Juli 2009                                       www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten Eintrag

1.07.09   8:14

Ich hatte Krombacher mitgebracht, Walt ein dickes Piece, die Jungs war lieb, aber sie übertrieben nicht, Wendel hatte noch nichts mitbekommen in seiner Höhle in Kakesbeck, der Mond stand auf halb, und wir machten Musik.

Ich hatte den Schleier, der über mir hängt, auf der Fahrt deutlich gespürt. Er beeinträchtig die Wahrnehmung, er ist ein Gedanke, der nicht verstummt und ins Unbegreifliche zielt, ohne je anzukommen.

Beim Musikmachen hob er sich ein wenig. Einmal war er sogar fort, was schön war.

In den Pausen saßen wir draußen. Die Vögel sangen. Ein Kauz flog vorüber und verschwand im Wald. Die Hunde bellten. Wir erzählten alte Geschichten. Manche sind ranzig.

Walt hatte sich eine Purpfeife gekauft, die aussieht wie eine Scheckkarte.
Zwei Metallplatten von eben dieser Größe, ein kleiner, in eine Ecke eingearbeiteter Pfeifenkopf, zwischen den Metallplatten eingefräste Gänge für den zu kühlenden Rauch.

Sehr gut wäre die, sagte er.

Interessant, dachte ich, wollte aber kein THC rauchen. Ich habe genug zu tun mit mir und der Welt, ich muss nichts erweitern, verändern, manipulieren. Ein anderes Mal. Ich trank ein Bier. Und dann, gegen zehn, halb elf, fiel der Schleier mit Macht wieder auf mich herab.

Ich muss nach Hause, sagte ich.
Okay, sagten die Jungs.

11:07

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

40

frau K. hilft mir,
die dinge voran zu treiben
für
hinterbliebenenrente
halbwaisenrente.

sie braucht:
papiere, kopien, originale,
IBAN und BIC
geburtsurkunden,
steuerkarten,
bescheide, ausbildungsverträge,

HALT: ALLES AUF STOP

sie ist nicht gestorben,
sie ist nur woanders,
sie ist uns nur einen kleinen schritt voraus,
könnten sie damit leben, herr mensing?

nein.
ganz und gar nicht.
nein, nein, nein.

sie ist gestorben.
ich nicht.

16:51

Trieb im Schwimmbad, aber die Schwere (so ein Schleier wiegt) war selbst im Wasser spürbar, wo man doch sonst fast schwerelos treibt. Dennoch war es schön. Das letzte Mal war ich mit dir, Jan und Sandra dort. Ein Glück, dass niemand weiß, wann sein letztes Mal ist.

19:37

Wie gern ich deine Kleider verschenke.
Und wie schmerzlich schön es ist, sie von anderen getragen zu sehen.
Aufregend auch.
Verschenke aber nur an Menschen, die dich liebten und die du liebst.
Heute das elegante braune. Ein wunderschönes Kleid.
Lisa, die es jetzt trägt, ist auch schön.

20:49

Meine Nachbarn wollen mir Mangold geben.
Mangold habe ich noch nie gegessen. Bin gespannt.

21:13

Strünke vom Blatt trennen, klein schneiden, in Butter dünsten, Salz, Pfeffer, evtl. Muskat.
Blätter blanchieren, klein schneiden, Zwiebeln anbraten, Butter, Blätter dazu, ca. 10 Minuten dünsten. Morgen. Werde das aber wohl allein essen müssen, Max mag so etwas sicher nicht.

22:27

Ihre Liebe verlieren viele, dazu muss man nicht Witwer werden.
Ich habe meinen Spiegel verloren. Ohne sie sehe ich mich nicht.


2.07.09   7:40

Ich hatte vergessen, dass ich Großvater bin und Großvätern italienischer Kaffee nach 18:00 Uhr nicht gut tut. Die Rechnung kam postwendend: unruhiger Schlaf, erstes Erwachen um 4:25, draußen schrieen Vögel sich die Seele aus dem Hals. Interessant für Ornithologen, für mich war die Nacht zuende.

Jetzt brütet ein heißer Tag überm Frühstück und ich weiß, dass ich mich besser ruhig verhalte. Sehr ruhig, denn auch das Sonnenbaden gestern war, obwohl ich im Schatten lag und über weite Strecken ein T-Shirt trug, nicht folgenlos.

15:58

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

41

ich kann mich groß machen
aber ich bin klein

ich kann dies glauben
oder nichts

ich kann in den spiegel schauen
ich könnte mich sehen

ich könnte denken
aha, krise
ich denke stattdessen
das gibt's nicht

ich löse mich auf

sie ist gestorben
und ich löse mich auf

sie ist tot
ich bin fleisch und blut

im spiegel ist nichts mehr

wo bin ich
wer bin ich, falls ich doch bin

frei sein ist grausam
ich habe fragen

zum beispiel
war ich ein guter mann

ja/nein/zu keinem zeitpunkt

zum beispiel
will ich je wieder eine frau

ja/nein/nie mehr
(bitte zutreffendes ankreuzen)

ansonsten
stillgestanden.
hände hoch. keine bewegung.
wir schießen.

20:10

Ich sichte, ich sortiere, ich werfe fort, ich ordne neu, ich entscheide für oder gegen, dieses, jenes, ich schreibe Briefe. Heute früh räumte ich die Blumen aus dem Zimmer und stellte sie zum Trocknen auf den Balkon.


3.07.09   9:55

Fuhr zur Eisdiele, aß ein kleines Spaghettieis, ringsum Familien, Paare, ein Einzelgänger, ich, natürlich, da kann man neidisch werden oder sich freuen, dass man nicht dazugehört, etwa zu der Familie mir gegenüber, die kaum jemals freudig entspannt um einen Tisch sitzt und Riesenbecher auslöffelt, die der Vater, der mit vor der Brust verschränkten Armen düster schaut, bezahlen muss.

Und die Töchter erst, eine blond mit geföhntem Haar, roten Fingernägeln, als sei sie schon Auslaufmodell und müsse auf die letzte Minute noch punkten, dabei ist sie erst 17 und beginnt jeden ihrer Sätze mit irgendwie. Dann die dunkelhaarige, jünger, kaum 14, die Zöpfe trägt und sehr hübsch ist, deren Blicke ständig wandern, wobei sich ihre Schokoladenaugen häufig zusammenziehen und sie sich auf ihre Unterlippe beißt.

Ja, froh könnte ich sein, aber ich bin es nicht.
Ich bin Zeuge des Alltags, ohne Alltag zu sein.
Ich verbringe meine Tage zurückgezogen, ich bin Herr meiner Zeit.
Ich habe ein paar Bücher geschrieben, ich wüsste nicht, was ich als nächstes schreiben sollte.

Vor allem wüsste ich nicht, warum.
Eitelkeit könnte die Triebfeder sein, Eitelkeit oder Geld.

Ich schätze, es läuft auf Geld hinaus, denn das ist es, was ich in der nächsten Zeit einfahren muss.
Geld um die Miete zu zahlen, und da zeichnet sich schon etwas ab.

Vielleicht gelingt es mir, dem Bio-Kaffee-Hersteller, der mich heute abend besucht, einen Familienroman zu verkaufen. Wenn das Wetter gut ist, Hoem (er sagt Hoem, weil er mich aus der Zeit kennt, als viele mich Hoem nannten, Hoem, sprich Hörm, während ich ihn Kaffee nenne), komme ich mit dem offenen Wagen.

Ich schriebe ihm die Geschichte seiner Familie.

Das wäre eine Arbeit, die nicht auf literarischen Ruhm zielt, meine Eitelkeiten unbeachtet ließe und wenn ich es richtig anstellte, viel Raum für Experimente böte.

13:24

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

42

ja, wir lieben
ja, von beginn an
ja, wir haben gekämpft
ja, fair und unfair
ja, ich war dumm
ja, das weiß ich nicht
ja, ich sehe sie noch
ja, aber ich habe kein bild
ja, ich höre sie noch
ja, aber da ist kein ton
ja, wir wussten, dass alles passieren kann
ja, das hat sie gesagt
ja, ich sterbe früh, hat sie gesagt
ja, schon damals
ja, ich war entsetzt
ja, ich würde es wieder tun
ja, zu jeder zeit wieder tun

20:49

Er zitiert Sokrates und Sloterdijk, er sagt, dass sein Onkel, der seine Firma für 10 Millionen verkauft hat, nicht glücklich ist, er sagt, dass sein Maserati ihn nicht glücklicher macht als sonstwen, und bei allem, was er erzählt, mag ich ihn, er ist ein Mann meines Alters, der viel Geld verdient mit nachhaltiger Bio-Kaffee-Vermarktung.

Er unterstützt und finanziert eigene Projekte in Peru, Mexiko und Südindien und umgeht dabei die Bürokratieen der großen Hilfsorganisationen, er hat Transfair mitbegründet und jetzt hat er eben diesen Maserati, und fragt, ob ich ihn fahren will, aber ich will nicht, ich habe Angst, dass er mir unterm Arsch abhaut.

Auf dem Rückweg, wir haben in Laer gegessen und jeder hat eine Flasche Weisswein getrunken, gibt er hier und da Gas, dass die Landstraßen eng werden. Ich sage, Kaffee, lass gut sein. Er sagt, nicht so dein Ding, nicht, okay, und dann: also, wenn du willst, kannst du den Maserati haben, fahr mit deinem Sohn nach Bergen aan Zee, Ich sage, ne, lass mal, Kaffee, dann wird das Hotel gleich doppelt so teuer. Er lacht und sagt, also, du weißt Bescheid, Hermann, wenn irgendetwas ist, sag es mir, sieh mich als deinen Mäzen, wenn es mit der Miete nicht klappt, auf 400 Euro Basis finde ich immer etwas für dich.

