August 2025                  www.hermann-mensing.de      

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Fr 1.08.25 13:06 bewölkt, regnerisch, 19 Grad

Als Sommertag gilt, der 25 Grad erreicht. Davon gab es nicht viele im Juli, der tropisch begann, aber dann in die Knie ging. Mir geht es gut. Mal sehn, was der August bringt.

21:19

Mein Tag

10:30 Süddeutsche lesen
FB checken. Müde 4 Likes

mit dem Rad einen leeren Kasten Sprudel
wegbringen und neuen kaufen.
Nicht unkompliziert.
Vor allem das auf-und absteigen.
Tabak kaufen

13:30
FB - folge Dix Link:
Einstein on the beach. Train
Phillip Glas
klicke nach zehn Minuten weg
13:40
Date den Alltag up.
14:00 Duo Lingo
2 Lektionen alle Herzen weg
15:00 Sea Watch Spende
16:00 Duo Lingo
ich tu mich schwer,
deutsche Sätze in Französische zu übersetzen
zu Bekannten fahren
Aperol trinken
im Regen zurück nach Hause
19:40 Essen
in der Küche sitzen
mit der Liebsten sprechen
21:20 Duo Lingo
bin in die Gold Liga aufgestiegen.
lerne seit 21 Tagen Französich
21:30 Terminal mit Tom Hanks gucken
22:33 nicht witzig, lieber lesen


Sa 2.08.25 13:45 frisch, Regen liegt in der Luft

sagst du
du mensch
du mensch sagst
ich will das nicht mehr
sagst du mensch
und gehst auf die straße
zu den anderen
die das auch nicht mehr wollen
aber sich nie trauen zu sagen
und dann sagst du es einem
und der sagt es dem nächsten
und da es alle gewusst haben
aber noch nie gesagt
setzt erst verwunderung
dann eine bewegung ein
aus der ein sturm wird
es wird ein sturm kluger menschen
ein sturm guter menschen
denn das hast du auch gesagt
dass er mensch gut sei
hast du gesagt
und jetzt packen sie die gelegenheit beim schopf
alles spielt mit alles geht hand in hand
dass man staunt
über die solidarität unter den menschen
denn der mensch will keinen krieg
krieg ist die sprache des kapitalismus
fuck you masters of war


So 3.08.25 14:55 wechselnd bewölkt

Regengrau war es, als ich mich gegen elf aufs Rad setzte, durch die Alvingheide fuhr, die Quittenbäume begutachtete und kaum Früchte sah, abbog zum Kley, Braunkappen sah am Weg, der Straße nach Tilbeck folgte, Kaffee trank und den Kindern auf dem großen Hüpfkissen zusah, mich durch Natrup auf den Weg zu Schleithoff machte und von dort dem matschigen Weg durch den Buchenwald folgte, einen Freund besuchte und heimfuhr. 30 wundervolle Kilometer gewelltes Land, hoher Mais, Stroh sortiert und unsortiert auf den Feldern, Sonnenblumen und Blutweiderich am Weg. Heute nachmittag gehen wir ins Kino. Wilma will mehr.


Mo 4.08.25 00:03


Der Fehler war nicht, Menschen Asyl zu geben, sondern sie über Jahre mit vorläufigen Aufenhthaltstiteln hinzuhalten und ihnen jede Möglichkeit nahmen, reguläre Arbeit anzunehmen. Das hat manche in die Kriminalität getrieben. Meine Idee: jeder, der Asyl beantragt, darf sofort eine Arbeit annehmen, hat drei-fünf Jahre Zeit, Deutsch zu lernen, wenn er das kann, bekommt er einen deutschen Pass.

16:30

Man kann es Drama nennen, Komödie träfe auch zu, tatsächlich heißt es Umzug. Zug um Zug, zieh auf Null die Pfütze. Deshalb erledige ich jeden Tag ein bisschen. Ich will vorbereitet sein. Heute war Kleidung dran. Die Liebste sagte, sie kenne niemanden, der so viele Jackets habe wie ich. Möglicherweile hat sie Recht. Deshalb habe ich mich u.a. von meinem irischen Lieblingsjackett getrennt, Mäntel outgesourced, Hüte, einen alten Teddybär. Vetos sind nicht mehr möglich. Alles ist schon im Container. Zudem habe ich Tagebücher verpackt. Obendrauf meine Schals und Mützen. Gleich kommt jemand, der mir einen vernünftigen Preis für 4 Bowie Platten zahlt, nachdem sie vier Wochen online waren. Meine 78er Minolta wird von Foto Erhard geprüft, dann wird man mir ein Angebot machen. Ich will dem Neuanfang verschlankt ins Auge sehen. Ich will gestärkt in die letzte Runde gehen. Die letzten Jahre in Nienberge können morgen vorbei sein oder in zwanzig Jahren, das eine wie das andere ist möglich, aber ich fürchte mich nicht. Ein bisschen aufgeregt bin ich zwischendurch, ja, aber das hab ich im Griff. Nicht im Griff habe ich das Schicksal, aber das hat nichts mit Umzug zu tun, wenngleich es ebenso Drama wie Komödie ist. Alles zu seiner Zeit. Ich setze auf die Komödie. Ich lache gern. Ich weine nicht ungern. Und Rettung ist immer bei mir. Die Liebste, das Klavier, das gute Essen. Das Schreiben muss warten, bis die Pfütze auf Null ist. Dann fülle ich nach.


21:29

wir heben einen
auf die wahrheit
wir vergeben nicht den lügnern
wir haben keine idee
was mit ihnen zu tun wäre
unter umständen sind wir es selbst


Di 5.08.25 16:00 wechselnd bewölkt 22 Grad windig

Wieder kein Sommertag. Seit Anfang Juli nicht einer. Stattdessen Meere voller Plastikmüll, gleich nebenan. Luft voller Drohnen und Geschosse. Öffentliche Rede als Lüge, Vertuschung, Beschwichtigung. Ich lasse mich nicht beschwichtigen. Ich habe ein Zertifikat, darauf steht Mensch. Der Mensch ist unantastbar. Grundgesetz Artikel Eins. Klingt gut, oder? Dieser Mensch, manchmal Ich genannt, ICH: Hermann Mensing :6.03.49, verlange die Rettung der Erde. Damit das voran geht, gibt es jetzt Pflaumenkuchen. Zu Abend Hühnerschenkel. DannTango. Um mich das Flirren der nahen Zukunft. Was sein wird? Alles, was der Fall ist, wird sein, sonst nichts. Alltag. Alles normal. Die Normalität ist eine Hure. Also alles auf Anfang. Wie war das noch? Wie lange wollen wir warten?


