Immer an der Wand lang
Der Suhrkamp-Verlag nimmt Ted Honderichs Buch "Nach dem Terror" vom Markt
Arno Widmann

Die spinnen, die Suhrkamper. Einer der führenden Verlage der Bundesrepublik dreht völlig durch. Vor ein paar Wochen erschien in der Reihe "40 Jahre edition suhrkamp" das Buch "Nach dem Terror", ein Essay des aus Kanada stammenden, in den USA und in London lehrenden Moralphilosophen Ted Honderich. Gestern wurde das Buch aus dem Verkehr gezogen. Das liest sich dann so: "Der Suhrkamp Verlag wird Ted Honderichs Buch nicht wieder auflegen. Die erste Auflage ist vergriffen. Die Rechte werden zurückgegeben." Die Begründung für diese Entscheidung ist denkbar lapidar: "Ted Honderich hat die Ebene, auf der die Erörterung manifester und kontrovers diskutierter Konflikte möglich und notwendig ist, verlassen."
Darauf ist das Lektorat des Verlages nicht etwa bei der Lektüre des Buches gekommen, sondern bei der eines empörten Leserbriefes des Frankfurter Professors für "Theorie der Erziehung und Bildung" Micha Brumlik. Der hatte drei Stellen moniert und dem Werk attestiert, einen antisemitischen Antizionismus zu verbreiten.

Ted Honderich ist der Auffassung, dass die Gründung des Staates Israel durch Terrorismus zu Stande kam, dass der Bestand des Staates und die Erweiterung seines Territoriums Akte eines Staatsterrorismus sind, gegen den Palästinenser sich nicht nur wehren, sondern auch das Recht haben, sich zu wehren.

Man mag diese Ansicht nicht teilen, aber man muss sie diskutieren können. Wenn Ted Honderich mit seiner Auffassung "die Ebene, auf der die Erörterung manifester und kontrovers diskutierter Konflikte möglich und notwendig" ist, verlassen hat, dann darf man diese Konflikte nur auf Ebenen diskutieren, auf denen es sie nicht gibt. Wo immer über das Verhältnis Israel-Palästina diskutiert wird, geht es exakt um die von Honderich angesprochene Problematik. Man kann - so deuten die Suhrkamp-Verleger an - den israelisch-arabischen Konflikt gerne diskutieren, aber nur von einem zionistischen Standpunkt aus. Das ist erheiternd, denn das bedeutet, dass man ihn nicht zu diskutieren braucht, sondern schon geklärt hat, was zu tun ist.

Offenbar ist der neue Suhrkamp-Verlag fest entschlossen, in dieser Frage auf kontroverse Erörterungen zu verzichten. Das ist sein gutes Recht. Das gute Recht der Leser wird sein, sich nach Verlagen umzuschauen, die sie die verschiedenen Seiten sehen lassen, damit sie sich ein eigenes Urteil bilden können. Dass der Suhrkamp-Verlag sich dazu entschieden hat, auf die kontroverse Erörterung eines der zentralen Konflikte der Gegenwart zu verzichten, ist verrückt. Er ist kein Partei-Verlag und wird es nicht werden. Aber er ist völlig kopflos. Jedem Leserbriefschreiber ausgeliefert.

Man muss nur daran denken, wie die zentralen zionistischen Autoren des Suhrkamp-Verlages, wie zum Beispiel der von Brumlik ins Feld geführte Gerschom Scholem, den israelisch-palästinensischen Konflikt im Laufe ihres Lebens gesehen und kommentiert haben, um sich darüber klar zu werden, dass die neueste Entscheidung nicht nur die Gegenwart und die Zukunft der Auseinandersetzung betrifft, sondern auch die Vergangenheit. Man darf gespannt sein, wo die politischen Aufsätze und Diskussionsbeiträge des Zionisten Gerschom Scholem in Deutschland veröffentlicht werden.

Welchen Massstab will das Haus an seine Autoren in Zukunft legen? Müssen wir davon ausgehen, dass Eliade und Cioran an der gleichen Elle gemessen werden? Dann müsste man sie sehr schnell abstoßen. Die Vorstellung eines ideologisch reinen Verlages widerspricht dem, wozu ein Verlag wie der Suhrkamp-Verlag da ist. Er trägt zur Meinungsbildung bei. Das tut er, indem er möglichst intelligente, temperamentvolle Bücher veröffentlicht. Das wird einmal der Mythensänger Eliade und ein ander Mal wird es der kritische Mythenzerstörer sein. Nicht nur eine Gesellschaft, sondern auch ein Verlag wie der Suhrkamp-Verlag lebt vom audiatur et altera pars. Wenn die andere Seite kein Gehör mehr findet, werden wir dumm. Mit seiner Entscheidung macht sich der Suhrkamp-Verlag zum Komplizen der Verdummung des Lesers. Das wäre nicht das erste Mal. Es bleibt die Hoffnung, dass auch diesmal wieder das Steuer herumgeworfen werden wird. Aber von wem?

Die derzeitige Situation im Hause Suhrkamp gibt dazu wenig Hoffnung. So völlig ahnungslos die gestrige Entscheidung war, Ted Honderichs Buch aus dem Programm zu nehmen, so ahnungslos war auch schon die Entscheidung, es hereinzunehmen. Man kann das in der Frankfurter Rundschau vom Mittwoch nachlesen. Dort verteidigte Jürgen Habermas seine Empfehlung, Ted Honderichs "Nach dem Terror" im Suhrkamp-Verlag zu veröffentlichen. Wer das mehr als hilflose Einerseits-Andererseits des illustren Verfechters einer kritisch-aufgeklärten, diskurstheoretisch abgesicherten Argumentation liest, begreift sofort: Habermas hatte das Buch nicht gelesen. Er hatte es überflogen, war froh, dass es George W. Bushs Weltsicht widersprach und sein "Text das Gerechtigkeitspathos eines alten Sozialdemokraten" verriet. Das waren seine Kriterien. Das ist die Suhrkamp-Kultur 2003. Die spinnen, die Suhrkamper. (Berliner Zeitung)

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