April 2015                        www.hermann-mensing.de      

    

mensing literatur
 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten eintrag


Mi 1.04.15 11:49

Die Sonne scheint. Ich verlasse das Haus um einzukaufen. Ich überquere die Straße. Ich sehe es kommen. Ich sage es der Bäckereifachverkäuferin. Haben Sie es denn weit? fragt sie. Nein, sage ich, aber weit genug, um den Arsch nass zu kriegen. Aprilwetter, sagt die dicke alte Frau mit dem schwulen Sohn, die ich auf dem Heimweg treffe. Es hagelt.

Als ich vom Altglascontrainer komme, treffe ich den alten Mann. Wir verstehen uns. Er wohnt hundert Meter die Straße runter. Da wohnen Leute, die mich in 35 Jahren noch nie gegrüßt haben. Einer hat mal gesessen. Die andern schrauben Autos. Mitten zwischen ihnen wohnt er alte Mann. Er ist mit dem einen oder anderen verwandt. Wenn wir uns sehen, sagen wir uns etwas über unseren Gesundheitszustand. Er ist mir fünfzehn bis zwanzig Jahre voraus. Manchmal hat er was mit den Händen. Mit dem Herzen hat er nichts. Bei ihm sind es meist die Gelenke. Zwei Frauen hat er überlebt. Augenblicklich hat er eine Freundin. Heute nuschelte er. Ich dachte, jetzt wird er alt. Vielleicht lag es aber auch an der Tagesform. Trotzdem kam er mir weniger vor.

Wir sind auf der Seite derjenigen, die weniger werden, auf der anderen sind die Nachrücker. Die Jungen, die aus der Stadt hergezogen sind, weil sie für ihre Kinder Restnatur wollen und hoffen, dass die Welt hier übersichtlicher ist. Ist sie aber nicht. Sie ist genauso kompliziert wie überall. Eigentlich ist sie völlig normal, wenn nicht soviel geredet und problematisiert würde. Wer Zugang zu den Eingeborenen will, muss in die Vereine. Da könnte er welche treffen. In den Vereinen klappt sogar, was sie immer Integration nennen. Ich bin aber in keinem Verein. Ich bin asozial. Ich schau mir das alles nur an.

15:30


Do 2.04.15 14:34

Unterm Strich bleibt nichts, als zu glauben. Alles andere wäre vermessen. Mithalten etwa, den intellektuellen Diskurs beleben, literarische Verweise streuen, zitieren, will ich nicht. Ich will keine fremden Stimmen im Haus. Unterm Strich zählt das Schwarze unter den Fingernägeln. Unterm Strich kann man die Welt sehen, wie sie ist, wenn man sie nicht mit Diskurs befrachtet. Da verorte ich mich. Überall sonst fühle ich mich unwohl. Deshalb wird es spannend in der Stadthausgalerie, wenn dort am 28. April aus den Literatouren durchs Münsterland gelesen wird. Da lesen auch welche, die ich nicht mag. Eigentlich mag ich nur mich, meistens nicht einmal das.


Fr 3.04.15
12:56

Gleiten über Land gestern. Geburtstagszusammenkunft hinter den Bergen. Außer mir, dem Ehemann und dem vierjährigen Sohn waren nur Frauen dort. Hätte mich in Frieden betrinken können, ließ es und fuhr heim. Im Traum gleißend blau und grün gewickelte, haushohe Männer, denen ich widersprach. Ich widersprach aus Prinzip. Jetzt couchsurfing mit Literatur. Niemand spricht. Von außen kam kurze Nachricht. Statt ja zu rufen und auf der Stelle loszufahren, verkneife ich mir jede Regung. Ich bin autonom, sage ich mir. Ich bin ein Held.

23:44

einrollen gleich, zwei drei seiten noch lesen,kuhle einliegen, schlafen und schlafen und schlafen.


Sa 4.04.15 13:08

einkaufen. einkaufen und dann? rumsitzen. rumsitzen und dann? lesen. lesen und rumsitzen?


So 5.04.15 13:24





österliche mittagsstille
müder leib, geringer wille,
heute eher keine regung,
möglichst nichts tun, kaum bewegung,
tropfenweise lethargie,
schönes treiben, c'est la vie...


19:29



geh schlafen, schlaf viel in nächster zeit, schlaf soviel es geht, und entscheide. geh. geh schlafen jetzt. geh!


