April 2021 www.hermann-mensing.demensing literatur
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Do 1.04.21 10:48 / Krise Tag 384 / sonnig
Meine Aprilia hat neuen TÜV. Herr M. ist gesund. Ich arbeite.
Fr. 2.04.21 10:10 / Krise Tag 385 / bewölkt, kalt
ich bin kein christ
ich bin ein suchender
bin aller menschen bruder
der verzweiflung nah
bin voller hoffnung
und ganz wunderbar
12:43
Das 15. Kapitel ist geschrieben. Das 16. muß im Kopf noch ein, zwei Tage warten.
So 4.04.21 15:00 / Krise Tag 387 / bewölkt, kalt
Gestern kurz nach neun hatte ich mich unter www.116117.de registriert, um die für alle über 60jährigen ausgeschriebene Astra-Zeneca Impfung zu buchen und erhielt die Nachricht, eine Bestätigungsmail sei unterwegs. Die kam erst gegen Abend und Impftermine waren nicht mehr zu haben. Heute morgen ein zweiter Versuch, alle Termine bis Mitte Juli angecheckt, nichts zu machen.
21:41
Bald blüht der Bärlauch, deshalb war es höchste Zeit, nach Häger zu radeln und zu ernten. Morgen machen wir Pesto und Suppe draus. Es war sehr frisch. Sprachfaulheit stellt sich ein, je länger diese Krise dauert. Ich weiß nicht, was zu tun ist, ich weiß nur, was ich tue. Ich sehe mich vor. Ab den 6.04. wird der Jahrgang 41 zum Impfen eingeladen. Ich bin Jahrgang 49, dus er zijn noch acht wachtende voor mij. Ansonsten ist alles gecancelt, womit ich in den nächsten Wochen und Monaten Geld hätte verdienen können. Kein Dorfschreiber, kein Gästeführer, keine Lesungen. Als Rentner bin ich auf der sicheren Seite, mag mir aber nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich auf diese Jobs angewiesen wäre.
Mo 5.04.21 11:45 /Krise Tag 388/ bewölkt, Schnee, Regen
Keinen Schritt werde ich heute tun. Ich habe zu essen, zu trinken, zu lesen.
15:45
Gestern sah ich ein Konzert der Berliner Philharmoniker unter Kirll Petrenko. Dieser Dirigent hat den Schalk im Nacken, und das nicht nur, weil er so eine kasperlhafte Nase hat. Sein Dirigat ist ein Tanz, der mit den Stimmungen wechselt, seine Hinweise sind subtil und nie herrschend, oft von Lächeln begleitet. So eine Fernsehübertragung bringt einem die Musiker nahe. Da war eine French Hornistin, der das Blasen unvorteilhafte Falten in die Backen zeichnete, ein Geiger mit gewaltiger Trinkernase, wahrscheinlich eine Hauterkrankung, ein erster Geiger, lang, schlaksig unf kaum über dreißig, dem es beim Geigen oft die Beine unterm Stuhl hervorschnellen und ausstrecken ließ, ein Percussionist, der die sechzehntel mitzählte, um seine Becken zur rechten Seiten gegeneinander zu schlagen, ein Fagottspieler, der todunglücklich aussah, ein molliger Klarinettist, der mich an einen Clown erinnerte, ein tief in sich und den durch das schmale Blatt zu pressenden Luftstrom versunkener Oboist, sechs Bassisten, ein rotblonder Trompeter, der aussah, als ginge er noch zur Schule, ein groß gewachsener, distinguiert wirkender alter grauer Mann, der die Bassklarinaettee spielte, und im Publikum immer wieder eine Mittdreißigerin, die vornübergebeugt saß, den Kopf aufgestützt und eine Dahingefläzte gleichen Alters zwei Reihen links hinter ihr. Gespielt wurde Tschaikowski und Rachmaninow.
18:40
In flottem Wechsel Regen, Graupel, Schnee, Sonne. Bei allem kalter Wind. April eben. Vielleicht doch Dorfschreiber.
Di 6.04.21 17:20 / Krise Tag 389 / bewölkt, Schnee, Sonne
Stilles Arbeiten gegen die Verzweiflung.
Do 8.04.21 15:15 / Krise Tag 391 / bewölkt, Chance auf Sonne, trocken
Wieder ein Kapitel beendet. Das Beste wird sein, jetzt aufs Rad zu springen und rumzufahren.
