September 2015                        www.hermann-mensing.de      

    

mensing literatur
 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten eintrag


Di 1.09. 17:07

Der Regen lässt nach, die Welt steht Kopf, Abertausende fliehen, und ich tanze am Beach. Morgen könnten die Knochen brechen, der Schlag könnte mich treffen oder irgendwo fängt noch ein Krieg an. Heute ist das egal. Meine Lieblingstänzerinnen sind da und wir tanzen. Danach bin ich erschöpft, ich bin nicht mehr jung, aber ich fühle mich gut und genauso alt, wie ich bin. Ich schreibe keinen Roman, ich schreibe kein Gedicht, ich schreibe nichts, ich muss nur die Ruhe bewahren. Ich pröttele, ruhe, ich mixe mir Smoothies. Ich wasche drei Maschinen Wäsche, nehme welche von der Leine, ich bügele, sauge Staub, räume ein bisschen auf und schaue im Internet, wie es mit meiner Bestellung steht. Ich habe nämlich etwas bestellt. Etwas aus Amsterdam. Er ist unterwegs. Freude steigt auf.


Mi 2.09.15 17:56

Der Mann ist hageldürr und groß. Seine Augen liegen tief. Er hat fast Glatze, die Basekap sitzt verkehrt herum. Dunkle Kleidung, eine Trainingshose, die Hosenbünde hat er in die Socken gesteckt. Schwarze, halbhohe Nikes. Im Ohr kleine weiße I-Phone Stecker. Das I-Phone in der Jackentasche. Bis zur Abfahrt des Busses bleiben drei, vier Minuten. Er dreht sich eine Zigarette mit Filter. Er raucht hastig, ohne tief zu inhalieren. Er schaut auf sein I-Phone. Sein Körper ist immer in Bewegung. Mal tippt ein Fuß, zuckte eine Schulter, schwingt ein Arm. Ein ständiges Zerren ist in ihm. Der Bus kommt. Er schaut immer noch auf sein I-Phone, wirft die Zigarette halb aufgeraucht auf den Boden, tritt sie nachlässig aus und steigt ein.

Im Bus gegenüber sitzt eine Frau mit hoch ausrasierten Schläfen und dünnem, lilafarbenen Resthaar. Sie hat ein schwammiges, eher männliches Gesicht, dicke Tränensäcke, Doppelkinn. Sie ist Ende Dreißig, trägt eine schwarze Bomberjacke und einen zweilagigen, schwarzen Rock. Die obere Lage sieht aus wie ein Mückennetz. Ihre Beine sind nackt. Überm linken Knie istr eine verschorfte Wunde. Sie trägt klobige, schwarze, bis zu den Schienbeinen hochgeschnürte Stiefel mit dicker Sohle.


Do 3.09.15
10:33

Während drüben am Hang die letzten Ballone der Montgolfiade aufsteigen, sitzt ein nicht mehr junger Mann auf der Bank am diesseitigen Hang. Er ist sehr groß und schlank, hat einen Bart, der eine Handbreit unterhalb des Kinns zusammengebunden ist und geflochten ausläuft, trägt Jeans, eine Basekap und raucht.
Die Bank steht an einem Weg. Am Wiesenrand auf der anderen Seite des Weges liegt ein kleiner Hund. Er hat langes Fell, braun, weiß, schwarz, irgendeine Art Hütehund. Der Hund gehört zu dem Mann. Er lässt sich weder durch vor seiner Nase vorbeifahrende Radler noch von sonst irgendetwas stören. Er liegt einfach da und hält Sichtkontakt zu dem Mann. Manchmal schaut er auch mich an. Ich zwinkere ihm zu, und der Schlag soll mich treffen, wenn er nicht zurück zwinkert. Ich mache das mehrfach, und jedesmal zwinkert er zurück. Als Herr und Hund schließlich gehen, muss nicht groß geredet werden. Es genügt ein Blick.


11:52

Ich hatte es bei der Schwiegertochter gelesen. Flüchtlingsfrauen üben Radfahren, und wenn sie's dann können, benötigen sie natürlich ein Rad. Ich hatte eins übrig, meine geliebte Gazelle. Also rief ich jemanden an, der sagte, ja, schön, ich sage das weiter, und am Tag drauf, sagte mir der, dem das weitergesagt wurde, wo ich das Rad hinbringen könne. Ich sagte, fein, mache ich, und wenn sonst was ist, meine Telefonnummer haben Sie. Das Rad sollte zum JAZ auf der Kinderhauser Straße. Ich fuhr hin, die letzte Fahrt mit meiner Gazelle, die sehr bequem ist. Die Kinderhauser Straße jenseits des Cheruskerrings hat etwas sehr heimat-gemütliches, Zwanzigerjahre-Häuser mit kleinen Vorgärten, Außentreppen, Simsen, manche Häuser sogar pastellfarben, dann, später die nicht enden wollende, hohe, braunrote Mauer des LKH und die Bäume, die die Straße überschatten, schließlich das JAZ und ein Aufgang zur Werkstatt. Ich schiebe meine Gazelle hoch. Am Ende sitzen drei junge Männer. Ich frage nach Herrn W. - W.?- Kennen sie nicht. Haben sie nie gehört. Oder? - Da kommt Mannfred, den fragen sie, ob er Herrn W. kennt. Manfred nickt. Er ist Herr W., und Herr W. freut sich, als er meine Gazelle sieht. Ich sage, sie fährt gut, sie schaltet, das Licht funktioniert, Bremsen auch, nur Sattel ist ein bisschen angerissen auf der Seite, ansonsten, feine Fiets. Danke, sagt Herr W. Bitte, sage ich.

