Februar 2012                                        www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag


Mi 1.02.12 9:56

einer sagt,
mein arsch friert zu,
einem fällt die nase ab,
einer hat ein blaues ohr
schaut doch, sagt er, bröckelt ab.

einer ruft, es sei im osten
noch viel kälter als am rhein
lasst uns gehen, schnaps verkosten
nein, ruft da herr mensing, nein.

jammert nicht, noch drei vier wochen,
mummelt euch bis dahin ein,
schlagt euch durch, denn dann wird frühling,
denkt dran, ich hab's euch versprochen.

20:59

Neue Bestrebungen der Weltwirtschaftsrettung zielen auf die Lebenshaltungskosten von Familien. Diese, zum Führen von Haushaltsbüchern verpflichtet, werden jährlich überprüft. Bei einer Testprüfung wurde bei Herrn M. aus M. (geboren in G., ausgebildet als Spedkfm., Päd. und Schrftstl., u.a. als Grtn. und Babt tätig) festgestellt, dass dessen Lebenshaltungskosten (2 Erwachsene, 1 Katze) im Januar 2 012 (288,63 Euro) 36 Cent unter denen des Januar 2011 lagen. Herrn M. wurde daher die goldene Medaille für hervorragendes Wirtschaften unter komplizierten Bedingungen verliehen. Nun wird überlegt, ihm zur Verfeinerung seiner Kompetenzen weitere Mittel zu streichen. Das, finden wir, ist eine hervorragende Idee.


Do 2.02.12 15:26

Beim Nachbar blühen die Winterlinge.



17:19

Bei mir blüht die Fantasie.


Fr 3.02.12.
10:03

Wenn abends die Kälte ums Haus schleicht, weiß Herr M., was zu tun ist. Er hat einen Sessel, er hat eine Decke, er hat eine Lampe und Bücher. Im Augenblick liest er John Steinbeck, Jenseits von Eden, ein Buch, das er ohne Einschränkung empfiehlt, denn alles, was dort erzählt wird, ist nach wie vor gültig. Mit so einem Buch darf die Kälte ruhig noch ein wenig bleiben. Und all die anderen wollen ja auch einmal wieder gelesen werden, für's Alter ist also gesorgt.



13:54

Verehrte Freunde der Literatur, ich habe Gedichte zusammengestellt. Es sind 82 geworden. Der Arbeitstitel dieser Zusammenstellung lautet: Als der Handstand dement wurde. Das, finde ich, ist ein sehr schöner Titel. Jetzt werde ich die Gedichte ein paar Tage herumliegen lassen, und dann mal sehn, ob sie etwas taugen.

Sa 4.02.12 11:28

Der Himmel spannt blassblau bis tief nach Sibirien, ich sollte hinaus, mich bewegen, aber ich hab keine Lust. Ich will nicht allein herumstreifen. Ich glaube, ich vergrabe mich, bis das Frühjahr beginnt, sagen wir Mitte des Monats mit plötzlichem Temperaturanstieg wie vor ein paar Jahren, als die Menschen T-Shirts trugen und Eis aßen.

Am Geflügelstand auf dem Markt erfuhr ich, dass der Händler nicht genügend Suppenhühner mitgebracht hatte. Die doppelte Menge hätte er verkaufen können, sagte er, so ein Wetter sei Suppenwetter, interessant, dachte ich, überlegte, ob ich auch eine Suppe ansetzen sollte, ließ aber davon ab, denn mein Sohn mag keine Suppen.


So 5.02.12 9:37

Seit ich die Dorfpresse aus Gründen der Haushaltskonsolidierung abbestellt habe, bin ich oft nicht im Bilde. Da hilft es, wenn das Telefon klingelt und jemand mich darauf hinweist, dass heute der letzte Tag des Rundgangs an der Kunstakademie sei, ob ich nicht mitkommen wolle. Natürlich will ich. Ich bin für jeden Vorschlag dankbar, mit dem ich den Rest meiner Tage halbwegs sinnvoll hinter mich bringe. Fernsehen ist ja keine Lösung. Ständig den Opa zu machen wäre eine, aber das will ich nicht, schließlich haben Opas gewisse Vorstellungen, die nicht immer konform gehen müssen mit den Vorstellungen der Eltern, Opas können ihre Enkel mit Liebe und Geschenken überhäufen und dabei gar nicht bemerken, dass sie nerven. Das will ich auch nicht, ich bin auf der Suche nach einer autonomen Lebensform für einen 63 Witwer, der nichts lieber hätte, als seine Frau zurück. Was also tun? In den Forst gehen, abends, mit einer Flasche Whisky. Verlockend, denn das soll ja ein schöner Tod sein, kommt jedoch nicht in Frage. Was in Frage kommt, wissen wir immer noch nicht, und das nach 63 Jahren. -


21:19

wir legen vor
und fragen nie, wofür
wir fegen weg, was stinkt
wir wundern uns,
wenn eine Tür aufgeht
und öffnen links ein leck.

vom himmel winkt
uns selbsterdachtes
und in der hölle steht ein bier
auf alle zeiten kühl und macht es
für uns unmöglich, hier.


Mo 6.02.12 12:34

Insgeheim schrieb Tom Gedichte, und damals war es nur rätlich, dergleichen geheimzuhalten. Dichter - das waren bleichsüchtige Kastraten, von den Westlern verachtete Kreaturen. Zu dichten, das galt als ein Zeichen von Schwäche, Verfall, Degeneration. Gedichte zu lesen, das zog einem Hohn und Spott zu; aber gar Gedichte zu machen brachte einen in Verdacht und Verruf. Dichten galt als ein geheimes Laster, in des Wortes genauester Bedeutung. Ob Toms Gedichte gut oder schlecht waren, das wusste kein Mensch, denn er zeigte sie nur einer einzigen Person, und vor seinem Tode verbrannte er jeden Vers. Nach dem Aschehaufen im Herd zu urteilen, müssen es sehr viele gewesen sein. (aus: Jenseits von Eden, John Steinbeck)

15:38



Ich grüße euch Menschen, die ihr an eurer Erkenntnis verzweifelt, seit ihr die Frucht vom Baum nahmt und aßt. Uns hatte man auch gefragt, aber wir zogen es vor, abzulehnen.

