August 2014                           www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag


Fr 1.08.14 14:53

Kein Eintrag.


Sa 2.08.14 12:08

Wegen Krieg und Idiotie weiterhin geschlossen.


So. 3.08.14 11:45

Ich mach's wie meine Katze...




Mo. 4.08.14 14:17

Gegen fünf riss mich mächtiger Donner aus dem Schlaf. Danach träumte ich von einem schwarzen Pudel, der freudigst bellend auftauchte und neben mir her lief, worauf man mich verhaftete. Der Mann, der mich verhaftete, war rüde. Zum Glück war ein zweiter Mann da. Der verhalf mir zur Flucht. Ich musste eine steile Wand hinauf und wieder hinunter. Unten stand mein Auto. Es stand auf der Autobahn direkt hinterm Grenzübergang.

Die Welt macht Krieg oder/und Urlaub. Ich mach's wie meine Katze.

 

Di 5.08.14 9:56

„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung", sagt Blaise Pascal.

Blaise Pascal hin oder her, wenn er (der Mensch) das nicht aushalten kann, muss etwas falsch sein.

Daher arbeite ich weiter an meinem Projekt, Ruhe zu finden und diese als Muße zu definieren, nicht als Langeweile. Langeweile wird negativ konnotiert. Selbst Muße ist dank protestantischer Ethik aller Laster Anfang und hat damit dem Frühkapitalismus seine Richtung gewiesen, machen, tun, nicht innehalten.

Da ich nun Rentner bin, der nie vor hatte, seine Arbeit mit Erreichen des 65. Lebensjahres einzustellen, finde ich es höchst interessant, mich der Leere des Daseins, der Langeweile, die Existentialisten als Grundform menschlicher Existenz beschreiben, auszusetzen und diese umzudeuten. Es gibt im Augenblick nichts, was ich schreiben will, mehr noch, es kotzt mich an, über ein neues Projekt auch nur nachzudenken. Das war, seit ich denken kann, immer so. Ob und wann die nächste "Schaffensphase" beginnt, steht in den Sternen, eines aber ist gewiss, ich werde nicht versuchen, mich bis dahin mit Geschäftigkeit abzulenken.

Das will ich nicht, obwohl ich weiß, dass es gut funktioniert. Ich will's nicht. Ich will erleben, und wer erleben will, braucht Zeit und Mut, nichts zu tun. Alle tun ständig etwas, ich seh's ja um mich herum, alle sind ständig mit irgendetwas beschäftigt, und ziehen daraus den Schluss einer erfüllten Existenz. Nähme man ihnen ihre Beschäftigung, fielen sie augenblicklich in ein tiefes Loch.

Ich finde, das müsste nicht sein. Deshalb übe ich Muße. Deshalb stemme ich mich gegen den Ennui, der im Grunde unserer Seelen wohnt und nichts weiter ist, als die Trauer über den Verlust des Paradieses. Wir werden niemals zurückkehren können, das muss man akzeptieren, ist aber kein Grund, Trübsal zu blasen.

Ich mach's wie meine Katze.





23:51

pfluecksalat, radieschen, dill, kapuzinerkresse plus bluete, avocado, balsamico, olivenoel, senf, honig, salz, pfeffer, joint


Mi 6.08.13 16:38

Das Haus ist so und so hoch. Ich bin klein.

23:51

Ich mach's wie meine Katze.




Do 7.08.14 11:41

Jetzt hat jeder gewonnen, macht eine Pressekonferenz und sagt hier, wunderbar, Sauerei das, aber, und die Pressefritzen schreiben sich Laptops wund, während wir
fern von allem sitzen und uns verwundert fragen, was zu unserer Unterhaltung als nächstes kommt. Ein ISIS Ballett in der Türkei, der Sturz Tripolis, Massenerhängungen vergewaltigter Frauen in Iran? Hmm hmmm. Was hätten wir noch, wenn wir die ganz großen Bösen, also UNS, ausklammern? Ach ja. Es findet sich schon wieder was, keine Angst.