14:56

Das kleine Gerät aus Amsterdam ist angekommen. Es passt in meine Jackentasche, ist formschön und verdampft Heilkräuter auf schonendste Art. Ich habe es gleich ausprobiert und sofort lieb gewonnen.


Fr 4.09.15 9:13

Man könnte einwerfen, in meiner Wohnung stünde einiges hier, da und dort, aber was immer dort auch steht oder stehen wird, es hat seine Berechtigung. Manche Dinge fallen mir auf meinen Wegen durch die Wohnung natürlich ins Auge, und oft ist es dann so, dass ich glaube, meine heute vor vier Monaten gestorbene Katze zu sehen. Nach Rücksprache mit anderen Katzenbesitzern scheint das ein bekanntes Phänomen. Katzen sind eben Tiere, die lautlos hier und dort auftauchen, um ebenso schnell wieder zu verschwinden, zur Not materialisieren sie sich eben als Schuh, Handbesen oder Kissen. Ich habe auch die Süddeutsche Zeitung schon für meine Katze gehalten.


Sa 5.09.15 15:49

Gestern habe ich einen Primus-Sattel auf mein Fahrrad geschraubt. Er hat vier kräftige Stahlfedern, die alles wegfedern, was sonst über den Steiß direkt bis ins Hirn schlägt. Der Prinzipalmarkt in Münster mit seinem Kopfsteinpflaster muss nun nicht mehr wegen Vermeidung des Schmerzes umfahren werden. Leider hat der Primus Sattel einen schwerwiegenden Nachteil. An der Spitze laufen Stahlfedern, die die Konstruktion tragen, zu einer Schnecke zusammen, die im Schritt genau da liegt, wo bei Herren nichts liegen sollte. Ansonsten ist er himmlisch. Fahren ist jetzt wie Schweben.


So 6.09.15 11:09

Mein Untermieter läuft eine Etappe des Münster Marathons. Er ist schon seit Tagen aufgeregt. Er nimmt alles sehr ernst, kichert aber gern. Heute früh traf ich ihn um kurz vor sieben in der Küche.
Start war um neun. Nach 1.35 Minuten tauchte die erste Gruppe Afrikaner vor meinem Küchenfenster auf. Im letzten Jahr war das anders, da hatte sich einer weit abgesetzt und danach kam erst einmal gar nichts, dann der eine oder andere, die erste Afrikanerin. Die große Mehrheit ist längst noch nicht hier.

Bis alles vorüber ist, also in etwa anderthalb Stunden, dröhnt die Familie D., die den Marathon gern zum Anlass nimmt, Bratwürste und Bier für Freunde und Nachbarn bereitzustellen, weil es in diesem Kaff außer zu Schützenfesten keine Anlässe gibt, straflos zu trinken oder über die Stränge zu schlagen, die Straße mit immer ein- und demselben Lied zu: Tadadada da da da da daaaa, billigster Porno-Techno. Zwischendurch mal Glockenläuten oder die Trommlergruppe vorm Netto. Hänge jetzt ein Banner auf meinen Balkon: Speed. Amphetamine. Koks. Epo.

13:01

Noch immer das gleiche Lied. Zwischendurch Helene Fischer. Soll ich hingehen und alle erschießen?


15:27

Er ist klein, hat einen kugelrunden Kopf, und als er zur Tür reinkam, wusste ich, das ist der Architekt aus meinem Dorf, zwei Straßen weiter, eine oder zwei Klassen über mir. Er spielt entweder a: mit Modelleisenbahnen, baut, b: Modellflugzeuge oder c: irgendsoetwas, und sein Vater war ein Kumpel von meinem Vater, ein Fußballer. Das alles wusste ich, nur sein Name fiel mir nicht ein, und dann hatte er mich auch schon im Blick. Wir nickten. Wir lächelten. Ich stand im Nebenzimmer mit dem Galeristen. Es war die Nacht der Museen und Galerien, ich war herumgeschlendert, aber allein macht das wenig Spaß, ich dachte, eh ich heimfahre, besuche ich ihn. Seit ich ihn bei einer Vernissage einmal beiseite genommen hatte, um ihm zu sagen, er dürfe jetzt nichts mehr trinken, mag er mich. Der kleine Mann mit dem kugelrunden Kopf war in den Räumen der Galerie verschwunden, wo ich ihn wenig später traf, und da wusste ich auch seinen Namen.

Auf der Aegidi Straße winkte mich ein blondes junges Mädchen vom Fahrrad. Sie sagte, sie würde nächste Woche 18 (16?) und wollte Zigaretten kaufen, kriege aber keine, ob ich das für sie täte. Hinter ihr standen drei weitere Mädchen, sicher nicht älter als fünfzehn. Ich sagte, okay und ging mit der Blonden in den Kiosk nebenan. Der Verkäufer, ein älterer Araber, schaute ein bisschen verwundert. Ich nehme an, das blonde Mädchen hatte schon versucht, Zigaretten zu kaufen, und er hatte sie abgewiesen. Vielleicht hielt er mich für einen Polizisten, vielleicht auch für einen Kinderficker, ich weiß nicht, jedenfall war es ihm wichtig, darauf hinzuweisen, dass er nur mir Zigaretten verkaufen würde, nicht dem Mädchen. Das ist schon okay, sagte ich, alles gut. Eine Schachtel L&M, zwei Schachteln Malboro, fast siebzehn Euro.