17:08

Den Tag über Gedichte sortiert, ausgedruckt, korrigiert, und darüber eines, an dem ich vier, fünf Zeilen ändern wollte, vergessen. Als ich durch war mit meinen Korrekturen, als alles eingepflegt war, was auf meiner Liste stand, nahm ich die Gedichte, um sie zu einem an den Kanten glatten Stapel zu schütteln. Dabei fiel ein Gedicht heraus. Und jetzt raten sie, welches?


Di 7.02.12 11:34

Heute wird Herr Mensing vornehmlich auf dem Sofa liegen, Steinbeck lesen, in den Lesepausen darüber nachdenken, ob es nicht bequemer wäre, ein über siebenhundert Seiten dickes Buch in einem E-Book-Reader zu lesen, da hätte er nur dieses flache, leichte Ding in der Hand, es würden ihm die Unterarme nicht schwer und die Hände nicht krampfen, er überlegt, ob er sich das nicht endlich zulegen soll, 99 Euro sind nicht die Welt, andererseits, er hat doch in vier Wochen Geburtstag?

Und während er da so liegt, fällt feinsinnig Schnee, der aber zu nichts weiter führt als leichten, weißen Flecken hier und da, die schnell wieder verwehen. Während er da also liegt und weiß, dass seine Existenz mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen ist, fällt ihm der glatzköpfige, vor Kraft strotzende, hier und da tätowierte Mann ein, der ihm gestern abend im Hot Jazz mit seiner unverschämten Art auf den Geist ging.

Während die Sessionband spielte, tauchte er mit Verstärker, Gitarre und seinem Effektboard am Bühnenrand auf, schob den Bassisten zur Seite, die Monitorboxen woanders hin, um seinen Verstärker aufzustelllen, kroch hierhin und dorthin, um Platz für sein Effektboard und eine Steckdose zu finden, und als er das schließlich alles getan hatte, war die Band mit einem Lied fertig. Er redete mit niemand, sondern begann auf der Stelle zu spielen.

Doppelt so laut wie der viel viel bessere Gitarrist, der vor ihm gespielt hatte, und da blieb Herrn M. nichts, als still nach Hause zu fahren, sich bei Herrn Domian noch ein Viertelstündchen über das Elend der Welt zu informieren, um dann ins Bett zu kriechen.

Die Gedichte liegen bereit, die Verlegerin in Berlin weiß Bescheid, wir haben vereinbart, ihnen noch einen Nachreifeprozess zu gönnen, eh ich sie fort schicke, eine neue Idee habe ich noch nicht, woher auch, ich kann Romane nicht scheißen, deshalb werde ich meinen Fokus in nächster Zeit verstärkt darauf richten, all die Romane, die noch unveröffentlicht hier und dort auf Festplatten und in Kartons im Keller lagern, zu sichten, ihnen Exposés auf den Leib zu schreiben und damit die Schreibtische der Verleger zu fluten. Was natürlich so gut wie aussichtslos ist, denn 98% aller eingereichten Manuskripte werden abgelehnt.

Dennoch ist Hoffnung da. Gestern abend habe ich erfahren, dass die Kinderbuchcouch, die mit mir im letzten Jahr ein so informatives und entspanntes Video-Interview geführt hat, für den ersten Jugendbuch-Medienpreis nominiert ist, und da hoffe ich natürlich, dass die Jury bei ihrer Entscheidungsfindung auch auf dieses Interview gestoßen ist und denke, vielleicht fällt etwas für unsereins ab. Man weiß das nie. Ich bin es aber gewohnt, mich an jeden Strohhalm zu klammern.

21:20

Dreimal bin ich als Kind beim Schlittschuhlaufen im Eis eingebrochen, einmal war es gefährlich, da hat mich ein alter Mann mit dem Krückstock aus dem Wasser gezogen, deshalb war ich, als ich heute zum Aa-See kam, zunächst vorsichtig und hielt mich in der Nähe des Ufers auf.

Aber an Stellen, an denen Risse querliefen, konnte ich sehen, dass das Eis sehr dick war, ich schätzte es auf mindestens 15 Zentimeter. Der Wind kam aus Nordwest, und nachdem ich eine Runde über die renaturierte Aa gelaufen war, beschloss ich, den See hoch bis zu den Aa-See Terrassen zu laufen.

Schlittschuhlaufen verlernt man nicht. Die ersten Schritte sind immer ein wenig unsicher, aber wenn das Gleiten beginnt, wenn man in Schritt kommt, ist es, als hätte man nie anderes getan. Gegen den frischen Wind machte das allerdings Mühe. Auf dem Rückweg war es wie Fliegen, wunderschön.

Die Kälte kroch mir in die Knkochen, aber das fiel mir erst auf, als ich wieder zuhause war. Nicht einmal unter der Decke wurde mir warm. Ich legte mich in die heiße Wanne, danach war es besser, aber ich bin dennoch erschöpft. Schlittschuhlaufen ist anstrenger als Salsa Tanzen. Salsa tanze ich drei Stunden ohne Erschöpfung, auf Schlittschuhen war ich kaum eine Stunde.


Mi 8.02.12 9:49

Man sollte meinen, dass seit Einführung der digitalen Datenverarbeitung ein, zwei Klicks genügen, um Veränderungen in Datensätzen zu etablieren, an alle Abteilungen des Hauses weiterzuleiten und so sicher zu stellen, dass keine falschen Briefe mehr in die Welt gesandt werden, keine Rechnungen, keine Werbung, keine Fragen oder Kontoauszüge, wie der, den ich heute bekam, adressiert an Christine Mensing z. Hd. Herrn Hermann Mensing.

Erstens: meine Frau heißt Christiane. Zweitens: sie ist am 17. Juni 2009 gestorben.

