Oktober 2001                              www.hermann-mensing.de         

mensing literatur

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Mo 1.10.01   8:00 

Dämonen, Knochendreher, Verwirrer, ich kann sie nicht zählen, aber sie waren da diese Nacht.  Sie hockten auf mir. Sie schlugen auf mich ein und ließen kein gutes Haar an mir. Ich denke, dass sie mit dem Wind kamen, der über Nacht stark wurde. Ich denke, sie sind Vorboten des Vollmondes. Sie wussten alles. Ich habe jetzt kein Geheimnis mehr. Sie haben alles verhandelt und mich in allem schuldig gesprochen. Da hilft nur Kaffee. Danach werde ich mich Lüge für Lüge wieder zusammensetzen. Am Ende könnte es dann wieder heißen: Hermann Mensing. Schriftsteller. 

10:11

Sehr geehrter Herr M. (also bin ich, zumindest glauben es andere) 

Aller Anfang ist schwer ... Die Gültigkeit des Sprichworts konnten wir bei der Einführung unserer neuen Verlagssoftware nicht widerlegen. Die beiliegenden Honorarabrechnung wurde erstmals über das neue System erstellt und von uns im Detail geprüft. Wir bedauern, dass Sie die Abrechnung daher ausnahmsweise später als gewohnt erhalten.  Die Abrechnungswährung ist der Euro, der Zahlbetrag ist jedoch in der gültigen Transaktionswährung dargestellt. ....Wir danken Ihnen für die bisherige gute Zusammenarbeit und verbleiben mit der Bitte um Verständnis und besten Grüßen....

Grüße zurück. Es wäre nur schön gewesen, der zu verrechnende Betrag hätte noch eine Null gehabt. So bleibt weiter nichts als die Einsicht, dass man vom Schreiben nicht leben kann. Es sei denn, ich begäbe mich in die Serienproduktion. 

10:37

Auch wenn Osama es tausendmal war, die Beweise, von denen Bush spricht und die laut Tony Blair unmissverständlich sind, müssen der Weltöffentlichkeit präsentiert werden. Es darf nicht der geringste Zweifel bleiben. Nur durch Offenlegung aller Tatsachen wäre ein Prozess in den Augen der Muslime dieser Welt ein gerechter Prozess. Alles andere wäre kontraproduktiv. 

14:07

Ist der Idealist ein Zwilling des Bösen?

14:44

Gestehe, dass man "Alles ist gut, gar nichts" ins Rhätoromanische übersetzt hat. Erhielt DM 27.-- anteiliges Lizenzhonorar. Na? Neidisch?

17:28

Im Westfälischen beginnt das Weihnachtsfest früh. Schon Ende August beginnen Mütter Lebkuchenherzen zu kaufen, verstecken Marzipanbrote in Küchenschränken und Spekulatius unter Handtüchern. Für die Kinder ist das ein aufregendes Spiel. Und wenn dann Anfang September die ersten Nikoläuse in den Regalen stehen, leuchten die Augen der westfälischen Kleinen. In den Möbelhäusern an der Peripherie großer Städte hängt nun auch schon die Weihnachtsdekoration. Glocken aus Polyestergrün, Schnee aus Styropor und Musik, die süßer nie klingt. So ist das in Westfalen, so ist das und nirgendwo könnte es schöner sein. So friedvoll und voller Vorfreude. Mutter und Vater tun es wieder wie früher, so entspannt sind sie, so ausgelassen und irgendwie angesteckt vom westfälischen Frieden. 

21:04

Ich habe mich re-konstruiert. Der erste Satz an mich lautet nun: Sehr geehrter Herr Mensing. Lieber Hermann. Würde macht den Meister. 

 

Di 2.10.01   7:53

Lautet der Schluss, den ich ziehen muss: Hut ab, Amerika? - Ich weiß nicht mehr. Ich kenne Amerika ein wenig, ich war in den 70igern acht Wochen dort, dann Anfang der 80iger noch einmal drei Wochen. Meine Kritik hat sich nie gegen die Menschen, immer gegen die Großmacht gerichtet. Aber was bleibt einer Großmacht? Sie muss entscheiden. - 

Die Hast, mit der Herr Schily täglich Pläne zur Ergreifung der Terroristen verkündet, lässt fürchten, dass er an Stelle Amerikas nicht so gelassen geblieben wäre. - 

Was also soll ich nun denken? - 

Ich war nie auf Seite des großen Amerika. Aber ich achte es neuerdings mehr. Meinen Plan  gebe ich dennoch nicht auf. 

