Roman. Tat so tun und siehe, es dauerte keine fünf Minuten, bis ich ihm einen Dreh verpasste, der mir perspektivisch die nächsten hundert Seiten sichert. Speicherte, legte mich schlafen, öffnete heute früh die Datei, um nachzuschauen, ob ich mir vielleicht einen Streich gespielt hatte, aber der Dreh funktioniert noch. Werde also in den nächsten Tagen und Wochen froh fürbass schreiten und dann anfangen, zu überarbeiten. Freue mich drauf.

19:54

Ein Gebrauchsgedicht für Kinder

Als die Kinder
in den Wald ausschwärmten,
wandte sich die Buche an die Eiche,
sagte, wenn sie bloß nicht so viel lärmten,
wenn sie doch mal ihren Mund verschlössen,
ihre Ohren spitzten, hörten und Gerüche röchen,
könnten ihre Augen öffnen und erkennen
wie die Sonnenstrahlen
Farben aus den jungen Blättern spönnen,
könnten Vögel hören, die zum Frühling Lieder singen,
Spinnen sehen, die im Morgenlichte Fäden spinnen,
Eichhörnchen, die elegant von einem Baum zum andern springen,
könnten eine Maus entdecken,
hören, wie die Taubenmänner ihre Taubenfrauen necken,
alles dieses könnten sie erleben,
sprach die Buche, schwankte dabei leicht im Wind,
und die Eiche sagte, liebe Buche,
lass sie lärmen, du warst selbst doch mal ein Kind
lass sie einfach hier herumgehn'
wirst schon sehen, sie sind klüger als du denkst,
werden sich schon zu benehmen wissen,
wenn du ihre Schritte lenkst.

20:00

fliegenmann fliegenfrau am arsch hätte ein fliegenmann viel zu tun
aber die fliegenfrau war etepetete
sie hielt ihr häuschen sauber
achtete auf umgang
trank nicht
und liebte herbeigeredeten sinn
mehr als das untergekommene falsch
deshalb hatte der fliegenmann
diesmal am arsch wenig freude
dann flatulierte's ihm auch noch die flügel weg
scheiße dachte er noch
wie kann jemand so glühendheiß furzen
dann hörte er auf zu denken
seitdem wartet die frau

Mi 14.04.10
15:39

als mittag war

als mittag war
schwirrten köpfe über die dächer
mägen fragten verwirrt
ob das verdauen verboten sei
füsse hatten zwölf zehen
und beine vertrösteten sich
auf die nacht mit der frau
als mittag war
hatte der einbeinige seine prothese bei ebay verkauft
und wollte nach tierra del fuego
als mittag war
gaben sich die nachbarn die klinke
und schossen sich nieder
als mittag war
hörten die glocken das reißen
und stürzten vom stuhl
und so ging das weiter
und weiter und weiter
und als dann der tag fragte
ob man nicht endlich aufhören könne mit diesem irrsinn
sagte die frau: noch nicht
einer geht noch rein
und der letzte ging rein
fand den wilden wald verwüstet
erkältete sich weil es feucht war
und eklig roch
der tag trat auf die bremse
löschte den eintrag
und legte sich mit einer wärmflasche ins bett

Do 15.04.10
13:44

die lippen hatten sich gestritten
und wollten fort
eine in diese
eine in die andere richtung
so kam das lachen zur welt

Fr 16.04.10
14:43

Ich bin jetzt Mitglied der Solidargemeinschaft Feierabend.

Schon die bloße Erwähnung dieses Hauptwortes zaubert Lächeln in die Gesichter ihrer Mitglieder, aber glauben Sie mir, ich wäre lieber kein Mitglied, sondern freischwebend wie früher. Leider bringt das kein sicheres Geld, und so bleibt mir nicht anderes. Davon abgesehen ist das Leben mit den Kindern nicht übel, wenngleich anstrengend. Es belegt viel Speicherplatz meiner organischen Festplatte, was das freie Assoziieren in Bezug auf den Roman, den ich seit fast 10 Wochen schreibe, beeinträchtigt. Aber ich komme voran. Sicheres Geld gegen freies Schweben, wer eine Alternative weiß, lasse es mich wissen.