Fr 8.08.14 10:46

Der Wodka ist alle. Egal, in welchen Laden ich gehe, Wodka ist aus. Das haben wir jetzt davon. Der Wodka, nach russischer Computertechnologie und Automobilen das drittwichtigste Exportgut, bleibt im Lande und der Russe trinkt ihn wieder allein. Das ist ihm eigentlich auch das Liebste, sein Wässerchen sollte nicht durch unsere verweichlichten Kehlen laufen, nur reisen, das tut er noch, der Russe, der mit dem unverhältnismäßig großen, runden Kopf (Kartoffelkopf) und den schlechten Manieren. In Hotels rund um das Mittelmeer schaufelt er sich all inklusive alles auf einen Teller, was er kriegen kann, turmhoch stapelt er Speisen über-neben- und durcheinander, dann wankt er schon vortrunken an seinen Tisch, saut rum, ist laut, lässt die Hälfte stehen, holt sich eimerweise Nachtisch und verfährt damit genauso. So ist der Russe innerhalb weniger Jahre zum Lieblingsgast der Hoteliers avanciert. Jetzt allerdings hofft man, dass er bleibt wo er ist, lieber ein bisschen weniger verdienen, als diesen Kulturbanausen weiterhin dabei zuschauen zu müssen, wie sie die azurblauen Pools vollkotzen und ihre fetten Weiber mit Goldschmuck behängen. So weit zu den gegenseitig verhängten Export- und Importverboten.

23:13

vergleichsweise gering war ausgefallen,
was angefallen war, aber immerhin,
das, was ausgefallen war,
genügte, dem tag die hand zu geben,
moin, sage ich,
seit die friesen im ersten stock wohnen,
moin, moin, was ist denn?
sei froh, wenn überhaupt etwas an- und ausfällt,
meist fängst du nicht einmal an,
seit tagen wochen fängst du nichts an,
weil es viel zu gefährlich ist.
sie müssen sich vorstellen,
da stünden fünf millionen dominosteine,
käme ich da aus versehen dran, ginge es los,
und das will ich nicht,
weil es sinnlos ist,
und was sinnlos ist, führt zu nichts,
und was zu nichts führt, ist meist schön,
sehr schön, aber nicht immer leicht.
das ist der stand der dinge.


Sa 9.08.14 13:11

Es ist nicht mehr so warm, ein Wetterwechsel, und plötzlich bin ich wetterfühlig. Kann natürlich auch sein, dass der anstehende Vollmond schuld ist, obwohl das alle immer wieder verneinen, nein, sagen sie, der Vollmond hat damit nichts zu tun.

18:16

Es ist das fehlende Nikotin.

22:10

Mähdrescher brummen zum Vollmond. Wein steht auf dem Tisch, Apfelschnitze. Um noch einer unruhigen Nacht zu entgehen, könnte ich mich betrinken, aber allein macht das keinen Spaß. Alle sind ausgeflogen und es kommt mir vor, als schlüge mein altes Leben über mir zusammen. Ich hätte es gern zurück. Dabei habe ich doch eins in der Gegenwart. Eines, von dem man sagen könnte, es ist gut. Ja. Es ist gut. Trotzdem wiegt das alte Leben immer noch schwer.


So 10.08.14 15:16

Langsam zieht Regen auf. Ich hoffe, nur vorübergehend, denn mein großer Sohn ist am Meer, und von dort kommt das Wetter. Ich war vorhin im Freibad. Alle Stadien des körperlichen Verfalls auf engem Raum, das ist hart. Im Wasser mag ich gar nicht daran denken, was diese Wracks (man schließt sich selbst natürlich aus) alles emittieren. Nein, ich denke nicht dran und werde von einer alten Dame gerammt, die, das habe ich unter Wasser gesehen, fast senkrecht im Wasser schwebend schwimmt. Ein mitteldicker Mann (Italiener - Mittermeeranrainer) mit akkurater Frisur und exklusiver Sonnenbrille trägt einen blauen Schwimmgurt um die Hüften, der es ihm erlaubt, aufrecht hundepaddelnd die Bahnen vor und zurück zu treten. Ich schwimme fünfhundert Meter und lege mich in die Sonne. Ein Glück, dass die muslimischen Sittenwächter hier nichts zu sagen haben, sonst gäbe es Leichen.


Mo 11.08.14 11:57

Irgendwo war was, weißblonde Wolken jagen ergraute, bisschen Frühherbst weht durch die Seele, meine rechte Hüfte ziept. Schwimmen ist gut, sagt sie, aber müssen es gleich fünfhundert Meter sein. Ich kann tausendfünfhundert, sage ich, du wirst dich erholen, wenngleich natürlich jetzt, wo ich Rentner bin, jeden Tag eine neue Verschleißerscheinung hinzu kommen wird, damit ich von Arzt zu Arzt laufen kann, man hat ja sonst nichts zu tun. Dazu gemäßigtes Reisefieber. M. war, wenn ich das recht verstanden habe, noch nie, oder vielleicht vor hundert Jahren zum letzten Mal Zelten, und natürlich fragt sie sich, was nehme ich mit. Ich war auch schon eine Weile nicht mehr im Zelt, sehe der Sache aber gelassen entgegen. Habe eine sich selbst ausblasende Luftmatratze aufgetan, außerdem Isomatten, weiß, dass die Nordseeküste mit Pommesbuden gepflastert ist, denn gekocht wird nicht, und wenn das Wetter nur einigermaßen mitspielt, mache ich den Opa am Meer, der Burgen baut, in den auslaufenden Wellen hockt und vielleicht sogar einen Drachen steigen lässt.


