Dezember 2017                       www.hermann-mensing.de      

    

mensing literatur
 

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Fr 1.12.17 15:44 leicht bewölkt, 3 Grad

ich bin
über land gefahren
und habe h. besucht
der so schöne dinge hat
ich habe geld geholt
das auf der bank lag
jetzt lege ich mich auf mein sofa
ziehe mir die decke über die nase
und beobachte
wie die dunkelheit näher kriecht
es ist warm
ich esse eine praline
höre das rauschen der welt
und beschließe den tag
in meinen vier wänden


Sa 2.12.17 16:49 bewölkt, um 0 Grad, Vollmond

Minder wert zu sein ist das Grundgefühl meiner Kinderheit bis heute, das mag mein Gezerre ums Wort erklären. Um den Auftritt, denn jedes Wort ist ein Auftritt. Die Auftritte mit Bands und das Vorlesen über all die Jahre mögen geholfen haben, diesen Minderwert in Schach zu halten, besiegt haben sie ihn nie. Wenn ich mich mehr als andere fühle, fürchte ich Hochmut. Ich hätte gern ein gesundes Wertgefühl. Ob Geld, Preise, Leser und Würdigungen dazu geführt hätte? Ich fürchte, nein, denn ich glaube an Schicksal. Woher das kommt und wer es regelt, weiß ich nicht. Mit Gott komme ich jedenfalls nicht weiter, Gott bin ich selbst. Vielleicht, wenn ich mir eine Feder an den Hut steckte?


So 3.12.17 15:38 bewölkt, feucht, 2 Grad

Liegen. Lesen. Essen.


17:45

Ich gehe meiner Lieblingsbeschäftigung nach. Ich liebe sie so sehr, dass ich ihr aus dem Weg gehe, wann immer möglich. Heute nicht. Heute lasse ich mich auf sie ein. Aber nicht zu lange, sonst wird es anstrengend, und Arbeit will ich nicht. Es ist Sonntag. Kaum jemand war freiwillig vor der Tür. Jeder hatte alles. Überall zischten Kaffeekannen und auf vielen Tischen standen Plätzchen. Die anderen woanders hatten auch heute wieder nichts. Ich aß Pralinen. Die Mutter meines tunesischen Ex-Mitbewohners, der jetzt schon zwei Monate fort ist und an den ich sehr gern denke, hat sie mir zum Dank geschickt. Ich sei ein guter Mensch, schreibt sie. Man werde mich niemals vergessen. Das bin ich gar nicht, denke ich. Die Pralinen sind in einer runden Dose und liegen in zwei Lagen übereinander, jede in weißen und braunen, an den hochstehenden Rändern gefalzten Förmchen. Marzipan meist, dazu kommen Pistazien und ein sehr süßes, mehrlagiges Gebäck, Halva. Mittig liegen Herzen und Kringel mit zuckrigem, pastellfarbenem Guß, der mit Rosenwasser parfürmiert ist.

Gestern abend war ich beim Konzert der Törner Stier Crew, die vor vollem Haus im Jovel ihr 40jähriges Bestehen feierten. Mit zwei Mitgliedern der Band mache ich hin- und wieder Musik, so kam es, dass ich mit meiner Leica auf der Bühne sein konnte. Das Streulicht dort macht es schwer, zu fotografieren. Von 180 Fotos waren zwanzig brauchbar, die übrigen habe ich gelöscht.

Die Scheinwerfer, die mit Menschen gefüllte Halle, das heizt sehr auf, es ist eng und laut. Früher konnte es mir gar nicht laut, gefüllt und heiß genug sein. Gestern war ich froh über die frische Luft hinter der Bühne. Nach dem Konzert ging ich Backstage. Dort saßen Freunde und Bekannte. Sie tranken. Ich überlegte, ob ich mittrinken wollte, aber es zog mich nach Hause. Es schneite leicht, als ich zum Bus ging. Im Bus mir gegenüber saß ein junges Paar, so harmlos und wohlerzogen, so dass sie mir fast Leid taten. Sie kamen mir bekannt vor, ich konnte aber nicht sagen, woher. Ob die beiden es auch jeden Tag machen, so wie wir, damals? A
uf der anderen Seite des Ganges sprachen zwei Frauen laut miteinander. Sie klangen finnisch. Als sie ausstiegen, fragte ich, und sie bestätigten es lächelnd. Danke, sagte ich.


Mo 4.12.17 12:02 bewölkt, Regen, 5 Grad

Bügeln.

