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Asuncion (12 Februar 1973)

Guten Abend Leute,

es geschah an einem Donnerstagmorgen. Mieke und ich hatten beschlossen, uns nach Asuncion aufzumachen. 24 Stunden bis nach Argentinien, so hatte man uns versichert. Von dort schien es nur noch ein Katzensprung zu sein, vielleicht noch einmal 24 Stunden?

Wir hätten es einfach besser wissen müssen ... also, Freitag, wie versprochen, kamen wir gegen 8 Uhr morgens in Argentinien an. Nächstes Ziel war Formosa. Ja, Züge führen schon, sagte man uns. Um genau zu sein: Güterzüge. Mit zwei angehängten Personenwaggons. Drei Dollar schienen nicht viel, zumindest nicht für 24 weitere Stunden und runde 800 Kilometer.

Also, Freitagabend ging's los. Das heißt, sollte es losgehen.
Der Zug fuhr etwa drei Stunden in die Nacht hinein und blieb stehen. Von nun an sollte er mehr stehen als fahren. Aber wir nahmen es leicht. Zumindest ich. Anstatt mich mit all den Reisenden in ein schmales Abteil zu drängen, hatte ich mir einen Postwaggon ausgesucht, der wohl zur Zierde an den Zug gehängt worden war. Dort war ich allein, hatte eine Holzpritsche und an jeder Seite des Waggons so eine Art Veranda.
Nein, niemand habe etwas dagegen, wenn ich dort mein vorläufiges Domizil errichten würde, hatte man mir gesagt. Allerdings teilte ich mir diesen Wagen mit einem Ziegenbock. Er roch streng, aber war freundlich.

Als ich am Samstagmorgen erwachte, hatte man sich offensichtlich entschlossen, weiterzufahren.
Ich saß auf meiner Veranda, fröhlich pfeifend und die Landschaft genießend. Gegen Abend, nachdem wir etwa effektive 150 KM zurückgelegt hatten, wurde mir bewusst, dass die angekündigten 24 Stunden ja rechtmäßig schon vorüber waren.


Ja, ja, sagte man mit Schulterzucken.
Mehr konnte ich nicht verstehen. Aber ich wusste genug und richtete meinen Waggon für eine weitere Nacht ein. Eigentlich war es mir ganz recht, jede Nacht im Zug erspart Hotelkosten.
Währenddessen schmorte Mieke in ihrem überfüllten Abteil und wunderte sich.

Der Sonntag kam, und jemand wagte zu behaupten, am Sonntagabend würden wir dann wohl ankommen. Lautes Gelächter. Selbst der Schaffner glaubte nicht mehr daran. Aber wenn Sonntagnacht nicht die Lokomotive kaputt gegangen wäre...


Nun, Montagfrüh um vier Uhr waren wir in Formosa.
Fast hätte ich es verschlafen, fast.
Gegen Mittag haben wir dann noch schnell einen Bus nach Asuncion erwischt.

Hier bin ich, euren Brief vom 8.2. habe ich gerade bekommen, und den vom 27.1.
Offizielle Stellungnahme (erst mal was Kaltes, es ist einfach zu heiß): urrrrrp, blubb, glubbber, bölllllk!!!

Ihr könnt euch natürlich denken, dass eure Idee, mir noch 350 Dollar zu leihen, mich entzückt.

Ich sagte:LEIHEN.

Ich möchte nicht, dass ihr euch für mich krumm legt.
Mir graut nur ein wenig vor dem Berg, den ich da abzuarbeiten habe, wenn ich zurück komme.
Noch mal ganz kurz zu meiner Kamerageschichte: Absolut kein Problem, wenn ich sie erst einmal verkauft habe, bekomme ich von der Polizei ein offizielles Stück Papier, das mir bescheinigt, dass meine Kamera gestohlen worden ist. Beweise mir da jemand das Gegenteil. Lasst euch da nur keine grauen Haare drüber wachsen. Aber ich werde sehen, jetzt bin ich ja reich. Und wie reich.

Also taktisch unklug war es schon, mir so viel Geld zu schicken.
Jetzt kann es gut sein, dass ich erst so gegen Ende April oder Mai zurück bin.
Was soll's. Gegend Ende März ist es an der Zeit, meine Bewerbung nach Düsseldorf zu schicken.

Sieh dir die Unterlagen noch einmal genau durch, Mutti, und schreibe mir nach Rio, was ich alles zurecht gelegt habe. So weit ich weiß, müsste da ein Brief an die zentrale Erfassungsstelle oder Ähnliches in Düsseldorf dabei sein. Der muss erst raus, dann erhaltet ihr ein Formular, das ausgefüllt eingesandt werden muss.
Am Besten setzt du dich mal mit I. in Verbindung, die hilft sicher, wenn's kritisch wird. Wenn ich zurück bin, hoffe ich, entweder einen Job bei der Post oder bei Geveler zu kriegen. Aber das läuft schon. Drei Monate arbeiten und ich bin aus dem Schneider.

23:00 Uhr und noch immer nicht müde.
Ich habe mir nach all den guten Nachrichten heute erst einmal einen gemütlichen Abend bereitet. Oder besser: wir. Dann habe ich mein Programm für die nächsten Tage zusammen gestellt. Noch ein paar Tage in Asuncion, dann mit dem Zug Richtung Süden, wieder nach Argentinien, dann ein Stückchen Argentinien, um dann bei den Iguazu Wasserfällen nach Brasilien einzureisen.
Ich habe mir den Kopf zerbrochen, ob ich noch nach Buenos Aires will, aber der Karneval in Rio reizt mich doch mehr. Am 6. März beginnen dort die drei tollen Tagen, oder wie immer sie hier unten heißen.

Bemerkung am Rande: in Argentinien und Paraguay kann man unheimlich billig und gut Fleisch essen. Ein riesiges, saftiges Beafsteak für umgerechnet 1,50 DM - hmmmm.

Wenn ich es mir so überlege, ich lebe eigentlich wie ein König. Hotels, Duschen, Restaurants. Alles da. Ach Leute, ihr habt keine Ahnung, wie viele Leute hier unten allein durch die Gegend trippen. Selbst Mädchen. So mutig braucht man da nun auch wieder nicht zu sein.

Dufte, dass meine Filmen angekommen sind. Das sind die Filme von Mexiko bis hierher. Ich denke, sie geben euch einen guten Überblick über die Dinge, die ich gesehen habe.

Also, Geld nach Rio, Post nach Rio, ich demnächst auch nach Rio. Buenas Noches, gute Nacht, daag, tot ziens.

Grüsse an Änne, ich schreib ihr morgen oder so.
Ja, von I. habe ich ewig nichts gehört.
Geh mal bei W. vorbei und sag C.P. guten Tag

Tschüss H.

 

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