Dezember 2008                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten Eintrag

Mo 1.12.08  10:13

Die ganze Nacht haben Autoreifen gesungen. Ganz gleich auf welchem Ohr ich schlief, eines war immer wach und vermischte meine Träume mit diesem Gesang, der sich von Nord bis Süd, Ost bis West, Tag und Nacht, tagein und tagaus in die Gehörgänge derer drillt, die ebenso empfindlich sind wie ich, die, die nicht abschalten können, sondern hören müssen, weil Ohren unbestechlich sind und nicht schlafen.

Wenn es so heult und singt wie letzte Nacht, kommt der Wind vom Osten und wenn er von dort kommt, ist das Wetter klar, und wenn es um diese Jahreszeit klar ist, bringt es Frost.

13:30

Nichts reimt sich, nirgendwo ist Sinn, es gibt nur noch Zeitverträge.

 

Di 2.12.08   9:59

Wir haben sie immer Rita Pavone genannt. Rita Pavone war eine Sängerin aus Italien, als Italien noch das Traumland für Deutsche war. Sie war klein und sah eher wie ein Junge aus. Rita Pavone arbeitet in der Eisdiele an der Königstraße. Da ich gern Eis esse, sehe ich sie dann und wann. Und dann grüßen wir uns und sie sagt: Grüß deine Frau! oder Wo ist deine Frau? und ich antworte: Ja, mach ich, oder: Habe ich umgetauscht! Rita lacht dann und damit hat es sich.

Vor etwa sechs Wochen sah ich Rita und dachte, die ist schwanger. Aber ich traute mich nicht zu fragen, bei Frauen ist das ja so eine Sache, vielleicht war sie nur dicker geworden, und dann hätte ich den Salat. Zwei Wochen später sah ich sie wieder und da war ich mir sicher, aber ich traute mich immer noch nicht zu fragen. Letzte Woche aber fragte ich, das heißt, ich fragte erst gar nicht, ich ging zu ihr und gratulierte ihr, sie freute sich riesig, sie ist mittlerweile ja auch nicht mehr zwanzig, sondern schon eine Mittdreißigerin, sie lachte, fragte, wie es mir ginge und meiner Frau und ich sagte gut, und dann beugte ich mich zu ihr und sagte: Soll ich dir mal was verraten? Hm hmmm, machte sie, und ich flüsterte es ihr ins Ohr. Oh toll! sagte sie und ich sagte: Finde ich auch.

10:55

Kaum hat man's sich auf dem Sofa bequem gemacht, liegt einem auch schon jemand im Schritt...



17:41

Schleppte Pakete,
gepackt von Verpackern,
ins traute Daheim, verschwiegenes Rackern.

Bei Ausstieg aus Auto
jedoch fast kaputt
bremsende Türkin, du fahren nix gutt.

Dann doch bis Sofa
uff, leck mich am Arsch.
M. endlich Ruhe, hach, wunderbarsch...

 

Mi 3.12.08   16:51

Die Weihnachtseinkäufe sind erledigt, es war wie jedes Jahr. Sollten Sie ihre Einkäufe noch nicht erledigt haben, kaufen Sie auf keinen Fall festlich glänzendes, rot, silbern oder golden glitzerndes Weihnachspapier, denn weder lässt es sich vernünftig falten, noch hält Tesafilm darauf, es ist ein einziger Ärger und wahrscheinlich auch noch hochgiftig.

 

Do 4.12.08  14:10

Als ich siebzehn war, trugen auch Jungs bauchnabelfreie Pullover. Das ging vielleicht einen Sommer, so genau weiß ich's nicht mehr, aber ich erinnere mich gut an meinen lachsfarbenen, den Nabel zur Schau stellenden Pullover. Das ist, wenn Sie nachrechnen, fast 43 Jahre her.

Die jungen Frauen der Jetztzeit, deren Offenherzigkeit meist erst kurz vorm Schambein endet, sind manchmal schön, manchmal nicht schön anzusehen. Heute früh im Lehrerzimmer einer norddeutschen Kleinstadt geschah Folgendes: die nette Frau K., die für mich schon einige Lesungen organisiert hat und der ich dafür sehr dankbar bin, kam auf mich zu, um mich herzlich zu begrüßen, und was trug sie? - Richtig, bauchfrei. Zwar nicht so offensiv wie die jungen Dinger, aber doch bauchfrei, eindeutig bauchfrei, denn ich sah ihren faltigen Nabel. Faltig deshalb, weil sie Mitte Sechzig ist. Nun frage ich mich, ob ich noch up to date bin oder vielleicht irgendetwas verpasst habe? Oder ob Frau K. einfach nur vergessen hat, sich ein Unterhemd anzuziehen?

Ich weiß es nicht.
Ich bin jedenfalls hinreichend verwirrt.

Ich habe dann in einer Turnhalle gelesen, und war, das will ich gern verraten, schweinemäßig gut. Wieso sich meine Bücher nicht ebenso schweinemäßig gut verkaufen, wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Ich hoffe, dass ich nicht darüber zerbreche.

Was das Schreiben angeht, keine Idee weit und breit, nicht die geringste Lust, völlige Leere, Sinnlosigkeit. In diesem Sinne. Venceremos.

D.h., an diesem Wochenende wird natürlich Drehbuch geschrieben.
Aber das mache ich ja nicht allein. Da ist ein Regisseur mit im Boot.

 

Fr 5.12.08   3:45

Herr M. kann nicht schlafen. Zumindest hat er das Gefühl, seit dem Zubettgehen noch kein Auge zugetan zu haben. Deshalb ist er jetzt aufgestanden. Er kann ja doch nicht davonlaufen. Da ist es doch besser, aufzuschreiben, dass er vor lauter Ehrgeiz nicht schlafen kann.

Er hat nämlich - seit er gegen Mitternacht zu Bett ging - von nichts anderem als seiner Karriere geträumt. Die ja gar nicht so schlecht verlaufen ist, wenn man es nüchtern betrachtet. Er hat all die Jahre gearbeitet und Geld verdient.

Aber jetzt träumt er plötzlich Größeres. Träumt mehr Geld. Träumt Ruhm und Anerkennung. So etwas raubt natürlich Nachtschlaf. In seinem Kopf tummeln sich Sequenzen eines noch zu drehenden Pop Life Videos. Das Video zum Buch. Wie er da und dort steht und wie dieses und jenes Foto eine Rolle spielen wird in dem Video, wie er den Klappentext liest und wie das Buch ins Bild kommt und all das. Wie er den Literaturbetrieb aufrollt. Wie er deutschen Schreibern den Stock im Arsch nachweist. Hach.

Heute nachmittag trifft er einen jungen Filmemacher, der die Sackgasse 13 verfilmen will. Herr M. und er werden ein Drehbuch erarbeiten. Und im März, im März wird Herr M. wieder nach Wien fliegen, um dort zweimal zu lesen. Wenn alles gut geht. Hach ist das aufregend.

11:09

Ich einer Turnhalle hilft dem Vorlesenden natürlich nur die brutale Charmeoffensive, andernfalls könnte er sich gleich an den Ringen aufhängen oder von der höchste Sprosse der Kletterwand stürzen, aber wie dann plötzlich der Raumteiler die Halle verkleinerte, daran kann ich mich nicht erinnern, obwohl ich genau weiß, dass er noch nicht da wa, als ich die Halle betrat.

Ich weiß auch, dass ich dachte, o Gott, denn ich habe vor vier oder fünf Jahren schon einmal in einer Turnhalle gelesen, auch um die Weihnachtszeit, mit nichts als fadem, durch Glasbausteine sickerndes Licht und etwa hundert Kindern auf Bänken, Turnmatten und Springböcken.

Gestern war es ein wenig heller, und dann kamen die Kinder, Kinder, die noch nie eine Lesung erlebt hatten und vielleicht deshalb so begierig waren. Jedenfalls hätte es schlimmer kommen können.

So kann ich nicht arbeiten! hätte ich rufen können, als ich die Turnhalle betrat, hätte ich sowieso schon alles erreicht, aber da ich kaum etwas erreicht habe, arbeite ich da, wo man mich arbeiten lässt und bin froh, dass ich überhaupt Arbeit habe.

Charmeoffensive also.

Am Horizont hinter den Kindern steht eine handvoll Eltern und beobachtet mich.
Sie wollen sehen, was dieser Mann ihren Kindern einflösst, und da sie Norddeutsche sind, spielt eine gehörige Portion Skepsis mit.

Charmeoffensive.

Ich knacke einen Abwehrriegel nach dem anderen, ich beantworte jede Frage, ich singe mein Lied an der richtigen Stelle, so dass am Ende vier von fünf anwesenden Eltern kommen, um meine Bücher zu kaufen.