Ich will keine Almosen, ich kann dir dafür den Familienroman schreiben, sage ich.
Ach, so meinst du das, nur für mich?
Ja, natürlich, wie sonst, du zahlst und ich schreibe.
Gut, sagt er, also, melde dich. Dann gibt er Gas, dass der Motor brüllt und fährt heim.

Wenn ich will, kann ich auch sein Coupe Citroen DS 23 haben, oder seinen Morgan, alles Vollkasko, sagt er, aber ich sage, da brauche ich ja gleich einen Orthopäden dazu und er lacht, allerdings, sagt er, den brauchst du schon.

21:26

ich
platz mir dir
an einem sonnentag
wenn alle wecker schweigen
ich
seh die kinder schon
nach unseren fetzen suchen
und nach hause gehen
wir sind nicht mehr da.

war
zuviel luft in unseren bäuchen
wenn ja
wer hat uns aufgepumpt

(hermann mensing: und silbermond und ... gedichte 1982 ... ISBN 3-9800771-0-1)



Sa 4.07.09   9:33

Wir wollten miteinander alt werden. Wir haben oft Witze drüber gemacht. Wie abends vor unseren Zimmern im Altenheim unsere Kleiderhaufen lägen. Das war eine Weile so eine Angewohnheit, die Kleidung vor der Zimmertür in kleinen Haufen auf dem Fußboden zu hinterlassen, meinen und ihren.

Was zu erledigen ist, die Anträge, das ganze Drumherum, schaffe ich mit links, das andere aber, das, was man nicht fassen, greifen, eintüten, unterschreiben kann, tut überall weh, und wenn ich im Bett neben mich greife, ist niemand da.

Ich bin instabil.
Ich spüre es beim Gehen, beim Autofahren, beim Wäscheaufhängen, ich spüre es von früh bis spät.
Gleich falle ich um, denke ich.

Die zwei Flaschen Weisswein mit Kaffee rächten sich gegen vier.
Ich geisterte mit Herzrasen durch die Wohnung und wollte nicht, dass es wahr ist, obwohl ich wusste, dass es ist, wie es ist, dass es gut so ist, wie es ist, trotzdem wolte ich es nicht, aber was wäre die Alternative?

Eine Frau im Rollstuhl, Schmerzpatientin, unfähig ihre Beine zu gebrauchen, abhängig von Pflegepersonal, das dreimal täglich ins Haus käme, ein zeitverzögerter Tod, wir hätten noch ein, zwei Jahre gehabt, immer in der Hoffnung, dass jemandem etwas einfiele, jemand vielleicht mit einer genialen Idee neue Heilungschancen ermöglicht hätte.

Das hat sie gewusst, spätestens seit Mittwochmorgen, ihrem Todestag, nachdem der Arzt mit ihr gesprochen hatte. Der ist hart, hatte sie danach zu mir gesagt. Ja, sie hat es gewusst, und sie hat es vermeiden wollen, da hat sie sich still davon gemacht, wie so oft bei Festen, die wir zuhause gefeiert haben.


So 5.07.09   11:51

Der Pfeifenraucher ist sich nicht zu blöd, uns innerhalb einer halben Stunde mehr als drei Viertel Rotwein wegzutrinken. Ich mag ihn nicht. Er schwebt frei im Raum, er redet über alles und alles ist Theorie. Ich sitze eher abseits, es ist noch früh, und ich habe noch nicht entschieden, wie ich mit diesem Abend umgehen soll.

Ich weiß, was passieren wird. Dieser Abend findet seit vielen Jahren statt, heute sitzen wir draußen, das Wetter spielt mit. Nur sie fehlt, und das wissen alle anderen, und alle anderen sind verunsichert, wie sie mit mir umgehen sollen. Was sollen sie zu mir sagen?

Zweimal stellt man mir die sinnloseste Frage, die man mir im Augenblick stellen kann, und die auch sonst nicht zu meinen Lieblingsfragen gehört. Was soll ich sagen, wenn man mich fragt, wie es mir geht. Muss, sagt der Westfale, um den lästigen Frager abzuschütteln. Muss, aber ich antworte natürlich, dass man mir solche Fragen bitte nicht stellen möge.

Noch ist es hell, der Mond braucht noch einen Tag, eh er voll ist, er hängt wie Maigouda zwischen den Ästen des Kirschbaums, seit vorgestern wird schon Gerste geschnitten, und hier sitzt also der, um den es heute abend geht, der Witwer, und der fragt sich, ob er das aushalten wird.

Er glaubt nicht. Er glaubt, das könne zu hart werden, zumal er genauso wenig wie die anderen weiß, wie man mit ihm umgehen soll, kann, muss. Es gibt ja keinen Leitfaden für das Verhalten oder den Umgang mit Trauernden.

Darf ich mich amüsieren? Dumme Frage. Natürlich darf ich das, aber darf ich das wirklich. Ist das moralisch korrekt? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass das Leben die moralischen Fragen, die wir uns stellen, nicht stellt. Das Leben verlangt dies und das, das Leben ist brutal hart, das Leben ist unterschiedslos unberechenbar, und die Lebenden täten besser daran, sich erst einmal damit abzufinden, statt sich in Illusionen zu flüchten.

Also, halte ich das aus? Ich weiß nicht.

Ich kann ja jederzeit heimfahren, zehn Minuten, und ich säße allein auf dem Balkon und schaute in den ausbleichenden Tag. Aber dann, ganz langsam, steigt in mir die Erkenntnis, dass ich es zumindest versuchen sollte. Vielleicht würde ein Rausch helfen.

Und wenn nicht? Wenn er mich in die Wüste jagt? -
Ich könnte wahrscheinlich dort schlafen, beruhige ich mich, ja, bestimmt, das könnte das Alleinsein und die mögliche Furcht davor mildern.

Mittwoch beim Musikmachen bin ich dem Rausch noch aus dem Weg gegangen. Jetzt beschließe ich, ihn vorsichtig zu begrüßen. Und dann entwickelt sich der Abend. In dem ein oder anderen Gespräch bin ich noch der Witwer, aber ich bin es nicht nur, ich trete auch in anderen Rollen auf, und bin zunehmend froher, dass ich gekommen bin, dass ich geblieben bin, dass die, die immer da sind, da sind, dass die, die mir immer schon auf die Nerven gingen, auf die Nerven gehen, ich bin vielleicht sogar glücklich, und als ich gegen drei auf mein Rad steige, habe ich keine Furcht.

Unterwegs rufe ich sie, aber für den Normalsterblichen hat das Leben keine stabile Verbindung ins Jenseits, die bleibt wenigen vorbehalten, ich gehöre nicht dazu, wahrscheinlich würde ich Angst bekommen, wenn ich sie hören könnte oder gar sehen, oder beides, wie Renate, ihre Cousine aus Glanerbrug, die das angeblich kann. Ich habe Renate gesagt, dass sie Chris von mir grüßen soll, falls sie sie sieht, und sie hat es mir versprochen.

Jetzt bleicht die Sonne den Tag, ich werde den Enkel besuchen, ich werde ein paar Fotos machen, der Kopfschmerz, der heute früh auf mir lag, ist fort, ich habe gefrühstückt, ich bin mit mir im selben Boot, und das fühlt sich gut an, ich habe nichts zu beklagen, die Welt ist wie sie ist, ich bin wie ich bin, es ist gut so, ich danke, es ist nicht einfach, aber niemand hat je behauptet, dass es einfach würde, und ich bin (Sie erinnern sich, dass Trauer Achterbahnfahren heißt) guter Dinge.

14:11

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

43

wir hätten
wir hatten
wir hatten uns 36 jahre
wir hätten gern noch viele gehabt

wir hatten ein leben
mehr hätten wir nie bekommen.

wir sind am ende

ich bin am anfang
was immer ich tue

verzeih.

14:51

We kissed, like we invented it.


20:07

Morgen fahren Max und ich ans Meer.
Und wir tun es für dich und für uns.


Mo 6.07.09   17:00

Bergen aan Zee

Ich kriege keine Verbindung zur Welt, aber du bist ja da.

Als Max und ich ankamen, war unser Zimmer noch nicht fertig.
Wir gingen zum Strand und natürlich wollte ich als erstes schwimmen.
Ich lief zum Wasser, warf mich in die Wellen und schaute zurück.
Ich konnte Max sehen, da, wo du sonst immer gesessen hast.

18:19

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

44

dein wind,
deine dünen,
deine wellen,
dein meer,
alles gehört dir,
selbst ich,
nur mir gehörst du nicht mehr.

21:00

Wahrlich, ich sage euch, es ist leichter, in Alkmaar einen Coffeeshop zu finden, als eine Pommesbude. Wenn man dann eine gefunden hat, ist sie in marrokanisch/türkisch/arabischer Hand und man bekommt nicht die geliebte Frinkandel Speciaal, wie auch in Deutschland die Currywurst kaum noch von fachkundig deutscher Hand zubereitet wird (falls überhaupt im Angebot), und wenn, ohne die tiefergehende Sachkenntnis ihrer Geschichte, ihrer kulturellen Bedeutung und geschmacklich zu beachtenden Besonderheiten.


Di 7.07.09 11:20

Offshore kreisen Windmühlenflügel, ein Kutter zieht Netze parallel zum Strand, blauer Himmel strahlt eingezwängt zwischen bauchigen Wolken, heute kann alles sein, Regen, Sonne, Tränen.

Je mehr Tränen vergossen werden, desto besser wird es am Ende, denn unterdrückt knüpfen sie Schlingen, bedrängen das Herz, reißen im Kreuz, revoltieren im Magen.

Jeder Schritt in Bergen ist ein Schritt für dich und für mich, jeder Schritt bringt uns näher und zementiert das, was ist, ewige Ferne, es sei denn, ich glaubte ans Berge versetzen durch Glauben, ich glaubte an jenen Ort, der alles, was war, wieder vereint eines Tages, zum Beispiel in meiner Todesstunde.