17:38
Nach meinem Scheitern im Internetimpfportal für über 60jährige am Osterwochenende fuhr ich heute spontan zu einer Hausarztpraxis im Dorf, sagte, guten Tag, ich würde mich gern impfen lassen, impfen Sie? Ja, haben Sie denn eine Diagnose? fragte die Sprechstundenhilfe. Nein, ich bin 72, sonst hab ich nix. Da muss ich den Doktor fragen. Gut, sage ich. Ich warte draußen. Wenig später kommt sie zurück. Ob ich Präferenzen hätte, Astra, BionTech, Heineken? Nein. Wir vereinbaren die Erstimpfung für den 21.04. um 14:05.
Sa 10.04.21 12:08 / Krise Tag 393 / bewölkt, Regen
Ein Jahr haben unsere Regierenden benötigten, um sich zu einheitlichem Handeln durchzuringen. Zwei Wellen haben sie kommen und gehen sehen, jedesmal haben die Wissenschaftler lange vorher gesagt, was in etwa geschehen wird, es ist in der Regel geschehen, aber erst die dritte Wille und der zunehmende Unmut im Lande scheint nun die Furcht der Politik (die lieber nicht handelt, weil Ämter in Gefahr geraten könnten oder gerade die nächste Wahl ins Haus steht) hintan zu stellen. Wir werden sehen. Was die Inzidenzen angeht redet man von einem 100er Grenzwert, man redete aber auch von 50er und 35er Grenzwerten, man redete überhaupt viel und durcheinander, und auch das hat nicht unbedingt Vertrauen aufgebaut.
14:25
synapsenfeuer eingestellt
kreislauf fällt die waagerechte
der tag verregnet wie bestellt
ich pfleg das wahre gute echte
die kaffeebohne und das thc
das plätzchen, buch, den schnaps im tee
die seuche und das kanapee
mit einem wort: traritaraa
ich bin jetzt nicht mehr da.
Mo 12.04.21 15:55 / Krise Tag 395 / bewölkt, kalt
Am Morgen schien noch die Sonne. Jetzt hat es sich zugezogen. Der Balkon ist aufgeräumt. Ich habe einen 60 Liter Erde fassenden Blumenkasten installiert. Darin werden wir bald Tomaten anpflanzen. Danach erweitern wir unser Repertoire. Ananas. Stilmus. Blattläuse. Das heißt, nicht ich werde das alles pflanzen, ich bin ja faul und zu nichts nutze außer zum Schreiben sinnloser Texte, sie wird das tun, die Großmeisterin des wortgetreuen Gartenbaus. Wir hingegen, also sie und ich, haben die ersten Tage des Nikotinentzuges hinter uns. Es war Freitag letzter Woche, als wir uns entschlossen, aufzuhören. Nicht rauchen fühlt sich gut an, der Entzug jedoch macht ein wenig nervös.
Mi 14.04.21 23:00 / Krise Tag 397 / wechselnd bewölkt, kalt
Vor ein paar Wochen lag die Inzidenz in Münster über Tage zwischen 15 und 30 und alles war dicht. Die Inzidenzwerte stiegen dennoch. Gleichzeitig begann das Geheule um Öffnungen. Jetzt, wo die Inzidenz in Münster bei 80 liegt, gibt es Wechselunterricht, solange sie unter 200 bleibt. Und das mit den Öffnungen von Kino, Kultur, Außengastro, wie war das noch mal? 100? 50? 35? Es wird täglich absurder. Ausgangssperren zwischen abens 21:00 und morgens 5:00 werden diskutiert, wenn? - Ja was? Ich hab es schon wieder vergessen.
Fr 16.04.21 13:12 / Krise Tag 399 / wechselnd bewölkt, etwas milder als gestern
Manchmal erinnere ich mich vor lauter Covid-Tristesse nicht mehr an den Wochentag und schaue auf meinen Kalender. Letzter Eintrag Mittwoch. Gut, und was war Donnerstag? Ah ja, Roman geschrieben, etwa eineinhalb Seiten für das 17. Kapitel. Und Dienstag? - Heute ist jedenfalls Freitag, das hat mir meine Freundin, die im Pflanzrausch sechs Balkonkästen und einen fischteichgroßen Kasten zur Aufzucht von Tomanten bespielt, eben mit einem rotzigen "was soll es sonst sein, wenn du gleich auf den Markt gehst" bestätigt. Sie wartet darauf, dass die Sonne um die Ecke kommt, um ihre Pflänzchen zu bescheinen. Viertelstunde, sage ich, dann ist sie da.
Mein Fender Verstärker, den ich gestern bestellt habe, ist noch nicht da. Aber wenn er da ist, wird er schon bald wieder fort sein, denn ich nehme ihn mit in mein Dorfschreiberquartier nach Everswinkel, stelle ihn neben mein Kurzweil Keyboard und mache Musik. Everswinkel war nicht abzuwenden, ich hatte vorgeschlagen, meinen Aufenthalt angesichts steigender Infektionen in den Herbst zu verlegen oder auf den Monat Juli zu verkürzen, aber das hat nichts genutzt, man will nicht noch einmal verschieben, und so werde ich am 9. Mai einrücken müssen und das Beste draus machen.