Mi 6.08.25 14:37 hohe Bewölkung 22 Grad

Wohin mit den Ringen, Perlen, den Aquamarinen, Granaten, Korallen und dem Mondstein? B., der Goldschmied, wird mir raten können. Falls ich sie in Geld verwandeln kann, werde ich es in Obstbrand der Firma Birkenhof, Fleisch vom Wagyu Rind und sonst was verwandeln. Vielleicht ist eine kleine Stadtreise drin. Illusionen werden gehandelt. Übermorgen werden wir die neue Wohnung vermessen. Dann sehen wir, was Illusion ist und Wirklichkeit. Derweil investiere ich in Nerven wie Drahtseile. Und bin in Staffel 2 von 4 Blocks, dritte Folge. Langsam langsam geht mir dieser Hamady Clan, dieses Auge um Auge, diese Frauen, die zwar ständig sagen, sie könnten nicht mehr so leben, aber ihre Männer trotzdem decken, dieses Bruder-Gerede, dieses ständige in die Fresse hauen und Totschießen auf meinen Schöngeist. Am Ende wird alles Wut. Überall Tote. Schöne Scheiße.


Do 7.08.25 16:01 Sommer

lasst ihn nur scheinen
scheinbar ist er ja
seit 19 49 auf der welt
lasst ihn nur weinen
denn wer weiß
was ihn am leben hält
und lasst ihn lachen
lasst ihn sich bekringeln
lasst ihn
mit seinen engeln singeln
vergebt ihm
seine nächste sünde wartet
die loreley singt einen hohen ton
drei vögel faken ein quartett
guck an
die bitt're welt ist nett
und lasst ihn
bitte
lang noch dichten
lasst ihn von dieser welt berichten
schenkt ihm die ruhe die er braucht
damit er weiter worte
in den zauberzuber taucht
und wenn nur einer nickt
und sagt mann mann
dann weiß er
dass er nicht umsonst was kann


19:01

Ich hatte meinen besten Freund besucht. Wir hatten gesessen, Kaffee getrunken, den Alltag beredet. Gut, dass ich dich habe, hatte ich gesagt, und er, ebenso. Auf dem Heimweg machte ich eine Rast an der Stever. Ich schaute über den kleinen Fluß und dachte: lasst ihn nur scheinen, scheinbar ist er ja, notierte es mir und stieg wieder aufs Rad. Mein Freund hatte mir eine Skulptur geschenkt. Sie ist aus Stahl und Beton. 32 x 20. Meine Satteltasche war überfordert und rutschte mehrefach vom Gepäckträger, so dass ich sie abnahm und an den Lenker hängte. Natürlich konnte ich nun nicht mehr freihändig fahren, was ich für mein Leben gern tue, aber ich brachte sie heim und schrieb das Gedicht zuende.



Thomas Poggenhans

22:38

Höre: Mark Twain, Kapitän Stromfields Besuch im Himmel
Höre: Hans Christian Anderson Reiseschatten


Fr 8.08.25 16:12 hohe Bewölkung, 23 Grad

Im großen Garten steht eine Birke, ein Feldahorn und eine Buche. Den kleinen Garten werden wir mit Blühendem veredeln. Hibiskus. Rosen. Malven. Als Reminiszenz vielleicht eine japanische Kirsche. Unsere Küche wird vom Schreiner in den neuen Raum eingepasst. Die Wohnung wird von einem Maler gestrichen. Die Räume, heute leerer als bei der ersten Besichtigung, bieten genügend Platz für unsere Möbel. Das, finden wir, sind gute Nachrichten. Wenngleich gesagt werden muss, dass ein Anstreicher, ein Schreiner, ein Dichter und seine Liebste nicht die idealen Gesprächspartner sind. Die Handwerker wissen, was Sie tun, denen redet man am Besten nicht drein, die Liebste aber neigt zu verzweigten, ständig wechselnden Ideen. Der Maler sagt, das muss man wegnicken. Der Dichter, der heute früh knapp 800 Meter geschwommen ist, schwächelt. Gut, könnte man sagen, er ist 76, gestern ist er 40 Kilometer auf dem Rad gesessen, in den letzten 36 Stunden hat er insgesamt 150 Kilometer zurückgelegt, wo die geblieben sind, hat er fast schon vergessen, aber jeder Kilometer auf dem Rad bietet ihm mehr Glück und Entspannung als eine Woche Urlaub auf Mallorca. Er kann das sagen, er war ja mal dort. Was macht man denn, wenn man Urlaub hat? Man läuft als Fremder herum, sieht Dinge, die man schön oder nicht schön, beeindruckend oder nicht beeindruckend findet, Dinge, die man versteht und nicht versteht, dann muss man Pause machen und Geld ausgeben. Irgendwann fliegt man mit den anderen Trotteln zurück, und das Portemonnaie ist leer. Das alles bleibt dem Dichter erspart, weil Westfalen so schön ist. Alles wird gut. Auch, weil die, die uns aus der alten Wohnung vertreiben, alles bezahlen.

Sa 9.08.25 13:39 Sommer

Der Mond stand im Wipfel der Blutbuche. Wir hatten beredet, was zu bereden war, getrunken, was zu trinken war und verabschiedeten uns voneinander. Der Mond folgte halblinks hinter mir, falls ich mich verführe, wüsste ich, wer mich nach Hause brächte. Aber ich wollte noch nicht heim. Ich dachte, ich gehe noch Salsa tanzen. Vorm Salsomania eine Menschentraube, drinnen vier, fünf Paare. Niemand, den ich kannte. Also doch ab nach Hause, ins Bett. Ich bin müde. Das Leben ist anstrengend. Ich werde jetzt ruhen. Ich mache heute keinen Handschlag mehr.