 

Was sagt eigentlich bin Laden?

9:35

komm / tanz mit mir, bis unsere füße brennen / musik zum vollen mond trieb mich in diesen saal / kein dach wehrt kalte luft / und trotzdem / spür ich atemnot // komm ... tanz / vielleicht birgt ja der silberstreif am horizont / ein wenig wärme für uns überlebende // tanz wie du willst / nur / lass uns feuer legen / lauter singen / hierher / ihr tänzer / rettet uns und euch 

***

Di 2.10.01  22:54 

Nein. Hut nicht ab.

***

zu viel politik. 

verschwinde für eine weile. 

 

Do 11.10.01     21:13

Wie erwartet haben Sie  nicht begriffen. 

 

12.10.01    5:22

Wesentliche Informationen über die aktuellen militärischen Aktionen und ihre Folgen unterliegen einer Zensur durch diejenigen Stellen der beteiligten Konfliktparteien, von denen sie verbreitet werden. Eine unabhängige Prüfung solcher Angaben ist in vielen Fällen nicht möglich. 

Nur so viel:

Die meisten Opfer eines Krieges sind Zivilisten.

 

Sa 13.10.09    19:22

Liebe Amis, 

Leid tut ihr mir nicht, dass ihr jetzt hinter jedem Hundeschiss einen terroristischen Anschlag vermutet. Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, dass vielleicht euer FBI oder euer CIA oder was es sonst noch an Desinformations-Diensten im Dienste eures grandiosen Präsidenten gibt, hinter den Milzbrand-Attacken steckt? - Dass  es vielleicht ganz nützlich ist, dass ihr solche Angst habt, damit Bush weiter auf eure Empörung und die daraus resultierende Unterstützung für seinen Krieg bauen kann? - Nein, habt ihr nicht? - Vielleicht solltet ihr, denn man hat schon Pferde kotzen sehen. - 

Mit Abscheu und Ekel,  euer M., der auch keine Lösung kennt, aber sicher ist, dass das, was eure Regierung da inszeniert, große Scheiße ist. 

 

Mo 15.10.01   11:17

Überheblich zu glauben, man könne zur Tagesordnung übergehen und sich einen Roman aus dem Ärmel schütteln. Nichts dergleichen ist möglich. Seit ich als Junge vorm Fernseher saß und sah, wie russische Schiffe mit Raketen an Bord versuchten, Kuba zu erreichen, war ich nicht mehr so in Sorge. Damals ging es um mich. Heute geht es um meine Söhne. Beide haben eine Zukunft verdient. Eine Zukunft in Frieden. Aber das Gegenteil zeichnet sich ab. Amerika verstrickt sich und die Welt in einen Konflikt, der leicht ausufern und unlösbar werden kann. Ich misstraue Amerika. Ich misstraue den politisch Handelnden in Deutschland. Und ich kann nichts tun, als zu sitzen und abzuwarten. Die Bilder vorüber ziehen zu lassen. Ich werde versuchen, keine Zeitung zu lesen, ich werde die Nachrichten ignorieren und so tun, als wäre ich allein auf der Welt, als beträfe mich das alles nicht, ich werde Augen, Ohren und Herz verschließen, damit es mich nicht noch verrückter macht, als es mich schon gemacht hat. 

Ich habe die Augen geschlossen. Ich habe die Ohren verschlossen. Mein Herz schlägt. Aus der Dunkelheit taucht ein Meer auf. Es ist lehmfarben. Es verliert sich im Dunst. Ich weiß, dass hinterm Dunst eine Insel ist. Ich werde dort Urlaub machen. Ich weiß, wie das ist, wenn ich von der Fähre fahre. Ich fühle, wie mich die Insel begrüßt. Sie sagt, schön, dass du wieder da bist. Wo warst du so lange? Hast du vergessen, dass die Zeit hier ganz dir gehört, dir und niemandem sonst? Dass du hier sein darfst, was immer du sein willst? Hast du das vergessen?

