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mensing literatur
 

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zum letzten eintrag

Die 1.02.11 00:48

Die Nacht wird mir immer lieber, jetzt, wo ich sie mir wieder leisten kann.


vorübergehend trägt das haustier eine krone
und hält die erderwärmung flach
der könig weiß von allem nicht die bohne
und hat zudem mit der geliebten krach

in manchen fällen erbt die motte
das reich und hebt die stimmung ganz enorm
vergeblich gräbt im wald die wildschweinrotte
nach einer unbekannten lebensform

in spiegeln bricht sich nutzlos ein gedanke
er hätte alltags keine chance
er brät ein ei und übertritt die schranke
auf einem bein und hält balance

das radio macht urlaub auf ibiza
ein hörer fliegt ihm hinterher
er schreibt der schwester einen brief nach nizza
auf einem teller liegt ein spargel quer

die löffel hätten durchaus was zu sagen
trotz spüli sind sie schwach und fühlen sich verkannt
das hottehühpferd liegt in schrägen lagen
es hat sich beim galopp verrannt

ein samstagmorgen ist um elfuhrdrei
nicht klüger als am tag zuvor
er freut sich, denn er hat heut frei
und tanzt entrückt vorm tor den tor

er hat kaffee intravenös
sich eingeflößt und nikotin verbraucht
er gönnt sich später generös
ein nacktes ding frisch ausgehaucht

so könnte alles gut ausgehen
und alles könnte kollabieren
es wäre gar nichts abzusehen
man müsste es probieren

schlußaus, schlußein, schlußendlich dann
eröffnet sich die nächste stunde
sie liefert dem genießer freihaus an
und schmeißt dem totengräber eine runde

17:08

noch fällt
mit jedem dritten tropfen schnee
noch tropft die nase
da trinkt jemand tee
da sitzt ein vogel unerkannt
und singt von einem anderen land

von einem land
das hier ist nur nicht jetzt
von einem tag
der nicht mit dunkelheit verätzt
von einem morgen
still auf dem balkon
von einem nachmittag im park
mit meinem sohn

von einem wort
das jetzt noch niemand nennt
und einem hauch den jeder kennt

21:21

Am schönsten ist es unter der Decke auf dem Sofa. Keine Musik, gedämpftes Licht, ein kleines Atemloch und denken. So geht das im Augenblick, und wenn ich mutiger wäre, würde ich mich eine lange Weile so langweilen und zu mir kommen, aber alles in kleinen Schritten. Ich habe keine Eile mehr. Immerhin heute früh erste Ansätze zum Frühjahrsputz. Die Möbel entstaubt, poliert, Staub gesaugt, heute nachmittag eine leckere Linsensuppe gekocht.

PS. Wenn ich liege, liegt die Katze auf meinem Bauch oder in meinen Kniekehlen.

23:39

Ich habe Ende November drei Jungen dabei erwischt, wie sie versuchten, sich mit einem Senkblei (an einem Band schwingend) in die Genitalien zu schlagen. Habe eingegriffen, nicht konsequent genug, wie ich jetzt weiß, habe gesagt, nun, Jungs, lasst das mal, bin gegangen, weil ich anderes zu tun hatte. Fünf Minuten später kam ich wieder vorbei und die Jungen waren noch immer mit dem Senkblei beschäftigt. Da bin ich laut geworden und habe einem einen Klaps in den Nacken gegeben. Das hat gereicht. Ich wurde entlassen. Der Geklapste kommt aus einer geschiedenen Ehe, Vater hat ihn und Mutter geschlagen, seitdem sind beide "traumatisiert". Es hat kein Gespräch mit den Jungen gegeben, keines mit der Mutter, keines mit ihrem Sohn, ich war von einem Tag auf den anderen draußen. Den Kindern wurde gesagt, ich wäre krank und überlegte, ob ich mein altes Leben als Schriftsteller wieder aufnehmen solle. Mir schlug man vor, nach einer gewissen Zeit zur Schule kommen und den Kindern vorzulügen, ich könne nicht länger Lehrer sein, ich wolle wieder ausschließlich schreiben. Das habe ich abgelehnt. So war das, nicht anders. Und das nennen sie Pädagogik.

Mi 2.02.11 12:20


die kunst
hatte zwei beine
und stand was immer auch kam
sie pinkelte weite bögen auf die heulende schar
und konnte erbrechen
dass es eine wunderbare sauerei war
aber sie liebte sich dafür
auch wenn niemand sonst sie verstand
sie hatte noch eine flasche und noch eine
sie trank bis zum morgen
und beschloss
der arbeit zuliebe den tag zu verschlafen
und die nacht hinterher
vielleicht dachte sie
es wäre vernünftig
alle kunstliebhaber geteert durch die straßen zu treiben
bis ihnen aufginge
dass die kenner
für die sie sich hielten
nichts weiter waren als
aufgeblasene stalins und goebbels
und wie sie alle hießen
die großmeister der vernichtung
das dachte die kunst
hob das glas und prostete allen zu


16:15

lieber ruhen
und die decke über beide ohren ziehen
still verharren und zum zwecke
der erkenntnis bisschen fliehen

ruhig die daumen drehen
über dies und jenes spekulieren
ohne angst ins jenseits sehen
und dann kollabieren

standardmäßig auferstehen
und das kreuz zu brennholz hacken
halbnackt unterm himmel stehen
neue
träume backen

wer zuletzt stirbt hat verloren
und wer lacht hat gute karten
leg mir deine stimme auf die ohren
kann es kaum erwarten

kann mir keine andere denken
wünsche mir sie jedoch sehr
würd mich liebend gern verschenken
das wird schwer


18:25

Wieder ein Anfrage für eine Lesung und Auseinandersetzungen mit dem Roman, der über die letzten Tage ganz und gar von seiner Grundidee abgewichen ist, ergo nicht mehr so heißt, wie angedacht. Wie er stattdessen heißen wird, weiß ich noch nicht, so wenig ich weiß, ob die Idee trägt. Schalte deshalb auf Größenwahn. Damit das nicht zu gefährlich wird, werde ich nachher ins Kino gehen und mir morgen den Rundgang der Kunstakademie gönnen. Vielleicht in Begleitung. Und dann weiter.

Was die MP3s angeht, die ich seit Wochen verstärkt ins Netz stelle, tun Sie mir den Gefallen, setzen sie Kopfhörer auf, dann klingen sie, wie ich will, dass sie klingen, das Abmischen von Audiomaterial ist eine Kunst, die ich erst rudimentär beherrsche. Raumklang ist etwas anderes als der Klang eines Kopfhörers, also bitte, Kopfhörer auf.


Do 3.02.11 10:22

Eh es um die Kunst geht, geht es um bewegte Bilder.
Ich sah den neuen Film vom Tom Tykwer, fand ihn ironisch, intelligent, musste oft lachen und war vor allem von Sophie Rois beeindruckt, ein rotzig trotziges Gesicht.

Wem der Gang ins Kino zu anstrengend ist, wer lieber in seiner stillen Ecke sitzt und liest, dem empfehle ich Peter Henisch: Der verirrte Messias. Henisch entlarvt Gott als Metapher und macht aus der Bibel das, was sie ist, Literatur, eine Fiktion, von vielen Autoren mit unterschiedlichsten Interessen geschrieben und weitergeschrieben, übersetzt und in die Welt gesetzt, die bis in die Gegenwart wirkt, unzählige Opfer gekostet hat und täglich kostet.

14:31

Selbstportrait

Rundgang Kunstakademie 2011


Fr 4.02.11 10:10

Wind geht um, der Himmel tief,
mach's wie ich, werd' depressiv,
nimm ein Messer aus der Lade
und zerstückle dich im Bade.

Nummeriere Einzelteile
und betrachte eine Weile
was du angerichtet hast
und sortiere, was noch passt.

Mache Schildchen dran und Preise
trag es in die Metzgerei
und verzichte danach weise
auf die Welt, denn du hast frei.

Schau, die Laune hebt sich wieder,
musste nur ein Blutbad her,
danke Gott und kniee nieder,
war doch gar nicht mal so schwer.