Ich hatte aus Der heilige Bimbam gelesen, ein Buch, das nicht mehr im Handel ist, aber im Antiquariat recht hoch gehandelt wird, und nun will eine Mutter wissen, ob das Buch, das sie kaufen will, Voll die Meise, auch so lustig ist.

Was soll ich sagen? Soll ich antworten, Voll die Meise ist ein Roman, der sich um moralische und ethische Fragen dreht, die das Kinderherz rühren? Ja, ja, sage ich, sehr lustig, und Frau K., die mit dem überalterten Bauchnabel, bestätigt, dass Voll die Meise ein sehr schöner Roman wäre.

Das überzeugt die Mutter.

Als alles vorbei ist, drängeln sich auf dem Schulhof zwei zehnjährige Mädchen in meine Nähe, um mir zu sagen, dass sie jetzt meine Fans wären. Dassa schön! sage ich, trage meine Taschen ins Auto, gehe noch einmal ins Lehrerzimmer, verabschiede mich von allen und fahre über die Baumwollstraße in meine alte Stadt.

Eine Augenblick überlege ich, ob ich das Alternheim besuchen soll, in dem meine Mutter vor fünf Jahren starb, aber ich tu es dann doch nicht. Ich esse einen Backfisch bei Jakob, wie ich das früher immer getan habe, wenn ich in meiner alten Stadt war, und da kommt ein Mann Mitte dreißig und fragt, ob ich ihm einen Fisch bezahlen würde. Warum ich das tun sollte, frage ich ihn, und er sagt, wollen Sie meinen Ausweis sehen? Nein, sage ich. Was sind Sie denn? fragt er. Schriftsteller, sage ich und Sie? Jurist war ich mal, sagt er, aber Sie haben mir meine Zulassung entzogen. Ich frage nicht, wieso. Ich rieche, dass er getrunken hat. Ich bezahle ihm trotzdem eine Portion Fisch.

 

Sa 6.12.08   17:34

Beim Schreiben eines Buches kann ein gut gebauter Satz genügen, um die Assoziationsmaschinen der Leser in Schwung zu bringen. Beim Drehbuchschreiben hingegen muss alles präzise definiert werden, sonst stehen die Regisseure nachher da und wissen nicht, was zu tun ist.

In der ersten Szene der Sackgasse 13 steht ein Möbelwagen vor dem Mehrfamilienhaus, aus dem die Familie Neumann auszieht. Für einen Leser reicht diese Information. Er kann sich alles weitere vorstellen. Für einen Filmemacher reicht das nicht. Der Filmemacher muss sich für eine Straße entscheiden. Er muss sich für ein Haus, für einen Möbelwagen, für das, was in der Straße sonst noch geschieht und für dieses und jenes entscheiden, eh er zu drehen beginnt. Sehr aufwändig. Und mühsam.

Da der Regisseur für seinen Abschlußfilm an der Akademie einen Preis und ein Prädikat (Besonders wertvoll) eingeheimst hat, stehen ihm Fördergelder zur Verfügung, die er für ein Projekt abrufen kann. Diese Gelder warten zwei Jahre auf ihn. Daher muss bis März 2009 eine erste Drehbuchfassung stehen, aber das bringen wir fertig.

 

Mo 8.12.08   9:49

Die rotweiße Katze schien der jungen Frau zu folgen, die ich häufig die Straße entlang gehen sehe. Sie trägt meist kniehohe schwarze Stiefel, eine Jeans, eine schwarze Lederjacke. Ihr dunkles Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden, sie raucht viel, telefoniert ständig und schiebt einen Kinderwagen. Mit dem Kind habe ich sie noch nie sprechen sehen.

Die rotweiße Katze jammerte wie ein Hund, wenn Herrchen nicht da ist. Ich sah, dass sie der Frau tatsächlich folgte. Auch unsere Katze geht manchmal ein paar Schritt hinter uns her, wenn wir einkaufen, folgt aber selten weiter als fünfzig Meter.

Eine Viertelstunde später hörte ich die rotweiße Katze wieder. Sie schlich durch unseren Garten. Ich öffnete das Fenster. Sie blieb stehen und musterte mich konzentriert. Dann rannte sie davon. Wieder eine Viertelstunde später hörte ich ihr Klagen vorm Haus. Ich ging auf den Balkon. Die junge Frau kam gerade aus dem Dorf zurück, die rotweiße Katze stand auf unserer Straßenseite und begrüßte sie klagend. Die junge Frau rief "Garfield, komm, nach Hause." Garfield überquerte die Straße und schnürte an den Hauswänden entlang, immer der jungen Frau folgend. Dabei klagte er nach wie vor.

13:09

Gestern fotografierte ich diesen Erlkönig. Er fuhr auf der Autobahn in hoher Geschwindigkeit nordwärts. Es handelt sich um einen Prototyp, der im nächsten Frühjahr auf den Markt kommt. Wir können gespannt sein. Vorbestellungen schon jetzt unter www.luftschacht.com

15:33

Angenommen, Sie würden gern wissen, wie ein Drehbuch aussieht, dann klicken Sie hier.

 

Di 9.12.08   9:35

Presseschau.

Immer mehr Ostdeutsche wandern in die alten Länder ab.
Hm (Achselzucken), da wollten sie doch immer schon hin.
Schade um den Solidaritätsbeitrag.

Joachim Löw wirbt für Nivea.
Passt wie Faust aufs Auge.
Wahrscheinlich trägt er hellblaue Frotteeunterwäsche.

Der Gudardian vermutet, Merkels Knausrigkeit im Hinblick auf Konjunkturanschubprogramme habe letztlich mit der persönlichen Feindseligkeit zwischen ihr und Sarkozy zu tun.
Wenn es so ist, kann ich sie verstehen, ich mag diesen aufgeblasenen Zwerg auch nicht.

In Dessau löst ein Freispruch Tumulte aus. Dort ist vor fünf Jahren ein schwarzer Asylbewerber in einer Zelle verbrannt. Wie ist er da reingekommen? Er war alkoholisiert und hat Frauen belästigt. Obwohl es tausend und eine Ungereimtheit in diesem Prozess gibt, finde ich es nicht richtig, immer und überall sofort zu vermuten, dass fremdenfeindliches Verhalten dahinter steckt. Auch schwarze Asylanten können Arschlöcher sein.

Deutschland liegt als Waffenhändler weltweit auf Platz Drei.
Gratuliere, kann ich da nur sagen, das ist ein Markt mit Potential.

Athens Autonome kommen aus gut situierten Kreisen.
Kommen und kamen sie auch bei uns, oder erinnere ich da etwas falsch.

Drahtzieher von Bombay angeblich gefasst.
Ha, ha, ha, diese Folge von Fahndungspannen im Vorfeld, das könnten unsere Geheimdienste kaum besser. Boote aufbringen und weiterfahren lassen, weil alle Pässe dabei haben.

Dazu fällt mir ein, wie wir 1979, sechs halbnackte, bis auf mich über beide Ohren zugedröhnte Westler, in einem umgebauten Lebensrettungsboot bei Anfahrt auf den Hafen von New Mangalore von der Wasserschutzpolizei/ Küstenwache (???) aufgebracht und in den Hafen eskortiert wurden. Freundlichste Behandlung, obwohl unser Boot nicht einmal Hoheitszeichen geflaggt hatte.

Ruanda 1994:
10.000 Tote pro Tag. 800.000 Tote in drei Monaten.
Fazit eines Überlebenden: Wir waren nicht wichtig genug.

Mir wird schlecht.

Ich schließe mich den Autonomen/Anarchisten/??? an und sprenge alles weg.
Ich sprenge so lange alles weg, bis nichts mehr übrig ist. Nicht mal ich. Alles wäre weg, die Erde wäre still, das Wetter wäre Wetter, der Tag Tag, die Nacht Nacht und nirgendwo wäre noch Sorge. Der Ist-Zustand würde weltweit akzeptiert und kein Lebewesen käme auf den Gedanken, sich irgendetwas untertan machen zu wollen.

Serientäter Deutschland:
Erst Bonn, dann Berlin.
Die Inkompetenz der Bundesrepublik in ökonomischen Fragen hat Tradition.
Auch deshalb ist eine europäische Wirtschaftsregierung notwendig.

Ich weiß es nicht.
Mein Eindruck ist, dass niemand irgendetwas GENAUES weiß.
Was ich weiß, ist, dass diejenigen, die mit ihrer Spekulationsgeilheit den Karren in den Dreck gefahren haben, weiterhin ein frohes Leben leben, oder?