Als ich wieder auf dem Rad saß, dachte ich, vielleicht hätte ich den Mädchen eine kurze Predigt halten sollen, andererseits, sie wollten feiern, irgendwo warteten Jungen auf sie, soll ihnen doch schlecht werden, sollen sie doch husten und kotzen, dann haben sie was erlebt. Und falls sie husten, falls ihn schlecht oder schwindlig geworden ist, werden sie sich später an den alten Mann auf dem Rad erinnern, der ihnen diese Übelkeit ermöglichte.


Mo 7.09.15
10:56

Plötzlich ist die holländische Verwandtschaft stolz auf Deutschland. In Holland heißt es, das eigene Volk kommt zuerst, sagt sie. Die internationale Presse ist auch voll des Lobes. Mir ist dieses Schulterklopfen unheimlich. Wahrscheinlich sind die anderen froh, dass sie nicht den gleichen Ansturm von Vertriebenen verkraften müssen. Die wirklich zu erbringende Leistung mit diesen vor dem existenziellen Nichts stehenden Menschen steht uns allerdings noch bevor, denn eine freundliche Aufnahme löst nicht das Problem der Unterbringung auf lange Sicht, der Vermittlung von Arbeitsplätzen, Kita- und Schule stehen an, Sprache muss vermittelt werden, viele Menschen sind traumatisiert, da türmt sich ein Riesenberg von Aufgaben, die unsere Länder und Kommunen schon ohne Flüchtlinge oft nicht erledigen können, weil ihnen das Geld fehlt oder der politische Wille nicht, oder nur unzureichend vorhanden ist. Es wird schwierig, ganz sicher, aber wir sind ein Land, das Erfahrung hat mit Vertriebenen. Was man will, schafft man, sagt man, also wollt. Wollt alle.

Die Flüchtenden sind Opfer von Kriegen, die Amerika angezettelt hat. Amerika ist maßgeblich für diese Verwerfungen verantwortlich, aber Amerika ist weit weg. Während es zuschaut, wie sich Europa zunehmend zerstreitet, reibt es sich die Hände und betreibt seine Geschäfte. Ich will lieber nicht glauben, dass dahinter ein Plan steckt, aber manchmal drängt sich dieser Gedanke mit Macht ins Bild.


Di 8.09.15 9:14

Man fühlt sich gut, wenn man einem Flüchtling die Hand gibt, ihm ein Präsent überreicht und alle lachen, aber mit Gutfühlen ist das Problem nicht erledigt. Die Vertriebenen kommen in Massen. Auf der Insel Lesbos befinden sich augenblicklich 15.000 Menschen, und alle wollen nach Deutschland. Bis zu einer gewissen Zahl ist das organisierbar, Gabriel spricht von bis zu 500.000, was aber, wenn auf die Schnelle keine Unterkünfte mehr errichtet werden können? Was, wenn die Vertriebenen murren, was nur zu verständlich und menschlich wäre, denn Menschen mit Träumen murren schnell, wenn sie in der Wirklichkeit ankommen? Sie neigen dazu, alles sofort zu wollen. Mir ist unwohl. Mir ist mir deutlich unwohler als es mir je vorher war. London und Paris sagen, sie wollen solidarisch sein. Paris will 1000 Menschen sofort, 24.000 in den nächsten zwei Jahren aufnehmen, England 20.000 Menschen bis 2020, aber seit Samstag sind allein in Deutschland 20.000 Menschen angekommen. Und es kommen noch mehr. Noch viel mehr. Ich bete. Ich bete für die Menschen und ich bete dafür, dass nicht irgendein Hohlkopf Amok läuft, egal ob Nazi oder von der IS, die Welt ist bis an den Rand bevölkert von Volltrotteln jeder Coleur. Wir brauchen Zuversicht, Kraft, Solidarität, wir müssen zusammenrücken, wir brauchen klare Gedanken. Und den braunen Rattenfängern muss deutlich gemacht werden, dass sie von gestern sind. Wir aber leben heute. Wenn wir dieses Heute nicht bewältigen, gnade uns Gott.


12:24

ein atemzug,
dann keine regung mehr,
und was das leben ausmacht, fort
gerade noch, ich seh dich zum kaffee gesagt,
und schon nicht mehr vor ort.


Mi 9.09.15
12:24

gib das klavier her,
die töne sind für mich,
du kriegst das holz
und einen sonnenstich,
ich nehme alles,
du hast nichts verdient,
du darfst mir kaffee kochen,
und wirst dann bedient,
zum letzten mal, gib das klavier,
und dann geh los, hol bier.


Fr 11.09.15 17:16

Biologisch gesehen gehören wir zur Spezies der Faultiere. In allem bewegen wir uns so effizient, dass wir die dazu benötigte Energie auf ein Minimum reduzieren. Evolutionär betrachtet ist das das Vernünftigste, was wir tun konnten und können.


Sa 12.09.15 13:01

Seit das Auto aus dem Hause ist, erledige ich alle Wege mit dem Rad und halte die Energiezufuhr geringer als den Energieverbrauch
- was nicht heißt, dass ich hungerte oder dieses und jenes nicht mehr äße. Seither schmilzt mein Körperfett langsam, aber stetig. Dazu noch Tanzabende wie der in Osnabrück gestern, das macht fit und freut Herrn M.