14:33

Das neue Buch ist da ....




16:15

Heute abend bin ich beim Revier Derby in Dortmund.
Ich sitze im Schalke Block, wenngleich ich weder Schalke noch Dortmund bin, eigentlich bin ich nur Nutznießer der Tatsache, dass mein großer Sohn, dem ich die Karte geschenkt hatte, noch im Urlaub ist.


Sa 5.02.11 10:35

Ich weiß schon, es steht bei Nick Hornby, trotzdem berührt es mich unangenehm, als der Sohn Insassen eines vor uns ebenso langsam wie wir voran kommenden PKW, die Schalke Fans sind, mit hämischem Spott überzieht, dabei kann doch niemand für diesen Stau, der uns nach Erreichen der Ortsgrenze Dortmund eine dreiviertel Stunde gekostet hat, eh wir schließlich im Block E2 parken.

Aber wir haben getrennte Plätze, ich muss mir das also nicht anhören. Aus dem Stadion schallen uns Gesänge entgegen. Menschen, von allen Seiten Menschen. Ich sitze auf der Nordtribüne, Block 78, Reihe 44, Sitz 16, ganz oben, höher hinauf geht es nicht, und bin ein bisschen aus der Puste, als ich da ankomme. Einen leichten Schwindel spüre ich auch, denn vor mir geht es steil hinab. Das Spielfeld aber kann ich wunderbar überschauen.

Meine Nachbarn tragen ausnahmslos Dortmund Schals, was mich beruhigt. Hin und wieder aber brechen sie in Gesänge für Schalke aus, was mich irritiert. Die Nachbarn linkerhand, drei junge Männer Mitte zwanzig, ebenfalls mit Dortmund Schals, Berliner oder Brandenburger Dialekt sprechend, tun das ebenso, bis ich Ende der ersten Halbzeit frage, wieso sie denn einmal Dortmund ist mein Leben, Dortmund ist mein ganzer Stolz singen, um im nächsten Moment Schalke 04 brüllen. Da lachen sie und sagen, sie brüllten ja nicht Schalke 04 sondern Scheisse 04, und tatsächlich, jetzt höre ich es auch.

Das Spektakuläre des medial vermittelten Fussballs verliert sich im Stadion. Aus herangezoomten Stars, die atemberaubende Stunts vollführen, werden von hier oben junge Männer, die sich mühen und rennen, und, wie gestern, zwar eine Chance nach der anderen herausspielen, aber das Runde nicht ins Eckige bringen. Es gibt so Tage, sagt einer zu mir, und offenbar ist das so ein Tag. Manuel Neuer hält alles, ich halte SMS Kontakt zu einem Freund, und als ich ihm melde, dass Dortmund zwar dominant im Spiel, aber mies in der Chancenverwertung sei, antwortet er, falls sich das mal nicht rächt und versenkt fünf Euro in seinem Phrasenschwein.

In der zweiten Halbzeit wird Schalke tatsächlich ein wenig stärker, erspielt sich ein, zwei Chancen, und da wird mir klar, dass Fussball ein durch und durch ungerechter Sport ist, ein Tor kann jederzeit fallen, auch für die offensichtlich schlechtere Mannschaft.

Es macht Spaß, zuzuschauen. Über 80000 Menschen ringsum, da kann einem schon der Atem stocken, ich bereite mich auf eine ebenso stockende Abfahrt vor, wie die letzten Kilometer der Anfahrt stockend waren, aber zum Glück kommt das anders, die Massen lösen sich offenbar schneller auf, als sie sich zusammen zu rotten.

Was nun die wogenden Schlachtgesänge und das Verspotten der Gegner angeht, auch da hatte ich Spektakuläreres erwartet, standen sich schließlich doch Erzfeinde gegenüber. Ich fand es sehr gesittet, und erst beim Verlassen des Stadions gab es hier und da kleine Scharmützel, aber die Polizei war überall und auch der Schalke Fan hatte nicht wirklich etwas zu befürchten.

Soviel also zum Fußballderby im Revier. Dorffußball ist interessanter. Da steht man steht am Spielfeldrand, man hört die Akteure rufen und fluchen, spürt den Eifer, und eine Karte kostet nicht 120, sondern nichts oder mal fünf oder sieben Euro. Ich denke, ich werde hin und wieder mal zu den Preußen gehen. Jetzt aber schwinge ich mich auf mein Rad und fahre auf den Markt.


So 6.02.11 19:31

Vertrödelter Tag.


Mo 7.02.11 10:53

Raus, die Sonne scheint.

16:34

streckt mich nieder,
legt mich in einen blauen kiefernsarg
mit poliertem beschlag
843
stattet ihn aus
125
stellt wagen und träger,
bringt mich nach hause
175
holt mich,
wenn die frist verstrichen ist,
sonntags: 150
sargt mich ein: 60
stellt mich kühl: 40
fahrt mich zur rechtsmedizin
und zum friedhof: 180
bereitet das fest vor: 100
überführt mich zum ofen nach holland: 340
habt ihr alles erledigt: 140
habt noch ausgelegt, vorgestreckt: 659
märchensteuer,
hätten wir fast vergessen: 409,07
habt ihr noch fragen?


Di 8.02.11 11:23

Er ist eine Erscheinung. Groß, kräftig, einer, der sich gegen alles gewehrt hat und noch wehrt. ADS gab es noch nicht, als er jung war, aber es gab schon Ideen, wie man ihm zum zuleibe rückten könnte, und so ist er auf Bauernhöfen in Sizilien gewesen, ist zur See gefahren auf einem sozialpädagogischen Schoner, mit allem Mitteln haben sie versucht, ihm seinen Eigensinn auszutreiben, es hat nichts genutzt. Er ist eigensinniger denn je, hat keinen vorzeigbaren Schulabschluss, aber er ist ein liebenswerter Typ, gerade heraus und wenn man an seiner Seite nachts durch düstere Viertel spazierte, wäre man sicher.

Der kam heute früh mit seinem Vater, um die gebrauchte Küche zu bringen. Multiplex, Unterschränke und Oberschränke, wie ich das alles jetzt ein- und umbaue, ist noch eine zu klärende Frage, denn das Handwerk und ich sind nicht blutsverwandt, ich sähe Blut fließen und Kurzschlüsse verheerende Komplikationen auslösen, aber putzen kann ich das Material, und wenn es geputzt ist, werde ich schon jemanden finden, der mir hilft, die neue Küche ein- und auszurichten.

Bis dahin heißt es, Ruhe bewahren, und vielleicht das, was ich gestern abend zwischen 23 und 1 Uhr geschrieben haben, weiter zu entwickeln. Möglich wäre das. Perspektivisch sieht das versprechend aus, wenngleich ich in einer Phase wie dieser keinerlei Garantien geben kann. Das macht aber nichts, denn erstens bin ich solche Zustände gewohnt, sie schrecken mich nicht, zweitens weiß ich, dass sie für das, was mich ausmacht, von höchster Notwendigkeit sind. Ich habe ja das Gegenteil gerade erst hinter mir, das kopflose Zerschießen von Zeit, als ich mit den Kindern an der Schule gearbeitet habe, eine schöne Arbeit, wäre es meine Arbeit gewesen.

Jetzt aber zerschießt niemand mehr meine Tage, ich kann sie verstreichen lassen mit Nutzlosem, dennoch sind sie nicht nutzlos. Ich habe mich zurückgezogen, um das Alleinsein zu lernen. Das ist nicht einfach, aber es ist einfacher, als ich gedacht hatte. Manchmal ist es geradezu beglückend. Dass mit so einem Leben die Zahlungsmittel spärlich fließen, muss ich wohl nicht erwähnen, aber da seit gestern ein neuer Roman unterwegs ist, könnte es durchaus sein, dass demnächst jemand Bingo ruft. Ich jedenfalls halte die Ohren steif und offen.


Mi 9.02.11 10:25


Zehnuhrfünfundzwanzig schon,
und noch ist kein Wort geschrieben,
Kaffee gluckert im System,
Stuhlgang ist längst abgetrieben.