So 10.08.25 15:12 Sommer

Die elegante Ringelnatter habe ich nicht gesehen, als ich vorhin im Dortmund Ems Kanal zwischen Venner Moor und Senden schwamm. Handweiches Wasser, anders als Freibadwasser, bisschen kühler und den Himmel spiegelnd. Weit und breit kein Schiff, Mais und Wald, Schäfchenwolken, Radfahrer unterwegs. Die Liebste schaute zu. Ihr war das Hinunterklettern der felsigen Böschung zu mühsam
. Danach war ich in der neuen Wohnung, um noch einmal mal nachzumessen. Wir haben den Grundriss des Architekten, aber das Haus ist alt, ebenso der Plan, und ich bin es nicht gewohnt, Pläne zu lesen. Dennoch habe ich gestern begonnen, die Räume maßstabsgetreu auf Papier zu bringen. Das war nicht ganz einfach. Möglich, dass ich maßstabgetreues Zeichnen mal gelernt habe, ich erinnerte mich jedenfalls nicht. 1:25 ist es schließlich geworden, ein Zentimeter im Grundriss sind 25 Zentimeter in der Wirklichkeit. Morgen werde ich Zeichenkarton besorgen und jedes Möbel maßstabsgetreu ausschneiden, dann können wir sie hin und her und her und hin schieben. Wir werden alles unterbringen können. Ob es zum 1. September klappt oder erst Anfang Oktober, ist noch nicht klar, wir hoffen auf den 1.09. Bis dahin tanzen wir auf dem Seil, sind aber sicher, denn die Verträge sind unterzeichnet, die Möbelspediteure waren hier und haben Kostenvoranschläge gemacht. Der ein verlangt fast 4300 Euro, der andere nur 2300. Manchmal sitze ich morgens in der Küche und weine. So eine Vertreibung aus dem, was ich mein zuhause nenne, baut Druck auf, da helfen Tränen. Aber nach wie vor schlafe ich gut, bin zuversichtlich, und freue mich auf den Neustart. Sehe mich schon auf den Knien mit einer Drahbürste die Waschbetonplatten unserer Veranda reinigen, mit einer Fugenritze das Unkraut entfernen, mit einer Heckenschere hier zuzuschlagen und dort. Das Leben ist ein Abenteuer. Ich hätte dieses nicht gebraucht, aber es ist, wie es ist. Und Münster rückt knapp einen halben Kilometer näher.

19:56

geht noch was
fragt der dichter
eher nicht sage ich
da schaut er mich böse an
gut sag ich
nimm das erste wort
das ich auf facebook finde
und mach was draus
wow finde ich
relieffeiler
retsinakanister
regal rentner kajak
sagt er
wow sag ich
dann suchten wir das sofa auf
noch vier stunden wachkoma
dann endlich schlafen
das sind schöne aussichten


21:20

höre: "Glückliche Kinder" von Kim Fuk Akezon
habe gehört: "Ante oder der Thunfisch" von Joel László


Mo 11.08.25 13:26 Sommer

Sirius erscheint am Morgenhimmel. Die Hundstage sind unterwegs. Eine warme Woche liegt vor uns. Herr M. hat das virtuelle Wohnzimmer eingerichtet. Grüner Zeichenkarton, maßstabsgetreu zugeschnitten. 1:25 Bücherregal, Sofa, 2 Sessel, Sofatisch, Esstisch, 4 Stühle, Vertiko. Das Vertiko macht Sorgen. Der Schreiner könnte es auf 97 cm verkleinern, das würde helfen. Herr M. hat eine Gurkensuppe mit Lachs gegessen. Er wird sich eine Weile aufs Ohr legen, um danach das Schlafzimmer einzurichten. Blauer Zeichenkarton. Später dann Rot für das Zimmer der Frau, damit man weiß, wo Gefahr lauert.

21:07

Gefahr, wenn der Schreiner uns seine beiden Entwürfe für die Küche erläutert, die zweite favorisiert, uns die ergonomisch kürzesten Laufwege erläutert, und die Frau etwas zwischenfragt, das zwar zum Thema gehört, aber nicht jetzt, nicht mitten in seine Erläuterungen. Er hasst das, er wird dann unwirsch. Ich sage, bitte, Frau, warte, lass ihn ausreden, später. Dann ist sie geknickt. Ich fotografiere beide Entwürfe, weil mein Scanner sagt, er empfange kein Signal vom Laptop, um drüber schlafen zu können, aber wir wissen längst, es wird der zweite Entwurf. Der, wie der erste, ihre größte Sorge zerstreut. Gibt es noch Platz, um in der Küche zu sitzen, einen Kaffee zu trinken, Gemüse zu schneiden, zu reden? Ja, gibt es, im ersten als auch im zweiten Entwurf, im letzteren sogar deutlich komfortabler. Das will etwas heißen in so einer kleinen Küche. Der Schreiner trinkt noch einen Kaffee, lobt ihn, kriegt ein Stück Plaumenkuchen mit Sahne, lobt ihn, ich lobe ihn, dann reden wir über Nierengurte, und wo er seinen gekauft hat, den werde ich mir auch kaufen, dann fährt er mit seiner Vespa nach Hause. Ich entschuldige mich bei der Frau, ich nehme sie in den Arm, wir bleiben eng beeinander, lösen uns und alles ist wieder gut. Gefahr vorbei? Nein. Natürlich nicht. Wie auch bei Mann und Frau?


Di 12.08.25 11:08 Sommer

Heute früh schellte das Telefon. Der Vormieter zieht zum 1.09. aus. Ich kriegte das Flattern. Die heiße Phase beginnt. So die Mächte des Schicksals uns weiter zur Seite stehen, sind wir nach Ablauf der ersten Septemberwoche in der neue Wohnung. Heute nachmittag trete ich mein Ehrenamt bei Oxfam an. Bin gespannt. Und heute abend könnte ich Tango tanzen, weiß aber noch nicht, ob ich will.

