Dezember 2003                                   www.hermann-mensing.de                               

mensing literatur

zum letzten Eintrag

Mo 1.12.03  9:17

Um über den anstehenden Weihnachtstrubel, die Lichtorgien, die meine Nachbarn (und ich) in diesen Tagen entfesseln, über die Nikoläuse, die an Balkonen hängen, Überlebende fehlgeschlagener Suizidversuche- und über den Zucker, der uns aus Lautsprechern in den Arsch geblasen wird, nicht vollends verrückt zu werden, versuchen wir die einfache Flucht.
Wir machen es wie die CDU auf ihrem Parteitag, führen einen programmatischen Heimat-Diskurs und grenzen uns ab.
Wir definieren den Ort.
Wir definieren das Umland.
Wir schreiben alles auf, was uns dazu einfällt.
Erste Station: Bismarckstraße 22. Gronau/Westfalen.

Stay tuned....

13:31

In der Bismarckstraße hat alles begonnen. Und ging zuende.

 

Di 2.12.03   9:29

Ich wohnte in einem Block. Er war etwa fünfzig Meter lang. Zehn Familien wohnten hier. Die Häuser waren eingeschössig mit Dachboden. Die Zimmer hatte hohe Decken. Bauzeit um die Jahrhundertwende. Keine Arbeiterarchitektur. Gedacht als Eigentumswohnungen, deren Finanzierung jedoch in den "goldenen Zwanzigern" zusammenbrach.

Alle nun folgenden Textauszüge enstammen meinem Roman: Der Verheißung der Sonnenuntergäng in Arizona. Ihre Abfolge steht in keinem Zusammenhang mit der Dramaturgie des Romans.

Sie und er:

Er sah blendend aus, hatte Temperament, und wenn er in Form war, tauchte er schon mal mit dem Motorrad auf einer Tanzfläche auf. Er trank nicht, rauchte nicht und tanzte Frauen schwindlig. Sie bewunderte ihn heimlich. Einmal blinzelte er ihr zu. Sie errötete. Er tanzte mit ihr, sie verabredeten sich auf nächsten Sonntag, doch sie kam nicht.
Als er sie Wochen später mit einem anderen sah, schlug er vor Wut eine Scheibe zu Bruch.
Das imponierte ihr. Von nun an waren sie ein Paar.
Das einzige, was ihr nicht gefiel, war, dass er Fußball spielte.
Ihr Onkel versuchte, ihn ihr auszureden.
"Ein Anstreicher ist doch nichts für dich", sagte er. "Du könntest ganz andere Männer haben. Du bist doch umschwärmt, Mädchen, merkst du das nicht? Was ist denn dran an dem Kerl?"
Sie zuckte die Achseln und warf schnippisch den Kopf in den Nacken. Schließlich war sie erwachsen. Schon als Neunzehnjährige war sie auf sich gestellt, die älteste von drei Töchtern. Ihr Vater war in Frankreich gefallen. Als kurz nach dem Krieg ihre Mutter starb, wurde der Onkel zum Vormund bestimmt. In den zwanziger Jahren arbeitete sie als Sekretärin in der Fabrik, in der ihr Vater Prokurist war. Ihre Schwestern führten den Haushalt. Sie mussten untervermieten, um das Haus in der Bismarckstraße halten zu können, und bekochte alleinstehende Herren.
1936 heiratete sie ihn.
Sie machten Flitterwochen in Berchtesgaden.
Nach vierzehn Tagen kamen sie zurück. Kaum hatte ihr gemeinsames Leben begonnen, verstauchte er sich beim Training den Fuß.
"Du und diese Balltreterei!" sagte sie.
"Du kannst ja nicht einmal nähen", sagte er.
Noch hatte das nicht den gefährlichen Klang, den es bald haben wird. Sie überredete ihn, in der Fabrik zu arbeiten. Ihre Beziehungen waren gut. Er wird nie vergessen, dass sie einen Angestellten aus ihm macht. Er wäre lieber Anstreicher geblieben. Früher oder später hätte er ein kleines Geschäft aufgemacht.
"Das ist zu unsicher!" sagt sie.
Vor dem Krieg sagt sie das, und nach dem Krieg auch.

 

Mi 3.12.03   9:32

Die Straße im Sommer:

Die Dämmerung an warmen Sommerabenden ist seine Lieblingszeit. Das ist die Zeit, wo sich niemand sorgt.
Man sitzt auf Stühlen vor dem Haus und beobachtet die Straße. Der alte Herr Dingelmann geht mit einer Gießkanne in seinen Garten. Irgendwo spielt leise ein Radio.
Die Sänger singen von Liebe und Sehnsucht nach fernen Ländern. Waltrauds Vater schlurft in ausgebeulten Hosen, verschlissenem Unterhemd und Pantoffeln herum.
Seine drei Söhne stehen an der Litfasssäule und vertrödeln die Dämmerung. Es sind große, wilde Typen. Zwei von ihnen haben Mopeds. Sie stehen aufgebockt neben ihnen.
Während Hans mit seiner Mutter Federball spielt, sieht er, wie sie sich Zigaretten anstecken.
Manchmal lachen sie laut.
Dann, wie auf ein geheimes Signal, springen sie auf ihre Mopeds und fahren davon.
Das Geräusch verliert sich schnell.
"Fünfundzwanzig", sagt seine Mutter.
"Sechsundzwanzig", sagt Hans. "Ich hab ganz genau mitgezählt."
"Lüg nicht." Sein Vater lehnt im Fenster und hat alles beobachtet. "Genau fünfundzwanzig."
Nicht schlecht für den Anfang.
Beim letzten Rekordversuch haben sie den Federball zwanzig Mal hin- und hergeschlagen. Hans ist sicher, dass er mehr schaffen würde, aber seine Mutter verpatzt die einfachsten Bälle, obwohl er ihr genau auf den Schläger serviert.
"Ich hab keine Lust mehr", sagt sie.
"Darf ich noch draußen bleiben?" fragt Hans.
Sie nickt.
Hans rennt zur Litfasssäule.
Waltrauds Vater liegt auf ein Kissen gestützt im Fenster und raucht. Er hat so eine Art, die Kippe an der Unterlippe kleben zu lassen, die Hans imponiert.
Er rennt um die Säule, bis er richtig in Schwung ist.
Dann kriecht er durch die Hecke in Lippinghoffs Garten.
Die Erdbeeren sind reif. Es ist fast dunkel. Niemand wird ihn sehen.