Wollte ich nicht heute gut sein,
und für arme Unterdrückte,
etwas Herzerwärmendes verfassen,
wenn sie auch nicht alle Tassen
in furnierten Schränken haben?

Ja, das wollte ich, doch höret,
dass mir gar nichts zu euch einfällt,
dass mir oft gar der Verstand schwand,
wenn mal wieder an der Wand stand,
für wie arm und libido-geschädigt man euch hält.

Sei's drum: bleibt mir dennoch bitte fern,
liebe unverstand'ne Psychopathen,
geht doch in ein schönes Heim,
und bestellt den Garten.

Treibt es dort mit Euresgleichen,
dann sind wir normal
und können jederzeit vergleichen,
hier sind wir, dort seid ihr,
Schnaps bleibt Schnaps und Bier bleibt Bier.

17:22

Alles läuft darauf hinaus, dass ich mir einen Plan erstelle. Einen groben Plan, damit es nicht zu eng wird, denn ich will ja Raum haben, will ausbrechen hierhin und dorthin und wieder zurückkehren, aber das, was mein Unterbewusstsein mir seit etwa einer Woche in unregelmäßigen Abständen und zu Zeitpunkten liefert, die mir nicht immer lieb sind (nachts gegen halb vier etwa), schließe ich, dass mir nichts anderes übrig bleibt, wenn ich den Roman, über den ich nachdenke, verwirklichen will. Gute Erkenntnis.

Noch etwas. Ich komme gerade aus der Stadt. Wollte mir Peter Henisch ausleihen, und stellte fest, dass seine Romane fast ausnahmslos im Magazin versteckt gehalten werden, was darauf hindeutet, dass hervorragende Autoren nicht gern gelesen werden. Das ist eine Schande. Das prangere ich an. Einer seiner Romane jedoch, Pepi Prohaska Prophet, 1986 im Residenz Verlag erschienen, wartete im Nahbereich bei den modernen Autoren auf mich. Der Nahbereich ist nicht alphabetisiert, aber mit Hilfe einer Bibliothekarin fand ich ihn bald.

Auf dem Heimweg traf ich eine ehemalige Kollegin meiner kurzen Karriere als Lehrer, die mich erstaunt begrüßte und fragte, ob ich wieder gesund sei. Wieso, ich war nie krank, sagte ich und erfuhr das Ausmaß der Vertuschungs-Kampagne, die die pädagogische Leitung nach meinem Rauswurf in Gang gesetzt hat. Man hat den Kindern nämlich erklärt, ich wäre schwer erkrankt. Man nennt so etwas Lüge, liebe Kollegen und vor allem liebe Kinder, ich war nie krank, ich habe einem Schüler einen Klaps in den Nacken gegeben, weil er trotz vorheriger Ermahnung nicht davon abgelassen hatte, gesundheitsgefährdenden Unsinn mit einem Senkblei zu machen und wurde deshalb entlassen. Wenn ihr wissen wollt, wer das war, will ich es euch gern sagen, ihr kennt ihn, ihr wisst, was von ihm zu halten ist.


Fr 11.02.11 17:17

Ich hatte einen schönen Tag,
gestern um kurz vor eins,
sie sagte, dass sie mich sehr mag
ich sagte ich bin deins.

Um viertel zwei jedoch verschwand sie,
sie ließ nur ihre Wäsche da,
ich gab mir Mühe und verwand sie
als Kaffeefilter etwa ihren Wonder Bra.

Seitdem schmeckt jeder Aufguss süß,
als hätt ich sie verzaubert,
ich hoffe nur, dass ich nicht büß,
denn sie hatte gezaudert.

Ich hoffe, dass wie wiederkommt
ich will sie nie mehr sehen,
ich weiß, nur wer sich selbst belohnt
kann nachher gerade stehen.


Sa 12.02.11 00:00


dieses gedicht
(falls es überhaupt eines ist)
dachte der mann
der auf eis lief und sonneschirme verkaufte
dieses gedicht hätte verdient
dass man es durch die wüste treibt
ihm orden anhängt
und bekannt macht mit dem physikalischen tiefstpunkt
aller temperaturen

doch dem kam ein wolf zuvor
der nach frühstück gierte
da er sonnenschirme nicht mochte
beschloss er
den mann anzugreifen

aber der mann war kein totgrüner hippie
er hatte verborgenes sprengzeug
und griffbereite macheten
er war auf vieles vorbereitet
er hatte gute eltern
und reagierte blitzschnell
so dass dem wolf nichts weiter blieb
als den schwanz einzuziehen
die lefzen zu zeigen
und schrittweise rückwärts etwas zu suchen
das weiter und größer war als der wolf sich vorstellen konnte

dort sucht man ihn jetzt noch
doch leider ganz nutzlos
denn der wolf hatte beschlossen
an einer straßenecke bei herne-eickel
wo die kühltürme den himmel verstellen
ein kleines geschäft aufzumachen
in dem er worte verkaufte

1a worte zu festlichen gelegenheiten
mit aufgerichtetem fell
worte mit lefzen
worte mit knurren und wenn dann wieder
gelegenheit kam
und ein sonnenschirm um die ecke
schloss der wolf schnell die tür
verhielt sich
als gäbe es weder ihn noch die gelegenheit
und wenn dann die luft rein war
heulte er ac/dc
zog kurze hosen an
setzte die alberne mütze auf
und besuchte die großmutter
zum frühstück


So 13.02.11 00:00



13.02.1953 - 17.06.2009



11:52

Winterlinge blühen, Krokusse auch und die Schneeglöckchen vorm Balkon, hörst du....

15:42

Überm Aatal zirkelten Bussarde, der auf der höheren Bahn rief, schien mir, der auf der unteren nicht, beide stiegen und stiegen, hielten aber den Höhenunterschied bei. Hochzeitsvorbereitung oder bloß Sonntagnachmittagsvergnügen? Scheuchte zwei Hasen auf. Aß ein Eis. Kreuzte die Stadt, in der viele paarweise unterwegs waren, was nicht angenehm anzuschaun war an einem Tag wie diesem.


Mo 14.02.11 15:10

Manchmal sieht man so etwas bei Hochspringern. Sie haben ihren sorgfältig austarierten Startplatz eingenommen, legen den Kopf zurück, schlagen sich links und rechts auf die Wangen, sagen Beschwörendes, stellen sich auf die Fußballen, sie schwanken, und wenn man nicht wüsste, dass sie gleich losrennen, um unter Umständen Zweimetervierzig zu überspringen, könnte man sie für Autisten halten, am Alltag irre gewordene. Aber sie sind nicht irre. Sportler nennen so etwas mentale Vorbereitung, man könnte es auch Voodoo nennen, Aberglauben, allen Varianten sind möglich.

Wenn aber so ein Mensch an einer Straßenkreuzung steht, jung zwar wie die beschriebenen Sportler, aber eher untersetzt, dazu noch mit einer kanariengelb-grünen Mütze auf dem runden Kopf und einem schwarz-gelben Rucksack, wenn man sieht, wie er da unschlüssig steht, sich selbst zuspricht (was, ist nicht zu verstehen), sich reckt, die Arme um sich wirft, um gleich darauf wieder zu erstarren, fragt man sich, was als nächstes kommt. Hat er noch Überraschungen in Petto, Tricks, die man noch in keinem Stadion gesehen hat. Irgendeine geheime Verrücktheit, die das Mentale derart mobilisiert, dass es Adrenalin durch den Körper pumpt, als hätte ein Pilot auf vollen Schub geschaltet und die Bremsen gelöst. Dieser Mensch spricht wieder und schüttelt sich dabei wie ein nasser Hund, erstarrt und geht los. Er schaut nach links und rechts, überquert die Kreuzung und entschwindet meinem Blick.

Und ich?
Ich drehe meine Runde und fange noch immer nicht an. Es geht einfach nicht.