21:38

Es ist Zeit für etwas Stimmung. Damenwahl.
Die Herren in den Außenkreis, die Damen in den Innenkreis.
Marschfox ...


23:24

ich erinnere mich
dein abend war noch nicht gekommen
mein tag hatte mehr stunden als feierabende
kaffee war keine metapher für italiener
an deinen lippen hing flaum
und wir schwebten
jetzt schlaf ich in deinem schatten
messe kein lied mehr in tönen
säge mein herz auf für später
tusche dich für die nacht
und versenke mimosen
wir haben das küssen erfunden
wir hassten den plan
ich erinnere mich
dass dein herz stehen blieb
ich hatte das nicht erwartet
erinnere mich
komm schon erinnere mich
es ist nacht
die türen stehn offen


Sa 17.04.10
10:35

gegenwart

frost singt in der japanischen kirsche
der himmel ist ruhig
reisende auf feldbetten
schlafen allein gelassen mit ihren wundern
daxe beten
bischöfe verneinen
balltreter vergolden sich
mit der solidargemeinschaft feierabend
weltuntergänge jähren sich stündlich
und niemand findet etwas dabei
ergebnisse sind negativ positiv
die hoffnung trägt hemdchen
für engel die es nie gab
die wesenden haben namen auf zeit
und gräber einsachtzig tief
wer blumen bricht
wird fortgetragen
in zimmer mit monitoren
alles geregelt alles erschöpft
alles hätte anfang verdient
blumen statt mitleid
ergebene diener
statt verschorfter leugner
gott statt kirche
so beginnt wieder ein tag

15:06

Die Spannung steigt. Ich erwarte viel, Süße. Ich fahre nach Bielefeld nachher, eine Stadt, die nachgewiesenermaßen nicht existiert, sie ist eine kollevtive Illusion der Ostfalen, dennoch spielen The Notwist dort, eine Band, die ich lange kenne und liebe, und von deren Konzerten ich nur höchstes Lob gehört habe.

15:34

Die Piloten haben heute frei.


So 18.04.10 9:20

Kein Kondensstreifen weit und breit, so sollte das bleiben.
Ich fordere flugzeugfreie Wochenenden.

22:53

Die Straße von Bielefeld nach Gütersloh weitete sich, ich gab Gas und dann sah ich das aufblitzende Licht. Ostfalen, dachte ich, Scheiße, ab Warendorf ostwärts sitzt der ostfälische Polizist in jedem Baum und fotografiert Autofahrer, die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeiten überschreiten.

Ich gehe davon aus, dass es wie immer, wenn es mich trifft (die anderen, die mich mit zweihundert überholen, trifft es nie) um die 15 bis 20 Euro kosten wird. Das summiert sich zu der Eintrittkarte ins Forum, wo The Notwist spielten.

Während meine Mitreisenden von dichtem Gedränge sprachen, saß ich am linken Bühnenrand und hatte Bein- und Armfreiheit, die Musik war nicht zu laut, ich tanzte sogar dann und wann ein, und wenn ich erschöpft war, setzte ich mich auf den Bühnenrand.

Es wurde spät. Die Band ist eine Hippie Band, das hatte ich nicht erwartet. Hinterwäldlerische Eigenbrötler aus Bayern, die noch Wrangler Jeans tragen und Eigenbrötlermusik machen, sehr geschmackvolle Eigenbrötlermusik. Der Sänger hat eine einschläfernde Stimme. Ich dachte, dass er nur Grünkern Brötchen isst, aber die Musik gefiel mir sehr. Wahrscheinlich lebt die Band in einer Kommune.

