Februar 2009                                      www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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So 1.02.09    11:05

Der Nachbar kratzt seit Stunden Teppichboden. Der Muslim plant Anschläge. Der oberste Katholik dreht durch. Die Juden sind unschuldig und haben Recht. Die Banken sind gut, nicht schlecht, wie man meinen könnte. Alle haben Asse in der Hinterhand, nur ich nicht. Ich kann nichts tun. Ich bin von Wahnsinnigen umringt.

15:39

Immerhin, die Pferde auf Lütke Brintrups Weide lieben uns noch.

 

Mo 2.02.09   11:32

Es ist über alle Maßen entsetzlich, ich zu sein. (A. Schmid: Aus dem Leben eines Fauns)


Di 3.02.09   8:41

Die Höhlenschläfer leben gesünder, las ich. Ich wäre auch gerne einer, gehöre aber zur Spezies der Auch-nachts-Denkenden, was sehr ungesund ist. Da könnte man besser saufen und rauchen.

13:17

Schuhte schlitt auf den Rieselfeldern. Betrat das Eis aber erst nach Rücksprache mit einer sehr eleganten Dame, die gerade vom Eis kam und mir versicherte, dass es zwar hier und da knacke, aber das tue es ja immer irgendwie.

Die Rieselfelder sind nirgendwo tiefer als 50 cm, also fuhr ich. Wurde von Störchen beobachtet und von Canada-Gänsen in Formation überflogen. Vergaß meine Sorgen für ca. 15 Minuten. Danach war ich erschöpft und die Sorgen kamen zurück.

Die Hose, die ich mir anschließend kaufen wollte (die Kleiderfrage für meine Lesung in Wien ist noch nicht geklärt), war zu eng. Möglich auch, dass ich zu dick war, ich weiß es nicht. Jedenfalls werde ich den Rest des Tages wieder mit Sorgen verbringen. Und die Idee, die ich heute früh hatte, werde ich ein wenig von allen Seiten betrachten.

16:36

Ich trenne mich. Ich trenne mich von meinem grauen, braunen, meinem grünen und meinem sandfarbenen Anzug. Ich trenne mich von Hosen, Hemden, Pullovern. Und warum? Darum.

 

Mi 4.02.09   18:03

Das Finanzamt mahnt. Zwei Lesungen verkauft. Schlechte Nachrichten. Anstrengend schöner Tag schließlich doch. Und warum? Darum. Ficken, Fressen, Saufen, mehr wird nicht bleiben, wenn alles kollabiert.

20:58

Ich liege fotografiert vor mir auf dem Schreibtisch. Ich schaue mich an. Er schaut zurück. Guter Plan, deinen Roman mitten in die Weltwirtschaftskrise zu platzieren, sagt er, als wolle er sich nichts gefallen lassen. Gab schon Schlimmeres, sage ich.

Bitte umblättern, sagt er. Ich blättere um.

Alles ist unheimlich leicht, steht da. Wenn alles unheimlich leicht ist, denke ich, ist es gefährlich. Siehst du, sagt er. Meine Rede. Aber diesmal gewinnst du. Ich glaube auch, sage ich. Aber es wird nicht leicht, sagt er. Das weiß ich, sage ich. Aber ich bin ja nicht allein. Ich habe eine Frau. Ich habe zwei Söhne und eine Schwiegertochter. Und eine Katze, sagt er. Ja, eine schöne Katze. Weise und erhaben. Schwafel nicht, sagt er.

21:32

Die Südseesau ist dunkelblond
und lebt auf engstem Raum
sie träumt so gern vom Nordseemond
von Schnee und Tannenbaum


Do 5.02.09   13:01

Mein Sohn, du wirst nie jemanden auf den rechten Pfad leiten, den du liebst, aber Gott wird auf den rechten Pfad leiten, wen er will. (Alaa al-Aswani, Der Jakubijan Bau, Roman, Lenos Verlag 2007)

14:44

Keinen Plan, keine Idee, Mensing, was kann ich für Sie tun?

17:02

Ich werbe für meinen Roman. Ich schreibe Briefe. Vorhin habe ich eine E-Mail geschrieben. Als Anhang hatte ich ein Foto gewählt. Die Mail ging mit Blindkopien an weit über 100 Adressaten. Aber kaum hatte ich auf Senden geklickt, wusste ich, dass etwas falsch war und schrie. Das angehängte Foto war nicht das Coverfoto des Romans, sondern das eines kindsgroßen Gartenzwerges, das ich einmal für eine Spielerei eines Romancovers genutzt hatte, als ich noch gar keinen Verlag für das Buch hatte.

Shit happens. Aber gleich darauf kam Entwarnung. Ich hatte wohl auf das falsche Zeichen geklickt, denn der Brief war im Papierkorb gelandet. Allerdings waren die ersten zehn Mails, die ich aus Versehen mit dem direkten Versandstatus An ... versehen hatte, trotzdem verschickt worden.

17:09

Frühlingsluft ...


Fr 6.02.09
  9:53

Es wird frisch, aber ich muss an die Luft, ich habe den ganzen Winter vor diesem Schreibtisch gesessen und mir den Kopf demoliert. Ich muss raus, aufs Fahrrad, ich muss weg, das Land sehen, die Luft spüren, kalte Hände bekommen, mir vormachen, ich sei vollwertiges Mitglied einer Gesellschaft, in der jeder es schaffen kann, der nicht selber denkt.

 

Sa 7.02.09   12:00

Der Dreibeinspringer hat es schwer
er kann kaum Schuhe finden
drum springt er selten hin und her
sitzt lieber unter Linden.