Ein letztes Verschmelzen vorm finalen Herzschlag, ein Aufglühen der gemeinsamen Jahre im, wie immer gesagt wird, Zeitraffer, der aus der Welt macht, was sie eigentlich ist, kommen, gehen, immer und ohne Rücksicht auf das, was der Mensch Gefühl nennt, Liebe: eine, die größte, existierende Menschheitsillusion, ohne die der Mensch stürbe vor Einsamkeit, denn das stimmt, ohne Liebe ist nichts.

So also sitze ich im Strandpavillon, das Meer rollt mit Schaumkronen, heute nacht hat es geregnet, es ist kühl, ich könnte Schwimmen, aber im Augenblick reicht es, hier zu sein, statt bis zur Brust im Wasser zu stehen und daran zu denken, wie du den toten Mann schwimmst, während ich heran tauche, dir in den Arsch kneife, in den Schritt greife, und du vor Lachen nicht mehr schwimmen kannst, während ich über die Erinnerung zu weinen beginne. Also lasse ich das. Schaue stattdessen auf den Horizont und lasse mich einlullen von der Ereignislosigkeit.

15:31

Wir sprechen über Fußball und HipHop, aber wir denken von früh bis spät an dich.




18:43



Es war gut, herzukommen.

Mi 8.07. 09   13:40

Hier ist die Geschichte, die ich schon vorgestern erzählen wollte.

Ich war am Strand. Zwei junge Frauen mühten sich, eine ältere Frau in einem Strand-Rollstuhl die Auffahrt zur Düne zurück auf den Vorplatz zu schieben. Diese Rollstühle sind aus Rohen zusammengesteckt, sehen aus wie Abwasserrohre, und haben Ballonräder, damit man sie leichter schieben kann. Man kann sie in holländischen Badeorten oft in Strandcafés ausleihen.

Die jungen Frauen hatten den Sand unterschätzt, durch den sie den Stuhl schoben. Ich half. Die Frau im Stuhl war glücklich, dass man sie ans Wasser gebracht hatte. Als wir uns so zu dritt mühten, dachte ich an dich.

Das wäre dein Los, dachte ich.
Siehst du, so hätte ich dich an den Strand gebracht und wieder zurück, aber ins Hotel hätte ich dich nie gekriegt, weil es da keinen Aufzug gibt, und wer weiß, wo ich dich sonst noch nicht hingekriegt hätte.

Die Frau lachte über unsere Mühe.
Wir fühlten uns gut, weil wir etwas Vernünftiges taten.

15:50

Dachte an dich, als die Dohle heran kam...



18:40

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

45

eine weile werde ich bleiben
mir bleibt nichts
dann aber will ich zurück
in die gegenwart


Do 9.07.09   10:58

In den letzten zweieinhalb Monaten habe ich kaum länger als sechs Stunden am Stück geschlafen, egal, wann ich ins Bett gegangen war, heute früh jedoch, nach einem kurzen, biologisch notwendigen Intermezzo gegen 5:45, schlief ich wieder ein, träumte und halbschlafte vor mich hin.

Gegen halb zehn schellte das Telefon.

Es war A., der auf deiner Trauerfeier derart ergriffen war, dass er kein Wort rausbekam.
Ich dachte, wer ist denn der Witwer, du oder ich?
A. gehört zu deinen Verehrern.
Du hast eine Menge davon, natürlich würde das keiner der von mir angedachten je zugeben, aber ich bin sicher, dass sie dich lieben.

A. fragt belegt, wie es mir ginge und wie es meinen Söhnen ginge, das müsse ja schwer sein, und ob er fragen dürfe, ob mit dem Enkel alles okay sei (Arschloch, denke ich, eine bescheuerte Frage hat jeder, aber gleich mehrere), fragt, ob ich Freude habe an meinem Enkel und er fahre ja nun leider an die Ostsee, er habe kein gutes Gefühl (dann bleib doch zuhause, denke ich), und ob ich denn auch keinen Blödsinn mache.

Was soll ich darauf antworten?

Angenommen, ich wollte tatsächlich Blödsinn machen, ihm würde ich's als Letztem erzählen.

Wie schrecklich daneben, wie furchtbar ich zwischen den Stühlen sitze, weil sich das Leben von seiner gemeinsten Seite zeigt, und alle anderen natürlich auch, denen ich von Herzen verzeihe, aber gesagt muss es sein, denn sonst lernt man ja nichts.

18:20

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

47

für dich
war es
ein atemzug

für mich
steht alles kopf

es ist grauenhaft
schön

ich atme dich aus





file under: arschloch. selbstmitleid

23:35

Du bist mein Engel.


10.07.09   9:55

Manchmal liegst du neben mir.
Legst deinen Kopf an meine Schulter.
Dann ist soviel Liebe da, dass ich ruhig werde.
Dann bist du wieder weg.

16:18

Verkaufsgespräch mit der Käsefrau auf dem Markt:

Wo ist ihre Frau?
Die ist gestorben.

18:40

Es fing damit an, dass unser alter Zahnarzt anrief.
Er war aus dem Urlaub zurück und hatte die Karte gefunden.
Wenig später saß er in der Küche.
Obwohl er all die Jahre nur unser Familienzahnarzt war, war er mir nah wie ein Freund, umarmte mich, weinte.

Seitdem heule ich in Schüben.


Sa 11.07.09   9:55

Der Tag beginnt gut. Pop Life ist nach vierzehntägigem Dümpeln über Nacht wieder auf einen akzeptablen 28.208ten Amazon Verkaufsrang gestiegen, fragen Sie mich nicht, was das heißt. Die Anträge aus Berlin sind gekommen. Dicke Stapel Papier für mein Leben danach: Hinterbliebenenrente.

Es ist bewölkt, aber es regnet nicht, mein Leben liegt vor mir. Also werde ich in die Stadt fahren, ein wenig bummeln, schauen, statt mich, was ja auch denkbar wäre, tot zu saufen.

16:25

Eineinhalb Stunden Ansitz in Sichtweite des Wochenmarktes in Münster.
Irgendwann kommt ein Paar. Ich erschrecke. Sie hat langes, ungepflegtes graues Haar, einen weiten, türkisfarbenen Mantel, ihr Gesicht ist aus Stein. Mitte fünfzig. Er sieht nicht ganz so verzweifelt aus. Jünger. Sie setzen sich an den Nebentisch. Er steckt sich eine Mentholzigarette an, sie raucht andere.

Dann spuckt sie mit Bedacht neben sich auf den Boden. Ich rücke meinen Stuhl weiter weg. Kurz darauf gehen die zwei. Ein Ehepaar? Kinder? Drogen? Welche Vorurteile habe ich noch? Welche Verzweiflung tobt da?

Da hinten sehe ich B., Theaterfrau, auch immer vezweifelt, aber sie sieht mich nicht.
Ich gehe zum Stadtmuseum. Ich schaue mir Bilder an, die mir nicht gefallen.
Ich kehre zurück, setze mich aufs Rad, besuche H., trinke einen Kaffee mit ihr, es beginnt heftig zu regnen, wir sprechen, ich erfahre aus ihrem neuen Leben mit F., wir sprechen, was gut tut, dann fahre ich heim.

Zwischendurch eine SMS, dass Julius Zugfahren gut findet.
Ich schreibe zurück, dass Opa Opasein gut findet.

19:19

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

47

wie lange meine uhr tickt
will ich nicht wissen
dass deine uhr nicht mehr tickt
weiß ich

21:44

A kuh


und a froind



So 12.07.09   10:42

Der Jazzfuckerman hat mit mir den Abend verbracht. Stand heute früh beschwingt auf, sagte mir die Beschwörungsformel, (kann nach Bedürfnis in jede Richtung zielen, kostet nix, funktioniert), und machte mich auf den Weg ins Dorf, betrat die Bäckerei, um die Sonntagszeitung zu kaufen Die Bäckereifachverkäuferin (mein Alter) hatte mich eine Weile nicht mehr gesehen, weil ich den Bäcker gewechselt habe und nur noch sonntags dort kaufe.

Sie schaut mich an, ich schaue sie an, ich sage, ein Käsebrötchen, eine FAZ, ich bekomme das Verlangte, ich zahle, sie beugt sich vor und sagt: Mein herzliches Beileid noch, Herr Mensing. Danke, sage ich, und dann ist es wieder so weit.

Herr Mensing schlurft Rotz und Wasser heulend durchs Dorf.

Als ich wenig später auf dem Balkon sitze, Kaffee trinke und Zeitung lese, gehen die katholischen Christen zur Messe. Der ein oder andere grüßt schüchtern.

12:08

Die ersten Hürden des Antrages R 500 auf Hinterbliebenenrente hoffentlich gemeistert.
Jetzt erst einmal Pause.
Und der Hinweis auf die Kultur des Trauerns in südlicheren Breiten.
Dort rauft man sich die Haare, man schreit, tritt außer sich, man verliert die Kontrolle, aber die Familie ist da, die Freunde, die lassen den Trauernden schreien und verzweifeln, die fangen ihn durch ihre Akzeptanz, und so soll das sein, lieber Max, so, und nicht anders, und genau das leiste ich mir. Unter anderem hier.

Ich verliere zwar nicht die Kontrolle, aber ich weine wann immer mir danach ist.

12:42

Eine das Gesicht bis zum Hals verdeckende, nachtschwarze Mütze mit Sehschlitz für 40 Euro, eine Tauerjacke (keine Taschen, kein Knöpfe, innen schmerzhafte Aludornen) für 180 Euro, eine mobile dunkle Ecke zum Zurückziehen, (faltbares Gestänge, Segeltuch) 125 Euro, abschreckendes Witwerparfüm 95 Euro, beinahe scheint es, als könnten die Leute gar nicht genug bekommen.

