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Hermann Mensing: Der Heilige Bimbam

1
Eigentlich begann alles mit dem Haustürschild der Peppers. Pepper stand drauf, und mit Edding hatte jemand „I love Paula“ direkt darunter geschrieben.  An einem ungewöhnlich warmen Oktobermorgen war das Schild plötzlich weg, abgeschraubt. Paul, Paulas Bruder, merkte das, als er das Haus verließ, um zur Schule zu gehen. Mittags hatte er es erzählt, aber keiner hatte sich etwas dabei gedacht. Ein Dummerjungenstreich, vermutete Papa, dabei war es der Anfang der ganzen Geschichte.

2
Paul wird „Pepper“ genannt und er mag das. Manche sagen Pepperoni zu ihm, aber damit kann er leben. „Pepper, weißt du schon, was du Mama schenkst?“ fragte  Paula, nachdem das Thema Haustürschild abgehakt worden war.
„Nö“, sagte Pepper ratlos. Schließlich war erst Mitte Oktober. „Du denn?“
„Hast du heute Nachmittag etwas vor?“ umging Paula Peppers Frage.
„Treffen um drei mit Kai!“ sagte Pepper. „Aber das ist dienstlich. Wenn es was Wichtiges ist, sage ich es für dich ab.“
„Ein Geschenk für beide!“ sagte Paula und machte ein geheimnisvolles Gesicht. Es war so geheimnisvoll, dass Pepper sofort ans Telefon flitzte, Kai anrief und sagte:
„Du Kai, wir müssen die Nachhilfe auf morgen verlegen.“
„Schade“, sagte Kai, nach einem Jahr als Austauschschüler in London seit Ende der Sommerferien wieder zurück.
Pepper wusste, weshalb er das schade fand. Nicht, weil er ihm jetzt nicht Mathe beibringen konnte, sondern weil er Paula nicht sah. Er war nämlich in Paula verliebt. Paula allerdings nicht in ihn. 
„Hast du deinen Eltern schon gesagt, dass wir die Nachhilfe verschieben? „Nein, noch nicht.“
„Dann mach das“, sagte Kai.
„Klar“, sagte Pepper. „Also dann morgen um die gleiche Zeit?“
„Ja“, sagte Kai und legte auf.
Pepper legte das Telefon weg und wandte sich wieder an Paula. „Für beide?“ fragte er ungläubig.
„Ich glaube ja.“
„Und was sollte das sein?“
„Abwarten“, sagte Paula. „Nur so viel: es hat mit Papas Gesundheit zu tun und mit Mamas Tierliebe.“
Pepper hatte keine Ahnung, was ein Geschenk mit Papas Gesundheit und Mamas Tierliebe zu tun haben könnte. „Sag schon....“, drängte er, aber da war Paula schon drauf und dran, zu verschwinden. Und dann war sie weg, hatte die Zimmertür hinter sich zu gemacht, und damit war alles klar.
Erstes Paula Gesetz war in Kraft getreten: Wenn meine Zimmertür zu ist, will ich nicht gestört werden.
Das gleiche Gesetz galt übrigens auch für Pepper. Und für Papa und Mama. Man könnte es also auch das erste Peppersche Familiengesetz nennen - EPF.