20:02

Jetzt bin ich Fachkraft für Kunst, Architektur und Fotografie. Nach einem Rundgang durch den Laden habe ich zwei Stunden in einem der hinteren, gut gekühlten Räume in Anwesenheit von vier Frauen, von denen eine Silber putzte, eine andere sich mit Schmuck beschäftigte, eine mit Literatur und die vierte mit weiß ich nicht mehr, drei Regale sortiert und in Kunst, Architektur, Kunst und Kirche eingeteilt, die demnächst gepreist werden und in den Laden kommen. Die Stimmung war gut, die Frauen hatten ständig etwas zu reden, es ging ums Sterben, ums Erben, es ging um den alten Vater und die gebrechliche Tante, da war ich außen vor und hab mich auch nicht eingemischt. Es gab Plätzchen und Eiskaffee. Später war ich im Laden. Ich weiß, wie die Kleidung auf den Bügeln hängen muss, da ist die Premiumware, da sind Accessoires, die Kasse ist benutzerfreundlich, da kann man kaum etwas falsch machen, und wenn, gibt es eine große Stornotaste. So eine hätte ich mir gewünscht, als ich vor Jahren im Rüschhaus anfing zu arbeiten. Da war eine Falschbuchung eine mittlere Katastrophe, und das Stornieren gelang nur Eingeweihten. Es ist Abend. Von nun an werde ich einmal die Woche einen grünen Sticker tragen, auf dem Ehrenamtler, für Sie da .... steht, und die Augen aufhalten. Geschichten gibt es genug. Die von der hübschen Polin etwa, die für über hundert Euro verschiedenste Textilien kaufte und nach jeden neuen Teil aus der Umkleidekabine trat, um mit den Oxfamfrauen vor und Nachteile zu diskutieren. Ich selbst habe mir einen Herbstmantel gekauft, Staubmantel könnte man ihn nennen, ein Trenchcoat ist es nicht, aber er ist von hoher Qualität, und war mir schon aufgefallen, als ich zum ersten Mal in die hinteren Räume kam. Tanzen werde ich nicht mehr. Das Flattern von heute früh hat sich gelegt. Wir wissen, was zu tun ist, wir tun es step by step, und wenn das alles hinter uns liegt, werde ich endlich wieder unbeschwert tun, was ich am besten kann, träumen, schreiben, Klavierspielen, Schlagzeugspielen, sieht man mal davon ab, dass die Sinnlosigkeit unserer Existenz natürlich immer an einem nagt. Aber der andere Scheiß, die Gier der Immobilienbranche, die uns seit Mai im Nacken sitzt und sich einen Dreck darum schert, was es für jemanden bedeutet, nach 40 Jahren aus seiner Wohnung ausziehen zu müssen, die nagt dann nicht mehr an mir.


Mi 13.08.25 11:53 Sommer

Herr M. ist früh an die Arbeit gegangen, jetzt ist Mittag und die beiden Keller sind abfahrbereit. Herr M. möchte jetzt in ein Freudenhaus. Als sein ältester Sohn drei oder vier war, sagte er eines abend aus heiterem Himmel: Pimmel will Hand. Das war verständlich, konnte aber im Kontext unserer erzieherischen und moralischen Vorstellungen nicht umgesetzt werden Mund nicht vergessen, würde Herr M. hinzufügen, denn was gibt es Schöneres als Fellatio. Leider ist die Kasse ist knapp, und die Krankenkasse weigert sich, zu zahlen. Die Räumung des Kellers hat wieder einmal gezeigt, in welchem Überfluss wir leben. Glücklicherweise gab es keinen Dissens über Dinge, die man behalten oder wegwerfen will. Die Delfter Kacheln aus der Mitte des 17. Jahrhunderts bleiben bei uns, die könnten Geld bringen. Jetzt heißt es: still werden und warten, bis die Tageshitze vorbei ist. Nachher zum Kanal, bisschen schwimmen.

Do 14.08.25 17:36 Sommer

stillhalten

23:22

die nacht schlägt zu
und nieman weiß
was morgen ist
ich bin nichts
wenn nicht ich und du
vereint sind und geborgen


Fr 15.08.25 14:09 Sommer

Maria Himmelfahrt bedeutet, dass ich die Süddeutsche heute nicht lesen kann, denn die Bayern feiern ihre Ankunft im Himmel. Da das Wochenende beginnt, wird jeder Bayer, gläubig oder nicht, auf dem Weg zu irgendeinem See oder Berggasthof sein. Ich habe meine Cd's eingepackt, die CD Regale geputzt, mein Kurzweil Keyboard in der Tasche verstaut, die heute von Thomann kam, und da mein Vorschuss für "Das grüne Kleid" auf dem Konto ist, gehe ich heute abend mit meiner Lieblingsfrau essen. Frauen sind zwar nicht korrumpierbar, aber kaufen kann man sie doch, irgendwie, sie sind dann glücklich, weil sie nicht kochen müssen. Wie hieß es früher, als ich noch klein war: heute bleibt die Küche kalt, da geh'n wir in den Wienerwald. Ich bin kreuzunglücklich und voller Zuversicht. Ich bin traurig und froh. Ich spiegle die Welt.


Sa 16.08.25 19:42 sonnig, bis Mittag angeblich Hochnebel, die ich für Wolken hielt

Die Frau will Kuchen backen und braucht Eier. Ich habe den ersten Kaffee getrunken und bin noch duhn. Wir hatten bis halb zwei auf dem Balkon, gesessen. Uns war klar, wir sitzen hier vielleicht zum letzten Mal. Unser neue Balkon geht nach hinten raus. Da ist Garten. Da sind Bäume. Da rauschen keine Autos vorbei. Wir tranken und unterhielten uns. Ich sah eine Sternschnuppe, langer Schweif, dottergelb. Sie sah sie nicht. Ich wünschte mir, was ich mir immer wünsche. Okay, sagte ich und fuhr zum Bauern am Stodtbrockweg. Der hat am Eingang zum Hof so eine kleine offene Hütte gebaut, darin steht ein Kühlschrank, in der Ecke oben rechts ist eine kleine Videokamera. Der Kühlschrank war leer. Der Jungbauer geht übern Hof. Ihr habt keine Eier mehr, rufe ich. Dann hol ich welche, sagt er und rennt los. Langsam, sag ich, aber da ist er schon um die Ecke verschwunden. Ich fahre hinterher. Und während ich warte, kommt der Senior aus dem Stall. Er und sein Enkel haben ein blondes Kalb zwischen sich, mit dem sie zur Waage gehen wollen. Aber das Kalb, in der Nacht geboren, will nicht gehen. Es kennt die Welt noch nicht, und das Gehen hat es auch noch richtig gelernt. Der Senior nimmt das Kalb auf den Arm und trägt es zur Waage. Vierzig Kilo wiegt das wohl, oder? sage ich. Sie stellen es auf die Waage. 42, sagt der Senior. Der Jungbauer gibt mir die Eier. Nachts, sagt er, sind in den Bauernschaften ringsum neuerdings Diebe unterwegs. Diebe? Ja, die klauen alles, was sie verkaufen können. Auf E-Bikes sind sie scharf. Er öffnet ein Foto auf seinem Handy. Mit der Videokamera im Eierhäuschen aufgenommen. Ein kaum Zwanzigjähriger mit Basecap. Der hat nur Pflaumen geklaut, sagt der Bauer. Die hatten ihr Auto n Stück die Straße runter geparkt. Ich müsste einen Hund haben, der ihnen mal kräftig in den Arsch beißt.