Leider funktionierte der Trick diesmal nicht. Der Krieg war schon da. Er hockte grinsend auf dem Deich. Er hatte den Leuchtturm umarmt, er pfiff übern Strand und sendete Lichtfinger über das erschrockene Dünengras. Er hatte den Spülsaum mit tausend toten Quallen dekoriert. In einer steckte eine Feder. Das war sein Triumph. Der Triumph des blanken Entsetzens. 

Ich werde verstummen müssen für eine Weile. Ich weiß nicht, ob ich das ertrage, denn ich kann ja sonst nichts, es gibt nichts, was mich besänftigen könnte, ich werde es dennoch versuchen. Ich werde verstummen müssen oder laut schreien. 

 

Mi 17.10.01    9:24

Liebe Afghanen, sagt, wollt ihr den totalen Krieg? 

Ja, wir wollen ihn. Aber nur, wenn der Ami noch mehr Erdnussbutter-Pakete abwirft. Und Schokoladenriegel. Und diese Suppen. Sonst lieber nicht. Nö.  

Gesang im Hintergrund: Aber eins aber eins, das bleibt bestehn', unser Osama wird nicht un-ter-geehn....

13:21

Bitte rülpsen Sie den Namen einer Hauptstadt ihrer Wahl.

...aaaabul

14:54

Und nun den Namen eine der größten Bedrohungen unserer bürgerlichen Rechte.

...ily

Danke. Sehr freundlich.  Sollten Sie gewonnen haben, rufen wir Sie an. 

 

Do 18.10.01   8:19

Heil Bushler,

as our ex- leader (God has him holy) has always pointed out, if you cannot get the one you want, kill them all. So now, five weeks after that terrible thing in New York, we, the German Volk, have bekrabbled ourselves. We are no longer fucking Pazifists, we have only been these Weicheis, because we were so ashamed all the time, but that is now over in face of the great Bedrohung. So dear American People, we want to help you, and what could we do better than extinguish. While you throw the Streubombs, we come after and burn in gas chambers, what over is. - What do you think of that? - It is nämlich so, that  we Fritzen have finally found our historical place in the world community again and that makes us somewhat proud. Our own Volk sais Yes and Amen to whatever plans we baldower out at the moment, and the old plans, how to send people in trains from all over a country to one place with a mighty gas chamber, have we all noch. So think of this, dear Americans, before you all catch Anthrax. We and you, we could conquer the world, you know that. 

Your ever faithful servant

the fritz

12:24

Ja hallo. Ist da Herr...?  - Ja, ja, ach guten Tag Frau - ja, ihr Mann hatte bei unserem Wettbe - ach so, Sie holen ihn ans Telefon - danke, - guten Tag Herr - richtig,  Sie haben gewonnen. Ihre gerülpste Hautstadt hat unsere Juroren überzeugt. Sie können nun wählen. Vierzehn Tag Vormarsch mit der Nordallianz, eine Woche mit den Taliban in Khandahar, sehr zu empfehlen, oder zehn Tage New York mit den Fire Fightern des NYFD. - Nun - wofür haben Sie sich entschieden? - Ach ja? - Herzlichen Glückwunsch. Die Unterlagen gehen Ihnen in den nächsten Tagen zu. Wünsche Ihnen noch einen guten Tag.  

14:07

Gelangte heute in den Besitz der entscheidenden Apparatur für zwischenmenschliche Kommunikation, der Maus. Diese Maus ermöglicht es mir, in jeden Konflikt einzugreifen. Zum Beispiel unter webmaster@thewhitehouse.org  klicke ich meinen Freund George an, unter webmaster@downingstreet.gb erreiche ich meinen Freund Tony, der allerdings im Augenblick so sehr mit Arschkriechen beschäftigt ist, dass er oft nicht reagiert. Mit meinem Kanzler kann ich allerdings nicht kommunizieren, der ist zwar unter webmaster@bundeskanzleramt.com  zu erreichen, schwebt aber, seit er sich auf der internationalen Bühne bewegt, von Hosianna-Gesängen begleitet ständig zwischen den Welten. Letztlich also wird mir nichts weiter bleiben, als das, was eigentlich die Herren tun sollten, selbst zu erledigen. Ich habe da so meine Methoden. Deshalb verbleibe ich zunächst mit freundlichen Grüßen. 