19:32

Ich hatte mir übers Jahr Notizen gemacht, und so konnte ich meine Weihnachtseinkäufe in einer halben Stunde erledigen. Analogkäufe im örtlichen Einzelhandel, bis auf einen, den musste ich im Netz erledigen.
Bei WMF kaufte ich einer Verkäuferin Mitte Fünfzig, die ihren Po unter Missachtung aller physikalischen Gegebenheiten in eine schwarze, mit Strass verzierte Jeans zwängte, einen Einsatz zum Dampfkochen ab, diesen allerdings nicht im Kontext des jahreszeitlichen Bestrebens, Glück und Freude zu verbreiten, sondern weil mir das Dampfgaren empfohlen worden war.

Auf dem Heimweg besuchte das Feinkostgeschäft Aldi, kaufte Schnaps und Gemüse, bei OMEGA erstand ich eine grüne, auf Wunsch auch blinkende Armbinde für die Nachtfahrt. Die rote für den linken Arm besaß ich bereits.

Eine halbe Stunde später stellte ich beim Linksabbiegen vom Dingbängerweg in den Rohrbusch fest, dass ich mir die Vorfahrt trotz des rot blinkenden linken Armes erzwingen musste. Dumme Sau, fahr dich tot! dachte ich. Zuhause kochte ich mit dem neuen Dampfkocheinsatz. Jetzt höre ich Musik. Seit der Laser meines NAD justiert wurde, höre ich ununterbrochen Musik. Dieser reaktivierte CD Player klingt außergewöhnlich gut. Die CDs kommen mir vor, als hätte ich sie nie vorher gehört.


Di 5.12.17 11:56 bewölkt, 6 Grad

ja sage ich
ich sage ja und warum
ich sage warum und nein
und nicht ja
und ich sage ja doch
ja ja ja


14:38

Ich habe meine Leica fast immer dabei.
Vor lauter Fotografieren schreibe ich kaum noch.
Oft denke ich, das ist vorbei. Keiner druckt mich.
Ich bin hier, das sollte reichen.












Mi 6.12.17 14:39 bewölkt 8 Grad

schade um die angelsachsen
um den himmel über wales
um die ebenen und die achsen
kates und lisbeths zarten schmelz
schade auch dass diese insel
nur sehr bald im meer versinkt
weil der boris und der andere
so zum himmel stinkt
schade auch um all den whiskey
den ich nicht mehr trinken kann
das betreten wird jetzt risky
denn im frühjahr sind sie dran


Do 7.12.17 19:45 bewölkt, 8 Grad

heiter wird die welt vor allem
wenn die harten worte fall'n
und wie
hätte man sie nur nie nie
könnte man stattdessen stoßgebete sprechen
herzen heilen oder brechen
weiter werden und versprechen
dass der löwenzahn nicht beißt
der dompteur nicht mensing heißt
der sich auf die lauer legt
und nicht mehr bewegt.


Fr 8.12.17 17:53

Wir waren die ersten im Frühstücksraum. Er ist ganz unten, mit Blick auf die Terrasse und die dahinter beginnenden Dünen. Der Kaffee war gut. Regen schlug gegen die Scheiben. M. schmierte uns Brötchen zum Mitnehmen. Wir gingen nach oben. Ich spielte Klavier. Es gibt im Erdgeschoss einen kleinen Raum zum Hof. Man blickt auf den Pool. Zwei Sessel stehen darin und ein leicht verstimmtes, halliges Klavier. Danach wieder ins Bett. Noch ein wenig schlummern. Dann blitzt es und donnert. Kurze Zeit später beginnt es zu hageln. Eine dreiviertel Stunde später hört es auf und wir gehen, den Wind im Rücken, über den Strand nach Egmond, vier, fünf Kilometer vielleicht. Unterwegs immer mal wieder Hagel, aber nie sehr lang. Kaum aber auf der Strandpromenade in Egmond beginnt sehr ergiebiger Hagel. Wir flüchten in eine kleine, fast quadritische, rundum verglaste Pommesbude auf der Düne. Das Meer schäumt wild. Die Wolken geben sich alle Mühe, uns zu beeindrucken. Wir essen ein bisschen, wir trinken Wasser, wir fragen, ob es Busse nach Bergen aan Zee gibt. Es gibt sie. Immer um Viertel nach. Man müsse aber winken, sonst führen die "Bastarde" einfach vorbei, sagt der Wirt, ein leutseliger Mann, der, fragt man ihn was, kaum wieder aufhört zu reden. Der Hagel hat unsere Wollmäntel feucht gemacht. Im Bus ist es warm. Der Busfahrer ist freundlich. Wieder zuhause lade ich die Fotos unseres Spazierganges von der Kamera auf den Rechner. Dann gehe ich Klavierspielen.