 

Do 4.12.03 11:21

Zwischen Straße und Dortmunder Bahn...

Durch den Garten hat Hans Zugang zu Schünnemanns Wiese, den Feldern und zum Gräbchen an der Dortmunder Bahn. Neben der Quitte hat er sich einen Heckendurchbruch geschaffen. Er ist durch den Komposthaufen getarnt.
So ist Hans immer ein wenig schneller, wenn es darum geht, zum Gräbchen zu kommen.
Die anderen Kinder müssen an Bergers Gärtnerei vorbei. Berger ist ein kleiner, missmutiger Mann. Wenn er Kinder riecht, kommt er mit einer Hacke aus seinem Gewächshaus.
"Schert euch fort!" ruft er mit krächzender Stimme.
Die Kinder rennen in alle Richtungen davon. Beim nächsten Mal werden sie sein Gewächshaus mit Steinen bewerfen.
Vom Gräbchen sieht man die Häuser der Bismarckstraße, aber die Rufe der Mütter dringen nicht bis hierher.
Komisch, dass ich erst jetzt darauf komme! Vielleicht hätten ich Hans schon früher mit einer Verletzung ins Bett schicken sollen, um sein Terrain abzuklopfen. Das Beste wird sein, wir folgen dem Gräbchen bis zu einem Punkt, den Hans nie überschreitet.
Hinterm Bahnübergang ist ein Umspannwerk. Vom Südwesten stelzen Überlandmasten wie Riesen heran. Die Kabel senken sich zu graublauen Transformatoren. Ein gefährliches Summen liegt in der Luft. Gelbe Blitze am Zaun verstärken den Eindruck lauernder Gefahr.
Das Gräbchen kommt von dort.
Am großen Haselnussbusch macht es einen Knick. Der Haselnussbusch steht auf einer Art Wall. Die Kinder haben dort Erdhöhlen gegraben und sie mit Gängen verbunden. Der Bahndamm begrenzt ihr Revier. Wenn Züge kommen, hocken sie am Bahndamm und stellen sich vor, der Zug führe über sie hinweg.
Drüben ist die Hollandsiedlung. Sie ist Feindgebiet. Angriffe sind jeden Moment zu erwarten.
Der Haselnussbusch auf dem Wall ist ihr Stützpunkt.
Hinter ihnen liegt Schünnemanns Wiese.
"Katharina Huploch, zeig mir mal dein Puploch!" rufen die Großen Katrin beim Gräbchenspringen zu.
"Katharina heiß ich nicht, und mein Puploch zeig ich nicht!"
Das Gräbchen ist knietief. Oft fällt eins der Kinder hinein. Hans hockt am Ufer. Ein paar Jungen umringen ihn. Da ist Klaus, der begnadete Pianist von nebenan, der mit seinem Geklimper Hunde zum Kotzen bringt, Wolfgang, der Sohn des Lokomotivführers Hülsbeek, und Heinzi, der Rotschopf der Familie Stiens.
Hans hat ein Schiff aus Bakelit. Es ist die Queen Mary. Die Kinder haben Sauerampfer gepflückt. Hans nimmt die Aufbauten der Queen Mary ab. Der Rumpf wird mit Sauerampfer gefüllt, die Aufbauten werden wieder aufgesetzt, dann schickt man das Schiff auf die Reise. Auf halbem Weg haben die Kinder das Gräbchen gestaut. Ein kleiner See ist entstanden. Er ist so groß wie drei Badewannen und knapp einen Meter tief. Auf diesen See treibt das Schiff zu.
Man schließt Wetten ab.
Wird die Queen Mary es schaffen?
Wird sie die Stromschnellen vor Schünnemanns Wiese unbeschadet passieren?
Wer setzt zehn Glaser?
Klar! - Sie schafft es. - Leg die Knicker da hin.
Klaus passt auf sie auf, zu mehr ist er nicht zu gebrauchen. Heinzi ist Schiedsrichter. Wolfgang hastet auf und ab und überbringt die neuesten Nachrichten.
Die Queen Mary hat sich in einem Ast verfangen! - Sie beginnt, sich um die eigene Achse zu drehen! - Sie ist wieder frei - aber sie hat Schlagseite! Sie nimmt Wasser! -
Nein, nein, sie schafft es, sie schafft es! -
Noch zwanzig Meter. Sie treibt gegen die Böschung. Noch zehn Meter. Sie setzt sich im Gras fest. Noch fünf.
Wolfgang bewirft sie mit Sandklumpen. Sie ist frei!
Die Kinder begrüßen das angeschlagene Schiff.

 

Fr 5.12.03 10:17

Die Stadt...

Die Stadt, in der dies alles spielt, ist eine Grenzstadt. Wer mit dem Zug kommt, sieht Fabriken zu beiden Seiten. Jede hat ein Wahrzeichen: den braunroten Backsteinturm mit Zinnen die eine, einen Kühlturm aus Holz die andere. Darüber steht oft weißer Rauch wie gezupfte Watte. Es sind Textilfabriken. Sie gehören Cousins. Die Stadt lebt von ihnen. Und nicht nur die Stadt.
Es kommen auch Leute von der anderen Seite der Grenze: Weber, Drucker, Spinner, Färber, Maschinenschlosser, Elektriker und Büroangestellte.