Ach, man sollte gar nicht mehr Zeitung lesen, aber da ich für die Kanzlerin arbeite und ihr jeden Morgen Exzerpte der internationalen Presse und meine Einschätzungen auf den Tisch maile, bleibt mir nichts anderes.

 

Mi 10.12.08   16:01

Wenn es sein muss, kann ich mächtig auf die Tränendrüse drücken, oh ja, Sie würden sich wundern. Vor etwa zehn Jahren habe ich unserer Vermieterin, einer mittlerweile über 8ojährigen Dame, ein Weihnachtsgedicht geschrieben. Seitdem erfüllt sie uns jeden Wunsch und hat die Miete nicht ein einziges Mal mehr erhöht. Wenn sie ins Haus kommt, bringt sie uns kleine Geschenke, eine Schokolade, ein Buch, so etwas.

Gestern dachte ich, ich schreibe den Schulen ein Danke dafür, dass sie mich zu Lesungen gebucht haben. Ich habe einen E-Mail-Verteiler, über den ich alle halbe Jahre Mails in die Welt schicke, damit man mich nicht vergisst. Das ist natürlich Werbung, Werbung für meine Arbeit, und hin und wieder kommt auch mal eine pikierte Mail zurück, man möge die und die Schule doch bitte aus dem Verteiler streichen, aber die meisten Schulen verstehen meine Mails eher als Information und Anregung.

Denen also habe ich dieses Gedicht geschrieben:

Die Kerzen leuchten,
Draußen ist es still,
Die Welt ist weiß,
Es weihnachtet, es will
So schön sein,  will, das man sich freut
Will, dass man keine Zweifel streut,
Es will, dass dies der Tag der Tage ist,
Der Tag, von dem an alles anders ist.
Der Tag, in tiefem Winter, der beginnt,
Der Tag,  die Hoffnung und das Kind.

Anschließend habe ich gestaunt, was ich so alles raushauen kann, wenn es sein muss.

 

Do 11.12.08 10:04

Statt dem Steuerzahler die Möglichkeit zu geben, der darnieder liegenden Konjunktur Flügel zu verleihen, indem man ihn entlastet, hat sich das Finanzamt Münster zum Gegenteil entschlossen. Nachdem es meinen Antrag seit März dieses Jahres von einem auf den nächsten Schreibtisch geschoben hat, nachdem ich zwischenzeitlich einmal dort anrief, weil ich befürchtete, er sei vielleicht gar nicht angekommen und nun werde man Büttel ausschicken, um mich mittels Beugehaft zu belangen, schickte es mir heute einen Bescheid über einen Betrag, der den des letzten Jahres um ein Drittel übersteigt, obwohl mein Einkommen zurückgegangen ist.

Das ist eine Logik, die jeder sofort begreift und wo jeder sagt, richtig so, und natürlich zahlen wir den Solidaritätsbeitrag auch sehr gern. Wir hatten uns ja nur deshalb ein wenig Geld auf die Seite gelegt, weil wir so gern Steuern zahlen.

Aber genug. Solidarität, das weiß ich seit frühester Jugend (Vorwärts, und nicht vergessen etc.), darf auch mal etwas kosten, deshalb werde ich zahlen und nicht mehr darüber nachdenken.

Schließlich werde ich im nächsten Jahr mit einem Roman für Erwachsene (siehe Verlagsvorschau) an die Wasseroberfläche steigen, und dann können mich diese Heinis vom Finanzamt sowieso, weil ich dann ja als Kulturträger einen Preis nach dem anderen einheimse, und die sind, hoffe ich jedenfalls, steuerfrei.

Immerhin lese ich am 24. März 2008 für die Österreichische Gesellschaft für Literatur in Wien, was (wenn man bedenkt, was mit Österreich los ist und was es einmal war), ja schon nicht schlecht ist, schade nur, dass die Habsburger so abgewirtschaftet haben, sonst wäre ich sicher bald Hofdichter.

Heute werde ich stoisch an meinem Drehbuch arbeiten. Zwischendurch werde ich daran denken, was ich gestern dachte, als ich die Grundschule in B. erreichte, mitten auf plattem ostwestfälischen Land, mitten in einem Plattenbauviertel, dessen Straßen allesamt nach Städten der neuen deutschen Länder benannt waren.

Nichts Gutes dachte ich, als ich dort ausstieg, und als ich dann die Kinder auf dem Hof russisch miteinander sprechen hörte, dachte ich, au, Mensing, das wird nicht einfach. Dieser Gedanke erhielt zusätzlich Nahrung, als ich die Schule betrat. Man war nämlich gerade damit beschäftigt, die Pausenhalle mit Turnmatten auszulegen.

Ich habe schon oft davon gesprochen. Kindern, die am Boden sitzen, eine Geschichte vorzulesen, ist sehr anstrengend. Die Kinder rollen nämlich ständig hierhin und dorthin und sind mit allem möglichen beschäftigt, nur nicht mit Zuhören. Wegrennen ging nicht mehr, eine halbe Stunde blieb noch, die Plattenbauten waren immerhin frisch gestrichen, und weshalb sollte es da nicht doch gut ausgehen für mich.

Die erste Gruppe, etwa 60 Kinder der 1. und 2. Klassen, erwiesen sich dann auch als liebenswert, zappelig, unkonzentriert undsoweiter. Man hatte ihnen noch nie vorgelesen. Die zweite Gruppe, ebensoviele Kinder der Klassen 3 und 4, war etwas weniger anstrengend.

Anschließend verkaufte ich sehr viele Bücher. Es war nämlich so, dass die Schule plötzlich und unerwartet noch 500 Euro bis zum Jahresende ausgeben musste, und da war ich mit meiner Mail wohl gerade recht gekommen, da hatte man wohl gedacht, dieses Sonderangebot von diesem Mensing (2 Lesungen zum Preis von 400 plus Fahrt, wo doch sonst eine Lesung schon 300 kostet) nehmen wir an, und für den Rest kaufen wir ihm Bücher ab, egal, dann ist das Geld weg, und den Schülern sagen wir auch, dass sie Bücher kaufen können.

Tja, und so war meine Büchertasche so gut wie leer, als ich B. gegen Mittag verließ und Richtung Münster fuhr. Ich kam an riesigen Lagern unverkaufter Mähdrescher vorbei, an fußballfeldgroßen Ansammlungen unverkaufter Wohnmobile und Campingwagen, ich sah das Wiehengebirge in der Ferne, es war grau und alles war unschön, ich erreichte das von rotweiße Mützen tragenden Touristen überfüllte Münster, frühstückte ausgiebig, holte meine Frau von der Arbeit ab und sprach ein stilles Gebet.

11:02

Doch nun etwas, das alles bisher Dagewesene weit in den Schatten stellt: ICH WERDE OPA

18:21

Deshalb hier mein Lied, das sowohl ein Weihnachts- als auch ein Opa-Freu-Lied ist.

 

Fr 12.12.08   13:34

Ich kam aus der Küche. Unser Gast wandte sich an mich und sagte, was denn wäre, ob ich nicht auch fände, das es langsam an der Zeit sei, Opa zu werden, und ob da was anstünde, ganz bestimmt wären wir doch die nächsten, die Großeltern würden.

Das war vor etwa zwei, drei Wochen, wir hatten die gute Nachricht gerade erst erhalten und hatten versprochen, noch nichts nach außen zu tragen. Ich warf Frau M. einen kurzen Blick zu. Frau M. blitzte zurück. Nein, sie hatte nichts verraten. Hier lief wohl nur ein allgemeines Gespräch über das Älterwerden, das sich entwickelt hatte, als ich in der Küche gewesen war, ein Gespräch über die Kinder und was mit ihnen zusammenhängt: Hoffnungen, Ängste etc. Offenbar trauten unsere Gäste ihrer Tochter und deren Freund das Kinderkriegen noch nicht so recht zu. Wir flachsten, wir freuten uns insgeheim, am meisten freute ich mich, dass ich den Blick von Frau M. richtig gedeutet hatte.

Eine halbe Stunde später sprachen wir über Liegeräder und darüber, dass unser großer Sohn solche Räder sicher gut fände. Ich finde Liegeräder lebensgefährlich, nie würde ich damit auf einer Straße fahren, ich würde Liegefahrräder sogar für öffentliche Straßen verbieten, aber unserem großen Sohn trauten alle Anwesenden den Erwerb eines Liegefahrrades zu und so hub ich an, zu erzählen, wie ich mir vorstellte, dass er uns besucht, mit seinem Liegerad und einem Anhänger hintendran für das Kind.

Den Anhänger und das Kind konnte ich mir im letzten, aber wirklich allerletzten Augenblick verkneifen. Ich sah die Erleichterung in Frau M.'s Gesicht und war selbst natürlich auch heilfroh, dass ich noch hatte bremsen können.