Für meinen Geschmack hätten die Krachanteile der Stücke (meist ruhige Einleitung, viel Elektronikgefritzel - Krach - ruhiges Ende) länger und noch lauter sein dürfen.
Ich war zufrieden, wenn auch nicht überwältigt, worauf ich ein bisschen gehofft hatte.

Heute früh fuhr ich nach Duisburg zur Giacometti Ausstellung. Auch da hatte ich mehr erwartet. Mehr Skulpuren. Ich will im Augenblick einfach zu viel. Heute abend Tanzkursus. Information Overkill. Jetzt schlafen.

Wann und wie es mit dem Roman weiter geht, wissen die Götter, die kommende Woche ist voller Termine. Drei Lesungen, Elternabend, Mitarbeiterbesprechung, Vorbereitung für das neue Projekt. Die goldenen Zeiten des freien Schwebens sind dahin. Damit muss ich leben.

Dennoch geht es mir gut.
Der Tag war sehr sehr schön.
Gute Nacht.


Mo 19.04.10 18:12

Mein jüngster Sohn wird mich verachten, meine Frau würde mich belächeln, aber ich habe es getan. Ich, der jeden Ort in Deutschland findet, habe mir ein Navigationsgerät zugelegt. Ich war es leid, mit einer Karte auf dem Schoß durch große Städte zu fahren. Ich will, dass endlich jemand sagt, links, rechts, undsoweiter. Also...

21:47

Es ist nämlich so, dass ich morgen in Essen lese und am Freitag in Bad Oeynhausen. Es ist nämlich so, dass mir der Kopf schwirrt vor lauter Eindrücken, und mir die Zeit um die Ohren fliegt, wie sie mir nie vorher um die Ohren geflogen ist. Es ist nämlich so, dass ich das letzte Kapitel meines Romanes längst geschrieben habe, mir aber heute erst auffiel, dass es das letzte ist, und dass ich davor noch einige werde schreiben müssen.

Das ist beruhigend, denn nun weiß ich den Schluss, den ich, als ich ihn schrieb, nicht als Schluss identifiziert hatte, die Erkenntnis kam mir erst heute als ich im Auto saß und in die Stadt fuhr.

Heute hatte ich ein höchst interessantes Gespräch mit einem 8jährigen. Er berichtete mir von seinen Fantasiewelten, und da ich jemand bin, der sich mit so etwas auskennt, hatten wir seine Fantasiewelt (er hat viele und kann sie je nach Bedarf betreten) gemeinsam gleich ein wenig eingekreist, hatten uns ad hoc auf Namen und Sprache, auf Aussehen der Bewohner etc. geeinigt, und kamen im Verlauf schnell in philosophisches Fahrwasser, in dem er mir erklärte, Gottes Schöpfung, unsere Welt, sagte er, sei ja auch eine Fantasiewelt. Werde jetzt häufiger mit ihm sprechen. Das wird ihm und mir gut tun.


Di 20.04.10 16:32

Ich wusste natürlich, wie man nach Essen kommt. Ich hatte es ausgegoogelt. Als mir das Navi bei Marl eine abweichende Route vorschlug, ignorierte ich sie. Das Navi war nicht beleidigt, sondern hatte innerhalb weniger Sekunden begriffen, dass es mit mir nicht so umspringen kann und berechnete neu.

Dann hörte ich im Radio von einem 4 Km Stau auf der A43 und dachte, das betrifft mich. Das Navi bot Umwege an. Ich ignorierte den ersten. Als es den zweiten anbot, konnte ich den Stau schon sehen und akzeptierte die neue Route.

Ich wusste, wo ich war, und dachte, jetzt bin ich gespannt.

Es schickte mich von der A43 auf die A2, von dort auf die B224. Die kenne ich auch. Entspannt folgte ich den Anweisungen, passierte das Stadion von Rot Weiss Essen, sah auf dem Display, dass es nur noch knapp vier Kilometer wären und ich in etwa zehn Minuten ankäme.

