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Interview Bürgerfunk Münster Richard Nawezi - Hermann Mensing

Dein Buch "Mein Prinz" beruht auf einer authentischen Geschichte. (...)

Ja. Die historischen Eckdaten sind recherchiert. Die handelnden Personen sind historische Personen. Die Geschichte ist authentisch. Ob sie sich abgespielt hat, wie geschildert, ist eine andere Frage.

Wie hast du die Geschichte entdeckt und was hat dich an dem Stoff besonders fasziniert?

Ich hatte ein Buch geschenkt bekommen, darin geht es um die Afrikaner in Bewußtsein und Geschichte der Deutschen. Es heißt Schwarze Teufel, edle Mohren, und auf Seite 115 gab es diesen elektrisierenden Satz, dass auch in Roxel ein Mohr gelebt hätte.

Ist dein Roman historisch? Du nennst dein Buch eine historische Liebensgeschichte, warum hast du diesen Untertitel gewählt?

Weil es sich um den Versuch handelt, sich dem historisch verbürgten Leben und der Liebe zweier sehr unterschiedlicher Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu nähern, Menschen, die vor etwa 300 Jahren gelebt haben.

Hätte es außer einer Liebesgeschichte auch noch andere Anknüpfungspunkte gegeben?

Ja natürlich. Ich war fasziniert von der Erkenntnis, dass hier, gleich um die Ecke, ein vermutlich westafrikanische Sklave gelebt hatte, der in einer Gemeinde, die aus nicht mehr als ein paar Höfen bestand, Organist geworden ist. Ein schwarzer Organist, 1711, in Münster Roxel.

Wie lange hast du zu dem Thema recherchiert und kennst du auch die Geschichten anderer Schwarzer, die nach Deutschland gekommen sind?

Ich habe verteilt über verschiedene Arbeitsperioden etwa ein halbes Jahr recherchiert. Dem Roman ist ja, wie du weißt, ein Hörspiel vorausgegangen. Ich habe verschiedene Romane zum gleichen Thema gelesen, deren Titel ich aber nicht mehr erinnere, aber das hatte nichts mit meiner Recherche zu tun, die habe ich zu anderen Zeiten vorher und nachher gelesen, weil sie mich als Literatur interessierten.

Welche Parallelen gibt es in diesen Lebensgeschichten?

Oft spielte Liebe darin eine Rolle. Aber natürlich war der Protagonist immer ein aus seiner Heimat verschleppter Afrikaner, der sich in fremden Umgebung wiederfand und zu behaupten versuchte.

Wie ist Johann Junkerdink nach Deutschland gekommen?

Ich nehme an, auf den üblichen Routen. Das Geschäft der Sklaverei des 17. und 18. Jahrhunderts war gut organisiert. Alle steckten unter einer Decke, die Adligen, die großen Handelshäuser, das aufstrebende Bürgertum, es gab Agenten, die Sklaven vermittelten, man bestellte sie dort. Es war sehr chick, einen zu besitzen. Und so, nehme ich an, hat auch Heinrich Johann von Droste Hülshoff davon erfahren, hat sich mit einem Agenten in Verbindung gesetzt, hat Johann Junkerdink gekauft und mit nach Deutschland gennommen.

Welche Gepflogenheiten herrschten vor der Ankunft von Johann am Hof von Roxel?

Die Hülshoffs hatte Probleme. Die Drosten waren nicht gerade gehobener Adel, und Ende des 17. Jahrhunderts, einem Jahrhundert des Krieges, hatten sie viele ihre Privilegien verloren, vor allem das Erbmännerrecht, eine Art Steuerfreiheit. Sie jammerten, wie man heute sagen würde, auf hohem Niveau.

Johann wurde hier getauft. Wurde er katholisch getauft oder evangelisch getauft?

Katholisch.

Hatte er einen anderen Namen aus Afrika mitgebracht?

Ich nehme an, aber der ist mir nicht bekannt.

War Johann Junkerdink ein Sklave?

Als Heinrich Johann von Droste Hülshoff ihn kaufte, per Vertrag und gegen Bares, war er ein Sklave, menschliche Ware. Ob er, als er bei Hofe lebte, auch noch einer war, kann ich nicht beurteilen. Seine Entwicklung zum Organister hat mich zu dem Schluss gebracht, dass er große Teile seines Leben als Freier gelebt hat, aber ob das historisch haltbar ist, weiß ich nicht. Da müsste ein Historiker ran, ich bin Schriststeller.