So 10.12.17 19:54 zwei handbreit hoch Schnee

Letzte Nacht drehte der Wind und die Flugzeuge flogen Schipol wieder in unserer Nachbarschaft an. Große, grün und rot blinkende Schatten unter den Wolken, die am Leitstrahl langsam herabsanken. Heute früh fuhren wir die Küste entlang bis nach Zandvoort, das in all den Jahren noch hässlicher geworden ist, als es damals schon war. Ohne auszusteigen durchquerten wir den Ort und machten uns auf den Heimweg. Der Schneefall nahm zu. Bis Deventer hätte man darüber hinwegsehen und sagen können, gut, ein bisschen schneien kann es ruhig, schließlich geht es auf Weihnachten zu und überall in den Raststätten spielen sie Weihnachtslieder. Danach aber wurde das Schneetreiben dichter, und ab Hengelo fuhren wir kaum noch schneller als fünfzig, sechzig. Bei solchen Wetterlagen gibt es außer mir keine tauglichen Fahrer, aber da ich die erste Hälfte der Strecke gefahren war, blieb nichts, als mich am Sitz festzukrallen und nicht hinzuschauen. Unser Mietwagen war ein Ford Focus. Er hatte viele Knöpfe, die sich uns nicht zur Gänze erklärten, und als ich ihn vorhin beim Vermieter abstellte, leuchtete vorn und hinten links je ein Licht, obwohl ich alle Lichter ausgestellt hatte. Ich nehme an, sie gehen nach einer gewissen Zeit von selbst aus. Seltsam fand ich, dass das Auto gar keinen Schlüssel mehr hat. Es gibt natürlich einen Funkschlüssel, der das Auto öffnet, aber zum Starten benötigt man ihn nicht, sondern drückt einfach auf Start. Vor Abfahrt wies man uns darauf hin, den Funkschlüssel nie im Wagen zu lassen, da dieser sich nach zwei Minuten selbst schlösse, und dann hätte man den Salat. Moderne Technik kann so beschissen sein. Andererseits fuhr das Auto flott dahin und verbrauchte nicht allzuviel Benzin. Jetzt, hier, zuhause, spricht alle Welt vom Schneechaos, dabei sind es doch kaum mehr als zwei handbreit.



Mo 11.12.17 11:00 bewölkt 3 Grad

fass mich an, wo ich will







18:19

Die Fliege war von Anfang an da. Ob es sich um eine handelte, oder ob zwei im Raum waren, die sich abgesprochen hatten, uns anzufliegen, um Hautsekrete zu speisen, weiß ich nicht, sie oder die war jedenfalls da, und trotz der Jahreszeit ausgesprochen reaktionsschnell, so dass alle Versuche, sie vom Leben in den Tod zu bringen, fehlschlugen. Erst am Morgen unserer Abreise gelang es Frau E. sie im Bad unter zuhilfenahme einer straff gefalzten Zeit mit einem gewaltigen Schlag zu töten. Wenig später verließen wir das Hotel in guter Stimmung.


19:56

das rehlein steht in tiefem schnee,
vor sich den wald am stillen see
von oben massenweise weisses
wie gut denkt es, dass das nicht heiss is.

20:01

wegen der tief hängenden wolken konnte man kaum aufrecht gehen





wenn alle stricke reißen, will ich meier heißen.




22:00

Das mit dem Urknall hatte ich mir vorstellen können, aber nie, wo denn das Ding, das urgeknallt hat, sich befand, als es urknallte, denn irgendwo muss es sich ja befunden haben, sonst hätte es nicht knallen können. Jetzt sagen sie, den Urknall hätte es nie gegeben und das Universum wäre schon immer da gewesen. Gut, denke ich gekränkt. Wo denn?


Di 12.12.17 10:28 bewölkt, Schneeregen, 2 Grad

Ich höre auf, Kalorien zu zählen und werde mal sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Bleibe ich bei 90, specke ich auf 85 ab, oder gelingt mir das historische Tief, das ich ein Jahr nach Geburt meines ersten Sohnes erreichte - 78 Kilo? Wenn ich dem Bodymassindex glaubte, wäre das mein Idealgewicht. Ideales Wetter, ideales Gewicht, ideale Jahreszeit, ideale Menschen, alles gut, ideal, eimerweise Idealismus über mein Haupt, denn das schönste Fest des Jahres naht mit Riesenschritten, ein Fest, das den Bodensatz meiner Herkunft jedes Jahr neu aufkocht, und meinen Fluchtimpuls aktiviert, fort, bloß fort von dieser scheinheiligen Welt, aber, da selbst Scheinheiliger im 69 Jahr, wohin denn? Ahhh, ich weiß, erst mal Frühstück mit Eiern und Schinken.

15:21

Jetzt will ich Kaffee, eh gleich wieder die Dunkelheit über Land bricht. 9 Tage bleiben ihr, eh die Tage wieder länger werden. Ich schlage drei Kreuze.