Und so kam ich an und beschloss, dass es eine gute Idee war, das Navi zu kaufen. Ich kaufte die Basis Version. Kein 3-D, kein Bloo-Tooth, stattdessen klare Anweisungen und mit Optimierung beim Abbiegen, will sagen, etwa 150 Meter vorher schaltet das Display auf einen entsprechenden Richtungspfeil und sagt sogar den Straßennamen an.

Die Lesung war lebendig. Sie hat Spaß gemacht. Anschließend hatte ich noch eine Englisch-Einheit in der Schule, jetzt, sollte man meinen, wäre Feierabend, stimmt aber nicht, denn heute abend ist Elternabend. Die Zeit fliegt, aber da ich nun weiß, dass ich das Schlusskapitel des Romans längst geschrieben habe, ist mir leichter. Ich freue mich auf die Kapitel, die ich noch schreiben werde, und kündige den neuen Roman zum Sommer als erledigt an.

21:56

cut

der mann auf der bühne
hat einen wunden mund
aber das macht nichts
ihm fliegen blicke hinein
und schauen sich um
ihm weben sich herzen ins haar
und machen gesund
der mann auf der bühne
hat lieder im bauch
die machen das haus voll
und treiben missmut davon
der mann will das jeden tag jetzt
und hat nichts als hoffnung
und hat nichts als hoffnung und hoffnung
und cut


Do 22.04.10 17:29

Schrieb fünf neue Seiten und freue mich jetzt auf den Welttag des Buches, denn da lese ich zweimal vor jeweil 100 Kindern in Bad Oeynhausen. Da könnten einem schon die Haare zu Berge stehen, zumal die erste Lesung mit Erst- und Zweiklässlern um 8 Uhr stattfindet, aber da mache ich mich nicht bange. Gleich wird gekocht, heute abend wird noch ein Stündchen getanzt, und so langsam wird es auch mal wieder Zeit, dass ich meinen Enkel sehe.

Fr 23.04.10 16:12

Hach wär das schön. Ich könnte drei, vier Lesungen im Monat aufs Parkett legen, Lesungen wie die in Bad Oyenhausen heute, wo ich alle Kinder (ca. 200) einer Grundschule nach den Regeln der Kunst belesen und mit der Ukelele beträllert habe, ich führe danach nach Hause und hätte meine Ruhe. Stattdessen muss ich Kinder zum Lernen anleiten, was sinnvoll sein mag, aber meiner Natur nicht entspricht. Ich tauge höchstens zur Unterhaltung. Aber es ist nicht zu ändern. Fakt ist, dass ich jetzt erst einmal Wochenende habe. Sonnenschein ist auch angesagt. Also. Aloha, ihr ....


Sa 24.04.10 13:28

wie es weitergeht

ich bin lange nicht mehr aus träumen erwacht
ich bin der traum und erschrecke
dass alle anderen anderes träumen
ich erwarte nicht
dass sie teilen
ich erwarte nicht einmal dass sie träumen
ich habe ein kleines paket
dass ich niemals zur post bringen werde
ich habe das paket in den keller getragen
damit es dort explodiert
ich renne vorm keller davon
und nehme die dunkelheit mit
meist bin ich einen schritt zu spät
oft bin ich viel zu früh und dann treffe ich die
denen es ebenso geht
ich bin schon lange nicht mehr einsatzbereit
jedenfalls nicht für die anderen
höchstens für mich und auch für mich
renne ich leer
es ist sehr verzwickt in diesem keller
mit diesen träumen
verzwickter als das leben der trinker
die nichts tun und hartz IV verdienen
in meinem keller träumen alle ansprüche
in weckgläsern auf regalen
mit daten drauf: dann und dann
manche sind da schon hundert jahre
andere erst seit gestern
aber eines ist allen gemein:
sie teilen nicht mehr
sie haben alles ausgeteilt
und warten nur noch darauf
wie es weitergeht