Nicht, dass es mich umwirft, wenn immer noch Briefe für sie eintrudeln, nein, ich verstehe das schon, die Apparate sind groß umd kompliziert, da kann man nichts machen, die Mühlen mahlen langsam etc. pp., trotzdem tut jeder Brief weh. Bei jedem Brief denke ich, irgendjemandem müsste ich ihn um die Ohren hauen, damit der Apparat endlich begreift, was ist und was nicht mehr ist.

Ich zum Beispiel bin noch.

Nicht, dass ich hundert werden möchte, aber meine Mutter wurde 97, die Medizin schreitet fort und fort und ist stolz, wenn sie jemanden retten kann, der anschließend noch fünf Jahre im Rollstuhl sitzt, sabbert und sich fragt, wieso er sich gar nichts mehr fragen kann. Ich habe also Aussichten oder alles ist aussichtslos, das mag jeder selbst entscheiden, ich bin und im Geiste zerre ich Computer, die meiner Frau ungefragt Briefe schicken vor ordentliche Gerichte. Dort werden ihnen zur Strafe die Festplatten entfernt.

Wenn dann noch ein Sachbearbeiter sagt, oh, das täte ihm aber leid, hau ich ihm in die Fresse, so wie ich mir seit Kindesbeinen wünsche, denen, die das große Maul haben, in die Fresse zu hauen, einmal auf die Zwölf, einmal richtig auf die Zwölf. Es darf Blut fließen und Zähne dürfen herausfallen. Ich wüsste schon, wen ich einer solchen Behandlung unterziehen würde.

Gut. Aber ich bin ein friedlicher Mensch, ein ins Alter taumelnder Hippie, der nicht von den Gewohnheiten seiner Jugend lassen mag, ich trage Worte herum wie andere Gitarrenkoffer, auf denen This machine kills steht, darin erschöpft sich mein Protest gegen die Welt, die, das wissen Sie ganz bestimmt, nie zu retten war und nie zu retten sein wird.

Nun aber noch einmal hinaus an die Luft, ich hatte vergessen, Butter zu kaufen, ein Brötchen ohne Butter schmeckt nicht, und bei dieser Gelegenheit werde ich mit meinem Berater an der Sparkasse die Zähne ausschlagen. Die Welt ist schön, das wissen sie sicher auch, und man muss eigentlich nur warten, bis es vorbei ist.


Fr 10.02.12 14:06

Fest steht, dass mir vom Schlittschuhlaufen das rechte Bein schmerzt. Das tut es beim Salsatanzen nie. Fest steht auch, dass ich vorsichtiger werde. Ich sehe das Eis, ich spüre das Wasser, gut, denke ich, das Eis ist fest und dick, aber da laufen Risse kreuz und quer, die Oberfläche spannt, dann und wann höre ich das singende, seltsam hohle Reißen im See, Töne, die nicht unbedingt Gutes verheißen, obwohl sie sehr schön sind. Also fahre ich weiter in Ufernähe, und wenn ich den See kreuze, schleicht sich ein Unbehagen heran. Unter der großen Brücke beschleunige ich, um sie so schnell wie möglich zu unterqueren. Diese Vorsicht hat wohl mit dem Alter zu tun. Dennoch ist es schön, über den See zu gleiten. Anstrengend und schweißtreibend.

Gleich gehe ich auf den Markt, heute abend gehe ich tanzen. Ich tanze gegen den Schmerz und die Einsamkeit, ich spüre dich überall, ich sitze in meiner neuen, mir gänzlich unbekannten Welt und versuche mich einzurichten. Ich habe Pläne, aber wie es weitergeht, weiß ich nicht, ich werde ausharren und warten, bis ich wieder von vorne beginne, denn so ist das immer: eine Arbeit ist getan, es scheint, als wäre es die letzte gewesen, als würde ich nie mehr den Mut aufbringen, eine neue in Angriff zu nehmen, aber ich weiß, dass das nicht stimmt, es fühlt sich nur so an.

Die Zeit nach Beendigung eines Romans ist zermürbend und es gibt nur einen Weg gibt, dieser Zermürbung zu entkommen: von vorne beginnen. Die Vorstellung, diese Arbeit so lange tun zu können wie ich atme, ist von allen Vorstellungen, die ich je mit dem Schreiben verband, die mir Angenehmste. So angenehm, dass sie all die Mühen und das Verzweifeln, die das Schreiben mit sich bringt, erträglich macht. Ja, sage ich dann, es war eine gute Entscheidung, Schriftsteller zu werden. Und noch während ich das sage, steigt eine große Furcht auf. Sie mutmaßt, ob ich nicht doch der Selbsttäuschung auf den Leim gekrochen bin, und das Motiv, das mich Schreiben lässt, nicht vielleicht Eitelkeit ist.

Man hat's nicht leicht, aber leicht hat's einen, sagte man da, wo ich herkomme.


Sa 11.02.12 2:29

ich könnte noch
ein nachtgedicht verfassen,
ich könnt' mir (hätt' ich) einen blasen lassen,
ich könnte eine folge töne singen,
und mich darauf zum himmel schwingen,
ich würde dort verschwiegen auf der wolke sitzen,
den rest der nacht im all verschwitzen,
ich könnte besser dieses und ich ließe das,
und hätte außerdem noch viel mehr spaß,
wenn alle, die ein herz am fleck besitzen,
nicht ständig ihre nerven ritzen,
ich zöge still die dritte zeile raus,
und rief noch: schlaft gut leute, aus.

14:26

am mittag geb ich klaglos zu,
dass meine wünsche wünsche bleiben,
ich senk schon mal das lid, und du
wirst mir die zeit vertreiben.

ich mache mir das sofa untertan,
ich ordne die lektüre,
ich knote mir das hirn im wahn
dass mich der tag verführe.

ich koche nicht,
ich geh nicht an die frische luft;
ich bin schon fast so weit,
ich atme flach, ich bin bereit,
und rieche den besond'ren duft.