 

Fr 19.10.01    11:39

Liebe Leser,

Sicher ist Ihnen schon aufgefallen, dass Politiker sich zu bestimmten Zeiten gern an der Seite von Kindern fotografieren lassen. Ob sich hinter diesem Bedürfnis eine Botschaft verbirgt? Sollte man den Medien nicht nahe legen, solche Fotos nicht zu veröffentlichen? 

 

15:17

Kam vorhin mit dem Rad vom Einkauf. Milch, Eier, Mehl, ein wenig Aufschnitt, Joghurt. Das alles befand sich in einem Einkaufskorb auf meinem Gepäckträger. Ich fuhr auf einer Vorfahrtsstraße. Jemand aus einer Seitenstraße missachtete meine Vorfahrt, ich stürzte, die Mehltüte barst. Zur gleichen Zeit befanden sich drei Mütter mit Kindern im Alter zwischen 1 und 3 Jahren an gleichem Ort. Das Mehl verwehte über die Straße, die Mütter begannen zu kreischen, hielten ihren Kindern Papiertaschentücher vor der Mund, der Fahrer des PKW flüchtete, mein Einwurf, das sei doch nur Mehl, wurde nicht gehört, innerhalb von Minuten stand ich mutterseelenallein auf der Kreuzung, dann hörte ich Martinshörner, Polizei, Feuerwehr, Männer in unförmigen Schutzanzügen kamen vorsichtig näher, mich selbst stieß man in einen Einsatzwagen und verriegelte die Tür. Draußen gingen indes die Sicherungsmaßnahmen weiter. Schon begannen die Kirchturmglocken zu läuten. Das Mehl war mit dem Wind verweht und es dauerte keine zwanzig Minuten, bis eine Vollevakuierung unseres Ortteiles ausgerufen wurde. Die dauert noch an, obwohl mittlerweile auch von Seiten des Supermarktpersonals bestätigt wurde, dass ich unter anderem Mehl gekauft hatte. 

 

Sa 20.10.01   17:10

Wurde heute früh beim Singen von "there has to be more than this" , dem Refrain eines Liedes meiner augenblicklichen Lieblingsband Soulwax erwischt und gerügt. Das schicke sich nicht. In meinem Alter. 

Bin jetzt böse. Ganz böse. -

Was den Krieg angeht, der ja nicht stattfindet, da habe ich meine Meinung radikal geändert. Ich finde ihn jetzt gut. Ich will noch viel mehr davon. Ich will, dass alle Schurkenstaaten ausgeblutet werden. 

Ich glaube, dieser Wandel kommt daher, dass ich heute morgen den Refrain nicht singen durfte. 

Ja.  Ganz bestimmt. 

Und jetzt ist Schluss mit Politik. 

Nich Malte?

 

So 21.10.01     13:53

Ein paar Esskastanien steckte er ein und dann fuhr er los, fuhr und fuhr, quer durch die Stadt, nahm dem Gegenwind die Kraft, indem er seine Geschwindigkeit verringerte, trat und trat, bis die Stadt weit hinter ihm lag und die Rieselfelder vor ihm,  wo Vögel in Kolonien wohnen und warten, bis Zeit ist, in den Süden zu fliegen. Er stellte sein Rad ab, kletterte in einen der Beobachtungstürme und beschloss, mit zu fliegen. Er beobachtete genau. Sie streckten den Kopf vor, sie schlugen mit den Flügeln, sie rannten übers Wasser, bis sie schnell genug waren, in sanftem Winkel abhoben und meist in einer leichten Kurve davon flogen. Genau so würde er es machen. Er aß eine der Esskastanien, schrieb auf einen Zettel, dass er nun fort fliegen würde,  steckte den Zettel in einen Briefumschlag, schrieb seinen Namen darauf, klemmte den Umschlag in eine Ritze, entledigte sich seiner Kleidung und ging ins Wasser. Es war nicht tief. Seine Füße versanken in Faulschlamm. Er prüfte den Wind. Er drehte sich gegen ihn, streckte den Kopf vor, breitete die Arme, begann, damit auf und nieder zu schlagen und rannte los. Als er schon glaubte, es würde ihm nicht gelingen, spürte er, wie der Wind ihn griff und empor hob. Und so flog er davon. Unter ihm kam gerade der Herbst. Alles zu rechten Zeit. 