Do 14.08.14 22:13

Der Mann ist in meinem Alter. Schwarz gekleidet, allein am Tisch, Arme vor der Brust verschränkt. Er bestellt, während wir schon Forelle essen, aber keine Forelle. Dann kommt sein Essen und er ist lange vor uns fertig. Als die Kellnerin fragt, ob alles recht gewesen sei, sagt er mit unbewegter Mine, Arme wieder vor der Brust verschränkt: Sonst hätte ich es nicht aufgegessen.
Wir brechen in Lachen aus. Er bezahlt und ist auch schon davon.


Fr. 15.08.14 13:39

Das High Peak Zelt hat eine Grundfläche von etwa 140X200 Zentimeter und ist knapp einen Meter hoch. Ein betagtes Zelt der Sorte, die man vor Jahren für kleines Geld kaufen konnte. Der Abendhimmel über Petten aan Zee verhieß nichts Gutes. Wetterleuchten seit etwa 22 Uhr und ein kräftiger Wind, wenngleich nicht zu vergleichen mit den Windstärken am Tag zuvor, von denen mein Sohn berichtet hatte. Sein Zelt, ein Nomad-Tunnelzelt mit zwei Schlafkabinen und großem Aufenthaltsraum, lichte Höhe sicher über zwei Meter, stand nebenan. Ich hatte das High
Peak in seinen Windschatten gebaut. Dennoch knatterte und ratterte es, als wir in unsere Schlafsäcke krochen. Nicht sehr Vertrauen erweckend. Dann begann es zu regnen. Wir beschlossen, ins große Zelt umzuziehen.




Kaum hatten wir uns dort eingerichtet, brach ein Wetter los, das ich in einem Zelt lange nicht mehr erlebt hatte. Gewitter, heftige Böen und überfallartiger Regen. Ich wusste, dass das Nomad schon Windstärke 8 überstanden hatte, dennoch war die Geräuschkulisse entnervend. Ich zählte die Zeit zwischen Blitz zu Donner. Die Entfernungen variierten zwischen knapp einem und gut zweieinhalb Kilometern, dann wieder schien das Gewitter in der Ferne zu verrollen, um im nächsten Augenblick wieder ganz nah zu sein. Ich tat kein Auge zu. Ich plante die Evakuierung von drei Kindern im Alter zwischen 6 Monaten und fünf Jahren und vier Erwachsenen. Alle schlaflosen Nächte in Zelten, die ich mit meiner Familie verbracht hatte, gingen mir durch den Kopf. Aber das Zelt hielt, und der folgende Tag war sonnig, so dass ich sogar im Meer schwamm. Schöne Tag am Meer, sage ich jetzt, wieder zuhause.


Sa 16.08.14 9:57

Das dem Zeltplatz nahe gelegene Dorf hinterm Deich, der eine Scheitelhöhe von geschätzten 15 Metern hat (falls nicht mehr), dieses Dorf also, in dem es drei Kneipen gibt, Zo gewoon, De Branding und Moritz (Frittenschmiede) hat einen Markplatz und auf dem Markplatz steht ein kleines Monument, nicht sehr groß, aus Stein gemauert. Mal sehn, worum es geht, dachte ich. Erste Information: dieses Monument wurde aus den Steinen der alten Kirche gebaut. Okay. Abgebrannt vielleicht, dachte ich und sah auf der anderen Seite noch ein Schild: Das Dorf Petten wurde 1943 von den Deutschen abgerissen.

Aha. Da fühlt man sich sofort leicht und luftig, da stellt man sich vor, wie die deutschen Offiziere herum gegangen sind und gesagt haben, also, ihr lieben Holländer, das tut uns ja nun leid, aber wir benötigen freies Schussfeld, wenn die Alliierten kommen, wir reißen euer Kaff jetzt ab, da hilft nichts.

Ob die Reserviertheit des Personals an der Rezeption des Zeltplatzes kausal mit der Vergangenheit zu tun hat, will ich bezweifeln, aber freundlich war man dort zunächst nicht, obwohl ich Niederländisch sprach, was der Deutsche in der Regel nicht tut, weil er davon ausgeht, dass der Holländer ihn schon versteht, schließlich lautet eine Zeile seiner Hymne "Wij zijn van Duitse bloed", aber es tut weh, ständig an diese furchtbare Vergangenheit erinnert zu werden.

