Dezember 2018                      www.hermann-mensing.de      

mensing literatur 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten eintrag



So 2.12.18 19:45

Mein ältester Enkel ist neuneinhalb und hatte seit Monaten davon gesprochen, mich mit dem Bus zu besuchen, allein. Der Bus fährt aus seinem Viertel bis vor meine Tür, aber man braucht doch wohl ein bisschen Mut, um loszufahren. Gestern war es so weit. Er wollte Schlagzeug spielen und einer seiner Brüder kam mit. Er ist sieben und lernt Gitarre. Als Opa meide ich Ärger, ich muss nicht erziehen und darf geltende Gesetze ignorieren. Also gingen wir zunächst zum Supermarkt, um Süßigkeiten zu kaufen. Der eine wollte ein Getränk mit, der andere ohne Prickel. Supermärkte können Kinder um den Verstand bringen. Eine Süßigkeit für jeden, sagte ich.

Als meine Kinder klein waren, war Bruno Bettelheim einer der populären Ratgeber, den wir in Erziehungsfragen konsulierten. Bettelheim war der Ansicht, Kinder bräuchten freien Zugang zu Süßigkeiten, um den Umgang damit zu lernen. Meine Kinder haben ihn nicht gelernt. Ich konnte es sowieso nie, weshalb ich nie Süßigkeiten im Hause habe.

Meine Enkel wählten 10er Packungen Knopper und Hanuta. Wir gingen heim, bauten im Keller das Schlagzeug auf, und beschlossen, die Session aufzunehmen. Ich zählte ein. Der Gitarrist schrammelte, der Schlagzeuger spielte buff tschak buff tschak, ich unterstützte die beiden mit Perkussion. Nach der ersten zwei Nummer, die sieben und sechs Minuten dauerten, war klar, dass wir eine Pause bräuchten, um uns zu stärken. Ohne Erziehungsauftrag habe ich beruhigt zugeschaut, wie sich die Enkel über die Koppers und Hanutas hermachten. Dann machten wir einen Spaziergang und blieben eine Weile auf einem Spielplatz, wo die beiden in Streit gerieten. Erst, als ich die Aufmerksamkeit des Jüngeren auf die Kondensstreifen eines großen Flugzeuges lenkte und sagte, das flögen nach Asien, besserte sich seine Stimmung schlagartig, weil er wissen wollte, woher ich das wüsste. Danach waren wir noch etwa anderthalb Stunden im Keller und haben Aufnahmen gemacht. Als sie heimfuhren, war alles aufgegessen.


Mo 3.12.18 11:45 bewölkt, mild

Hocke am Schreibtisch und hadere mit allem, ein Zustand, der mir schon seit Menschengedenken zum Halse heraushängt.


Di 4.12.18 11:36 sonnig

Man kann tief ins All schauen. Ich werde versuchen, Text zu schauen.

19:59

Gestern habe ich die Testversion eines Schreibprogrammes für Autoren heruntergeladen, meinen Roman darin geöffnet, und ein wenig herum probiert. Alles praktisch. Alles logisch. Digital Dinge tun, die ich mit Zetteln an der Wand, mit Notizen in Heften und Kladden, die ich manchmal verlege. Alles, wie gesagt, praktisch, aber doch nichts für mich. Ich will mir nichts vorschlagen oder -schreiben lassen. Ich will alles, wie es kommt.


Mi 5.12.18 17:34

Kaum ist man aufgestanden, ist es schon wieder dunkel. Noch 16 Tage, dann ist es geschafft.


Do 6.12.18 10:37

Nun war ich schon zum zweiten Mal dort, und bin unverrichteter Dinge wieder gegangen. Ja, man könne museumsreife, hochklassige Drucke herstellen, sogar auf Metall gehe das, eine Art der Galvanisierung, aber man sei nur die Mutter des jungen Mannes, der das Geschäft führe, und der junge Mann sei unterwegs, er habe so viel zu tun. Ob ich die infrage kommende Dateien nicht von meinem Stick auf ihren Rechner übertragen könne, dann hätte der Sohn schon eine Vorstellung davon, worum es gehe? Nein, da könne sie nicht ran, sagt die Mutter, das sei so komplex und da wären so viele Dateien drauf, nein, ich solle doch noch einmal wiederkommen. Ja, nun, vielleicht, denke ich. Heute jedenfalls nicht, bei dem Schietwetter. Es müsste jetzt bis Ende Januar in einem fort regnen, damit sich die Grundwasserstände erholen und die Talsperren wieder vollaufen.