Mo 6.04.15 14:21

aus:
Arnon Grünberg "Phantomschmerz"

"Du kommst also nicht nach Hause?"
"Ich weiß es nicht", sagte ich, "ich weiß es nicht."
Ich hasse dich, weil ich dich vermisse, wollte ich sagen. Und ich wusste nicht einmal, wen ich vermißte, vermißte ich die Märchenprinzessin, vermißte ich Rebecca, vermißte ich Evelyn? Ich wußte es nicht. Ich wußte nur, daß ich irgend etwas sehnsüchtig vermißte, entbehrte, daß mir irgendetwas fehlte. Das war meine Dauerbeschäftigung., Vermissen, und in dem Moment schien es mir, als könne ich dieser Sehnsucht nicht entkommen. Jetzt nicht, in der Vergangenheit nicht und in der Zukunft schon gar nicht. Sie würde nur immer mehr zunehmen bis sie wie ein Nebel um mich hängen würde, ein undurchdringlicher Nebel. Und wenn ich dann in diesem Nebel auf dem Weg zum Zigarrenhändler über die Straße ginge, würden die Kinder ihre Eltern fragen: "Da lief gerade eine Wolke vorbei. Was war das?" Und ihre Eltern würden sagen: "Oh, das ist Robert G. Mehlman, der Kochbuchautor."


Di 7.04.15 11:52

Gestern traf ich Goldbergs Frau. Sie saß neben einem Mann, der eine Hand auf ihrem Oberschenkel hatte. Die Frau sagte, sie und Goldberg führten nun eine offene Beziehung. Das geschieht Goldberg recht, hat er doch jahrelang herum erzählt, wie dumm seine Frau sei. Ihr Liebhaber ist ein mittelalter grauer Wolf. Ein eigenes Zimmer in der Wohnung mit Goldberg und ihrem gemeinsamen Kind hat sie jetzt auch. Das findet sie gut. Wie Goldberg das findet weiß ich nicht. Goldberg und ich sind seit Jahren zerstritten. Vor etwa vier Wochen trafen wir uns zufällig. Wir sprachen ein paar Sätze miteinander. Goldberg zeigte mir seine neue Digitalkamera.
Er ist ein großartiger Schwätzer. Jahrelang hat er alle mit Gras versorgt, jetzt muss er auf seine alten Tage arbeiten. Seine Rente wird ihn killen. Aber er ist ja mit dieser "dummen Frau" verheiratet. Diese dumme Frau ist nach wie vor strahlend schön. Mehr zu Goldberg finden Sie hier.


18:19

Er trägt gern rosa und violette Pullover, und immer sind sie auf der Brust bekleckert, weil er ja nicht so kann, wie andere, er sitzt ja von früh bis spät im Rollstuhl. Manchmal sinkt sein Kopf vornüber auf die Brust, er sabbert ein bisschen. Wenn ich ihm vorlese, schläft er mittendrin manchmal ein, oder es sieht nur so aus, ich weiß nicht. Ich lese ihm einmal die Woche vor. Im Januar hat das angefangen. Im Augenblick lese ich Karen Duve "Regenroman". Er sagt, dass er das gut findet. Er sagt auch, dass er ein schönes Leben habe. Letzte Mal hat er mich gefragt, ob ich im August mit ihm und seinen Freunden nach München fahren wolle. Ich kann mir das nicht leisten, war meine Antwort, er sagte, er würde das alles zahlen, ich müsse ihn nur abends ins Bett bringen. Ich bat um Bedenkzeit. Als ich ihm heute sagte, ich wolle nicht mitfahren, sagte er, das könne er verstehen.