So 12.02.12 17:35

ich nehme eine handvoll
ich hauch ihr leben ein
reib mich an ihrer asche
und bin nie mehr allein.

ich habe eine seele
mit allem drum und dran
und einer hohen stele
zum klettern dann und wann.

ich helfe mir mit abklatsch
heb tänzerinnen aus
ich trage unterwäsche
aus fellen einer maus.

ich bin ein träger haufen
ich platz vor energie
ich will noch lange laufen
und weiß ich liebe sie.


Mo 13.02.12 10:22



13.02.1953 - 17.06.2009


bei dem mann
wohnte eine sehr schöne frau
sie war eingezogen
als der mann noch jung war
und voller flausen
sie hatte gesagt liebe mich
und er hatte gesagt ich liebe dich
und sie hatte gesagt liebe mich immer
und er hatte gesagt was glaubst du denn
jeden tag hatten sie alles und nichts gewürfelt
jeden tag hatte einer gesiegt und einer verloren
jeden tag hatte einer gelacht und einer geweint
nie war das leben schöner als mit dieser frau
und wenn sturm kam war immer schutz
und wenn schönes wetter kam war immer etwas zu trinken im haus
und wenn alles am boden lag stand immer einer auf
und wenn einer aufstand kam der andere immer zu hilfe
und wenn alle spotteten
wussten sie
was zu tun war
immer war alles richtig
selbst wenn es falsch war
war alles so
wie man es sich träumen kann
wenn man weiß wie man träumt
und so träumten der mann und die frau
sie träumten ein leben lang und hofften
sie gingen irgendwann gemeinsam dahin
wo alle hingehen wenn der schlitten ins eis bricht
aber dann kam ein mörder und nahm sie ihm fort
seitdem steht der mann auf dem eis
hat ein leeres herz
und sein schlitten wartet und wartet
aber das eis bricht nicht
sein winter hält an und der frühling verspottet ihn


Di 14.02.12 13:46

Ich hatte gebügelt, ich hatte Staub gesaugt, nun stand ich in der Küche, um mir Kaffee zu kochen. Nebenher spülte ich, räumte ein wenig auf und ging mit einem Lappen herum, um hier und da etwas zu wischen. Dann kam mein Sohn und erzählte mir aus seinem nervenaufreibenden Leben als Fußballfan und von dem Buch, das er gerade liest. Während ich zuhörte, lief auf der gegenüberliegenden Seite ein Mann die Straße hinab, der mir zunächst durch seine Größe auffiel.

Sehr groß, breit, mit einem Kopf wie ein Fußball und einem sich nach innen konzentrierenden Gesicht, eines, das man anschaut und hässlich findet, und wenn man genauer hinschaut, denkt man, dass der Mann vielleicht krank ist, dass ihn irgendein Teufel reitet, von dem man selbst nichts weiß, und dass dieser Teufel sehr mächtig ist, mächtiger als er, und dann hat man Mitleid, denkt, armes Tier, wahrscheinlich einer der Menschen, die fünfzig Meter die Straße hoch betreut wohnen.


Ich habe guten Kontakt zu den Bewohnern, die meisten grüßen, mit einem spreche ich regelmäßig, er ist sehr mitteilsam und unsere Gespräche lassen sich meist nur beenden, indem ich mich verabschiede und einfach fort gehe, während er noch da steht und mir Geschichten nachruft, bis ich außer Hörweite bin.

Diesen großen Mann aber hatte ich vorher noch nicht gesehen. Er blieb stehen und schaute zu unserer Wohnung herüber. Er war unschlüssig, was zu tun ist, aber mir war klar, dass er etwas gesehen hatte und ahnte auch, was. Nach dem Staubsaugen hatte ich die Toilette gereinigt und danach das Fenster weit geöffnet. Heute ist einer der ersten durchgehend frostfreien Tage seit zwei Wochen, da tut frische Luft in der Wohnung gut.

An unserer Toilettentür hängt das Plakat eines Rundgangs der Kunstakademie von 1999, das oft Aufmerksamkeit erregt, wenn Menschen vorüber gehen.





Das schien ihn zu faszinieren. Eine Weile schaute er herüber, ging einen Schritt, besann sich, blieb stehen, war offensichtlich kurz davor, eine Entscheidung zu treffen, was ihm aber nicht leicht fiel, denn als er sie schließlich getroffen hatte, als er die Straße überquerte, versuchte er sich zu tarnen, indem er die Straße diagonal kreuzte und erst einmal ein paar Schritt in die entgegengesetzte Richtung tat, um dann umzukehren, vorm Fenster vorbeizulaufen, flüchtig hineinzublicken, weiter zu gehen, wieder zu halten, schließlich mit einem Ruck umzukehren, um endlich vorm Fenster stehend hinein zu starren.

Ich ging in die Toilette, um das Fenster zu schließen. Ich wollte sehen, wie er reagiert, und er reagierte, wie ich gedacht hatte: wie ein ertapptes Kind drehte er sich abrupt weg und ging in die Richtung davon, die nicht seine anfängliche Richung war, blieb nach ein paar Metern stehen, drehte um und ging dann eilig die Straße hinab.


Mi 15.02.12 9:53

das licht am himmel schwindet,
und dunkel kommt die einsamkeit,
herr piazolla spielt,
ein leid
schleicht in mein herz und findet
die schätze, die dort sicher sind,
die tage, blicke, und die ehre,
die du mir gabst, als du mich nahmst,
bis krebs dich fort zog und du nicht zurück kamst

16:33

Reichtum kam zu den Armen im Geist, zu den Armen an Erlebnis und Freude. (John Steinbeck: Jenseits von Eden)



Do 16.02.12 9:52

Wir werden fünf sein. Zwei hole ich zuhause ab. Sie wohnen in bester Lage bei Mutter und Vater, die eine bewegte Vergangenheit haben und ein Haus, in dem Kabel aus den Wänden staken und Tapeten aus grauer Vorzeit unwiderstehlichen Charme verbreiten. Die Söhne steigen in mein Auto, auch sie Mediziner, angehend der eine, der andere bereits promoviert, aber wenig motiviert, sein Leben als solcher zu verbringen. Er träumt vom Aufstieg in den Popolymp und hat einen Starschnitt einer Sängerin dieser Wie-heißt-sie-noch Ostdeutschen Band an der Wand. Nein, nicht Wir sind Helden, noch schlimmer.