Sa. 8.12.18 21:15


hintendrauf steht, dass man rechts wählen soll, weil alle anderen politiker korrupt sind, nur sie nicht, weil millionen in integrationsprojekte fließen, während auf den straßen keiner mehr sicher ist, scheiben eingeworfen werden, autos abgefackelt, kriminelle brutnester überall, es muss schlimm sein in holland. - als sie mir den flyer gaben, fragte ich, ob sie rechts oder links wären. rechts, sagte ein glatzköpfiger, kräftiger mittzwanziger. ja, aber wir tun auch gutes für die armen, sagte eine frühzwanzigerin mit langen, hinten zusammengebunden haaren. verabschiedete mich und ging fritten essen.

So 9.12.18 14:48 bewölkt, windig

a. hat keine zeit
gedichte zu schreiben
alles rennt davon
nirgendwo findet es halt

oh ja sagt b.
das ist ein schöner tod
so ein lebendiger
mitten im leben

wünschenswert
traumhaft schön, ja
ergänzt c.

a. folgert dass zeit sei
loszulassen fortzugehen
alles wegzugeben nichts zu halten
b. sagt spinner c. feigling
alle singen
oh du fröhliche
aber sie meinen es nicht


Mo 10.12.18 17:31 wechselhaft, Graupel und Hagel

Seit einem Monat arbeite ich an einem neuen Roman. Die Personen haben Namen und Geschichten, jetzt beginnen sie, zu denken, das ist ein gutes Zeichen. Wohin ihre Zusammenkunft letztlich führt, weiß ich noch nicht, aber das muss ich auch nicht wissen, denn sie werden das selbst entscheiden.


Di 11.12.18 22:31

Während die von mir gefahrene Kutsche den Prinzipalmarkt zwar befahren- aber nicht auf ihm halten darf, es sei denn Kunden stiegen zu oder aus, wird für die Produktion des Weihnachtstatortes 2019 weiträumig abgesperrt. Ein unansehnlicher, dicker, grün gekleideter Mann mittleren Alters setzt sich in seinen - ich nehme an - Regisseursessel - und dann muss ein Auto mit russischen Kennzeichen anfahren und wieder anfahren. Ringsum lungert das Weihnachtsvolk. Für den nächsten Take tauchen Axel Prahl und Liefers auf, da kennt das Volk kein Halten mehr, der Prinzipalmarkt ist schwarz vor Menschen. Ihr seid Schuld, rufe ich Prahl zu, als ich mit meiner Kutsche da entlang schleiche. Er hebt entschuldigend die Hände. Später lade ich Prahl und Liefers ein, eine Runde mit mir zu fahren, aber sie zucken die Achseln, sie müssen zum Interview. Plötzlich stehen zwei Männer vom Ordnungsamt neben mir. Man habe ich mit der Webcam beobachtet, ich sei Richtung Rothenburg gefahren, Einbahnstraße. Sorry, sage ich, ich hatte gedacht, ich dürfte das, weil ich den Prinzipalmarkt doch auch in beiden Richtungen befahren darf. Nein, nein, sagen sie. Der Gedanke, dass die Ordnungsmacht vorm Bildschirm hockt, mich beobachtet und mir dann Ordnungskräfte auf den Hals schickte, gefällt mir nicht.


Do13.12.18 22:28

mein gernegroßes herz
hat urlaub und die welt
versucht sich einzuschmeicheln
ergebnislos nicht einmal entgeld
und winterwunder könnten mich erweicheln
mitsommer ist noch lange hin
mitwinter hat noch nicht begonnen
die dunklen tage ohne sinn
sind mir zu sauermilch geronnen
o ja ich und mein gernegroßes hätten
die langen nächte lieb gehabt und wetten
vergäben erste plätze nur an böse seelen
die sich mit mir durch lange tage quälen


Fr. 14.12. 10:22

mein gernegroßes herz
hat urlaub und die welt
versucht sich einzuschmeicheln
ergebnislos nicht einmal geld
und wunder könnten mich erweichen
mitsommer ist noch lange hin
mitwinter hat noch nicht begonnen
die dunklen tage ohne sinn
sind mir zu sauermilch geronnen
o ja ich und mein gernegroßes hätten
die langen nächte lieb gehabt und wetten
vergäben erste plätze nur an seelen
die sich mit mir durch diese kurzen tage quälen


So 16.12.18 22:49

Über Nacht hat es geschneit, wir haben die Promenade umrundet, Waffeln gegessen, ich war Tango tanzen und habe die Szene kaum ausstehen können, ohne recht zu wissen, wieso. Es liegt sicher an mir.