Aber so ist das, wenn einem etwas auf dem Herzen liegt, das man seinen Freunden sofort erzählen will, aber noch nicht darf, weil es da diese Sperrfrist gab.

 

Sa 13.12.08   9:10

Keine Stunde ist es her, da pappte der volle Mond noch 30 Grad hoch am westlichen Himmel, als wolle er mit uns frühstücken. Dann aber verschwand er, die Konkurrenz aus dem Osten wurde mit jedem Lichtstrahl größer, jetzt taumelt er knapp überm Horizont und wehrt sich mit Händen und Füßen vorm Untergang. Ich nehme an, er ist wasserscheu.

Ich saß gestern spät auf dem Sofa und dachte, wie es wäre, dem Vater meines Helden in der Sackgasse den Schriftsteller anzuheften, dann könnte er (Metaebene sozusagen) zeitgleich zu den haarsträubenen Erkenntnissen seines Sohnes in Bezug auf die unirdische Spinne eben diese Geschichte aufschreiben, und wir, die Zuschauer, wüssten dann nicht mehr so recht, was nun wahr ist, und ob es, wenn es denn wahr wäre, nicht doch nur die Fantasie des Vaters ist und wir somit aus dem Schneider wären und nicht mit der dunklen Gewissheit das Kino verlassen müssten, dass es dieses Monster tatsächlich gab oder gar gibt.

Das war die eine Option, die, denke ich jetzt, wo der Mond absäuft und die rauhreifen Dächer erste Leckspuren zeigen, vielleicht doch ein wenig zu weit greift, wenngleich sie nicht uninteressant bleibt. Die zweite hingegen ist handgreiflicher, wenngleich nah an der ersten, denn würde ich die erste verwirklichen, hätte der Vater ein Diktiergerät, das er hin und wieder benutzt, wie es der Sohn jetzt schon tut. Der Sohn nutzt dieses Gerät für seine Beweisführung: Spinne gesehen, dann da und da. Und dann findet der Vater das irgendwo liegengelassene Diktiergerät, drückt auf play und hört, wie sein Sohn über das Monster spricht und fragt sich natürlich, was das alles zu bedeuten hat.

Sie verstehen kein Wort von dem, was ich sage? Macht nichts, ich auch nicht, aber so ist nun mal, wenn man sich auf unbekanntes Terrain vorwagt, dann wird ein Roman, der vor acht Jahren entstand, plötzlich zum Spielball fremder Mächte, Bilder sollen Geschichten erzählen, tatkräftige Bilder, und um das realisieren zu können, muss viel Text einfach ungesagt bleiben.

Ob ich das hinkriege? Ich hoffe doch.

Der Antrag bei der Filmförderung Berlin ist bereits gestellt, und wenn das beantragte Geld da ist, wird das Drehbuch fertig sein. Den ersten März haben der Regisseur und ich vereinbart, danach aber wird die eigentliche Arbeit erst losgehen, die Überzeugungsarbeit, die einen Produzenten dazu bringt, so einen Stoff zu verfilmen. Aber da traue ich dem Regisseur einiges zu. Er kann so klug und überzeugend reden, ich schätze, das wird Eindruck machen.

Also, es ist Samstag, Paul McCartney hat sich angemeldet.

Nachdem er letzte Woche in der Küche meines ältesten Sohnes Abflüsse repariert hat, ist er heute hier, um unser Badezimmer neu zu streichen. Er macht das sehr professionell, ich hätte ihm das ehrlich gesagt kaum zugetraut, denn seien wir doch mal ehrlich, was können diese Kreativen denn schon außer kreativ sein. Wenn's handgreiflich wird, gucken sie doch meist dumm aus der Wäsche, oder?

Ich wünsche einen schönen Samstag. Leider kann ich heute abend weder Wetten Dass noch den darauf folgenden Boxkampf sehen. Beides interessiert mich brennend, denn Jopi Heesters, hört man, soll singen, und wer weiß, vielleicht stirbt er live. Aber leider muss ich auf einen Geburtstag. Unsere blutleere Nachbarin feiert.

11:36

Paul, der seit vorgestern dreimal hier war, um unser Bad neu zu streichen, das erste Mal, um Haftgrund aufzutragen, das zweite Mal, um zu spachteln, zu streichen und festzustellen, dass die neue Farbe trotz Haftgrund an mehreren Stellen blätterte, das dritte Mal, um erneut zu spachteln und schließlich zu streichen, antwortete auf die Frage, wieviel er für seine Arbeit will, 30 Euro. Nein, sagte ich und gab ihm 50. Das freute Paul sehr.

Warum ich so gern lese?
Weil ich, wie gestern spät abends, auf solche Sätze stoße:

Wenn die Menschen eins wären, würden sie keine Schmerzen mehr fühlen.
Denn wenn sie eins wären, gäbe es nichts, was Schmerzen verursachen könnte.

Und jetzt raten Sie, wer das gesagt hat. Sie werden nicht drauf kommen - Hippokrates.
Das Buch, aus dem diese Sätze stammen, heißt Nachtschatten, und ist von einem meiner Lieblingsautoren: Lars Saabye Christensen, ein Norweger. Falls Sie also Leser kennen, denen Sie etwas zu Weihnachten schenken wollen, das sie vom Hocker haut, schenken Sie dieses Buch. Oder schenken Sie es sich selbst.

11:53

Gerade, Kraniche, ca. 100, auf dem Wegen in den Südwesten.

 

So 14.12.08   14:28

Aha, dachte ich, als ich da am unteren Aa-See entlang radelte und die junge Frau und den jungen Mann auf der Bank sitzen sah, aha, bisschen kalt vielleicht, aber nun, man ist ist jung, außerdem ist alle Welt damit beschäftigt, sich auf das Leben danach vorzubereiten, warum also nicht auch sie. Und als ich dann nach Hause kam, fand ich dies und freute mich sehr.

 

Mo 15.12.08   12:58

Bei der Größe des Lottogewinns war natürlich sofort klar, dass ich ihn nicht in Obhut der Bank lassen konnte. Die würden ja Gottweißwas damit tun, und das wollte ich nicht. Also veranlasste ich den Transfer in unsere Wohnung.

Seit heute früh 8:30 sind zehn Mitarbeiter eines Logistik Unternehmens damit beschäftigt, die neutral markierten und verschlossenen Kartons (von deren Inhalt sie natürlich nichts wissen, dafür haben die Vertreter der Bank gesorgt) in unsere Wohnung zu tragen.

Es wird ein wenig eng werden bei uns, aber das macht nichts, wir sind durch unseren sozialen Status, der rein rechnerisch an der unteren Armutsgrenze liegt, an Enge gewöhnt, ich möchte fast sagen, wir könnten gar nicht mehr ohne diese sozial anheimelnde Verknappung von Wohnraum, die jeden Furz in allen Räumen hörbar macht, jeden Geruch durch jeden Türspalt in jeden Raum zieht, aber vielleicht werden wir bald umziehen, werden uns ein kleines Häuschen kaufen, die Immobilienpreise sind mangels Nachfrage und zahlungskräftiger Kunden ja auch in sich zusammengebrochen, da, denke ich, müsste eine Aktentasche voller Banknoten reichen. Unangenehm ist der Geruch dieses Geldes. Ich werde gleich zum Supermarkt gehen und Raumspray kaufen.

19:37

Ich habe gut lachen. Das Geld stinkt zwar, aber die vollgestellten Räume sind so angenehm warm, dass man glauben könnte, Dollars verströmten Wärme. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich weiß aber, dass es beruhigt. Allerdings habe ich mich entschlossen, nicht lange zu fackeln, wenn jemand kommt, den ich nicht kenne. Ich werde sofort schießen, das bin ich der Lotto-Gesellschaft und meinen Lieben schuldig.

Im Übrigen stelle ich fest, dass alle stöhnen und darauf warten, dass Weihnachten endlich vorbei ist und sie ein paar Tage Urlaub haben. Raus aus der Tretmühle, scheint die Devise. Doppelplusgut also, dass wir jetzt nicht mehr arm sind.

 

Di 16.12.08   9:01

Ich begrüße alle, die hier nichts zu suchen haben, die Gerüchte verbreiten, die Spanner, ich begrüße die, die nur abkupfern, sich das Maul zerreißen, die, die immer eingeschnappt durch die Welt laufen, die Eifersüchtigen, die Missgünstigen, und die, die nicht die geringste Vorstellung davon haben, was es bedeutet, ein Schreiber zu sein, all die sollen explodieren, verdampfen, verschwinden, damit die, die sich noch freuen können, endlich unter sich sind. War das deutlich? Gut. Dann weiter im Text: Sackgasse 13. Das Drehbuch. Der Film. Wir sind bei Kapitel Acht.