Ich fahre mit ihnen in die Stadt. Wir wollen in einer Gaststätte an einem Quiz teilnehmen. Die Kneipe, die lange das Gesicht des Viertels als eingesessene Gaststätte geprägt hat, wurde letztlich von einem koksenden Junggastronomen, der seit einem halben Jahrzehnt die Stadt mit neuen Konzepten flutet, in ein beige und braun getunktes Wohnzimmer mit Skai-Ledersofas und kleinen, an den Wänden umlaufenden Lampen mit Schirmen dekoriert, die aussehen wie umgedrehte Nachtmützen, und war, als wir eintraten, gerammelt voll.

110 Menschen, erfuhren wir später, 110 Menschen, die sich auf freiwilliger Basis in 24 Rateteams eingefunden hatten, die alle mehr oder weniger originelle Namen trugen, die ich mir nicht gemerkt habe, weil ich ja nicht arbeitend, sondern als mich Vergnügender unterwegs war.

Wir nannten uns die Grübelmonster, und jeder zahlte zwei Euro Teilnehmergebühr. Wie gesagt, zwei Mediziner, ein angehender Grundschullehrer, ein Kleinunternehmer in Sachen Edelmetallhandel und E-bay-Verkäufe, ein Schriftsteller: Grübelmonster.

Zehn Durchgänge, wer mit seinem Smartphone mogelt, wird gesteinigt. Nach acht Spielrunden liegen wir im gehobenen Mittelfeld, nach Ende des Spektakels sind wir auf Platz zehn und werden als hoffnungsvolles, bisher noch nicht in Erscheinung getretenes Team gewürdigt.

Mein Beitrag: Hannah Ahrendt und das Decamerone von Bocaccio. Immerhin.

Danach war ich noch ein wenig Trommeln im Hot Jazz. Ich dachte, ich könne meine neue Schlagzeugtechnik, an der ich seit vier, fünf Wochen arbeite, endlich einmal überzeugend einsetzen, aber das gelang nicht. Alles, was ich zuhause konnte, schien wie weggeblasen, und der leichte Muskelschmerz im rechten Unterarm, der als Folge der neuen Technik und der damit verbundenen, nicht gewohnten Bewegungsabläufe schon einmal aufgetreten war und mich ein wenig besorgt hatte, trat auch wieder auf. Der Bassist war ein blutiger Anfänger, der die harmonische Abfolge der Stücke von seinem I-Phone ablas, und so hatte ich niemanden, auf den ich mich verlassen konnte. Das als Metapher zu deuten, liegt nahe.

Ansonsten stilles Verharren, Sehnen nach Frühling, Warten, dass es mit den Lesungen losgeht, Warten, dass die Verleger Piep sagen. Nirgendwo Neues in Sicht, also quasi Normalzustand. Und da es heute grau ist, wird auch wohl kaum etwas auftauchen. Noch ein schnelles Gedicht? - Ich weiß keines. - Jenseits von Eden habe ich zuende gelesen. Ein Buch, das die meistens anderen überflüssig macht, sagen wir es mal so.

11:05

doch ein gedicht,
es heißt, jetzt oder nie,
ist ein leichtgewicht,
und hat zittrige knie.

es versteckt sich gern,
hat nichts zu sagen,
hockt und ist stern-
hagelvoll dummer fragen.

es ist zuende,
eh es begann,
es spräche bände,
und sagte, bis dann...

11:47

Gerade fällt mir ein, dass die Band Silbermond heißt.


Fr 17.02.12 9:36 Loop: 13:56

sagen sie,
hat irgendjemand
irgendwo schon irgendwas gehört,
oder hat sich anderswo
jemand dran gestört?

und was hat das alles
nur mit mir zu tun,
bringt der fortgang dieses falles
mich dazu, zu ruhn?

treibt es mich
mit peitschen
durch die nächste tür,
lässt es mich dann weit sehn,
oder lässt's mich hier?

froher morgen,
milchig, feucht und grau,
mit beleuchtung,
ohne sorgen, keine frau.

schließlich - mittags,
immer noch kein licht,
schmiere mir ein butterbrot,
wag's und schäm mich nicht.

stunden später
wenn die nacht mich überfällt,
warten ich und mein verräter,
auf den untergang der welt.


So. 19.02.12 14:43

Es war im Februar 2004. Vor mir lag ein Merkheft von Zweitausendundeins. Ich blätterte, hier und da fiel mir eine Zeile ins Auge, noch eine und noch eine. Aus diesen Zeilen ist der folgende Text enstanden. Der Loop dazu stammt aus dem Song I have never learnt to share von James Blake, eine CD, die ich über den grünen Klee lobe.



Nietzsche küsst den Hund des Philosophen,
Wittgenstein verlacht die Welt,
Egners Komik kommt grotesk verbogen,
M. hat sich ein Repetiergewehr bestellt.

So kompakt und leicht verständlich,
frisch verpackt, sensationell,
wiehert er und lächelt schändlich,
keine Tränen, er ist well.

Unverzichtbar, wenn die Mäuse Katzen jagen,
Magazine durch den wilden Westen tragen,
rammelvoll und reihenweise Rares,
gegen unverständlich wenig Bares.

M. schießt sich ein auf Adderley,
verirrt sich dann im großen Ton,
trifft der neuen Kultfigur ins Knie,
spannend, wild, wir wussten's schon.

Ten Years After gehen in die letzte Strophe
los mit Draußendrin und Spielen,
Capri, du mein Herz, du Trauerkloß,
willst wohl still sein, Sonntag ist, lern zielen.


16:02

Eilmeldung betr. Frühling: 16:02 - Zugvögel in großer Höhe aus Südwest.


Mo. 20.02.12 12:11

Gleich machen sich die Lindwürmer des Frohsinns auf den Weg, und ich bleibe zuhause. Man könnte einwenden, das sei dumm, aber mir fällt nichts Besseres ein. Schriebe ich ein Gedicht, könnte ich heute abend zumindest behaupten,ich hätte meine Kräfte für mehrere Minuten gebündelt.