 

Sa 6.12.03   17:12

Mein Roman über den Mohren Johann Junkerdink, von einem Vorfahren der Annette von Droste Hülfhoff 1698 in Mailand gekauft, zum Kammermohren ausgebildet und später (1711) als Organist der St. Pantaleon Kirche tätig, geht in die entscheidende Phase.
Daher wegen Endspurt vorübergehend geschlossen....

 

Fr 12.12.03 17:37

So sieht es aus, wenn ich Kinder das Gruseln lehre....
Aufgenommen am 9.12. 2003 in der Stadtbücherei Gerrresheim.

 

So 14.12.03 15:46

I can make you happy and your dreams come true.
Sagt Herr Dylan. Ich gebe das weiter.
Hast du gehört, Frau M. Du bist es.

 

So 15.12.03 13:14

O ruhmreiches A-meeehrick-aaaaah
mit deinen unerschloss'nen Möglichkeiten
ich wünschte, du wärst nimmer da
und würdest nie mehr gegen selbsterkor'ne Feinde reiten....

 

Mo 16.12.03 9:25

Wer sich dem täglichen Konsum verweigert, wird mit Freiheitsentzug nicht unter 12 Monaten bestraft.

 

Di 17.12.03 10:30

Nichts.

19:19

Doch etwas:
Grundlegendes sozusagen.
Mein Mohrenroman ist abgeschmettert.
Er sei zu "sophisticated", erfuhr ich vorhin. Die Kritik an Gesellschaft, Kirche und Religion zu deutlich.
Wir haben uns auf ein weiteres Gespräch zu Beginn des nächsten Jahres verabredet, ich werde aber keine Änderungen vornehmen. Ich glaube nicht, dass das geht. Und auch nicht, dass das Sinn macht. Ich werde den Roman stattdessen anderen Verlagen anbieten. Ich weiß auch schon welchen. Heute Abend aber werde ich mich ärgern. Und Nadeln in Salzteig stecken.

 

Mi 18.12.03 9:39

Ich ärgere mich noch. Aber statt daran zu verzweifeln, dass Sinnfragen zwecklos sind, sollte ich lieber mein Angriffshemd anziehen, das ich vorletztes Jahr in Alkmaar kaufte, und so ausstaffiert versuchen, den frostigen Tag zu genießen.

11:05

Sehr geehrter Herr Mensing,

Sie sollten sich Rundumschläge sparen, denn damit träfen Sie doch nur die Richtigen.
Richten Sie doch stattdessen einfach sich selbst. Sagen Sie, sehen Sie, Herr Mensing, dass kommt dabei heraus, wenn man seine Eitelkeiten zum Verkauf stellt.
Haben Sie das nicht vorher gewusst? - Wollen Sie behaupten, dass Ihnen die Mechanismen des Büchermarktes nicht klar waren, als sie 1983 Ihren ersten Vertrag mit der Firma Rowohlt schlossen?
Wollen Sie im Ernst Mitleid für etwas, das Sie sich selbst eingebrockt haben? -
Sie könnten doch auch ein an der sozialen Wirklichkeit verzweifelnder Sozialpädagoge sein, hätten Sie damals die Weichen entsprechend gestellt.
Auch Kaufmann in Gronau wäre eine denkbare Alternative, Lehrer in Westfalen irgendwo.
Stattdessen verbringen Sie Tage und Wochen grübelnd vor ihrem handlichen Laptop und schreiben einen Roman, der wüst und ohne Gnade alles zu Klump haut, worauf wir stolz sein müssten und wundern sich dann, dass er nicht verkäuflich ist.

Sehr geehrter Herr Mensing, seien Sie nicht dumm.
Schreiben Sie weiter nette Geschichten für Kinder der sozial besser gestellten Schichten, blenden Sie alles Übel, alles Unrecht aus, fokussieren Sie Ihre ohne Zweifel hohe Schreibkultur doch auf das Positive. Dann wird es schon werden.

Schreiben Sie über Hurzelchen und Purzelchen.
Oder lassen Sie sich ganz einfach ins Reich der Fantasie fallen, da können Sie machen, was Sie wollen.
Wenn Sie nicht weiterkommen, zaubern Sie irgendeinen neuen Hilfscharakter aus Ihrer Fantasie-Kiste, und wupps, schon läuft die Chose. So ein Mist ließe sich bestimmt verkaufen. Und mit den entsprechenden Tantiemen könnten Sie sich derart sedieren, dass Sie bis zum Ende Ihres nicht vorhersehbaren Lebens alle Ihnen angebotenen Ablenkungen fraglos und gern konsumieren, denn das ist ja Ihre eigentliche Bestimmung.

Bleiben Sie realistisch, Herr Mensing.
Weihnachten steht vor der Tür, alle Geschenke sind gekauft, Sie erfreuen sich bester Gesundheit, die Sonne scheint, sie haben ein Bett, eine Wohnung, eine Frau, zwei Kinder, auf die Sie stolz sind, Sie genießen die Freiheit, Tage und Wochen zu vertrödeln, während andere Menschen jeden Morgen um halb sieben das Haus verlassen, um den Tag in irgendwelchen freudlosen Büros zu verbringen und Dinge zu tun, die Ihnen am Arsch vorbei gehen, denken Sie Ja und nicht Nein, freuen Sie sich über das grandiose Schauspiel amerikanischer Welt-Herrschaft, übersehen Sie Hunger und Leid von Millionen, auf deren Schultern Sie hocken und fett und fetter werden, schließen Sie die Augen, dann wird es schon gehen.
Denken Sie daran, wie friedlich Ihre Mutter aus diesem Leben schied, nach allem, was sie erlebt hat. Hoffen Sie, dass es Ihnen einmal ähnlich ergehen wird.

Aloha. Ihr Freund.