16:24

Das waren ganz neue Töne. Konnte -  nur weil er sich entschlossen hatte, sich auf die Seite der Kriegsbefürworter zu schlagen - die Welt von einem Tag auf den anderen ihre Schrecken verlieren? -  Fast schien es ihm so. Fast??? - Ohne Zweifel!!! - Seit Wochen hatte er nicht mehr so tief und ergiebig geschlafen, wie in der Nacht nach seiner historischen Neuorientierung. Endlich durfte er mit den Wölfen heulen. Nach Jahrzehnten nutzloser Opposition hatte er nun seinen Platz in der Welt gefunden. Das war schön. Und er freute sich schon darauf, wie er beim nächsten Treffen mit Oppositionellen aufspringen  und eine flammende Rede für die historische Notwendigkeit dieses Krieges halten würde. Wie er sich als glühender Verfechter des israelischen Staates erweisen würde und so. 

17:31

Einen Haken allerdings gab es. Sein ICH  war fort. Er war nur noch ER, nicht einmal DU. Hieß das, dass er sich auf dem Weg zur Auflösung befand? Auf dem Weg ins WIR, IHR, SIE, woher noch niemand zurückgekehrt war? - Er wischte seine Bedenken fort. Schließlich hatte er zu tun, er musste fliegen, und jeder Gedanke, der nicht dem Fliegen gewidmet war, erschwerte es ihm, in der Luft zu bleiben. Hinzu kam, dass sein Geschlecht ihm im Weg hing, das heißt, nicht wirklich im Weg, es baumelte unter ihm wie ein Appendix. Er würde sich etwas einfallen lassen. Vielleicht half ein String-Tanga. 

 

Mo 22.10.01     8:58

Als er zur Landung ansetzte, verhedderte sich sein Ding in den Ästen der angepeilten Buche, was weh tat. Aber da er sich auf dem Weg ins unpersönliche WIR keine Blöße  geben wollte, weinte er nicht, sondern rieb ein wenig daran herum, was erstaunliche Veränderungen hervorrief. Er tropfte ein wenig seines Ichs auf die tief unter ihm liegenden Welt und schlief, wohlvertäut in einer Astgabel sitzend, ein. Es war gegen Morgen, als er diesen Traum träumte. Er hatte gerade den Hausflur der elterlichen Wohnung betreten. Es war dämmrig. Er konnte durch den Flur bis zur Hintertür sehen. Die Hintertür war einen Spalt geöffnet. Er sah auf den ersten Blick, dass dort etwas nicht stimmte. Etwas Beunruhigendes verursachte ein Zittern der Tür. Es war unheimlich. So, als sei dort gerade etwas fort gegangen. Und so begann er zu rufen. "Ich bin es!" rief er. "Ich, Vater, ich bin es, Hermann...." Er hörte sich, er wusste um seinen Traum, er hörte sich lallend rufen, konsonanten-genaue Artikulation war nicht möglich, während Vokale keine Schwierigkeiten bereiteten. "Ich bin's" rief er wieder und wieder, immer panischer werdend, und dann wäre er um ein Haar vom Baum gefallen. Offenbar war es nicht einfach, ins WIR zu gelangen. Es schien, als würde das ICH seinen angestammten Platz nicht ohne Gegenwehr räumen. 

10:11

Erst nach Überstreifen dieses Ganzkörperkondoms darf der amerikanische Soldat feindlichen Boden mit Bomben bewerfen. Das ist vernünftig, denn wer weiß schon, was dort auf ihn wartet. 

11:45

Kleiner Exkurs über Materie.  Folgendes geschah heute früh, als ich auf dem Dachboden Wäsche aufhängte. Ein Hemd hatte sich beim Schleudern verheddert und weigerte sich beharrlich, in seiner ihm angestammten Form aufgehängt zu werden. Ich zerrte und zupfte, aber das half nicht.  Also begann ich mit ihm zu sprechen, und siehe da, die Materie, die ja nichts weiter ist als Atome, Elektronen und Neutronen, die sich auf verschiedenen Bahnen umkreisen und viel Wirbel verursachen, diese Materie also horchte auf und verstand sofort, dass jemand mit ihr sprach. Ja, jemand nahm sich Zeit für ein freundliches Wort. Sofort ging ein Ruck durch alle elliptischen Bahnen. Man verzichtete auf  Quantensprünge, man einigte sich auf vorübergehende Beibehaltung der teilcheneigenen Spannung und sofort ließ sich das Hemd in seiner ursprüngliche Form aufhängen und machte keinerlei Zicken mehr. So getröstet verließ ich den Dachboden mit großer innerlicher Freude, hatte sich doch ein Prinzip bewahrheitet. 