So 17.08.25 10:07 leicht bewölkt, 16 Grad

Ich fuhr mit der Aprilia nach Natrup, eine Bauerschaft vor den Baumbergen. Dort stehen Obstbäume an Landwirtschaftswegen. Äpfel, Birnen und Pflaumen. Ich wollte Pflaumen pflücken, stellte die Aprilia ab und inspizierte die Böschung des Grabens, durch den ich steigen musste auf Brennesseln. Keine Gefahr. Ein Auto näherte sich und hielt an. Die Scheibe fuhr herab. Ein kräftiger Mann mit rundem Gesicht schaute mich an. Was gibt's? Ach nix, sagte ich, ich will Pflaumen pflücken. Na dann, viel Erfolg, sagte er. Ich war ein wenig erleichtert, ich hatte gedacht, vielleicht gefiele ihm nicht, dass ich Pflaumen pflücken wollte. Zwei Kilo, hatte die Frau gesagt. Ich hatte eine Jutetasche dabei, stieg durch den Graben, es war nicht ganz einfach, an die Früchte zu gelangen, aber schließlich war die Tasche dreiviertel voll. Ich kraxelte die Böschung hinauf, als ein zweites Auto kam und anhielt. Wieder ging die Scheibe herab. Na, sagte der Mann, kann ich ihnen helfen? Nein, danke, sagte ich, alles in Ordnung, ich habe Pflaumen gepflückt. Ah, sagte der Mann, und ich dachte, ihre Roller wäre kaputt. Ich dachte an Heine. Ich habe sie immer so liebgehabt, die lieben, guten Westfalen, ein Volk, so fest, so sicher, so treu, Ganz ohne Gleißen und Prahlen. Viel der Pflaumen waren wurmstichtig. Aber es reichte für ein großes Blech.

21:59

es gib nur eine schöne tänzerin
im park und einen schönen tänzer


Mo 18.08.25 21:21 wunderschöner Tag

Sieben Stunden inklusive Hin-und Rückfahrt mit dem Rad hat die Beerdigung gedauert. So nachhaltig wie die Fahrt war auch die Urne. Dass man die Asche nicht ohne ins Loch kippt, verstehe ich nicht. Von den Reden habe ich trotz Hörgerät so gut wie nichts verstanden. Vom Beerdigungskaffee im Restaurant Pleistermühle, einem Buffett mit Suppe, Brot, anschließendem Kuchen und einem Grauburgunder gestärkt, machten wir und auf den Heimweg. Eine wunderschöne Strecke entlang am Aasee, über die Promenade, den Prozessionsweg, die Warendorfer Straße und die Galgheide zum Friedhof Lauheide, der so idyllisch ist, dass man am liebsten selbst beerdigt werden möchte. Zuhause habe ich zwei Stunden geruht, und anschließend mit Duo-Lingo Französisch geübt. Ich entwickle einen gewissen Ehrgeiz hinsichtlich meiner Platzierung in der Bestenliste. Ich bin auf Platz Eins, aber Arthur ist mir dicht auf den Fersen. Ich werde ihn beobachten. Das Lernen macht Spaß und geht fast nebenher, jeden Tag eine halbe Stunde, manchmal ein bisschen mehr. Hörübungen, Satzergänzungen, das Verstehen von Geschichten, Wortpaarbildungen. Über 700 Wörter habe ich seit 30 Tagen gelernt. Alles schleicht sich irgendwie ein.


Di 19.08.25 10:30 Sommer

Arthur hat mich abgehängt. Er hat 1772XP, ich 750, da komm ich nicht mit.

20:11

Im Ehrenamt für Sie da, steht auf dem Button, den ich mir an die Brust hefte, wenn ich bei Oxfam arbeite. Gegen 16 Uhr stand ich an der Kasse. Es war ruhig. Kurz nach vier geht die Tür auf, ein junger Mann, 30 schätze ich, gut gekleidet, groß, kurzes dunkles Haar, kommt telefonierend herein, bleibt im Eingangsbereich bei den Herrenjacketts stehen, dreht sich um die Achse, immer noch telefonierend und geht wieder. Haste den gesehen? Komisch, oder? sagt meine Kollegin. Ich nicke. Fünf Minuten später kommt sie und fragt, ob ich ein Jackett verkauft hätte, da hinge ein leerer Bügel. Nä, sage ich, und wir beide wissen sofort, der hat es geklaut.

22:12

und?
was?
ist gelutscht der drops
was jaulst du dann rum
ich jaul nicht
ich schwimm um mein leben
ich ersaufe in zukunft
ich verbrenne in vergangenheit
hach hach hach
noch so einen
lieber nich
was denn dann
weiß auch nicht
ist leer alles
gelutscht sag ich doch
hoch die tassen
geht nicht
sind schon eingepackt
alles ist eingepackt
vierzig jahre sind abgewickelt
ich fasse es nicht


Mi 20.08.25 21:22 Sommer

Ein an den Nerven zerrender Tag geht zum guten Ende. Um das zu feiern, war ich nachmittags Schwimmen. Fünf arabische Männer mit Schwimmhilfen im Becken und einem Bademeister, der ihnen das Schwimmen beibrachte. Die Männer waren gelöster Stimmung. Sie alberten wie Kinder. Auf dem Rückweg habe ich mir eine Flasche Williams Birnenbrand gekauft, den besten am Markt. Eigentlich wollte ich noch in die Stadt, um mich gehörig zu betrinken, aber ich bin zu müde. Unsere Pläne gehen auf. Am 29.08. wird unsere Wohnung frei, der Anstreicher und der Schreiner sind bereit, ab den 30.08. wird die Wohnung gestrichen, am 4.09. kommt der Umzugswagen. Und weil die Monate seit Mai, als die Ankündigung kam, wir müssten hier raus, mich sehr mitgenommen haben, hatte ich keinen Kopf für das, was ich sonst für mein Leben gern tue, mich dann und wann mit dem Rad in einen Zug zu setzen, irgendwohin zu fahren, die Landschaft erkunden, und je nach Entfernung heimzuradeln oder wieder in den Zug zu steigen. Jetzt ist der Kopf freier. Morgen werde ich also nach Salzbergen fahren, von dort über Schüttorf an Bentheim vorbei durch das Gildehauser Venn in meine Heimatstadt Gronau radeln, alte Freunde sehen, an der Grenze Kibbeling essen, und nachmittags zurückfahren. Ick freu mir wie Bolle.