12:06

Ich mag nichts, augenblicklich. Vor allem nicht Schreiben. Bloß nicht schreiben, denn jedes Wort wird so oder so verstanden, selten richtig. Was ich gern täte, wäre Lesen. Aber bislang sieht es so aus, dass mein Kerngeschäft erst im März anspringt. Rezession? Nein, nein, die ersten beiden Monate des Jahres sind immer so. Vielleicht sollte ich analog zur Abwrackprämie auf einer Leseprämie bestehen.

Seit gestern blühen die ersten Schneeglöckchen. Die Winterlinge vom Nachbarn lassen noch auf sich warten. Aber alles in allem herrscht große Hoffnung.

Empfehlen möchte ich den Roman Der Jakubijan Bau von Alaa al-Aswani.

Wer verstehen möchte, in welch wirrem Fahrwasser sich ein moderner afrikanisch/arabischer Staat befindet (Ägypten), wie er hineingeraten ist und sich die Gesellschaft zu dem entwickelt hat, was sie heute ist, wer wissen will, wie es kommt, dass ein moderner, aufgeschlossener junger Ägypter zu den Muslimbrüdern wechselt und den Märtyrertod sterben will, wer diese und die Geschichten 10 weiterer Protagonisten erfahren will, Geschichten von hoher emotionaler Dichte, sollte dieses Buch lesen. Es ist 2007 im Lenos Verlag, Basel erschienen.


So 8.02.09   10:11

In einer Gesellschaft, die sich auf die Macht des Geldes gründet, in einer Gesellschaft, in der die Massen der Werktätigen ein Bettlerdasein und das Häuflein Reicher ein Schmarotzerleben führen, kann es keine reale und wirkliche 'Freiheit' geben. Herr Schriftsteller, sind Sie frei von Ihrem bürgerlichen Verleger? (Lenin: Parteiorganisation und Pateiliteratur)

14:39

Vielleicht fragen Sie sich, woher Herr Mensing das weiß. Er weiß das gar nicht. Er zitiert nur. Er zitiert, weil er es passend findet. Er zitiert einen Artikel der FAZ. Sonst weiß er kaum mehr über Lenin, als alle anderen. Er war nie links. Er hatte nie mehr als eine Ahnung von den komplexen Strukturen einer sozialistischen Gesellschaft, er hat deren Schriften nicht gelesen, sieht man von der Mao Fibel ab, die er an Hyde Parker Corner kaufte, 67, aber die hat er auch nicht gelesen, sondern nur eine Weile besessen.

Er trug damals einen Kaftan aus der Carnaby Street und nahm an, ein Hippie zu sein.

Von der Rückkehr in seine Heimatstadt wird noch heute erzählt.
Wie er da im Kaftan vor der katholischen Kirche gestanden habe, blond, braungebrannt, milchbärtig, zerrissen, Pfeife rauchend, wie er da gestanden habe, sich den Blicken aussetzend und stolz darauf, dass ihn niemand verstand und ein paar ihn bewunderten.

Ist das der Mensing???

Ja.

Herr Mensing erinnert sich mit großer Freude.
An diesem Ort, Gronau/Westfalen, August, freitags kurz nach Mittag, war es fast glaubhaft, dass die Welt veränderbar ist. Es war greifbar, aber niemand griff zu und als zugegriffen wurde, floss Blut und mit Blut verändert man nie zum Guten.

14:55

Das war das Wort zum Sonntag.


Mo 9.02.09   11:37

Das Kind war Legastheniker. Schicken Sie es mal zur Hauptschule, hatten die Grundschullehrer gesagt. Da ist es gut aufgehoben. Aber das Kind, sagte die Mutter, das Kind sei klug gewesen, sehr klug sogar, aber davon hätten die Grundschullehrer nichts hören wollen. Es kann ja nicht mal richtig schreiben, habe es geheißen. Wie soll das denn gehen?

Schließlich habe das Kind doch Abitur gemacht. Das wäre nicht einfach gewesen, aber es habe es geschaft, und dann habe es, weil es Medizin studieren wollte, überall versucht, einen Platz zu bekommen. Dabei sei es auf ein Programm der Universtität Wien gestoßen, das es Legasthenikern erlaubt, Prüfungen mündlich abzulegen. Und dort habe es schließlich eines der besten Examen abgelegt.


Di 10.02.09 9:54

Betr.: Stelle als Bundesminister für Wirtschaft und Technologie

Sehr geehrte Frau Bundeskanzler/In Merkel,

nun sind Sie mir doch zuvorgekommen, schade.
Ich hatte mich nämlich bewerben wollen auf Ihre Annonce.

Ich bin fast sechzig, habe in den letzten dreißig Jahren ein kleines, familien-orientiertes Unternehmen geführt, das auch mitten in der weltweiten Finanzkrise noch schuldenfrei dasteht und somit bewegungsfähig in jede Richtung ist.

Ich habe darüber hinaus Romane für Kinder und Jugendliche geschrieben, könnte also jederzeit Reden halten, deren Diktion und tiefe Wahrheit dem zuhörenden Publikum erst nach einiger Bedenkzeit aufgehen würde, was uns, liebe Frau Bundeskanzler/In, Ihnen, Ihrer Regierung und mir als Bundesminister für Wirtschaft und Technologie immer ein wenig Vorsprung sicherte vor der Meute.

Aber wie gesagt, Sie haben sich anders entschieden. Offensichtlich haben ihre Koalitionsfreunde aus Bayern das Recht, Sie an der Nase herumzuführen, daher ziehe ich meine Bewerbung zurück. Ich werde die Entwicklung als Zaungast verfolgen und erleben, wie kurz so eine Amtszeit in Zeiten wie diesen sein kann.

Lassen Sie mich zu Ende kommen, liebe Frau Bundeskanzler/In und Ihnen noch Folgendes mit auf den Weg geben: es gibt in der Bevölkerung nur wenige Menschen, die den Adel lieben. Die meisten Nichtadeligen glauben, dass diese über die Jahrhunderte durch Inzucht, Machtgeilheit und Raffsucht über alle Gesetze sich hinwegsetzende Spezies höchstens zur Unterhaltung in der Regenbogenpresse taugt, ganz sicher aber nicht zum Bundesminister für Wirtschaft und Technologie.