21:54

Es gibt Restaurants, es gibt Gäste, aber Einheimische findet man selten. Wer nach B. fährt, weiß um die Tristesse, die ihn erwartet. In Nordholland vergnügt man sich nicht. Selbst im Sommer ist es nicht so, wie es im Mai auf Borkum war, wo auf der Promenade abends eine Band spielte. Die Promenade hier liegt ausgestorben unter Bogenlampen, der Sand verweht auf den Bürgersteigen, viele der Dünenhäuser sind unbewohnt, weil ihre Besitzer woanders leben.
Ich kenne das Dorf seit fünfzig Jahren. Wir schliefen in den Dünen damals und badeten nackt. Warum ich immer wieder hinfahre, weiß ich nicht, aber ich behaupte, dass ich gern dort bin. Vielleicht ist meine Zeit jetzt abgelaufen. Vielleicht war ich einmal zu oft dort, und sehne mich nach etwas anderem. Vielleicht spielen meine Erinnerungen verrückt und lassen mir keine andere Wahl. Es ist mein achtes Jahr ohne sie, es ist nach wie vor schwer, aber ich habe jemanden an meiner Seite.




Der Abendstrand.





Mi 13.12.17 13:45 bewölkt, Schneeregen, 3 Grad

Hinaus schauen, frösteln, nichts müssen, eine Decke nehmen, es sich auf dem Sofa bequem machen, und beginnen, "Caravan", einen Ellington Song, zu notieren. Da ich Noten weder lesen noch schreiben kann, notiere ich mir die Melodie zunächst in Buchstaben. Gleich aber will ich es in Notenschrift versuchen. Ich habe mir schon vor Wochen Notenhefte gekauft. Es ist nämlich so, dass mir oft Melodien einfallen. Meist flöte oder singe ich sie. Dann setze ich mich ans Klavier und versuche, sie nachzuspielen. Danach kommt der schwierigste Teil: wie finde ich die dazu passenden Akkorde? Also, soll es doch regnen, soll es schneien, ich gehe keinen Schritt vor die Tür heute, ich habe zu tun. Mich freuen. Schreiben werde ich nicht. Ich habe schon viel zuviel geschrieben.


17:58

Draußen die Welt und ihr Wetter, drinnen Soul Coughing, eine Band, die ich schätze. Solange Welt und Wetter nicht über die Balkonbrüstung steigen und meine Tür aufbrechen, ist alles gut. Ich funktioniere. Ich mache niemandem etwas vor, nicht einmal mir. Kaum aber bin ich draußen, geht das Spiel los. Dort werde ich als jemand wahrgenommen, dessen Namen einige kennen, einer, der gern kippaähnliche Mützchen in blau oder grün trägt, Seemannsmützen und Skimützen, alle möglichen Mützen, Hüte muss er mindestens vier haben und dann diese Mäntel, beste Ware in schwarz und kamel, aber natürlich spiele ich das. Es ist inszeniert. Hier drin hat meine Kleidung eine Bedeutung, von der die da draußen nicht das Geringste ahnen, von mir ganz zu schweigen, das versteht sich von selbst. Der Friede, der sich offenbahrt, wenn man den Kontakt zur Welt vorübergehend unterbricht, ist atemberaubend schön und beängstigend.

Do 14.12.17 11:07 bewölkt, 2 Grad

Zehn Tage noch, dann findet die größte Inszenierung des Jahres statt. Wenn sie vorüber ist, schlägt die Republik Kreuze und bereitet sich mit Vorsätzen auf das neue Jahr und das Silverstertrinken vor. Danach bricht alles wieder zusammen, in den Köpfen sieht es aus, wie auf den Straßen, ausgebrannte Raketen und Böller, leere Flaschen, Müll. Ab sofort wartet man auf den Frühling. Mit den Vorsätzen war das so eine Sache, man findet bestimmt eine Ausrede. Ich plädiere für die Welt, die, schaut man nur genau hin, überall zutage tritt und schön ist. Ich plädiere für die Menschen und ihre Güte. Man muss sie nur lassen, die Menschen. Sie sind gut, selbst, wenn sie sich benehmen wie Henker. Meist hat das mit Politik zu tun, mit dem Streben nach Deutungshoheit und Macht. Gier. Reichtum. Religion. Man schlage die Bibel auf. Da findet man. Wer glauben kann, ist gut dran. Wer nicht, hat so seine Probleme. Amen.


Fr 15.12.17 12:41 bewölkt 3 Grad

Meine Wohnzimmerfenster weisen nach Westen. Dort ist es lichter als gestern, mit ein wenig Glück kommt gleicnh die Sonne. Die unvermeidlichen Planungen für die Inszenierung nehmen Fahrt auf. Ein Stadtteilauto ist gebucht, um alles, was von A nach B transportiert werden muss, zu transportieren. Listen sind geschrieben. Ich weiß, was zu tun ist. Ein Extratisch ist ausgeliehen, damit alle Platz finden. Absprachen sind getroffen, wer was mitbringt. Langsam beginnt es mir Spaß zu machen.