17:45

Die ersten 24 Stunden sind überstanden. Ab sofort geht es wieder aufwärts.

 

Do 19.12.03 8:19

Eishauch auf Dächern. Fahler Himmel. Krähen. Dahinter die singende Autobahn.

10:09

Eine Meise. Sonne als Hoffnungsbote. Die Post ohne nennenswerte Erlösung.
Am Schreibtisch: Herr M. bei der Arbeit, mit Hilfe des "Wörterbuches des Münsterländer Platt" die plattdeutschen Passagen seines Romans "Menschenfresser, Affenprinz" auf richtige Schreibweise abzuklopfen.

12:13

Niedriger, grauer Himmel. So kündigt sich Schnee an.
Ganz langsam gelingt es, das Scheitern anzuerkennen.
Warum soll man nicht scheitern, wenn man etwas versucht. Allerdings habe ich noch keine Idee, wie ich das Material dennoch verwerten könnte.
gez.: Korruptes Arschloch Mensing.

 

18:07

Habe die Zeitreise vollkständig aus dem Text genommen. So sind von 177 Seiten 94 übrig geblieben. Mal sehn, was als nächstes passiert. Wollte eigentlich die elektronische Datenverarbeitung preisen. Wollte sagen, dass das, was ich seit heute mittag getan habe, mich nach herkömmlicher Methode sicher mehrere Tage gekostet hätte. So liegt nun ein bereinigter Ausdruck vor.

gez.: Mensing. Korruptes Arschloch.
Oder: Möglichkeitstester. Frickler. Ausprobierer.

Wünsche ein schönes Wochenende. Wer weiß, was passiert.


Sa 20.12.03 10:47

Da M. nicht blöd ist, wird er, nachdem er aus Menschenfresser/Affenprinz, einem historischen, hochpolitischen SF-Roman einen ganz und gar unpolitischen historischen Liebesroman destilliert hat, der Mein Prinz heißt, in den nächsten Tagen den umgekehrten Weg gehen, und aus Menschenfresser/Affenprinz alles streichen, was historisch ist, er wird also den umgekehrten Weg gehen, den er gestern gegangen ist, und dann wird er sehen, wie sich das anfühlt, ob sich da unter seinen zehn Fingern nicht vielleicht ohne sein Wissen zwei Geschichten geschrieben haben.

Mein Prinz wird er sowohl seinem Verlag als auch mehreren anderen anbieten und wie immer, wenn er derartige Pläne schmiedet, ist er fest von seinem Erfolg überzeugt.

Man sieht also, Herr M. (das korrupte Arschloch) hat den tiefen Sturz und die damit einhergehende Verunsicherung nach seinem Gespräch mit dem Lektorat seiner Firma innerhalb von zwei Tagen überwunden und ist nun bereit, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften neu ins Geschehen einzugreifen.

Gut. Meisen schlagen. Mausgrau versuppt der Tag. Wir sind bester Stimmung.

Allerdings wünschen wir Amerika (dem politischen Amerika) noch immer die tiefste aller Niederlagen.
Haben Sie ihn gesehen, diesen verfluchten texanischen Frömmler, diesen Ex-Alkoholiker, diesen gottverdammten Idioten? Wie er sich die Hände rieb.

Wir würden gern sehn, wie er stürzt!!! -

gez.: Mensing: altes Europa

16:52

by the way: Meisen schlagen nicht. Vielleicht zwitschern sie. Ich glaube allerdings eher, dass sie piepsen. Sicher ist, dass sie irgendwann sterben. Beruhigend zu wissen, oder? Wäre doch gemein, wenn nur wir den Arsch zukneifen müssten.

Halleleluja ihr Scheinchristen!

 

So 21.12.03 16:23

Guten Morgen* liebe Christen,
nun, da das höchste Fest sich mit großen Schritten nähert, das Fest der enttäuschten Umsatzerwartungen, will ich euch dies mit auf den Weg geben: im nächsten Jahr wird es bestimmt besser.
Bis dahin wünsche ich mir und euch gesegneten Umsatz, ein glückliches neues Jahr, ständig sinkende Steuern und Produktionskosten auf tiefstem Niveau, damit eure Bankkonten sich füllen mögen für alle Zeit.

Saldo liebe Brüder in Barem

* Ich bin gerade erst aufgestanden.

 

Mo 22.12.03 9:20

Der Himmel ist blau-weiß, magerer Schnee liegt auf Dächern, was immer getan werden musste, ist getan, wenngleich ich zugebe, dass ich das Bad noch nicht geputzt habe, alle Enttäuschungen des Jahres sind abgehakt, die Erfolge gefeiert, allen Eitelkeiten habe ich rot-weiße Bommel-Mützen aufgesetzt, damit sie die nächsten Tage unerkannt überstehen können, ich habe Pläne, ich gehe aufrecht, soll kommen was will.

 

10:23

Fünf Fragen an den Kinderbuchautor Mensing:

In schonungsloser Offenheit beantwortete der Kinder- und Jugendbuchautor H. Mensing unserem Redakteur zum Jahresende fünf Fragen.

1. Herr Mensing, träumen Sie vom Ruhm? - Manchmal.

2. Herr Mensing, können Sie lachen? - Manchmal.

3. Herr Mensing, sind Sie eitel? - Manchmal.

4. Herr Mensing, sind Sie glücklich? - Manchmal.

5. Herr Mensing, sind Sie ein Mensch? - Manchmal.

 

13:51

Im vorletzten Jahr noch mit einer Sacher-Torte verwöhnt, im letzten mit einem Anruf des Häuptlings, in diesem Jahr kam nur eine Weihnachtskarte. So etwas nenne ich den Aufstieg und Fall einer Gruselbegabung.