11:09

Ich wollte Amsterdam meiden und stattdessen auf dem Deich zwischen Markermeer und Oostvardersche Plassen Richtung Lelystad fahren, weiter über den Houtribdijk nach Enkhuizen und schließlich nach Petten. Ich verließ die Autobahn bei Almere, neben Lelystad eine der Städte, die es vor knapp fünfzig Jahren noch nicht gab. Ein Neugründung nach den Polderarbeiten.

Ich hatte meinem Navi Lelystad einprogrammiert, ihm aber verboten, Autobahnen zu nutzen. Ich war diese Strecke schon einmal gefahren, allerdings aus der anderen Richtung kommend. Das Navi bot ständig Lösungen an, die mir nicht gefielen, darunter auch Auffahrt auf die Autobahn, rechts, sagte es, rechts oder links, aber ich widersprach jedes Mal, fand die Straße (N107), auf der ich nach Lelystad fahren wollte und war stolz. Wer mit einem Navi fährt, aber sonst keine Vorstellung vom Land hat, vielleicht nicht einmal die Himmelsrichtungen zu identifizieren weiß (so etwas gibt es) täte gut daran, eine Karte zu Rate zu ziehen.

13:20

da, wo das meer ist,
ist zunächst dieser deich,
und wo der deich ist,
waren früher dünen,
bis ein sturm kam
und dann noch einer und noch einer,
große fluten, die tief ins land strömten,
und so steht da heute der deich,
hoch und fest, am fuß asphaltiert,
das werk niederländischer wasserbauingenieure,
denn wenn einer weiß, wie es geht,
sind es die niederländer,
die in weiten gebieten unterm NAP leben
dem Normalen Amsterdamse Peil,
den wir Normal Null nennen,
kein wunder, dass man sagt,
dass die iren, lebten sie in holland,
längst ertrunken wären.
die niederländer aber haben tapfer ihre dörfer gebaut,
kanäle gegraben, flutpolder angelegt,
pumpen, die tag und nacht pumpen,
und frittenbuden, denn kaum ein europäer
isst lieber junkfood als der niederländer,
und weil in diesem land hinter den deichen
fundamentale prostestanten das sagen haben,
gilt eine hohe moral und das pragmatische tun,
das oft als liberal missverstanden wird.
da war ich nun, zwei tage am meer,
sogar geschwommen bin ich,
einen sonnenbrand hab ich mir geholt,
weil ich meinen hut vergessen hatte,
und nun bin ich zurück,
weit über normalnull und in sicherheit.


So 17.08.14 00:13

Es ist Spätnachmittag. Die Sonne scheint. Wir sitzen an einem Holztisch auf der Terrasse des Moritz und essen Pommes. Ich esse zudem eine Frikandel Speciaal: Hühnerärsche, Euter, gequirlt mit Gewürz, Zwiebeln, Mayonnaise und Cetchup. Wir sitzen auf der Terrasse, weil sie windgeschützt ist. In unserem Sichtfeld gegenüber ein weiter Hof, paar geparkte PKW, einer aus Litauen, einer aus Polen, vorn zur Straße eine Selbstbedienungstanke, und am rechteckigen, schmucklosen Haus, das den Platz begrenzt, ein Schild: Appartementen Duinzicht. Wir versuchen uns auszumalen, wie beschissen es sich anfühlt, da oben in einem der Zimmer zu sitzen und über den Namen nachzudenken. Und wie sie das im Prospekt fotografiert haben, von den Dünen aus mit einem Tele, damit es so aussieht, und von den Fenstern aus umgekehrt, eher wahrscheinlich auf einer hohen Leiter auf dem Dach stehend.


11:16

wind streicht frühherbst in büsche,
bäume und kräuselt milchschaum
von meiner kaffeetasse,
jetzt vorm zelt wäre es mir zu kalt,
haben wir glück gehabt,
hätten schlimmer und kälter ausgehen können,
die tage am meer,
nächste schritte sind dennoch geplant,
mit dem fahrrad zum kloster gravenhorst,
kunst gucken, moderne freizeit,
jedes kaff macht heutzutage auf kunst,
manchmal ist sogar etwas dabei,
das den namen verdient,
dann noch hierhin und dorthin
und davon träumen, burgblogger auf burg sooneck zu werden
nächstes jahr: zukunftsmusik.


12:25

Am Strand haben wir einen windstillen Platz hinter den Containern der Lebensretter gefunden. Die See trägt weiße Schaumkronen. Das Wasser ist kalt. Wir hocken umeinander, M., ich und zwei meiner Enkel, die beiden Großen. Die Enkel wissen, dass M. meine Freundin ist. Eine Freundin ist etwas anderes als eine Oma. Das haben sie begriffen. Ich grabe meine Beine in den Sand, bis sie ganz bedeckt sind. Dann wackle ich mit den Zehen. Der Sand ringsum bewegt sich, die Zehen kommen zum Vorschein. Das, finden die Enkel, ist ein feines Spiel. Sie müssen die Zehen wieder unterm Sand vergraben, dann muss ich sie bewegen, damit sie wieder zum Vorschein kommen. Davon können sie gar nicht genug bekommen.