So. 13.09.15 22:01

Herr M. hat Worte von hier bis zum Mond. Zu jeder Gelegenheit hat er welche gestellt, in der Hoffnung, das ergäbe Sinn, aber die Hoffnung ist futsch. Vielleicht hat das mit der politischen Lage zu tun, die so konfus ist, dass er verzweifeln möchte und schreien, aber wie soll man schreien, wenn man nicht mehr vertraut? Es gab Zeiten, da hat er jedem getraut. Das war, als die Worte so schnell eintrafen, dass er sie kaum ordnen konnte. Er hat sie alle raus- bzw. reingelassen, aber jetzt hat er dicht gemacht. Jetzt muss er jedes dreimal anschauen. Einerseits ist das nicht gut, am Besten wäre, die Worte stellten sich von selbst auf, andererseits könnte diese Sorgfalt zur Lösung des Problems führen. Wir werden sehn. Wir haben eben das, was wir schon immer hatten. Und das, was wir schon immer hatten, haben wir, weil wir uns nicht die Mühe gaben, es zu verändern, auch verdient.


Mo 14.09.15 19:03

Von wegen "bunte Republik Deutschland". "Volten schlagende Republik" passte eher. Jahrelang die Augen zugemacht, sich von Amerika gängeln lassen, jahrelang gewusst, dass diese Völkerwanderung irgendwann kommen musste, dann, als es drängte, plötzlicher Ausbruch von Willkommenskultur, die nach vierzehn Tagen in diese Schlagzeile mündet: Ungarn - Ab Dienstag wird jeder inhaftiert. Ich zitiere nur die Schlagzeile. Ich habe den Artikel nicht gelesen. Ich lese ihn auch nicht. Ich weiß aber, dass es übermorgen heißen könnte: Ab Donnerstag 6:00 Uhr wird geschossen". Die Republik würde wegducken, protestieren, nicken, bejubeln, je nach Standort. Eines aber ist gewiss: sie lässt sich von seinen Rechten treiben. Vom Mob. Was für eine Schande.


19:23

Lieber vom Himmel sprechen, der schon den ganzen Tag dramatischte Inszenierungen aus Südwesten heranschiebt, Wolken in allen denkbaren Formationen, weiß-gleißend bis grau-anthraziert, hin und wieder plötzlich weit aufgerissen, als wolle jemand herunterschauen, oder uns kurzen Einblick gestatten. Ich glaube, über den Wolken findet was statt. Irgendetwas findet dort statt. Als ich das Essen auf dem Herd hatte, plötzlicher kurzer, böiger Wind, danach fadenlang Regen und Sonne.

Als ich heute früh nach Coerde fuhr, quer durch die Stadt, die Bahn und den Kanal entlang, sah es nach Regen aus. Aber es regnete nicht. Ich hatte einen Termin in der Fahrradwerkstatt, eine Garantiesache, der Scheinwerfer war seit Freitag kaputt, und ich dachte, wenn ich schon den langen Weg mache, lasse ich das Rad auch zur Inspektion. Eine Stunde sollte das dauern, hatte man mir am Telefon gesagt. Ich könne warten. Gegenüber gibt es eine Pommesbude. Da wartete ich.

Der Wirt trägt eine schwarzweiß-karierte Bäckerhose. Sie ist ein bisschen schmuddelig. Er hat einen gehörigen Bauch, der sich gut macht, weil er groß ist und freundlich strahlt. Ob das was für mich sei, wisse er ja nicht, sagt er, als er mir die Bild auf den Tisch legt, er hätte auch Autozeitschriften. Nee, alles gut, sage ich. Die erste Bild seit Jahren und keine nackte Frau. Ist das nicht mehr korrekt? Das wäre schade. Dann kamen die Pommes. Sie waren lecker. In der Pommesbude, ein Container mit gartenlaubenähnlichem Vorbau, die Diskussion über die Flüchtlingsfrage. Ja, aber... dürfe man ja nicht mehr sagen heutzutage, sagt ein Gast.


Di 15.09.15
9:51

Der Kaffee pumpt. Am Himmel hat sich Frühherbst versammelt. Gerade rief jemand an, um mir auf meine Anfrage von gestern mitzuteilen, dass die Hilfsbereitschaft in der Flüchtlingskrise nach wie vor groß sei, ja, dass die Krise längst eine Katastrophe wäre, gäbe es nicht all diese Freiwilligen, und dass man tatsächlich im Augenblick gar nicht wüsste, wo man all diese Freiwilligen einsetzen könnte. Dennoch gelte ich ab sofort auch als potentieller Helfer und stehe in einer Excel Tabelle. Das ist immerhin eine Perspektive. Vielleicht werde ich Deutsch unterrichten, mal sehen. Manche der Flüchtlinge, sagte man mir, wollten jedoch gar nicht Deutsch lernen oder sonst welche Hilfen annehmen, manche wären derart mit ihrer Flucht beschäftigt, dass sie nur in ihren Zimmern säßen und grübelten. Wer könnte ihnen das verdenken.


11:44

Wie schreibt man Romane?
Ich wusste es noch nie, habe es aber trotzdem getan.
Im Augenblick kann ich nicht einmal das.


Mi 16.09.15
14:11

Gern dienstags unternehmen Herr M. und Frau E. ausgedehnte Stadtgänge. Manchmal sehen sie etwas, was sie schon tausend Mal gesehen, aber nie betrachtet hatten. Das Ensemble alter Häuser um einen Kirchplatz
im Rücken des Erbdrostenhofes. Das Licht wirft dramatische Schatten. Eine weiß-gelbe Fahne am Turm, und man weiß nicht, warum. Das macht Spaß. Außerdem hat Herr M. dienstags Extrageld im Portemoinnaie, das er für's Vorlesen bekommt, und wie es die Zufälle wollen, findet sich an solchen Dienstagabenden meist (nie gezielt angesteuert, so doch mit sicherem Instinkt) ein Ort, an dem man dieses Geld anlegen kann.