15:03

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

48

zum
2ten mal
vom bäcker kommend
:) mit kuchen
legst du mir
in höhe ursula kindergarten
die hand
an die wange.

das ist
was mir fehlt

file under: kitsch

20:24

Julius hat seine erste Reise über sonntägliche Autobahnen mit Stau überstanden.
War ein wenig unruhig, aber jetzt ist es gut. Er ist zuhause.


Mo 13.07.09
  12:19

Antragsformulare mit Fragen, deren Sinn sich nur schwer erschließt.
Immerhin kollidiert meine zukünftige Hinterbliebenenrente nicht mit meiner Mitgliedschaft in der Künsterlersozialkasse.

14:21

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

50

überall
trauer
schmerz
angst
wut
ich weiß nichts
ow nned? ettib.

21:04

Wie wir die Hoffnung hochhielten, weißt du noch?
Wie wir vereinbarten, die vernichtende Nachricht, falls es denn eine würde, geheim zu halten und den Gedanken dann doch verwarfen?
Wie wir uns schworen, zu kämpfen.
Wie wir da saßen und hofften.

Ich sitze auf dem Balkon.
Max ist bei Freunden.
Die Wohnung ist still und leer.
Ich fürchte mich nicht, ich weiß nur nicht, wer ich ohne dich bin.

Ich wäre so gern mit dir alt geworden.

file under: selbstmitleid. arschloch. feigling.

22:20

Allerdings:

einer bleibt immer allein, wenn er nicht klug ist und vorher geht.
Du warst so viel klüger als ich.

22:45

Diese Nacht ist unsere Nacht.
Die Wolken sind grau zu uns gewandt, weiß zum Himmel, schwindendes Blau.
Mein Magen knurrt. Ich rauche eine Zigarette. Ich trinke ein Glas Wein.
Frau Kappen sagte, darüber kommt man nie weg, Herr Mensing.
Ich antwortete: nein, irgendwann schon.
Aber nicht heute. Heute war ein schwarzer Tag.
Nichts im Vergleich zu deinen letzten Tagen, ich weiß, aber schwarz.
Jemand soll mich anrufen. Jemand soll da sein.
Niemand ist da.

23:00

Doch, du ...
Wie schön du bist.
Und wie du schon alles weißt.
Einen Tag vorher.




Di 14.07.09
  8:55

Seit  ein paar Tagen schlafe ich auf deiner Seite.
Da kommt die Sonne frühmorgens nicht hin. Konntest du deshalb immer länger schlafen als ich.

Bügeln jetzt. Waschen.
Zur Sparkasse später. Rentenantrag fertig machen.

10:30

Morgen hole ich dich nach Hause.

11:28

Ich freu mich auf dich.
Wenn es bei mir so weit ist, komme ich zu dir, und die Jungs verstreuen uns da, wo wir's abgemacht haben.

PS. Ich hoffe, das dauert noch.

Jetzt fahre ich in die Stadt, eine Urne kaufen.

15:38

Max wollte mit.
Mussten einmal quer durch die Stadt, eh wir eine fanden.
Und weißt du wo?
In dem Indienladen am Aegidi Markt.
Steht schon auf dem Klavier und wartet.

Vorhin rief das Krematorium an.
Kann dich nun doch erst nächste Woche holen.
Macht nix.
Du läuftst ja nicht weg.

16:52

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

50

wochenlang
schwiegen sie,
jetzt,
dann und wann
höre ich wieder
stimmen
aus büchern,
die überall liegen.

23:33

Irgendwas geht vor mit Pop Life.
Vielleicht haben Sie ja endlich ihre Ärsche bewegt.

Falls ja, danke. Falls nicht, verschwinden Sie besser, immer nur abgreifen ist peinlich.
Egal. Es geht etwas vor, ich seh's an den Verkaufsrängen.
Gerade war ich wieder auf 20.000. Schaffte es gern dauerhaft in die 100er Ränge.

Heute abend Chris alte Busenfreundin besucht, zu der der Kontakt über die letzten Jahre zurückgegangen war. Muss mich bewegen, wenn ich ins Leben zurück will. Ich habe Chris' Geschichte erzählt, ich habe geweint, wir haben gelacht, über den Garten, über das seltsame Sterben der Grünfinken gesprochen, über die Wespen, die sich im Spatzenhaus eingenistet haben, wir haben zusammen gegessen, Kaninchen, Broccoli, schwarze Oliven, Salat, Brot, bisschen Wein, Erdbeeren mit Eierlikör und Minze danach, einen Schnaps. Langjährige Paare neigen dazu, irgendwann nicht mehr oder kaum noch aus dem Haus zu gehen, das ist bei den beiden auch so.

Wir haben versucht, das zu vermeiden. Du warst immer mein Motor für Neues.
Theater, Musik, Literatur, ich werde mich anstrengen müssen.


Mi 15.07.09   9:47

Habe die Hinterbliebenen- und Halbwaisenrentenanträge so weit ausgefüllt, wie sie sich mir erschlossen. Alles darüber hinaus gehende sollen mir die Berater beraten, nur gerade jetzt machen sie Frühstück, da gehen sie nicht ans Telefon, das wär ja noch schöner. Sollten Sie sich also fragen, wo der Sozialismus überlebt hat, schauen Sie in deutsche Amtsstuben.

10:30

Beim Basteln bin ich nicht gern gestört, weil ich mich eigentlich geniere, wie da geschwitzt und geflucht und ins Blaue hinein eines ans andere gefügt und wieder wieder schwitzend und fluchtend gelöst wird, bis schließlich aus dem planlosen Beginnen das fertige Werk makellos hervorgegangen ist, vollendeter jedenfalls, als wäre es durchdacht. Fragen wie: was soll das denn werden, du, das wird nie was, das sieht ja nach nichts aus - und der ganze Spaß ist futsch.

Ich bastele, wie ich Gedichte mache, ohne zu wissen beim ersten, wie oft nicht eingerosteten Wort, das angesungen kommt, wie sich eines ans andere fügt, in Reim und Rhythmus, und auf einmal ist es fertig, man hat es vor sich, gut oder schlecht, das ist dann eure Sache, aber ich hab's gemacht. (Albert Vigoleis Thelen "Die Insel des zweiten Gesichts", Roman, List Taschenbuch)

12:39

Amazon Charts: 13.556, also wieder ein Buch verkauft.

19:13

Nicht, dass ich dich je verstanden hätte, aber das, was du in den letzten Monaten mit mir gemacht hast, verstehe ich überhaupt nicht. Erst nimmst du mir meine Frau, drei Tage später schenkst du mir einen gesunden Enkel, kannst es dir aber nicht verkneifen, die Wehen auf 18 Stunden zu dehnen, um sie dann doch in einen Kaiserschnitt münden zu lassen.

Ich höre von verschiedener Seite Verschiedenes über dich, kindlich Naives, dennoch gefällt es mir, etwas von dir zu wünschen. Lass bitte deine gemeinen Volten, mir reicht's, lass meinen Leuten das Glück des Alltags, wir wissen jetzt, was Unglück ist, wir leiden jeden Tag, ich wünsche mir, dass es aufwärts geht, hörst du.

21:03

Vor einer Viertelstunde rief in Badewannen Jupps Schlafzimmer jemand um Hilfe.
Seine Frau.
Hilfe. Hilfe! Hilfe! schrie sie. Ich rufe die Polizei.
Dann schloss jemand das Fenster.
Ich kenne Badewannen Jupp kaum, aber ich mag ihn nicht.
Jetzt ist Ruhe.

Ich fühle mich wohl heute abend.
Mir ist unheimlich beim Wohlsein. Aber ich fühle mich wohl.

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe. (Hiob 14,1)

22:41

Ich hab den Balkon umgeräumt.



Deine Blumen bleiben, bis sie zu Staub zerfallen.

23:36

Ich bitte Sie dringend, das Leben nicht ernst zu nehmen.
Sie liefen sonst Gefahr, verrückt zu werden.


Do 16.07.09
  9:16

Erfuhr gestern, dass jemand Nachricht von dir hat. Ein Traum.
Du sagtest, wie froh sie wärest, keine Schmerzen mehr zu haben.
Die Träumende erwachte. Sie war erschrocken. Das ist verständlich.
Träume (niemand weiß ja so recht, was realer ist, das Leben oder die Träume) können sehr nah kommen. Ich träume nicht. Oder besser: ich erinnere mich nur selten an Träume.

11:17

Krame in Sachen. Der Keller ist voll davon.
Fand dieses Gedicht, das ich vor vier, fünf Jahren für dich geschrieben habe.


Men Sing

Vergiss das Wolkenmal
das ich dir schenkte
vertreib das Windgesicht von deiner Haut
ergib dich meiner Qual
mit der ich uns den Kopf verrenkte
und schließe meine Augen, meine süße Braut.

Vergiss, die Jahre, die ich dich begleite
und greife eine frische Frucht von meinem Baum
begangen sind wir längst von jeder Seite
beschreiben können wir das Leben kaum.

Zerschlissen hab ich deinen warmen Pelz
verloren schon vor Ankunft weit vorm Anfang
so ist, was du dir träumst, nur zarter Schmelz
und bleibt, dass niemals mir ein Schritt gelang.

Vorm Sommer hocke ich auf einem Scheiterhaufen
und lodernd geht mein letzter Halt
vor deiner Furcht hab ich mich gern verlaufen
wir töten uns, wir werden alt.

Für den, der einen Schritt wagt, wird ein Preis gesetzt
für den, der eine Lösung hat, geht Manna nieder
für den, der weiß, wie man den Teufel hetzt
vergraben wir uns tief und kehren niemals wieder.

