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Hermann Mensing: Meier der Große

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Meier lag in der Wanne, hatte die Knie angezogen und rauchte. Sein Glied war erigiert. Die Eichel ragte durch den Seifen-schaum. Eine komische Frucht! Sie belustigte ihn. Einerseits. Andererseits: jede Erektion war verschwendete Phantasie. In seiner Situation war es besser, nicht an Hannah zu denken. "Frauen sind Gift!" zischte er. Die Erektion sah das anders.
In der Küche (durch eine Regipswand vom Bad getrennt) hob Hi-roshi den Deckel vom Kochtopf, stach in ein Huhn und drehte es um. Es war blass und roch alt. Er rümpfte die Nase, nahm die Kikkomann Flasche, drehte den Schraubverschluß ab und probierte. Es schmeckte fast wie zu Hause. Er spritzte etwas auf's Huhn und deckte den Topf wieder zu.
Hiroshi war ein quirliger kleiner Japaner. Er trampte um die Welt und wohnte seit zwei Tagen im Haus. Übermorgen wollte er weiter nach Norden. Während Meier in seinem Sud schwappend die Zigarette knapp über Wasser hielt, begann er, Gemüse zu schneiden.
Hannah saß auf einem Sofa. Das Sofa stand unterm Fenster einer Zweizimmerwohnung zwanzig Kilometer entfernt. Sie trug einen gestreiften Bademantel, hatte die Beine angezogen und beobachtete Mitus. Mitus kauerte mit zuckender Schwanzspitze auf der Fensterbank. Links von ihr stand die Zimmerlinde, rechts das krummbeinige Tonpferd. Hannahs Finger glitten langsam über die Lehne. Mitus schnellte vor, verfehlte die Finger, hing für einen Moment in den Maschen des Sofabezuges und stürzte dann maunzend herab. Hannah lachte.
Meier drückte die Zigarette aus, legte den Kopf in den Nacken, atmete tief, hielt die Luft an und tauchte. Der Seifenschaum schwappte über ihm zusammen. Er begann zu zählen. Bei fünfundzwanzig pochte sein Herz schon ziemlich laut. Bei vierzig wurde ihm mulmig. Fünfzig. Gleich würde er platzen. Komm Meier, eine Minute ist drin! Bei dreiundfünfzig schoß er an die Oberfläche, rieb sich nach Luft schnappend die Augen, langte nach der Dusche und spülte sich den Schaum vom Gesicht. Die Kirchturmuhr schlug Drei. Opa Heller (sein
Vermieter) kam in den Garten. Er trug eine blaue Turnhose und ein geripptes Unterhemd. Laut ein- und ausatmend begann er, auf der Stelle zu hüpfen. Dann absolvierte er zehn Liegestütze. Danach war sein Gesicht rot und glänzend vor Schweiß. Seine Glatze reflektierte die Sonne. Opa Heller war achtzig. Zwei Jahre später starb er auf seiner Frau (so das Gerücht). Man fand das abscheulich und bewunderte still.
Opa Heller war ein Begriff, beliebt war er nie.
Hannah stand auf und ging in die Küche: eine Abstellkammer mit Spüle, Kühlschrank, Zwei-Platten-Kocher und Boiler. Über-all stapelte sich schmutziges Geschirr. Sie spülte eine Tasse aus, brachte Wasser zum Kochen und goß Kaffee auf. Dann setz-te sie sich wieder auf's Sofa und sah aus dem Fenster. Hans (ein mit Meier befreundeter Musiker) hatte ihr einen Trip ge-schenkt. Es war ein Stück Löschpapier, etwa so groß wie ein Daumennagel. "Is absolut sauber das Ding. Kein bißchen Speed drin." sagte er. Er war in Silberpapier eingeschlagen und steckte in der Tasche ihres Bademantels. Sie nahm das Silber-papier, öffnete es und riß das Löschpapiers in zwei Teile. Eine Hälfte legte sie auf die Zunge und spülte sie mit Kaffee herunter. Die andere schlug sie sorgfältig wieder ein, stand auf, ging zum Schrank, schob die Glastür beiseite und legte sie in ein Weinglas.
Meier rasierte sich. Hiroshi sang 'We are sailing'. Es klang sehr japanisch. Topfdeckel klapperten. Meier strich sich mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger übers Kinn, bleckte die Zähne, streckte die Zunge heraus und grinste.
Er dachte schon wieder an Hannah. Vom ersten Tag an hatte er sie Meier genannt, meine Frau. Seit dem großen Krach vor zwei Monaten hatten sie sich zweimal getroffen: jedesmal gab es Streit. Sie waren im Krieg, aber sicher war irgendwann wie-der Friede. Darauf freute er sich. Er würde in ihren Armen liegen, obwohl sein Kopf voller Frauen war. Ihre Nähe machte ihm angst, aber kaum war sie fort, vermißte er sie. Er hätte das gerne verstanden, aber es ging nicht. Vielleicht war das gut so.

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