Mi 8.04.15
9:24

Der Rentner hat es gut. Er hat Kaffee im Bett, er hat eine Zeitung, Internet hat er sich auch geholt, nun müsste er nicht einmal mehr aufstehen. Könnte liegen bleiben, bis heute abend zum Salsatanzen. Mehr benötigt ein Rentner nicht. Rentnerfrauen geht er augenblicklich aus dem Weg, denn es gilt, einen Entschluss zu fassen, der sehr groß ist und weises Abwägen erfordert. Der Rentner ist aber nicht weise. Er weiß nur soviel: im Augenblick (der Augenblick ist das einzige, was in diesem Universum zählt) fühlt er sich gut. Er genießt sich hin und wieder sogar. Er genießt, dass er nichts muss. Dass er keinerlei Verbindlichkeiten hat. Totale Rentneregomanie, könnte er das nennen, aber das tut er nicht, er ist ein bescheidener Rentner. Er führt ein Haushaltsbuch, da trägt er alle Frauen ein (ca. 43) und auch sonstige Kostenfaktoren. Manchmal denkt er allerdings, schön wäre es, wenn er's noch auf 50 brächte, aber dazu ist er zu alt. Sein Hormonspiegel ist schon reichlich angeknackt, ich meine, was will man erwarten von einem, der auf die siebzig zugeht.


Do 9.04.15 16:52

Heute erstmals in diesem Jahr die große Illusion. Die Sonne scheint, die jungen Frauen zeigen, was sie haben. Ich sitze auf dem Rad. Mal schmerzt das linke Knie, dann wieder nicht, aber tanzen, tanzen kann es schmerzlos. Hinter der Brücke über den Autobahnzubringer steht magentafarbener Klotz, ein albern überdimensionierter Möbeldiscounter. Der war letztes Mal noch nicht da. Auf dem Landfahrerplatz fast nebenan sind schon Landfahrer. Sinti? Roma? Nicht vergast damals? Nachfahren? Gehen ihre Kinder zur Schule? Wovon leben sie, was tun sie, wenn sie krank sind? Wieso fahren sie überhaupt jahrein jahraus über Land? Nur, um gefälschte Teppiche zu verkaufen? Weil das Freiheit ist, von allen verachtet, aber eben - frei? Am Ortsrand kommt mir eine weiß gekleidete Golfspielerin entgegen, spätes Mittelalter, überbräunt, zäh geworden vor Glück. Ihr Mann macht den ganzen Tag Wichtiges. Sie ist allein, nur ein Greenkeeper saust mit einem Trecker herum. Und dann sehe ich diese Bäche zusammenfließen und denke, haben die den Ort unter Wasser gesetzt, letztes Jahr? Bald bin ich im Garten. Ich mähe den Rasen, und setze mich in die Sonne. Schließlich fahre ich heim.


Fr 10.04.15

10:56

 

Sa 11.04.15

10:56

17:48

23:39


So 12.04.15

10:05

18:20

23:09


Mo 13.04.15

11:40

23:59


Di 14.04.15

10:38

11:37

Der Mann hat ein blaues Auge. Er ist gestürzt. Er hat den dümmsten Sturz hingelegt, den man sich denken kann, im Schnee hat er gestanden, auf dem Gipfel des Gotthard Passes, wo er doch vor vier Wochen noch unterm Äquator war, und jetzt hier. Unglaublich, hat er gedacht, hat auf den Schnee gestarrt, hat herumgealbert, ist ausgerutscht und Zack. Nur das Lachen von Bob ihm Ohr.

Vierundzwanzig Stunden später war er zuhause. Ostern war gerade vorbei. Wie siehst du denn aus? hatte sein Vater gefragt, als er da plötzlich vor der Tür stand. Na wie denn? hatte der Mann geantwortet, war ins Haus gegangen, als wäre er keine fünf Minuten fort gewesen, hatte seinen Rucksack in sein Zimmer gebracht, und sich gleich wieder verabschiedet.
Noch in der Tür, seine Mutter hatte gerufen, ob er nicht essen wolle, hatte er gesagt, nein, später vielleicht, ich muss in die Stadt. Und dann stand er vorm Club, öffnete die Tür und keine fünf Schritte später stand sie vor ihm stand. Ihm wird der Mund trocken, er bietet ihr eine Zigarette an, weil er nicht sprechen kann, er schluckt, und wundert sich, dass ihm diese Wärme nicht schon früher aufgefallen ist, schließlich kannte er sie schon Jahre.