Fr 22.08.25 9:59 bewölkt 16 Grad

Der Zug fährt ein. Ich finde Platz für mein Rad, stelle es ab und setze mich. Mir schräg gegenüber eine wohlgenährte Familie. Mutter, Vater, beide um die Fünfzig, nebeneinander, Hand in Hand, wobei sich der Eindruck aufdrängt, er halte sie fest. Ganz fest. Nach Liebe sieht das nicht aus, aber Liebe ist kompliziert, und ich kann mich täuschen. Auf Vaters rechtem, fleischigen Oberarm ein großes Ankertattoo mit Datum: 16.05.35, falls ich es richtig gelesen habe. Auf Mutters rechtem Arm zwei Schafsköpfe. Ihr Sohn gegenüber füllt fast zwei Sitze aus. Herzlich Willkommen in der Westfalenbahn. Die Sonne scheint. Der erste Teil meiner Reise hat begonnen. Zehn Minuten darauf steige ich in Münster in den Zug nach Emden, der mich nach Salzbergen bringt. Die wohlgenährte Familie schiebt ihre schwer bepackten Räder über den Bahnsteig. Wo die wohl hin will? Was sie am meisten empört, ist ihre Sterblichkeit. Man sieht das in vielen Gesichtern. Ihre Strategien der Verdrängung sind so vielfältig wie sie selbst. Während draußen frisch geeggte Felder vorbeifliegen und Wiesen, auf denen Kühe grasen, Häuser, vor denen aufblasbare Pools stehen, Bauernhöfe und Windräder, kommt der Schaffner und sagt, in Salzbergen sei ein erhöhter Ausstieg, ob ich das schaffte. Ich nicke. Salzbergen hat petro-chemische Industrie, es gibt einen See, einen hübschen Gräftenhof, aber das interessiert mich nicht, ich will radfahren, denken und Stress wegtreten. Erst aber einen Cappuccino und eine Rosinenschnecke im Cafe Puls, wo drei Hausfrauen intensivst mit der Bäckersfrau tratschen. Ich setz mich nach draußen, dreh mir einen Reisestick, zwei Tische weiter sitzt eine Mittdreißigerin mit dunkelblondem Haar und schaut resigniert in die Welt. Sie hat einen großen Rucksack dabei. Ob sie fort will? Unterwegs ist, oder gerade erst angekommen? Gegenüber ist Aziz Haarstudio. Es bietet Kosmetik, permanent Makeup, Nailart (Wolfgang Uecker?) und Wellbeing. Ich bin unterwegs. Endlich. Ich folge den Schildern Richtung Schüttorf.


Sa 23.08.25 9:45 bewölkt 15 Grad

Wo Salzbergen sich zum Land öffnet, die Straße Ohner Weg heißt, um sich auf halbem Weg in den Salzberger Weg zu verwandeln, der später zum Schüttorfer Weg wird, wachsen gepflegte Einfamilienhäuser aus Rasenflächen, auf denen GPS-Mäher herumirren und zwei Männer, einer auf einen Spaten gestützt, der andere mit verschränkten Armen, schweigend rauchen. Ein graues, flaches Haus über Eck, postmodern und teuer, sticht heraus. Ob man da wohnt oder arbeitet, ist nicht zu erkennen, durch die Fenster sehe ich weite Räume, spärliches Mobiliar, so basic und so anders, dass sich die übrigen Häuser fast schämen. Birken säumen den Weg, hin und wieder geht es über sanfte Hügel, Endmoränen, weite Blicke, geeggte Felder, Mais, Kiefer, Buche und Eiche. Zum Norden eine weiß-graue Wolkensiedlung, in der meine Träume wohnen. Am Rande eines Feldes stehen LKW und ein ausgefahrener Hubsteiger, auf dessen Arbeitsbühne in großer Höhe zwei Männer an Hochspannungsleitungen arbeiten. Ich radle vergnügt, und kann vorab schon verraten, dass mir kaum zehn Autos entgegenkommen, bis ich das Gildehauser Venn erreiche. Als ich dann aber vor die Wahl gestellt werde, geradeaus nach Schüttorf oder links ab nach Ohne zu fahren, wähle ich die ländliche Variante. Ohne liegt an der Vechte, die bei Darfeld entspringt und bei Zwolle ins Zwarte Meer mündet. Ein beschauliches Flüsschen, dem ich irgendwann einmal folgen werde. Heute nicht. Ich habe Schilder gesehen, die nach Bad Bentheim weisen, wo die Burg meiner Jugend steht. Onkel Karl und Tante Anni wohnten im Schatten dieser hoch aufragenden Burg in einem Haus, das ein Plumpsklo hatte, vor dem ich mich fürchtete. Die Burg hat einen mächtigen Turm hat mit Zinnen und Kanonen, der Turm am Fuß einen tiefen Schacht für Missetäter, in den ich als Kind brennende Zeitungen warf, um schaudern zuzuschauen, wie sie in die Tiefe sanken. Da unten darbten die Verurteilten. Im Hof steht ein steinerner Block zum Kopfabschlagen. Durch dichten Wald fahre ich durch die Bauerschaft Suddendorf, kreuze den Friesenspieß und kann das Schloss in der Ferne sehen, aber dann kommt ein Abzweig nach Sieringhoek, die Bauerschaft kenne ich, ganz in der Nähe ist das Gildehauser Venn, und so biege ich ab, radle ein paar Kilometer durch Wald und über schmale Feldwege, lasse Bentheim rechts liegen, wie ich Schüttorf rechts habe liegen lassen und folge den Zeichen zum Gildehauser Venn, wo Chris und ich unser gemeinsames Leben beschlossen.