PS. Man hört, Karl Theodor könne gut Englisch ...


Ich verbleibe hochachtungsvoll und mit Grüßen für den Neuen ...

17:21

Personenbeschreibung: etwa 175 groß, weiblich, Ende zwanzig. Spindeldürr. Die Haare dunkelbraun, eine Jungenfrisur mit angedeutetem Scheitel, längerer Strähne, die auf die Stirn fällt, hinten wie mit der Heckenschere beschnitten. Taillierter, sandfarbener Mantel. Jeans. Graue Stiefel. Eine Umhängetasche aus wuscheligem Kunstpelz, bordeaurot, daran ein kleiner Teddy. Kleiner glänzender Funkelstein auf dem linken Nasenflügel. Gepiercte Unterlippe. Schmale Hände, Fingernägel lila-schwarz. Eindruck: intelligent, hat bessere Tage gesehen, fühlt sich abgehängt.

Sie hat eingekauft.
Zwei Flaschen Schlösser Pils, ein Paket geschnittener Gouda. Als sich für den Kunden vor ihr das Rollgitter vor den Tabakwaren hebt, greift sie sich eine Packung Billigzigaretten. Legt sie aufs Band, nimmt das Paket Käse, hält es unschlüssig ein paar leise gemurmelte Erörterungen mit sich selbst und legt es vom Band auf den zu Ende davor stehenden Stapel Überraschungseier. Ich überlege, ob ich ihr den Käse bezahlen soll. Zögere, will ihr nicht zu nahe treten, lasse es.

20:38

Herr Mensing übt seinen neuen Roman ...


Mi 11.02.09   10:31

Jetzt patroullieren sie schon durch die Straßen und stellen Ordnungswidrigkeiten fest, so schlecht steht es um ihre Zahlungsunfähigkeit. Sie haben nichts mehr außer Schulden. Und da denken sie natürlich, guck, da steht ein PKW, dessen Abgasuntersuchung seit drei Monaten fällig ist, der muss bluten.

Sagt jedenfalls der Zeuge B. und notiert sich alles. Dann gibt er das weiter und vom Ordnungsamt kommt ein Brief. Ein Herr W. schreibt im Auftrag und jetzt heißt es, Zahlemann und Söhne, 15 Euro, die das Staatsdefizit verringern, mal davon abgesehen, dass ich ja auch Gutes tue für die Umwelt, weil - jetzt lasse ich die Abgasuntersuchung ja nachmachen und dann fahre ich wieder herum durch diese Umwelt und stinke genau wie vorher, nur mit Plakette.

Das beruhigt ungemein und ich sehe die blühenden Landschaften, die ich mit jedem gefahrenen Kilometer rette, schon vor mir, wie sie da liegen und blühen und reiche Ernte tragen, und ich, der ich gerührt herumfahre und denke, das alles habe ja ich gerettet, das kommt nur von meinen 15 Euro.

Ich beginne überwältigt in mich hinein zu weinen, erst eine Träne, dann zwei, dann einen ganzen Bach, denn jetzt ist mir eingefallen, dass ich ja auch Vollweise bin und Opa werde, dass mein jüngster Sohn immer noch keine Arbeit gefunden hat und dass mein nächster Roman in zwei Wochen auf den Mark geworfen wird und man nachts, wenn es ganz still ist, schon das Messerwetzen hören kann.

Gestern abend bin ich zu meiner eigenen Überraschung doch zur Session gefahren. Die Erkenntnis lautet: Herr M. kann es noch. Sie lautet aber auch: Herr M. konnte es noch nie, denn er hat diesen Impuls, immer alles anders machen zu wollen, ganz gleich, was kommt, Hauptsache, es ist auf eigenem Mist gewachsen, und da gucken die Jazzer schon manchmal komisch, denn sie haben das ja anders gelernt. Man sollte Herrn M. das einfach verbieten, basta. Nur noch diplomierte Musiker sollten Jazz spielen dürfen, wie damals in der DDR, als man für alles einen Berechtigungsschein brauchte, einen Jazz-Berechtigungsschein, der alle zwei Jahre zu erneuern ist, indem man eine Eignungsprüfung ablegt. Drei Standards, auswendig. Stempel drauf. Fertig. Wieder bereit für die Jazz-Industrie, die gern gähnend langweilig ist.


Do 12.02.09   12:58

Noch weiß ich nicht, auf welche Boden die Sätze fallen, die ich gestern gelesen habe. Noch übe ich ja, und mit jedem Satz steigt die Spannung. Bei meinen Romanen für Kinder war das von Buch zu Buch unterschiedlich. Eh ich wusste, wie mit Voll die Meise umzugehen war, hat es gut zwei Jahre gebraucht, mit dem Vampir Programm bin ich immer noch nicht im Reinen. Jetzt also Pop Life. Die Devise wird sein: langsam, Hermann. Aber als Erkenntnis bleibt schon jetzt, was für all meine Arbeiten gilt: ich werde das Buch nie als Leser erfahren können. Als Interpret mag ich näher dran sein als andere, aber auch das kann täuschen, manchmal ist der Sprecher der kompetentere Interpret, vielleicht, weil er über die bessere Sprechtechnik verfügt, vielleicht aber auch nur, weil er nicht lispelt wie ich und ein mikrofon-wirksameres Timbre hat.

16:43

Darwin hat Geburtstag und die Rundschau konstatiert, dass es noch immer Menschen gibt, die nicht an die Verwandtschaft zwischen Zwergplumpori und Mensch glauben. Well well well, sage ich da, ich bin lieber mit dem zwergplumpori verwandt, als mit, sagen wir, Berlusconi.