Gestern war das das Rock Café mit seinem Whisky Dungeon. Hinter Gittern, mit einer schweren Eisentür gesichert, stehen dort weit über 450 Whiskys. Herr M. trank einen Maccallan Amber, 1824 Edition - Sienna (mit einem Aroma von Birnen, gedünsteten Äpfeln, getrockneten Holzspänen und würzigem Fruchtkompott. Man schmeckt Orange, Honig und leicht bittere botanische Zitrusnoten. Im Abgang ist er mittellang und sehr pikant.) Wunderbar. Frau E. trank einen Sienna der gleichen Destille. (Aroma: Schwarze und rote Früchte, saftig, Ingwer, Moschus, Pflaumen und Rosinen. Geschmack: Ingwer Kekse, dann schwarze Johannisbeere, Erdbeer Marmelade, Sandelholz, Weihrauch, bittere Grapefruit. Abgang: Lang, wärmend und würzig.) Herr M. dann noch einen Benriach James McArthur's Old Masters, 14 Jahre alt (Süß mit leichten Toffeenoten. Im Geschmack sehr rund, süß und fruchtig, mit einem
angenehm langen Finish, das durch leichte Honignoten abgerundet wird.)

Futsch war das Kapital, aber wie gesagt, gut angelegt, denn es rumorte still und Freude verbreitend durch die Systeme. Vor allem Herr M. zog großen Nutzen aus diesen Destillaten, denn heute, einen Tag danach, hat sich seine Laune deutlich gebessert, so dass er die Gedanken an Sprünge von Hochhäusern, Stürze von Klippen, Schüsse in den geöffneten Rachen oder Strangulationen an Ästen hoher Bäume weit von sich weist, weil er doch gern lebt und immer gern gelebt hat. Ein klein wenig Wehmut bleibt dennoch, denn Herr M. würde gern einmal in eine ganze Flasche investieren, aber das übersteigt sein Budget. So ein verrenteter Dichter muss leider haushalten. Kurz vorm Einschlafen stieg der Gedanke auf, dort nächtens einzusteigen, wurde aber gleich wieder verworfen.


Do 17.09.15
10:51 - 21:17

Den linken Text habe ich zweimal durch den Google Translator Deutsch/Spanisch und wieder zurück geschickt.

Ich reiß dein Haar,
ich heble deinen Arm und dreh,
ich schlag auf deinen Kopf und seh
dass du die Scheine hast.

Ich hatte doch gesagt,
dass wir uns teilen, oder nicht,
ich hatte doch darum gebeten,
dass auf lange Sicht
nur Teilen möglich ist.

Ach du,
du Dummer Dummer Dummer du,
glaubst du tatsächlich, du hast eine Chance, allein,
und Geld am Arsch macht glücklich,
willst für immer einsam sein?

Hör zu, ein letztes Mal,
ich habe bei den Dummen keine Wahl,
und auch die Klugen sind kein Hans in Glück,
drum hack' ich dich in Stück',
ich schmuggle dich ins Löwenhaus,
und dann ist aus ist aus ist aus.

zupfen Haar
Ich Heble und Arm-Rotation,
Ich bin Auswirkungen und seh
Sie haben die Rechnungen.

Ich hatte gesagt:
share oder nicht
Fragte ich,
langfristig
nur Abschnitte.

Oh,
Dummer Dummer Dummer du du,
Ich habe wirklich eine Chance einfach
Esel und Geld macht glücklich,
Ich möchte für immer allein zu sein?

Hören Sie, ein letztes Mal,
Ich habe keine Wahl in der dumm,
und sind nicht die intelligenteste Hans im Glück,
Drum Hack in Stücke '
Sie schmuggelte in die Lion House,
und dann wird es durchgeführt wird.


Fr. 18.09.15 9:04

Gerade hatte man angefangen sich zu freuen und war ein bisschen stolz auf dieses Land, da zeigt sich, dass alle Menschlichkeit, alles, was da in den letzten vierzehn Tagen verkündet wurde, Makulatur ist, denn ab sofort wird zurückgeschossen. Die Verlautbarungen über die Verschärfung des Asylgesetzes werden dem rechen Mob Freude machen, er hatte es ja schon immer gewusst. Gib dem Asylanten einen Appel, ein Ei und eine Rückfahrkarte in das Land, in dem er Europa zum ersten Male betreten hat. Große Sache. Wie haben die Staaten am Rande Europas die Dublin Vereinbarungen überhaupt je akzeptieren können? Hat man sie mit Geld ruhig gestellt? Planlosigkeit und schiere Panik bewegen Deutschland und einen Kontinent, der reicher ist als viele viele andere, und dennoch kleinmütig und ängstlich. Und überall hocken die Rechten und reiben sich die Hände. Lag Herr Orban also doch richtig? Man wird das nicht laut sagen, aber vielleicht hofft man, dass andere es ihm nachtun.