16:25

das erste wort (das)
entscheidet, wohin die reise geht,
das strand? nein.
das zelt? nein.
das land? ja.
das land ist sehr klein,
das land weiß, wie mächtig wasser ist,
es hat jahrhunderte wasser studiert,
es hat gegraben, entwässert, hat deiche gebaut,
es hat gepumpt und gepoldert,
es hat die erste börsenblase entfesselt,
indem es mit tulpenzwiebeln spekulierte,
das land ist das land meiner oma väterlicherseits,
das land hat mich geprägt,
das land ist ein königreich,
es waren immer königinnen,
die auf gulden prangten, jetzt aber hat es einen könig.
prins pilsje haben sie ihn genannt, damals.
das land ist das land der diminutive
.
das land


Mo 18.08.14 18:20

Man kann wunderbar spazieren gehen in Lauheide. Weite Rasenflächen, Eichen, Kiefern auch, Gräber. Man geht also hinterm Sarg, der ganz vorn auf einem Elektrokarren gefahren wird, geht eher hinten und hat noch den Priester im Ohr, der die Hinterbliebenen auf das Jenseits vertröstet, gleichzeitig aber darum bittet, dass der Herr die Verstorbene, eine freundliche alte Dame, meine Vermieterin, die ich über dreißig Jahre kannte und schätzte, gnädig aufnehmen möge im Himmelreich.

Neben mir läuft ihr Makler, der mir zu verstehen gibt, dass er eher Buddhist sei und diesen Gottesquatsch gar nicht möge, was das für ein sarkastisches Arschloch sein müsse, so eine Welt zu designen. Es folgt das übliche, etwas gruselige Ritual, der Sarg wird in die Erde gelassen, während drinnen schon mit der Weiterverarbeitung begonnen wurde.

Ich mache mich auf den Rückweg. Wieder geht der Makler neben mir. Und dann die Aufteilung der Güter, sagt er, er sei ja eher auf der Sonnenseite, ohne sein Zutun eigentlich, ja, ja, sage ich, und er sagt, dass es so viele Arschlöcher gibt. Er hat's mit den Arschlöchern, scheint mir, ist aber ein netter Kerl, ein Graubart, bisschen mollig, Mercedes Coupe, scheint zu funktionieren, das Maklergeschäft, übers Beerdigen sprechen wir und übers Verbrennen, dass man ja hier nicht einfach Asche verstreuen darf, er hätte da eine Verwandte, die das Kremieren ihres Mannes in Holland besorgt habe und seitdem die Urne auf ihrem Wohnzimmerschrank aufbewahre.

Irgendwie redet er sich dann in Eifer, hadert mit der Gesetzgebung, jetzt wollen sie sogar Flatratpuffs verbieten, sagt er, Gangbangs auch, und wie das denn gehen solle, also wenn das wirklich Zwangsprostituierte wären, ja dann, aber es gäbe ja auch welche, die das freiwillig machen, und wie das denn gehen solle in Puffs, ob da dann Sozialpädagoginnen beistünde und aufpassten, ob man abspritzt oder wie? Er ist ganz ratlos plötzlich. Ich auch. Dann sind wir an unseren Autos und verabschieden uns voneinander.

22:49

schlafen gehn
nacht nutzen
haus wehn
welt putzen
ins all flehn
rad drehn
aufstehn
auch schön

23:22

Nach dem Vater Unser bittet der Priester die Jungfrau um den Segen für den, der der Verstorbenen als erster nachfolgt. Wenn er sich jetzt umdreht und einen Blumenstrauß wirft, sollste mal sehn, wie alle daneben greifen.


Di 19.08.14 12:29

Bei komfortablen 14 Grad gerät Herr M. an diesem Hochsommertag leicht ins Schwitzen. Aber er hat vorgesorgt. Was gut ist gegen Hitze ist auch gut gegen Kälte, das hat man ihm immer wieder erzählt, und so kühlt er sich mit heißen Getränken, hat sein Winterbett reaktiviert und da er sich weigert, die Klimaanlage anzustellen, trägt er entsprechend atmungsaktive Kleidung von NorthFace, very trendy. Gleich geht es wieder hinaus aus der Stadt, schon wieder muss er nach Lauheide, die Sterblichkeit ist hoch ist diesen Tagen, er bringt einen Freund unter die Erde, und hofft, dass danach alles besser wird. Die Schlagzeilen der Zeitung allerdings geben wenig Anlass zur Hoffnung. Sein poetisches Ich hat sich vorübergehend aus allen Geschäften zurückgezogen und lauert unter der Oberfläche auf irgendeine Idee, ganz gleich, welcher Art. Und lauert. Und lauert ...