Fr 13.02.09   9:18

Herr M. kennt sich nur zu gut. Sobald ein Fotoapparat auftaucht, versteinert er.
Gestern dachte er, wie wäre es, wenn er in Anbetracht des von ihm erwarteten Auflaufes in Leipzig, Wien und sonstwo einmal ein wenig übte, sein Gesicht durch Manipulation aller Gesichtsmuskeln von dem ihm oft unansehnlichen Gesichtsausdruck zu befreien.

 

 

Dies sind nur vier Versuche.
Die Frage ist nun, lächelt er wirklich oder ist alles ein Fake.
Antworten gern an die bekannte Adresse.

11:50

Das Geräusch war über mir. Es war in geringer Höhe, es war ein Flugzeug, und da es ein Flugzeug war, war es viel zu tief, also war es ein Flugzeug, das abstürzt, und da ich unter ihm war, war klar, dass es mich nicht träfe, sondern ungefähr in Höhe des alten Sportplatzes an der Tilbecker Straße aufschlagen würde. Dann kam dieser riesige Trecker heran, er fuhr auf der Piners-Allee dorfeinwärts, und dann war natürlich klar, dass nirgendwo ein Flugzeug abstürzt, sondern dass es sich um ein akustisches Phänomen gehandelt hatte, eine Täuschung, Schallwellen, die sich in Anbetracht der besonderen Druckverhältnisse so ausgebreitet hatten, dass sie mir obiges suggerierten. War gleichzeitig froh und enttäuscht, weil - wann erlebt man schon mal einen Flugzeugabsturz gleich nebenan.

 

Sa 14.02.09   17:46

Überall Frühling heute, allerdings noch getarnt unter Schneeflecken und kaltem, hinter Ecken vorspringendem Wind. Feste gefeiert. Daher den Tag mehr oder weniger verschlafen.


So 15.02.09   12:01

In der Freitagszeitung hatte ich die Vorankündigung für ein Theaterstück gelesen, das mich interessiert, parallel dazu hatte Frau M. davon gesprochen, sodass klar war, dass wir uns das Stück anschauen wollten. Die unter der Vorankündigung in der Zeitung stehenden Termine, der 14, 15, 17 und 18 passten ins Februarschema, also der 14., schlug ich vor, und Frau M. war einverstanden. Dass in der Zeitung März gestanden hatte, hatte ich überlesen. Nun saßen wir im Pumpenhaus und begannen uns zu wundern. Und nach und nach wurde klar, dass wir falsch waren.

Mausoleum Buffo

Bini Adamczak sucht das Trümmerfeld der Geschichte nach den revolutionären Wünschen ab, die darunter begraben liegen. Aber es gibt keinen unbeschadeten Zugriff auf die vergessenen Träume. Der Weg zu den vergangenen Hoffnungen führt über deren Enttäuschung, über das doppelte Scheitern der russischen Revolution, das unbewältigt noch immer anhält. Die bergende Arbeit an der
Geschichte ist somit eine Arbeit der Trauer, eine Trauerpolitik, die die Autorin einfordert und zugleich performativ vollzieht. Sie birgt eine vergangene Zukunft, die Gegenwart hätte sein können und Zukunft sein kann: "gestern morgen".

Mausoleum Buffo ist der dritte und letzte Teil einer Trilogie des Wiedersehens mit dem 20. Jahrhundert, die international für Furore sorgte und mit little red (play): 'herstory' im Herbst 2006 begann und uns im Herbst 2007 ins All entführte in die Time Republic. „…back in U.S., back in the U.S., back in the U.S.S.R...” sangen einst die Beatles und so bewegen sich die Temponauten des Performancekollektivs andcompany&Co. auf Lenins Spuren durch die Zeit: Ein Schritt voran, zwei Schritte zurück in eine vergangene Zukunft. Der „Clinch von Revolution und Konterrevolution“ (Heiner Müller) wird zur innigen Umarmung zweier Superhelden: Lenin & Lennon. Das Märchen von der eingefrorenen Revolution (Lenis hundertjähriger Schlaf) spielt sich auf der andern Seite des Spiegels ab, als sich im Westen der Personenkult in Pop-Kultur verwandelte. Wird „Schneewittchen Lenin“ eines Tages erwachen und seinen gläsernen Sarg verlassen oder strawberry fields forever?

"Doch der Abend besticht durch seinen szenischen Einfallsreichtum, er besitzt einen ungeheuren Charme, der sich sowohl aus einem intellektuellen Basteltrieb wie aus einer kindergeburtstagsartigen Lustigkeit.

Das hört sich interessant an, ist aber nichts als ein Aufguss aus DADA, Agit-Prop und Kasperltheater, der Avantgarde vortäuscht. Ich fand es weder lustig noch charmant, ich fand es öde und arm an Geschichte, fand, dass zu viele Namen rezitiert wurden, Namen, die nicht in einem Atemzug miteinander genannt werden können, Ulrike Meinhoff und John Lennon etwa. Das hat mich angepisst. Das Stück war allerdings reich an Fantasie, aber Fantasie ersetzt nie die erzählte Geschichte. Ich bin, was Fantasie angeht, sehr zurückhaltend. Meistens empfinde ich Fantasie als Fluchtversuch. Warscheinlich auch eine Altersfrage.