Sa 19.09.15 16:45

Man nehme einen schönen Frühherbsttag, ein Dorf, das in seiner Struktur erhalten ist, an einer populären Radwanderroute liegt und toppe die Sache mit einer wundertätigen Madonna. Schon hat sich da, wo Udo Lindenberg in den frühen 70er Jahren in einem Bürgersaal zum ersten Mal mit Elli Pirelli auftrat, und wo nichts war außer tiefster Provinz, eine blühende Infrastruktur entwickelt: Cafés, Restaurants, Hotels, Devotionalienhandel, alles da. Das Dorf ist geputzt, der Verkehr wird längst außen herum geleitet, und wer weiß, vielleicht ist das schon das Wunder, das die Madonna tut. Eine schwarze Madonna, aber nicht schwarz, weil afrikanisch, nein, so weit gehen sie nun doch nicht mit ihrer Fremdenliebe im tiefen Westfalen, schwarz eher, weil aus dunklem Holz, eingebeizt und mit vielen Jahren auf dem Buckel. Der Rathausplatz ist die Bühne, dort sitzen die E-Bike-Fahrer und trinken den in der Rösterei nebenan frisch gerösteten Kaffee, manche essen Kuchen, unterm Nebentisch liegt ein Hund, der sich an einem pelzigen Ohr, rotbraun, also Hirsch, denke ich, fast die Zähne ausbeißt. Es ist mild und die Sonne scheint.


So 20.09.15 9:27

In zwei Tagen beginnt der Herbst, am Ende des Monat zieht mein indonesischer Gast weiter nach Hannover. Nach vier Monaten bin ich nicht traurig, wenn er geht. Wir leben nebeneinander, wir stören einander nicht, aber es mir nicht gelungen, ihm Westfalen näherzubringen. Es scheint ihn nicht zu interessieren. Ich habe ihm mehrfach Vorschläge für Fahrradtouren gemacht, ich hätte ihm die Gegend zeigen können, es gibt soviel Schönes hier, aber er ist nie darauf eingegangen. Ich habe ihm den Weg nach Münster erklärt, schließlich muss er da jeden Tag hin, ich habe ihm eine ruhige Strecke abseits vom Verkehr gezeigt, aber er ist immer an der Hauptstraße entlang gefahren. Er redet gern von seinem Body-Mass Index, isst stapelweise Ja-Weißbrot mit Ja-Wurst und fingerdick Mayonnaise, zieht sich Sportkleidung an und rennt 10 Kilometer, die er auf Facebook dokumentiert, aber abends geht er nicht aus, dabei ist gerade mal 25. Das einzige, was ihn zu interessieren scheint, ist seine Karriere. Er studiert von früh bis spät. Nun könnte man sagen, wunderbar, der junge Mann weiß, was er will, aber mir wird er langsam unheimlich.

14:21

Ich schwöre, dieses Bügelbrett (hellblauer Bezug, aufrecht stehendes Eisen am Ende, ebenfalls blau) steht dort schon seit dreißig Jahren in diesem Zimmer im Haus am Ortseignang, eben genauso lange wie ich hier wohne. Gerade habe ich es wieder gesehen. Ich kam von einer Radtour zurück, und da stand es, mit denselben akazienartigen Zimmerpflanzen auf der Fensterbank, und, da bin ich mir allerdings nicht ganz sicher, einem Kontrabass in der Ecke. Chris und ich hatten damals, bevor wir hier einzogen, überlegt, ob wir in dieses Haus ziehen sollten. Die Menschen, die stattdesssen dort eingezogen sein müssen und noch immer dort wohnen, habe ich noch nie gesehen.

Ich war in Laer. Google Maps sagt, man benötige eine Stunde und neun Minuten für knapp 23 Kilometer, flotter Schnitt, finde ich, ich habe eine Stunde und fünfzehn Minuten gebraucht, bin aber auch kreuz und quer durch die Bauernschaften gefahren, habe eine wunderbare Abkürzung gefunden (ich liebe Ankürzungen), vorbei an verschlafenen Höfen und Landgütern (Haus Sieverding), an Sägewerken und Gärtnereien. Im Kümper saßen junge Männer vor einem Haus. Sie hatten ein Schild an die Straße gestellt, auf dem stand: Sie hupen, wir trinken! Ich grüßte, weil ich ja nicht hupen konnte, und sie tranken und einer rief: Geiler Bart, Mann. Hoch in der Luft über der Beerlage kreisten zehn, fünfzehn Störche, wenn ich das an ihren gereckten Hälsen richtig gesehen habe. Schöne Fahrt war das, weißblauer Himmel auf dem Hinweg, tief grau auf dem Rückweg, aber der Regen ging woanders nieder.

Mo 21.09.15 17:09

Der Mann ist in meinem Alter. Er hat ein rosiges Gesicht, silbergraues Haar und einen Dreitagebart, der ihn - statt verwegen - noch harmloser aussehen lässt. Er trägt einen sandfarbenen Freizeitblouson, Bundfaltenjeans und Gesundheitssandalen, und lädt gerade das sechste Sixpack mit 1Liter Wasserflaschen in seinen Einkaufswagen. Das wird aber ein Gelage, sage ich im Vorbeigehen. Er stutzt, dann sagt er: 5 Flaschen täglich. Hmhmmm, denke ich, da hat ihm sein Arzt aber den Marsch geblasen, die Nieren zu spülen. An der Kasse trifft der Mann einen Bekannten, und was der sagt, schlägt meinen Versuch, einen Witz zu machen, um Längen: Dusche kaputt? fragt er. Der Mann stutzt, dann sagt er: 5 Flaschen täglich. Er scheint wirklich besessen.

21:33

Er hat feine Gesichtszüge, graublaue Augen, graues zurückgekämmtes, handlanges Haar, er trägt eine sandfarbene Cordhose, einen weißen Sweater, eine braune Lederweste und Wildledermokassins. Er ist zehn, fünfzehn Jahre älter als ich und seine rechte Hand macht, was sie will. Wir tauschen kurze Blicke. Bin ich seine Vergangenheit und er ist meine Zukunft? Parkinson? Denkbar ist alles. Am nächsten Halt steigt er aus.