Egal. Jeder Gedanke an gestern, morgen oder ein nicht im Augenblick stattfindendes Ereignis ist müßig, nichts Genaues weiß nicht einmal der liebe Gott, und den gibt es nicht, das wusste der Mann damals schon. Dass es ihn tatsächlich nicht gibt, dass alles Beten und Betteln, das sich Wegschleichen in still dämmernde Kirchen, in denen höchsten Putzfrauen bei der Arbeit waren, nicht geholfen hat, das wird der Mann später auch noch erfahren, und man darf seinen Arsch darauf wetten, dass er es lieber nicht erfahren hätte.
Aber er erfährt einiges, und wenn er sich vorstellt, so ein Leben könne nicht das einzige Leben gewesen sein, es gäbe welche danach und hätte welche davor gegeben, würde er auf der Stelle verrückt oder heilig, vielleicht sogar beides, und wer wüsste schon, welcher Zustand der angenehmere ist. Der Mann jedenfalls nicht, und so steht er da, sieht die schöne Frau, die schöne Frau sieht ihn, und jetzt ist das blaue Auge endlich eine Erklärung wert.

Er erzählt ihr die Geschichte vom Schnee und dem Gotthard- Pass, und dass er Sandalen trug, weil er keine anderen Schuhe mehr hatte, er erzählt, wie Bob ihn stieß und er Bob, und wie er rutschte und Zack, und sie lacht.
Das ist der Anfang einer Geschichte, die in diesem Club in jenem Jahr im vergangenen Jahrhundert, im letzten Jahrtausend begann und in diesem endet. Für ihn hätte es besser und schlimmer nicht kommen können.

Als hätte jemand ein Drehbuch geschrieben.
Als hätte jemand gesagt, wir machen es schön, wir machen es so schön und so leicht, dass den Menschen Tränen vor Glück und Rührung in die Augen steigen, und dann, wenn der Mann und die Frau wieder lachen, wenn sie zum Beispiel darüber lachen, wie sie im Altenheim landen, obwohl ihre Rente nicht einmal für eine Hundehütte reicht, wenn sie darüber lachen, wie sie abends ihre Kleider ausziehen und in kleinen Haufen vor die Tür ihres Zimmers legen, wenn sie sich vorstellen, wie das Pflegepersonal reagiert, das den Witz des Alltags vor Arbeit kaum noch erkennen kann, wenn sie darüber lachen, wenn sie brüllen vor Lachen, wenn ihre Liebe längst nicht mehr auf geschlechtliche Vereinigung angewiesen ist, sondern etwas erreicht hat, was andere Transzendenz nennen würden, andere, über die der Mann und die Frau ebenso lachen wie über sich selbst, dann schlagen wir zu. Hundsgemein schlagen wir zu, und dann Abspann und alle gehen nach Hause und weinen noch tagelang. Ja, so machen wir das, so ein Drehbuch wäre das, aber dies ist kein Drehbuch.

Dies ist das Leben und es gehört ihnen. Der Mann weiß es, die Frau weiß es, und das reicht, das trägt bis zum nächsten Mal, bis zum vorletzten Mal, schon geprägt von heraufziehendem Alter und Durchblutungsstörungen, doch auch dann wird es sein, wie es nie und nimmer bei anderen sein kann. Niemand wird das kennen lernen, aber sie, sie haben es gehabt, das ist genug für ein Leben, und darüber lachen sie. Danach das Schlagen des Gongs, der links überm Bett hängt, das Ausgelassensein, und dann dieser Schwindel, zwei Monate später.

20:06

Morgen in Teufels Küche.


Do 16.04.15 10:47

Abwesend. Nicht anwesend.


Fr 17.04.15

23:55


Sa 18.04.15 10:50

draußen
lacht, weint,
rackert und faulenzt das leben,
alles ist schön,
und zum erbarmen hässlich,
aber davon verstehe ich nichts.
ich weiß nur,
dass die japanische kirsche
in drei tagen blüht,
und dass etwas geschehen muss,
ich weiß nur nicht, was.
stattdessen zerschlage ich geschirr,
peitsche neue illusionen ins meer
und starre aufs glück.
es klingelt nicht. keiner kommt.
ich muss gehen, wenn ich etwas will,
aber ich will nichts.
ich muss lachen, wenn tränen fließen,
aber ich weine nicht.
ich muss ja sagen, wenn ich nein meine,
und nein, wenn ich springen will. ich springe.
ich fliege. niemand fliegt mit.