17:05

Rita Pavone hatte mir eine extra große Kugel Malaga ins Hörnchen geschaufelt, wir hatten uns alle Gute gewünscht, falls wir uns nicht mehr sähen, dann hatte ich mich auf den Weg gemacht. Vorm Picasso Museum kommt mir eine junge Frau entgegen, sieht mich, schaut mich an, ein Lächeln zieht über ihr Gesicht, ich lächle zurück, dann ist sie fort. Wie gut es tut, hin und wieder Menschen zu treffen, die sich freuen (s.o.). Warum und wieso ist nebensächlich: ein flüchtiges Lächeln, schon gewinnt ein grauer, nichtssagender Nachmittag Kontur und man ist für die nächste Stunde gerettet.

Mi 17.12.08   13:27

Man schaut lieber nicht aus dem Fenster. Man dreht die Heizung hoch und freut sich, dass man in Westfalen lebt, denn in Skandinavien wäre sicher alles noch schlimmer. Die Dunkelheit ließe einen nie mehr los und bestimmt hätte man nichts mehr zu lachen. Dann fällt einem ein, wie es in Schweden und Finnland war, aber damals war Sommer, wie überhaupt damals immer Sommer gewesen sein muss, denn anders lassen sich Erinnerungen wohl kaum erklären.

Man blickt auf seinen Schreibtisch, auf die drei Seiten Drehbuch, die man sich mit Mühe an diesem Morgen schon aus der Ritze gepopelt hat, das Telefon schellt, der Millionär ruft an, man spricht mit ihm über die Arbeit, über den Regisseur, über die Insel und dies und das. Man verabschiedet sich, man öffnet das Drehbuch, schreibt INNEN - TAG, man beginnt eine neue Szene und während draußen ein Bagger brummt, fällt einem ein, dass es in ein paar Tagen ja schon wieder aufwärts geht, dass dann das Schlimmste vorüber ist und man wieder ans Frühjahr denken darf. Das rettet einen. Aber die Geschichte, die einem gestern abend im Kopf herum spukte und die man heute erzählen wollte, die fällt einem nicht wieder ein, die ist verdampft, schade drum, sie war lustig, soviel weiß man noch.

14:49

Man hämmert ein bisschen aufs Schlagzeug, man weiß, dass heute abend Funk-Session im Hot Jazz Club ist, aber man mag den Keyboarder nicht, deshalb bzweifelt man, dass man heute das Haus noch verlässt. Man weiß, dass es vernünftig wäre, mal wieder andere Luft um die Nase zu kriegen, aber die letzte Jazz-Session war tödlich, und lustig war sie schon überhaupt nicht.

Etwas Lustiges wäre schön, etwas wirklich Lustiges, etwas von der Qualität eines Keaton. Vorgestern sah ich Piet Klocke. Den fand ich lustig. Vielleicht ist lustig falsch ausgedrückt: er brachte mich zum Lachen. Das war's. Ich brauche etwas, das mich zum Lachen bringt. Ich möchte von Herzen lachen.

17:24

Wintersonnenwende wann?

Am 21. Dezember 2008 um genau 13:04 Uhr MEZ ist es mal wieder soweit, der astronomische oder auch kalendarische Winter auf der Nordhalbkugel der Erde beginnt. Zu diesem Zeitpunkt steht die Sonne bei 23,4° südlicher Breite genau im Zenit über dem südlichen Wendekreis, ist somit am weitesten von der Nordhalbkugel entfernt und erreicht hier ihre geringste Mittagshöhe. Danach kehrt sich die durch die Schiefe der Ekliptik verursachte Deklinationsbewegung der Sonne wieder um und sie nähert sich langsam wieder dem Äquator. Dieses Ereignis wird daher auch als Wintersonnenwende oder Winter-Solstitium bezeichnet. Für die Südhalbkugel trifft dies auf den 21. Juni zu, welcher bei uns die Sommersonnenwende (Sommer-Solstitium) markiert.

Da das Sonnenjahr einige Stunden länger dauert als das kalendarische, und dies durch die Schaltjahrregelung nur annähernd ausgeglichen wird, finden die Sonnenwenden nicht immer genau an einem bestimmten Tag statt, im Moment fällt der Winteranfang bei uns entweder auf den 21. oder den 22. Dezember, in Zukunft wird es häufiger der 21. Dezember sein.

 

Do 18.12.08  9:08

Es war Samstagmorgen, ich war in Bentheim, und in einer Stunde musste ich lesen. Ich war aus Gründen der Sicherheit wieder einmal viel zu früh vor Ort, deshalb hielt ich Ausschau nach einem Restaurant. Das größte Hotel vor Ort hatte geöffnet. Ich ging hinein, setzte mich und bestellte Tee. Das Hotel war randvoll mit frühstückenden Touristen. Viele Holländer. Irgendwann ging ich auf die Toilette. Als ich mich nach dem Händewaschen nach einem Handtuch umschaute, sah ich dieses Gerät.

Ich hielt meine Hände hinein, das Gerät sprang an, meine Hände waren trocken, das Gerät stellte sich ab. Sie alle werden die Handtrockner kennen, die in Toiletten vor sich hinbrüllen, die Hände aber nie trocken bekommen, so dass einem in der Regel nichts bleibt, als sie an den Hosenbeinen trocken zu wischen. Dieses Gerät bläst sie staubtrocken. Ich war regelrecht erschrocken. Erschrocken und begeistert. Und das an einem Samstagmorgen in Bentheim! Um 9 Uhr. Trübes Herbstwetter. Man wäre lieber irgendwo anders.

Ich komme drauf, weil ich vor ein paar Tagen einen Artikel über Herrn Dyson las, der einen Staubsauger ohne Beutel erfunden hat, der zudem mit einer Verwirbelungstechnik arbeitet, die angeblich alle Staubsauger in die Schranken verweist. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich weiß, dass der Dyson Handtrockner umwerfend ist. Sollten Sie einen sehen, zögern Sie nicht, ihn auszuprobieren.

So. Und jetzt: Drehbuch schreiben.

PS.

Verließ doch noch das Haus. Saß eine halbe Stunde im Hot Jazz Club, sprach drei oder vier Sätze mit Jakob dem Zahnarzt, der, nachdem er eine Weile als DJ Dr. Death in verschiedene Szenekneipen Platten aufgelegt hat, heute als Wunderheiler per Telefon frustrierten Frauen das Geld aus der Nase zieht, hörte mir den einfallslosen, wenn auch nicht schlecht gespielten Funk der Sessionband an, der Club füllte sich mit Erstsemestern und Touristen und ich dachte, Mensing, hau ab, fahr wieder heim. Und das tat ich auch. Nach wie vor also nichts zu lachen.

12:21

Sekunde, ich verbinde...

 

Fr 19.12.08   10:13

Verbrachte Stunden, um mit meinem Rechner ins Netz zu kommen, kam aber nie weiter als bis zu meinem Router. Die Statusanzeige meldete keinerlei Unregelmäßigkeiten. Ich probierte alle Tricks, die ich über die Jahre gelernt hatte. Das Herausnehmen des D-Link-Adapters und erneute Hereinschieben bei gleichzeitigem Neustart des Rechners, das Deinstallieren der D-Link-Software und ihre Neuinstallation, das An- und Ausschalten des Routers, das Fluchen, das Defragmentieren des Rechners, die Neukonfiguration der Netzwerkverbindung, alles probierte ich tausend Mal, bis ich gegen 18:00, es gab Abendessen, den Rechner ausschaltete und beschloss, morgen zum Lapstore zu fahren und einen Profi zu beauftragen. Heute ist morgen, alles funktioniert wie gehabt und ich bin ratlos glücklich.

18:58

Ich habe die letzte Stunde versucht, ein Java-Script einzupflegen, ich habe es eingepflegt, aber es funktionierte nicht. Was hätte es tun sollen? Nun, es hätte aus einer Auswahl von vier Fotos jeweils eines per Zufallsgenerator aussuchen und anzeigen müssen, wenn Sie meine Webseite aufrufen. Ich nehme an, ich habe etwas falsch gemacht.

Heute nachmittag waren wir in Enschede. Dort ist es ärmlich und nicht einmal halb so bevölkert wie in Münster. Woran das liegt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich einfach daran, dass Münster einen Beamtenarsch hat, der immer warm sitzt, während Enschede tiefer fällt, wenn es unter ihm wegbricht.

Jetzt lege ich mich aufs Sofa und bewege nichts mehr.