3
Papa hatte eine nicht ungefährliche Krankheit hinter sich. Irgend etwas mit seinem Herzenmuskel war nicht so, wie es hätte sein sollen. Eine Weile hatte es geheißen, man müsse ihm einen Herzschrittmacher einbauen, aber zum Glück war er dann doch noch einmal darum herum gekommen.
„Alles halb so wild“, hatte Papa gesagt, aber es war wohl doch wilder gewesen, als er zugeben wollte.
Er nahm verschiedene Medikamente, und die Ärzte hatten verordnet, er solle sich möglichst oft an der frischen Luft aufhalten. Spazieren gehen, hieß das wohl, wo Papa doch einer der leidenschaftlichsten Sesselpuper unter der Sonne war. Das Rauchen hatten ihm die Ärzte natürlich verboten.
In den ersten Wochen, nachdem er das Krankenhaus verlassen hatte, hatte er sich auch daran gehalten. Blöd war nur, dass er in dieser Zeit so viele Wutanfälle gekriegt hatte, dass alle sich wünschten, er würde bald wieder anfangen.
Dieser Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Die Zigarren, die Papa seitdem rauchte, stanken so furchtbar, dass die Fliegen tot von den Wänden fielen. Papa behauptete, Zigarren seien gesund, denn er inhaliere den Rauch ja nicht, sondern schmecke ihn nur.  Und für ihn, für seine Gesundheit und für Mamas Tierliebe hatte Paula also ein Geschenk ausgekuckt???
Pepper war gespannt. Irgendwo bimmelte ein Telefon. Pepper sauste dahin, wo es immer stand, auf der Ladestation neben der Fensterbank, aber da war es nicht.
„Telefon!“ rief Mama. „Kann denn nicht mal einer ran gehen???“
Brinngggggg!!! machte es.
Pepper überlegte, wo er es hingetan hatte. Auf das Sofa? - Nein.
Bringgggg!!!!
Auf seinen Schreibtisch? – Nein. Auch nicht.
In seine Hosentasche? – Nein. Da vorn, auf dem Sessel. Da lag es. Aber jetzt klingelte es nicht mehr. Pepper stellte es wieder an seinen Platz. Kaum stand es da, bimmelte es schon wieder. Pepper ging ran.
„Paul Pepper?“
Nichts. Das heißt, ein bißchen mehr schon. Er hörte, dass jemand atmete, es war vielleicht eher eine Art Seufzen, so genau war das auf die Schnelle und unvorbereitet nicht zu sagen, dann klickte es. Pepper legte auf und dachte nicht weiter darüber nach.
Was nun Paulas Andeutungen in Bezug auf Mamas Tierliebe anging, konnte Pepper sich so einiges vorstellen, denn Mama war sehr tierlieb.
Aber große und gefährliche würden ja wohl ausscheiden, oder? – Die Elefanten etwa, die Mama so schön fand, oder – noch besser – die Nashörner, an deren Gehege Paula und Pepper, als sie noch klein waren, Stunden verbracht hatten, nur um zuzuschauen, was für Riesenhaufen so ein Nashorn kacken konnte, ohne dabei in Ohnmacht zu fallen.
Vielleicht ein Vogel, dachte Pepper, aber was sollte ein Vogel mit Papas Gesundheit zu tun haben?
Fliegen sollte Papa ja wohl nicht lernen, oder? 

4
Papa hatte schlechte Laune, als er vom Hausflur herein kam, wo der Bote um diese Tageszeit normalerweise ein großes deutsches Nachrichtenmagazin ablegte.
An diesem Nachmittag war das nicht geschehen, und so nebenbei erfuhr Pepper, dass dies schon das zweite Mal in vier Wochen war. Und dass Papa den Bummskopp aus dem vierten Stock in Verdacht habe, der nie grüße, nicht gegrüßt werden wolle, und der, als Papa ihn vor einem Jahr oder so mal wieder extra gegüßt hatte, um ihn herauszufordern, weggeschaut und dabei mit dem Kopf vor den Pfeiler gerummst war, der das Treppengeländer trägt.
Daher sein Name: Bummskopp.
„Was du immer denkst, der Herr Neureuter ist nur schüchtern“, sagte Mama.
„Schüchtern?“
Papa streckte sich, als habe er eine zwei Meter lange Metallstange verschluckt, denn so groß war der Bummskopp, legte die Arme fest an den Körper, den Kopf in den Nacken, so daß sein Blick knapp über alle ihm entgegen kommenden Menschen in die Ferne   ging und sagte: „Schüchtern ist untertrieben. Verklemmt ist der. Und Zeitungen klaut er auch.“
„Päule“, sagte Mama beschwichtigend.
Papa hob die Arme, als wolle er sich ergeben, aber Pepper sah ganz genau, dass Papa sich nicht ergab, oder falls, nur vorübergehend. Verdacht war Verdacht, und ausgeräumt war er damit, dass Mama „Päule“ zu ihm sagte, noch lange nicht.
„Und ich sag dir, Hannah, er war’s!“ brummte Papa.
„Können wir jetzt?“ fragte Paula, die gerade aus ihrem Zimmer getreten war, als Papa sich in Bummskopp verwandelt hatte.
Pepper schaute auf seine Uhr. Schon drei, tatsächlich. „Meinetwegen.“

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