13:02

Was für eine schöne junge Frau ...



15:25

Hermann, du musst noch soviel lernen, was ich schon alles in meinem Blut hab.
Und ich weiß nicht, ob dir 50 Jahre reichen. (Chris/Tagebücher/ 22.4.76)

17:26

Alles steht auf dem Prüfstand.
Das meiste ist eitel.


22:13

Nichts davon in deinen Tagebüchern.
Kein Drumherum, Glück und Unglück, egal, welche Stelle ich lese, alles gerade, uneitel und ehrlich.


Fr 17.07.09
  8:38

Ratlos der Vogelgesang. Gerade ein halbares Gewitter, das Barometer ist gefallen, es liegt in der Luft, Mensing sehnt sich und sehnt sich, aber in den Thai Puff gleich um die Ecke wird er nicht fahren, erstens, weil's da nicht das gibt, wonach er sich sehnt, zweitens, weil das nicht sein Stil ist, drittens, weil's dummes Zeug ist.

Viele mühen sich.

Grillen im Garten, Wein in der Laube, Mensing nimmt's dankbar, aber dann muss er doch wieder allein nach Haus, allein, allein, großer Hit zu Beginn dieses Jahres, noch so einen wird die Band nicht raushauen können, bleibt zu hoffen, dass sie ihre Studienplätze nicht gekündigt hatten und etwas Vernünftiges mit dem Geld machen, das sie verdient haben.

Pop Life tut immer noch nicht, was es soll, aber da halte ich Hoffnung hoch.
Pop Life ist ein Schläfer, seine Zeit kommt.

Also wieder ein Tag mit Updates, Sehnsucht und Vergangenheit.

Rauchen kann zu Durchblutungsstörungen führen und verursacht Impotenz, steht auf der Packung Tabak, die neben meinem Rechner liegt.

Mir doch egal, denke ich, aber es ist nicht egal.

Ich könnte alt werden, hat unser alter Hausdoktor mal gesagt, sehr alt, hat er gesagt, wenn ich mir ihre Haut so anschaue.

Mal sehn, ob er Recht behält, ich glaube, ja.

Auf dem Weg zu Plus gestern ein Mann, der seine im Rollstuhl sitzende Frau schob.
Beide in den frühen Siebzigern. Das ist uns erspart geblieben.

Auf der Mülldeponie traf ich eine Lehrerin, die unsere Nachbarin war zu genau der Zeit (1976), als du und ich mitten im tiefsten Liebeswirrwarr steckten (siehe Zitat).

Sie erzählte mir die Geschichte ihrer Lebenspartnerin.
Eineinhalb Jahre verschiedenster Diagnosen, schließlich ein schwer zu diagnostizierender Krebs, ein feinstes Netz kaum wahrnehmbarer Metastasen, ein Albtraum, der letzten Dezember tödlich endete.

Dagegen war unser Albtraum kurz.
März, April, Mai, Juni. Tod.

Sie werden das nicht verstehen und ich wünsche ihnen von Herzen, dass sie es nie verstehen müssen.

9:10

Auf dem Fahrrad denk ich an Nottuln, im Bett liegen, Hermann streicheln, seinen Hals küssen und einschlafen.

(Chris/Tagebücher/3.8.74)


10:29

Wir haben uns alles verziehen.

10:42

Ich fange an aus Angst zu lachen.
Ich liebe Hermann, aber Hermann ist so freudlos wie diese Menschen, die ich hasse.
Schwarzseher, ewig Unglückliche, nur Bestätigung suchend ...

Nicht Genuß?

Wo sind deine Sinne, Hermann?

Fiebrig bist du in der Liebe.
Lass dich fallen, sei träge und sinnlich und wild.

Lieber Hermann, komm nach Hause und küss mich.
Werde ETWAS zärtlicher.
Und gesteh dir zu, dass du mich liebst, trotz: Hermann und das Elend dieser Welt.

Huuuh.


(Chris/Tagebuch/April 79)

11:39

Wieder eine Pop Life Rezension.
Wieder eine gute. Also, kauft, Leute, kauft.

11:45

Spät in der Nacht bringt Ton mich half way home. Bis zum Glen Head Cafe.
Ich bin traurig und er ist traurig und oh Wunder wir küssen uns einmal ganz zart und halten uns lange umarmt und dann geht er ganz schnell, ich möchte ihm am liebsten hinterherrennen, als er see you aus der Dunkelheit schreit. Ich hab ihm gesagt, dass Hermann und er sich wahrscheinlich mögen werden, und dass Hermann wundervoll ist und Ton hat gesagt, das wäre auch nicht anders möglich bei einer Frau wie mir. Trauriger, langer Nachhauseweg.

Lieber Hermann.
Verzeih mir, dass ich mich ein bisschen verliebt hab.

(Chris/Glencolumbkille/19.7.78)

11:49

Wir haben Ton und seine Frau Winnifred danach häufig besucht. Sie wohnten in der Nähe von Alkmaar. Acht Jahre später stellte sich heraus, das Ton, der mit Winnifred eine Tochter hatte, über all die Jahre, die er mit Winnifred zusammen war, mit einer anderen Frau in Amsterdam noch eine Tochter hatte. Als er das Winnifred offenbarte und sie verließ, brach sie zusammen und brauchte mehr als ein Jahr, wieder auf die Beine zu kommen.

16:27

Als ich die Treppe zur Eule herunterkam - ich war gerade aus Südamerika zurück - kanntest du meine Geschichten. Du wusstest, wer ich bin, und hast mich trotzdem genommen.

Seit diesem Augenblick waren wir ein Paar.

Wir sind ein Wunder.
Ohne dich wäre ich nicht, was ich bin.

Ich weine, aber ich genieße jede Träne.
Ich weine so lange, bis ich nicht mehr kann.
Irgendwann werde ich nicht mehr können.

Manchmal glaube ich, dass ich dich wiedersehe.
Komm in meine Träume und küss mich.

17:38

Rettete diesen Tagpfauenauge.




17:54

DerSommerflieder, den ich vorletztes Jahr auf der Brache vorm Cineplex ausgrub, blüht. Deshalb der Tagpfauenauge. So wie damals in Luxemburg, als wir staunend vor diesen wunderschönen Blüten standen, voll von Schmetterlingen.


Sa 18.07.09
  10:11

Wenn ich deine Tagebücher lese, ist es, als würde ich mit dir sprechen.
Schade, dass sie immer nach ein paar Tagen abbrechen.
Du hattest wohl Besseres zu tun.
Du musstest leben, während ich schreibe, schreibe, schreibe.

12:29

Als das Monster diagnostiziert war, aber noch den Namen Platzhalter trug, traf ich einen befreundeten Gitarristen im Hot Jazz. Wir kamen ins Gespräch. Irgendwann war ich beim Monster. Der Gitarrist sagte, er wisse ja nicht, was ich davon hielte, aber ... Was? fragte ich. ... also, augenblicklich sei ein Schamane in der Stadt. Enkh, ein Mongole. Er wohne da und da und er habe die Telefonnummer. Ein Schamane? Ja. Ich weiß nicht. Verstehe, sagte der Gitarrist. Aber der macht Sachen! Sachen? Ja. Wenn du ihm sagst, dass jemand krank ist, kennt er vielleicht jemanden, der sterben will und nicht kann. Und? Dann geht er zum Kranken, nimmt ihm die Krankheit und schenkt sie dem anderen. Ach? Sowas gibt's? Weiß nicht, sagte er, kramte er in seiner Tasche und gab mir die Telefonnummer. Für alle Fälle. Enkh ist noch zwei Tage hier. Danke, sagte ich. Am nächsten Tag erzählte ich Chris davon. Sie lachte. Lieber nicht, sagte sie.

22:50

Trug am frühen Abend den Enkel eine Weile durch dessen Wohnung, wobei ich glücklich war. Der Enkel belohnte mich mit Einschlafen, aber kaum fünf Minuten, nachdem ich ihn in sein Bett gelegt hatte, erwachte er wieder. Ich hatte ihm Koseworte gesagt. Kleinen Menschen kann ich solche Worte ohne zu lügen sagen, Tieren auch, weil sie so schutzlos sind und ausgeliefert an diese Welt, erwachsenen Menschen sage ich sie so gut wie nie, da stolpere ich.

Du hast mich Liebling genannt und findest mich wundervoll.


So 19.07.09
  17:22

Nichts weiter: ein Sonntag, mit der Zeitung vertrödelt, dies und das und der Gedanke: nichts, nichts kann ich ändern. Ich kann dankbar sein für das, was wir hatten. Aber das ist Erinnerung. Erinnerung riecht nicht, ich kann sie nicht anfassen, Erinnerung sagt nichts und irgendwann habe ich vergessen.

21:42

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

51

groß/frei
gäbe ich her
vergäße
mäße
alleinsein nicht schreck
zu
bin jedoch
weder so
noch wäre ich so

sechzig?
jawohl
klein/frei
vor schreck bleich
online
bittend. statt fordernd.
dumm
lebenslang
sage einer: man lernt


Mo 20.07.09   9:22

Sie war da. Sie saß aus dem Sofa und schaute.
Leider ein Traum, aber immerhin, ich hab sie gesehen.

12:30

Nichts gegen die Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung. Sauberstes Timing, kein überflüssiges Gequatsche, allerdings muss gesagt werden, dass von Seiten des Antragstellers gut vorgearbeitet worden war. Eine Bestätigung der Krankenkasse brauche ich noch, dann geht alles seinen sozialistischen Gang.

16:35

Taub überall.
Die Welt interessiert mich nicht.