Ach, eh ich schließe, der Käsewagen, an dem wir freitags unseren Käse kaufen, verkauft eine Wundertüte für 5 Euro, in der lauter End- und Restecken sind. Man hat keinen Einfluss auf die Zusammenstellung, daher der Name, aber es ist eine Menge leckeren Käses darin. Ich kann sie also nur empfehlen.

Arrividerci. Herr M. wird nun einem alten Laster fröhnen.


Sa 20.12.08   10:33

Doublefeature:
Down by law und Nottinghill.
In der Waagerechten auf dem Sofa.
Gestern abend.

Zwei Zitate aus Down by law haben uns lange begleitet.

Strange mother, my mother, sagt Roberto Begnini, wenn er, allein in den Sümpfen Louisianas vor einem Feuer sitzend, über dem sich ein Kaninchen, das er gefangen hat, an einem Spieß dreht, erzählt, wie seine Mutter Kaninchen getötet hat und wie er sich vorstellt, dass seine Mutter ihn ruft, come here, come here, Roberto, und dann zack, Handkantenschlag....
Strange mother, my mother, sagten wir, wenn wir von unseren Müttern erzählten.

Cover the merchandise, sagt John Lurie, der Zuhälter, zu der schwarzen, nackt im Bett liegenden Prostituierten, als sich der Besuch eines Gangster ankündigt, cover the merchandise, sage ich manchmal zu meiner Frau, wenn sie halbnackt durchs Haus tigert.

Bei Nottinghill wie erwartet herzlich geweint.

Beide Filme haben wir in völlig veralteter Video-Technik angeschaut.
Heutzutage veraltet Technik ja schneller, als man neue kaufen kann.

Jetzt gleich heißt es: Heißa hoppsassa, einkaufen für den Abend der Abende, für den Höhepunkt der jährlichen Harmonie, für das Friedensfest, Sie wissen schon, Schnaps, Bier und alles andere, damit kein Auge trocken bleibt, damit niemand sich mehr erinnern kann, dass er ja überhaupt kein Christ ist und der Auslöser dieses Wahns mit ihm nichts zu tun hat, und er schon seit er denken kann, versucht, dem zu entkommen, wo er doch genau weiß, dass es kein Entkommen gibt.

Und wie sagt einer unser größten deutschen jüdischen Schriftsteller, Lion Feuchtwanger, gegen den Thomas Mann ein Windfurz ist: Erinnere dich, mein Bruder, dass Ruhen besser ist als Gehen, Schlafen besser als Wachsen, Totsein besser als Lebendigsein."

12:33

Wie alt ich tatsächlich bin, erfuhr ich vorhin, als die Post mir die Ankündigung brachte, der WDR werde am 21. April eines meiner Hörspiele wiederholen. Raten Sie, wann die Erstsendung war? 1994. Ich war platt. So lange reiße ich mir schon den Arsch auf, dachte ich. So lange bin ich schon dabei und habe immer noch nicht aufgegeben. Ich muss ein Künstler sein, dachte ich dann, um die andere Variante erst gar nicht denken zu müssen.

 

So 21.12.08  17:49

Komm von der Party, war schön gewesen...
Noch schöner aber ist, dass es seit heut mittag 13:04 Uhr wieder aufwärts geht.
Die Tage werden länger, man darf hoffen.

 

Mo 22.12.08   10:18

Es nieselte, als ich gegen 8 Uhr zum ersten Mal aus dem Fenster schaute. Mein Kopf dröhnte. Das lag an den Ritualen der durchweg 40jährigen Sozialarbeiter dieser Party. Das eine ist das Tequilla Ritual, das andere das Haschisch-Ritual. Als ältester Gast hatte ich nicht kneifen wollen. Das hatte ich nun davon.

Ich ging hinunter ins Bad. In fand griechische Aspirin. Ich nahme eine, ging wieder nach oben und legte mich hin. Aber die Waagerechte tat mir nicht gut. In der Vertikalen spürte ich den Kopfschmerz kaum, also beschloss ich, aufzustehen.

Der Hund des Haus begrüßte mich freudig. Ich erklärte ihm, dass ich nicht mit ihm spazieren gehen könne, ich führe nach Hause. Er fand das schade. Ich verließ das Haus. Als ich vor unserem Auto stand, verstärkte sich mein Eindruck, dass es besser wäre, noch nicht zu fahren, sondern den deformierten Kopf zunächst für eine Weile durch den Nieselregen zu tragen.

Das Dorf ist kein schönes Dorf. Ohne großen Aufwand kann man hier Motive finden, die in 50er-Jahre-Filme passen. Überall Leerstand, Trostlosigkeit, es ist Sonntagmorgen, mein Kopf passt durch keine Tür, die wenigen Menschen, die unterwegs sind, gehen zur Kirche. Die Stiftskirche ist schön, aber mir ist nicht nach Kirchen, ich erwarte Klarheit durch Nieselregen und frische Luft.

Tatsächlich wird mir mit jedem Schritt besser. Der Kopfschmerz verfliegt. Als ich schließlich ins Auto steige und losfahre, spüre ich nur noch die Müdigkeit. Zuhause lege ich mich sofort wieder hin.

Ja, das war eine schöne Party. Ich habe interessante Geschichten gehört, unter anderem die einer mir bekannten Muse, die in allerhöchsten Tönen gelobt wurde, was ich mit Freunde zur Kenntnis nahm und viele andere. Etwa die, dass all diese Vierzigjährigen kaum Kinder haben. Und wahrscheinlich auch keine mehr kriegen, denn langsam werden sie alt. Ich hegte die Vermutung, dass es wohl daran liegen könne, dass sie immer so traurige Musik hören. Ja, meinte die eine, das könne schon sein.

16:58

Ein Sozialarbeiter erzählte, einer seiner Klienten habe ihm kürzlich einen Tankstellenüberfall gebeichtet. Auf meine Frage, was man nun mit ihm mache, sagte der Sozialarbeiter, mit ihm drüber reden, anzeigen könne er den jungen Mann nicht, er unterstehe der Schweigepflicht. Ob er glaube, dass moralische Standpauken nutzen, fragte ich. Er schüttelte den Kopf. Die andern Sozialarbeiter schüttelten auch den Kopf. Resigniert, fast zynisch erzählten sie von weiteren Fällen.

Ich begreife, dass Sozialarbeiter ihren Klienten Schutzräume bieten können müssen, aber ich begreife nicht, dass diese Schutzräume kriminelle Handlungen decken. Das sollten sie nicht. Ich finde, alles muss Konsequenzen haben.

 

Di 23.12.08   12:35

Ich habe mit Weihnachten nicht viel zu schaffen, es hängt mir nur nach, es war, als ich Kind war, eine höchst gefährliche Veranstaltung, überschattet von allen unterdrückten Katastrophen, heute ist es ein Fest, dem wir unseren Stempel aufgedrückt haben, wir sind keine Christen, dennoch beschenken wir uns, unsere Freunde kommen, sie bleiben bis tief in die Nacht und reden und trinken und reden und trinken, während der Weihnachtsbaum leuchtet.

Den schlagen mein jüngster Sohn und ich ein, zwei Tage vor Heiligabend. Der in grünes Loden gekleidete Bauer gibt uns eine Säge, wir stapfen in den Bezahlforst, wählen den Baum unseres Vertrauens, obwohl der Hof voll liegt mit Bäumen, aber nein, unser Baum soll von uns getötet werden, das sind wir ihm schuldig, und dann töten wir ihn.

Und so rückt der Tag näher, alle Geschenke sind verpackt, wir hoffen, dass alles richtig ist, und dann darf unseretwegen das neue Jahr beginnen, das wir an der Nordsee begrüßen.

16:27

Goldberg war hier und hat mir CD's mit Jazz Rock der 70er mitgebracht. Herbie Hancock, Chick Corea, George Duke, Tony Williams, Wayne Shorter, Weather Report, you name it, we got it. Nichts knistert, alles ist dickitahl und vor allem: man frickelt nicht rum wie blöde, wenn man ein bestimmtes Stück hören will. Man gibt einfach den Befehl: spiel 7, sagt man und dann spielt er 7, bleibt ihm ja nichts, ich bin sein Master und er ist der Servant.

 

Mi 24.12.08 10:26

Es wird Heiligabend.

Der Baum steht geschmückt auf der Kommode neben dem Fenster. Frau Vorrink sitzt in der Küche und macht Heringssalat. Ihr Mann streift rastlos durchs Haus. Hans hockt bei seiner Mutter. Karin sitzt vorm Radio im Wohnzimmer und hört Negermusik auf AFN. Sie hat das Radio leise gestellt. Ihr Vater kommt herein. Sie rückt nah an den Lautsprecher. Er sieht sie an und sagt: "Muss das sein, diese Musik. Es ist Heiligabend!"

