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Hermann Mensing: Mein Prinz

1

Oktober 1758
Die Stube war niedrig. Man musste aufpassen, dass man sich nicht den Kopf an den Balken stieß. Eichenbalken, die die Decke und das darüber liegende Dach mit dem Heuboden trugen. Der Boden der Stube war aus gestampftem Lehm. In einer Ecke lehnte ein Reisigbesen. Er stand auf dem Kopf. So sollte er Hexen vertreiben. Dann war da noch ein Bett und ein Hocker.
Im Bett lag eine Frau. Auf dem Hocker saß ein Mann. Sein Kinn war auf die Brust gesunken. Er war eingenickt.
Der Mann war schwarz.
Im Kamin glomm ein schwaches Feuer. Im Rauch hing ein verrußter Topf. Wind rüttelte an den Dachpfannen. Im Stall zerrte eine Kuh an ihrer Kette.
Eine Uhr tickte leise.
In der Stube war es dunkel, sehr dunkel.
Es roch nach Kohl, Krankheit, nach der Kuh und den Hühnern. Eine Katze maunzte und der Wind heulte durch viele Ritzen.
"Johann? - Johann, bist du da?" sagte die Frau. Ihr Haar war verschwitzt. Ihr Atem ging stoßweise.
Johann erwachte aus unruhigem Halbschlaf. "Ja Maria, was ist denn?"
"Verlass mich nicht!"
"Niemals, Maria, das weißt du doch. - Was ist denn?"
"Ich habe die Männer gesehen, Johann. Sie hatten glühende Eisen."
"Das sind böse Träume, Maria."
"Nein, Johann. Sie fesselten dich!"
"Davon will ich nichts hören!"
"Erzähl von den Männern. Das wird dir gut tun", sagte Maria.
Johann warf Holzscheite auf die Glut. Erste Flammen züngelten und warfen gespenstische Schatten. Dennoch wirkte die Stube gleich wärmer, nicht mehr so dunkel und abweisend.
Nicht mehr so, wie die Hütte, in der er seine Kindheit verbracht hatte, zerstochen von Mücken, gefährdet von Tieren, die größer und kräftiger waren als Menschen, eine Kindheit in der Gemeinschaft des Stammes, bis die weißen Männer gekommen waren und sein König ihn und viele andere an diese Männer verkauft hatte.
Die Kuh warf sich unruhig hin und her.
Ein Kauz schrie.
Irgendwo quiekte eine Ratte. Die Katze hatte Beute gemacht.
Gegen Alkohol, Perlen aus billigem, geschliffenen Glas, gegen Spiegel und Gewehre, die Zauberstäbe des weißen Mannes, hatten Ashanti Könige ihre eigenen Leute verkauft.
Für Tand hatten sie Johann und seine Brüder und Schwestern an die Uburuni verschachert, schwitzende Männer, die die Farbe von Leichen hatten und auch so rochen.
Dass der Teufel sie hole!
"Uburuni!" knurrte Johann.
"Was sagst du?"
"Ach nichts."
"Sind das die Männer?"
"Ja, Maria, so nannten wir sie."
"Erzähl mir von ihnen, bitte...."
"Nein. Ich kann nicht. Wir Bekwai glauben, dass Kummer, über den nicht gesprochen wird, nicht existiert. Ich will es genauso halten. Auch wenn ich jetzt kein Bekwai mehr bin, sondern ein freier Mann. Ein Mohr in Westfalen, ein Menschenfresser, ein Affenprinz."
Maria stöhnte.
"Ruhig, Maria, nur ruhig. Ich mache dir einen Tee aus Lindenblüten. Dann wirst du schlafen, sollst sehen. Und morgen geht es dir schon viel besser."
Johann schürte das Feuer. Dabei schwankte sein Oberkörper ein wenig vor und zurück und es schien, als höre er ferne Musik. Trommeln vielleicht, die die Nachricht von der Ankunft der weißen Männer verbreiteten.
Männer mit hohen Hüten, taillierten Jacken, eng anliegenden Hosen und Stulpenstiefeln.
Uburuni! Uburuni!
Wie hatten die Bekwai gelacht, als sie diese Männer zum ersten Mal sahen. Rotgesichtig und schwitzend. Stolpernd, fluchend und nach Alkohol stinkend.
Nun wussten sie es besser.
Diese Uburuni hatten die Farbe des Todes, die Farbe all dessen, was nicht lebt, die Farbe der Geister: Weiß.
"Ich werde dir Senfpflaster machen, Maria. Du wirst sehen, die Medizin der Uburuni macht dich schnell wieder gesund."
"Ich brauche keine Pflaster mehr, Johann."
Johann erschrak.
Er hörte die Uburuni grölend heranziehen. Da, wo die Vögel überm Guineagras kreisten, da hinten am Hang, da waren sie. Sie mussten nur noch durch das sumpfige Tal, dann waren sie hier. -
Hier, in seinem Dorf.
Johann wusste, was dann geschähe. Die Trommeln riefen es überall aus.
Sie kommen, um uns zu holen, dröhnte es. Sie kommen, sie kommen.
"Wer sind sie?" fragte Maria.
"Holländer. Die Männer sind Holländer."
"Holländer?"
"Ja, Maria. Gottesfürchtige Männer, die vom Fort Elmina ausrücken, um Sklaven zu machen. Gleich holen sie mich."
Johann kroch hinter Marias Bett.
Maria rief ihn verzweifelt, aber das nutzte nichts.
Johann begann in einer fremden Sprache zu sprechen. Er wimmerte. Es klang wie das Flehen um Nachsicht, aber den Uburuni war das Leben ihrer Sklaven egal.
Sie hatten das Dorf umzingelt. Sie schossen in die Luft. Sie machten so viel Radau wie nur möglich, denn in Wirklichkeit fürchteten sie diese schwarzen Teufel und ihr verwunschenes Land.
Sie hassten seine schwere, duftende Wärme, den Fäulnisgeruch der Wälder, sie fürchtenden den Harmattan, einen Landwind, der manchmal wochenlang wehte, der Fieber und Lähmungen brachte und die Sinne verwirrte.
Ja, sie hassten all das, aber Sklaven machen war ihr Beruf, und auch sie waren an Herren gekettet, wenn auch nur durch Verträge, die sie im Vollrausch geschlossen hatten und nun waren sie hier, weit weit fort von zu Hause und fürchteten sich.
Fürchteten den Stolz dieser Menschen, fürchteten ihre Fetische, fürchteten Schlangen, Wildkatzen und Skorpione, mussten mit ansehen, wie ihre Ärzte versagten vor den seltsamen Krankheiten, die aus den Sümpfen krochen und sie überfielen, schlugen um sich, wenn sie in Mückenschwärme gerieten, schwitzten und fluchten und machten Beute.
Reiche Beute.
Sklaven, von denen sie nicht einmal glaubten, dass es Menschen waren. Sklaven, bares Geld, schwarze Teufel, die sich mit Affen paarten.
Sie trieben die Menschen zusammen, fesselten sie und führten sie fort.

 

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