Ich könnte auch eine Narrenschelte hochladen, aber das wäre zu einfach. Ich bin ja ein Narr. Ich könnte vorneweg marschieren. Die Sonne scheint. Die Narren sind zu beneiden, ich weiß, aber mir liegt das nun einmal nicht, mir ist wie immer nach Flucht, nur wohin, bleibt im Raum. Geh raus, ruft die innere Stimme, häng Wäsche auf, sagt die andere, dreh' dir einen, ruft wieder eine.

Tröstlich ist, dass ich nicht der einzige bin, der trotz dieser Ratlosigkeit immer wieder versucht, das zu tun, was ihm am Nächsten und Besten erscheint, seiner Arbeit nachzugehen, sie jedes Mal aufs Neu zu bestaunen, neugierig zu bleiben wie Gerhard Richter, dem ich gestern im Kino für eineinhalb Stunden bei seiner Arbeit zuschauen durfte.


Di. 21.02.12 11:33

Meist funktioniert es ja, dieses moderne Busleitsystem, das seit Jahren auf digitalen Anzeigen an den Haltestellen vermeldet, wann welche Busse kommen. 18 Minuten hieß es gestern gegen 16:30. Ich hatte mich doch auf den Weg gemacht, ein Spaziergang, hatte ich gedacht, der Klassiker, durchs Aa-Tal, durch den Zoowald, über den Berg, Pause an den Aa-See-Terassen mit Kaffee und Kuchen, dann hinein ins närrische, ohrenbetäubend laute Gewühl, das, so mein Eindruck, zunehmend von jungen Menschen zum Alkoholkonsum genutzt wird. Ältere Menschen hatten sich je nach Geschlecht mit Hüten oder auf Wangen gemalte Herzen unkenntlich gemacht und riefen Helau, eine Aufforderung, man möge ihnen Rosen, Bonbons oder am liebsten doch eine Tafel Schokolade zuwerfen.

16:30 also, und ich dachte, setzt dich, schau ein wenig herum, beobachte, wer wohin fährt, das ist interessant, denn ob ich will oder nicht, ich ordne die Menschen ein und zu, und sehe mich bestätigt, wenn sie Busse steigen, die ein sozial auffälliges Viertel ansteuern oder eben ein anderes.

Zehn Minuten noch bis zur Ankunft, die kriege ich rum. Neben mir sitzen ein Mann mit Löwenmähne und eine junge Frau mit sieben Piercings im rechten Ohr (ihr linkes konnte ich nicht sehen) und vier in der Nase. Wenig vor mir steht ein Siebzigjähriger mit grün-weißer Narrenkappe, und ebensolchem Schal. Er gehört zu den Witte Müsen. Die Anzeige 3 sagt Minuten. Beim nächsten Blick ist sie wieder auf acht gesprungen, und ich beginne mich zu ärgern. Dann, plötzlich, erscheint mein Bus auf der Anzeige als abfahrbereit, obwohl zwei andere Busse dort stehen, wieder eine Minute später verkündet die Anzeigetafel, mein Bus sei bereits abgefahren. Okay, Karneval, denke ich, Straßen sind gesperrt, Umleitungen werden gefahren, so etwas kommt vor. Trotzdem Scheiße. Der nächste Bus kommt laut Anzeig in fünfzehn Minuten. Und er kommt tatsächlich.

Den Rest des Tages habe ich vertrödelt.

14:23

gut, schreib es hin,
erzähle, dass es sinn macht, zu erzählen,
erzähle, dass es trostlos schön ist, sich zu quälen,
erzähle, dass man's masochismus nennen kann,
erzähle, dass man dann und wann,
an stricken baumelt und's schon läuten hört,
und trotzdem wieder das erzählen anfängt und sich selbst betört,
erzähle, von den abenteuern unterwegs, von fallen,
von zweifeln, siegen, doch vor allem
vom glück, dass dir zur unterhaltung kapriolen schlägt,
von diesem hoch, dass immer übers nächste tief trägt,
erzähl' es, mehr dazu ist nicht zu sagen,
erzähl' es, sag einfach: du musst wagen.


Mi 22.02.12 14:23

Es ist mild. Schon seit heute früh juckt es mich, Hausputz zu machen. Die Möbel habe ich mit Politur bearbeitet, Staub ist gesaugt, gleich kommen die Fenster dran. Ist das ein Zeichen? Unter Umständen ja.


Do 23.02.12 00:21

gebt mir ein wort,
nur eines, eins, das euch gehört,
schenkt mir ein herz, ein großes,
eins, das mich betört,
das mir den schmerz nimmt,
der seit jenem tag mit mir spazieren geht,
und das mich einspinnt,
wenn der frühlingswind ins zimmer weht,
lasst mich allein, haltet mich fest,
ich mag euch nicht, ihr seid die pest,
ich liebe euch, ich atme ein,
und werde trotzdem einsam sein.


10:34

Was nun Herrn Max Prosa anlangt, dessen Konzert in der Sputnikhalle ich gestern besuchte, meine anfänglich durch den You-Tube Kanal TV Noir gespeiste Begeisterung hat sich nicht bestätig. Gut, ich bin schon nach vier oder fünf Liedern gegangen, was vielleicht unfair war, aber mir er ist doch zu jung, vielleicht liegt es daran. Vielleicht mögen ihn kleine Mädchen, wie er da, groß und schlaksig, theatralisch mit gereckten Arm und gespreizten Fingern die Luft harkt. Wahrscheinlich lag es einfach an mir, denn ich war rundum lustlos gestern, man hätte mich auf Marilyn binden können, jedenfalls ist erstaunlich, dass fast sechzig Jahre nach Erfindung der Gitarren basierten Pop-Musik immer wieder Menschen auftauchen, die diese Tradition klaglos weiterführen. Ich schließe daraus, dass sich die Welt in einem atemberaubenden Stillstand befindet, zumindest emotional, während ja auf der materiellen Ebene ständig Dinge erfunden werden, von denen wir nicht einmal wussten, dass wir sie benötigen. Nun denn. Ich kann es nicht ändern und krieche wieder zurück in meine Erdhöhle, dort ist es warm.