"Es ist doch ganz leise."

"Im Krieg haben wir geweint, wenn Weihnachten war."

Karin zuckt die Achseln.

"Werde nicht unverschämt!"

'"Wie?"

"Ihr wisst doch gar nicht, wie gut ihr es habt", sagt er und geht durch die Schiebtür in die Küche, umkreist ein paarmal den Tisch, setzt sich und erzählt, wie er einer alten Polin einmal Kohlen organisiert hat.

Es war Winter und die Frau war verzweifelt. Es war gefährlich für ihn. Deutsche Soldaten durften armen alten Polinnen keine Kohlen besorgen. Hans ist beeindruckt. Während er noch darüber nachdenkt, wieso sein Vater in Polen war, sagt der, man solle bloß nicht auf die Idee kommen, ihm etwas zu schenken. Die Familie schweigt. Die Geschenke sind eingepackt. Jeder weiß, wie er ist. Bis jetzt ist ja alles glimpflich verlaufen. Wenn er nur nicht im letzten Augenblick noch verrückt wird, und den Weihnachtbaum durchs Fenster wirft, wie vor zwei Jahren.

Plötzlich steht er auf, probiert den Heringssalat, verzieht das Gesicht und sagt: "Der wird auch nicht besser, wenn du jetzt noch Gurken reinschneidest."

Seine Frau schluckt und sagt nichts.

Hans verlässt das Haus, um Tante Änne vom Bahnhof zu holen. Die Stadt ist wie ausgestorben. In vielen Fenstern brennen rote Kerzen. Für unsere Brüder und Schwestern im anderen Teil Deutschlands steht auf dem Ständer. Hans weiß nicht, was das bedeutet. Er liebt diesen Gang durch die festlich beleuchtete Stadt, vor allem, weil er allein gehen darf. Durch die Bahnhofstraße fegt ein eisiger Wind. Auf dem Dach der Fabrik leuchtet ein Christbaum. Auch vorm Bahnhof steht einer, eine haushohe Fichte. Die Bahnhofshalle ist weit und hoch. Ein einsamer Beamter tut Dienst. Hans wünscht ihm frohe Weihnachten.

Tante Änne kommt aus Rheine.

Sie ist seine Lieblingstante. Als ihr Zug einläuft, kriecht er unter der Absperrung durch und läuft ihr entgegen. Sie trägt zwei große Taschen. In jeder sind Pakete.

"Wie geht's zu Hause?" fragt sie.

"Gut", sagt Hans.

Sie gehen nach Hause. Die Stadt ist voller Straßensperren aus heiliger Nacht. Sein Vater ist wie ausgewechselt.

Hans weiß nicht mehr, was er denken soll. (aus: Einer bleibt gleicher, Roman, H. Mensing)

 

Do 25.12.08   14:02

Es gibt das reziproke Verhältnis, und unter dem litt ich gestern. Alle Gäste amüsierten sich, nur ich nicht. Ob es an den schweren Brechern der Erinnerungen lag, die durchs Zimmer tobten, ohne dass jemand Notiz davon nahm, an dem täglich sich verengenden Horizont, ob es daran lag, dass mich die Sorge zweiteilte wie es das Rumpelstilzchen zweiteilt, ich weiß es nicht und ich möchte es auch nicht wissen.

Alle amüsierten sich, nur ich nicht. Ich habe das von meinem Vater geerbt, der auch ein grandioser Miesepriem war, ohne es zu wollen, denn im Grunde seines Herzens war er ein warmer, optimistischer Lebensbejaher wie ich.

Gegen eins versuchte ich mich davon zu stehlen, aber schlafen konnte ich nicht, und so war ich eine halbe Stunde später wieder unter den Gästen. Immerhin, heute früh gegen vier, halb fünf, alle waren fort, konnte ich das tun, was ich am besten kann: ich räumte auf, spülte, machte klar Schiff.

Jetzt scheint die Sonne. Ich höre Weihnachtsmusik, ich sehe die prächtig blühenden Aldi-Rosen, die einzigen Rosen, die tatsächlich aufgehen, wenn man sie in die Vase stellt, gelb sind sie, passen zum blauen Himmel und so gar nicht zu meiner Stimmung, die es immer schaft, dass ich mich abgrundtief nutzlos fühle.

Am Sonntag fahre ich ans Meer.


Fr. 26.12.08  15:51

Seit Heiligabend habe ich Zugang zu verschiedenen spirituellen Energien, darunter eine Flasche Island Vintage Single Malt, 16 Jahre alt, eine Flasche Tullamore Dew und der Lieblingswhisky von Prinz Phillip, Famous Grouse. Es mangelt also an nichts.

Gestern war wunderschön.
Das, was mir Heiligabend fehlte, der Boden unter den Füßen, wurde wieder fest und begehbar.

Aber ich wollte eine Geschichte erzählen. Sie beginnt in meinem Roman Der Heilige Bimbam. Bimbam, ein Hund, den Paul und Paula ihren Eltern schenken wollen, soll, nachdem alle Geschenke verteilt sind, als letzte Überraschung vor der Wohnungstür sitzen. Jemand sagt, oh, ich glaube, es hat geschellt, schau doch mal einer nach. Mama geht los und dann sitzt da der Hund.

Du, Hermann, ich glaube, es hat geschellt, gehst du mal, sagte Frau M. Heiligabend, und ich ging nichtsahnend zur Tür. Als ich geöffnet hatte, lag da ein großes Paket. Einen Augenblick glaubte ich an ein Geschenk unserer portugiesischen Nachbarn, dann sah ich das Geschenkpapier, unser Papier, ich selbst hatte Geschenke damit verpackt, da war klar, dass es um mich ging. Ich hob es hoch und ahnte, was darin war.

Gestern sprach ich mit Frau M. über diesen Schenktrick. Beim nächsten Mal, riet ich ihr, solle sie anderes Papier verwenden. Das verräterisch vepackte Paket enthielt eine Djembe. Sie ist nicht so groß wie andere Djemben, aber sie klingt gut und ich weiß auch schon, was ich damit mache. Ich werde im Januar damit zur Folk Session fahren, da könnte ich sie spielen.

 

Sa 27.12.08    12:24

Wo wir gestern spazieren gingen, vereinen sich zwei Flüsse, die Werse fließt in die Ems. Das Gebiet ringsum ist Wasserschutzgebiet. Links und rechts der Flüsse Buchen- und Eichenwald, südlich steppenähnliche Flächen, Birkengruppen, Ginster, bis vor wenigen Jahren von den Engländern als Truppenübungsplatz genutzt und nur zu bestimmten Zeiten und auf festgelegten Wegen zugänglich.

Ich glaube, heute üben sie dort noch immer mit Panzern. Auf einem der Wege, der hinunter zum Fluss führt, ein ausgeschlagener Feldweg mit teils die volle Breite des Wege einnehmenden, vereisten Pfützen, überholten uns zwei Männer. Außer ihnen und uns war weit und breit niemand. Einer der Männer stieg hundert Meter vor uns vom Rad und schien etwas in seiner Radtasche zu suchen. Dann stieg er auf und fuhr weiter.

Als wir zum Fluss kamen, standen die beiden exakt an der Stelle, von der wir immer auf den Fluss schauen, wenn wir dort spazieren gehen. Frau M. waren die beiden unheimlich. Russen wären das, meinte sie, wer sonst würde am zweiten Weihnachtstag mit dem Rad zum Fluss fahren und dort mit einer Flasche Bier in der Hand herumstehen und rauchen. Russen, war sie sich sicher, und sie fürchtete sich vor ihnen. Bist doch selber Russin, frotzelte ich, aber das beruhigte sie nicht.

Eine halbe Stunde später saßen wir in einem Landhotel, tranken heiße Schokolade und aßen Apfelkuchen mit Sahne. Ringsum Familien beim Weihnachtsessen. Zugegeben, wir waren ein wenig früh für den Nachmittagskaffee. Am Nebentisch eine Familie mit drei Kindern, dazu Oma und Opa. Ein Kind im Kinderstuhl, ein Mädchen mit blondem Pagenkopf. Als es herausgehoben wurde, begann es herumzulaufen. Und irgendwann nahm es Kontakt mit mir auf. Stand neben mir am Tisch und schaute mich an. Wenn ich sagte, na, wer bist du denn, lachte es laut auf, lief davon und kam wenig später wieder. Es spielte ein Spiel mit mir. Sein Lachen klang herzlos, als lache das Kind nur bis zum Rachen, und es wurde immer deutlicher, dass es im Ansatz halbseitig gelähmt war, dieses eigenartige Nachziehen des linken Fußes, sein Nichtsprechen, obwohl es doch sicher vier oder fünf Jahre alt war.