Sa 16.12.17 10:41 sonnig 2 Grad

Friesenliesel hieß das Reisebüro. Dort hatte ich gebucht. Ich war mit zwei anderen unterwegs. Einer hatte versprochen, wir könnten in Rochester bei ihm wohnen. Rochester war auf halbem Weg nach New York. Wir reisten mit dem Flugzeug und mit dem Bus, ohne sagen zu können, das ist ein Flugzeug, das ist ein Bus. Großartige Landschaften waren unter oder neben uns. Oft waren wir selbst Teil dieser Landschaft. Zweimal sah ich zehn, zwölfjährige Mädchen in blauen Arbeitsoveralls mit dickem, mehr als schulterlangem, blonden Haar in verschmutzten blauen Overalls an einsamen Straßen, verschlammte, vernachlässigte Wege eher, und ich dachte, was für ein merkwürdiges Land. An einem Stauwerk im Nirgendwo war ein großes, klassizistisches Gebäude mit Säuleneingang, eine Universität, da waren viele Menschen, aber die sollten uns nicht sehen. Wir schliefen draußen. Wir mussten uns tarnen. Da war auch ein leeres Flussbett mit Mangroven, dass sich plötzlich mit Wasser füllte. Ich weiß nicht, wer die anderen waren. Dann erwachte ich.


So 17.12.17 15:41 bewölkt, 3 Grad?

Ich habe Text redigiert. Jetzt lege ich mich aufs Sofa und schlummere. Dann wird Essen zubereitet.


21:25

Alles wurde getan, dann wurde ein Film geschaut. The Artist is present. Ein Film über Martina Abramovic. Jetzt bin ich beeindruckt.


22:21

Man hätte ein Herz, man schriebe es auf ein Transparent, hängte es über die Stadt und alle könnten es lesen. Habe Herz. Tu es. Will es. Ein riesiges Transparent. Während alles hinaufstarrten, säße man unten und rieb sich die Hände. Man hätte endlich etwas getan, das zu nichts nutze wäre, aber ein frohes inneres Kribbeln verursacht, das hätte man schließlich getan, und das wäre doch etwas. Endlich wäre da etwas, das man für sich und nicht für Geld getan hätte. Und während die Schlagzeilen von Tag zu Tag herumpolterten und so täten, als würde irgendetwas Sinn machen, hinge das Transparent Tag und Nacht und jeder könnte es lesen. Habe Herz. Tu es. Will es.


Mo 18.12.17 10:52 bewölkt, es liegt ein wenig Schnee, 1 Grad

Schnee, Glätte, das sind beste Voraussetzungen für einen Rentner. Kaum aus der Tür hat er sich auch schon den Oberschenkelhals gebrochen. Entsetzt darüber und sicher, dass dieser Bruch seinen letzten Lebensabschnitt einläutet, verweigert er alle Rehamaßnahmen, obwohl die behandelnden Ärzte gar keinen Grund sehen, warum er nicht wieder auf die Beine kommen sollte. Aber er sieht die Welt nur noch schwarz weiß, der Tod ist am Ende ein Freund und den will er jetzt treffen. Er hat eh nichts mehr zu erwarten. Die Rentenkassen zahlen neuerdings Prämien für jeden, der frühzeitig stirbt, und da er nichts zu vererben hat, kann er seinen Nachkommen zumindest diese Prämie zukommen lassen. Dass er aber noch fast ein Jahrzehnt liegen wird, eh er Freund Hein tatsächlich trifft, hätte er nie gedacht. So kann man sich irren.

23:13

Ich hatte hinaus geschaut und entschieden, nicht mit dem Rad zum Vorlesen zu fahren. Ich hatte aber auch keine Lust, mich in den Bus zu setzen, also beschloss ich, in die Stadt zu laufen. Zehn Kilometer, ich habe Zeit. Zudem gefiel mir das Licht, ein Halbdunkel, ein diesiger Aggregatzustand von Wasser. Ich steckte meine Leica ein und machte mich auf dem Weg. Kurz vor der Autobahnbrücke, kaum einen Kilometer entfernt, hielt ein großer, schwarzblauer BMW neben mir, die Scheibe an der Fahrerseite surrte herab, ein molliger, türkisch- oder arabischstämmiger Mann schaute heraus und fragte, ob er mich vielleicht irgendwohin mitnehmen könne. Ich sagte, das wäre sehr lieb, aber ich machte einen Spaziergang. Wir verabschiedeten uns voneinander. Von den Fotos, die unterwegs machte, habe ich fast alle wieder gelöscht.