16:41

Weißt du, ich hab mir vorgenommen, alles was anfällt zu genießen, und wenn es Traurigkeit ist. (Chris, Brief, Januar 1972)

23:23

Man rät mir, irgendwohin zu fahren, wo Menschen sind, die dich nicht gekannt haben.
Ich will aber nirgendwohin fahren. Ich bin gern da, wo du mit mir unser Leben lang warst.
Ich will sehen, wie mein Leben wieder ins Lot kommt.
Ich bin neugierig. Trauer ist nicht nur dunkel. In meine Trauer mischt sich alles mögliche.

Mein Kopf schwirrt, und nicht alles ist angenehm, manches geradzu peinlich.
Aber da ich nicht weiß, was Trauer ausmacht, nehme ich an, dass sie ist wie sie ist und dass es das Beste ist, sie zu nehmen, wie sie ist, mit all dem Schwirren, Nichtwissen und den Peinlichkeiten.

Ich fange gerade erst an, soviel allerdings weiß ich.
Wo das hinführt, weiß ich nicht.

Ich weiß nur:
Donnerstag hole ich dich.
Darauf freue ich mich.
Ich weiß, dass du nur noch ein Häufchen Asche bist, aber das ist nicht schlimm.
Du hast einen Platz in mir. Da bist du lebendig.

Also, bis Donnerstag, ich schlafe jetzt, und so Gott will, erwache ich morgen früh.


Di 21.07.09
  11:16

Einspruch, peinlich, rief letztens jemand in diese Texte hinein und ich dachte, wie, peinlich, mir ist nichts peinlich, dem Leben ist nichts peinlich, wie sollten die Texte da peinlich sein?

Hatte zudem den Eindruck, dass da noch etwas anderes mitschwänge, denn ich wusste mehr über Dinge, die sein Leben verändert hatten, als er, ich wusste noch vor ihm, dass es für ihn keine Rückkehr gäbe, weil schon jemand seinen Platz eingenommen hatte, das alles wusste ich und da dachte ich, vielleicht ist das seine Rache.

Zudem hatte ich das Gefühl, er hatte nicht gelesen, was für all diese Texte gilt:
man befindet sich in einer Werkstatt.

Aber dann dachte ich weiter und tat, was ich sonst immer tue: ich redigierte, eine meine Lieblingsbeschäftigungen, streichen und kürzen, und auf diesem Wege sieht die Werkstatt für den Monat Juli 2009 schon wieder ganz anders aus.

Heute. Wer weiß, wie sie morgen aussieht.

22:44

Was vor sich geht, wissen die Götter. Heute hatte ich weit über tausend Zugriffe.
Also, greift zu, kauft, kauft, das ist der Sinn unserer Existenz, wir sind eine Konsumgesellschaft. Ich liefere die Ware, ihr kauft.

22:50

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet


52

also, gott,
poetische metapher,
morgen
sind es fünf wochen
seit du meine frau genommen hast,
meine frau, hörst du.

also, weltretter,
der es zugelassen hat,
dass abermillionen
in deinem namen getötet wurden,
seit du deinen sohn (ha, ha, haaaa)
auf die welt geschickt hast.

ich -
hörst du -
ich - menschensohn -
gottes sohn also -
bin fertig mit dir.

ich bin
noch lange nicht fertig mit dir.

basta.
aus und vorbei.

hast du's verstanden.
okay. also, machs gut chef.


Mi 22.07.09
  8:41

Es gibt Tage, an denen es nicht mehr weh tut.
So kurz danach, denke ich dann und schäme mich fast.
So kurz danach, und schon versinken Erinnerungen im Alltag.
Das Leben ist ein Spektakel. Es nimmt keinerlei Rücksicht.
Es darf alles, und wir, die Lebenden, haben keinen Einfluss.

Den Toten geht es besser.
Die haben das Spektakel hinter sich.
Die stinken in einer Grube still vor sich hin, zerfallen oder sind Asche, wie du.

Meine Perspektive hat sich verändert.

Wenn ich Paare sehe, denke ich, ihr habt es noch vor euch, ich habe es hinter mir.
Wenn ich Raucher sehe, denke ich, wenn ihr wüsstet, wenn ihr auch nur einen Bruchteil des möglichen Horrors, der euch bevorstehen könnte, ahntet, ihr würde schreiend davonlaufen, ihr würdet auf Knieen bitten, dass es nicht wahr wird, aber es könnte wahr werden, jeden Augenblick und es kann jeden treffen.

Dass es tatsächlich geschieht, erschreckt bis auf die Knochen. Gleichzeitig stimmt es froh, denn ich habe ja überlebt. Jeden Tag, den ich überlebe, werde ich versuchen, zu feiern. Jeden Tag seither.

Und noch etwas: ich weiß, dass es nichts Besseres für mich gibt, als Auskunft zu geben.
Ich gebe mir Auskunft, nicht Ihnen. Ich schreibe auf, was privat ist, aber das Private ist immer auch das Öffentliche, denn woher sollte man erfahren, wie das Leben ist, wenn niemand Auskunft gäbe.

Also gebe ich Auskunft.
Geboren im März 1949, als angeblich die Kastanien blühten.
Nie etwas anderes getan als das, was ich tue.
Aussicht auf Minimalrente.
Keine Angst vor morgen.
Grundsätzlich: Optimist.
Grundsätzlich: Ja.
Grundsätzlich: voller Fragen: voller Neugier:
Allerdings: kaum Antworten.
Alles immer nach dem Prinzip: das probiere ich aus.
Nie einen Plan verfolgt.
Nie einen verfolgen wollen.
Nie akzeptiert, dass jemand mir vorschrieb, was zu tun wäre.

So sieht das aus, fünf Wochen nach deinem Tod.
Du weißt, wer ich bin, du weißt, dass es niemals wieder so wird, wie es war, aber ich kann es nicht ändern, das Leben geht weiter.

11:54

Dazu ein Zitat, das ich in deinem 1973er Tagebuch fand.
Ich weiß, du mochtest Camus sehr.
Ich erinnere mich kaum noch an ihn, aber ich hab ihn gelesen, damals ...

"Es gibt keinen großen Schmerz, keine große Reue, keine großen Erinnerungen. Man vergisst alles, die große Liebe sogar. Das ist am Leben das Traurige und zugleich Passionierende. Es gibt nur eine gewisse Art, die Dinge zu sehen, und die kommt von Zeit zu Zeit an die Oberfläche. Darum ist es trotz allem gut, wenn man eine große Liebe, eine unglückliche Liebe in seinem Leben zu verzeichnen hat. Das gibt uns wenigstens ein Alibi für die Verzweiflung, die uns ohne Grund befällt." (Albert Camus: Der glückliche Tod)

12:48

Fiedrich Nietzsche: "Jenseits von Gut und Böse"
"...ein Gedanke kommt, wenn >>er<< will, und nicht wenn >>ich<< will,"

18:46

Neben mir Frauen im Alter von 30 bis Mitte 60. Eine erzählt, sie habe zum Geburtstag etwas aus einem Erotikgeschäft bekommen. Sie sagt, was es war, aber ich verstehe sie nicht, höre aber, wie die übrigen kreischen. Dann erzählt die Älteste, sie sei mal in diesem Laden an der Hammer Straße gewesen und habe Penisse angeschaut. Schenkelklopfen, Kreischen. Eine sagt, "sprich doch noch lauter!" Ich schaue auf, lache, sie werden reihum rot.

19:51

Buddha is in the house ...




Do 23.07.09
  10:04

Die sind weg und die fahren bald, die kommen am Wochenende zurück und haben eine Karte geschrieben. Ich bin hier und gleich fahre ich los, dich zu holen. Dann beginnt die Zeit bis zur Ewigkeit, denn soviel ist klar: ich komme zu dir, wenn es so weit ist.

Hatte einen schönen Abend mit unseren ehemaligen Nachbarinnen.

Ich war mit Rad herumgefahren, hatte gedacht, ich besuche die H.'s, aber die saßen nicht draußen, die saßen in ihrem Wohnzimmer und ich wollte nicht eingesperrt sein, also schellte ich gar nicht erst, drehte ab und fuhr weiter und dachte dann, H. und R., da fahre ich hin.

Die beiden freuten sich, holten Wein aus dem Keller, wir setzten uns in den Garten, kamen von Höksken auf Stöksen, und natürlich waren wir irgendwann auch bei dir.

Aber das weißt du, du bist ja bei mir, du bist, wo ich bin, also muss ich es nicht erzählen.
Es geht langsam aufwärts. Ich kann mir wieder vorstellen, Bücher zu schreiben.
Aber begonnen habe ich nichts, ich warte, bis der Sommer vorbei ist.

16:31

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

53

auf dem klavier
ist die ewigkeit eingetopft
ich fürchte sie nicht
weil du wartest
ich komme
verlass dich drauf ...

22:47

Kaum hatte ich eine Hand voll vom Balkon verstreut, rief die Kuh, die du so gern gehört hast. Ich holte noch mehr und streute dich in die Nacht. Den feinen weißen Staub an meiner Hand rieb ich mir ins Gesicht.

23:52

Mein Testosteronspiegel versucht noch immer, mich mit Fantasien zu täuschen.
Darin kommen Frauen meines Alters so gut wie nicht vor.
Ich könnte gut ohne dieses Hormon.
Hatte das alles ja, als ich jung war und mich nicht täuschte.


Fr. 24.07.09
  8:52

10:30 Termin mit der Dorfzeitung für ein Interview.
Ich wette, Sie schicken mir wieder jemanden, der a: weder den Roman gelesen noch b: sonst eine Ahnung hat. Werde versuchen, spröde zu sein.

14:04

War doch gar nicht so schlecht. War insofern spröde, als ich sie habe fragen lassen, statt - wie sonst - loszusprudeln und mich um Kopf und Kragen zu reden.