Wahrscheinlich war irgendetwas schief gegangen. Irgendeine Vezögerung hatte stattgefunden, einen Augenblick zu lang war die Sauerstoffversorgung unterbrochen, und das war das Ergebnis. Wir dankten Gott für die Gesundheit unserer Kinder. Wir verfluchten ihn für seine Nachlässigkeiten. Wir atmeten tief durch und verschworen uns mit dem Schicksal. Wir legten alles in seine Hände. Wenn Sie wollen, sind wir Menschen, die auf Gott vertrauen, und zwar ganz und gar.

 

Mo 29.12.08   Bergen aan Zee 16.34

Das Licht ist hart und schneidend, Frostlicht, aber zwischen halb fünf und halb sechs, wenn die Sonne untergeht, zaubert es ein Wunder nach dem anderen. Die Dünen werden honiggelb, dann melonengold, der Strand fast schwarz und die fernen Menschen sind Hatifnatten.

Als wir um die besagte Zeit gestern aus Egmond zurückliefen, sah ich etwas am Strand. Menschen standen in der Nähe und ich fragte mich, ob das, was sie und ich sahen, eine Robbe sein könnte. Die Menschen gingen weiter, ich kam näher heran, die Robbe war eine längliche Kiste, aber das, was die Menschen tatsächlich gesehen hatten, sah ich nun auch, in der Dünung.

Die Schwanzflosse zuerst, die mit einer überschwappenden Welle hochschlug, dann sah ich eine Weile nichts von dem, was ich hoffte, gerade gesehen zu haben, dann sah ich es wieder und rief, Chris, Chris, da vorn, und dann sahen wir es beide. Sahen es, blieben stehen, verfolgten ihren Weg durch die sanfte Dünung, bis es anhielt und auf eine Sanbank robbte, wo es eine Weile blieb und in unsere Richtung schaute.

In der Nacht träumte ich von meinem Vater. Er hatte mein Zimmer umgeräumt. Er hatte ein Regal gebaut und obenauf einen Vogelkäfig gesetzt. Erst wollte ich ihn zurechtweisen, aber ich ließ es. Er saß auf einem Sofa neben mir. Sein Bart war eisgrau an den Wangen. Wir sprachen nicht. Ich war froh, dass ich ihn nicht zurecht gewiesen hatte, als ich erwachte und mir vornahm, den Traum zu behalten.

Heute früh schwammen wir eine Weile im Pool. Ein schöner Pool. Links davon stehen Maschinen für den Workout. Ruderte dreißig Sekunden, fuhr ein wenig Rad und hob Gewichte. Dieses Hotel ist nichts für Perfektionisten. Alles funktioniert oder funktioniert nicht, und wenn es nicht funktioniert, wie etwa die Multifunktionsdusche, das Yakuzzi (700 Euro habe deren Installation gekostet, sagte die Inhaberin), das es nicht nicht fertig brachte, das Duschwasser so zu mischen, dass es eine erträgliche Temperatur bekam, wechselt man das Zimmer.

Ruhiger Spaziergang durch Winterheide, gedrungene Eichenwälder und Dünen nach Bergen.

Wir tranken Kaffee tranken, anschließend begleitete ich Frau M. durch die Modegeschäfte. Ich werde Frauen nie verstehen. Überall Frauen, deren Männer wie Idioten darauf warteten, dass ihre Frauen endlich fertig würden mit schauen.

19:17

Wir nahmen den Bus um 15:26 zurück nach Bergen aan Zee. Der Busfahrer war eine Busfahrerin meines Alters und sehr gesprächig. Ihr Enkel, erzählte sie so laut, dass wir es auf der letzten Bank des kleinen Busses hören konnten, spiele bei Ajax, de Moor, den Namen solle man sich unbedingt merken, und da vorn, sie wies mit ausgestrecktem Arm rechts in den Wald von der Ulmenallee, die von Bergen zum Kreisverkehr führt, dort baue sich Rafael van der Vaart gerade ein Haus. Früher, erzählte meine Schwester, habe auf dieser Straßen Toon Hermanns gewohnt, ein berühmter Kabarettist, und ich nehme an, es gibt nur wenige Orte in den Niederlanden, in denen so viele Reiche leben wie in Bergen.

 

Di 30.12.08   15:16

Sie kann das ja, tagsüber schlafen, das kann sie und darum beneide ich sie. Eigentlich müsste ich es auch können, denn ich bin ja auch über drei Stunden zu Fuß im Nordhollands Duinreservaat und am Strand unterwegs gewesen, aber ich kann das nicht, ich kann nur sowas hier und ein bisschen trommeln, aber tagsüber schlafen, keine Chance, ich bin schon froh, wenn ich nachts richtig schlafe.

Wie schön es ist, ist schwer zu sagen. Vielleicht hilft dieses Foto...

 

Mi 31.12.08   16:31

Sie müssen nun aber nicht glauben, dass einem die Schönheit der Welt einfach so vor die Füße fällt, nein, nein, man muss seinen Arsch schon hinaus bewegen, hinaus, hinaus, wie Otto in einem seiner Filme zu sagen pflegte, man braucht Handschuhe und eine Mütze, meine Mütze, die ich mir letzten Herbst auf Ameland kaufte, weil ich meine ursprüngliche Amelandmütze nicht wiederfand, die aber, kaum kam ich mit der neuen Mütze zurück, genau da lag, wo ich sie den Tag vorher gesucht und nicht gefunden hatte.

Die neue Mütze nun entschied sich gestern abend auch zu verschwinden. Heute früh, als ich sie vom Haken nehmen wollte, auf den ich sie gestern gehängt hatte, hing sie dort nicht und sie war auch sonst nirgendwo.

Nie, niemals hätte ich ohne Mütze das Restaurant verlassen, in dem wir gestern abend aßen, meinte Frau M., dazu wäre es einfach zu kalt gewesen, das hätte ich spätestens draußen bemerkt. Das fand ich auch, aber die Mütze hielt sich weiter versteckt, also schaute ich dort nach, wo sie bestimmt nicht war, und da war sie dann auch, am Haken im Restaurant.

Wie man sich täuschen kann. Wie man eine Gewohnheit (das Aufhängen einer Mütze auf einen Haken) automatisch mit jedem Nachhausekommen verknüpft und dann der festen Überzeugung ist, dass man nur das getan habe, was man immer tut, um sich vor sich selbst zu täuschen.

Sie werden wissen, dass es schlimmere Täuschungen gibt, über die wir aber in den letzten Stunden dieses Jahres nicht sprechen wollen.

Nach Wiedererscheinen der Mütze machten wir uns auf den Weg. Ein langer Weg. Ein steiniger Weg, um mit dem größten deutschen Schnulzensänger aller Zeiten, Xavier Naidoo, zu sprechen. Es glitzerte und gleißte um uns, jeder Halm des Dünenhafers hatte ein Kleid aus Eiskristall angezogen, aus der Ferne erscholl unablässiges Knallen und Donnern, als wäre man nicht in Holland, sondern im Gaza Streifen, und die freundlichen Israeli täten das, was sie immer tun, töten, um, wie sie sagen, diese Totgeburt einer Staatsidee zu verteidigen.

HALT, ich wollte ja nicht von Poltik reden, sondern von der Schönheit der Eiskristalle an Halm und Busch, wir liefen also und liefen und liefen, dabei sang ich Lieder vor mich hin und schließlich erreichten wir nach gut zwei Stunden die Stadt Egmond, wo ich einen Matjes aß, mich ein wenig erholte, wo ich erfuhr, dass in den Räumen, die in Gaststätten Rauchern vorbehalten sind, nicht bedient werden darf, und mich schließlich auf den Rückweg machte.

Muse M. und ich. Die Sonne war mittlerweile hinterm Hochnebel verschwunden, die Wind hatte auf Nord gedreht, aber zum Glück waren wir warm angezogen, und so liefen wir, liefen und liefen den Strand entlang, sahen auf halbem Weg wieder die Robbe, die wir schon vor zwei Tagen gesehen hatten, diesmal lag sie ganz ruhig keine zwanzig Meter von uns entfernt auf einer Sandbank, liefen, kamen an und sind jetzt wieder hier, hier, im Hotel de Dennen. Frau M. schläft, und ich werde vielleicht gleich noch ein wenig schwimmen im Pool.

Ihnen wünsche ich einen guten Rutsch. Hoffen wir, dass wir den Zerfall des Kapitalismus noch bis zu unserem endgültigen Dahinscheiden hinauszögern können, andernfalls....


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