 

Di 23.12.03 7:05

Damit nicht genug. Für Löhne, von denen der geknechtete Arbeitnehmer (Auto, Zweitauto, Urlaub auf Mauritius, wenn nicht Mauritius, dann doch Dom.Rep., Mexiko oder Karibik) nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen träumt, tut der Schriftsteller alles.
Er arbeitet für die Hoffnung.
Er lässt seine Nächte von Unruhe zertreten, er ist immer im Dienst, zu jeder Zeit bereit, etwas auszubrüten, das ihm der Verleger abkaufen könnte.
Härtestes Hire & Fire Prinzip herrscht.
Und das Allerbeste ist: der Schriftsteller tut das freiwillig.
Das weiß der Verleger. Das stärkt seine Position.


Ein Licht.Tiefe Nacht. Das Signalhorn einer Regionalbahn.
Aber: die Wintersonnenwende ist geschafft: nun geht es aufwärts.

Diese optimistische Prognose wurde Ihnen präsentiert von: Rollator, die Gehhilfe ab Fünfzig.

16:58

Verbrachte Stunden bis zum Bauch in Reinigungsmitteln stehend beim Hausputz.
Das musste sein, denn das Christkind leidet schon seit langem an einer Haustauballergie. Mal davon abgesehen, dass es magersüchtig ist und seinen Vater sucht.
Dem Weihnachtsmann, der an Fettleibigkeit leidet, fehlt eine Frau sowie eine vernünftige Herkunft. Wahrscheinlich stammt er vom Erfinder der Imperialistenbrause ab, aber das will er nicht wahrhaben. Fragt man ihn, faselt er Unverständliches und ruft "hohohohooooo welche Freude".
Arme Sau.
Nun aber, die Dunkelheit hat sich längst herab gesenkt und mit großer Milde alles verschluckt, was einem sauer aufstoßen könnte, nun ist alle Arbeit getan. Wir müssen nur noch Bärenfallen aufstellen, um endlich einmal eines dieser bedauernswerten himmlischen Geschöpfe auf frischer Tat zu ertappen.
Zu Essen ist genügend im Hause, Drogen stehen auf dem Balkon, alles ist, wie es immer war.
Dieses Jahr war ein Jahr der Abschiede.
Hoffentlich wird das nächste eines der Ankünfte.

Dieser Text wurde Ihnen präsentiert von: Corega, die Esshilfe ab Fünfzig.

 

Mi 24.12.03 13:47

Standhaft durch die Feiertage. Viagra wünscht allen ein frohes Fest.

 

Do 25.12.03 19:05

Gegen drei heute früh waren die letzten Gäste fort. Ich ging in die Küche, spülte, machte dann einen Spaziergang durch das nächtliche Dorf, ganz und gar herrschte überall längst tiefste Ruhe, nur in unserem Haus war noch in drei Wohnungen Licht.
Ich hätte jetzt noch mehr rauchen, noch mehr trinken können, aber Heilige Abende sind emotional höchst aufgeladen, alles kann jederzeit kippen, ein Wort kann eines zuviel sein oder eines zu wenig, zum Glück aber war der Abend trotz Hochspannung gut verlaufen, ich hätte also noch mehr trinken und rauchen können, aber in Stimmungen wie dieser stecke ich große Menge ohne sichtbare Beeinträchtigung weg.
Also ließ ich es, ging ins Bett und fiel in Schlaf.
Gegen zehn halb elf heute früh hörte ich Kinderstimmen. Es klang, als kämen sie aus dem Garten. Ich überlegte, aufzustehen und auf meinem Waldhorn zu blasen, so wie ich das im Sommer immer getan hatte, als Elefant, aber dann bemerkte ich, dass die Stimmen nicht aus dem Garten, sondern aus unserem Flur kamen.
Besuch vom Neffen und dessen Kindern.
Ich rollte mich auf die andere Seite und schlummerte noch ein wenig.
Als ich schließlich aufstand, saß unsere Küche voll. Die Übernachtungsgäste, der Neffe, die Kinder, wir. Es gab Kakao, Tee, Kaffee, und als schließlich auch das vorüber war, ließ jeder der hierher gehört den Tag auf seine Art verstreichen. Schlafend, schlummernd, fern sehend, in leichtem Nieselregen spazieren gehend.
Nun ist Abend. Und wir haben wieder ein Jahr Zeit, den Weihnachtswahnsinn mit allen Untiefen und Klippen zu umschiffen, um vielleicht am Tag darauf feststellen zu können, dass es mal wieder gut gegangen ist.
Wie schief es gehen kann, weiß ich von früher.
In der Bismarckstraße war jeder Heilige Abend eine Katastrophe.
Also. Es geht doch. Immer wieder geht es doch.
Auch nach so einem Jahr. Nach einem Jahr voller Abschiede.

 

Fr 26.12.03 16:07

Ganz gleich, wie man versucht, dieses Fest aller Feste zu inszenieren, es kann nur scheitern. Es scheitert an Freude, an Enttäuschung, es scheitert am Rausch oder an Nüchternheit. Dennoch hat man es eingerichtet, weil es sich einfach nicht abschaffen lässt, weil man nicht einfach verschwinden kann an so einem Tag, Nichts sein, weder Sohn, noch Vater, nur DA.

Viele haben das vor mir probiert, alle sind auf ihre Art gescheitert und so kommt es und geht es und man hat es mal wieder geschafft. In 54 Lebensjahren war ich nur ein einziges Mal fort von zu Hause, weit fort, hatte also die Möglichkeit DA zu sein, aber frage nicht, der Blues in den Anden 1972 war größer als alles vorher und nachher.

Heute nun beginnen sich die Wellen zu legen.
Ich habe eine lange Radtour hinter mir, habe gehofft, ich könnte mich ein wenig in Gedankenlosigkeit verlieren beim Antreten gegen eiszeitliche Bodenwellen und leichten Südwestwind, aber auch da war Weihnachten vor.
Weihnachten und all diese dummen, nicht beantwortbaren Fragen, die Söhne mit sich herum tragen, sogar noch, wenn die Eltern längst tot sind.
Dabei weiß jeder Sohn, jede Tochter sehr gut, dass sie geliebt wird, möchte aber, und auch das scheint nur menschlich, der/die Geliebteste/r sein von allen.

