August 2013 www.hermann-mensing.de
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Do. 1.08.13 12:43
Die alte Frau legt einen Joghurt, ein kleines Paket Tiefkühlgemüse und zwei Flaschen Korn auf das Laufband. An der Kasse diskutiert eine Mittsechzigerin über zwei verschiedene Sorten Äpfel, die sie, versehentlich, sagt sie, in eine Tüte gepackt habe. Einer der drei Äpfel ist billiger als die anderen. Nun will sie aber den billigeren nicht zum Preis der teuren Äpfel kaufen. Das müsse sie ja auch nicht, beruhigt die Kassiererin, sie müsse sich nur entscheiden, ob sie den einen auch wolle, oder nur die zwei. Sie wisse gar nicht, was sie tun solle, sagt die Frau. Unruhe kommt auf. Die Kassererin macht ihr erneut das Angebot, die Äpfel getrennt zu verbuchen. Das verwirrt die Frau noch mehr. Jetzt will sie die Äpfel gar nicht mehr und kündigt an, im Obstgarten nebenan welche zu kaufen. Die Patienten werden doch schon unruhig, sagt sie und zeigt auf die Wartenden am Laufband. Wir sind keine Patienten, sagte eine Frau, die nach ihr an der Reihe wäre. Oh Entschuldigung, sagt die Unentschlossene und schiebt ihre EC-Karte in den Automat. Niemand wäre verwundert, wenn sie nicht funktionierte und darüber eine erneute Diskussion ausbräche. Aber sie funktioniert. Alle atmen auf. Vor allem die Kassiererin.
13:05
Anfangs des Monats checke ich gern die Statistiken meiner Webseite, sie sind dann noch sehr übersichtlich. Wenn ich die Suchwörter anklicke, erfahre ich oft Erschreckendes.
arschlecken und scheisen auf öffentlichen toiletten 1 33.3 %
waldarbeiter fickt spaziergängern 1 33.3 %
Nun weiß ja so ein Algorithmus nichts von der Welt, er hat nur ein Wort gefunden, es mit allen Worten meiner Seite abgeglichen und irgendwo Übereinstimmungen gefunden. Und nun klickt sich womöglich dieser Mensch, der sich für Arschlecken und Scheisen (!!!) auf öffentlichen Toiletten interessiert, auf meine Seite. Das kann ich nicht ändern. Möglich, dass er verwirrt war, als er bei mir landete. Ich kann daher nur widerholen, dass Algorithmen dumm sind.
Fr. 2.08.13 8:47
zuweilen bin ich dies und das und noch
ein ikarus in einem loch,
ich bin mit jedem wort vertraut,
erröte, nenn es meine braut,
und jedes ist mein ärgster feind,
in lust und schmerz vereint.
ich sammle und benenne neu,
ich trenne jene von der spreu,
manchmal beim duschen, beim kaffee,
verletzt mich eins mit bösem blick,
ich habe nichts und mein geschick
strömt mit der ebbe in die see.
ich liebe, ja, ich liebe noch,
doch ich verstehe nichts davon,
ich bleibe, singe einen ton,
ich grüße herzlich, dreimal hoch.
10:34
Der Kanal fließt mal hierhin, mal dorthin, je nachdem, ob kanalaufwärts oder abwärts geschleust wird. Schwimmt man mit der Strom, ist man erstaunlich schnell, schwimmt man dagegen, hat man Mühe, vorwärts zu kommen. Wir schwammen bis in den Hafen gestern, drehten dort eine kleine Runde, hatten für kurze Zeit Gegenströmung, dann trieb es uns vorwärts, so dass wir mit einem Zug zwei, drei weitere ersparten, als wir jedoch an dem Schiff vorbeikamen, das am Ufer festgemacht hatte, strömte es plötzlich quer durch den Kanal. Ich erschrak. Die Strömung war stark, sie wühlte das Wasser auf. Ich sah zu, dass ich das Ufer erreichte, und erst da wurde mir klar, dass das Schiff, das dort lag, das Querstromruder aktiviert hatte, das seinen Bug längsseits zur Spundwand hielt.
