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zum letzten eintrag

Fr 1.04.22 11:05 Krieg Tag 36 es schneit

ich hatte aufgeatmet
und um neun gesagt
es sei erst acht
ich hatt' auf dich gewartet
und mich gefreut auf deine pracht
stattdessen blüht auf dir das schneekristall
die träume müssen warten
es schneit und krieg ist überall
natur ist klug
wir sind die dümmste aller arten


So 3.04.22 14:33 Krieg Tag 38 Schauer

Briefe an Annette von Droste Hülshoff

36


Liebe Annette,

vor zwei Jahren habe dir das letzte Mal geschrieben. Die Seuche, von der ich erzählte, grassiert immer noch, aber mittlerweile gibt es Impfstoffe, die den körpereigenen Zellen helfen, sich gegen das Virus in Stellung zu bringen. Ich wurde dreimal geimpft. Mit einer Spritze injizierte mir ein Arzt Impfstoff in mein Oberarmgewebe. Vor vier Wochen hat mich das Virus dennoch erwischt. Glücklicherweise war die Erkrankung sehr mild und ist längst ausgestanden. Sie ist aber nicht immer mild. Seit Ausbruch sind 6,1 Millionen Menschen daran gestorben. Erst 1883 begann ein Mikrobiologe, zu Bakterien und Viren zu forschen. Viren sind kleinste Krankheitserreger, die z.B. über die Luft in den Körper gelangen, wo sie versuchen, sich festzusetzen. Von Malaria wirst du gehört haben. Mal aria, die schlechte Luft. Die Seuche, die seit 2020 die Welt in Atem hält, heißt SarsCovid 19. Sie befällt die Lunge, kann aber auch andere Organe befallen und Langzeitwirkungen haben. Mir ist sie unheimlich, und die Forschung weiß noch längst nicht alles über sie. Viele Menschen haben 2020 nicht glauben wollen, was da ausbrach. Sie dachten, man könne es ja weder hören, riechen noch sehen und leugneten ihre Existenz. Viele verstiegen sich in atemberaubende Lügen, so dass die Welt jetzt noch zerrissener ist. Zwei Jahre habe ich in der Öffentlichkeit eine Maske tragen müssen, um mich und andere zu schützen. Im Augenblick geht die Zahl der Erkrankungen zurück, was mich hoffen lässt, aber seit vier Wochen herrscht Krieg in Europa. Russland hat die Ukraine angegriffen, ein Land, das zu deiner Zeit nicht existierte, sondern Teil des Zarenreiches war. Krieg, stell dir vor. Ein weltweite Seuche und Krieg. Keine schönen Aussichten. Aber gestern, am 2. April, habe ich zum ersten Mal wieder Gäste durch das Rüschhaus geführt. Das war in den letzten zwei Jahren wegen der Seuchenbestimmungen nicht möglich. Ich durfte zwar mit den Gästen ums Haus gehen, aber nicht hinein. Also erzählte ihnen von außen, was sie drinnen sähen, dürften sie das Rüschhaus betreten. Verrückte Zeiten, aber das Erzählen im Konjunktiv hat einen seltsamen Reiz. Gestern aber war ich mit insgesamt 12 Menschen im Haus, und fand alles in gutem Zustand. Das Scheunentor ist repariert, das Kavaliershäuschen neu möbliert, eine Augenweide, und das Dorf, die Annette-von Droste Hülshoff Stiftung und das Center for Literature feiern deinen 225 Geburtstag. Die Welt ist in keinem guten Zustand, Annette. Ich weiß, das war sie noch nie, aber die politisch Mächtigen der Gegenwart sind jederzeit in der Lage, mit einem Knopfdruck alles Leben auf diesem Planeten zu vernichten. Erschrick nicht, Annette, du bist nicht von gestern, du wusstest von der großen Unruhe.

endet das
das endet
das auch
das endet auch
das und das
alles endet
fängt woanders an
endet und fängt wieder an
aber das endet
und das ende wird schön


Bis bald, Hermann


19:02 - 22:45

eine frau auf dem rad
ein golden retriever
im gegenlicht beide
als scherenschnitt
amseln und finken
unwiese lieder
eine taube verbeugt sich
und ruckukuut mit

das zarte grün
die schüchternen blüten
deine schritte
und dein eiliger geist
die stille hoffnung
das sehnen das brüten
das mit der zeit
selbst die starken verschleißt
tod liegt auf der straße
du nimmst einen schluck
ohnmacht überwiegt
gibst dir keinen ruck

und die taube ist rot


Di 5.04.22 12:25 Krieg Tag 40 bewölkt, feucht

Ich bin gesund. Ich teile mein Leben mit einer Frau. Ich kann jeden Tag und an jedem Ort arbeiten. Ich habe keine Vorgesetzten. Ich höre auf mich. Manchmal ist da große Leere, dann wieder das Geschrei eines Tollhauses. Ich lerne, diese Zustände zu akzeptieren. Dann und wann genieße ich sie. Meine Arbeit kann man in den Archiven der Deutschen Nationalbibliothek noch in 1000 Jahren finden. Für einen Mann aus proletarischen Verhältnissen ist das mehr, als er hoffen konnte.