Da das ganz und gar unmöglich ist, stelle ich hiermit den Antrag auf gänzliche Auflösung jeder familiären Struktur. Nach dieser Destruktion könnte der Wiederaufbau auf freiwilliger Basis beginnen. Leider steckt auch in diesem Modell der Wurm: das Prinzip des freien Willens ist ein intellektuelles Konstrukt. Nicht nur, was die Familie betrifft.

Fazit: ich bedanke mich für das geschenkte Vertrauen, dass überhaupt jemand Lust verspürt hat, seinen Abend mit mir zu verbringen. Das ist schon viel. Alles darüber hinaus gehende wird nie und nimmer vergessen.

PS.:Sah eine Vogel mit gelblich-grüner Färbung und einem roten, fingerbreiten Streif auf dem Kopf.
Schätze, ein Buntspecht.

 

Sa 27.12.2003 11:52

Wunder und Bares im Jahr 2003

Januar

Nun endlich hat sich die "putative Notwehr", ein Prinzip, das die deutsche Polizei schon in den 70ern erfolgreich praktizierte, auch auf internationalem Parkett durchgesetzt.
Sie glauben, jemanden zu kennen, der sie unter Umständen morgen, übermorgen oder auch erst im nächsten Jahr dumm anquatschen-  ja vielleicht sogar angreifen könnte.
Erschießen Sie ihn besser jetzt.
Und glauben Sie nicht, Sie müssten ihm eine Schuld nachweisen. Solche Ansichten sind veraltet. Er muss ihnen nachweisen, dass er schuldlos ist. Aber das kann er dann ja nicht mehr. Sie haben ihn zum Glück längst erschossen. Ein grandioses Land, dieses Amerika, immer wieder faszinierend.
Aloha sagt ihr geneigter M. aus den tiefsten Tiefen der Niedergeschlagenheit, die ihn immer dann ankommt, wenn etwas ganz und gar (ein Roman etwa) beendet ist und Neues nirgendwo in Sicht.

Februar

Man sitzt auf dem Barkon, brinzert in die Sonne, nippt seinen Kaffee und isst ein Manderhölnchen. Man schaut nimmelmüden Nachbaln zu, die schon am Flühjahlsfimmer reiden, man riest die Übelschliften del Zeitung und möchte grauben, man habe das Schrimmste übelwunden. Werch ein Illtum. Enttäuscht denkt man dann: reckt mich am Alsch!

März

Ein Täuberich übt den Parabelflug
Buchfink und Finkin fliegen sich um Kopf und Kragen
Der Hase kriegt von seiner Häsin nicht genug
Und du sollst mich auf Händen tragen.

April

Wie seltam das Sich-Erinnern funktioniert oder auch nicht, zeigte sich gestern, als wir spazieren gingen. Wir sprachen über Wohnungen, die wir bewohnt haben, seit wir G. verließen, um auf eigenen Beinen zu stehen. Zu jeder Wohnung gab es Bilder. Ereignisse. Personen, die mit uns dort wohnten, Nachbarn, die sich uns eingeprägt hatten. Die Wohnung in N. am Stiftsplatz. Die Wohnung in der Marienthalstraße. Die in der Erphostraße. Und dann die in der .... Keine Meldung. Unser ältester Sohn war dort geboren, wir erinnerten uns an die Nachbarn, ich hätte hersagen können, wie die beiden Zimmer eingerichtet waren, nur der Name der Straße fiel uns nicht ein. Wir hatten unseren Spaziergang gerade begonnen und mussten fassungslos hinnehmen, dass in unseren Speichern ein verschlossenes Tor war. Wir versuchten zu assoziieren. Wir sagten die Straßen her, die in der Nachbarschaft lagen. Die Gartenstraße. Die Eckener Straße. Die Kanalstraße. Aber eben nicht die Straße, auf die es uns ankam. Vergessen wir es. Tun wir einfach so, als würden wir nicht händeringend nach ihrem Namen suchen. Aber so sehr wir auch zu vergessen suchten, draußen am Ortsrand, wo die ersten Osterfeuer gezündet wurden, Fackeln mit meterhoch züngelnden Flammen, bei unseren Pferden, die auf mein Schnauben von fern die Köpfe heben und dann heran stürmen, weil sie wissen, dass wir immer einen Apfel oder ein paar Zwiebäcke für sie mitgebracht haben, dieses nagende Versagen wollte nicht weggehen. Erst auf dem Heimweg, fünf Minuten vor Erreichen der sicheren Lösung durch Nachschauen im Stadtplan der gelben Seiten, fiel mir der Name ein. Maximilianstraße, sagte ich, und wir mussten lachen. Eine Dreiviertelstunde hatten wir diesen Ort in Gedanken eingekreist, ohne ihn stellen zu können. Eine Wohnung in dritten Stock. Sehr schön war es dort. Aufregend auch, denn wir kämpften um jede Position, die Männer und Frauen besetzen können oder auch nicht. Maximilianstraße. Jetzt darf sie wieder versinken. Darf dahin zurück, woher sie gekommen ist.