Die Einkäufe sind erledigt. Auf dem Balkon wird weiter vereinzelt, gepflanzt und gegossen, 18 Töpfe zusätzlich, davon vier große. Dann wird Kaffee getrunken. Ich feiere die Siege des Tages. Der aufmerksame Leser wird sich an meinen Kampf mit dem Elster Formular erinnern. 48.352 Euro hätte ich nach dem ersten Versuch nachzahlen müssen. Nach vielen weiteren Versuchen ist es nun offiziell: meine Steuererklärung hat ergeben, dass niemand dem anderen etwas schuldig ist, sie war also korrekt und darauf bin ich stolz. Stolz bin ich auch, dass ich den On/Off Button meines Laptops repariert habe. Mit dem neuen Akku könnte ich jetzt 6 Stunden in einem Café sitzen und arbeiten. Grund genug, Feierabend zu machen.
So 19.04.21 13:45 / Krise Tag 401 / wechselnd bewölkt
Ich war noch nicht vor der Tür, ich bin faul, und freue mich, dass ich es dann und wann für Minuten genieße, denn von allen Seinszuständen ist dieser der am Schwierigsten zu erreichende. Ich bin also kurz davor, Buddha zu werden, so, wie die japanische Kirsche vorm Fenster sich auf ihren strahlenden Auftritt vorbereitet, ein, zwei Tage noch, würde ich sagen.
Gestern war ich vor der Tür. Habe mich fortbewegt, gut achtzig Kilometer bin ich über Land gefahren, besser: habe mich vom meiner Aprilia über Land fahren lassen. Das Kloster Gravenhorst, eine im frühen 13. Jahrhundert gegründeten Zisterzienserinnenabtei, ist heute ein Kunsthaus und liegt am Südwesthang des Teutoburger Waldes. Dort hat Wilm Weppelmann eine Installation aufgebaut. Arche ist klein, heißt die Arbeit. Ein eine Außenmauer durchbrechendes Schiff, darauf ein Olivenbaum. Der Bug des Schiffes weist auf einen rechteckigen Tümpel, Reste der Gräfte, nehme ich an, darin eine halbschräg versunkene Hütte. Das passt sich gut ein und sieht gut aus. Das Grundstück des Klosters grenzt durch einen Streifen Buchenwald getrennt an die A30 nach Amsterdam. Davor steht ein Labyrinth, drei, vielleicht vier Meter hohe, efeubewachsene Zäune, darauf in Rollen ausgelegter Natodraht. Eine Installation von Kendell Geers "waiting for the barbarians", groß wie zwei Tennisplätze. An der Eingangstür hängt ein gelbes Schild: Eintritt auf eigene Gefahr. Schon von außen wirkt dieses Labyrinth bedrohlich. Ich habe überlegt, ob ich da wirklich reingehen soll, und als ich dann drin war, war mir nach dem dritten Abbiegen schon äußerst unwohl. Ich dachte noch, ich könne mir merken, wann ich wo wie abgebogen wäre, immer links, dachte ich, das wäre eine gute Strategie, aber natürlich muss man immer auch irgendwann rechts abbiegen. Das Efeu ist zum Glück nicht so dicht gewachsen, dass man das Außen nicht mehr sieht, so kam ich fast bis zur Mitte. Eine verdammt gute Arbeit. Ich hätte heulen können.
Di 20.04.21 10:07 / Krise Tag 403 / sonnig
Morgen werde ich geimpft.
Fr 23.04.21 9:26 / Krise Tag 406 / wechselnd bewölkt, frisch
Es hat überhaupt nicht weh getan. Ich habe den Einstich nicht einmal bemerkt. In sechs Wochen gibt es die zweite Impfung. Seit vierzehn Tage rauche ich nicht mehr. In drei Wochen bin ich in Everswinkel. Lauter klare Sachen. Gut. Muss ja auch mal. Muss ja nicht immer alles im Nebel verschwinden. Hier nun die japanische Kirsche am ersten Tag ihre Blüte vorgestern.