Di 19.12.17 11:07 diesig, 4 Grad


20:59

Ich fragte heute einen mit einer Maschinenpistole bewaffneten Polizisten auf dem Prinzipalmarkt, ob so eine Waffe den Menschen verändere? Nein, sagte er. - Fühlt man sich nicht mächtig? - Nein. Außerdem werden wir geschult. Wir wissen, dass das eine Kriegswaffe ist, die in der Zivilgesellschaft eigentlich nichts zu tun hat. Wir tragen sie zur Prävention. Und hoffen, dass wir sie nicht anwenden müssen. Und dann hat er sie mir erklärt. Hat gesagt, dass der Gurt, an dem sie hängt, ein flexibler Gurt sei, dass er nicht mehr über Kimme und Korn zielen müsse, sondern dass da diese Optik sei. Er zeigt sie mir. Wenn er da durchschaue, sehe er einen roten Punkt. Das sei die Einschlagstelle. Man übe einmal pro Jahr das Schießen. Ich bedanke mich. Wir wünschen uns friedvolle Weihnachten.

21:45

ich bin ein glücklicher mann
sagte der man
der sein haus auf dem rücken trug
und bat mich herein
eine küche eine schlafstelle ein klo
am glücklichsten und unglücklichsten bin ich
wenn ich einsam bin und zu zweit
können sie das erklären
ich verneinte
kaffee??
ich nickte



23:12

Ich stand auf einer Slackline. Die Slackline lag auf dem Wasser wie ein Brett und glitt schnell darüber, so dass links und rechts Wasser wegspritzte. Außer mir waren standen zwei andere Männer auf der Line. Einer vorn, einer hinten. Ob ich mitdürfe, hatte ich zu Anfang gefragt, aber wo ich da war, im Wasser oder sonstwo, weiß ich nicht, jedenfalls hatten die zwei ja gesagt, ja, natürlich, sie führen nach Ouahu. Hawai. Honolulu. Das kannte ich. Die Slackline beschleunigte. Häuser tauchten auf. Eines hatte eine über und über mit schräg nach oben weisenden Revolvern, Gewehren und Schnellfeuergewehren verzierte Hausfront, wie Jagdtrophäen. In einem Zimmer gingen Frauen herum, die silberne Locken trugen, Frisuren wie mein Einsatz zum Dampfkochen. Ich erwachte. Ich wollte nicht aufstehen und den Traum aufschreiben. Heute morgen hatte ich ihn vergessen. Vorhin fiel er mir wieder ein.


Mi 20.12.17
10:37 diesig, 6 Grad

Hurghada, vierzehn Tage, 380 Euro all inclusive. Dieses Angebot, gestern gesehen, mag die Verzweiflung beleuchten, die in einem Land herrscht, das ökonomisch am Boden liegt, politisch zerrissen ist von den Machenschaften der Herrschenden, ihren Heimlichtuereien mit den Muslimbrüdern und der Angst, von den Touristen ein für alle Male vergessen zu werden. Gut, die Russen kommen nach wie vor. Seit sie dem Staatskapitalismus für die herrschenden Hundert huldigen, fällt auch für den Hundertundersten mal so eine Reise ab. Aber die anderen? Die Proletarier aller Länder, die Sonne wollen, nichts als Sonne und ein Buffet, das von hier bis nach Timbuktu reicht? Die haben Schiss vor Muslimen. Ich nicht. Aber ich bleibe trotzdem lieber im diesigen Westfalen. Zumal hier Hoffnung ins Haus steht. Ab morgen nämlich geht die Sonne früher auf und später unter, jeden Tag legt sie ein paar Minuten zu, so dass die Seele bald wieder Raum zum fliegen findet.


Do 21.12.17 20:54


Was man alles vorbereitet. Wie sie sich ins Zeug wirft und backt und tut, alles für mich. Wie gut sich anfühlt. Trotzdem ist es, als müsse ich auf der Stelle davonrennen, um bloß nicht anwesend zu sein bei diesem Fest, bei dem für alle Zeiten der Vater die Mutter beleidigt, seine Kinder und die Welt, wahrscheinlich, weil man auch ihn beleidigte, als er noch wortlos war, und nachher, im Krieg, und so ist diese Zeit, über die ich mich freue, weil die Tage länger werden und mit ihr die Hoffnung, die andere Jesus nennen, wächst, die schwerste des Jahres, und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll.