So 25.04.10 11:55

Tschernobyl könnte kaum schöner strahlen. Die japanische Kirsche vorm Haus leuchtet. Bienen schlagen summend vor's Fenster, zu blöd, den Weg nach draußen zu finden. Das Konzept Fenster überfordert sie. Herr M. hat einen Hüftschaden, zumindest im Augenblick. Er hat in der Nacht vom Freitag auf Samstag zuviel getanzt. Das war eine schöne Nacht. Sie hätte zu allem möglichen führen können, endete aber da, wo alle seine Nächte enden, auf dem Schwebebalken. Gleich fährt er nach Nordhorn, um das Procedere für vier Lesungen am Vechte See zu besprechen. Und heute abend tanzt er. Scheiß auf die Hüfte, denkt er, morgen kann alles vorbei sei. Heute zählt, nichts als Heute, sonst gar nichts.


Mo 26.04.10 22:31

Zwei Stunden ist es her, seit ich meinen Roman beendet habe. Fühle mich seltsam frei seitdem, obwohl ich natürlich weiß, dass noch eine Menge Arbeit vor mir liegt. Aber die Basis steht. Würde mich gern betrinken, wüsste aber nicht mit wem, und allein trinken ist Alkoholismus. Gehe stattdessen gleich schlafen. Ist auch schön.


Di 27.04.10 19:47

Dies zur Dokumentation meines wirklichen Berufes: Spökesmacher während meiner Lesung in Essen.


23:00

das gedicht vom linken bein

der dichter wurde irre
als ihm auffiel
dass sein linkes bein
nach mallorca geflogen war
er hatte ihm die kanaren gebucht
es brauche urlaub hatte das bein gesagt
und dann sowas
der irre dachte
dass dichter dran sein an seinen geliebten extremitäten
vielleicht kleine geliebte ins haus brächten
die füße pflegten und heimatliches gefühl
an die kronleuchter hängten
das alles fiel ihm auf
als die sms aus mallorca eintraf
aber der irre dichtete nicht mehr
er hatte nichts zu trinken
und übte mit dem rechten bein doppelpässe
die waren so irre
dass sie ihm zutritt
nach nord korea verschafften
alle die dort noch lebten
und sich nach pässen sehnten
die sie nach mallorca brächten
oder vielleicht nur nach bentheim
vergaßen
dass es irre gab
die glaubten
dass dada die welt retten könne
oder überhaupt einer sie retten wolle
das glaubte keine sau
und so schnitt der irre dichter das rechte bein
auch noch ab
und legte sich auf den sessel
kurz wie er jetzt war schlief er hervorragend dort


Do 29.04.10 10:32

Da kann der Meister tanzen soviel er will, der Schmerz geht nicht weg, er hockt hinterm Frühling und springt ihn an. Da kann der Meister sitzen und nichts tun, der Schmerz geht nicht weg, er hockt auf dem Rand der Kaffeetasse und grinst. Da kann der Meister tun, was er will, der Schmerz wird nicht kleiner, eher größer. Da kann der Meister lachen, es stimmt nicht, hinterm Gesicht lauert der Tod und reibt sich die Hände. Da kann der Meister nichts machen, nichts machen kann der Meister, er kann warten und hoffen, dass das Vakuum nicht implodiert, er kann Reden halten und Gedichte schreiben, er kann den Vögeln zuhören, die vor seinem Fenster Lieder singen, das alles nutzt nichts: der Meister ist allein.


17:49

Meine nächsten anderthalb Gehälter gehen für TÜV drauf.


Fr 30.04.10 14:41

Die Kirschblüten simulieren farbigen Winter. Ich bin erschöpft. Morgen ist unser Tag. Morgen sind wir seit 37 Jahren ein Paar. Wir waren ein schönes Paar, und wir sind es noch immer, wenn auch unter veränderten Umständen.















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