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Lesung 27.11.01  15:30

Am liebsten wäre ich stehen geblieben, als ich diesen Tieflader sah und den Kran und die fast zu voller Höhe montierte Windkraftanlage, wäre stehen geblieben und hätte mir angeschaut, wie sie die wohnzimmergroße Turbine vom Tieflader in die Höhe wuchten, aber ich hatte ja einen Termin. Irgendwo hier auf dem flachen Land zwischen feucht grünen Wiesen, leuchtendem Raps und windzerzausten Pappeln musste das Arnold Janssen Gymnasium sein, und dort würde ich lesen. Gleich.

Eine Turnhalle. Stuhlreihen in angedeutetem Halbkreis. An einer Seitenwand ein Podest. Darauf ein Tisch mit obligatorischem Wasser, Glas und einem Mikrofon. Auf der anderen Hallenseite Tische, darauf Schalen mit Plätzchen, Kaffee, Milch, Zucker. Für die Pause.

Ich habe Einwände. Ich sage, dass ich nicht gern sitzend lese, weil mich das motorisch einschränkt, ich sage, dass ich auch nicht gern in Mikrofone spreche, weil mich das von meinen Zuhörern entfernt, ich sage, wahrscheinlich nehme ich ein Handmikrofon, dann kann ich gehen und mich zum Text bewegen. Dann aber fällt mir ein, wie schwierig das in Wien war, und ich entschließe mich, das Mikrofon samt Ständer vor das Podest auf den Boden zu stellen, so dass ich davor stehend lesen kann.

Die Halle füllt sich. Ich habe schon vor hundert Kindern gelesen. Vor so vielen Menschenkindern noch nicht. Dreihundert sind es bestimmt. Bin ich aufgeregt? - Es geht. - Ja. Sehr. Aber das bin ich jedes Mal.

An der linken Stirnseite der Halle hat eine Buchhändlerin einen Büchertisch aufgebaut. Darauf: drei Stapel "Sackgasse 13". Ich bin beeindruckt.

Die Veranstaltung beginnt. Zunächst lesen Kinder. Malte liest "Das Geheimnis der verborgenen Insel" von E. Ibbotson.  Stefanie liest "Belgische Riesen" von B. Spinnen. Julia und Gereon lesen "Maxi's World", eine Geschichte in Englisch von R. Hellyer-Jones. Moritz liest "Mai Linh - Wenn aus Feinden Freunde werden" von C. Philipps,  Pia  "Kein Ferienjob für schwache Nerven" von C. Fiedler, und Jens "Merlin - Wie alles begann" von T. A. Barron.  Das erstaunlichste: alle hören zu, ohne mit den Füßen zu scharren und unruhig zu werden.

Danach ist Pause, und eine junge Frau mit frohem Pfannkuchengesicht und strahlend blauen Augen stellt mir Fragen zum Beruf. Ein Interview sozusagen und ich bin ganz lieb und sage alles, was ich weiß. Das ist allerdings nicht viel.

So. Und nun also: ihr Einsatz, Herr Mensing. Ich begrüße alle, ich sage, dass ich immer sehr aufgeregt sei, aber das gäbe sich nach der ersten Seite. Und beginne zu lesen.

Normalerweise fällt es mir nicht schwer, vom Text aufzublicken, halbe  oder ganze Sätze frei zu sprechen und dann weiter zu lesen, aber auf den ersten beiden Seiten blieb ich zweimal hängen. Schließlich merkte ich, wieso. Ich hatte vergessen, meine Brille aufzusetzen. So ist das, wenn ich aufgeregt bin. Dann kämpfte ich noch ein wenig mit dem Mikro. Mal war ich zu nah dran, dann zu weit entfernt, aber nach ein paar Seiten war auch das erledigt. Ich las und las, und alles, was ein Vorleser zusammen mit einem Publikum anstellen kann, stellte ich an und es klappte. Lacher die Menge. Wundervolle kleine Begebenheiten. Etwa:  nachdem sich die Schranktür mit entsprechendem Quietschen von dreihundert Zuhörern geöffnet hatte und Tobi und Tim schon glaubten, ihr letztes Stündchen habe geschlagen tauchte wer auf?  .... GEORGE rief jemand aus dem Publikum, und es klang erleichtert, so, als müsse sich da jemand vergewissern, dass es nicht irgendeine unbekannte Gefahr war, derer man sich stellen musste. Wer war das? sagte ich und sah in der zweiten Reihe rechts außen eine Frau Ende dreißig, hochrot, lachend, sich die Hände vors Gesicht haltend. Sie also... sagte ich, ging zu ihr und schenkte ihr ein Sackgassen Poster. Ich war Herr meiner Selbst. In der Gegenwart. Und las. Und las. Und verbeugte mich schräg in den Applaus. "Und wie es weitergeht, das müsst ihr selber lesen", sagte ich dann. Ich liebe Applaus.

Und zum Schluss waren alle meine Bücher verkauft. Und alle waren begeistert. Und ich fuhr still nach Hause. Ja. So ungefähr war das.

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