 

hDi 23.10.01  9:02

Die vorhergesagten Polarlichter sah ich nicht, als ich diese Nacht von Dortmund zurück fuhr. Stattdessen Lichtwürmer, über die Toppen ausgeleuchtet, so dass ich manchmal nicht sicher war, entfernten sie sich oder kamen sie mir entgegen, schließlich einer sogar schlingernd, für Momente eingenickt und zum Glück davon geweckt, einer nach dem anderen, stur durch die klare Nacht, die ich hinter mir ließ, denn ich reiste mit Glück auf dem Nebensitz, hörte noch die Musik, die Besetzung, die wider Erwarten sich ganz plötzlich fand, nachdem ich zu Anfang geglaubt hatte, meine Mühe, nach Dortmund zur Session zu fahren, sei nutzlos gewesen. Ein Bassist, ein Pianist, klassisch gebildet, ein Trompeter, ein Gitarrist, später kommt noch ein Mundharmonikaspieler hinzu, keines der gespielten Stücke kannte ich, aber ich lasse mir vorher immer das Thema singen, den Rest erledigen meine Ohren. Bin also heute früh noch immer ein wenig glücklich, und das war genau das, was ich brauchte, nach diesen schrecklichen Wochen. Mein Roman beginnt sich zu schreiben. Die ersten zwölf Seiten sind fertig. Ich arbeite, wie ich immer arbeite : vorher weiß ich nichts, nachher etwas, dann vergesse ich wieder alles. 

 

Mi 24.10.01   14:12

Überschattet das Land, diesig mit fernem Licht, das den Horizont streift, urplötzlich aber flutet es frisch gepflügte Felder, strahlt gebrochene Erde tief schwarz, gibt der Farbe Glanz, so, als wolle sie sich vorm Winter noch einmal zeigen, Licht glüht auf frischer Saat, fein und jedes Blatt glänzend im schnellen Schein, doch dann schattet es sich wieder ein, liegt, ist still und verwahrt seine Pracht für die wenigen. Nie ist es schöner. Nie sind die Farben kräftiger. Nie ist es gedämpfter und stiller als jetzt überm Land.  

 

Do 25.10.01    9:29

Ein Weg aus der Misere.   Ein Krimi für Kinder.

 

Fr 26.10.01      10:41

Heute tut er nichts. Heute ruht er sich auf seinen Lorbeeren aus. Heute betet er ein bisschen. Betet, dass die Amerikaner mit ihrem Einsatz ein noch größeres Debakel erleben mögen als Gott hab sie selig in Vietnam. Betet, dass ihnen die Arroganz, mit der sie Hundertausende verrecken lassen, die sie aber nach ein paar Toten zu Hause nach Preisnachlass für Medikamente schreien lässt, so bitter aufstößt, dass sie es nie mehr vergessen werden. Und während er so vor sich hin betet, trifft ihn der Zorn Gottes. Du, sagt er, du musst ruhig sein. Du hängst mittendrin. Ich weiß, sagt er. Ich weiß. Und ich schäme mich.  Aber das hindert mich nicht. Und dann betet er weiter. Betet, dass er endlich und endgültig wieder denken darf, was er will und nicht weiter gestört wird von Idiotie. Und wieder meldet sich Gott und sagt: Idiotie? Was soll ich denn sagen? Guter Einwurf, sagt er. Eins Null für dich. 

12:55

Gottes Wort:

Und der Herr sprach: Hermann, schreib hundert Mal: ich bin glücklich. -

Okay Chef!

ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin lglücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücvlich ich bin glücklich ich bin gkoü´clkh ich bin glücklich ich bin glücklich ich blin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich  ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glückhlich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin gklücklich ich ibin blücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklüch ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich blin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich blin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich iin glücklich ich bin glückloiihc ich bin glücklich ich bin glücklich ibn bin grücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glü+cklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich icvh bin glücklich ich bin glücklich  ich bin glücklich ich b in glücklich ich bin glücklich ich blin glücklich ich bin glückklich ich bin glücklich ich bin glücklich in bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklihc ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin blücklich ich bin glücklich *****ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin lglücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücvlich ich bin glücklich ich bin gkoü´clkh ich bin glücklich ich bin glücklich ich blin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich  ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glückhlich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin gklücklich ich ibin blücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklüch ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich blin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich blin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich iin glücklich ich bin glückloiihc ich bin glücklich ich bin glücklich ibn bin grücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glü+cklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich icvh bin glücklich ich bin glücklich  ich bin glücklich ich b in glücklich ich bin glücklich ich blin glücklich ich bin glückklich ich bin glücklich ich bin glücklich in bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklihc ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin glücklich ich bin blücklich ich bin glücklich

 

Gut so Chef? - 

Ja. Aber das sind 200. - 

Na ja, für dich Chef. - 

Die letzten 100 hast du kopiert, stimmt's? - 

Ja. Tut mir leid. - 

 

14:44

Gottes Wort:

So Hermann, und jetzt schreibst du: Israel raus aus Palästina. - 

Wie oft Chef? - 

Einmal. Aber ganz groß. 

Israel raus aus Palästina.

 

Mo 29.10.01    8:02

Das Komitee für amerikanische Umtriebe hat beschlossen, dass es ab sofort und weltweit wieder töten darf, wen es will. Seien Sie also vorsichtig. Machen Sie sich nicht unbeliebt. Lesen Sie keine Amerika feindlichen Publikationen. Beteiligen Sie sich nicht an der Hetze gegen das Mutterland der Demokratie. Sollte Sie dennoch jemand bedrohen, brechen Sie in Hochrufe auf das amerikanische Mutterland aus. Rufen Sie "Hoch hoch hoch!" Halten Sie immer gebrauchte Verpackungen großer amerikanischer Schnelless-Ketten bereit, um ihr Engagement für die amerikanische Sache beweisen zu können. Und noch etwas:  sollte es spät an ihrer Haustür klingeln, kann das kein Mitarbeiter des CIA sein. Der CIA klingelt nicht. Agenten des CIA können um die Ecke schießen. Agenten des CIA sind in der Lage, ihre Träume aufzuzeichnen und sie mit zentimetergenauen, sich selbst steuernden Geschossen zu töten. Seien Sie also freundlich, wenn sie Männer treffen, die so gut getarnt sind, dass man sie gar nicht sieht. Diese Männer sind für den Frieden unterwegs. Für ihren Frieden.

11:12

Momente der Wahrheit? - Ja. Gestern erst. - Mittags unter dem weiten Niederrheinhimmel. Auf dem Deich. Mit leuchtendem Grün feuchter Wiesen, auf denen Canada - Gänse weiden. Mit dem Fluss, der sich zum Horizont windet und sich in silbrigem Dunst mit ihm vereint.  Mit den Schiffen und den stampfenden Dieselmotoren. Mit den Heckwellen, die noch lange tanzen. Mit dem Schreien neu ankommender Gänse. Mit dem goldenen Glühen der Pappeln.  - Aber die Pappelreihe da, die ist noch grün. Bis zu der gehen wir, gut? - Ja. - Und kehrten zurück zu dem Ort, an dem Churchill und Montgomery 1945 über den Fluss blickten, um den Vormarsch ihrer Truppen zu beobachten. Tranken Kaffee. Aßen Apfelkuchen mit Sahne. Gingen hinunter zum Fluss. Saßen dort und dachten, wie wir hier unseren ersten Urlaub mit Kindern begannen. 1990 war das. 1989? - Ich weiß nicht mehr. Aber ich weiß, dass es diese Momente gibt. Mehr nicht. Wo alles still steht. Wo keine Sorge Platz hat. Wo fast Glück herrscht. - Ich will mehr davon. Ich will, dass sie dauern. 

21:33

Den ganzen Tag habe ich über meinem Krimi gebrütet. Wenn es mir nur einmal gelänge, eine Geschichte in groben Zügen im voraus zu skizzieren. Aber dagegen bäumt sich alles in mir. Meine Geschichten wollen nicht entworfen sein. Sie versuchen zu leben. Ich bin die Hebamme. Das Leben sagt niemand vorher. Keinen Satz. Keinen Atemzug lang. Also wieder von vorn. Und wieder. Immer dieses Sträuben gegen jeden Plan. So lang ich denken kann, wüstes Aufbäumen. Lieber Niederlagen riskieren, als Pläne entwerfen und danach zu handeln. Ich will und werde das in diesem Leben nicht mehr ändern.  

