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Hermann Mensing

Die Faxenmacher

Auf dem Abschlussfoto der Grundschule steht Johann hinten rechts und macht Faxen. Lange Nasen, große Ohren, so Sachen. In diesem Fall: aufgerissener Mund mit Zunge raus!
Neben ihm steht Marie. Sie lacht über Johanns Späße.
Marie ist Johanns Freundin, aber wenn sie zickt, und das tut sie oft, verwandelt sie sich blitzschnell in seine Feindin.
Marie ist strohblond.
Neben Johann wirkt sie noch tausendmal blonder.
"Du siehst lecker aus!" sagt sie, wenn er ihr Freund ist.
Erwischt er sie, wenn sie ihm spinnefeind ist, sagt sie: "Wasch dich mal!"
Johann hat das nie gekümmert. Höchstens, dass er mal: "Dann hast du dich aber zu oft gewaschen!" geantwortet hat. Davon aber mal abgesehen fand er sich jeden Tag gleich und nicht sehr besonders. Morgens, wenn er aufstand und in den Spiegel schaute, stand da der gleiche Johann wie Mittags oder Abends.
Was sollte ihm da auch schon auffallen?
Höchstens das: Johann am Morgen, verschlafen. Johann am Mittag: hungrig. Johann am Nachmittag: verschwitzt vom Rumtoben. Johann am Abend: reif für die Dusche.
Aber sonst: nichts.
Keine besonderen Merkmale.
Das Faxenmachen fiel nur den anderen auf. Ihm selbst eigentlich nie. Er hatte schon immer Faxen gemacht, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden.
Aber eines stimmt schon: es machte ihm Spaß, wenn die anderen lachten. Es war wie Applaus. Wie warmer Regen.
Er fühlte, dass er größer und stärker davon wurde.
Vielleicht würde das ja sogar einmal sein Beruf: Faxenmacher!
Erst später, viel später, als Johann wusste, wie die Welt eingeteilt war, wer was von wem hielt und warum, erst da wurde ihm klar, dass es überdurchschnittlich viele gab, die aussahen wie er und für andere Faxen machten. Für solche wie Marie zum Beispiel. Die einmal ganz freundlich, aber dann wieder unfreundlich war. Alle möglichen Faxenmacher seiner Art waren da unterwegs: Sänger, Sportler, Schauspieler, Rapper - was du willst.
Hauptsache: die anderen, die aussahen wie Marie, hatten Spaß daran.
Aber wie gesagt, als dieses Foto gemacht wurde, wusste er davon noch nichts. Da war er ein Junge der Johann hieß und manchmal auch Hannes, viel später erst Joe.
Johann N'dugu. Lindenweg 21. 48161 Münster.
Damit hatte es sich und keiner dachte sich etwas dabei.
Einzig bei einem Schulfest war schon einmal jemandem aufgefallen, dass in Johanns Familie die Uhren anders tickten als in den übrigen Familien, denn seine Mama hatte nicht nur keinen Kartoffelsalat mitgebracht, auch keine heißen Würstchen, nein, stattdessen brachte sie Hirsebrei, kleine Kuchen mit geraspelten Kokosflocken und gebackene Bananen, von denen die, die sich getraut hatten, sie zu probieren, gar nicht genug kriegen konnten.
Noch Tage später sprachen sie davon, und so kam es, dass Johann häufig Essbares mitbringen musste, wenn Feste waren, oder einfach so, Hauptsache Essbares, das niemand kannte, aber jeder ausprobieren wollte.
Nach einer Weile aber war das auch schon wieder normal, denn die Zeiten, in denen auf Festen nur Kartoffelsalat und heiße Würstchen gegessen wurden waren sowieso längst vorbei. Schließlich reisten die Menschen im Sommer mit Flugzeugen gern in ferne Länder und aßen dort Dinge, deren Namen sie sich nicht merken konnten.
So kam es, dass Johann älter wurde, ohne zu bemerken, dass die Welt manchmal komisch ist. Einen Freund hatte er in diesen ersten Jahren nicht. Vielleicht hat man auch noch gar keine Freunde, wenn man klein ist, wer weiß.
Johann spielte mit jedem und jeder spielte mit Johann und umgekehrt. Wenn Streit war, war Streit, wenn Friede war Friede. Fertig, basta, aus!
Nur einmal hatte jemand Bananenfresser gesagt, aber die Kinder sagten ständig fiese und gemeine Sachen, und so war es Johann fast gar nicht aufgefallen.

 

Den Rest der Geschichte findet ihr in: "Angst, Mut und echte Freunde" Storys -
Verlag Carl Ueberreuter, Wien, 2003
ISBN 3-8000-2086-6

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