14:48

Geil, mein Regisseur liebt mich ...

so. hallo hermann,

jetzt ganz viel auf einmal. am wochenende hat man endlich zeit. anbei
eine zip datei mit drehbuchformatvorlagen für word. ich habe die schon
mal so eingestellt, damit sie aussehen, wie in der umformatierten
fassung von s13. wäre cool, wenn du die verwenden könntest. ist eine
anleitung dabei. ich habe ein paar der formate auf die tasten alt-1, -2
und -3 gelegt. in der beigelegten fassung sind die formatvorlagen schon
drin, kannst ja mal ein bisschen rumspielen. die szenennummern läßt man
normalerweise weg, aber ich finde, sie erleichtern die kommunikation.
und du siehst, ich habe alles nach dem schema innen/aussen, tag/nacht
umgestellt. zur sackgasse selbst: daß wir am thema noch feilen könnten,
um das buch besser zu machen, habe ich ja schon mal geschrieben. das
beste an der fassung aber ist: der drehbuchautor hermann mensing.
bis auf die paar formulierungen (s. ganz u.) war das eine feuertaufe.
ist das echt das erste drehbuch, daß du geschrieben hast?
hoffentlich nicht das letzte.

als beispiel für geiles:
---
"Mama kocht Kaffee. Sie steht beim Herd. Sie telefoniert. Von unten
hallen heftige Hammerschläge durchs Haus.
MAMA
Hmm – ja – ja schon, aber es ist bezahlbar, weißt du. Und es ist ja auch
ein wunderbares Haus. – Ach – Blödsinn - du bist doch bloß neidisch –
komm doch mal vorbei, wir würden uns freuen.
Der Kaffee kocht."

der kaffe kocht und beschließt die szene. elegant.
---
"Die Kamera tastet sich durch das Dunkel. Als erstes findet sie die
beiden roten Kontroll-Leuchten der Heizung. Dann irrt sie einen
Augenblick durch das Dunkel, bis sie einen Schatten findet.
Die Füße zuerst, also weiß man, da ist nichts Schlimmes, wir hören, das
jemand angestrengt atmet, schnauft vielleicht, dann fällt ein Werkzeug
herunter, es fällt direkt neben die Füße, jemand beugt sich herab, nimmt
es auf."

da seh ich schon den film vor mir, alter!
---
"Wir sehen Papa. Er schläft tief und fest, aber plötzlich, als würde ein
Ruck durch seinen Körper fahren, öffnen sich seine Augen. Er starrt ins
Dunkel. Wir sehen seinen Arm unter der Bettdecke hervorkommen, suchend,
wir sehen, wie sich seine Hand um den Griff eines Baseballschlägers legt."

yeah!
---
"Allgemeines Schniefen und Schnaufen. Nur Tim ist wach. Leuchtet mit
seiner Taschenlampe zum Fenster. Es schneit schon wieder oder immer
noch. Dicke weiße Flocken tanzen im Lichtkegel."

was für ein moment
---
uvam.


aber (beispielsweise):
---
aus "EIN ARZT" wird beim dialog: "ARZT"
---
aus
"Während die Kamera auf Tims Gesicht bleibt, ein bleiches Gesicht, sagt
Mama im Off:
Er hat gesprochen!!!"
wird
"Während die Kamera auf Tims Gesicht bleibt, ein bleiches Gesicht, sagt Mama
MAMA
(off)
Er hat gesprochen!!!"

überhaupt weniger, "sagen", "rufen" etc und weniger pünktchen,
gegen ende lagen ÜBERALL diese pünktchen herum ... .
---
aus "krankenhaus früher morgen" wird "krankenhaus aussen/tag"
---
unverfilmbare sätze sind:
"Emily telefoniert. Sie lädt alle möglichen Leute auf ihre Spukparty ein."

"wir hören die trotz allem merkwürdige Ruhe, die diesem Haus auch eigen
ist, und mit den Augen der Kamera, die uns Bilder liefert, die dieses
Haus in Zweifel ziehen, beginnen wir zu begreifen, dass hier tatsächlich
etwas grundsätzlich nicht so ist, wie es sein sollte."

"Kerzen brennen. Nach überstandenem Abenteuer sitzen alle herum. Wärmen
sich über Kerzenlicht. Etc."

etc? 'der film ist eigentlich schon um. wir brauchen aber noch ein
bisschen entspannung, etc.'
etc? ;)
---

habe eine weitere version des endes geschrieben.
ließ szene 276 und dann alles ab 363.
freue mich auf die weitere zusammenarbeit

sei viel gegrüßt aus münchen
andreas


Mo 16.02.09   10:22


Vor mir eine große, kräftige Japanerin mit ihrer Tochter im Gespräch über Überraschungseier. Ich kenne sie vom Ansehen. Sie hat einen noch kräftigeren Mann, einen eingeborenen Westfalen. Sie sieht zwar wie eine Japanerin aus, spricht jedoch Deutsch ohne jeden Akzent. Vielleicht ist sie auch eine Chinesin, so etwas weiß man als Mitteleuropäer ja nie. Da fehlt einem der Blick, das einzige Indiz ist die fehlende Lidfalte und das blauschwarze Haar. Wunderschönes Haar.

Egal, jedenfalls steht sie mit prallvollem Einkaufswagen vor mir in der Kassenschlange, während ich nur ein Paket Waschpulver gekauft habe. Die Mutter diskutiert noch immer mit ihrer Tochter. Ich frage, ob es in Ordnung wäre, mit meinem Waschpulver vorzugehen. Sie nickt. Ich bedanke mich.

Das gesamte Rollband ist voller Waren. Ganz vorn ein Großeinkauf. Direkt vor mir jetzt ein Mann meines Alters. Er hat vorgesorgt. Zwei Flaschen Billigsekt. Eine Flasche Billig-Kräuterbitter. Ein Paket mit fünf Fläschchen Billigkräuterbitter. Ein Paket Käse-Würfel.