12:59

Gerade erfahre ich, dass meine Erfolgskurve mal wieder steil nach oben zeigt. Die von der Büchereizentrale Niedersachsen geplante Lesereise ist mangels Interesse gecancelt. Schießt mir ein Loch in den Kopf, gebt mir Arbeit, bei der ich nicht nachdenken muss, und dann Pensionierung, noch eine Weile dahin vegetieren, und weg.


Fr 24.02.12 9:41

Als ich das Buch in die Hand nahm und die ersten Sätze las, dachte ich, gut, das könnte anschließen an das große Vergnügen, das ich mit Steinbecks Jenseits von Eden hatte. Carlos Ruiz: Das Spiel des Engels. Hintendrauf großes Lob. Wortgewalt. Herrlicher Schmöker etc. Die ersten Seiten gingen noch, dann uferte es aus, alles passiert irgendwie, irgendwo, alles wird behauptet, der Fantasay-Cocktail wird geschüttelt und ich soll glauben, ich sei im Barcelona vor achtzig Jahren.

Als der Held auf Seite 48 reglos wie eine Spinne stehen bleibt, war es mir zuviel. Spinnen sind im Netz zwar reglos, aber sie bleiben nicht stehen, ich fand das Bild schlampig, und ab da hatte Herr Ruiz meine Sympathie verloren. Schade, dachte ich, siebenhundert Seiten, damit hätte ich gemütlich den ein oder anderen Abend mit verbringen können.

Nachtrag 5.3.12 22:31

Ist doch spannend.


Sa 25.02.12 10:29

bin ausgeruht
und reiße bäume aus,
die niemand interessieren,
ich habe meinen affen gut dressiert
und fürchte nicht, ihn zu blamieren.

vor jedem tanz weiß ich, dass körbe warten,
trotzdem verbeug ich mich, um neu zu starten,
mir ist, als wäre alles einerlei in fässern ohne grund,
die schönsten träume sind für zwei, komm, küss mich auf den mund.

vergolde mich, eh alles weggeworfen wird,
die welt ist doch nicht wirklich rund,
erkläre dich, damit mein herz nicht länger friert,
sonst komm ich auf den hund.


Mo 27.02.12 10:48

Am Samstagabend war meine Stimmung auf Null. Die Lesetour durch Niedersachsen war wegen mangelnder Finanzen gecancelt, und ich hatte mich so sehr darauf gefreut. Im letzten Jahr hatte man mich nach einer Literaturwerkstatt in einer Stadtbücherei in Niedersachsen weiter empfohlen. Das, worum ich meine Kunden immer bitte, hatte gefruchtet, ich war glücklich, hatte mir alles schon ausgemalt, heute hier, morgen dort, eine Woche lang jeden Tag irgendwo lesen, und dann diese Ernüchterung.

Nun ist es nicht so, dass mich Ernüchterungen aus der Bahn würfen, ich lebe seit ich denken kann von Hoffnungen, die sich erfüllen oder nicht, aber nachdem diese geplatzt war, war ich niedergeschlagen. Es ging gegen acht, ich wusste nicht recht, wie ich den Abend verbringen sollte, würde ich auf diese Party gehen, oder bliebe ich besser zuhause, ich öffnete mein E-Mail Konto, rief eine Mail ab und sah im Betreff, dass diese Mail mir einen weiteren Schlag versetzen könnte. Einen, von dem ich insgeheim längst dachte, dass ich danach nicht wieder aufstehen würde, dass es der Anfang vom Ende wäre, also schlug mein Herz bis zum Hals, als ich die Mail öffnete.

Kein Knock-Out. Das grüne Kleid gefällt dem Verleger, bald wird das Lektorat beginnen, und ich schätze, dass der Roman im nächsten Jahr erscheint. Darauf bin ich stolz. Jetzt ist die Hoffnung zurück. Ich gehe in die nächste Runde. Ob und wer mich da niederschlägt oder mir den Siegerkranz umhängt, steht in den Sternen, aber das beunruhigt mich nicht. Alles steht in den Sternen, falls man geneigt ist, an die Sterne zu glauben. Ich las die Mail einmal, zweimal, dreimal, setzte mich aufs Rad und fuhr auf die Party.

Gestern sah ich mir die Goldene Pracht an, eine Ausstellung sakraler Goldschmiedekunst des Mittelalters. Prächtiges Handwerk, Silber, Gold, Edel- und Halbedelsteine, alles zum Lob und zur Ehre Gottes, hohe Kunst zur Verdummung und Unterdrückung abhängig gemachter Gläubiger, die, das ist im Augenblick in Afghanistan gut zu beobachten, in ihrer Unwissenheit jeder noch so idiotischen Idee anhängen. Besonders befremdlich sind mir Reliquien, die in Büsten und Kreuze eingearbeitet waren, Knochen von Heiligen, Dornen aus Jesus Dornenkrone, Zähne, es ist zum Haareausreißen, und doch hat die Christianisierung im achten Jahrhundert unsere Geschichte geprägt. Mehr noch, der Fundamentalismus (nicht nur der christliche) ist überall aktiv, und versucht mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, Einfluss auf die Politik geltend zu machen, und es gelingt ihm, als hätte es die Aufklärung nie gegeben.


Mi 29.02.12 9:46

Im analogen Mittelalter lagerte ich die Ergebnisse meiner Arbeit in Kartons im Keller. Wenn etwas benötigt wurde, etwa, weil eine Idee in meinem Hinterkopf marodierte und ich den Eindruck hatte, dazu hätte ich schon etwas gesagt, stieg ich hinab und begann eine meist langfristige Suche, denn ich war nie ein penibler Archivar.

Seit Beginn der digitalen Neuzeit, die bei mir Anfang der 90er Jahre begann, als ich noch glaubte, MS-Dos habe etwas mit Münster zu tun, schlummert alles, was ich je geschrieben habe, auf der Festplatte meines Rechners und die zu durchsuchen ist ein Kinderspiel.