Fr 22.12.17
11:032 bewölkt, 7 Grad

Entschuldigen Sie, darf ich Sie etwas fragen?
Natürlich, worum geht's?
Um Text.
Text?
Ja. Ich hätte Text.
Brauche ich nicht.
Qualitätstext. Grob geschätzt 20.000 Seiten.
Verschonen Sie mich.
Aber - es ist alles dabei. Fiktion. Autobiographie. Gedichte. Lieder. Alles.
Eben. Ich habe Telekom Entertain. Ich brauch' kein' Text.
Darf ich Ihnen meine Telefonnummer geben, falls doch?
Nee, nee, lassen Sie mal, junger Mann. Wiedersehn.
Wiedersehn.


Sa 23.12.17
21:02

Schon seit Jahren ist es mir nicht mehr gelungen, weiße Zahnpasta zu kaufen. Immer ist sie blau, rot mit weißen Streifen, blau mit weißen Streifen, manchmal ist sie ein durchsichtiges, blaugraues Gel. Meist stand Superweiß drauf. Heute (wieder blau mit zarten weißen Streifen) steht DailyRepair darauf, was natürlich nett gemeint ist, aber mit täglicher Reparatur ist bei mir schon seit fünfzehn Jahren nichts mehr zu machen, denn seit mein letzter, ständig entzündeter Backenzahn morgens im Brötchen steckenblieb, trage ich eine selbst von einer bildschönen, israelischen Zahnmedizinerin nicht erkannte Prothese. Das Problem mit der weißen Zahnpasta aber wird immer drängender.


So 24.12.17
10:04

Eine Weihnachtsgeschichte.

Herr M., den manche von Ihnen zu kennen glauben, hatte für den Transfer seiner Freundin und verschiedenster Töpfe, Pfannen, vorbereiteter Speisen etc. von Sa.23.12. ab 22:00 bis heute 11:00 einen PKW gemietet. Damit er es heute früh möglichst bequem hat, beschloss er gestern abend, das Auto vom Stellplatz (keine fünfhundert Meter entfernt) vor's Haus zu fahren.

Das Öffnen mithilfe seiner Mitgliedskarte war problemlos. In der Windschutzscheibe ist eine Art Terminal, man hält die Karte davor, der PKW öffnet sich. Jetzt aber wird es interessant. Im Handschuhfach des PKW ist ein Bordcomputer von der Größe eines Smartphones. Unten befindet sich ein Schlitz, und in diesen Schlitz schiebt man einen runden Chip. Der Bordcomputer meldet sich und fragt die persönliche Geheimzahl ab.

Die hatte ich nicht dabei, vielleicht hatte ich bei der einführenden Instruktion nicht aufgepasst, das beiliegende Büchlein nicht studiert, jedenfalls stieg ich aus, hielt meine Mitgliedskarte wieder an das Terminal in der Windschutzscheibe, der Wagen schloss, ich lief heim, holte den Zettel mit meiner PIN und versuchte erneut, das Auto zu starten.

Chipkarte einführen, sagte eine Leuchtschrift überm Lenkrad, da, wo früher der analoge Kilometerzähler war. Gut, dachte ich, aber wo? Ich versuchte alle möglichen Öffnungen, aber nichts geschah. Ich rief die Hotline an, und erklärte, was ich bisher getan hatte. Dann ist ihre Buchung erloschen, sagte der freundliche Mitarbeiter, aber keine Sorge, ich sende die Daten erneut an den PKW. Gut, sagte ich. Dann danke ich Ihnen und versuche es morgen früh noch einmal.

Heute früh gegen halb acht saß ich im Wagen, und konnte wieder nicht starten. Nochmaliger Anruf bei der Hotline. Man verbindet mich mit einem Techniker. Das alles funktioniert wunderbar schnell. Der Techniker aber weiß auch nicht, wo der Schlitz für die Chipkarte ist, ohne deren Einführen der Wagen nicht anspringt. Er muss sich erkundigen und ruft drei Minuten später zurück. Da und da, sagt er, und ich sage, ja, aber da habe ich den Chip doch schon eingeführt und nichts ist passiert. Versuchen Sie es nochmal, sagt er, nachdem er den Wagen neu programmiert hat.

Plötzlich dämmert es mir. Die Chipkarte ist nicht das kleine runde Ding, das man in den Schlitz des Bordcomputers einführt, sondern die daran hängende kleine rechteckige Plastikkarte, auf der Knöpfe zum Öffnen und Schließen des Fahrzeuges sind. Die schiebe ich nun in den Schlitz, der sich, das hat der Techniker herausgefunden, gleich rechts neben dem Start/Stop Knopf befindet. Der Wagen startet. Ich bedanke mich. Natürlich verheimliche ich, dass ich meine Misere selbst verursacht habe. Ältere Menschen sollten keine Autos mehr mieten und sich auf Rollatoren beschränken. Frohe Weihnachten.