Mi 6.04.22 20:42 Krieg Tag 41 bewölkt, windig

gedicht für annette

das rüschhaus
heute kalt und leer
kein gast
zu unwirsch war der tag
ich ging herum
wind kam vom meer
und ahnte nicht
mir was vor uns lag

dein haus
hatt' heute keinen trost
wir saßen fröstelnd beim kamin
die unruh dieser spitze frost
verwirrte uns den sinn

auf uns're
verwahrlosten seelen
fällt schnee
wir verfehlen das ziel
und stürzen
auf uns wartet ein federkiel
um die lange nacht zu verkürzen


Do 7.04.22 9:45 Krieg Tag 42 Regen und Wind

Version 2

37

im rüschhaus
ist es kalt und leer
zu unfreundlich der tag
wir gehen herum
wind kommt vom meer
und ahnen nicht
was er vermag

wir suchen trost
wir sitzen fröstelnd am kamin
die unruhe
vor der du flohst
verwirrte uns'ren sinn

auf uns're
verwahrlosten seelen
fällt schnee
wir verfehlen
das ziel und stürzen
auf uns wartet ein federkiel
um die lange nacht zu verkürzen



Sa 9.04.22 Krieg Tag 44 wechselhaft, frisch

Schießen, Töten.
Zwei Pillen am Morgen.
Überlebt man bis Mittag, die nächste.
Zum Schlafen Wodka.
Bei Alarm noch mehr Wodka.
Bis zum Arsch im Dreck.
Neben dir fliegt ein Kopf weg.
Armer Wassily.
Erkennungmarkte abknicken und einstecken.
Nicht aufgepasst.
Bauchschuss.



Mo 11.04.22 Krieg Tag 46 recht sonnig, milder

Thorsten Lensing - Verrückt nach Trost - Pumpenhaus

Drei Schauspieler und eine Schauspielerin spielen Szenen ihres Lebens von Kindheit an bis zum hohen Alter. Immer steht die Liebe mit all ihren komplizierten Wendungen im Fokus. Manchmal braucht es einen Moment, eh man begreift, dass aus einem melancholischen Taucher mit süchtigem Hang zur Tiefe und ihrer Stille eine Schildkröte wird. Auch der Orang Utan, der Seestern, der philosphierender Oktopus und der leuchtender Paradiesfisch erschließen sich nicht sofort. Man benötigt ein wenig kindliche Fantasie. Alle Figuren sind verrückt nach Trost. Das Bühnenbild hat mich am meisten begeistert. Es ist klar wie eine Skulptur. Vielleicht ist es eine. Auf ganzer Breite der hinteren Bühne liegt ein etwa mannshohes Stahlrohr, gebürstet und bei unterschiedlichem Licht changierend: das Meer. Der zentrale Spielort. Auf und vor ihr entfaltet sich das mit Elementen des Boulevards, des absurden Theaters und der Kontaktimprovisation angereicherte Stück. Es ist eine Skulpur. Stünde sie in der weiten Halle eines Museums, müsste nichts weiter gesagt werden. Es ist das Meer, der Ursprung allen Lebens. In der zweiten Hälfte der Inszenierung wird das Meer etwa zwei Meter nach vorn geschoben. Erst, als ich zuhause war, begriff ich diese mächtige Metapher. Ob intendiert oder nicht, weiß ich nicht, für mich stand sie für den steigenden Pegel der Weltmeere. Ich habe lange nicht mehr eine so spielerische Inszenierung gesehen. Es gab Momente, in denen ich befürchtete, sie könne in Beliebigkeit abdriften, aber dem war letztlich nicht so. Verrückt nach Trost ist höchst lebendig, unterhaltsam und philosophisch. Im Sommer wird sie bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Wir, die Besucher des Pumpenhauses, sahen die Vorpremiere, die mit standing ovations gefeiert wurde.