Mo 17.12.18 9:13

Aufstehen. Los. Frühstück.


Fr 21.12.18 regnerisch, mild 12:50

Als ich letztens aus dem Haus ging, traf ich auf den Postboten, der seit Beginn der allgemeinen Markliberalisierung nur noch unregelmäßig als immer wechselnder, prekär beschäftigter junger Mann oder Frau hier auftaucht, häufig des Deutschen nicht mächtig. Er übergab mir einen Brief der VG Wort. Solche Brief erhalte ich zwei, dreimal pro Jahr, Abrechnungen, meist handelt es sich um Beträge zwischen zwanzig und hundert Euro. Wenn man berühmt ist und gut verkauft, so wie ich, spült jede Kopie, die irgendwo in der Republik von meinen Arbeiten gemacht wird, jeder Internetaufruf, jedes Wort von mir, alles, aber auch wirklich alles Kohle ins Haus. Darüber freue ich mich, wenngleich ich eigentlich längst genug davon habe. Ich hatte den Brief in die Tasche gesteckt und erst im Bus geöffnet. Man eröffnete mir, dass man mir knapp 1000 Euro überweisen wolle. Wieder ein paar Tage später erfuhr ich durch Zufall von einer Versteigerung, die der Künstler Klaus Geigle in Kooperation mit Ruppe Kosselek durchführte.
Ein Bild sprang mich sofort an, ich überbot das aktuelle Gebot um das vierfache, ich hatte es ja, und hoffte, den Zuschlag zu bekommen. Ich habe ihn bekommen. Heute morgen kamen Geigle und Kosselek zum Frühstück, wir begutachteten die Lage und schritten zu Hängung.


Sa 22.12.18 bewölkt, mild, 13:51

Alles ist eingekauft, wartet aufs Verschenken oder die Verarbeitung. Den Hals der Verstorbenen brate ich gerade mit Knoblauch und Zwiebeln an. Da ich ganze Tiere selten zubereitee, kann ich eine gewisse Verwunderung nicht leugnen, allerdings esse ich ja keine Lebende. Also, wie gesagt, das Gröbste liegt hinter mir, seit gestern werden die Tage wieder länger, was in mir Euphorie auslöst, Sehnsucht nach Frühlung etc. usw. pp. Der Rest des Tages wird verkocht und vertrödelt. Verlesen und mit Klavierspiel verbracht. Mit Fotos editieren. Essen. Etc. pp. usw.


Di 25.12.18 17:35

Mit einem Wechsel aus hoher und niederer Temperatur hat die Zubereitung der Gans von gestern 10 Uhr bis ca. 18:30 gedauert. Nach dem Anschauen von zwei Tutorials (Wie tranchiere ich eine Gans) hat sich Frau E. an die Arbeit gemacht. Aus der fünf Kilo Gans wurde zusehends ein Skelett, die Menge des dabei gewonnenen Fleischen jedoch (zart und schmackhaft) war enttäuschend. Ich hatte mit anderen Mengen gerechnet, mir war nicht klar, dass zu einer 5 Kilo Gans etwa 1,5 Kilo flüssiges Fett und geschätzte 1,5 Kilo Skelett gehören, bleiben also 2 Kilo Fleisch, ein arg verrutschtes Preis-Leistungsverhältnis. Ich werde nie wieder ganze Tiere zubereiten. Ich esse eh kaum noch Fleisch, und mir hat überhaupt nicht gefallen, diese massive Leiche zwei Tage im Kühlschrank aufzubewahren.


22:42

ich bin das licht der verzweifelten
das herz der herzlosen
ich bin der verstand der dummen
und kann doch nicht helfen
nicht einmal mir....


Mi 26.12.18 9:02 bewölkt, feucht

Nassforsches Grau am zweiten Tag dieses Festes, das Geld in die Kassen spült und Verzweiflung in die Herzen. Ich werde den Tag mit dem Verzehren verschiedenster Speisen (kalorienkontrolliert), Verbrennen babylonischer Substanzen, Entschlüsseln lateinischer Schriftzeichen, Produzieren von Text und Musik und immer wieder mit dem Hadern über Frauen verbringen, die glauben, sie müssten Männer erziehen, und dabei mir auf die Eier und ihren Müttern auf den Leim gehen. Ich werde sie verfluchen, ihnen kalten Stahl in den Leib treiben, um ihnen im nächsten Augenblick den Hof zu machen. Höhepunkt des Tages (gefährlich, so etwas zu prognostizieren) könnte das Schreiten in mehr oder minder körperlicher Nähe mit Frauen zu argentinischer Musik werden. Das Gegenteil ist dem Leben allerdings inhärent, deshalb lache ich lieber und freue mich. Mein Leben ist gut, ihr Sesselfurzer. (Randy Newman)