Als er an die Reihe kommt, vergisst die Kassiererin seine Käse-Würfel. Ich weise sie darauf hin. Die Kassierin und der Kunde sprechen vertraut miteinander. Ossis, denke ich. Dann bin ich dran. Ich zahle. Der Mann mit dem Alkohol verstaut seine Waren in eine Einkaufstasche. Das waren Mark Brandenburger unter sich, wie? sage ich zu dem Mann.
Der Mann schaut ein wenig misstrauisch auf. Wahrscheinlich denkt er, da hat mich einer als Ossi erwischt. Aber ich will ihm ja gar nichts. Ich will nur, dass er bestätigt, was ich glaube, gehört zu haben. Den eindeutigen Dialekt der Mark Brandenburger. Ja, ja, sagt er jetzt, ich bin aus Frankfurt Oder hergezogen, sie kommt aus Forst, ist gleich nebenan. Sein Misstrauen weicht. Wir wünschen uns einen schönen Tag. Armer Mann, denke ich. Ein Leben gelebt und nichts davon stimmte.


Di 17.02.09
  15:22

Gestern haben sie es wieder getan. Sie haben um 17:00 Uhr angefangen und um 2:30 aufgehört. Alle Stunde sagte der Millionär: Radau machen? Dann nickten die übrigen drei und gingen zu ihren Instrumenten. Kein Stück war kürzer als 30 Minuten. Manches war gar kein Stück, es blieb Radau. Anderes zerbrach in Gelächter. Eh sie ins Bett gingen, verabredeten sie, dass sie es wieder tun würden. Nur wann weiß noch keiner. Sicher aber in diesem Jahr.

18:02

Großartige Ideen befeuern die Bundesregierung im Kampf gegen die weltweite Rezession. Nachdem die Abwrackprämie schon für Furore gesorgt hat, legt nun Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen mit einem staatlichen Bonus für In-Vitro-Fertilisation nach, um die Geburtenzahl hochzutreiben. Bravo, möchte man rufen und ruft man auch: BRAVO.

Noch geheim, aber unter Insidern bereits heiß diskutiert, wird die dritte Stufe des Konjunkturpaketes unserer weisen, großen Koalition: Bundesgesundheitsministerin Ullalala Schmidt will jedem, der den Arsch vor Erreichung des Rentenalters zusammenkneift, ebenfalls eine staatliche Prämie anbieten. Man ist sich allerdings noch uneins über den Namen dieser konjunkturellen Maßnahme. Euthanasie scheidet aus, Abwrackprämie ebenso, aber man diskutiert kontrovers und ist, wie man hört, auf gutem Weg. Da darf das Frühjahr nicht nachstehen und befördert die ersten Krokusse über Tage.


Mi 18.02.09
   13:01

I' m big in Japan ....


14:34

Stadtwohnung - Innen - Tag

Ein älterer Mann geht durch einen Flur, öffnet die Tür zum Wandschrank, verschwindet mit dem Oberkörper darin, gebückt zerrt er einen Staubsauger heraus, dabei fällt eine Maschinenpistole herunter. Er hebt sie auf, hängt sie an einen Haken, schiebt den Staubsauger mit dem Fuß zur Flurmitte, beugt sich hinab, zieht die Verlängerungsschnüre aus dem Staubsaugergehäuse, nimmt den Stecker, geht in ein Zimmer, steckt den Stecker in eine Steckdose, kehrt zum Staubsauger zurück, tritt mit dem Fuß auf den Startknopf und saugt Staub.

voiceover

Der Hund raunzte mich an.
Ich muss in Gedanken gewesen sein, dass ich nicht gemerkt habe, wie er sich herangeschlichen hat. Nun sah ich auf und da stand er. Schwarz wie die schwärzeste Nacht. Halb dies, halb das und sehr groß. Obwohl er mich mit scharfem Blick fixierte, die Zähne bleckte und versuchte, böse auszusehen, gefiel er mir. 

Wald - Aussen - Tag

Mann
Lass mich in Ruhe, kapiert?"

Der Hund legt den Kopf schräg. Der Mann streckt ihm zur Bestätigung seiner friedlichen Absichten die Hand hin. Die gesträubten Nackenhaare legten sich. Der Hund riecht an der Hand. Dann dreht er ein wenig hochmütig ab und pinkelt an den nächsten Baum. 

 

Wald - Aussen - Tag

Der Hund hat zuende gepinkelt, geht ein paar Schritt und schaut den Mann an. Der Mann pinkelt ebenfalls gegen den Baum und entfernt sich langsam. Der Hund stutzt, wartet, bis der Mann ein paar Schritt weg ist, setzt noch einen Strahl drauf und verschwindet.

Stadt - Aussen - Tag

Derselbe Mann biegt um eine Ecke und betritt einen Supermarkt.


Supermarkt - Innen - Tag

Kinder fummeln an Osterhasen herum. Knibbeln Papier auf. Drücken Schokolade ein. Der Mann schaut erst auf die Kinder, dann zur Mutter. Missbilligend.


Do 19.02.09
  13:44

Landwohnung - Aussen - Tag

Ein anderer Mann, eine Wohnung auf dem Land. Auf einem Sofa vorm Fenster liegt dieser Mann und liest Zeitung. Er hat einen merkwürdigen Hut auf. Einen samtenen schwarzen Blumentopf mit Goldrand.


Auf dem Land - Aussen - Tag

Der erste Mann klopft ans Fenster


Landwohnung - Innen - Tag

Mann mit Hut
Ach du, warte, ich mach' auf.

Steht auf und geht zur Haustür.


Landwohnung - Innen - Tag

Der Mann mit Hut öffnet die Tür. Der andere Mann tritt ein. Ein Pudel taucht aus dem Dunkel des Zimmers auf und spring an dem anderen Mann hoch.

Mann mit Hut
Beachte ihn gar nicht.


Landwohnung - Innen - Tag

Die beiden Männer sitzen an einem kleinen Tisch. Teetassen stehen darauf.
Der andere Mann zieht einen Din-A-4 Briefumschlag aus der Innentasche seiner Jacke und legt ihn auf den Tisch, darauf steht ...