Mo 20.04.15 10:44

Sie ertrinken. Jeden Tag ertrinken sie auf dem Weg ins gelobte Europa. Wir machen die Politik verantwortlich. Aber wir sind die Politik. Wir sind der Souverän. Wir haben diese Politiker ins Amt gebracht, wir könnten Veränderungen erzwingen. Wir müssen uns Gehör verschaffen mit mächtigen Demonstrationen. Aber da sich unser Protest im Unterzeichnen von Online Petitionen (Ablasshandel) erschöpft, wird sich nichts ändern. Sie werden weiter ertrinken. Demokratie ist schwerfällig. Europäisch koordinierte Demokratie ist noch schwerfälliger. Und solange der Souverän pennt und auf sein Smartphone starrt, darf man nichts erwarten. Wir tragen die Schuld.


Mi 22.04.15 15:09

Anwesend, aber kein Interesse.
Es sei denn, Frauen träten auf,
die würde ich auf der Stelle heim schicken,
haut bloß ab mit eurem Tamtam, würde ich sagen,
kommt ein andermal wieder,
kommt ohne Erwartung,
vor allem: kommt ohne Plan,
dann lasse ich vielleicht mit mir reden.
Vielleicht, ganz vielleicht, ganz bestimmt,
es ist nämlich euer Ton, der mich stutzig macht,
und die Aussicht aufs Lebensende mit euch.
Ich kam allein, ich werde allein gehen.
Deshalb muss jetzt rausgekriegt werden,
wie Allein geht. Einfach ist das nicht.
Allein geht. Allein geht nicht.
So geht Allein hin und her.
Jeden Tag tausendmal.
Und. Fühlt man sich frei?
Nein. Man existiert nicht.


Do 23.04.15 14:41

Da saßen sie aufgereiht. Langer Klapptisch (Metal), weiße, möglicherweise papierene Tischdecke, drei Mikrofone, vier Schriftsteller,
ganz außen rechts ein Moderator, hageldürr, mittdreißig, Trommler bei den frühen HBlockx, dann Berlin, Studium, jetzt hier als Lektor und Moderator. Er fragt nach Werk und Intention. Werk ist klar. Intention? Hm??? Lächeln. Etwas aus dem Hut zaubern. Einer schabt mit den Füßen, beherrscht jedoch den Diskurs aus dem ff., denn er ist der Lit.Papst des Dorfes. Ich hatte ihn vorher gesprochen, hatte die Lit.Wissenschaft für einen Kropf erklärt und somit für überflüssig. Da wurde er unsicher. Seine Ohren flatterten, er machte Ausfallschritte, nahm es jedoch mit Humor. Er las als Letzter und hat mir von allen am Besten gefallen, wenngleich ich kein Wort verstand. Nächste Woche bin ich an der Reihe.


Fr 24.04.15 19:16

Man würde es tun. Man nähme ihn, höbe ihn übern Kopf und schlüge ihn mit Schwung wahlweise auf den Tisch, vor die Wand, gegen einen Schrank, oder würfe ihn auf den Boden. Spränge noch drauf und hüpfte rum wie verrückt. Vielleicht gäbe es elektrische Entladungen, Kurzschlüsse möglicherweise. Sicher aber gäbe es große Erleichterung darüber, dass eine Geißel der Menschheit endlich das Zeitliche gesegnet hat. Man machte vielleicht auch noch Pippi drauf und verließe mit hocherhobenem Kopf das Zimmer. Ab sofort herrschte das Zeitalter der Ruhe, des Unbehelligtseins vom Fortschritt, und falls tatsächlich doch einmal ein Wort geschrieben werden müsste, gäbe es Papier und Stift oder die Schreibmaschine.

19:41



Sa 25.04.15 11:50

Ich höre Mixtapes. Ihr Jüngeren werdet euch kaum erinnern. Ich habe drei Apfelsinenkisten voller Mixtapes und das entsprechende Abspielgerät. Nein. Es ist nicht digital, es ist analog. Ja, trotzdem klingen sie besser als MP3. Möglich, dass das Nostalgie ist, aber was bleibt denn: die Kirschblüte wird von kühlem Regen schwer, eh Trübsinn sich breit macht, höre ich lieber das Mahavishnu Orchester. Ja, ich weiß, auch das kennt ihr nicht, überhaupt nichts kennt ihr, ihr Schnösel, das höchste eurer Gefühl ist gestreamt und auf Hochdruck komprimiert. Es wird Zeit, dass ich mir Frühstück zubereite.

14:20

Herr M. hat wieder ein Fotobearbeitungsprogramm.


18:38

Eines mit Trick Siebzehn.