Di 26.12.17 15:10 bisschen Sonne dann und wann, 6 Grad

Alle sind weg- Die Wohnung ist wieder weit und ich kann tun, was ich will. Es war schön mit den Gästen, es war ein fröhliches Fest, das Essen haben M. und ich punktgenau hingekriegt, wundervoller Stress war das, wir hatten von allem zuviel, aber nichts war misslungen. Jetzt mache ich mich an den Reste des Dalwhinnie, der mich am heiligen Abend gegen halb zwei unmissverständlich aufforderte, ins Bett zu gehen. Ich gehorchte. Das Fest lief noch Stunden. Am Morgen war alles blitzblank, das habe ich meinem jüngsten Sohn zu verdanken, das macht er immer, und das finde ich super.


Do 28.12.17 10:43 sonnig, 1 Grad

Will ich will ich nicht will ich.
Die heilige Dreifaltigkeit aller gottlosen Menschen hat mich wieder befallen.

15:10

Still eben, im Übrigen aber ...




















Fr 29.12.17 00:59

ich weiß
aber ich will nicht
ich könnte
aber wozu
ich hätte gern
aber der preis ist zu hoch
ach sagt einer
der große dichter
1.82 antworte ich
das hat sich erledigt


10:57

sonne scheint
nehme beine in die hand
denke nicht über frauen nach
während ich nicht über frauen nachdenke
denke ich über frauen nach
wegrennen geht nicht
ich bleibe stehen
schon wollen sie was

22:40



sehr geehrte fette henne
dass ich nicht mehr mit dir penne
hat verschied'ne komplizierte
gründe die ich nie kapierte
dennoch darf ich dir versichern
mit dir pimpern war wie kichern


Sa 30.12.17 11:06 grau, regnerisch, kaum 8 Grad

Falls ein Jahresrückblick verlangt wird, bitte. Ahmed aus Tunis wohnte bis Ende Oktober bei mir. Ein vierter Enkel kam auf die Welt. Ich habe mit dem Rauchen aufgehört. Ich habe keinen Roman geschrieben und kein Gedicht vertont. Aber: ich habe die Augen aufgehalten und notiert, was mir wert war, notiert zu werden. Ich habe viel Tango getanzt. Ich habe vorübergehend in einer Big Band gespielt, aber wieder damit aufgehört, weil Termine kollidierten, und ich es jedesmal einige Komplikationen verursachte, ein Auto aufzutreiben, um zur Probe zu fahren. Schade. M. und ich sind dem Emsradwanderweg bis zur Mündung gefolgt und mit dem Schiff nach Bokrum übergesetzt. Ich habe den Personenbeförderungsschein erworben und bin seitdem Kutscher und Stadtführer in einem. Ich habe viel gelernt über die Stadt, was mir gefällt und es mir ermöglicht, sie mit anderen Augen zu sehen. Die Skulpturprojekte haben sie für drei Monate in eine urbane Metropole verzaubert. Ich als Kutscher durfte Menschen herumfahren und ihnen meine Ansichten zu dieser und jener Skulptur erläutern. Die meisten waren paradoxe Interventionen. Am Wintermeer war ich, und natürlich - ganz wichtig - ich habe ein halbes Jahr Kalorien gezählt, mit Erfolg, nur dass mein Po jetzt nicht mehr die Qualitäten hat, die er mal hatte, sagt M. Und dann geschah im Oktober etwas, was mein Leben verändert hat, ich habe eine Leica gekauft. Natürlich war ich vom Namen ein wenig geblendet, aber sie hat eine eine alte Leidenschaft wieder erweckt. Ich fotografiere. Und jetzt träume ich schon seit geraumer Zeit von einer digitalen Spiegelreflexkamera. Ich hätte verschiedenste Objektive und könnte mich meinen Motiven unbemerkt nähern. Um mir diesen Traum zu erfüllen, werde ich 2018 vermehrt auf den Kutschbock steigen und Euros beiseite legen. Ansonsten ist die Welt in erbarmungswürdigem Zustand und nicht mehr zu retten.


So 31.12.17 12:21 grau, milde 10 Grad

So. Die restlichen Stunden dieses Jahres sitze ich ab. Die Revolution hat nicht stattgefunden, aber man soll sich nicht täuschen, manchmal beginnen Veränderungen von einem Tag auf den anderen, und man kann sich nur noch die Augen reiben. Aber mit mir, dem älteren Herrn, mache ich keinen Staat mehr. Mit mir bleibe ich, wie ich bin und der Rest darf gern sehen, wie er bei sich bleibt, solange er mich nicht belästigt.



15:47

Der Wind singt in den Bäumen, schwarze Vögel akzentuieren, Wolken in Eile, sinnlos und schön. Wir lieben uns. Verzeihen Sie dem Alten und kommen Sie gut in's Neue, wünscht Ihr personal Jesus.