So 24.08.25 16:30 hohe Bewölkung, Sonne ab und an 20 Grad

Im Buchenwald steht eine Holzliege. Man sieht sie seit geraumer Zeit überall. Geschwungen mit Platz für zwei. Durch das Blätterdach fällt Himmel in Lichtpuzzeln, während ich mit der Duo-Lingo App meine Tageslektion Französisch erledige. Der sandige Fietspad wendet sich rechts. Ich überquere eine Landstraße, es geht ein wenig bergauf. Bentheim liegt auf einem Ausläufer des Teutoburger Waldes, der sich bis in die Veluwe zieht. Links ist ein großer Ferienhof. Auf der Wiese prallvolle Apfelbäume. Ein Pättken, gerade breit genug für ein Rad, führt längs eines Maisfeldes in eine Senke. Ich fahre gebremst. Geradeaus, den Buchenwald hoch, geht es zur Freilichtbühne. Ich war mit den Eltern oft dort. Ich habe Old Shatterhand und Winnetou gesehen, die von den Klippen der in einen ehemaligen Sandsteinbruch eingefügten Freilichbühne auf Schurken schossen. Ich kriegte ein Eis am Stil, eine Pommes und durfte klettern. Ich biege links ab, und erreiche den Nordrand des Gildhauser Venns. Ein Naturschutzgebiet, das den Famlien Jordan und Van Heek gehört, Textilbarone einer in den 70ern gestorbenen Industrie. Man kann nur zu Fuß oder auf Rädern hinein. Früher habe ich in den sieben Tümpeln gebadet. Mit den Pfadfinder haben wir draußen geschlafen und Mutproben gemacht. Heute darf man die Heide nicht betreten. Es gibt Kreuzottern. Mit Chris und den Kindern haben wir einmal eine gesehen. Die Aufregung war groß. An einer Infostation steht eine Gruppe Radfahrer, profimäßig gekleidet, alle haben Fotoapparate, Ferngläser und Smartphones. Ich fahre weiter. An der nächsten Kreuzung geht es geradeaus zu den sieben Tümpeln, rechts ab nach Losser in Holland. Ich fahre rechts. Ich steige auf eine Aussichtsplatform. Die Heide beginnt zu blühnen. Lautstark miteinander sprechende Gänse fliegen vorbei. Der Sandweg geht in einen geteerten Landwirtschaftsweg über. An Bänken und Tischen an einer kleinen Kreuzung picknicken Holländer. Ein junger Motorradfahrer, nach der Menge seines Gepäcks zu urteilen auf großer Fahrt, macht Pause. Ich bin in der Bardel, überquere die Straße von Gildehaus nach Gronau und komme zum Franziskanerkloster, früher ein verschwiegener Ort, heute hochmorden mit Sporthallen und nichtssagenden Funktionsbauten. Das Kloster betreibt ein Gymasium. Früher hatte es Internatsschüler. Keinen Steinwurf vor der grünen Grenze ist der Landgasthof Arnink. Ich esse Apfelkuchen mit Sahne, trinke Kaffee und rauche einen Stick. Über zwei Brücken noch, dann bin ich in Losser. Und bin, obwohl ich weiß, dass es ist, wie es ist und immer war, trotzdem überrascht, wie sich durch einen imaginären Strich durch die Landschaft Häuser, Straßen, Vorgärten verändern und anders aussehen. Normalerweise stehen Hinweisschilder für Radfahrer in Holland an jeder wichtige Kreuzung, wie in Westfalen. In Loser aber finde ich nicht einen Hinweis. Ich will dem Dinkelradweg nach Gronau folgen, sehe auch zweimal Abzweige, die mir richtig zu sein scheinen, folge ihnen aber nicht, weil ich so kurz vorm Ende meiner Tour keine Lust mehr habe, mich zu verfahren. Stattdessen kreuze das Städtchen Losser, von der es zu Hochzeiten der Textilindustrie in Gronau tägliche Zugverbindungen für niederländischen Arbeiter gab. An der Grenze gibt es Kibbeling, aber ich habe gerade erst Apfelkuchen gegessen. Ich fahre an der Villa (Waldmdach, Butzenscheiben, Rosen) des längst verstorbenen Chefchirurgen des Lukaskrankenhauses vorbei, der mich, als ich dort Zivildienst leistete, mehrfach bei Operationen zuschauen ließ und mich einmal mit einem amputierten Unterschenkel in der Keller schickte, wo er in den Heizkessel kam. Beim Türken in der Bahnhofstraße (in Gronau leben Menschen aus ca. 90 Nationen) kaufe ich zwei dicke rote Tomaten. Im Cafe vorm alten Rathaus trinke ich Bitter Lemon, fahre durch den Stadtpark an der Dinkel entlang nach Epe, um eine alte Schulfreundin zu besuchen, die sehr krank ist. Ich war mit dreizehn sehr in sie verliebt, aber da war sie schon fünfzehn.


20:50

Bis auf Bücher und Anlage ist das Wohnzimmer reisefertig. Gerümpel lass ich zurück, denn nach uns hauen sie alles in Klump, machen Neu und schlagen 600 drauf. Trotz aller Wut fühle ich mich wohl mit den Kartons und der Leere.


Mo 25.08.25 21:06 mild

Ich lag auf dem Sofa gestern und sah Wenders Film über Anselm Kiefer. Etwa in der Mitte des Films, Kiefer fährt mit dem Rad durch seine Fabrikhallen, in denen seine Kunst entsteht, La Ribaute, etwa 60 Kilometer nördlich von Avignon, dachte ich, wenn der umziehen muss, wird es wirklich kompliziert. Und als nächstes war klar, dass ich das sehen muss. Ich recherchierte, machte Notizen, und heute, keine vierundzwanzig Stunden später, ist klar: am 16.09. fahre ich mit der Frau dorthin. Wir steigen gegen halb elf in den ICE nach Köln, von dort geht es über Brüssel nach Paris Gare du Nord, und eine Stunde später vom Gare de Lyon mit dem TGV nach Avignon. Ankunft gegen halb neun. Hotel ist gebucht. Am Samstag geht es zurück. Heute nachmittag kurzer Schreck. Der geplante Besuchstag mit deutscher Führung für Donnerstag den 18.09. war ausgebucht. Zum Glück gab es für Freitag noch Tickets mit englischer Führung.

Di 26.08.25 11:11 angenehm

Jeder Weg ist Abschied. Jeder befüllte Karton Zukunft. Jeder Gedanke an gestern ist müssig. Alles ist morgen. Jeder Nerv ist zum Zerreissen gespannt. Die Stimmung ist gut. Wir arbeiten Hand in Hand. Und das Schönste: wenn wir umgezogen sind, steht eine Reise ins Haus. Vier Tage in Avignon. Ein bisschen Provence. Und natürlich die umwerfende Kunst von Anselm Kiefer. Ich weiß noch, als ich ihn zum ersten Mal sah, vor 10 Jahren etwa in der Kunsthalle Bonn. Da konnte ich nichts mit ihm anfangen. Das alles hat sich geändert, als wir seine Kunst im Frühjahr in Amsterdam sahen.