Di 15.02.11 10:28

Romananfang 18

Ich lag auf dem Sofa und döste. Gerade fünfzig geworden. Nicht zu dick. Halbwegs sportlich. Kein Alkohol. Kochen macht mir Spaß. Gerne Fleisch. Keine Frauen mehr. Einen Freund, aber wir sehen uns unregelmäßig, denn er arbeitet noch mehr als ich, wenngleich nicht so erfolgreich.
Es schellte. Ich erschrak. Ich erwartete niemanden.

Das Sofa ist bequem und groß genug für drei. Graues Leder mit arabischen Kissen. Davor ein kleiner Tisch mit Ablagen, Kirsche, sehr praktisch und heiß geliebt, vielleicht ein paar zu viele Ablagefächer, denn ich lege die Fernbedienungen immer wieder woanders ab und muss sie dann suchen.
Vor den Bücherregalen dieser Sessel. Mit Sitzkissen aus rotem Leder. Halbwegs bequem, aber ich hänge dran, mein Opa hat ihn gebaut, als er jung war. Auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnzimmers steht ein ebenso roter Tisch, den habe ich selbst gestrichen, und drum herum vier Stühle mit Rahmen aus schwarzem Stahl, die Sitzflächen und Rückenlehnen aus geschichteter Birke. An den Wänden viel ungerahmte Kunst. Ich mag Kunst. Ich durchstöbere gern Rundgänge der Kunstakademie. Da fühle ich mich jung und das schmeichelt mir, wenngleich ich nichts gegen mein Alter habe. Nur dass dieses Alter noch immer so unruhig ist, nervt.

Wenn ich Zeit hätte, würde ich einen Monat die Decke anschauen, bis sich ein Gedanke einstellt, der nichts mit meiner Arbeit zu tun hat. Irgend so einen Gedanken würde ich sicher denken können, einen hat jeder einmal, jeder muss irgendwann doch einmal einen Gedanken haben, der ihn überrascht. Vielleicht sogar erheitert, das wäre noch besser. Die Woche war verflogen wie ein gehauchtes Wort. Die Mehrzahl meiner Kunden sind Idioten, die jedem noch so vagen Verweis auf Rendite über den üblichen Verzinsungen am Markt mit einem Leuchten in den Augen auf den Leim gingen, so dass Provisionen reichlich fließen. Sie glauben, die Krise wäre vorbei, dabei hat sie noch gar nicht richtig begonnen.
Ich überlegte, ob ich zur Tür gehen sollte.

Seit meiner Scheidung erwarte ich niemanden. Allerdings gibt es da eine Frau, aber die bockte seit Wochen, und der Anwalt meiner Frau bombardiert mich seit Ende letzten Jahres mit Einschreiben.
In letzter Zeit habe ich oft daran gedacht, hinzuschmeißen. Abzuhauen, fort von der Gier, deren Nutznießer ich bin, ohne recht rekonstruieren zu können, wie das gekommen war.
Hatte ich nicht Che geschrien? Und Ho Chi Min? Und das alles?
Zugegeben, naiv, aber ich hatte zumindest an etwas geglaubt. Lange konnte das nicht mehr gut gehen. Das System war falsch und die Gier zu groß. Eklig war das.

Ich würde nicht zur Tür gehen, drehte mich um, zog mir die Decke über die Ohren und dachte an Ibiza. Letztes Jahr hatte ich dort Urlaub gemacht. Sieben Tage, der erste Urlaub seit Jahren. Es war Nachsaison. Ich hatte ein Zimmer mit einer Terrasse. Da neben und über mir niemand wohnte, gehörte sie mir. Ich hätte Tennis spielen können, so groß war sie
.
Auf dem Weg vom Hotel zur Bucht war ich auf ein Haus gestoßen, das mir auf Anhieb gefallen hatte. Es stand an der Bruchkante der Küste. Daneben führte ein Pfad hinunter zum Strand. Das Haus war rostbraun. Rechteckig mit abgerundeten Kanten. Von Pinien umgeben, durch deren zartes Grün man aufs Wasser schauen konnte. Es gehörte einem Finnen. Ein hagerer, muskulöser Mann weit über siebzig, der mir erzählte, dass er sich vor zwanzig Jahren in diese Gegend verliebt hatte. Er hatte gerechnet und war zu dem Ergebnis gelangt, dass es finanzierbar wäre, wenn er nicht älter als achtzig würde. Dann war letztes Jahr das Feuer gekommen und hatte seinen Finanzplan zerstört. Nun musste er zurück in die Kälte. Ich hatte ihm ein Angebot gemacht, aber er hatte es ausgeschlagen. Aber ich könne es mieten, hatte er vorgeschlagen. Für unbestimmte Zeit mieten. Das reizte mich.

Es schellte noch einmal. Wer immer da vor der Tür stand, jetzt begann es mich zu interessieren. Ich stand auf, ging hinaus in den Flur, schlich zur Tür und schaute durch den Spion.
Ich sah eine Frau Mitte dreißig. Ich kannte sie nicht, wenngleich mir irgendetwas vertraut an ihr schien. Sie war eine mollige Frau. Sie hatte rostrotes Haar, ein Redhead, wie die Iren sagen würden. Sie trug einen blutroten Mantel, flache, graublaue Schuhe, eine schwarze Ledertasche in Form eines an den Ecken gerundeten Trapezes, die sie mit beiden Händen vorm Bauch hielt wie einen Schutz.

Ich überlegte, ob ich öffnen sollte. Morgen würde wieder der geballte Widersinn auf mich einstürzen und ich hatte doch dieses Projekt, ich war in froher Erwartung dieses einen Gedankens, von dem ich mir viel versprach. Geradezu Weltbewegendes käme da auf mich zu, hoffte ich, und mein Gefühl sagte, er könne etwas mit Ibiza zu tun haben. Das war zwar nicht sehr originell, da müsste schon Größeres kommen, der Gedanke, den ich erwartete, müsste viel größer sein, aber irgendetwas war im Busch, und ich hoffte, dass es vielleicht schon heute abend so weit sein würde. Unter keinen Umständen wollte ich diese Chance mit einem Gespräch zwischen Tür und Angel mit einer jungen, gut aussehenden Frau vergeuden. Ich wäre sowieso chancenlos, also beschloss ich, nicht zu öffnen. Auf dem Sofa fiel mir ein, dass schöne Frauen zu ungewöhnlichen Tageszeiten vor Wohnungstüren nicht häufig vorkamen, und dann schwante mir, dass sie unter Umständen der fleisch gewordener Gedanken war, den ich erwartete, bereute, stürzte zur Tür, aber da war sie fort und ich ärgerte mich.

Ich ging zwar noch hinaus vor die Haustür, um ihr nachzurufen, es täte mir Leid etc. pp., ich wäre im Bad gewesen, sorry, was kann ich denn für Sie tun, aber es wehte nur kräftig aus Südwest, es war immer noch Winter, wenngleich nicht mehr mit dieser brutalen Dunkelheit, die erst morgens gegen neun in fahles Licht überging, um kurz nach vier schon wieder ins depressivstes Dunkel zu wechseln. Wie gesagt, nur Wind, keine Menschen weit und breit. Ich dachte, na gut, nicht aufgepasst. Wer nicht aufpasst, wird bestraft, das hatte ich oft beobachtet und in dreißig Jahren bei fünf verschiedenen Arbeitsgebern gelernt.

Und morgen um 10 hatte ich ein Gespräch mit dem Chef, dem Großmeister der Finanzinquisitoren. Ich mochte ihn und er mochte mich nicht. Ich mochte sein Gesicht nicht, das auf den ersten Blick aristokratisch wirkte. Wieso weiß ich nicht, die grauen Haare jedenfalls waren es nicht, dieses edle Silbergrau, ganz voll und stark, auch seine Art zu sprechen, gewählt und voll bildreicher Vergleiche, ich musste auch gar nicht wissen, warum er mir nicht gefiel, aber ich wusste einiges von ihm, was andere nicht wussten und er wusste, dass ich es wusste. Ein Wort, und seien wie ein Banner zur Schau gestellte Souveränität nicht, die er mit Güte tarnte, wäre dahin gewesen, ein Wort, und diese Großmannsgüte, die sagt, ich habe die Welt bewegt und bewege sie noch, ich schalte und andere müssen rennen, wäre in sich zusammengefallen. Mit seinen Anzügen versuchte er, Avantgarde in sein Zahlenlabyrinth zu tragen, genau so wie er es mit den Bildern in seinem Büro tat, überbezahlter Zeitgeist ohne die geringste Chance, ein Menschenalter zu überstehen. Das reicht doch, oder? Ich wusste gar nicht, dass ich ihn derart hasste, und dass auch noch an einem Sonntagabend. Er hatte auf meinem Sofa verdammt noch mal nichts zu suchen.