Welchen Unterschied gibt es zwischen Sklaven und Leibeigenen?

Leibeigenschaft, so zumindest die Definition, die ich gefunen habe, ist die Bezeichnung für ein feudales Abhängigkeitsverhältnis, das auf persönlichem Band zwischen Unfreien und Herrn beruhte.
Sklaverei ist mehr. Sklaverei ist ein (rechtlich geregeltes) soziales Unterordnungsverhältnis. Der Sklave ist persönlich unfrei, weil jemand das Besitzrecht an ihm erworben hat. Als würde man einen Wagen kaufen.

Einige Jahre später hat ein anderer bekannter deutscher Schwarzer mit Namen Anton Wilhelm Amo über die Rechte der Mohren in Deutschland geschrieben. War das damals schon ein Thema oder nicht?

Wahrscheinlich eher nicht.

Welche Rechte können die Schwarzen zu dieser Zeit gehabt haben?

Bestenfalls die Rechte eines Leibeigenen.

"Deutschland hat keine Tradition der Sklaverei zur Zeit von Amo. Es sind die Ausländer, die Sklaven verkauft haben, und nicht die Deutschen. Deutschland hatte damals Leibeigene und keine Sklaven." (Zitat von Monika Firla) Was denkst Du über solche Äußerungen?

Ich kenne Monika Firla nicht und ich bin kein Historiker. Soweit ich weiß, ist es richtig, dass Deutschland nicht am Sklavenhandel beteiligt war. Ich weiß aber auch, dass das wilhelminische Deutschland versucht hat, den kolonialen Beutezügen der Engländer, Spanier, Portugiesen, Holländer etc. etwas entgegenzusetzen und in Ostafrika sowie in Südwestafrika koloniale Ansprüche anmeldete. Ich nehme an, sie haben sich dort wie alle anderen benommen: wie Herrenmenschen. Und ich bin sicher, die ein oder ander Form der Ausbeutung wird es dort auch gegeben haben, inkl. Sklaverei, sexueller Ausbeutung und was es sonst geben mag.

Firla, die zu Anton Wilhelm Amo Afer forscht, behauptet ebenfalls, dass es zur Zeit von Amo unproblematisch war für einen Schwarzen, eine Weiße zu heiraten. Vorausgesetzt, dass er getauft worden war. Stimmt das? Es war damals wichtiger, Christ zu sein, als schwarz, aber Schwarze, die Christen waren, durften die Weiße heiraten? Wie war es mit dem Recht zu heiraten? z.B. eine deutsche Frau?

Also, ein Beispiel: Als ich Kind war, war es da, wo ich herkomme, in Gronau/Westfalen, nicht unproblematisch, wenn eine Evangelische einen Katholiken heiraten wollte oder umgekehrt. Wie sollte es da unproblematisch gewesen sein, wenn ein Schwarzer, ein Mohr, im 17. Jahrundert eine deutsche Frau heiraten wollte.
Frag mal, ob der Vater einer Deutschen es witzig findet, wenn Sie einen Türken heiraten will. Oder frag die Eltern einer Türkin, die einen Deutschen heiraten will. Was ich sagen will ist: wir alle, egal welcher Hautfarbe, sind voller Vorurteile. Voller rassistischer Vorurteile, die nur in der persönlichen Begegnung ausgeräumt werden können.

Johann heiratet ein Deutsche. Wer war diese Marie?

Marie war die Tochter des Küsters.

Wie kommt es denn, dass Johann als Schwarzer Organist wurde?

Das hat mit den Marotten der Hülshoffs zu tun. Die gingen sonntags immer zur Kirche und vermissten den feierlichen Klang einer Orgel. Also schenkten sie der Gemeinde ein Instrument und verordneten ihr gleichfalls den dazugehörigen Organisten. Und das war Johann. Er war musikalisch. Und da er ja als Sklave hergekommen war, wird er kaum die Möglichkeit gehabt haben, sich gegen diesen Entschluss zu wehren.

Wie hat er sich als Afrikaner in Deutschland gefühlt?

Als Fremder, wie jeder fremd ist, der seine Heimat verlässt und immer fremd sein wird.

Es gab verschiedene Fürsten, die ihre Mohren sehr menschlich behandelt haben. Auch am Preußenhof waren Hofmohren , die sehr geschätzt waren und die auf Gemälden dargestellt wurden und ein relativ gutes Leben hatten, aber relativ. Johann durfte am Hof leben. Er hat geheiratet. Er hat in der Kirche Orgel gespielt. Ging es ihm gut?