Da ich fleißig bin, wie Sie feststellen würden, wenn Sie sich drei, vier Jahre Zeit nähmen, um sich unter www.hermann-mensing.de kundig zu machen, war es kaum verwunderlich, dass diese Festplatten, die ich nun auch mit Musik, Fotos und Filmen bespielte, schnell zu klein wurden, obwohl die Rechner, die ich mir alle drei bis fünf Jahre kaufte, immer leistungsfähiger wurden. Also führte kein Weg an einer externen Festplatte mit heute schon wieder lächerlichen 80 Megabyte vorbei.

Digitales Schreiben benötigt kaum Speicherkapazität. Alles, was ich bis heute geschrieben habe, passt auf einen Memorystick. Die Arbeit mit Texten und Loops jedoch, die ich seit drei, vier Jahren mit großer Freude verfolge, veränderte das radikal, und so war ich begeistert, als mein Ältester mir vor ein paar Tagen seine ausgediente 400 Gigabyte-Festplatte überließ.

Ich schloss sie an und begann mit dem Transfer von der kleinen zu neuen großen externen Festplatte, was tadellos funktionierte. Als ich aber daran ging, Daten von meinem Rechner auf die externe Festplatte zu senden, stürzte der Rechner ab, was er sonst selten tut, danach erkannte er die externe Festplatte nicht mehr.

Mein Versuche, über den Gerätemanager Treiber zu aktivieren, die vielleicht benötigt würden, führten zu nichts. Stattdessen machte die externe Festplatte klackende Geräusche. Beifall für Idiotie vielleicht, ich weiß nicht, ich schaute in Hilfsforen nach und erfuhr, dass diese spezielle Samsung-Festplatte als zickig verschrien ist, aha, dachte ich, wenngleich mein Ältester mir versicherte, bei ihm habe sie klaglos und über Jahre Dienst getan.

Mich hat sie offenbar nicht akzeptiert, ich nehme an, sie ist kaputt. Vielleicht, weil sie mir hingegfallen war, aber hingefallen war sie vor dem ersten Versuch, und als sie fiel, war sie nicht in Betrieb, zudem steckt sie in einem Schutzgehäuse. Mir wird wohl nichts bleiben, als in die die Stadt zu fahren, um eine neue zu kaufen.

Es ist diesig, es ist mild, wenn jemand den wässrigen Dunst auflöste, wäre Frühling.
Also, aufs Rad und los.

16:47

Kaum hatte ich die Stadt erreicht, geriet ich in eine frohe, dem Konsum zugewandte Stimmung
.

Der Fachverkäufer eines großen Medienmarktes antwortete auf meine Frage, ob es externe Festplatten gäbe, 200 Gigabyte maximal, 50 Euro plus minus, nein, die thailändische Industrie haben sich noch nicht von den Überschwemmungen erholt, da läge noch vieles im Argen.

Seltsam, der Tsunamie liegt doch Jahre zurück, außerdem hatte ich geglaubt, der Elektroschrott dieser Welt stamme aus China, aber es wird wohl sein, wie es ist, dachte ich, bis mir bei Niederschrift dieses Textes einfiel, dass ich doch vorgestern, vor vier Wochen oder um Weihnachten von Überschwemmungen gehört hatte, die selbst den dort ansässigen Wasserbüffeln zu weit gegangen waren, vom Kollaps der Koitus-Industrie einmal ganz abgesehen.

Die sind verantwortlich für die schlechte Versorgungslage am Markt, fuhr der glatzköpfige, von unausgewogener Ernährung verformte, etwa 30jährige Fachverkäufer fort, die Preise, raunte er, seien im Augenblick doppelt so hoch wie normal, warten Sie ein halbes Jahr, dann hat sich das eingependelt. Angebot und Nachfrage, Keynsche Geldkreisläufe etc. pp., ich wusste Bescheid. Ein halbes Jahr. So lang gibt er uns noch! Lächerlich. Dies war doch nur ein Vorgeschmack auf die Versorgungsengpässe, die uns erwarten, wenn die Krise, die man höheren Orts fest im Griff hat, herein bricht.

Nun gut, das ist nicht weiter bedauernswert, zumal nicht zu ändern, und so setzte ich meinen Rundgang durch die Stadt fort, traf Bekannte, von denen ich sonst immer hoffte, dass ich sie träfe, traf einen nach dem anderen, und das befeuerte meine Laune noch mehr, dass ich mir schließlich ein von 195 Euro auf 19,95 reduziertes Feincordsakko kaufte, das mir, wie die Fachverkäuferin v
ersicherte, wegen des stechenden Orange überhaupt nicht stehe.

Ich dankte, sagte aber, da sei ich ganz anderer Meinung.

Ich kaufe gern preisreduzierte Ware, vor allem bei Textilien habe ich oft großen Erfolg, weil ich einen Faible für Dinge habe, die aus Gründen allgemeinen Schissertums und Hang zur Langeweile unverkäuflich sind. Von diesen unausrottbar urdeutschen Eigenschaften profitiere ich. Am Besten finde ich, wenn auch noch Joop oder Boss drin steht. Diesmal musste ich mich mit Cinque begnügen.

Danach betrat ich in ein Fachgeschäft für Liquide, um die Tanks meiner Elektrozigarette neu zu befüllen. Seit die Tabaklobby die Hersteller dieser modernen Produkte der Suchtindustrie, die sie verschlafen hat, mit Verleumdungsklagen einzuschüchtern versucht, führt der Fachhändler nikotinhaltige Liquide nur noch als Bückware, aber ich kaufte nikotinfreien Stoff.

Zuhause hatte mein Jüngster einen Strauß strahlende gelbe und orangefarbene Rosen neben Chris Urne gestellt, und da hat es mich zu Tränen gerührt. Wir lieben sie, sie ist bei uns, und das ist gut. Und sie fände mein Sakko geil.



















 

 

 

 

 





 

 








 

 

 

 

 

 



 


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