Sa. 24.04.21 11:45 / Krise Tag 407 / wechselnd bewölkt, frisch
Vor der Tür warten sieben Menschen, vier über siebzig wie ich, der Rest jünger. Alle tragen Masken, obwohl wir draußen stehen. Die Sonne scheint, aber seit Tagen weht ein sehr frischer südöstlicher Wind. Wir warten darauf, dass die junge Frau am Eingang der Arztpraxis, die eine gelbe Warnweste trägt und ein Klemmbrett hält, uns, die Patienten herein bittet. Mich hatte sie gefragt, warum ich hier sei. Der Impfung wegen, sagte ich. Bei wem? Bei Herrn S. Gut, das dauert dann noch einen Moment. Alles in allem dauerte es eine Stunde. Der Aufwand, den Artzpraxen im Augenblick treiben, ist immens, so vieles muss organisiert werden, die üblichen Patienten, die Impfkandidaten, die Hygienvorschriften. Ich bin mittlerweile ins Labor vorgedrungen, wo man mir ein Stäbchen in die Nase schraubt, durchaus unangenehm und schmerzhaft, aber dann ist auch schon vorbei und das Ergebnis steht erstaunlich schnell fest, das sähe man fast sofort, sagt die Arzthelferin. Der Arzt kommt, sagt guten Tag, im kremple das T-Shirt am rechten Oberarm hoch, und noch eh ich irgendetwas spüre, bin ich gespritzt. Wie, das war's? frage ich. Ja. Ich habe BionTech erhalten. In sechs Wochen sehen wir uns wieder, sagt der Arzt und ist schon wieder auf und davon. So geht das von früh bis spät, so dass ihm kaum Zeit bleibt, über den Sinn der Welt nachzudenken, so wie ich das den ganzen Tag tue, ohne Aussicht, je zu einem Ergebnis zu gelangen. Immerhin weiß ich, dass das auch zu viel verlangt wäre.
So 25.04.21 10:30 / Krise Tag 408 / bewölkt, geradezu kalt
Zu behaupten, die Krise gehe in den 408. Tag, ist untertrieben. Mir geht sie seit dem 6. März ins 73 Jahr, und so weit ich die Dinge überschauen kann, wird sich daran nichts ändern. Die Welt ist Krise, die Krise ist der Welt inhärent, sagen die Klugen, zu denen ich nicht gehöre, ich beharre darauf, kein Intellektueller zu sein, ich bin ein Grenzlandprolet mit zweitem Bildungsweg, ich bin Viertelholländer, worauf ich großen Wert lege, obgleich ich weiß, dass die Holländer ebensolche Halunken sind wie wir und alle anderen. Eine Halunkenwelt, von Halunkenpäpsten, Halunkenkönigen und Fürsten, Halunkenpolitikern regiert, alle wollen nur das Beste, und machen es immer schlimmer. Fest steht auch, dass Sonntag ist und auf der Straße geschossen wird, wenn sich ein Infizierter zeigt. Das geschieht den Infizierten nur recht, sie hätten sich ja nicht infizieren müssen, sie hätten ja nachschauen können, welche Regeln heute gelten. Gestern galten noch andere, morgen gelten wieder andere, man muss sie halt auswendig lernen, aber das wollen die Infizierten nicht. Und so quält sich die Republik durch die von ihr selbst heraufbeschworene Krise. Ironie führt zum Shitstorm, jede Meinung trifft auf harte Widerworte, und mir, dem friedlichsten aller Stubenhocker, geht das alles dermaßen auf die Eier, dass ich keine Worte mehr finde. Wäre ich nicht so verantwortungsvoll und arbeitete an meinem Projekt, 100 Jahre alt zu werden, ich würde von früh bis spät saufen, damit der Schmerz endlich aufhört.
Mo 26.04.21 17:40 / Krise Tag 409 / sonnig
ich haderer
und einhandregler
ich waghalsiger welterreger
ich müdes ego
und verrücktes huhn
ich hätte habe viel zu tun
ich zögerer
und aufschubschieber
ich hängmichauf
ich mit dem kalten fieber
ich mit dem herz aus feuer
und dem hirn aus wachs
geht weg und
macht mir endlich platz
Do 29.04.21 17:34 / Krise Tag 412 / bewölkt, Regen
Gestern war ich in E., um meinen Einsatz als Dorfschreiber vorzubereiten. Die Wohnung ist angemietet, Sonntag in einer Woche werde ich umziehen. Ich habe gemischte Gefühle. Alles, was letztes Jahr im Vorfeld besprochen und dann wegen der Pandemie abgesagt wurde, kann auch in diesem Jahr nicht stattfinden. Trotzdem will man das jetzt hinter sich bringen, noch einmal verschieben geht nicht. Ich habe eine Idee, die ich verfolgen will, mal sehn, ob sie funktioniert, aber ich fürchte mich vor dieser Ferienwohnung. Ich fürchte mich vor diesem Dorf und ich freue mich. Zwei Monate sind eine lange Zeit.