Sa 3.08.13 13:33
Nie weiß man sicher. Man denkt, man wüsste, aber das ist Täuschung. Selbst größter Erfolg sagt nichts darüber. Deshalb ist das Leben wohl auch so aufregend. Stellen Sie sich vor, man wüsste. Das wäre ja schrecklich. Da wäre man ja unter Umständung Gott. Und das will man doch nicht, oder?
14:04
wohl eher ein traum,
den ich mein leben nenne,
begonnen, seither: mittendrinn,
ergebnislos, und was ich kenne,
macht traumlos keinen sinn.
wohl eher vergnügen,
das ich mir vergönnne,
ein tag am fluss, das haus mit rosen,
ich zwings, es war in övelgönne,
der fluss: die elbe, ich trug blaue unterhosen.
wohl viel erlebt
in diesen träumen
ich bitte, weckt mich bloß nicht auf,
viel lieber sitz´ich unter bäumen,
und schau durchs blätterdach hinauf.wohl immer noch,
da staunt der träumer
übt täglich, hinzunehmen, wie es ist,
und wenn's nicht klappt, verspricht er: räum er
sein zimmer um, die beste list.
15:40
schokoladenfarb'ne kaisertorte,
schmelz mich hin, ich will dich ganz,
lutsch mich, bitte, ohne worte,
tanz mit mir den tanz
Di 6.08.13 14:42
Sendepause
Sa 10.08.13 13:21
die hitze
lässt den kopf ein wenig hängen,
die nächte werden wieder spitz und kühl,
am morgen glitzert tau und drängen
führt nur zu unnützem gewühl.
das denken kehrt zurück
im blitzen eines augenblicks,
ich spiele mich, ich löffle glück,
und meine finger sind die lotsen des geschicks.
ich prüfe meinen horizont,
der weit ist und erschreckend nah,
mir in den därmen wühlt und wohnt,
er war schon immer da.
kein grund zur klage,
denn es ist wie's ist,
und wie ich's sage
hat mich was geküsst.
hat mich begrüßt,
ich kenne dich gesagt,
hat's mir versüßt
und ich hab einen weit'ren tag gewagt.
Mi 14.08.13 9:52
Gegen 22:25:32 sollte die ISS auftauchen, zehn Grad überm westlichen Horizont. Wir waren extra hinausgefahren, um freie Sicht zu haben. Sie war auf die Sekunde genau an der erwarteten Position, 10 Grad überm westlichen Abendhimmel, zog dann schnell und immer schneller werdend über den Abendhimmel, 330 Kilometer über uns. Wir fragten uns, in welchem Zeitmodus die Astronauten sind, schliefen sie, wachten sie? Einer wird immer wachen, dachten wir, da oben im Orbit, und wir dachten, wie man sich wohl fühlt, wenn man der Erde entronnen ist, was man wohl den ganzen Tag tut. Natürlich haben sie Pläne, ausgearbeitete Listen, die jede Sekunde füllen, denn sonst, dachten wir, sonst könnte man leicht den Verstand verlieren da oben, schließlich kann man nicht mal eben aussteigen und einen Spaziergang machen, die Lungen mit frischer Abendluft füllen, das alles kann man nicht, wenn man Astronaut ist, aber immerhin, dachten wir, nach einer gewissen Zeit wird man wieder zur Erde geholt, die Russen sind dafür zuständig, die Russen haben urtümliche, graugrüne Kugeln, plumpe, überdimensionierte Wassermelonen, die an großen Schirmen zur Erde segeln und irgendwo in den kasachischen Weiten niedergehen. Das dachten wir, als die Station als hellster Stern dieses Abends im Osten verschwand, um weiter zu kreisen, in 90 Minuten einmal um den blauen Planeten, das muss man erst einmal aushalten, dachten wir, denn Astronauten sind auch bloß Menschen, sie haben Frau und Kinder, und sie haben Bedürfnisse. Ob man sie unter Drogen hält, dachten wir, irgend so eine Psychosubstanz, die ihnen tief sitzende Ängste nimmt? Wahrscheinlich, dachten wir, denn hier unten nehmen ja auch alle Drogen, jeder nimmt irgendetwas, und sei es nur die abendliche Portion Rotwein.
Do 15.08.13 13:34
Reisefieber.
