Februar 2015                        www.hermann-mensing.de      

    

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag

So 1.02.15 13:49

Wieso steht die da? Wieso rennt die nicht? Die sieht aus, als wolle sie Marathon laufen, aber sie steht und steht und steht. Trägt babyblaue Funktionskleidung, bei der man innen schwitzt, aber das Material transportiert den Schweiß dann nach außen. Soweit jedenfalls die Theorie moderner, atmungsaktiver Fasern. Sie steht immer noch da und nun bin nah genug dran. Sie ist Anfang 40, groß, schlank, sie will rennen und kommt nicht vom Fleck, weil sie ihre hochmoderne Leistungskontrolluhr, ein zigarettenschachtelgroßes Gerät am rechten Handgelenk, nicht programmieren kann. Ich nehme an, sie will den Startzeitpunkt definieren, vielleicht hat sie sich vorgenommen, eine halbe Stunde zu laufen, vielleicht kontrolliert dieses Gerät nebenher auch noch Puls und Blutdruck, möglicherweise hat es GPS und sagt ihr, wo sie gerade ist, aber sie bringt dieses Ding nicht in Gang. Über ihr grauer Himmel, Sonntagsruhe, ringsum Schneereste, verschreckt auf kahlem Geäst hüpfende Amseln, Hundeschiss hier und da, und sie rennt immer noch nicht.


Mo 2.02.15 14:34

Die beiden hatten vor einem dreiviertel Jahr in Santiago de Chile geheiratet. Nach der Heirat wohnten sie bei Verwandten. Es war eng dort und sie waren selten allein. Nach drei Monaten ging er mit einem DAAD Stipendium nach Deutschland, um zu promovieren, aber zunächst musste er Deutsch lernen. Von Dezember bis Ende Januar wohnte er bei mir. Vor drei Tagen kam seine Frau nach. Eine lange Reise, zwölftausend Kilometer, diagonal über Südamerika, über den Atlantik bis nach Paris und von dort noch nach Düsseldorf. Ihr Mann holte sie am Flughafen ab und fuhr mit ihr mit dem Zug nach Münster. Sie war nun seit etwa 16 Stunden unterwegs. Von 35 Grad Celsius in westfälische 3 Grad. Ich holte die beiden vom Bahnhof ab und fuhr mit ihnen auf dem Heimweg über den Prinzipalmarkt. Sie drückte sich die Nase am Fenster platt und wusste nicht recht, ob sie nicht vielleicht doch halluziniert. Sie war noch nie Mercedes gefahren und ich musste ihr erklären, dass ich nicht reich bin. Ich hatte ein Essen vorbereitet. Sie hatte chilenischen Wein für mich mitgebracht. Sie war fasziniert von meiner Bibliothek, noch mehr aber geriet sie in Aufregung, als sie meine Platten sah. Vinyl, rief sie, und fragte, ob ich auch einen Plattenspieler habe. Natürlich, sagte ich. Sie hatte noch nie einen gesehen. Ob ich eine Platte von Elvis habe? Ja, sagte ich, suchte sie heraus und die legte ich auf. Sie sagte, sie liebt Elvis. Später brachte ich die beiden in ihre neue Wohnung. Nun bin ich wieder allein in der Dorffeldstraße.


Di 3.02.15 16:34

man stirbt
noch zwanzig, dreißig jahre vor sich hin,
und schaut den frauen nach,
die ihre überreste forsch kaschieren,
man hat ein ich, das sagt ich bin
hellwach und nicht mehr zu verführen.

18:54

Als ich das Haus verließ, verglomm der Tag. Der Himmel war fast wolkenlos. Als ich fünfzehn Minuten später den Supermarkt verließ, blitzte es, Donner folgte auf dem Fuß und es begann heftig zu schneien. Jetzt schneit es noch immer.