18:41

Laughing with

No one laughs at God in a hospital
No one laughs at God in a war
No one´s laughing at God when they´re starving or freezing or so very poor

No one laughs at God when the doctor calls after some routine tests
No one´s laughing at God when it´s gotten real late
And their kid´s not back from the party yet
No one laughs at God when their airplane starts to uncontrollably shake
No one´s laughing at God when they see the one they love
Hand in hand with someone else and they hope they´re mistaken

No one laughs at God when the cops knock on their door
And they say we got some bad news sir
No one´s laughing at God when there´s a famine fire or flood

But God can be funny
At a cocktail party when listening to a good God-themed joke
Or when the crazies say He hates us
And they get so red in the head you think they´re ´bout to choke

God can be funny
When told he´ll give you money if you just pray the right way
And when presented like a genie who does magic like Houdini
Or grants wishes like Jiminy Cricket and Santa Claus
God can be so hilarious
Ha ha
Ha ha

No one laughs at God in a hospital
No one laughs at God in a war
No one´s laughing at God when they´ve lost all they´ve got
And they don´t know what for

No one laughs at God on the day they realize that the last sight they´ll ever see
Is a pair of hateful eyes
No one´s laughing at God when they´re saying their goodbyes

But God can be funny
At a cocktail party when listening to a good God-themed joke
Or when the crazies say He hates us
And they get so red in the head you think they´re ´bout to choke

God can be funny
When told he´ll give you money if you just pray the right way
And when presented like a genie who does magic like Houdini
Or grants wishes like Jiminy Cricket and Santa Claus
God can be so hilarious

No one laughs at God in a hospital
No one laughs at God in a war
No one laughs at God in a hospital
No one laughs at God in a war
No one laughing at God in a hospital
No one´s laughing at God in a war

No one´s laughing at God when they´re starving or freezing or so very poor

No one´s laughing at God
No one´s laughing at God
No one´s laughing at God
No one´s laughing at God
We´re all laughing with God

(Regina Spektor: far)

Video

21:00

Jetzt schlaf ich mal in Ruhe, sagtest du, eh ich ging.
Drei Stunden später warst du tot.

22:14

Regina singt.
Das tut gut, ist aber nicht das, was ich brauche.

23:09

Alles wird anders.


Sa. 25.07.09
10:42

Ich habe Pläne.
Ich zerstreue mich, statt mich zu sammeln.

Hertha BSC gegen Preussen Münster am kommenden Samstag, vielleicht zu einem Festival im Amsterdam am 5. September, zu Dizzee Rascal in den Skaters Pallace am 12. November. Und schreiben? Vielleicht. Aber worüber?

Schreib doch über mich, sagtest du, als ich dir erzählte, dass ich mit Die Prinzessin an einem Wettweberb teilnehmen wollte. Das Thema: Sterben.

Ich wiegelte ab.

16:34

Es geht nicht aufwärts.

Ich hab sie gesehen, auf dem Markt, in der Stadt, Menschen meines Alters, mit und ohne Frau, bei denen geht's nicht mehr aufwärts, die haben schon dies und das. Ich habe - so weit ich weiß - nichts, aber ich weiß, was mir blüht, ich habe mitgezählt: 1.2.3. mein Vater, meine Mutter, du, 4. ich.

Es geht nicht aufwärts.

Was ich denke, ist erschreckend, verwirrend, beschämend
.
Ich verkröche mich gern, aber verkriechen hieße, noch mehr Einsamkeit, und die ertrage ich schwer. Ich war nie allein. Ich habe mein Leben mit dir verbracht. Du warst nicht wegzudenken, selbst wenn ich dich weggedacht habe, du warst da, mein Schatten, größer als ich.

Was also?

18:30

Aufhängen.
Von der Autobahnbrücke springen.
Ans Meer fahren und so weit hinaus schwimmen, bis man absäuft.
Die Nerven verlieren, randalieren, sich einweisen lassen, dort Tabletten sammeln und weg.
Hätte die Opiate aufbewahren sollen, vier, fünf davon, die hätten gereicht.

All diese Optionen kommen für mich nicht in Frage.
Aber ich denke sie, hin und wieder denke ich sie und erschrecke.
Als wären die Schrecken der letzten Monate nicht genug gewesen.


So 26.07.09 9:08

Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

54


niemand
mit dem ich das frühstück teile
ungesagt
was nur wir sagen konnten
ungefühlt, was wir fühlten

was für's alter gereicht hätte
und darüber hinaus
ist vergangen

ich wasche meine hände ...
und beweine dich
wieder und wieder

er hat abgerechnet
du hast gezahlt
ich trage das leid
und die sehnsucht

deine strickjacke
auf meinem kopfkissen
fotos von dir
aus der fremde

vergebens
eine ganz normale geschichte

ach hermann
du hast getan
was zu tun war

lebe

13:51

Meier setzte sich wieder. So einfach, wie er sich seine Versöhnung vorgestellt hatte, lagen die Dinge nicht. Dieser italienisch aussehende Mann, der Hannah beim Auszug geholfen hatte, bewachte sie wie ein Gockel. Meier war zwar nicht sicher, ob Hannah ihn nur als Druckmittel gegen ihn einsetzte, aber seine Verbindungsleute in der Stadt hatten ihm in den letzten Wochen mehrfach mitgeteilt, dass sie Hannah und ihn Arm in Arm gesehen hätten. Küsschen hier. Küsschen da. Pah! Und was noch schlimmer war: der Mann war gar kein Italiener. Er sah nur so aus. Er profitierte vom Zufall der Natur und diesem Amore Gesäusel, dem Hannah nicht widerstehen konnte.

Amore! Ich zwing dir den Mond in die Tasche. Amore. Ciao Bella.

Wie leicht diesen glutäugigen Schmalzlocken so etwas über die Lippen kam.
Das sollte er sich mal leisten! Manchmal war ihm danach, aber ein Pendant zu Ciao Bella hatte er noch nicht gefunden. Tag Süße! war ihm zu plump, Na mein Schatz! zu anbiedernd, Wie wär's mit uns zwei? zu vertraulich und Your room or mine? zu zappaesk.

Und jetzt kam es: dieser verhinderte Papagalli spielte auch noch Saxophon, ein Instrument, das Hannah umwarf. Dunkelhaarige Saxophonisten waren ihr Traum. Charlie Parker mochte sie nicht. Er spielte ihr zu schnell und nicht lyrisch genug. Aber einen Seufzer wie Gato Barbieri verehrte sie.

Es schlug sechs. Ten Humberg, Meiers Katze (Mitus Mutter) war mit einem Satz überm Zaun und strich um seine Beine. Meier beugte sich herab und kraulte sie hinterm Ohr. Ten Humberg ließ ihn gewähren, aber dann sprang sie schräg, so, als wolle ihr Hinterteil mit steil aufgerichtetem Schwanz sie überholen, davon und verschwand unter den Fichten.

Meier kannte dieses Spiel. Er trommelte mit den Fingern gegen das Stuhlbein und versuchte, einen möglichst unbeteiligten Eindruck zu machen. Aus den Augenwinkel beobachtete er die unteren Äste der Fichte. Richtig. Da lag Ten Humberg, den Kopf auf den Vorderpfoten, flach an die Erde gekauert, die Schwanzspitze zuckend, den Blick starr auf seine Finger gerichtet. Er trommelte weiter.

Ten Humberg spielte die Unbeteiligte, aber dann schoss sie, ein schwarzer Schatten mit weißem Latz, hervor und schlug zu. Meier war schneller. Er griff sie im Nacken, hob sie hoch und fauchte sie an. Ten Humberg tötete ihn mit einem Blick. Lachend ließ er sie frei. Ten Humberg schüttelte sich und begann sich zu putzen. Typisch Ten Humberg. Wenn sie unterlag, tat sie so, als sei nichts gewesen.

Meier ging ins Haus und legte sich auf sein Bett.

Hatte er vorhin von Versöhnung geträumt, standen jetzt alle Zeichen auf Angriff. Zur Not würde er diesem Saxophonisten das Mundstück seines Instruments in den Rachen schrauben, bis kein Ton mehr raus kam. Zur Not würde er durch ihr Küchenfenster steigen, sie in seinen VW zerren und mit ihr auf und davon gehen. Ciao Bella! würde er sagen, den negativen Sturz seines 68er Käfers ausnutzend um die Kurven preschen, auf und davon.

Ciao Bella! Was immer dir dieser Westentaschenpapagallo geblasen hat, damit ist es vorbei. Nich Bella, ich dresch dir die Flausen aus. Ja, Bella. Das sind meine Arme. Das ist mein Mund, mein Schwanz. Du gehörst mir und nicht ihm. So ungefähr. Mein wüster Herzschlag. Du und ich fort von hier nach New York. Ich kenn' den ein oder anderen Platz hoch über den Straßenschluchten.

Von da stoße ich dich, stößt du mich, stoßen wir uns, ganz wie du willst, Bella. Und dann Flug. Und dann Basta die Scheiße, die freie Liebe oder das hermetische Gefängnis, die Hoffnung auf Irgendwas oder die Wirklichkeit Garnichts. Nich Bella, das is was anderes, als Saxophonkoffer zu tragen und schmachtend vor Bühnen zu stehen, bis er dir seine Kanne zuwendet und einen Lauf für dich röhrt, dass die Hose dir feucht wird.

Und dann, Bella, streiten wir weiter, streiten ein Leben plus Bonuswoche für gutes Betragen, streiten Tag und Nacht, bis endlich einer die Schnauze voll hat und sagt, hör zu, ich habe nichts mehr zu verlieren, und so wie ich die Sache sehe, du auch nicht. Warum also hör'n wir nicht auf damit. Schließen wir Frieden. Machen wir Kinder. Richten uns ein. Werden wie alle.