20:56




Mi 20.08.14 00:24

ich geh schlafen,
das töten machen die andern
mir egal, sollen sie doch,
ich habe ein muggeliges bett,
da krieche ich rein,
mein haustier furzt mich voll,
und ich furze mit,
mir doch sowas von...
und wenn ich aufstehe,
falls ich die nacht überlebe
(was man ja nie weiss),
töten sie immer noch,
und es ist mir immer noch
sowas von,
ich habe überlebt,
ich setz' mir kaffee auf
und zähl in der weltpresse tote.

21:44

könnte ja tanzen, klar,
müsste nur aufstehen,
mich ins auto setzen,
in die stadt fahren,
bin aber zu faul,
bin überhaupt gern faul in diesen tagen,
fern von allem,
habe auf dem markt
einen hering verdrückt
op de staart, wie man sagt,
ein pfund süßester erdbeeren gekauft,
die ich unterwegs und beim optiker aß,
schleckte ein eis,
radelte durch regen,
kreuzte den zoowald,
den das wetter gebeutelt hat,
nichts als geborstenes holz,
noch ein hartwetterbrett steckt er nicht weg,
ach,
zum abend warmen salat nach rezept von m.
basmati und noch einen hering,
kaufte heftpflaster,
weil ich mir mit dem messer von m.
die kuppe des rechten daumens abgesäbelt habe,
ist aber nicht schlimm,
heilt schon,
hach,
dichter m. -
hockt unter der decke,
dunkles zimmer mit lichtecke, sofa -
der m. erst morgen wiedersieht,
um mit ihr zu ihrer geschwätzigen tante zu fahren.
was er nicht alles tut,
um m. glücklich zu machen,
er, der alles ist, nur das ... denn ...


Do 21.08.14 10:09

In milder Stimmung las ich
die letzten Seiten von Wolfgang Herrndorf "Arbeit und Struktur", war schon mit einem Bein im Bett, als ich im Text auf einen Film stieß, den Herrndorf sich angeschaut hatte. Kopfleuchten, eine Dokumentation über Menschen, deren Hirn durch Krankheit anders, grundlegend anders funktioniert, als die Hirne der "Gesunden". Herrndorf verwies auf YouTube, ich klappte den Rechner auf, schaute mir den Film an und schwupps war es fast zwei. Gerührt von den Wundern, die ich gesehen hatte, machte ich mich bettfertig. Ging zur Toilette, und da war diese Spinne, eine kleine Spinne, die sich in der Toilettenschüssel herumtrieb. Ich riet ihr, schleunigst zu verschwinden, aber sie hörte nicht und verschwand unterm Rand. Also beschloss ich, nur mit halber Wasserkraft abzuspülen, um ihr eine Chance zu geben, aber selbst die spülte sie unterm Rand hervor und davon, was mir leid tat, aber nicht mehr zu ändern war. Man kann Kopfleuchten auf YouTube sehen, der Film ist sehr zu empfehlen.

11:46

der himmel ist blau,
es ist august, hochsommer,
es ist 13 grad,
wir nennen dieses phänomen wetter,
es war vor uns da,
und es wird nach uns da sein,
es gibt also keinen grund zur beschwerde,
schön wären 25 grad, das stimmt.


Sa 23.08.14 10:45

Weder Fürst, Fürstin, Erbprinz und Erbprinzessin, noch die Prinzessin Juliane zu B. und St., die in Burgsteinfurt in einer WG leben, waren zuhause, dabei hatten wir uns angekündigt, wir hatten gesagt, hört mal zu, ihr aristokratischen Blutsauger, wir kommen zum Kaffee, sonst machen wir französische Revolution mit euch.

Aber nein, sie hatten die Türen abgeschlossen und Videokameras auf uns gerichtet, und da die von Ursula von der Leyen für den Kampf gegen die IS vorgesehenen Panzerbrecherraketen vom Typ MILAN noch nicht auf dem freien Markt erhältlich sind, wie das normalerweise mit Rüstungsgütern geschieht, die in Krisenherde geliefert werden sollen, hatten wir nichts in der Hand und mussten unverrichteter Dinge abziehen.

Sahen uns stattdessen den/das (???) Bagno an, einst ein prächtiger Lustgarten mit chinesischen Pavillons, künstlichen Kaskaden, Vaudeville Vergnügungen und künstlichem See, heute Golfplatz, Wald, Kunst im öffentlichen Raum, etwas für den gehobenen Plebs mit kulturellen Ambitionen, damit der Adel in Ruhe weiter seinen weitläufigen Geschäften nachgehen kann.

