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Hermann Mensing

I' m so cool, I'm so cool, I'm so cool, yeaaaah.... (Ein Abend mit Bob Dylan)

Lieber Bob,
damals besaßen nur Arzt- und Architektensöhne deine Platten. Ich meine nicht weltweit, sondern in meiner kleinen Stadt an der Grenze. Die beiden gingen aufs Gymnasium, während ich mich in einer Spedition demütigen lassen musste.

Ich durfte den Arzt- und den Architektensohn aber besuchen, mein Tonbandgerät mitbringen und deine Platten aufnehmen. So kam es, dass ich schon 1965 deine Musik kannte. Visions of Johanna habe ich geliebt.

Trotzdem war ich mir nie sicher, ob ich deswegen auch dich lieben sollte.

Natürlich fanden alle, dass du dagegen wärst, ich war es ja auch, ich hätte dich also schon lieben können, aber da nur Gymnasiasten deine Platten besaßen, blieb ich misstrauisch.

So kam es, dass ich mir nie Platten von dir kaufte.

Das änderte sich erst 1997. Daniel Lanois produzierte Time out of mind. Not dark yet war mein Lieblingsstück, aber eigentlich stimmt das nicht, ich liebe die CD nämlich von vorn bis hinten und wieder nach vorn.

Seitdem habe ich mir alle CDs von dir gekauft. Ein Buch mit deinen Texten steht in meinem Regal, sodass ich jetzt, wenn ich Verständigungsschwierigkeiten habe, nachschauen kann. Ich begriff plötzlich, worum es dir in deinen Liedern ging. Dass der ganze Protestquatsch dich eigentlich nie interessiert hat. Dass du ein Geschichtenerzähler bist wie ich, und sonst nichts.

Sag mal, Bob, ist es nicht komisch, in Ländern auf der Bühne zu stehen, in denen nur ein geringer Prozentsatz deiner Hörer dich versteht?

Gestern warst du in Münster. Ich kann dir gleich sagen, was ich denke, was du bist: ein alter, großartiger Mann. Wie du über deiner weißen Schweineorgel hängst und hin und wieder mit der Schulter zuckst. Wie du nörgelst beim Singen und knurrst und brummst. Wie du breitbeinig stehst beim Gitarrespielen, als hättest du zu dicke Eier.

Dass du allerdings weder Guten Tag noch Auf Wiedersehn sagst, dass du dich nie bedankst und das Publikum nicht ein einziges Mal anschaust, ist komisch. Man könnte das verstockt nennen, aber ich habe ja den Scorcese Film gesehen, und da warst du ganz freundlich.

Trotzdem: auf der Bühne lässt du zwischen den Liedern sogar das Licht herunterfahren, wahrscheinlich, damit du nicht mit uns sprechen musst. Okay, Bob, vielleicht bist du schüchtern, ich kenn dich ja nicht, aber ich wusste, dass du dich so benimmtst, ich nehm's dir deshalb auch nicht übel, ich meine, die Leute jubeln ja trotzdem, aber was glaubst du, was los wäre, wenn du hin und wieder auch mal einen Satz sagtest.

Nicht auszudenken.
Ich nehme an, du willst das nicht, oder?
Okay, deine Sache.

Wusstest du, dass du Fans hast, die dir hinterherreisen wie einst die Deadheads hinter Grateful Dead? Wir haben ein paar von ihnen getroffen, gestern, nach dem Konzert. Amerikaner und Italiener und eine Deutsche. Die waren schon überall. Die nehmen Urlaub und kreuzen den Globus mit dir. Die fanden deinen gestrigen Auftritt durchschnittlich. Die sagten, eines deiner größten Konzerte hättest du 2000 in Münster gespielt.

Möglich, dass das stimmt, ich weiß es nicht, ich war ja nicht dabei, aber das, was ihr gestern gespielt habt, hat mir sehr gut gefallen. Diese Mischung aus 3-Viertel Taktern und Power-Shuffle, die zerhackten und neu zusammengesetzten Stücke aus der Frühzeit, Don't think twice, Like a rolling stone und All along the watchtower waren gewaltig.

Deine Band macht ungeheuren Druck, was mal wieder beweist, dass alte Männer nicht getötet gehören, wie manche sagen. Das Beste an deinem Konzert aber war, dass ihr Musik gemacht habt. Musik mit hohem Risiko. Sehr intime Musik.

Und wir, Muse M. und ich, durften dabei sein, danke.

Wir waren ganz in deiner Nähe, wir waren früh gekommen und hatten uns bis auf zwei Meter an den Bühnenrand herangearbeitet, wir haben stehen müssen die ganze Zeit, was, wie du weißt, in unserem Alter gar nicht mehr so leicht ist.

Das, was du gestern auf der Gitarre und deiner Schweineorgel gepfuscht hast, und was die Soundmixer gnädig ein wenig in der Hintergrund gemischt haben, darüber sprechen wir nicht, okay. Wir sprechen lieber darüber, dass mich deine Lieder gerührt, deine Musik erfasst, dein Auftritt beeindruckt hat.

Falls jemand eine coole Sau ist, du könntest eine sein.

In diesem Sinne, Bob, alles Gute, noch viele Konzerte, vielleicht sehen wir uns noch mal...

PS.

Bob, fast noch cooler als du ist dein Bassist, dieser rattenzahnige Tony Garnier, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, unter der Krempe seines mexikanischen Cowboyhuts (der bestimmt einen Namen hat, sowas wie Borsalino) ständig Augenkontakt sucht, sich mit dem Schlagzeuger blendend unterhält, und, wie ich später von den Dylan-Heads erfahre, der musical director der Band ist.