TOPSHOT

Deutsche Bank / Hypo Real Estate / Dresdener Bank


Landwohnung - Innen - Tag

Der andere Mann tippt auf den Briefumschlag.


Der Mann mit Hut
Wann?

Der andere Mann
So bald wie möglich.


Stadt -große Kreuzung - Aussen - Tag

Eine zerschossene Mercedes Limousine.
Der erste Mann und der große Hund gehen vorbei, bleiben stehen, werden von Polizisten schließlich gedrängt, weiterzugehen.


Fr 20.02.09
  12:09

Im Vergleich zur ersten Fullmoonsession wurde deutlich weniger gesungen, als die vier Herren sich letzten Montag zur zweiten Session in Überwasser trafen, um improvisierte Musik zu machen. Der Bassist hatte den großen Ofen beheizt, der Schlagzeuger hatte einen Kasten Krombacher mitgebracht, später kam noch ein würfelgroßes Stück Haschisch ins Spiel, eine Flasche Obstler war anwesend, tiefste Nacht draußen, Regen und Wind.

Erstes Stück gegen 17:00. Letztes Stück gegen 2:00 Uhr.

Kann man sich so etwas anhören? Ja, man kann, wenngleich natürlich vieles fehlt. Sie müssen sich vergegenwärtigen, dass diese vier Männer zwei Drittel ihres Lebens hinter sich haben. Was und ob es da noch etwas zu beweisen gibt, ist fraglich, wenngleich nicht ausgeschlossen. Gitarrist, Schlagzeuger und Keyboarder haben zwischen 1974 und 1976 in einer Band gespielt. Danach haben sich ihre Wege getrennt.

Dass sie sich jetzt wieder treffen, ist ein Glücksfall. In den Stunden ihres Zusammenseins feiern sie Heimat in einer unwirtlichen, abweisenden Welt. Sie wollen keine Zuschauer, keine Zuhörer, sie wollen nur mit sich und dem Augenblick allein sein und versuchen, daraus Musik zu machen. Es rumpelt und pfeift, es ist mal aufregend, mal langweilig, wichtig aber ist, dass es geschieht. Wichtig ist, dass keine Frauen anwesend sind, wichtig ist, dass nichts peinlich ist, wichtig ist, dass man über die Stränge schlagen kann, wenn man will und dass die anderen auf einen aufpassen.

Deshalb also die Fullmoonsession Nummer 2. Lied 5. Hier

16:03

Ereignislosigkeit. Müdigkeit. Lustlosigkeit.



Sa 21.02.09   13:35

Wer wissen möchte, was die Popkultur seit den 60igern aus vier lebensfrohen, mit im Vergleich zur Jetztzeit unvorstellbaren Möglichkeiten gesegneten jungen Menschen gemacht hat, ist herzlich eingeladen zu einem bunten Potpourri redundanter Melodien. Hier ...

14:48

Übrigens - redundant vernebelt so kultiviert, fragten Sie sich nicht auch gerade ....


So 22.02.09   13:19

Man kann nur stillhalten oder mitmachen. Mitmachen wäre lustig, verstieße aber gegen alle Prinzipien, denen man sich freiwillig unterworfen hat. Nie würde man dagegen verstoßen, das wäre Verrat, Sie verstehen. Stillhalten ist aber auch nicht einfach. Stillhalten heißt, man hört weg, man geht nicht hin, man schließt die Augen, während der Rest auf die Pauke haut.
Pech gehabt, denkt man, aber deshalb hat man Prinzipien. Bis an sein Lebensende kann man sie reiten und selbstgerecht daran verzweifeln.

Der Magen produziert zuviel Säure, man ist übermüdet, die klaffende Wunde, die man sich mit dem Opinell Messer gestern versehentlich beigebracht hat, verheilt gut, aber man hat Blut verloren, ja, ja, und so hockt man da, staunt, dass man sich den Daumen nicht abgeschnitten hat, überlegt, geht man jetzt ins Bett, geht man spazieren, nimmt man am Twitter Lyrik-Wettbewerb teil, trinkt man Kräutertee oder liest man weiter die Zeitung?

Man weiß es nicht.

Man weiß, dass man nichts weiß, und so hängt der Sonntag grau, feucht und schwer über der Balkonbrüstung. Wenn man nicht schon gestern so müde gewesen wäre, hätte man ins Sauerland fahren können, um Polynaike zu treffen, die Griechin, die mal Freundin des Neffen war, und, im Sauerland groß geworden, vor zehn oder fünfzehn Jahren zurück ging nach Griechenland.

Aber man war ja zu müde. Man ist zu müde. Man fragt sich, ob das schon immer so war oder nur mit dem Mangel an Licht zusammenhängt oder vielleicht auch damit, dass man es in den letzten vierzehn Tagen ein wenig zu toll getrieben hat. Ja, sagt man, daran wird es wohl liegen, und dann denkt man, dass es verdammt Zeit wird, mal wieder zu lesen, aufzutreten und zu spüren, dass man noch da ist.

Hier! ruft man, hier, und hätte natürlich Gedichte für Twitter, aber die behält man für sich. Man sagt sich, schaut doch unter Gedichte nach, dabei weiß man genau, dass 85 % aller Internetsurfer selten länger als 5 bis 30 Sekunden auf einer Seite bleiben. Gerade lang genug für 140 Zeichen, denkt man, vielleicht ist also was dran an der Twitterei?

Hype, sagt man, mehr nicht.
Also, worauf wartet man?
Los, aufs Sofa, Decke bis zum Kinn, ruhen.

16:37

Und dann geht die Frau auch noch mit meiner Schwester ins Kino. Was macht man denn nun? Schaut man die Wand an, sieht man fern, nimmt man das Opinell Messer und versucht es erneut? Fragen über Fragen, das verdammte ganze Leben lang und nicht eine verwertbare Antwort.