Ich hätte doch aufmachen sollen. Ich Rindvieh. Als hätte ich Angst vor Frauen. Wahrscheinlich hatte ich Angst vor ihnen, und wollte es nur nicht eingestehen. Und natürlich ich war selten eins mit seinen Entscheidungen. Aber meine Ergebnisse lagen weit über Durchschnitt, und so fühlte ich mich relativ sicher. Zu sicher vielleicht, denn Sicherheit ist ein ungutes Gefühl. Es verleitet. Es macht leichtsinnig. Eh man sich versieht, hat man etwas gesagt, das man später bereut. Bisher war mir nichts dergleichen passiert, denn ich war nicht schlecht, prekäre Dinge so anzusprechen, dass meine Gesprächspartner oft erst später bemerkten, was ich gesagt und worauf sie sich eingelassen hatten. Aber wie gesagt, ich war erfolgreich. Jedenfalls erfolgreich genug, um dem Kahlschlag, der in den letzten anderthalb Jahren unser Haus getroffen hatten, entgangen zu sein.

(Da verließen sie ihn ... noch mehr Romananfänge finden Sie hier.)


12:50


einen schnabel bitte
mit oder ohne fragte man
natürlich mit wie sonst
natürlich antwortete man
auch gefieder dazu
nur wenig
und buntes verlangte ich
man nickte und packte es ein
sehr schön dekoriert
ich schenkte der verkäuferin einen ring
sie errötete
ich werde das paket verschenken
außerdem schenke ich einen beat auf dem off
eine gesunde lunge für feiertage
den letzten schrei
und eine poetische ader
die zieh ich mir aus dem arsch
sitze ja sonst doch nur drauf rum
und furze sie wund


Mi 16.02.11 11:35

Ob ich aus dem Fenster schaue, spazieren gehe, spüle oder die Fenster putze, nichts täuscht darüber hinweg, dass ich warte. Macht nichts, denke ich, ich warte ja schon seit fast 62 Jahren. Als ich letztens glaubte, das Warten mit einem Roman (Der finnische Sommer) besänftigen zu können, kam eine Mail von einem Freund, der mich auf einen Roman hinweis, der auch in Finnland spielt. Darauf fiel mein Plan wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Es wird kein guter Plan gewesen sein, ein neuer ist nicht in Sicht, also warte ich weiter. Schaue zu, wie die Nachbarn altern, sehe hochexplosive Paare, spreche mit dem Pastor von nebenan über Muße, die manche auch Langeweile nennen. Das ist eine gute Idee, Langeweile, sagt er, ich predige heute nachmittag über Langeweile. Ob ich Chichi zum Geburtstag gratuliere? - Alles um mich ist leer und kann beschrieben werden, das ist ein guter Zustand, aber eh ich geschwätzig werde, lasse ich's lieber. Alles kommt wie es kommt, ich lebe im Luxus der Muße und ich finde, ich hab es verdient.

16:48

Frühling ....


Do 17.02.11 9:39

Gestern abend überflogen Wildgänse den Ort. Wir werden dann immer aufgeregt. Einer ruft, hast du gehört, was denn, antwortet der andere, Wildgänse ruft der eine zurück und dann stürzen wir los, weil - schönere Frühlingsboten gibt es kaum. Gestern stürzten wir auf den Balkon und starrten in den Abendhimmel. Sehen konnten wir nichts, aber wir hörten sie, und das machte Mut.

Die Tiere bereiten sich vor. Der Mensch auch.

Ich zum Beispiel werde heute versuchen, einen alten, seit zwanzig Jahren nicht mehr gebrauchten Wasserhahn aus der Wand zu drehen, einen Blindstopfen anzubringen, die alte Spüle zu entsorgen, die neue aufzubauen und anzuschließen, ich hoffe, dass das Blut, das dabei fließen wird, nicht übertrieben fließt, und sollte mir das mit dem Wasserhahn und der Spüle gelingen, kommt die nächste Aufgabe, eine Aufgabe, die ich vor Jahrzehnten das letzte Mal erledigte: ich muss einen Herd anschließen. Starkstrom. Vier Phasen, glaube ich.

Damals habe ich mir genau gemerkt, welche Phase wo reingesteckt werden musste, hab sie reingesteckt, die Sicherungen aktiviert, den Herd eingeschaltet und Gebete zum Himmel geschickt, er möge mir beistehen, seitdem funktioniert der Herd tadellos.

So werde ich es heute wieder halten und hoffen, dass ich es richtig mache. Und dann brauche ich noch jemanden, der mir eine Arbeitsplatte millimetergenau sägt, denn sägen ist nicht mein Metier. Mal sehen, wie ich das hinbiege. Und wenn das alles über die Bühne gegangen ist, heißt es, Restmüll entsorgen. Die Deponie hat geöffnet.

Ja, und schlußendlich hätte ich dann eine neue Küche. Eine neue alte Küche, aber immerhin, die alte alte Küche war schon eine alte Küche, als Opa Fritz sie seinerzeit einbaute, schließlich haben Sie es mit nicht reichen Menschen zu tun, ich glaube, man darf sagen, Sie haben es eher mit armen Menschen zu tun, wenn Sie den body-mass-index anlegen und all die übrigen Statistiken, aber das kümmert uns wenig, denn wir fühlen uns ja nicht arm. Wir finden eher, dass die anderen arm sind, arme Schweine so weit das Auge reicht, unterdrückte Lohnabhängige, von Gewinnmaximierern und Junkies der Globalen Märkte ausgepresst, aber gut, Spaß beiseite, dieses Land ist ja, das habe ich gerade in der Zeitung gelesen, ein Land, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass Kinder laut sein dürfen. So etwas kann man Fortschritt nennen, man kann in Tränen ausbrechen, wenn man liest, dass es für so einen Hinweis tatsächlich ein Gerichtsurteil brauchte, man kann sich fragen, wo man denn überhaupt lebt, aber wir fragen besser nicht.

Wir fangen jetzt an.

18:50

Letztens las ich etwas über die Liebe.
Weil es schön ist, zitiere ich.
Animal Triste von Monika Maron:

"Es ist gleichgültig, ob ich hundert oder erst achtzig bin, ob ich seit vierzig, dreißig oder sechzig Jahren darüber nachdenke, was eigentlich passiert, wenn wir in diesen Zustand geraten, von dem wir sagen: Ich liebe. Selbst, wenn ich mir weitere fünfzig Jahre den Kopf darüber zergrübelte, ich fände es nicht heraus. Ich weiß noch nicht einmal, ob Liebe einbricht oder ausbricht. Manchmal glaube ich, sie bricht in uns ein wie ein anderes Wesen, das uns monatelang, sogar jahrelang umlauert, bis wir irgendwann, von Erinnerung oder Träumen heimgesucht, sehnsüchtig unsere Poren öffnen, durch die es in Sekunden eindringt und sich mit allem mischt, was unsere Haus umschließt.

Oder sie bricht ein wie ein Virus, das sich in uns einnistet und still verharrt, bis es uns eines Tages anfällig und wehrlos genug findet, um als heillose Krankheit auszubrechen. Ich kann mir aber auch vorstellen, daß sie von unserer Geburt an wie eine Gefangene in uns lebt. Nur manchmal gelingt es ihr, sich zu befreien und aus ihrem Gefängnis, das wir sind, auszubrechen. Wenn ich sie mir als ausgebrochene lebenslange Gefangene vorstelle, kann ich am ehesten verstehen, warum sie in den seltenen Augenblicken der Freiheit so tobt, warum sie uns so gnadenlos quält, uns in alle Verheißung stürzt und gleich darauf in alles Unglück, als wollte sie uns vorführen, was zu vergeben sie imstande wäre, wenn wir sie nur ließen, und welche Strafe wir verdienen, weil wir sie nicht herrschen lassen."