So 26.04.15 11:51

Herr M. ist in der Lage, eine Nacht durchzutanzen, ohne zu kollabieren. Das will etwas heißen. Als er die große blonde Frau beim Salsa Festival Münster aufforderte, die ihm direkt in die Augen sah, zuckte Herr M. nicht weg, sondern schaute zurück. Erstaunt allerdings, dass jemand einen so festen, freundlich klaren Blick hatte. Sie lächelte. Herr M. lächelte. Sie war einen halben Kopf größer als er. Mittvierzig. Ob sie aus Holland sei, fragte Herr M., und hätte seinen Arsch darauf verwettet, aber nein, sie sei G. aus Deutschland, sagte sie, von Hause aus Linie-Tänzerin, während Herr M. cubanisch tanzt. Es liegen Welten zwischen diesen Versionen des Salsa, aber das zu vertiefen, führte zu nichts, nur soviel sei gesagt, die einen mögen die anderen nicht, und umgekehrt.

G. aus Deutschland machte sich aber auch als Cubanerin gut, und war sogar in der Lage, die Manierismen (Ladystyle) der Linie-Tänzer zu karrikieren. Man werde sich später sicher noch wiedersehen, sagte Herr M., worauf G. aus D. nickte. Dann streifte Herr M. weiter durch die Säle. Vier Dancefloors. Eine kaum überschaubare Menschenmenge. Männer mit Strohhüten. Frauen, die in völliger Überschätzung ihres körperlichen Zustandes Bäuche zeigen. Überall dicke Luft. Schweiß floss in Strömen. Beim Bachata, ein Begattungstanz, der fast alle Tänzer albern aussehen lässt, herrschte die dickste Luft. Schwül fast. Das mag daran liegen, dass man sich manche dieser Paare direkt in ein Separé wünschte, sie wären dort besser aufgehoben. Gegen halb drei fuhr Herr M. heim. Er hat keinen Muskelkater, er bereut nichts, und wird den Tag lesend und schlummernd verbringen.

16:28

Langsam wird es Zeit, ans Essen zu denken. Jemand sollte kommen und es für Herrn M. zubereiten. Aber es kommt niemand. Das sind die Nachteile des Alleinseins. Es gibt aber auch Vorteile, zum Beispiel, dass niemand kommt, der Text will, Aufmerksamkeit oder noch Schlimmeres. Alles in allem kann man also konstatieren, dass sich Herr M. in einer zwar komplizierten, aber nicht hoffnungslosen Lage befindet. Man könnte sogar behaupten, es gehe ihm sehr gut. Wenn dennoch jemand kommen will, bitte, Herr M. würde sich freuen.


Mo 27.04.15 10:40

Heute entscheidet sich meine automobile Zukunft. Wenn der TÜV Reparaturen verlangt, die mich finanziell überfordern, werde ich meinen äußerst geschätzten alten Benz verkaufen- und den Rest meiner Tage an dieses Kaff gebunden verbringen müssen. Natürlich gibt es Busse und Züge, aber was ist das alles gegen die Option, zu jeder Tages- und Nachtzeit hierhin oder dorthin fahren zu können, auch, wenn man nie fährt. Ein harter Tag also für einen älteren Herrn. In einer Stunde weiß ich mehr.

12:03

Das Leben ist schön. Zwar habe ich den TÜV um eine Stunde verpasst, ich muss bei der Terminabsprache wohl etwas missverstanden haben, dafür aber habe ich in der kurzen Zeit, die ich wartete, eh ein Mitarbeiter mir Auskunft erteilen und einen neuen Termin für Montag der nächsten Woche geben konnte, mit einer Kundin geflirtet. Kurzzeitig schwebten rosarot Illusionen herum, spätestens, als ich erfuhr, dass sie einmal einen Freund gehab hatte, der auch Schlagzeug spielte, hätte ich das Heft in die Hand nehmen müssen, aber ich kenne die Folgen, ich ließ es und dachte nur, was man so alles erfährt in fünf Minuten auf dem Hof einer Autowerkstatt. Sie bestellte noch Scheibenwischer, sie nannte sogar ihren Namen, aber ich hab' ihn mir nicht gemerkt.