Di 22.09.15
9:56

Eine steile, aus Beton gegossene Treppe führt zum Emsufer hinab. Das Begehen der Böschungstreppe ist mit Gefahr verbunden und Unbefugten nicht erlaubt, warnt ein Schild Etwas zurückgesetzt steht eine Bank. Notruf 112 Bank 18, Emshof, steht auf einem emaillierten Schild. Ich fühlte mich gleich heimisch. Wir sind ein leichtes und sorgfältiges Volk. Niemand sonst wäre so fürsorglich.

Ein paar Kilomter flußabwärts dann die Bank 12. Aha, dachte ich, von Anfang bis Ende des Emsradweges gibt es also durchnummerierte Bänke, damit man den Senioren auf E-Bikes, die jederzeit einen Schwächeanfall erleiden könnten, eine programmierte Drohne schicken kann, die genau weiß, wo Bank 12 oder Bank 18 steht. Als aber die nächste Bank die Nummer 55 trug, war ich verwirrt. Hatten sich die dazwischen liegenden 37 Bänke verborgen? War ich vielleicht weiter gefahren, als angenommen und hatte die Emsmündung erreicht?

Ich schaute mich um. Auf einer Infotafel neben der Bank 55 stand Stupperige Baumgosse und nicht Dollart. Verwirrung also, die noch zunahm, als ich feststellte, dass linkerhand des Radweges eine Militärische Sicherheitszone ausgewiesen war, deren Betreten untersagt und strafrechtlich verfolgt wird. Schusswaffengebrauch, las ich. Blindgänger. Ja bin in denn in Kroatien? dachte ich.

In Fuestrupp machte ich Pause im Gasthof Alte Fahrt. Beim Studium der Karte stellte ich fest, dass es auffallend viele jugoslawische Gerichte gab (internationale Küche), Besitzer war eine Familie Bvrk oder so ähnlich, also doch Kroatien? - Die Welt kann verdammt kompliziert sein.

12:22

Ich erschrak, als ich das Schild las: Sterben Sie mit uns. Wall Decaux. Ich schaute erneut hin, da hatten sie es verändert. Werben Sie mit uns! stand jetzt drauf. Ich wollte weder das eine noch das andere. Da das Schild hoch hing und ich es nicht erreichen konnte, sägte ich den Laternenpfahl um. Er fiel auf ein vorüberfahrendes Autos. Zwei von drei Insassen starben sofort, der dritte, eine sehr alte Frau, starb erst, nachdem sie unversehrt ausgestiegen war. Sofort regte sich mein Gewissen. Hätte ich nicht genauer sägen können? Ich fand, ich sei schuldlos.


Mi 23.09.15 17:21

Grund zu Feiern findet sich immer. Heute: 1 Jahr nikotinfrei. Ja Mann.


Do 24.09.15
11:23

Ich werde ruhen heute. Ich werde mich vorbereiten, denn morgen (falls heute nicht doch noch die Welt untergeht, wie einige prognostiziert haben) werden sich die alten Männer an verschwiegenem Ort auf dem Land einschließen, Gitarren, Bässe, Keyboards, Schlagzeug und Mikrofone in Stellung bringen, werden, noch eh der erste Ton in die Welt geht, mit den Rock n' Roll Geistern einen Vertrag schließen, ihn in Rauch auflösen, um dann zur Tat zu schreiten. Lieder werden nicht gespielt. Möglich, dass man dann und wann eines zitiert, aber im Prinzip definiert der erste gespielte Ton den Verlauf des Abends. Das ist gähnend langweilig manchmal - manchmal dauert es Stunden, eh Magie ins Spiel kommt, aber wenn sie dann kommt, sind all die Jahrzehnte vergeblichen Musizierens vergessen und das Glück des Augenblicks überstrahlt alles, die Flüchtlingskrise, die KriseKrise, die Idiotie, selbst der Tod verliert seine Schrecken, denn plötzlich wird wahr, weshalb man überhaupt angefangen hat, diesen Radau zu veranstalten, man fliegt ohne Flügel. Ich freue mich sehr auf die alten Männer. Die alten Männer haben Bäuche, erektile Disfunktionen, sie haben Schlafapnoe, Tinitus, sie schnarchen wie blöde und stinken, aber da bei diesem Ereignis Frauen keinen Zutritt haben, macht das alles überhaupt nichts, alle Eitelkeiten werden vergessen, nichts wird peinlich sein, denn der Große Googelimoogeli steht uns bei.

15:16

mein totenhemd
verliert die sommerbräune
es atmet frei und alle träume
die ich darin verborgen hatte
verpacke ich in watte
mein totenhemd ist eins mit taschen
mit brüsten, penis, bauch und leicht zu waschen,
mein totenhemd ist meine liebste braut,
mein ein und alles, meine haut.


Sa 26.09.15
14:56

Die Welt ist nicht untergegangen. Neuer Termin ist, wie man hört, nun der 28.09. Wer immer das entschieden hat, danke, denn so konnten die alten Männer tun, was zu tun war. Eh aber die ersten Töne erklangen, die, wie man jetzt weiß, alle übrigen definieren, hielt Herr M. einen kurzen Vortrag über die Vorteile des Da Vinci Vaporizers. Um seiner Power Point Präsentation zusätzlich Verve zu verleihen, wurde die Brennkammer dieses kleinen Gerätes zur Aroma-Therapie mit verschiedenen, auf biologische Art gezogenen aromatischten Kräutern und Harzen befüllt, aufgeheizt und inhaliert. Kaum war dieser Teil des Vortrages beendet, drängten die Männer auch schon an ihre Instrumente und gaben nicht eher Ruhe, bis kein Ton mehr zu finden war, das war heute früh gegen zwei.