21:45


man kann sagen
hier bin ich
hier ist frühling
wenn frühling ist
über das
wo man nicht ist
kann man nichts sagen
so wie man nicht fühlen kann
wer hungert und stirbt
wenn man nicht hungert
und stirbt
man kann sagen
man habe etwas gehört
man kann sich auf einen stuhl setzen
und warten
bis der stuhl in die erde versinkt
es sei denn
man wäre mutig
und stellte den stuhl auf den kopf
aber weiß einer
wo der kopf ist
und ob ihm die beine gehorchen
wenn er flüchten muss
weiß einer vom anderen mehr
als die form seiner nase
oder die farbe seiner augen
man kann sagen
dass dem tag die nacht folgt
aber sicher kann man nie sein


Mi 13.04.22 Krieg Tag 48 sonniger Tag




21:35

ich werd' es mögen
tot zu sein
niemand mehr
der mal dies sagt
und das meint
bis es so weit ist
leb ich unbeweint
und lass die and'ren sollen



Do 14.04.22 Krieg Tag 49 wechselnd bewölkt mild

Ich bin müde, sagte sie und verschwand. Ob sie zurückkommt? Oder war sie nie da? Habe ich mir nur eingebildet, dass sie immer neben mir saß und Ratschläge gab. Vielleicht hab ich mir die Ratschläge selbst gegeben und war zu feige, mir das einzugestehen. Soll sie bleiben, wo der Pfeffer wächst. Ich bin hier, und wenn ich sage, dass ich weggehe, gehe ich weg und brauche nicht wiederzukommen, denn ich bin immer da, wo ich bin.


Sa 16.04.22 Krieg Tag 51 sonnig und frisch

Als ich darüber nachdachte, heute mit dem Ostermarsch durch die Stadt zu radeln, fragte M., ob ich das denn könne, die Ostermaschierer seien doch Pazifisten, und wie ich denn zu den Waffenlieferungen in die Ukraine stünde? Ich antwortete, wenn ich siebzehn wäre, würde ich sie für falsch halten. Dann zitierte ich Habeck, der vor kurzem sagte, die Entscheidung sei richtig, ob aber Gutes oder Schlechtes daraus resultiere, könne man nicht sagen. Pazifist zu sein und Realpolitik zu bewerten, ich schwer. Der Pazifist (ich also) sitzt zu Hause, liest SZ, NZZ, TAZ, Freitag und versucht, sich einen Reim zu machen, aber Reime sind Poesie und Politik ist nicht poetisch. Politik ist brutal. Ihr ist das Hemd näher als die Hose. Sie muss entscheiden. Ich entscheide nichts. Ich stehe den Sozialdemokraten, Grünen und Linken nah, aber auch das ändert ebensowenig wie meine Arbeit als Dichter. Statt also mitzufahren, habe ich die Wohnung geputzt, den morgen kommt Besuch. Nicht der klassische Osterbesuch, der uns früher Kinder ins Haus brachte und mit einer vewüsteten Wohnung endete, sondern erwachsener Besuch. Würde ich also den Waffenlieferungen zustimmen? Nein und Aber. Mein Bauch will, dass man Putin zeigt, wo der Hammer hängt. Ich habe geklatscht, als ich erfuhr, dass die Ukrainer einen wichtigen russischen Zerstörer kampfunfähig gemacht haben. Ich habe geklatscht, als Terroristen in das World Trade Center flogen. Ich hatte damals "klammheimliche Freude". Mein Bauch ist auf der Seite der Schwachen. Wenn das die Grundhaltung der Politik wäre, gäbe es weder diesen noch all die anderen Kriege, die seit meiner Geburt wüteten. Womit wir wieder beim Hemd und der Hose wären. Es gibt unterschiedliche Bewertungen der Frage, ob die Bundesrepublik ohne Gas und Öl aus Russland auf kurze und längere Sicht in eine tiefe ökonomische Krise rutscht oder nicht. Eine ökonomische Krise stellt jedem Politiker die Nackenhaare auf, weil (und das ist immer und überall festzustellen) sie die Menschen radikalisiert und noch stärker polarisiert, als sie es nach zwei Jahren Pandemie sowieso sind. Stellen Sie sich vor, Le Pen übernimmt demnächst Frankreich. Kein schöner Gedanke. Wir sitzen (und saßen immer) auf verschiedenen Puverfässern und haben es uns gutgehen lassen. Mit dem nationalen Trauma des Nazi Regimes wollte niemand die Brust recken und sagen, ja, aber wir Deutschen finden..... Wir Deutschen aber waren und sind erschreckend erfolgreich, wenn man bedenkt, dass wir die letzten beiden Weltkriege vom Zaun gebrochen haben. Das hat alle erschreckt. Und alle haben uns beneidet. Jetzt aber, wo Amerika seine Führungsrolle überdenkt, scheint eine Antwort der Bundesrepublik unausweichlich. Mittun, oder weiter die von der Geschichte eines Besseren belehrten Volkes spielen? Ich fürchte, Mittun ist unausweichlich. Wir werden uns die Hände schmutzig machen müssen, ob wir wollen oder nicht.