Mi 4.02.15 11:39

Strahlender Himmel. Weiß und blau ist die Welt, das lässt sich aushalten.
Gestern war ich in der Stadt unterwegs. Vor zwanzig Jahren hatte ich mir ein Bild des italienischen Malers Wainer Vaccari gekauft. Damals verdiente ich gut. Gestern war ich unterwegs, um es zu verkaufen. Ich kenne den Galeristen, ich hatte ihm gesagt, was ich wollte und er hatte gesagt, kein Problem. Ich hatte es in eine Decke eingeschlagen und gut verschnürt. Das Bild ist mächtig. Wer man mit ihm in einem Raum ist, muss man es aushalten können, deshalb hatte ich es meist an Orte gehängt, die nicht auf den ersten Blick einsehbar waren. Nun ist es außer Haus. Stattdessen habe ich Geld auf dem Konto. Ich hatte es für DM gekauft und für fast ebenso viele Euro wieder verkauft. Nun sitze ich in meiner Küche, umgeben von Fotos aus der Vergangenheit, ein wenig müde, noch immer faul. So faul, dass ich über mich selbst staune. Diese Faulheit gefällt mir. Sie fühlt sich meist gut an. Das war früher anders. Aber bald wird hier aufgeräumt. Bald wird hier weggeschmissen. Bald ist es vorbei mit der Faulheit, ich nehme an, dass das im Frühjahr passiert. Jetzt aber erst einmal Kaffee.


Sa 7.02.15 13:51

Wenn stimmt, was man mir erzählt hat, kuratieren die Studenten der Kunstakademie Münster ihre Jahresausstellung nun schon zum zweiten Mal selbst. Es ist auch das zweite Mal, dass ich mich nach einem Rundgang frage, ob ich entweder zu alt bin, um noch sehen und fühlen zu können, was da an den Wänden hängt, oder ob das Niveau der ausgestellten Arbeiten von Jahr zu Jahr sinkt.

Ich fürchte, Letzteres. Bis auf die Asiaten scheinen nur wenige Malen zu können, geschweige denn Zeichnen. Einzige Ausnahme wie in jedem Jahr die Radierer. Ansonsten wenig von Wollen und Müssen, selten auch das Gefühl, da hat jemand ein Thema. Auf den Fluren hängen Aquarelle, die nach Kunst 10. Klasse Gymnasium ausschauen. Bei all dem Hingeschlunzten gefiel mir die Installation aus Latten, Papier und Gefundenem auf dem Innenhof dann noch mit am Besten, da war zumindest ein anarchischer, ein spielerischer Impuls. Da ich Rundgänge (auch durch hochklassige Museen) immer danach beurteile, welches Bild ich mitnähme, wenn ich dürfte, wären da höchstens zwei. Das sollte wieder mehr werden.


So 8.02.15
00:21

Im Augenblick erlebe ich die Zeit rasend. Das ist nicht immer so. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass es mir gut geht. Wenn es mir schlecht geht, rast die Zeit ungern. Sie hält sich dann lieber mit Kleinigkeiten auf, damit es noch schlechter geht. Aber wie gesagt, mir geht es gut. Könnte alles aber auch nur mit meinem Alter zu tun haben.

18:11

Vorgestern während bilateraler Verhandlungen nebenher fotografiert.




23:13

Es ist zwanzig Jahre her, ich war mitten im Hausmann- und Schriftstellergeschäft, verheiratet, hatte zwei Söhne, 14 und 10, und wenig Geld, große Sprünge zu machen. Abends schnitt ich gern Mixtapes. Ein Lied entschied sich immer mit den ersten Takten. So kam es, dass ich The Maker aufnahm. Ein Bassriff, das das gesamte Lied trägt, und dieses rumpelnde, treibende Schlagzeug. Irgendwie wüst. Ich weiß nicht, jedenfalls mochte ich es. Ich mag wüste Musik. Es war von Daniel Lanois. Heute abend sah ich Slingblade (Auf Messers Schneide), ein Film von 1995. Und was läuft im Abspann dieses wundervollen Films? Genau. So schließen sich manchmal Kreise.


Mo 9.02.15 12:21


Montag, fünf Grad. Nach leicht durchhängendem Kreislauf heute früh vier Kaffee intravenös. Besserung. Gebügelt und Erdmöbel aufspielen lassen mit den Texten von Berges, der sich nicht scheut, sinnfrei zu sein, was für ihn spricht. Andererseits reimt er viel dummes Zeug, was vom Feuilleton immer bejubelt wird. Lassen Sie sich aber nicht täuschen. Auch Kultur bescheißt ständig. Nach dem Bügeln die Sinnfrage abgehakt und ein Butterbrot mit fingerdick Gouda gegessen. Jetzt langsames Aufklaren. Was als nächstes tun? Großes oder Kleines oder besser doch Garnichts. Kleines, sagt der Überlebenskünstler in mir, einkaufen, erst einmal einkaufen, dann weitersehen. Jawohl ja, weitersehen, die Welt ist schön, da stimme ich Berges zu, ich sehe es auch. Also, Montag, mich kriegst du nicht klein, ich bin Rentner, ich kämpfe mit beinharten Bandagen.