Mo 23.02.09   17:55

Wo die Heidewachtel Etzel mit ihrem Herrchen Heinz H. einst auf der Pirsch war, nicht weit von der sagenumwobenen Burg Haskenau, auf den seit Anfang des vorletzten Jahrhundert abgesickerten Fäkalien der Stadt Münster hinter den Müllbergen, parallel zum Kanal und nah der Ems gingen wir heute spazieren, beobachteten Kanadagänse und Schwäne, Enten verschiedener Art, Möwen und Kormorane, um anschließend in der Gaststätte Deutscher Herd drei karnevalsflüchtige Kölner zu treffen, die sich über die Urlaubspläne zwischen Weihnachten und Neujahr dieses Jahr unterhielten, wobei uns siedendheiß einfiel, dass wir noch keine Geschenke haben.


Di 24.02.09   9:57

Dieses Land, die Bundesrepublik, hat eine gewaltige Integrationsleistung vollbracht. Die Zusammensetzung der Bevölkerung hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte fundamental verändert, ohne dass es zu sozialen Spannungen großen Ausmaßes gekommen wäre, vergleichbar etwa den Konflikten, die die Vereinigten Staaten mit den Hispanics haben, die Franzosen mit den Nordafrikanern oder etwa die türkischen Städte mit den Landflüchtlingen. (mehr)

12:58

Nach dem Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen an deutschen Schulen nun auch das BH-Verbot.
Endlich, möchte man sagen, denn der Versuch islamischer Verbände, die Assimilierung junger Muslima an deutsche Standards zu unterbinden, ist damit vom Tisch.


Mi 25.02.09   10:26

Kraniche, aller Wahrscheinlichkeit nach Kraniche auf dem Weg in den Frühling. Das lässt hoffen.


Do 26.02.09   9:47


Angeblich sei heute ein guter Tag zum Glücklichsein, las ich. Gut, ich werde es probieren, dachte ich. Begabt wie ich bin.

12:30

Der Versuch endete mit erneutem Blutverlust. Diesmal floss es aus dem Ringfinger der rechten Hand.

17:23

Den halben Tag mit geschäftlichem Twittern verbracht. Unglaublich, wer da alles was in die Welt setzt. Aber für Promotion scheint es ganz gut. Überlege, ob ich mich auch als Pop-Life anmelde. Pop-Life könnte ja auch twittern, oder?



Fr 27.02.09   9:42

Ich ging hinterm Tennisplatz. Der Weg dort folgt einem Bach. Fünfzig Meter vor mir lief eine siebzigjährige Frau mit einem mittelhohen, mitteldicken, pechschwarzen Hund. Der Hund trödelte. Er hatte mich gesehen und wusste nicht recht, was von mir zu halten wäre. Er stand halbschräg und schaute. Die Siebzigjährige sagte, "der Mann hat keinen Hund, brauchst gar nicht zu warten." "Aber eine dicke Katze!" rief ich. Als ich heran war, erklärte sie, dass um diese Tageszeit ja fast nur Menschen mit Hunden spazieren gingen. "Schriftsteller und Arbeitslose", ergänzte ich, aber nicht laut.


Sa 28.02.09   10:58

Habe endlich eine Methode entwickelt, mit der ich Radfahrern, die bei Regen, tiefer Dunkelheit und somit schlechtesten Sichtbedingungen ohne Beleuchtung unterwegs sind, eine Lektion erteile. Ich fahre sie an, belehre sie und überrolle sie leicht.

Musste das gestern auf dem Weg zum Kino und zurück viermal tun, bisschen viel, fand ich, aber irgendwann ist es mit Reden vorbei, dann muss man Taten tun, tat also Taten, tat mir ein bisschen leid tun, tat aber dennoch, was getan werden musste.

Sah den äußerst empfehlenswerten Film The Wrestler. Wäre ich als einer der ältesten Kinobesucher nicht von Popkorn und Nachos essenden, literweise Cola trinkenden Teenagern umringt gewesen, ich hätte über weite Strecke hemmungslos geweint, so aber hielt es sich mit der Triebabfuhr in Grenzen, was den oben genannten Radfahrern nicht zugute kam.

Frühlingshafter Regen, trübsinniges Grau, wir töten uns schon wieder nicht.

12:45

Im Geigentil.

13:24

Vor einiger Zeit habe ich davon gesprochen, wie wichtig es ist, dass Texte klingen. Wie schwierig es ist, den richtigen Ton dafür zu finden. Bei meinen Lesungen für Kinder weiß ich mittlerweile, wie ich lesen muss, um mich in den Gehörgängen zu verfangen.

Seit Pop Life als Fahne vor mir liegt (ich fiebere dem Buch entgegen, es sollte längst hier sein), habe ich Passagen des Romans wieder und wieder laut gelesen, war aber nie zufrieden.

Heute änderte sich das.

Jetzt weiß ich, wie es geht. Schnell, nicht langsam, wie meine übrigen Arbeiten. Zügig, nicht polternd, überhastend, nein, zügig, das kommt der erzählten Geschichten entgegen.

Gut vierzehn Tage vor meiner ersten Lesung aus Pop Life (12.03. in Leipzig) bin ich also einen gewaltigen Schritt weitergekommen.

13:39

Es schellte. Ich wusste, wer schellte. Die Post brachte meinen Roman.
Dazu Reviergesang einer Amsel. Es geht auswärts.

15:45

Bilder gewinnen im Rahmen. Fahnen (Texte) gewinnen als Buch.
Ich bin hingerissen. Das hätte ich so nicht erwartet. Mein Enthusiasmus, meine Sicherheit, meine Ahnungen, alles ist wieder da und fühlt sich an, wie es sich angefühlt hat, als ich das Buch schrieb.

 

 

 

 

 

 

 

 

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