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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff

Brief 58

Liebe Annette,

du hast drei Tage an der Arbeit gesessen, die Träume der Nacht nicht mitgerechnet. In Droste Digtal hab ich's mir angeschaut, hier hast du gestrichen und da und dort und dann war es doch die erste Version, die du zum Ende favorisiertest. Drei Tage, aber noch fehlte dir die Idee, das Ganze rund zu machen. Trauer soll aber nicht Trauer genannt werden wie die Freude nicht Freude, du wolltest, das man es fühlt. Aber woher dieses Gefühl nehmen, man hat doch zu tun. Die Mutter ist da und die Kuh ist krank, und dann dieser plötzliche Krach auch dem Hof. Hufschlag und Hoooooh Rufe, Schritte von Holzschuhen auf dem Pflaster, und die Begrüßung von Hermann. Schritte hallen durch's Treppenhaus. Du weißt, was das bedeutet. Jemand auf der Burg ist krank, und du musst helfen. Das Gedicht bleibt ein halbfertiges Gedicht, und kaum hast du deine Siebensachen gepackt und bist in die Kutsche gestiegen, wird es dir schleierhaft, als wäre es eine längst vergangene Sache, im Schatten eines Sommerwaldes kaum erkennbar, und du weißt auch kaum noch, worum es geht. Du hast Werners krankes Kind zu Bett gebracht, hast ihm die Stirn gekühlt und zu trinken gegeben, nun schläft es endlich. Du liegst auf dem Chaiselongue, du bist halb wach, gleichst wirst du schlafen, als das Kind hustet. Im gleichen Augenblick ist das Gedicht zurück. Du könntest es aufsagen, bis zum Schluß könntest du es aufsagen, aber das Kind hustet, du bist eine gute Tante, du weißt, dass du den Federkiel (falls einer in der Nähe wäre) nie so schnell übers Papier gleiten lassen könntest und begnügst dich damit, es aufzusagen und darauf zu hoffen, dass es auf irgendeine Art wieder zum Vorschein kommt. Eh das Kind wieder gesund ist, sind 10 Tage vergangen und du hast nicht eine Zeile geschrieben. Du gehst nach Hause. An der Furt bei Wittoever schreibst du in fünf Minuten einen Vierzeiler. Das andere Gedicht aber bringst du nicht fertig. Das treibt dich um, das begreifst du nicht, die Menschen in deiner Nähe noch weniger. »Wenn Annette die ohnehin den Kopf immer voll hat, mehr angegriffen wird, so schnappt sie über.« hat deine Mutter schon gesagt, als du klein warst. Das macht es nicht leichter, eine Dichterin zu sein. Mir geht es ähnlich.

Kollegiale Grüße

Hermann

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