So 17.04.22 11:10 Krieg Tag 52 sonnig

der dreck
des langen lebens
kommt retour
es spukt
und meine fenster
erinnern mich an dalis uhr
mit füßen
halt ich mich kopfunter
an wolken
die längst meer geworden sind
zu bunt wird mir
und immer bunter
ich wäre lieber farbenblind
weiß nicht mehr ein noch aus
zur flucht bereit
mach ich mir den garaus
mir mich der kunst
und den allüren
die hoffnung
ist ein welker blumenstrauß


Mo 18.04.22 19:30 Krieg Tag 53 sonniger Frühling


2. Fassung

der dreck
des langen lebens
kommt retour
es spukt
und meine fenster
erinnern mich an dalis uhr
mit füßen
halt ich mich kopfunter
an wolken
die längst meer geworden sind
zu bunt wird mir
und immer bunter
ich wäre lieber farbenblind
weiß nicht mehr ein noch aus
zur flucht bereit
mach ich mir den garaus
die hoffnung
ist ein welker blumenstrauß


19:31

Radtour Richtung Tilbeck, Brock, Overwaul, Hohenholte, Altenberge, Häger, Sprakel, Rieselfelder, Wienburg, Roxel. 50 KM.


Di 19.04.22 13:012 Krieg Tag 54 sonnig

Die strahlende Sonne.
Die Flüchtenden.
Das Heulen von Geschossen.
Die zerstörte Stadt.
Das zerstörte Land.
Die Toten.
Ich bin 73.
Kein Jahr ohne sinnlosen Mord.
Das nennt man ein schönes Leben.
Ich bin Pazifist.


17:34

bin ein beil
bin ein keil
ein biochemischer tropf
ein kynetisches wunder
ein kopf voller plunder
ein enddarmtenor
eine wunschmaschine
ein wundbrand
ein geheimnis
zum hals in liebe
langeweile fäkalien
etc.pp.
ein ausgelieferter
ein geborener
ein noch lebender
wie soll ich erklären
dass stattfindet
was stattfindet
ich weine
ich weine die flut
ich lache
ich lache
(am liebsten
über saublödes)
ich habe
ich habe zwölf hüte
neun mützen
vierzehn jacketts
oder doppelt so viele
einmal im jahr
trage ich einen orthopädischen stützgurt
damit ich den misslungenen suizid
meines vaters verzeihen kann
meine tage vergehen
knallall auf fall
um auf tausend zungen
zu verbrennen
tun wir oder tun wir nur so
höre gott meine frage


Fr 22.04.22 Krieg 57 wechselnd bewölkt, windig, alles blüht

Deimos und Phobos
umkreisen den Mars.


So 24.04.22 Krieg Tag 59 sonnig, windig

ich bin der rus
ein kgb furz
der im bunker lacht
rus putin heiß ich
wer mich stützt hat macht
hat dickes haus an cote d'azur
hat boot mit hubschrapp fitnessraum
hat aufgespritztes fleisch
und träumt den oligarchen traum
einst werden sie mich rus den allergrößten nennen
sie werden in mein mausoleum rennen
bis es so weit kommt
hab ich sie erschossen
und darauf angestoßen


Di 26.02.22 Krieg Tag 61 wechselnd wolkig

Soll ich große, kleine, dicke oder dünne Panzer, Raketen, die zum die Ecke schießen, Haubitzen aus dem 1. Weltkrieg oder raffinierte Splitterbomben ins Krisengebiet senden, einen neuen Fotoapparat kaufen oder ein Gewächshaus, soll ich, wenn ich auf den Priewall fahre, den Rechner zuhause lassen, und was soll ich dort überhaupt? Tomatenzöglinge in den Garten bringen, den Verstärker in die Werkstatt, die Schwester besuchen und den Sohn, um den Schlüssel zur Datsche abzuholen. Klavier spielen und mir die Schultern dabei verreißen, ich probier' es in allen Lagen, immer tun sie mir danach höllisch weh. Nur ein weiterer Tag, ein schöner weiterer Tag, mit Sorgen um die Gesundheit anderer. Soll ich Ende sagen, mich aufs Sofa legen?