Und noch was, Bob. Du hast sicher gedacht, ich sähe das nicht, aber ich habe es gesehen. Donnie Herron (Steel Guitar, Geige und Mandoline) hatte dich bei Kicks zu Thunder on the mountain angelacht und du hast zurückgelacht.

Danach sahst du gleich wieder aus, als wärst du auf einer Beerdigung. Und als ihr nach der Zugabe in einer Reihe vorm Publikum standet, Männer meines Alters, hat nicht einer von euch eine Mine verzogen. Grandioses Theater, mein lieber Mann, so schlechter Laune muss man erst mal sein, oder so cool.

PPS.

Bob, ich hatte deinen Bühnenmixer nach dem Konzert gefragt, ob er mir nicht die Playlist überlassen könne, aber er sagte, das dürfe er nicht, das sei ihm not allowed. Not allowed, wie sich das anhört. Ich hoffe, du weißt das gar nicht. Oder steckst du etwa dahinter? Der Mixer ist ein großer Kerl, einer deiner bärenstarken Landsmänner, die ihr graues Haar zu einem langen Zopf gebunden haben und im Showgeschäft überleben.

Okay, danke, sagte ich, er zuckte bedauernd die Achseln, dann rief ihn jemand aus dem Publikum, auch ein Amerikaner, der Mixer kam nach vorn an die Absperrung, die beiden gab sich die Hand, etwas wechselte den Besitzer, ein piece, wie ich annehme, das piece verschwand in der Hosentasche des Mixers, fertig.

Die Leute verließen in Scharen die Halle. Wie standen noch vor der Bühne und schauten zu, mit welcher Windeseile die Bühne abgebaut wurde. Spezialisten mit Helmen turnten unter der Hallendecke. Ich war beeindruckt. Daher der Name Showgeschäft, dachte ich.

Hi Bob, ich bin's nochmal.

Du hättest mich am Tag danach sehen sollen. Da habe ich mich mit meinen noch vom Konzert müden Beinen ins Auto gesetzt und bin ein über Land gekreuzt, wie ihr das in Amiland tut. Muse M. und ich fuhren ins idyllische Tecklenburg, das in nicht zu ferner Zukunft ganz bestimmt unter den Schutz der UNESCO gestellt wird.

Reines Fachwerk, Gassen, Gässchen, so wie ihr euch eine deutsche Stadt vorstellt. Sehr hübsch. Saßen dort in der Sonne, aßen ein Eis, tranken Kaffee, beäugten die Wanderer, Mountain-Biker und Sonntagstouristen, quasi unsere Mitgreise, die wir natürlich verachteten, selbstredend, kreuzten dann westwärts, weil ich Muse M. diesen verwunschenen botanischen Garten in Dörenthe zeigen wollte, den ein Liebhaber vor über hundert Jahren angelegt hat, dann noch Bärlauch gepflückt in Häger, schließlich nach Hause und abends ins Kino.

Und was meinst du, Bob, was wir uns angeschaut haben?

Du glaubst es nicht. Ich wäre von selbst nie drauf gekommen, aber Muse M. wollte ihn sehen, und dann sagte sie, dass Zack Snyder doch auch Sin City gemacht hätte, und den fand ich schwerst beeindruckend. Okay, sagte ich, dann komme ich mit.

300.
Die Schlacht der Spartaner gegen Xerxes Horden.

Xerxes, eine mit goldenen Piercings und Schmuck von oben bis unten durchlöcherte und behängte, von seiner gottgleichen Macht pervertierte Schwuchtel. Mein lieber Herr Gesangsverein! Ich nehme an, alle Kriegsfilme sind Antikriegsfilme, jedenfalls habe ich das mal aus dem Munde eines amerikanischen Superstars gehört?

Clint Eastwood???- Ja.

Man haut sich ordentlich auf die Fresse. Blut spritzt gern im Wechsel von Freeze, Slow-Motion und Normalzeit durchs Bild. Der Film ist computer-animiert, die Landschaften sind virtuelle Landschaften, man hat nach dem Vorbild eines Comics gearbeitet, der visuelle Eindruck ist ein sehr vordergründiger, alles, was Hintergrund ist, wirkt tot.

Natürlich gab es beeindruckene Bilder, aber mein Ding war das nicht.

Überhaupt, dieses Ereigniskino. Schon die Vorschau war eine einzige Tortur.
Drei oder vier Filmtrailer flimmerten über die riesige Leinwand des Cineplex, etwa alle 30 Sekunden geigte und paukte sich das Orchester synchron mit irgendetwas auf der Leinwand Explodierendem zu einem ohrenbetäubenden Crescendo. So ging das eine Viertelstunde.

Und dann der Hauptfilm, ganz ähnlich. Von Lanzen durchbohrte Leiber, abgehackte Arme und Köpfe, unüberschaubare Menschenmassen, Monster, hymnische Musik, kitschig-pathetische Off-Kommentare, völlig überflüssig, denn meist sah ich ja, was gesagt wurde. Leichenberge, sephiafarben, jawoll ja, aber es hilft nichts, ich fand Krieg vorher schon Scheiße, deshalb wende ich mich lieber wieder Filmen zu, bei denen ich weinen kann, intelligente Gesellschaftskomödien mit Hugh Grant, du weißt schon, Bob, wir alten Männer sind eben auch nur Menschen.

It's not dark yet, but it's gettin' there....

bye bye.

 

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