23:22

Nach all den Jahren muss ich die Bewegungsabläufe im Küchenbetrieb neu lernen. Wo stehen die Töpfe? Die Pfanne, wo ist die denn? Drehe ich mich rechts oder links herum? Ist oben oben oder eher doch nicht? Und - nicht zu vergessen - K., Max Freundin, deponiert Teller, wo ich sie nie vermutet hätte. Das alles kann alte Menschen wie mich überfordern.

Und dann sitze ich da und starre auf die neuen Oberflächen, Birke, zumindest von außen multiplexgeschichtet, dahinter Pressspan natürlich, aber doch alles sehr praktisch. Nicht, dass ich über die neue alte Küche jetzt ins Schwärmen geriete, noch überwiegt Ratlosigkeit, aber spätestens übermorgen werde ich mich daran gewöhnt haben.

Übrigens - noch etwas, das Sie nicht interessieren wird.
Seit letzter Woche rauche ich wieder Pfeife, ein Freund hatte mir eine Pfeife geschenkt. Ich habe Pfeife geraucht, als ich siebzehn war, und erinnere mich gut an diesen pelzigen Geschmack auf der Zunge. Den Tabak, den ich damals gern geraucht habe, gibt es auch immer noch. Jetzt, nach gut 10 Tagen, besitze ich schon drei Pfeifen. Mal sehn, wo das hinführt.


Fr 18.02.11 17:41

Die erste Aufgabe löste ein Schreiner für mich. Ich hatte eine Arbeitsplatte, ich wusste, wie lang sein werden sollte, der Rest kostete 5 Euro. Die zweite Aufgabe war komplizierter. Ich hatte einen Schrank mit den Außenmaßen 80 mal 60, auf dem besagte Arbeitsplatte ruhen sollte. Vorher aber wollte ich ein Brett schneiden, das als Einlegeboden den Innenraum des Schrankes in oben und unten unterteilt. Das Problem: der Schrank hat vorne einen Mittelholm und oben an der hinteren Seite ein quer eingesetzes Brett, auf dem die Arbeitsplatte liegt und von unten festgespaxt werden kann.

Nun versuchen sie einmal, ein Einlegeboden mit den Massen 78 mal 60 von oben in den Schrank hinabzulassen, um es auf kleine Metallstifte zu lagern, die links, rechts und im vorderen Holm angebracht sind. Ich weiß, das hat etwas mit Geometrie zu tun, die Diagonale eines solchen Brettes ist länger als seine Breite (glaube ich), zumindest war jenseits aller Geometrie schnell klar, dass ich den Einlegeboden nicht hinein bringen würde. Mal klemmte er hier, dann wieder dort.

Da ich Fachmann für das Augenmaß bin, sägte ich hier etwas ab und dort, sägte und sägte, bis der Einlegeboden zwar von oben problemlos herabgelassen werden konnte, aber nicht mehr passte, weil freudig zu klein gesägt. Egal, dachte ich, dann säg ich es mir für den anderen Unterschrank zurecht, der ist ganz einfach, da kann man es von vorn hinein schieben und hat nicht das geometrische Problem, ich sägte also erneut, und siehe, hätte ich nicht Stifte in verschiedenen Größen in den Tiefen meiner Werkzeugkiste gefunden, es wäre auch für diesen Schrank zu klein gewesen. So hätte ich theoretisch sägen und sägen können, das Brett wäre immer weniger geworden und ich hätte mich nicht einmal geschämt.

neue deutsche küche/nicht zu verwechseln mit: ndw

Aber nun ist alles, wie es sein soll, es wurde noch ein wenig aus- und umgeräumt, und ich muss sagen, es ist gut. Ich fuhr dann in die Stadtbücherei, um mir alles von Peter Henisch aus dem Magazin holen zu lassen, was da war, so dass ich in den nächsten Wochen nichts anderes lesen werden. Gestern beendete ich Pepi Prohaska Prophet, ein Schelmenroman, intelligent und unterhaltsam, spielerisch Stile wechselnd, kurz: hervorragend.

Auf dem Heimweg besuchte ich Lisa, trank mit ihr Kaffee und ließ mich von Wanja beschmusen.




22:29


der wasserhahn
hatte lang in der wüste gelebt
er kannte sich nicht aus
in einem Land
in dem jeder sich dreimal am tag duscht
und hatte noch nie gehört
dass beim duschen romane geschrieben wurden
aber vom durst wusste er einiges
und so riet der dem begabten jungen
zu großen tassen und einwegflaschen
zu rasensprengern und regenbögen
daraus sagte er
ließe sich doch was machen
was meinst du
installiere eine fontäne
das beruhigt
wir könnten sie illuminieren
dann hättest du muße
das plätschern regt an schläfert ein je nachdem
und romane schrieben sich dann wie von selbst

der junge blieb skeptisch
er hatte zehn finger
und jeder hatte eine andere idee
jeder fiel jedem ins wort
so dass schließlich die radikalste lösung erlösung brachte
er hackte sie ab
engagierte eine schreibkraft
die sehr begabt war und sprach nicht mit ihr
er
schwieg so lange
bis die schreibkraft beschloss
selbst aufzuschreiben
was sie mit dem durstigen jungen erlebte
und nannte das einen roman


Sa 19.02.11 12:03

Hin und wieder sehne ich mich nach Erhabenem. Dann bleibt nichts, als das Haus zu verlassen und zum Roller Markt zu fahren. Dort sehe ich hochwertige Möbel und höre die Sprachen des Ostblocks, ich sehe Paare, die auf verschlungenen Wegen ihren Ariernachweis erbrachten, um heim ins Reich zu kehren, Männer mit Hüten, die man in Deutschland nicht kaufen kann und Meter hinter ihnen hastende kleine, fast quadratische Frauen mit Kopftüchern, junge Paare auch, der weibliche Teil gern mit aufgeklebten, grell kolorierten Nagelkrallen. Deren Unterhaltung klingt wie eine Kampfansage, so dass ich mich nach Fluchtwegen umschaue.

Ich mag Russen nicht. Den Einzelnen, der sich mir vorstellt oder den ich kennenlerne, schließe ich aus, aber den mir fremden, den, der in Zweier- oder größeren Gruppen herumgeht und sein Idiom in die Welt posaunt, dass ich denke, der Kommunismus ist doch nicht tot, er arbeitet nur mit anderen Mitteln, den mag ich nicht, den würde ich gern nach Kasachstan zurückschicken, ich glaube, da passt er besser hin.

Ich suche Einlegeböden, ich finde Einlegeböden, aber die Maße stimmen nicht. Also bleibt nichts, als den verschlungenen Wegen durch alle Abteilungen zum Ausgang zu folgen. Am Weg Diskutierende: Paare, Familienclans aus Albanien, Deutschland, Polen, Jung und Alt, greinende Kinder und rot uniformierte Angestellte. Endlich draußen könnte ich eine der schärfsten Currywürste Westfalens essen, aber ich schwächle, ich glaube, ich sollte Kaffee trinken und mich in die Wanne legen, mein Kreuz, wissen Sie, schließlich liege ich nicht jeden Tag rücklings in einem sechzig Zentimeter breiten Unterschrank und versuche, über Kopf eine Schraube einzudrehen. Ich muss auch noch einkaufen, aber da ich keinen Schimmer habe, was ich heute abend kochen könnte, muss das warten. Das Schönste wäre ein Mittagsschlaf Seite an Seite mit meiner Frau, aber das geht nicht. So kippt das Erhabene ins Profane und ich muss damit leben, aber das kriege ich hin.