13:48

Der Sonntagstatort flimmerte über die Flachbildschirme. Amseln sangen Reviergesänge. Im Viertel im Südwesten, Mitte der Siebziger gebaut, war außer mir niemand unterwegs. Dort leben in Einfamilien- und wenigen Mehrfamilienhäusern vornehmlich Familien, deren Kinder längst ausgezogen sind. Alles ist picobello. Aufziehender Verfall wird sofort bekämpft. Es gibt immer etwas zu tun. Die Autos sind neu und lächerlich groß. Wer keines hat, oder eines, das alt ist, fällt aus dem Rahmen. Hausfrauen illuminieren ihren Küchen, um potentielle Diebe abzuschrecken. Auf Anrichten haben sie in Stilleben kreiert: Schalen mit Obst und Gemüse, das von oben beleuchtet wird. Manche stapeln Kaminholz vor der Tür, als wären sie in Bayern. Falls jemand Laut gibt, sind es Hunde, oder Frösche in Gartenteichen. Bald geht das Licht aus. Wer nach 23 Uhr noch auf den Beinen ist, gilt als asozial.


Mi 29.04.15 00:13

Vier saßen an einem Tisch, lasen und wussten, nur einer konnte gewinnen. Alle hatten im Vorfeld gesagt, das wäre die Rampensau S., aber das stimmt nicht. Ich war's. Hatte allerdings zwei, drei Hänger, kurz Paranoia, dachte, jetzt brechen wir hier ab und halten renitente Reden, denn eigentlich muss man das auf solchen Veranstaltungen, aber nein, stattdessen Probleme mit falschen Zähnen und Mundtrockenheit. Ich machte Zeichen für die Bedienung, ich hob mein Glas in der Hoffnung, sie würde verstehen und Rotwein bringen, aber sie brachte eine Flasche Wasser. Größte Aufregung vor Beginn der Lesung? Die blonde Frau, die den Saal betrat. Meine Freundin. Also doch. Ich heftete einen kurzen Kuss an Zeige- und Mittelfinger der linken Hand und winkte damit. Aber sie war es nicht. Nach der Lesung Gratulationen und Ähnliches. Alle duzten sich, Herr S. und Herr M. nicht. Interessanter Abend über Literatur, Eitelkeit, Hierarchien und den Kampf um die beste Pointe. Ich bin gut, aber ich unterscheide mich von den anderen. Sie sind klug, und reden auch so. Sie reden, um zu überzeugen. Ich nicht. Ich rede, weil ich überzeugt bin. Ich bin auch klug, das schon, aber ich habe weitaus wenige Bücher gelesen, ich schreibe ja selbst. Und dass Dortmund gewonnen hat, machte sie Sache noch runder.


10:22

Kurzzeitiger Größenwahn ist was Feines. Man hat alle im Sack, triumphiert auf ganzer Linie, dominiert, fegt hinweg, man möchte sich fast schämen, aber man schämt sich nicht, so groß ist der Nachhall der Lesung, dass man sogar noch schlecht schläft. Heute aber ist zum Glück alles wieder beim Alten, die Sonne scheint, gerade hatte sich eine Kohlmeise in mein Wohnzimmer verflogen, die japanische Kirsche wirft schon Blütenblätter ab, jetzt geht es auf Weihnachten zu und ich bin zuversichtlich.


Do 30.04.15 10:59

Langsames Vorbereiten auf das Treffen mit den alten Männern.The Real Fullmooners machen heute schon wieder Radau, wenngleich ich mich ein wenig müde fühle, neben mir, irgendwie, dabei muss ich immer am meisten arbeiten, so ein Schlagzeug hat viele Facetten. Egal. Zusammenpacken, einladen, hinfahren, ausladen, aufbauen, spielen.

Die Dorfpresse hat farb-, lustlos, feige und neutral über die Lesung berichtet, bloß nirgendwo anecken.
Dorfpresse halt.


13:46

Ob es ein Verhältnis zwischen meinem Zustand und dem Zustand der mir zuarbeitenden Technik gibt? - Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich meinen Bluetooth Lautsprecher nicht koppeln kann. Meine Drucker funktionieren auch nicht mehr. Angefangen hat es mit dem alten, seit gestern haben einen nagelneuen von meiner Schwester, der ist noch schlimmer, den kann ich zwar ein-, aber nicht ausschalten. Zum Ausschalten muss ich das Netzkabel ziehen. Leck mich am Arsch, Technik.