So eine WG im Schloss, das kostet natürlich, der Rasen muss gemäht werden, und die Blümelein beschnitten, so ein Schloss ist etwas anderes als eine Dreizimmerwohnung mit Einbauküche und Balkon, aber nun, man hat Wurzeln bis ins 8 Jahrhundert, darauf kann man sich schon etwas einbilden, denn wir, die gerade mal noch den Opa kennen, aber beim Uropa schon passen müssen, wir würden da nicht einziehen, wir sind Kämpfer für die proletarische Sache, zumindest theoretisch, wir hätten also ohne weiteres den revolutionären Kampf gegen die Aristokratie weiter geführt, wenn nicht - wie gesagt - von der Leyen, diese Hochdampftranse - mit der MILAN Lieferung im Verzug stünde.

13:44

sprechen wir über den august,
der sich grau übers haus hängt,
leichen, wo man hinschaut,
regenleichen und kälteleichen,
aber wir trotzen dem wetter,
schließlich kann es ja nichts dafür,
es ist wetter, mehr nicht,
und wir haben pullover
und neuerdings schwimmhäute
und wenn es gleich wieder aufhört zu regnen,
fängt es gleich auch wieder an.


So 24.08.14 11:43

Berauschende zwölf Grad Celsius. Im Gegenzug aber Hochsommer im April, wenn ich mich recht erinnere. Also wäscht hier eine Hand die andere. Schwamm drüber. Ich hatte eine traumgesteuerte Nacht. Ich war unterwegs, um für Herbert Grönemeyer zu singen. Er spielte in einer Turnhalle, es wuchsen Büsche und Bäume dort, es war feuchtkalt und nicht sonderlich hell. Eh ich mich recht orientieren konnte, wo denn was zu singen wäre, kamen große Flugzeuge. Sie hatten ausladende Flügel, lang und breit, sie flogen sehr tief, taten nichts, waren aber so bedrohlich, dass alle flohen. Herbert saß eingepackt in einen Daunenschlafsack in einem extra gesicherten Raum, ein Bunker, erfuhr ich, aber da durfte ich nicht hinein. Traum Ende.

Gestern abend feinstes Salsatanzen mit dem Kugelblitz. Um acht ging es los, aber ganz gleich, zu welcher Zeit Parties angesetzt sind, man kann darauf wetten, dass die Salseros/ras erst ein- bis zwei Stunden später eintrudeln. Wahrscheinlich finden sie das cool. Ich finde das strohdumm, andererseits hat man, wenn man zeitig und mit Partner kommt, die Tanzfläche für sich allein. Segensreich ist, dass ich kein Spanisch verstehe, denn in den Liedern wird oft von Marias und Rosas gejuchzt und geheult. Ich war natürlich pünktlich, ich bin Protestant und über zwanzig und hatte Zeit, bis ca 23:00 Uhr, als sich das Haus langsam zu füllen begann, unbehelligt zu tanzen. Feine Sache.

16:08

der tag plätschert weg,
schöne sache, kein buch,
keine musik, kein wetter,
nur ruhiges plätschern,
hin und wieder fast ein gedanke,
meist redundant
schöne sache,
leichter mut, übermut selten,
große taten am horizont,
überleben mit festen bezügen,
aloha, mein leben,
meist redundant, schöne sache,
schöne scheiße, aber horch,
ist da nicht? nein, ist da nicht.
da ist nichts. möchte essen,
möchte trinken, möchte schöne sachen,
meist redundant, aha,
und - was jetzt?
anfang auf anfang,
text, schöne sache, redundant,
ende.


Mo 25.08.14 10:36

version 2

der tag plätschert weg,
schöne sache, kein buch,
keine musik, kein wetter,
nur ruhiges plätschern,
hin und wieder fast ein gedanke,
leichter mut, übermut selten,
großes taten am horizont,
überleben mit festen bezügen,
aloha,
mein leben,
horch, ist da nicht?
nein, ist da nicht.
da ist nichts.
möchte essen,
möchte trinken,
möchte schöne sachen,
meist redundant, aha,
und - was jetzt?
anfang auf anfang,
text ende.

10:56

mein montag
hat viele stunden,
mehr stunden als blätter auf bäumen,
mehr bäume, als die urwälder amazoniens,
mein montag hat lieder
und viele gedanken,
die mir gehören,
so viele montage,
und keinen davon geb ich her,
mein montag
hat takt und bezaubernde harmonien,
und so sitze ich staunend,
bin aller gegenwart mächtig
und meiner vergangenheit treu.