18:21

Nur eben nicht heute. Heute begleitet mich eine so tiefe Trauer, dass ich mich eingraben möchte. Ich kaufe ihr Blumen, aber es hilft nicht. Die Söhne machen sich rar. Das Alleinsein macht verrückt. Man bemerkt es erst gar nicht. Wenn man es bemerkt, ist es zu spät, man kann nicht mehr teilen, schon die Aussicht darauf bewirkt Panik, ich habe es zweimal erlebt letztes Jahr. Die erste war seit neunzehn Jahren, die zweite seit fünf Jahren allein. Prächtige Aussichten für einen sich in die Nacht verlierenden Samstagabend, und wenn mich nicht alles täuscht, war letzte Nacht Vollmond.



So 20.02.11 17:35

Jetzt also ist es auf dem Markt, aber sonntags kauft niemand, ich werde auf Montag warten, Montag werden alle es kaufen und Dienstag wird das Telefon klingeln, Mittwoch fahre ich hoch auf dem Goldenen Wagen, Donnerstag hole ich meine englische Kollegin Frances vom Flughafen Düsseldorf, gleich aber geht erst einmal die Sonne unter, der Tag lief ohne Erschütterung, ich lese und lese und lese und habe über's Lesen die Lust verloren, Kontakt zur Welt aufzunehmen. Soll sie mich doch, denke ich, blase Pfeifenrauch in die Luft, bin ein bisschen stolz, dass wir unsere neue Küche so gut hinbekommen haben, lege mich aufs Sofa, zieh mir die Decke über die Ohren und höre Talk Talk.


Mo 21.02.11
10:53


die sonne rollt, ihr feuerwagen
gibt meinem herzen takt
der kopf erledigt alte fragen

die seele ist geknackt

ich trete vor, verbeuge mich
ich sehne und erlöse
ich setze einen tiefen stich
und trenne gut und böse


wenn's nutzt steige ich heiter
allein und unbesorgt
die sprossen meiner leiter
das leben ist geborgt


16:57

Nichts ist heiter, Gut und Böse lassen sich nicht trennen, alte Fragen mögen erledigt sein, aber ständig tauchen neue auf, nutzlos wie die alten. Ein Gedicht ist eben ein Gedicht, mehr nicht. Ich muss nur aus dem Haus gehen, einkaufen, zurückkehren, es noch einmal anschauen und weiß, dass ich es zwar nach wie vor schön finde, aber ich weiß auch, dass es eine Lüge ist, die ich in die Welt setze, um mich zu vergewissern, dass ich noch da bin.

Dass das Leben geborgt ist, mag stimmen. Mir gehört es jedenfalls nicht. Ich weiß nicht, von wem ich es habe. Sie könnten einwenden, ich hätte es von meinen Eltern und die von ihren undsoweiter undsofort, dennoch, ich weiß nicht, von wem ich und alle anderen es haben, ich weiß nur, was ich nicht mehr habe, das tut weh.



Di 22.02.11
14:32

Kein Parkplatz, ich kreuze, finde ein absolutes Halteverbot: 7 - 20 Uhr, es ist fünf nach acht, Bingo. Walt wohnt am Weg. Es brennt Licht und ich denke, geh rein, Tach sagen. Hermann, sagt er. Das ja 'ne Überraschung. Er hat seine groß gemusterte, grau-weiße Bollerhose an und seinen Bass unterm Arm. Im Wohnzimmer sitzt jemand mit der Strat auf den Knien. Otto? Tach Hermann. Aaa, erwischt, sage ich, ihr übt heimlich.... Sie müssen sich Lieder draufschaffen für den Karnvevalsgig ihrer Sixties Band. Painter Man. The Creation. Walt bietet mir ein Pfeifchen. Wir kommen auf die 50er Jahre zu sprechen. Viel gute Musik gab es damals, jedenfalls, wenn ich's von heute sehe. Ich war klein, hatte keine ideologischen Scheuklappen und konnte alle Lieder mitsingen. Die meisten kenne ich heute noch. Als mir die Scheuklappen wuchsen, klangen sie mir plötzlich zu sehr nach aufgeräumtem Wohnzimmer. Dabei waren viele witzig und zweideutig. Jungs, es wird Zeit, sage ich. Gleich geht das Kino los. Was guckst du dir an? The Kings Speech, sage ich und bin weg. Guter Film. Gute Geschichte. Gute Schauspieler.



Mi 23.02.11
11:56

ich hatte mal etwas gelernt
und sofort wieder vergessen
was es war und wofür
für nichts wahrscheinlich
vielleicht für die rente
aber wozu sollte ich an rente denken
wenn nicht einmal sicher war
ob ich morgen aufstehen würde
oder vielleicht meine beine vergäße
beim frühstück
den kopf verlöre vor mittag
deshalb hatte ich mir ein boot gekauft
um übers meer zu fahren
aber das meer war tief und das boot schaukelte sehr
so dass ich mich bald erbrach
und auf einer insel an land ging
das war eine schöne insel
ich war der einzige mann dort
und die einzige frau hatte schon auf mich gewartet
sie kannte sogar meinen namen
legte sich in den schatten
spreizte sich und sagte
komm wir wollen kinder haben
ich sagte ich weiß nicht wie das geht
ich zeig es dir sagte die frau
und da dachte ich
es wäre nicht schlecht etwas neues zu lernen
ich könnte's ja gleich wieder vergessen
denn das wusste ich
ich wusste dass es wichtig ist
immer sofort alles zu vergessen
damit der kopf frei bleibt
denn so ein kopf ist ja eng
da passt zwar was rein
aber man muss aufpassen
dass er nicht zu voll wird
denn das ist ja klar
die köpfe der meisten sind viel zu voll
ich wollte nicht sein wie die anderen
ich wollte lernen vergessen und wieder lernen
und wenn ich tatsächlich die beine vergäße
könnte ich immer noch sitzen und neues in meinen kopf tun
wie äpfel in einen korb
und so sitze ich nun auf der insel
schaue aufs wasser und wenn schiffe vorbeifahren
beschieße ich sie
damit bloß niemand auf meine insel kommt
denn das wäre fatal
weil die frau mich immer noch liebt
und ich nicht einmal ihre blicke mit anderen
teilen will
und die frau will das auch nicht
und so vergehen die tage
und hin und wieder sogar die wochen
und als die jahre vorbeigerollt waren
und die vergessenen köpfe in einer höhle gestapelt
sagte ich eines abends zu ihr
hättest du nicht lust
mit mir zu sterben
ja sagte die frau lass uns sterben
und so starben wir
und die insel versank
und niemand hat je wieder von ihr gehört



Sa 26.02.11 00:19

Google hatte drei Wege vorgeschlagen. Einen über die A 43 bis Bochum Riemke, durch den Ort zur A 40, dann auf die A 52. Kurz hinter Breitscheid wird es für mich interessant, weil manchmal Flugzeuge im Landeanflug die Autobahn überfliegen. Da muss ich aufpassen, nicht in die Rabatten abzuschmieren, denn ich lege automatisch den Kopf in den Nacken, wenn Flugzeuge ´mich überfliegen. Ich wollte mal Starfighter Pilot werden, vielleicht liegt es daran.

Es gibt auch eine Route an Gelsenkirchen vorbei, die hatte ich von vornherein ausgeschlossen. Stattdessen fuhr ich über die A 43 bis kurz hinter Haltern, bog auf die A 52 an Gladbeck vorbei zur A2, A3, Oberhausen, Duisburg Kaiserberg, A 52, Breitscheid, Düsseldorf. Dieser Weg ist vier Kilometer kürzer.

Ich brauchte 80 Minuten, eh ich mich in die nicht enden wollende Kurve zum Arrival Bereich des Flughafens einfädelte, in ein Parkhaus fuhr, zwei, drei Etagen durchkreuzte, einen Parkplatz fand, ausstieg, und mir merkte, was an der nächsten Säule stand: 21/3. Ich überlegte, ob ich's mir notieren sollte, ließ es aber.

Dann suchte ich das Ankunftsgate 6c. Es liegt links außen. Dort kommen die Passagiere aus London, Birmingham, Leeds und Southampton an. Ich war ein bisschen aufgeregt, denn ich hatte Frances seit 16 Jahren nicht gesehen. Uns verbindet das Bücherschreiben und sporadische E-Mails. Ich könnte sagen, sie ist meine Brieffreundin, so wie ich früher immer englische Brieffreundinnen hatte, weil ich gern Englisch spreche. Francis kam damals mit einer Gruppe Schriftsteller zu einem Besuch nach Münster.

