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Mensing bricht nach Ostgrönland auf

Der Abenteurer Hermann Mensing (57) bricht morgen mit seinem Halbschalenpaddelboot "Johann Wolfgang von Goethe" nach Ostgrönland auf. Nur wenige Wochen nach seiner Hundeschlittentour entlang der Küste von Ellesmere Island im Westen von Grönland plant der Abenteurer aus Gronau (Westfalen) seine zweite Expedition in diesem Jahr.

 

1. Tag 7:45

Wäre südwestlich von Twiefenfleth um ein Haar von einem auslaufendes Containerschiff überfahren worde. Konnte Johann Wolfgang von Goethe nur mit Mühe vorm Kentern retten. Hörte für Augenblicke schon den Spott der Medien: Mensing schafft nicht mal Stade!

Die schönen Kuppeln des Atomkraftwerkes strahlten erhaben über die Elbe. Ich verlor für Augenblicke jede Zuversicht, dann aber riss ich mich am Riemen, wie ich es immer tue, wenn ich in Bedrängnis gerate, immer lasse ich mich von meinen Instinkten leiten, Urinstinkte, die nur erwachen, wenn man sein Leben aufs Spiel setzt, egal, ob es nun in Ostgrönland, am Amazonas oder auf der Dinkel bei Gronau ist, schließlich gehört das zu meinem Beruf, ein Beruf, den ich ergriff, als mir das Aufstehen als Bäcker nicht mehr gefiel.

Seitdem abenteuere ich durch die Welt.

Also, ich rekapituliere: gestern Abend hatte ich mir mit Rühmkorf in Övelgönne mächtig einen auf die Lampe gegossen, vielleicht war ich deshalb heute früh noch nicht ganz bei der Sache. Johann Wolfgang von Goethe kippelte gefährlich, ich bekam einen nassen Arsch, aber was will man machen, so sind Halbschalenpaddelboote. Ich atmete tief durch und dockte vermittels eines Seils mit appliziertem Magnet an der Bordwand des fünfundsechzig Stockwerke hohen Containerschiffes an.

Nun habe ich ordentlich Fahrt aufgenommen. Ich kann Kräfte sparen. Ich esse jetzt mal eines meiner mitgenommenen Butterbrote. Rühmkorfs Frau hat sie mir geschmiert, Käsebrote. Später, auf hoher See, werde ich angeln müssen. Abenteurer können ja nicht mal eben schnell zum Burger King. Die müssen sich schon was einfallen lassen.

Ich zum Beispiel esse dann manchmal wochenlang nur Sushi, das muss man auch erst mal aushalten. Nun gut, ich will aber jetzt nicht weiter ins Fabulieren geraten. So ein Abenteurerleben ist anstrengend. Man muss mit seinen Kräften haushalten.

Mein GPS sagt, dass ich mich der Deutschen Bucht nähere. Das Containerschiff macht gute Fahrt. Mal sehn, wo es hin will. Vielleicht übernachte ich auf Helgoland, weil, danach kommt schon nicht mehr viel, und ich kann ihnen versichern, das Schlafen auf einem Halbschalenpaddelboot ist nicht witzig.

Warum ich solche Strapazen auf mich nehme? - Morgen mehr, falls ich noch lebe.

11:40

Westwärts Elbe 1.
Diese verfluchten Möwen.
Was glauben die, dass sie mich fressen können???

Zum Glück habe ich meine Fletsche dabei.
Mit der habe ich schon ganz andere Gegner erledigt.
Ich sage nur: Problembär.
Ich meine, jetzt, wo ich auf See bin, kann ich es ja zugeben. Einer musste es tun, und da ich Abenteurer bin und gerade aus Westgrönland zurück war, dachte ich, ein schneller Euro könne nicht schaden.
Also nichts für ungut.
Schade nur, dass man Möwen nicht essen kann.

PS. Das Containerschiff wird immer schneller. Muss meinen Hut festbinden.