Mai

Liebe Revolution,
immer plötzlich und unerwartet lodert mein Sozialneid auf. Mein Hass auf die Besserverdienenden und dann blase ich deine Fanfare. So auch vorhin. Ich radelte am Reitstall des Ex-Weltmeisters Dr.R.Klimke vorbei, sah all die Sonntagsreiterinnen verzückt vom Galopp, der ihnen das Genital angenehm stimuliert, und schritt zur Tat. Zog meinen Schlotzeck (die Steinschleuder) aus der Hosentasche, suchte passende Kiesel, versteckte mich im Gebüsch, wartete auf die hochnäsigste der Besserverdienenden, nahm ihren Hengst ins Visier und jagte ihm einen Kiesel auf den glänzenden Pferdearsch. Sofort stieg er hinten auf. Ich hatte längst nachgelegt, schoss und traf ihn an der rechten Flanke. Nun stieg er vorn hoch und ging auf und davon. Die Besserverdienende hing halb zwischen Pferderücken und Turf und schrie entsetzt. Ich fühlte, dass ich Gutes getan hatte, steckte die Fanfare der Revolution wieder ein, verließ meine Deckung, stieß ein trotziges "Venceremos" aus, bestieg mein Rad und fuhr heim.

Juni

Zedern stehen dort, Blutbuchen, Buchen und Linden inmitten eingeebneter Gräber, die jetzt Wiesen sind, hier und da zeugen noch Grabsteine vom Vergangenen. Er kannte die alten Wege noch, die er gegangen war, wenn er mit der Mutter das Grab der Oma besuchte. Die Oma und die älteste Schwester, die im Alter von drei Jahren gestorben war. Beide hatte man hier beerdigt. Er nahm die erste Urne, öffnete sie, hielt sie weit von sich, hielt sie schräg und vollführte zwei, drei heftige Drehungen um die eigene Achse, fand sich in feinem weißen Staub stehend, nahm die nächste Urne, wiederholte den Vorgang, und so sind sie nun vereint, Vater, Mutter, Tante, Oma, Schwester, in schnellen Drehungen irgendwo hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen. Und ihm ist ein Stein vom Herzen gefallen. Und als wäre es so verabredet, läuteten die Glocken der Kirche, als er den alten Friedhof verließ. Läuteten eine geschlagene Viertelstunde.

Juli

Angenommen, ich fiele jetzt tot vom Stuhl, ich wäre doch ein vom Glück gesegneter.

August

Während die Glut das Land langsam macht, ein paar Sätze zu abgeernteten Getreidefeldern. Seit Kinderzeiten war ich nicht mehr über ein Stoppelfeld gelaufen. Vor zwei Wochen tat ich es wieder. Schön war das Stechen an Fesseln und Fersen, knochentrockenes Reiben, manchmal ein Knistern, eher Brechen in Reihen unterschiedlich langer Stoppeln. Die Mäher schneiden zwar gleich, aber der Boden variiert, und so schaut man wie über ein Nagelbrett mit fließendem Niveau. Auch die Farben gleiten zwischen Braun- und Goldtönen, manche sogar tief braun, wie verbrannt. Dann sind da die Fahrspuren der Trecker, die das Getreide während des Wuchses düngten, Parallelogramme, die sich über die Felder ziehen wie Kondensstreifen über den Himmel. U-Turns an den Feldrändern. Viel Zeit, sich das anzuschauen, bleibt nicht mehr, dann wird der Boden gebrochen, Stalldung ausgebracht, ein paar Tage später kehren moderne Pflüge das Unterste nach oben und umgekehrt. Dem folgt die Aussaat und der Kreis schließt sich.

September

erschütterndes aus dem hause men-sing:

o wie grämt sich meister men-sing
über alle eisen, die im feuer warten
könnten die verwerter denn nicht heut schon
ihren weisen ratschluss ihm verraten
ihn mit positiver nachricht auf die nächste stufe heben
oder aber ignorieren eben
wie es ausgeht wissen sowieso nur götter
beltz & gelberg oder fischer
gibt es bargeld satt und schönes wetter
oder wird es wieder frischer
wie es ausgeht ist dem meister letztlich doch egal
denn in depressionen macht ihm niemand etwas vor
früher war es häufig liebesqual
heute tanzt er überall den tor
macht fürs radio den affen
tanzt fürs buch den chachacha
lässt von kindern sich begaffen
und ist unbegreiflich fern und nah
muss wohl seine harte jugend sein, die ihm stets auf neue in die suppe pisst
fazit: glück ist meister m. ein rätsel, dass er sie bloß nie vergisst.

Oktober

Die Projektionsflächen für Schattenspiele sind übers ganze Wohnzimmer verteilt. Um diese Zeit tanzen Schatten gern auf der Tür zum Flur, die ganz weiß ist. Tanzen in kreisrunden Flecken, die, da das Licht durch Äste und Büsche fällt, tief gestaffelt sind, dreidimensional, als würde man in einen lebenden, schwarz-weißen Organismus schauen, einer Aufnahme eines Kernspintomographen nicht unähnlich, wenngleich weniger scharf.
Scharf werden Schatten in diesem Zimmer erst gegen Abend, wenn das Licht schräg auf das Bild überm Sofa fällt. Dort zeichnet es Schatten wie mit der Schere aus schwarzem Papier geschnitten: Zwillinge ihrer wirklichen Brüder da draußen am Baum, Strauch oder sonstwo.
Beide habe ich gern, am liebsten aber ist mir das benommene, kreisrunde Flirren um diese Tageszeit.
Ich kann dabei auf dem Sofa liegen, die Decke bis über die Ohren gezogen, ich kann mit den Verlegern hadern, mit der Redakteure/Innen (gut so, liebe Frauen), ich kann einfach nur zuschauen und gar nicht hadern, alles ist mögliche um diese Tageszeit, und so liege ich und tanze mit und bereite mich vor auf heute Abend.

November

Ich sitze im Tigersessel und schaue nach draußen. Meine Mutter sitzt auf dem Sofa. Geräuschlos verdunkelt sich plötzlich der Himmel. Eine Tragfläche taucht auf. Riesig. Dann das Heckteil eines Flugzeugs. Es hat die gleiche Musterung wie der Bezug unseres Tigersessels. Meine Mutter sagt: O Gott, hoffentlich sind die Kinder nicht draußen. Dann erwache ich. Ich höre ein Flugzeug im Landeanflug.

