12. u. 13. Juni 2001

Lesungen in Wiehl u. Gummersbach (unbearbeitete Notizen)

 

Heiße Phase: Die Reise ins Glück dauert ca. 17 Minuten, die Ballade von einer Kanaken Stadt lese ich in 4, bleiben 20-30 Minuten für jede meiner Lesungen morgen und übermorgen. Werde die Cash-Money Brother szenisch lesen: drei Stühle, darauf je ein Schild mit den von Max in Sprayer-Logos gezeichneten Namen der Personen, ich jeweils hinterm gerade Agierenden. Bin gespannt.

12.06.01  9:20  Wiehl: 

Ruhige Fahrt ins bergische Land. Die erste Lesung beginnt in fünfundzwanzig Minuten. Auf der Terasse eines Cafés. Sonnig. Ich frühstücke. Nebenan sitzt Frau Peschel. Sie isst so gern Plätzchen, und die, die sie zum Kaffee bekommt, "sind so lecker, nä.... Sie sind doch sicher Geschäftsmann?" "Nein, Schriftsteller", sage ich. "Ach", sagt Frau Peschel, "ich lese ja auch so gern den Konsalik. Wo der das immer alles hernimmt?" - 

Gummersbach 11:20 Stadtbücherei

Werde auf der Empore lesen. Nicht einfach, da war der Raum in der Stadtbücherei Wiehl besser. Muss aufpassen, dass ich nicht zu heulen anfange. Bei der Ballade von einer Kanaken Stadt hat es mir den Hals zugeschnürt. 

12:55 Victors Residenz Hotel **** 

Vier Sterne für Hermann. Beide Lesungen haben funktioniert. In Wiehl hat ein Junge gefragt, wieso das denn Weiße wären in der "Reise ins Glück". Hier hat jemand gefragt, wie man denn darauf käme, eine Ballade zu schreiben. Die Mädchen pubertieren schon heftig in der Siebten. Die Jungs noch nicht so. Herr F., der Lehrer aus Wiehl, will mich wieder einladen. Herr R., der aus Gummersbach, hat sich die Titel der Anthologien aufgeschrieben. Und mir von Manuel erzählt, dem Spanier, mit dem er in den frühen 60igern als Schlosser zusammen gearbeitet hat. Na, Manuel, hätten sie da gesagt, isst du wieder deine Eselswurst, und Manuel hätte geantwortet, ihr Deutschen seid vielleicht komisch.  - 

Schwieriges Alter - 7er Klassen. Schüchtern. Die Wiehler waren Gymnasiasten, die in Gummersbach Realschüler.  - Wie steht es mit der Disziplin? fragt Herr R., ich meine, die Disziplin, die man braucht, um zu schreiben. Antworte, das Schreiben sei nicht das Problem. Drauf zu kommen, was man schreiben wolle, das sei schon schwieriger.  

13:05 Nickerchen jetzt.

15.40 in der bergischen Variante einer verkehrsberuhigten Einkaufsstraße. Neben dem Burgtheater (Die Mumie kehrt zurück// Pearl Harbor// Heartbreakers// Wedding Planners// Chocolat// Emil und die Detektive) der Deichmann, das TUI Reisecenter (holt uns hier raus), Tschibo, Döner, Dorfjongleure. Ein kleiner dicker Punk mit viel zu kurzen Jeans, Doc Martens Stiefeln und Anti-Nazi-Aufnäher. -

15.55 Man sieht hier noch den Buffalo, eine Weiterentwicklung des Bügeleisens, am Fuß getragen. Man sieht auch den pensionierten, am Stock gehenden ausländischen Mitbürger, der seine Knochen hingehalten hat, damit wir sie ihm zerschlagen. -

16:05 Drei Eisdielen in G., bin in der Diele Martini. Eine Dame in Pink. Unten fast bis zu den Knöcheln, dafür hoch geschlitzt, in der Mitten mit prallem Arsch und an den Schultern herzförmig durchscheinend Haut. -

Ein hustender Raucher links, seine Zigarette genießend, Blumenduft, die aus Beton gegossenen Balkonbrüstungen der 70iger 5Stöcker und ich unterm pyramidenförmigen Glasdach der darunter liegenden Einkaufspassage. - 

Der Capuccino kommt hier mit Sahne und Weihnachtsplätzchen, der Schlemmertreff Schiwek wird gewischt, rechts hinter mir palavert der Italiener von zu Hause, was jeder verstehen kann, der Heimweh kennt.  - 

Die architektonische Gegenwart ist 30 Jahre alt und wird vielleicht noch einmal so alt, eh man sie mit nostalgischem Gefühl betrachten kann. - 

Zumindest trägt die Dame in Pink vernünftig große Unterhosen. Ein String-Tanga wäre bei diesem Angebot kaum auszuhalten und würde wahrscheinlich als sittenwidriges Verhalten verfolgt. -

16:15 bei dem Versuch, den Blick zu schärfen, was bei der Fülle der angebotenen Informationen nicht leicht ist. Meine Auswahl mag willkürlich scheinen, aber hinter jedem Wort steckt 52jähriges Sehen.  - 

Auf die Frage, wieso man, wenn man Kaufmann lernt, Schreiber wird, antworte ich, das habe mit Träumen zu tun. Es sei aber wichtig zu wissen, dass die Bezeichnung Schriftsteller nicht etwas Endgültiges beschreibe, sondern etwas im Wandel und erst mit dem Tode zu beendendes. -

Kleidung, Wortwahl, Umgangsformen: Indikatoren für Herkunft (Vergangenheit) und Zukunft. - 

Die fetten Menschen am Nebentisch verstehen ihr Kind als Wesen, die außer Trinken, Essen, Scheißen keine Bedürfnisse hat, Arbeit verursacht und keine Ansprache braucht. So wächst die Einsamkeit ins Unaussprechliche. Fettes Weib um die 30. Türkisfarbenes Sweatshirt mit aufgedruckten Bären. Pro Hängebrust einer. -

16:15 Szenenwechsel bitte gleich. Häuser der 30er, 60er, 70er und der Gegenwart (Sparkasse/Deutsche Bank). -

17:00 Die Sparkasse. Glasfassade. Der äußere Bogen eines Kreises, dreistöckig. Kunst am Bau. Ein ca. 1 Meter breiter, in die Front eingelassener Streifen: Glas mit blauen und schwarzen Bögen, Pinselstriche, weder schön noch ausdrucksstark, die sich vom Gebäude fort quer über die Einkaufsstraße als in den Boden eingelegte Keramikbögen ziehen und als Motiv auch die kleine, den wasserfallartigen Brunnen begleitende Mauer zieren. -  Trinke einen Milchshake Erdbeer, der an die Wand geworfen gehört. - Wir lieben den gehörigen Karton. - Wo kaufen einbeinige Menschen ihre Schuhe? - Müssen Sie immer 1 Paar kaufen? - Was geschieht mit dem unbenutzten Schuh? -  17:10 Fragen, die den aufgeschlossenen Europäer interessieren könnten. - Jo, so jeeht dat dann.....

18:50 Gegenwart: ab ins Netz. 

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