Als sie durch die Schiebtür kam, erkannte ich sie sofort. Wir begrüßten uns, tranken einen Kaffee, sie musste für kleine Mädchen, dann machten wir uns auf den Weg zum Parkhaus. Ich hatte schon schlechte Erfahrungen mit diesem Parkhaus gemacht. Das Leitsystem ist erbärmlich. Hinzu kam, dass ich nicht mehr sicher war, ob ich auf 21/3 und 23/1 geparkt hatte. Ich irrte eine Viertelstunde herum, ohne mein Auto zu finden.

Dann deponierte ich Frances vor einem der Eingänge und fragte eine Frau am Infostand in einem kleinen Glashaus. Die schaute sich mein Ticket an und meinte, ich müsse mindestens im zweiten, wenn nicht im dritten Stock geparkt haben. Ich ließ mir die Nummerierungen der Parkdecks erklären, überquerte die Straße, ging ins Parkhaus, stellte fest, dass ich auf 21/3 war, was mir, wie mir jetzt schien, das richtige Parkdeck sein müsste, aber mein Auto fand ich dennoch nicht. Erst als ich frustiert und schon mit leicht aufsteigender Panik zurück zur Auskunft gehen wollte, sah ich es auf der anderen Seite des Parkdecks.

Ich glaube, es sind diese Auf- und Abfahrtsspiralen, die einem den Orientierungssinn rauben. Beim letzten Mal hatte ich Schwierigkeiten, den Ankunftsbereich zu finden, weil alle Schilder, die ich sah, als ich das Deck verließ, nur auf den Abflugbereich verwiesen.

10:45

Heute früh die Nachricht, dass sich auch jüngere Menschen
in den Labyrinthen des Düsseldorfer Parkhauses verirren. Es sind sogar schon Menschen verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Andere mussten in psychiatrische Krankenhäuser eingeliefert werden. Offenbar habe ich Glück gehabt. Ein Rätsel ist jedoch noch immer nicht gelöst. Ich bin sicher, dass ich nach Ankunft das Parkdeck verließ, eine Straße überquerte, den Abflugbereich betrat, feststellte, dass es zum Ankunftsbereich ein Stockwerk hinunter ging, den Zeichen folgte, auf dem Rückweg aber im Ankunftsbereich blieb, also keine Treppe hinaufstieg, dennoch von dort unten eine Straße überquerte und das Auto schließlich auf gleicher Höhe fand. Verschiebungen im Erdreich? Halluzinationen? - Frances meint, wir wären doch eine Treppe hochgestiegen.

21:44

Tanztheater again. Diesmal nicht im Off, sondern im Kleinen Haus des Stadttheaters. Dichter Liebe, eine Choreographie von Daniel Goldin. Ich hatte angenommen, es begänne um 20:00, wir waren um viertel vor dort, aber es hatte um halb begonnen. Wir durften dennoch auf die Empore. 10 Tänzer auf der Bühne. 5 Männer, 5 Frauen. Grau gekleidet. Die Bühne: ein einem Bunker ähnelnder Raum. An der Rückwand drei (ja was) Entlüftungsschächte, deren Rückwände sich von unten nach oben zum Vordergrund neigten. Aus diesen Schächten stiegen ab und an Tänzer oder verschwanden darin. An der rechten Seitenwand zwei Feuerleitern. In der linken Ecke aufgeschichtete Steine unterschiedlicher Größe, rund meist, eingearbeitete Stufen, die zu einer halb offen stehenden Stahltür führten. Auf der Bühne: ein Liegestuhl, Stühle, ein Tisch, eine Bank. Was die Tänzer tanzten, ging mir nicht auf. Was aufging war, dass mir die Dichter Liebe zu schmerzhaft war. Ich vermisste das Glück, das damit verbundene Lachen und den Humor. Ich bin doch ein Dichter. Und ich habe Liebe in anderer Erinnerung. Es gab Szenen, in denen es schien, als hätten alle den Verstand verloren. Manchmal setzten sie sich Blondhaarperücken auf, zuckten, verrenkten die Köpfe und wirbelten mit den Armen.

Harter Beruf, dachte ich. Die Tänzer trainieren seit Kindesbeinen, haben, wenn sie einen gewissen, von Choreographen akzeptierten Standard erreichen, die Chance, in einem sehr kleinen Zeitfenster ihre Körper zu strapazieren, werden schlecht bezahlt, kommen aus aller Herren Länder, und wenn sie sich kaputt getanzt haben, können sie vielleicht noch als Lehrer arbeiten. Tänzer sind noch verrückter als Schriftsteller. Ich kann arbeiten bis ich tot umfalle. Was die Bezahlung angeht, liegen wir auf ähnlichem Niveau.

Mein Gast ist ein angenehmer Gast.
Er sitzt viel und liest. Dann und wann unterhalten wir uns.
Er ist sechs Jahre älter als ich.

22:29

Heute nachmittag im Stadtmuseum.
Ich betrachte Menschen, die Fotos von Andreas Feininger betrachten.



Ich fotografierte eins: Route 66



23:55

Jetzt freue ich mich, dass Dortmund Bayern klar besiegt hat, rauche noch eine Pfeife und gehe ins Bett.


So 27.02.11 19:42

Frances schreibt Kriminalromane. Ihr Kommissar ist weiblich und lebt in den Zwanzigern, was Frances Gelegenheit gibt, Geschichten, die sie aus Erzählungen ihrer Familie kennt, zu verarbeiten. Frances spricht ein wenig Deutsch. Sie hatte mich gebeten, ihr täglich eine Stunde Unterricht zu geben, sie wolle den üblichen Preis zahlen. Don't make me a teacher, habe ich gesagt, aber damit ihr Aufenthalt ihr Deutsch dennoch ein wenig befördert, schicke ich sie morgens immer zum Bäcker. Und mittags zum Einkaufen. Gemüsebrühe zum Beispiel. Oder, um es noch komplizierter zu machen: Schwedenmehrkornbrötchen. Das klappt. Hin und wieder sprechen wir auch Deutsch miteinander, aber meist langt das nicht, um ein Gespräch weiter zu führen, also sprechen wir Englisch, was mein Englisch auffrischt.

Heute bin ich mit ihr nach Gronau gefahren, habe ihr die Hollandsiedlung und meine Straße gezeigt (früher sozialer Wohnungsbau), habe ihr von der Stadt erzählt, von den Textilfabriken, den Bars auf der Schlossstraße, den Männern, die im Drei-Schicht-Betrieb arbeiteten, von dem über der Innenstadt liegenden Geräusch der Webstühle. Wir haben den Inselpark gekreuzt, sind durch die türkische Bahnhofstraße und die Neustraße zurück zum Auto gelaufen und nach Bentheim gefahren.

Ich wollte ihr meine Burg zeigen, das Bentheimer Schloss, den Herrgott von Bentheim (11. Jhdt.), die Folterkammern, die Kanonen und all das. Wir aßen Kuchen und tranken Kaffee im Hotel Grossfeld, ich erzählte ihr vom Dysson Blade, der dort in der Toilette hängt, der einzige Handtrockner, der tatsächlich Hände trocknet, die rotbäckige blonde Kellnerin war begeistert, dass sie Englisch sprechende Gäste hatte, und irgendwann dachte ich, wenn wir schon einmal hier sind, machen wir einen Abstecher nach Holland, dann hat Frances was zu erzählen, wenn sie morgen abend wieder zuhause ist. Fuhren über Losser nach Enschede, besuchten Iris, schauten auf einen Sprung in Carstens Studio, wo Clueless gerade mit Aufnahmen für eine neue CD beschäftigt waren, was Frances "very interesting" fand.


Mo 28.02.11 21:27

Besuch ist auf dem Weg zurück nach Leeds.
Ich hoffe auf einen ereignisreichen März und verabschiede mich.

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