Fr 28.12.18 16:31 grau, bis auf die Knochen kalt

Schleichend geht der Verfall, und da niemand sich kümmert, der mit Liebe bei der Sache ist, wird auch niemand ihn stoppen können. Mir war heute mittag kurz nach so einem Versuch, ich dachte, ich fahre an die nächste Tankstelle und spritze meine Kutsche sauber, denn man will doch in einer sauberen Kutsche sitzen, man sitzt darin doch der Nostalgie wegen, und vielleicht auch, weil man fortschrittlich ist und sich der Klimabilanz verpflichtet fühlt, aber wenn Ecken abgestoßen sind und das Verdeck verspritzt ist, wenn alles nur von weitem schön und gut aussieht, ist das dem Geschäft abträglich. Die Tankstelle, die ich anfuhr, hatte keine Reinigungsanlage, also wird alles weiter so sein, wie es ist, hier wird etwas rappeln und dort, und der, der das ganze initiiert hat, wird feststellen müssen, dass sich seine Gründungsidee, eine gute Idee, wie ich finde, langsam in Einzelteile zerlegt. Das wäre schade.


Sa 29.12.18 12:45 grau, feucht

A. hatte mir von den Intrigen erzählt, vom Mobben in der Tangoszene. Ich hatte ihr nicht geglaubt. Mir schien, sie bilde sich das ein, denn bei ihr stehen die Männer Schlange. Gestern war zum ersten Mal seit langem in der Roten Lola, um Salsa zu tanzen. B. war da, der eine Therapeutenausbildung in Süddeutschland macht und nur zu Festtagen oder zwischen den Jahren hier auftaucht. Er hat früher Tango getanzt und sich aus der Szene zurückgezogen. Die Szene sei geradezu klatschsüchtig, Ruckzuck sei man unten durch, weggemobbt, sagte er. Und fang niemals etwas mit den Frauen an. Noch schlimmer sei es für Frauen, die etwas mit Männern anfingen. Von wegen Emanzipation! Hahnen- und Zickentänze. Langsam begreife ich, wovon A. spricht. Never fuck inside the company. Einen Teufel werde ich tun.

15:44

Die Zeugen sind unterwegs. Vielleicht denken sie, so kurz nach dem Fest und vor dem Jahreswechsel sind die Menschen in tiefen Sinnkrisen, da greifen wir zu. Da mein Name und Klingelknopf zuunterst in einer aufsteigenden Reihe von 6 anderen steht, klingelt jeder Hornochse bei mir. Gegen halb elf heute also eine schätzungsweise 40jährige blonde Kurzhaarige, dezent gekleidet, großen braunen Schal, in ihrem Gefolge aber, ihr vorweg gehend, mich auf der Stelle mit einem Flyer angehend, ein vielleicht zwölfjähriges, indischstämmiges Mädchen mit großen weißen Zähnen, schüchternd lächelnd. Ach, sage ich. Sie sind Zeugen, richtig? Ja. Ich erkläre ihnen, was ich den Zeugen immer erkläre, und füge hinzu, dass ich es unseriös und nicht fair finde, mit Kindern auf Seelenfang zu gehen, damit sie die Erwachsenen mit ihrem süßen Kleinmädchencharme mundtot machen. Nein, nein, sagt die Blonde, das habe das Mädchen selbst gewollt, die Zeugen zwängen niemand. Das glaube ich nicht.


So. 30.12.18 21:01

gegenbenenfalls
wäre ein gedicht eine antwort
auf die herrschende zustände
aber die herrschenden zustände
haben kein gedicht verdient
die herrschenden zustände
verdienen ein sofortiges ende


Mo 31.12.18 12:53 feucht, grau

Wenn ich abwäge, was größeren Spaß macht, Romane schreiben, oder Klavier spielen, fällt die Wahl aufs Klavierspielen. Romane schreiben bekommt mir nicht. Ich schlafe schlecht, mein Herz poltert, ich denke an nichts anderes. Nun habe ich schon fast 20 Seiten eines Romanes geschrieben, aber ich bezweifle, ob ich weitermache. Ob ich mir das noch einmal antun soll. Wenn, dann nur der Freude wegen. Was die Verwertung anlangt, bin ich eh auf verlorenem Posten. Villeicht sollte ich mich mit meinem Fotoapparat unter Menschen gehen.