Sieht man davon ab, dass es für Johan schwer gewesen sein dürfte, sich ins soziale Leben einzufügen, ging es ihm, sagen wir, den Umständen entsprechend gut. Er hatte sein Auskommen. Er wusste die Hülshoffs hinter sich. Er hatte eine Frau. Er hatte mit dieser Frau fünf Kinder. Und er hatte die üblichen Beschwernisse jener Zeit. Die Kindersterblichkeit war hoch etc....

Peter Martin schreibt in seinem Buch "Schwarze Teufel Edle Mohren: Afrikaner in Bewusstsein und Geschichte der Deutschen" von 2001, dass Anton Wilhelm Amo zur Schule geschickt wurde um zu experimentieren, ob Schwarze bildbar seien. Wie siehst das bei Johann aus? Wollte man experimentieren ob ein Schwarzer musikalisch ist?

Nein, glaube ich nicht. Von dem, was ich weiß, habe ich eher den Eindruck, dass die Hülshoffs ganz pragmatisch an die Sache herangegangen sind. Wir wollen gerne Orgelklang in der Kirche, unser Johann ist musikalisch, gut, dann wird der Organist....So jedenfalls stelle ich mir das vor.

Amo war durch seine Tätigkeit an der Universität und seine Kontakte zum Hof hoch angesehen. Welches Ansehen hat Johann Junkerdink genossen?

Ich weiß es nicht. Ich war ja nicht dabei. Und Mein Prinz ist ja Literatur, keine Geschichtsschreibung. Es gibt aber im Roman eine Szene, die für mich der Schlüssel zu Johanns Existenz ist. Es geht da um das Verhältnis zwischen ihm und seinem besten Freund Alfons, das nicht historisch, sondern erdichtet ist. Alfons steht all die Jahre zu seinem schwarzen Freund, aber erst, als Johann von spottenden Bauernjungen mit einem Stein am Kopf getroffen wird und blutet, erst da, erst, als Alfons sieht, dass Johanns Blut die gleiche Farbe wie seines hat, erst da sind seine letzten Zweifel an Johanns Menschsein, seine tiefsten Vorurteile, ausgeräumt.

Amo ist in Deutschland gescheitert und nach Afrika zurückgekehrt. Warum ist Johann nicht nach Afrika zurück gegangen?

Das weiß ich nicht. Aber Amo ging es finanziell sicher besser als Johann. Davon abgesehen: die Migrantenforschung zeigt, dass jemand, der lange Zeit in der Fremde gelebt hat, besser bleibt, wo er ist, weil er, wenn er in sein Ursprungsland zurückkehrt, das gleiche Fremdsein erlebt, dass er erleben und erleiden musste, als er vor langer Zeit emigrierte. Ich meine mich zu erinnern, dass es Amo in Afrika nicht gut ging, oder?

Welche Denkanstöße soll dein Buch Europäern geben?

Wir sprechen hier über Rassismus, und Rassismus ist keine Eigenschaft, die nur Europäern eigen ist. Der Mensch ist Rassist. Deshalb könnte ich deiner Frage latenten Rassismus vorwerfen. Du als Afrikaner glaubst, dass der Europäer Denkanstöße braucht. Ich als Europäer sehe sehr wohl, dass die, die man gemeinhin Weiße nennt, noch immer und überall und zu ihrem ökonomischen Vorteil großes Unheil verursachen, aber grundsätzlich bleibt dennoch wahr: der Mensch ist Rassist, nicht der Europäer insbesondere. Der Mensch, und das ist das Bedauernswerte unserer Existenz.

Welche Resonanzen hast du auf dein Buch bekommen? Wie haben die schwarzen Deutschen darauf reagiert?

Du bist einer von zwei Schwarzen, die auf das Buch reagiert haben. Der zweite war ein Zuhörer einer Lesung in Bochum. Der widerum wurde von einem Weißen nach der Lesung aufgefordert, sich zu äußern. Der Weiße stand auf und sagte: Was sagen Sie denn als Betroffener dazu? Sein Subtext, und da sind wir wieder beim Thema, sein Subtext, das, was er nicht sagte, aber eigentlich hätte sagen wollen, lautete: Was sagen Sie denn als Neger dazu? Wie man sieht, die Welt ist voller Fallstricke, für alle.

 

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