Aber du wolltest ja anders sein. Deshalb hast du dir quere Vögel an Land gezogen: Eddy, den Sohn eines Gaswerkdirektors, der sich schon am Morgen die Venen voll pumpte; Söhne wie mich, die von der Vision göttlicher Pausen zehren; halbgare Saxophonisten; diesen Neger, der dich in der Toilette des Intercity Paris-Hamburg vögelte und von dem du dich hast vögeln lassen, um dir zu beweisen, dass du nichts gegen Neger hast; schwule Tänzer, die einherstolzieren konnten wie Pfauen und springen wie Gemsen: alles Söhne, die auf dich abfärben sollten, dich wärmen mit ihrer Kunst, am wirklichen Leben haarscharf vorbei in die Ferne zu leben.

Bella! Schönaug Hoffnung dein Name. Bella Giebel.

Der Gipfel weiblicher Gewalt. Der Gipfel an Hingabe.

Trotzdem ist es dir nie gelungen, auch nur eine Sekunde zu sitzen, ohne die Füße übereinander zustellen, gerade so, als fürchtetest du, dass jemand unbefugt in dich dringt. Dass ich nicht lache, Bella! Du hattest doch immer ein Faible für ein wenig Gewalt in der Liebe, obwohl alle glauben, du seist der zärtlichste Engel unter der Sonne. Ein Engel, Bella, mein Engel, deine Gewalt und mein wüster Herzschlag, wie wär's.

Your room or mine? (aus: Hermann Mensing, Meier der Große, 1998 unveröffentlicht)


Mo 27.07.09
  9:52

Fuhr mit dem Rad über Land, Feld, Wiese, Wald. Urlaub, ohne stundenlanges Anreisen und Stress unterwegs, machte Station im Maisdschungel bei Bruno und Veronika, saß mit ihnen im Schatten, erzählten Geschichten, und unausweichlich Geschichten von dir.

Veronika bestätigte mir, dass es gut war, wie es war. Sie kennt sich aus mit Sterbenden, sie hat lange auf Krankenstationen gearbeitet, das war gut, sagte sie, genauso muss das sein, sagte sie, während Bruno nicht sicher war, ob er das gekonnt hätte, vier Tage mit dir im Haus.

Ich fühlte mich gut, so allein unter Menschen.

Und, schreibst du?

Täglich, antwortete ich, so wie jetzt, hier, ohne Ziel, Miniaturen, Gedichte, falls das Gedichte sind und Miniaturen, wer weiß das, die anderen vielleicht, deren Beruf es ist, über Texte zu richten, ja, ich schreibe, ich schreibe wie ich immer geschrieben habe, und vielleicht habe ich jetzt den Vorteil der schmerzhaften Erfahrung, die mich, wenn ich Geduld habe und nicht den Kopf verliere, weiter bringt.

Abends kam Ewald, gerade aus Südfrankreich zurück.
Auch wir sprachen von dir. Mit Ewald kann man weinen, das tut gut.


22:07

Nicht gut tut, dass ich, wenn der Besuch geht, allein bin.
Ohne Frau, die mich spiegelt. Da kann man reden und reden, es ändert nichts.


Di 28.07.09   8:20

Das Telefon schellt, im Display steht der Name deiner besten Freundin. Ich hebe ab. Hast du mal angerufen? fragt sie. Ja, sage ich. Wir waren im Urlaub, sagt sie. Hm hm, dachte ich, sage ich. Und? Ach, sage ich. Sie sagt, dass sie jeden Tag an dich denkt.

Sie träume von dir. Sie sagt, dass nichts wieder so wird, wie es war.
Ich weiß, sage ich.
Du musst einen Walkabout machen, sagt sie.
Einen was?
Walkabout! Das machen die Aborigines so.
Aber ich bin Westfale, sage ich. Ich habe keine Songline.
Ja, schon, sagt sie. Aber wir haben doch über die Seele gesprochen, erinnerst du dich?
Ja. Und? frage ich.
Vielleicht erdet dich das, sagt sie.
Erden? sage ich. Womit erden? Alles, was mich geerdet hat, ist fort. Ich schwebe im Nirgendwo. Alles, was ich nie wusste, weiß ich jetzt um so weniger. Ich kann nicht mehr fragen. Sie fehlt mir.
Das kommt schon, sagt sie. Du brauchst Geduld.
Geduld! sage ich. Du bist Amateur, was weißt du denn?
Nichts, sagt sie.
Siehste, sage ich.
Ich weiß, trotzdem, sagt sie. Aber vielleicht wäre das gar nicht schlecht. Komm doch vorbei.
Ach, sage ich.

13:45

Gedicht mit Klavier.

19:24

Immerhin, ich hab's gemacht.
Könnte noch hier und da feilen, vielleicht gleich, mal sehn ...

19:28

Morgen treffe ich einen Profi. Weiblich.


Mi 29.07.09   12:10

Wer Stil hat und wer nicht, entscheidet sich an kleinen Dingen. Etwa, wann eine Rechnung versandt wird, wenn es eine Rechnung ist, die nur deshalb geschrieben werden musste, weil jemand starb. Der Rosenhändler hat Stil. Der weiß, was einem um die Ohren saust in den ersten Tagen danach, in denen der Bestatter mir seine Rechnung längst aufgemacht hatte.

Der Rosenhändler hat sich gedacht, so etwas tut man nicht, lass den erst einmal zur Ruhe kommen.

Heute sind sechs Wochen vergangen. Ich bin ich ein wenig zur Ruhe gekommen. Heute kam die Rechnung, ich habe die Rechnung bezahlt und freue mich, dass es noch Menschen mit Stil gibt. Ich habe den Rosenhändler angerufen und mich bedankt, und der (eine die) hat gesagt, dass auch sie das fürchterlich findet, dass auch ihr beim Tod ihrer Mutter wenige Tage später schon die Bestatterrechnung auf die Tisch flatterte, sie hat gesagt, dass viele Menschen glaubten, mit der Bestattung sei es mit der Trauer schon fast vorbei, dabei beginnt sie doch gerade erst.

Ja, das Leben ist auch eine Stilfrage.

15:48

Der Schmerz kommt von allein.


Do 30.07.09
  8:07


Aus dem Zyklus: Ich weiß nicht, was es bedeutet

55

ob gut, schlecht
himmelhoch, höllentief
heute, morgen oder in zwanzig jahren
fakt ist
das haus hat den boden verloren
sein architekt, seine pläne
verbrannt
gott existiert nur für gläubige
die bewohner sind fassungslos
jeder rat schal
sechs wochen: vergangen
sechs wochen, 36 jahre davor
wie soll man bauen
wo anfangen
wie soll man sich sammeln
wenn alles zerstreut ist
was tut, wer nicht täter ist
sondern opfer
wie antworten
wenn die fragen so groß sind

file under: rückfall/vorfall/selbstmitleid

16:04

Große Liebe, großer Schmerz.
Kein Wunder, dass es so weh tut.

21:25

Schwarz, alles schwarz, seit gestern Abend.


Fr 31.07.09 11:23

Man muss drüber schlafen. Dann erwacht man und wundert sich, dass die Sonne scheint. Man steht auf, trinkt Kaffee, die Düsternis hängt wie ein drohendes Banner, man weiß, dass es sich jeden Augenblick ungefragt neu aufblähen kann, aber nicht heute, heute ist mein Tag, gestern war deiner, und ich habe nicht die Nerven verloren, bääätsch.


17:04

Die Käsefrau hat ihr Versprechen gehalten. Heute gab sie mir Blumen für dich. Wann immer ich die Nachbarin treffe, sagt sie, dass die Leute es noch immer nicht glauben könnten. Julius schreit viel. Schau mal vorbei und beruhige ihn. Und ich? Ich habe nach der Düsternis gestern heute einen fast friedlichen Tag.

20:38

War in der Stadt, um ein Geschenk für die Frau eines Freundes zu kaufen. Ein Glas, hatte er geraunt, aber was für eines? Die Frau ist eine sehr schöne Frau und wird, glaube ich, 42, 43? Ich weiß nicht recht. Jedenfalls geriet ich in diesen Schuhladen, in dem ich dir einmal Stiefel kaufte. Es gibt außer Schuhen auch kleines Geschirr und ich dachte ans Glas. Und dann sah ich diesen Schuh. Ich nahm ihn. Er hätte dir gefallen. Schade, ich kann dich ja nicht mehr beschenken. Das heißt, kann ich schon, nur nicht mit Schuhen. Ich habe dir Blumen vom Markt mitgebracht.

Der Schuh stellte ich fort.

Ich hatte auf dem Weg in die Stadt die Idee, einen P.J. Harvey Bildband zu kaufen, war also zunächst zum Modernen Antiquariat gefahren, aber so etwas gab dort nicht. Es gab eine englische Biografie, aber ob die Frau Englisch liest?

Also war ich doch weiter gefahren, das Glas suchen. Eine Kugel Eis zur
Pause, und ins nächste Geschäft. Ah, ein Glas. Ein hochstieliges
Glas mit Gravuren, farblos, ganz hübsch. Man kann Wein daraus trinken. Das kaufte ich. Die Verkäuferin schlug es in eine alte Zeitung ein, ich verstaute es in meinen Rucksack und radelte gemächlich heim.

Der Weizen steht noch auf dem Halm. Die Gerste ist längst geerntet, die Felder sind geeggt.
Der Sommer war schön heute. Jetzt schläft spätes Licht auf dem Dach gegenüber, ich habe ein wenig Klavier gespielt, und es scheint, dass es nun, wo du nicht mehr hier bist, wichtiger wird. Vielleicht lerne ich sogar noch, es richtig zu spielen. Auf jeden Fall tröstet es.

Heute war meine Trauer voll Liebe.
Unentwegt dachte ich, dass deine Liebe nicht weg ist. Dass sie Teil von mir ist.
Du hattest so viel davon, dass es für mich noch eine ganze Weile reichen wird.

21:17






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