22:20

wie geschmeidig
mir der tango die damen bewegte
wie glücklich ich war
dass er mich tanzen ließ
mich
den dichter
der zwei freunde hat
den künstler
und den tod
mein liebster treuester
und grausamster meister
ich freue mich
auf das treffen mit ihm
nur schade
dass ich niemandem
davon erzählen kann


Mi 27.08.25 21:04 angenehm

Heute haben wir unsere beiden Wohnzimmer reisefertig gemacht. Küche und Kleidung müssen noch verpackt werden, letzteres, wenn der Spediteur mit den Kleiderboxen kommt. Dann ist da noch die Kunst. Eine große Rolle Noppenfolie steht bereit, aber morgen ist frei. Morgen machen die Frau und ich etwas Schönes.


Do 28.08.25 14:05 hohe Bewölkung, mild

Wer wird denn verzweifeln? Wir wurden doch nur von der Immobilien-Branche gefickt. Obwohl, alle beneiden uns um die Konditionen des Umzugs (alles wird bezahlt, wir kriegen was raus), und um die neue Wohnung mit Garten. Bezahlbar sogar. Trotzdem haben Sie uns gefickt, das kann man drehen und wenden, wie man will. Als man uns mitteilte, morgen kämen zwei Herren der Firma, nichts Schlimmes, dachten wir auch nichts Schlimmes. Als sie dann kamen und sagten, das und das, dieses und jenes, Renovierungskündigung, Sanierungskündigung, machen wir alles nicht, wollen wir lieber einvernehmlich abwickeln, sind wir auf sie reingefallen. Hätten wir nicht sagen müssen: Ausziehen, nach vierzig Jahren, no way! Ich rufe meinen Anwalt an. Aber ich habe keinen. Prozess an' Hals, hätten wir sagen können, aber ich hätte das nicht ertragen. Ich werde bleich, wenn Briefe kommen, die ungut aussiehen. Man erkennt sie ja. Ich will in Frieden gelassen werden. Ich will, dass der Kapitalismus sich auflöst. Ich träume. Ich schlage Immobilienfratzen zu Brei. Sie sollen bluten. Ich scheiße auf sie. Ich zünde ihres Teslas an. Heute dann so ein Brief. Die neuen Besitzer unserer alten Wohnung wollen eine Nachzahlung von 650 Euro, offenbar für eine gleich nach dem Erwerb der Immobilie in Kraft gesetzte Mieterhöhung, von der ich nie erfahren habe. Zahlbar zum 28.08. Das Leben ist grauenhaft. Ich kann mir nicht erklären, warum ich es liebe. Wahrscheinlich, weil ich ein kiffender alter Mann bin und an das Gute glaube. Ha ha said the clown.... Schon morgen ist es überstanden, schon morgen hast du es geschafft, wenn nicht, auch gut, dann übermorgen. Avanti Popolo. Wo seid ihr, ihr alle, denen es genauso geht wie uns? Warum erhebt ihr nicht eure Stimmen? Wir sind mächtig! Wenn alle von uns nur eine Woche die Arbeit niederlegten, würden die Herren winseln. Ich will sie winseln sehen. Ich habe noch ein paar Jahre. Ich will sie winseln sehen. Erhebt Euch. Stattdessen wählen viele von euch AFD.


Fr 29.08.25 19:23 mild

Als wir im Treppenhaus standen, öffnete sich die Tür gegenüber einen Spalt, eine alte Frau schaute heraus, lächelte verunsichert und machte die Tür wieder zu. Wenig später erschien sie nochmal. Guten Tag, sagte ich, wir sind ihre neuen Nachbarn. Ah, sagte sie, sicherer geworden, wenngleich ein wenig altersverwirrt, schien mir. Ich kündigte an, dass wir ihr nächste Woche, wenn Markt ist in Nienberge, ein paar Blumen vorbei brächten. Sie freute sich und verschwand wieder. Zwei Stunden später, wir hatten alles besprochen, mir schwirrte der Kopf, wir hatten uns mit dem Schreiner im Dorfcafe verabredet und standen vor der Haustür, kam ein kräftiger Mittfünfziger, leichter Bauch, ein Arbeiter. Guten Tag, sagten wir, wir sind ihre neuen Nachbarn. Wenn Sie etwas brauchen, sagte er, streckte mir die Hand entgegen, jederzeit. Er sagte das mit einer so unverfälschten Herzlichkeit, dass ich geradezu glücklich war. Er wohnt im ersten Stock rechts, wir Parterre links. Ich glaube, dass er Deutschrusse ist. Wenn wir gelandet sind, werde ich Vodka kaufen und mit ihm anstoßen. Die Sache läuft rund. Mein mein Kopf schwirrt. Jetzt nur noch Rechnungen bezahlen, den Rest vergessen und am am 16.09. nach Avignon fahren, um Anselm Kiefers 40ha großes ehemaliges Atelier La Ribaute in Barjac zu besuchen. Yihaaaaaa!!!


So 31.08.25 13:05 bewölkt, um die 20 Grad

Die Frau und der Maler hatten alles besprochen. Die Frau und ich fuhren los, um Farben zu kaufen. Hinter meinem Rad bollerte der Anhänger, den ich kürzlich gekauft hatte. Mein SUV. Die Frau hatte Farbkarten. Der überaus zuvorkommen Mitarbeiter einen Computer, der die gewünschte Farbe zusammenrührt, so dass man sie jederzeit nachkaufen kann. Wir bekamen 20% Rabatt. Sonderaktion für Kunden mit einer Hellweg Einkaufskarte. So wurden aus knapp 400 Euro 340. Wir freuten uns und luden die Farbeimer in den SUV. Gestern brachten wir sie in unsere neue Wohnung. Es ging gegen fünf, die Sonne schien, der Maler und die Frau diskutierten. Ich setzte mich unter die Birke im Garten. Ringsum weiches Moos. Die Birke war meine Stütze. Das wird dein Lieblingsplatz, sagte die Birke. Ich nickte.