Mo 26.08.1311:53
Wo anfangen, wo doch alles fließt und vergangen ist, eh man ein Wort zuende gebracht hat? Vielleicht vorm Aldi in Südwest, einem Viertel, in dem viele Russen und Araber wohnen, und wo am Donnerstag plötzlich zwei Warnlampen meines Mitsubishi aufleuchteten. Eine war für die Batterie, die andere kannte ich nicht. Wir schauten im Bedienungshandbuch nach. Es war die ABS Leuchte. Wir überlegten. Die für mich günstigste Interpretation war, dass das ABS nicht genügend mit Spannung versorgt wurde. Daraus schloss ich, dass das ABS zwar nicht funktioniert, hoffte aber, dass die Batterieleistung nicht beeinträchtrigt wäre.
Am nächsten Morgen fuhren wir los. Wir wollten nach Heidelberg. Die beiden Leuchten brannten wieder. Das Wetter war gut, die Fahrt entspannt, an der Raststätte Wetterau wollten wir einen Kaffee trinken. Bei der Abfahrt gab es ein plötzliches Knirschen, alle Warnleuchten gingen an, für einen Moment war die Lenkung erschwert, dann war der Motor aus. Ich war mit ungutem Gefühl losgefahren, jetzt hatte es sich bestätigt. Hier würde die Reise enden.
Wir tranken Kaffee. Eh ich den ADAC anrief, wollte ich sehen, ob das Auto startet. Es startete. Wir fuhren weiter. Zunächst sehr sehr vorsichtig, weil ich mir nicht sicher war, was das alles zu bedeuten hätte, wenngleich laut Bedienungshandbuch der Ausfall des ABS nicht hieß, dass die Bremsen nicht mehr funktionierten. Dann kam Frankfurt in Sicht, wir passierten es und kamen nach Heidelberg. Wir blieben zwei Tage dort. Als wir es am Sonntag verließen, funktionierte das Auto tadellos. Nur die beiden Warnlampen leuchteten immer noch. Am Folgetag machten wir eine kleine Rundreise durch den Pfälzer Wald, kauften auf dem Rückweg Lebensmittel, fuhren zu unserer Wohnung in Oberotterbach und hatten sie gerade erreicht, als das Auto aufgab. Nichts ging mehr. Am nächsten Morgen kam der ADAC und konstatierte, dass die Lichtmaschine kaputt sei.
Wieso wir trotz eingeschränkter Funktion der Lichtmaschine über vierhundert Kilometer zurückgelegt haben, ist mir ein Rätsel.
Do 29.08.13 13:17
Wo man hinschaut, schwere See, Lösungen, die Scheinlösungen sind, Verschleierndes, keiner weiß mehr. Und dann auch noch das: dynastische Probleme. Der Familiennamen geht unter. Man könnte darüber lachen, es bleibt einem nichts, als es zu akzeptieren, man hat intellektuelle Einsicht, das Patriachat ist vorbei, aber dem Herzen tut es weh, dass die Enkel plötzlich nicht mehr heißen, wie man selbst heißt, zumal sie ja lange Zeit so geheißen haben. Als Clanoberhaupt fragt man sich natürlich, was hätte C. gesagt, wie hätte die das gefunden? Lass ihn doch, wenn er will?
Fr. 30.08.13 15:31
Sollen sie heißen, wie sie wollen, denke ich heute. Mir doch egal. Machen eh, was sie wollen, die Kinder.
Sa 31.08.13 11:22
Ich verlasse jetzt diesen August und wende mich Weihnachten zu. Kann ja jeder kommen und sagen, man müsse sich nicht vorbereiten. Ich sehe das anders. Ich muss mich auf veränderte Verhältnisse einstellen, ich warte wie immer auf Nachricht, drei Romane in der Röhre und die Verleger melden sich nicht, ich taumle, im Augenblick ist es ein einziges Taumeln, gestern etwa, auf dem Roten Platz inmitten von Menschen, die alle da waren, weil die anderen da waren, sah ich kaum Glück in Gesichern, die meisten waren vor Sehnsucht nach Sinn geprägt, ich empfehle in diesem Zusammenhang www.wolfgang-herrndorf.de als Lektüre und verbleibe. Zum Glück gibt es im September Lesungen, auf die ich mich freue, aber was mich angeht, könnten es mehr sein, ich möchte die Republik mit Lesungen fluten.
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