 

Di 30.10.01   9:03

Also los. 

13:03

O ja, sagte er. Es stimme. Er wolle einfach nicht. Und selbst, wenn er wollte, nie und nimmer könne er aus seiner Haut. Er kämpfe schon viel zu lange. Aber bald gebe er auf. Bald füge er sich. Vielleicht lasse er sich einen Bart stehen und verschwinde dahinter. Vielleicht trage er Tag und Nacht Sonnenbrillen. Vielleicht verschanze er sich auf einer Wasserburg, so, wie sein Vater es immer wollte. Vielleicht nehme er sich eine zwanzigjährige Geliebte. Eine mit Mördertitten und wenig Hirn. Eine, die alles täte. Irgend so ein Wahnsinn würde ihm schon einfallen. Ja, sagte er. Davon können Sie ausgehen. Alles ist möglich. Nur nicht, dass er aus seiner Haut käme. Das leider nicht. Schließlich tue er alles, um nicht glücklich zu sein. Das sei nun mal seine Natur. 

 

Mi 31.10.01   8:52

Guten Morgen lieber Amerikaner. Ich begrüße Euch auf vermintem Grund. Ich sehe schon, wie ihr in Fetzen geht. Früher oder später werdet ihr euch in unseren Minenfeldern aufreiben. Und trotzdem kriegt ihr uns nie. Ihr hängt am nämlich zu sehr am Leben. Wir sehnen uns nach der Erfüllung durch Tod. IHR habt keine Chance. Also kommt. Und vergesst die Engländer nicht. 

11:01

Endlich hat sich der Himmel gesenkt. Wind ist aufgekommen. Ich war schon spazieren heute früh, ich hatte gehofft, von einem heranjagenden Schauer durchnässt zu werden, aber es blieb trocken. Erst jetzt regnet es. Ich habe zu wenig geschlafen. Ich habe zu spät heute Nacht noch Kaffee getrunken. Das macht sich bemerkbar. Zudem habe ich Joints geraucht, gestern in Holland. Das ist fürs Schlagzeugspielen nicht gut. Dachte daher, das THC durch einen Whisky in Schach zu halten. Ging an die Theke im SamSam, sah eine Flasche Laphraoigh im Regal und bestellte. Die junge Frau hinterm Thresen hatte keine Ahnung. Ich musste sie zur Flasche lotsen, zweites Regalbrett von unten, dritte Flasche von links, aha, Laphraoigh. Sie nahm ein Whiskyglas. Ich sagte, Laphraoigh fülle man bis auf einen Daumen breit untern Rand. Was sie auch tat. Leider griff in diesem Moment die Geschäftsführerin ein. Nicht, dass sie mir diesen Whisky nicht gönne, sagte sie, aber so ginge das nicht. Schade. Spielte anschließend mit folgender Besetzung: Bass, Gitarre, Saxophon, Posaune, Piano. Das Schlagzeug war ein Yamaha mit hölzerner Snare, ein wundervolles Instrument. Leider war ich erst nach dem zweiten Lied einigermaßen entspannt, da meine Mitmusiker allesamt junge Musikstudenten und entsprechend ernst bei der Sache waren. Nach dem dritten Lied war ich so weit, aber wie es nun einmal geht auf Session, nach drei Liedern wechselt meist die Besetzung. Fuhr gegen eins nach Hause. 

Und jetzt? 

Jetzt folgt therapeutisches Bügeln. Wer interessiert ist, mag anrufen, ich erteile gern Auskunft. Ein Wochenende mit mir inklusive Unterkunft, Verpflegung und therapeutischen Bügelns kostet DM 800.-- 

Es heilt jede Art psychischer Verspannung. 

20:12

So gehet denn hin, ihr 164 Besucher, gehet und sagt der Welt, was ihr gesehen habt. Und ihr 267, die ihr im letzten Monat noch wissen wolltet, wo seid ihr? Und ihr 2530, die bisher den himmlischen Frieden geschaut haben, habt ihr euch aus Angst vor terroristischen Anschlägen in digitale Löcher verzogen. Schande über Euch. Kommt her.  Ich verzeihe Euch.

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