Buchhandlung Baedeker Essen 21.09.01

flashback samstag 22.09.01: Ich klopfte drei- viermal an die Glastür der Buchhandlung, nicht sicher, was ich tun würde, wenn mir niemand öffnete. Aber ich war zweifellos richtig. Dies war die Baedeker Buchhandlung. Hier fand eine Lesenacht statt. Wie das vonstatten gehen sollte, konnte ich mir nicht so recht vorstellen, aber man hatte mir gesagt, zwanzig Kinder übernachteten hier. Zwanzig hochmotivierte Kinder, denn sie hatten an einem Wettbewerb teilgenommen und sich qualifiziert. Komisch fand ich das trotzdem. Der Laden war leer. Hell erleuchtet und leer. Aber dann sah ich, dass jemand die Treppe herauf kam. Uns wurde geöffnet. Meine Frau und ich betraten die Buchhandlung. Hochmodern, licht, sich über mehrere Stockwerke erstreckend. Man führte uns ins Untergeschoss. Und da waren sie, die hochmotivierten Kinder, zwanzig Mädchen, um die zwölf Jahre alt, kein Junge. Sie hatten Luftmatratzen aufgeblasen, Schlafsäcke ausgerollt, das ein oder andere Mädchen hatte ein Kuscheltier im Arm. So saßen und lagen sie im Halbkreis, um dem Autor H. zuzuhören, der aus einem Kinderkrimi las. Um die ganze Sache aufzulockern, stellte er nach jedem Kapitel Fragen zum Inhalt. Seine Zuhörerrinnen hatte er in zwei Gruppen geteilt. Die Gruppe, die am schnellsten antwortete, bekam entsprechende Punkte. Die Mädchen waren engagiert bei der Sache. - Die Mädchen! Waren Mädchen meine Zielgruppe? - Nicht, dass ich etwas gegen Mädchen habe, aber ausschließlich Mädchen, zwölf Jahre alt? Und der Held meiner Geschichte ein Junge? - Mir wurde mulmig. Ich begann mich weit fort zu wünschen. Die Mädchen aßen Salzstangen und Gummibärchen, sie kreischten, wenn ihre Gruppe eine Frage als erste beantwortet hatte, und schließlich gab es erste und zweite Sieger. Was natürlich blödsinnig ist, denn wenn man schon an einem Wettbewerb teilnimmt, dann deshalb, weil man gewinnen will. Alles andere ist pädagogische Augenwischerei. H. verteilte Plastiktüten mit "giveaways", so nennt man die kleinen Geschenke, mit denen Verlage Kunden einzuseifen versuchen: Bleistifte, Kugelschreiber, Aufkleber. Frau L. verkündete, es gäbe nun Abendbrot. Das war gegen neun. Um zehn waren alle wieder im Keller versammelt. Das Licht war aus, nur eine Leselampe brannte. Ich stellte mich vor und begann zu lesen. Ich las eine Stunde, aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich sie in Bann schlug. Meine Frau sagte, ich solle froh sein, dass sie sich nicht zu kichernde Grüppchen zusammen gesetzt hätten, um über boy groups zu sprechen. Außerdem hätte ich sie in Bann geschlagen. Manchen Mädchen sei es sogar zu unheimlich gewesen. Sie hätte gesehen, wie sie sich Schlafsäcke über die Ohren gezogen hätten. Sie hätte gehört,  wie sie "oh - nein, bitte nicht...." und ähnliches sagten. - Ja. War das so? - Als ich zuende gelesen hatte, kamen Mädchen und sagten, dass es Klasse gewesen wäre, aber das hat meine Zweifel nicht zerstreut. Zwölfjährige Mädchen geben nichts von sich preis. Sie sind mir unheimlich. Biologisch zwischen den Welten und vollauf damit beschäftig, sich zu verpuppen. Von allen Lesungen der letzten vierzehn Tage war diese die anstrengendste.  

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