2. Tag

Schade. Schlief hinter Cuxhaven ein und wurde erst wieder wach, als das Land außer Sicht war. Glücklicherweise kenne ich mich auf den Meeren gut aus. Ich schaute mich also um, sah die untergehende Sonne, zählte an zehn Fingern ab, wieviel Knoten wird gerade machten, peilte den Schatten des Containerschiffes und errechnete daraus die Uhrzeit und meinen Standort. Helgoland, das war mir sofort klar, würde wir nicht passieren. Es ging süd-westwärts. Also revidierte ich meinen Plan, koppelte mich vom Containerschiff ab und steuerte Wangerooge an. Seitdem paddle ich, was das Zeug hält, aber Wangerooge kommt nicht in Sicht.

Ob ich mich verrechnet habe?

Ein Glück, dass meine Zuversicht nie versiegt. Ich werde weiterpaddeln. Schließlich ist das mein Beruf.
Die Dunkelheit auf See hat mir schon immer gefallen. Keine blöden Leuchtreklamen, niemand, dem man Guten Abend sagen muss, keine Spätausgabe der Tagesschau. Ich atmete auf und aß einen meiner mitgebrachten Power-Riegel, eine Entwicklung des Nestle Konzerns, der mich sponsort.

 

3. Tag

Wangerooge taucht nicht auf.
Stattdessen wird der Himmel dunkler und dunkler.


 

Dann eine verkehrstechnische Frage: wer hat in diesem Fall Vorfahrt???

 

Zum Glück hat sich die Frage von selbst erledigt. Das große Schiff war plötzlich nicht mehr zu sehen.
Allerdings schwamm bald viel verstreutes Material auf dem Wasser. Alles was schwimmen kann, quasi.
Einiges davon habe ich an mich genommen. Ich konnte die sich aufbauende Welle mit meinem Halbschalenpaddelboot quasi surfend zu überwinden.

PS.
Ich stehe auf diese rasenden Abfahrten, wenngleich sie einen häufig vom Weg abbringen.
Schätze daher, ich werde mich nicht weiter um Wangerooge kümmern.
Erst mal abwarten, bis der Sturm vorbei ist.


5. Tag

Weiß gar nicht, wie ich den vierten Tag rumgebracht habe. Paddeln jedenfalls ging nicht.
Hatte alle Mühe, mich an mein Halbschalenpaddelboot zu klammern. Aber immerhin. Ich bin nicht hinunter gefallen. Schätze, dass ich nun nordöstlich von England bin.
Sah in der Ferne Bohrinseln. Eine tutete wie Emma auf Lummerland.


7. Tag

Verbrachte den sechsten Tag auf einer Bohrinsel. Alle waren begeistert, als ich mit Johann Wolfgang von Goethe anlegte. Man hievte mich an Bord, man verpflegte mich königlich und abends schauten wir von 21 Uhr bis in den frühen Morgen Sexfilme. Habe Derartiges vorher noch nie gesehen, Vaginen aller Größen, Brüste aller Farben, Penisse von beängstigender Länge, Kopulationen am laufenden Band, vom Johlen der hart arbeitenden Bohrinseltechniker begleitet. Entnahm dem ein oder anderen Gespräch, dass der Verbrauch von Tempotaschentüchern auf diesen Enklaven enorm hoch ist, ja, dass es manchmal sogar zu Engpässen kommt. Nun ja. Es war auch ein wenig glitschig an Bord, als ich am nächsten Morgen noch einen kleinen Rundgang unternahm, mir die Technik erklären ließ und dann wieder in See stach.

Der zum Ende leicht mäandernde braune Faden auf der abgebildeten Karte gibt in etwa meine bisherige Route wieder. Weiter geht's. Der Sturm ist abgeflaut. Ich komme voran.