Dezember

Wer sich dem täglichen Konsum verweigert, wird mit Freiheitsentzug nicht unter 12 Monaten bestraft.

 

So 28.12.03 14:06

Der höflichste aller Bettler sitzt am Prinzipalmarkt zwischen einem teuren Herrenausstatter und Signora, einem Schuhgeschäft, grüßt, wenn ich vorübergehe, sitzt ansonsten und liest, und ich frage mich, wie man hier landen kann, was geschehen muss, um so kopfüber abzustürzen, ob es reicht, dass eine Frau plötzlich die Nase voll hat, ob es reicht, dass man arbeitslos wird, dass einem die Schulden über den Kopf wachsen, dass eine Sucht so überhand nimmt, dass einem alles durch die Finger rinnt, ob es ein Mix verschiedener Katastrophen ist, die sich - hätte man nur auf die Zeichen geachtet - lange vorher angedeutet hatten, oder ob es wirklich Hals über Kopf und von heute auf morgen jeden treffen kann?
Könnte. Würde, wäre nur das Schicksal für einen bestimmt.
Ich gehe an ihm vorüber, er lacht offen und freundlich, er sieht nicht heruntergekommen aus, er sieht nicht nach Alkoholräuschen aus, er sieht nicht aus, als würde er jeden Morgen im Rinnstein erwachen, aber er sitzt dort Tag für Tag, und manchmal, wenn ich mit meiner Frau vorübergehe, sagt er "guten Tag die Herrschaften", ob wir ihm nun etwas geben oder nicht.
Ich ertrage das nicht immer, manchmal wechsele ich die Straßenseite, um nicht grüßen zu müssen, um nicht erinnert zu werden, was wäre, wenn plötzlich das Schicksal auf mich zeigte, so wie es auf ihn gezeigt hat. Die anderen Bettler sitzen nach ausgeklügeltem Plan über die Stadt verteilt, aber keiner von ihnen rührt mich.

Und während er sitzt, tobt ein Kopf-an-Kopf-Drängen nach den Feiertagen. Wir fließen mit durch diesen Strom, sehen die Menschen mit prallvollen Tüten und Taschen und fragen uns, was noch sein muss, wenn dies "die Krise" ist. Was soll noch sein, was soll noch gekauft werden, damit es aufwärts geht, was kann man noch kaufen, wenn man längst alles hat?

17:22

Die Winternacht ist ein Totschläger. Außer Regen und Wind bewegt sich nichts.

 

Mo 29.12.03 10:27

In einer Aufsehen erregenden Rede hat sich Präsident George W. Bush gestern beim irakischen Volk entschuldigt. Die Angriffe auf Irak seien einer seiner größten Fehler gewesen, sagte Bush dem Fernsehsender CNN. "Ich bitte das irakische Volk für das Leiden, das unser Krieg über das Land gebracht hat, um Vergebung", so Bush wörtlich. Bush kündigte an, den früheren irakischen Staatschef Saddam Hussein an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag auszuliefern. Er werde das Gericht mit sofortiger Wirkung anerkennen. Für noch mehr Überraschung sorgte Bushs Erklärung, er werde nicht mehr als Präsident kandidieren. "Ich habe in meiner Amtszeit so viele Fehler gemacht, die ich in hundert Jahren nicht wieder gutmachen kann", sagt Bush ungewöhnlich selbstkritisch. Er möchte es in Zukunft jedem auf der Welt selbst überlassen, an welchen Gott er glaube. "Es kann nicht nur einen geben", sagte Bush. Ihm sei es sowieso schleierhaft, wie die US-Amerikaner darauf kämen, ihr Land als God's own country zu bezeichnen. (1)

17:52

Ich bin's, ihr Hermann für Heimat-Sicherheit.
Sie haben Probleme mit muslimischen Nachbarn?
Die Bosnier aus dem dritten Stock nerven? Die Russen sind Ihnen zu laut?
Die Inder haben immer so komische rote Flecken auf der Stirn?
Sie wollen, dass alles anders wird? -
Rufen Sie mich an.
Seit es mich und mein Amt für Heimat-Sicherheit gibt, ist so gut wie alles möglich.
Zur Not puste ich denen einfach eine Kugel ins Hirn, was soll's, sind doch nur Kanaken!!!

 

Di 30.12.03 12:05

Fazit 2003

War ich je stolz auf dieses Land? - Nein. Wieso hätte ich stolz sein können.
Seit ein paar Tagen aber spüre ich Stolz.
Ich bin stolz darauf, in einem Land zu leben, dass sich bisher eindeutig und von Anfang an gegen einen Militärschlag im Irak ausgesprochen hat.
Hätte nicht gedacht, dass ich das noch erleben darf. (17.01.03    15:10 )

 

Mi 31.12.03 10:45

Das besinnliche Gedicht zum Jahresende

Meister M. nahm die Raketen
steckte sie sich in den Arsch
hielt kurz ein, um noch zu beten
Widerspruch verbat er barsch

Sagte höflich, dass die Reise
die er gleich antreten wolle
auf besonders schöne Weise
auf die Lust hinweisen solle

Auf die Lust auf pralles Leben
auf die Freude am Verkehr
auf die Lust auf alles eben
und noch vieles mehr

Dann nahm er ein Feuerzeug
und entzündete die Lunten
doch trotz eines Riesenknalls
blieb der Meister unten

Jemand brachte Salben mild
jemand puderte die Wunden
jemand
sagte halb so wild
nächstes Jahr ist das verschwunden

Und so hat der Meister Hoffnung
dass er doch noch starten kann
wenn sich erst die Wunden schließen
greift er wieder an




 

 

______________________________________________________________________________________
1. nach: Michael Tetzlaff, "Glück", Frankfurter Rundschau 29.12.03 //

(aktuell) -  (download) - (galerie) - (in arbeit) - (notizen) - (start)