Am Morgen lag Bodennebel in silbernem Sonnenlicht. Die Luft war spitz und erfrischend. Die Männer fuhren heim. Wenn die Welt tatsächlich am 28.09. untergeht, was niemand von ihnen bedauern würde, haben sie immerhin noch ein Zeichen gesetzt, eines für die Selbstbestimmung des Individuums, eines gegen Ignoranz, eines gegen Duckmäuserei und Angst vor Fremdem, ein Zeichen für das Leben, um es einmal unbescheiden bei Namen zu nennen. Das, finden wir, war eine große Tat. Ob sie wirklich groß war, kann man demnächst googeln. The Real Fullmooners grüßen.


Mo 28.09.15 12:40

Das, was mir an Holland u.a. so
gut gefällt, die Hinweistafeln für Radfahrer, wo immer man unterwegs ist, gibt es seit einiger Zeit auch in Westfalen, so dass ich meine Touren ausweiten kann, fünfzig bis hundert Kilometer sind nicht selten, und immer lerne ich neue Wege kennen. Gestern wollte ich quer durch die Beerlage nach Darfeld, von dort auf einer stillgelegten, als Radweg umgebauten Bahntrasse über Horstmar nach Burgsteinfurt und zurück nach Hause, geriet aber kurz hinter Hohenholte in einen Wald, ein Wäldchen eher, das voller Schopftintlinge stand. Das heißt, eigentlich standen sie links und rechts des Weges, zwei, drei, vier, die ich als erste sah. Als meine Augen sich an den Waldschatten gewöhnt hatten, wurden es aber immer mehr, so dass mein Fahrradkorb fast zur Hälfte gefüllt war, als ich das Ende des Wäldchens erreicht hatte. Der Schopftintling (ich kannte ihn als "Pimmelpilz") zählt unter Feinschmeckern zu den leckersten Speisepilzen, die man in finden kann, und zu verwechseln ist er mit keinem anderen, man läuft also nicht Gefahr, zu halluzinieren oder sich gar ums Leben zu bringen. Mit so einer Ernte beschloss ich, die Route zu verkürzen, kreuzte die Bauerschaften nach Holthausen, von dort nach Altenberge, über den Kalkrücken nach Haeger, Kinderhaus und Münster, denn ich wollte die Pilze nicht allzu lange durchs Land schaukeln, fand hier, da und dort weitere Schopftintlinge, so dass wir gestern abend zu viert davon essen konnten und heute noch einmal.


Eine Hainbuche am Weg.


20:27

Morgen zieht mein indonesischer Untermieter aus. Wir sind uns nicht nahe gekommen. Wahrscheinlich werde ich ihn dennoch ein wenig vermissen. Aber eine Geschichte wird fest mit ihm verbunden bleiben, obwohl er eigentlich nichts damit zu tun hat. Es geht um ein mausgraues Frotteehandtuch, das - seit er hier ist - auf der Heizung im Bad hängt, die mir mit ihren waagerechten Rippen zum Aufhängen von Handtüchern dient. Seit vier Monaten also hängt es dort, sodass kein Platz mehr für ein anderes war, was mich manchmal ein wenig ärgerte, mehr aber eigentlich wunderte mich, dass immer dasselbe Handtuch dort hing, dass es nie ausgetauscht, nie gewaschen wurde, bis ich vorhin feststellte, dass es nun, wo mein Untermieter seine Sachen gepackt hat, noch immer dort hängt, und demnach also mein Handtuch sein muss.


Di 29.09.15 9:07

bleiches blasses blaues licht
flüstert schaut betrügt mich nicht
sollte würde könnte meinen
tag versüßen und bescheinen


10:50

Nach langem Verharren habe ich gestern und heute zwei Texte ins Verwertungsrennen geschickt, einen für's Radio und einen für einen Verlag. Ich habe jede Menge Text, aber zwei reichen erst mal, denn jetzt heißt es wieder warten. Besser aber ist es, die Texte sofort zu vergessen und an anderes zu denken. Etwa daran, dass ich mir endlich einen professionellen Fenster
wischer besorge, mit dem ich die Fenster streifenfrei abziehen kann. Er darf nicht zu groß sein, das Gummi muss die Festigkeit eines guten Scheibenwischer haben, aber wo bekomme ich den. Im professionellen Scheibenwischergeschäft? Wüßte keines in der Nähe. Mal forschen.

Rings ums Haus toben die Gärtner mit ihren kreischenden Maschinen. Mein indonesischer Untermieter ist fort. Seltsam fand ich, dass er seine Zimmertür immer sorgfältig abschloss, selbst, wenn er joggte, während die von mir bewohnten Zimmer immer offen waren. Ich habe überlegt, ob ich daraus auf Misstrauen seinerseits schließen soll, aber ich glaube eher, dass er das nicht übel meinte. Er ist halt jung und weit weg von zuhause, bestimmt hat er Heimweh und unheimlich sind ihm diese großen, nordeuropäischen Menschen sicher auch. Obwohl er vorgestern sagte, ich wäre wie ein Vater zu ihm gewesen. Hach ja, ich bin so ein guter Mensch.