Di 26.08.14 11:32

Würde Herr M. seine Aktivitäten auf die Nacht beschränken, auf die Zeit also, die ihm eigentlich die liebste ist, die er aber schon seit 65 Jahren regelmäßig verschläft, müsste er lernen, tagsüber zu schlafen. Das aber gelingt ihm nicht recht. So bleibt ihm nichts, als die Tage zu verbringen. Und die Tage sind, das werden Sie wissen, vollgestopft mit Nachrichten und Neuigkeiten, die den Menschen bedrücken, die ihn zweifeln lassen am Welt- ergo am eigenen Verstand. Nachts aber ist die Welt friedlich. Herr M. wird üben. Vielleicht gelingt es ihm ja, Nachtarbeiter zu werden. Einen kennt er, der arbeitet schon seit über einem Jahrzehnt nachts. Er sagt, das gefalle ihm.


Mi 27.08.14 11:35

Auf dem Weg nach Münster leuchtete gestern plötzlich die Batteriewarnlampe auf. Schlechte Erinnerungen, sofort, und am Horizont die Ahnung, dass eine neue Lichtmaschine teuer würde. In Münster angekommen cancelte ich zunächst meine Zusage, meinen Sohn samt Familie am nächsten Morgen gegen 6 Uhr abzuholen und zum Bahnhof zu fahren, denn ich war mir nicht sicher, ob das Auto am Morgen anspränge. Dann rief ich den ADAC. Der kam schnell, maß die fließenden Ströme, griff zu einem Gummihammer und schlug gegen die Lichtmaschine. Das rote Warnlicht erlosch. Ach, sagte ich, der alte Hammertrick funktioniert immer noch. Bei diesem Modell schon, sagte er, und erklärte, dass die Kohlenstifte der Lichtmaschine bald ersetzt werden müssten. Ich war erleichtert.


Do 28.08.14 10:18

Warum mir das Tanzen gestern so gar nicht gefiel? Ganz einfach. War brummig. War schon den ganzen Tag von dieser seltsamen Brummigkeit verfolgt worden, die mich manchmal anfällt. Heute früh noch Reste davon im System, schätze aber, wenn ich gleich im Garten das erste Unkraut zupfe, wird sie verfliegen. Brummigkeit ist auch ein intellektuelles Problem, ich meine, ich bitte Sie, wenn Sie die Zeitungen aufschlagen, werden Sie da nicht auch manchmal brummig? Sehen Sie. Aber natürlich ist das keine allgemeingültige Erklärung für Brummigkeit. Meine Brummigkeit ist eine ererbte, tief sitzende Brummigkeit, sie reicht bis in eine Zeit zurück, als ich noch mit Keulen auf Beute einschlug. Damals, so ist es zumindest in der Familienhistorie überliefert, nahm ich auch schamanische Aufgaben wahr, musste also ständig halluzinogenes Kraut rauchen und Riten vollführen, und so etwas macht natürlich auch brummig. Sehr brummig. Wer brummig ins Bett geht, schläft brummig, erwacht brummig, am Besten wäre es, jetzt jemanden richtig zusammen zu scheißen, aber wen? Sind ja alle vom Volk gewählt. Ich nehme die Hacke gleich. Ab in den Garten. Wer keine Romane schreibt, muss Unkraut zupfen. Wer Unkraut zupft, darf bedauert werden. Wer bedauert wird, darf brummig sein. Es ist ein schrecklicher Kreislauf. OMG, wie man heute sagt. Und - geht es Herrn M. gut? Ja.
Es geht ihm ganz hervorragend. Man möchte glatt mit ihm tauschen.


Fr 29.08.14 10:47

Schon nicht mehr so brummig wie gestern.


So 31.08.14 15:34

Es regnet. Das ist nicht weiter schlimm. Viel schlimmer ist, dass ich nicht mehr weiß, ob schon Krieg ist, oder ob es sich nur so anfühlt. Und noch schlimmer ist, dass ich überhaupt nicht mehr verstehe, worum es geht. Und dass all die Erklärungsversuche, die ich in Zeitungen lese, auch nicht zu Erkenntnisgewinn führen. Das gibt Krieg, hatte einer mir gesagt, als ich im Frühjahr am Meer war. Aber was für einen Krieg denn? Einen, den sie mit Messern und Schwertern führen, einen mit Hightechgetöse, einen Mischkrieg, der alles hat? Ich will das nicht. Ich kenne niemanden, der das will. Was ist überhaupt los. Bin ich verrückt oder sind die verrückt, oder ist überhaupt niemand verrückt und Krieg ist ein Naturgesetz, wie mein Vater immer behauptet hat? Hat jemand sonst eine Erklärung. Ich nicht. Scheiße ist das. Ich habe zwei Kinder, ich habe drei Enkel. Ich will diese Scheiße nicht. Aber wo bitte ist das Rad, das ich drehen muss, um ihr Einhalt zu gebieten?