 

9. Tag

Ich werde immer wieder gefragt, ob mir dieses Paddeln und Herumreisen eigentlich Spaß macht. Darauf kann ich nur sagen: nein. Als ich vor dreißig Jahren anfing, als ich mal hierhin und dorthin fuhr, als es noch keine Sponsoren gab und GPS und diesen ganzen Pressequatsch, damals, vor dreißig Jahren, da hatte ich schon Spaß. Aber dann wurde daraus ein Beruf, und wann immer man sein Hobby zum Beruf macht, kriegt man ein Problem. Heute (aber das sagen Sie bitte nicht weiter) heute paddle und abenteuere ich nur noch für Geld.

Ich lasse Sie glauben, ich setzte mein Leben aufs Spiel, aber ich bin ja mit allem bestückt, was mein Überleben rettet, auch wenn Sie denken, so ein Halbschalenpaddelboot der Klasse Johann Wolfgang von Goethe mache keinen besonders sicheren Eindruck. Soll es auch. Genau diesen unsicheren Eindruck soll es vermitteln, damit Sie sich in ihren Wohnzimmern ein wenig gruseln und denken, dieser Mensing tickt ja nicht frisch. Und während Sie das denken, habe ich schon Verträge für Talk-Shows und Vortragsreisen und Ähnliches geschlossen, sodass ich, kaum zurück von der einen Reise, schon dieses und jenes von mir gebe und darauf achte, dass die Namen meiner Sponsoren paritätisch fallen.

Aber was rede ich. Ich paddle ja. Die Nordsee ist wie ein Spiegel. Die Sonne brennt unbarmherzig und ich hoffe, morgen Edinburgh zu erreichen. Dort sind Interviews geplant. Wenn ich dann wieder in See steche, wird es erst richtig ruppig. Dann nämlich geht es an den Orkneys und Shetlands vorbei in die Weite des Atlantiks.

Wenn ich daran denke, wird mir ganz schlecht. Aber Geschäft ist Geschäft, no risk no fun, und meine Sponsoren sagen, dass sich der Absatz der mit mir und meinem Image beworbenen Artikel seit Abreise merklich erhöht hat, will sagen, man ist glücklich, dass ich mir den Arsch abpaddle, statt irgendwo gemütlich in einem Wohnzimmer zu sitzen und das zu tun, was alle tun, eine Familie zu gründen, Kinder zu haben, sie großzuziehen, zuzuschauen, wie der Arbeitsmarkt sie verschlingt, machtlos zu sein, zu sterben.

 

18. Tag

Nach mühsamen Tagen endlich wieder ein Lichtblick. Links liegen die Shetland Inseln, und wenn treffe ich dort, ich meine, wer kreuzt da mit seinem Segeltrecker herum? Mein großer Konkurrent, Axel S., ein Genie im Abgreifen von Sponsorengeldern. Diesmal hat er es auf eine besonders perfide Art wieder einmal geschafft, sein Budget zu verdoppeln. Davon kann ich nur träumen.

Wie er das hinkriegt?

Nun, ich gebe zu, er ist nicht dumm, er hat sich diesen Segeltrecker ausgedacht, und mit dem kreuzt er über die Weltmeere. Als ich ihn traf, kam er gerade aus Island zurück, wo er bei einem Treckertreff aufgetreten war. Die Isländer hätten nicht schlecht gestaunt, erzählte er, er hätte mit ihnen jede Menge Black Death getrunken und wäre danach gleich wieder los. Bin ein wenig deprimiert, denn sein Segeltrecker hat sogar Radio und Fernsehen. Ich will aber nicht weiter klagen, denn die See ist ruhig und ich bin guten Mutes.

England und Schottland hätte ich gern links liegen gelassen, ich wollte keinen Kontakt zu diesen tätowierten Rabauken, ging aber nicht, musste ja in Edinburgh für Sponsoren tanzen. Komische Leute, dieses Rule-Britania Gesocks, da sind mir Shetländer schon lieber, die haben Stil, die wissen, was schlechtes Wetter ist, die scheren sich einen Dreck um den Rest der Welt, was die Engländer und Schotten allerdings auch tun. Also Sie sehen, ich weiß nicht so recht, wieso ich die Shetländer lieber mag, aber es ist nun mal so.

Hier das Foto von Axel S. und seinem Segeltrecker.

 


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