14:35

Montag, gewaltiger Temperaturanstieg. Sechs Grad jetzt. Flaches Wolkendecke, eher statisch, möglich, dass sie gleich auf die Dächer fällt. Fröhliche Menschen, tolles Treiben, das übliche. Mein Supermarkt Netto wie immer desorganisiert. Die Mitarbeiter müssen ständig alles gleichzeitig tun und sind viel zu wenige. Dazu ist die Hälfte übergewichtig. Man schwitzt. Der junge Portugiese vor allem. Profit Profit ruft die Meise. Der Frühling bleibt fern. Selbst geht es gut, wir haben ja Perspektiven. Wir haben fünf Romane in Schubladen, aber kein Motiv, sie flächendeckend anzubieten. Wir sagen uns: Lieber Verlag. Leck mich am Arsch. Lieber Literaturbetrieb: ebenso. Liebe Welt, du kannst nix dafür. Wir sind es, die alles vermasseln. Hau uns doch endlich tot.


Di 10.02.15 11:44

Dienstag, stabile Lage, sechs Grad. Katze kotzt übern Stuhl, Griechenland ist am Arsch, viele Deutsche sind unter Verdacht. Putin lässt eine Tür offen, weniger als 20 Tote sind keine richtige Katastrophe.
Winterlinge und Schneeglöckchen blühen. Die Meisen rufen noch immer Profit. Es hat sich also seit gestern kaum etwas bewegt. Warum sollte ich mich bewegen? WohinWozuWiesoWarum? Keine Antwort. Die himmlischen Verkünder verhalten sich still. Ein Glück, dass ich Genießer bin, sonst hängt ich mich weg.

Mi 11.02.15 12:35

86% Luftfeuchtigkeit, 6 Grad Celsius. Jemand sagt, er habe gegen 6:15 den Gesang einer Amsel gehört. Da ich Rentner bin, ist 6:15 für mich eine indiskutable Zeit. Möglich, dass ich hin und wieder um 6:15 ins Bett gehe, aber wach wie die vielen Menschen, die jeden Tag müssen, was ich nicht muss, bin ich um diese Zeit nicht. Wenn aber auch in Suburbia die erste Amsel zu singen beginnt, werde ich Sie, liebe Leser, unverzüglich benachrichtigen. Der Ohrenzeuge von heute früh glaubt übrigens an einen kausalen Zusammenhang zwischen Reviergesang und Frühling, unterschlägt aber, dass die Stadtamsel in völlig anderem Habitat lebt, als die hier draußen. Hier draußen friert man noch, während in der Stadt schon T-Shirts unterwegs sind. Hier draußen ist es nicht leicht, aber das ist es ja, was ich so mag, das ehrliche, kleine, beinharte Leben des Rentners.


Do 12.02.15 10:13

Zwei Grad Celsius. Kaum Bewegung auf meiner Straße. Wer auf sich hält, ist schon lang fortgezogen. Die noch da sind, werden älter und älter und älter. Soll man sie bedauern? - Ich glaube nicht. Denn eins ist doch klar: hier wird nicht geschossen. Schon seit fast siebzig Jahren wird hier nicht mehr geschossen, während es sonst fast überall schießt. Warum, weiß man als Außenstehender nie. Man versucht zwar, zu verstehen, aber der Kern dieser Konflikte bleibt gern im Dunkel. Man steckt da nicht drin. Man weiß nicht, warum die Menschen sich hassen. Lieber Gott, sagt man dann, bitte gib ihnen Weisheit, aber das ist leicht gesagt. Alles ist leichter gesagt als getan.


12:53

Von wegen Sonne. 1 schlappes Grad Celsius. Gut, wenn's Fahrenheit wären, kämen wir auf 33,8 Grad, aber Fahrenheit sind's nun mal nicht. Das Gedicht, das vorhin durch die Küche spukte (zugegeben, kaum mehr als eine vage Erinnerung) hat es nicht auf die Festplatte geschafft. Stattdessen: sanfte Lethargie. Noch keimt keine Unruhe, aber mit den Winterlingen steigt die Erwartung. Irgendetwas sollte geschehen. Es sollte nicht allzu lang auf sich warten lassen. Nicht, dass ich Großes erwartete. Nein. Ich wäre schon dankbar für eine Verdopplung meiner Rentenbezüge. Auch eine stille Wohnung für 500 warm plus Südbalkon inklusive der Möglichkeit, dort Schlagzeug und Klavier spielen zu können, würde mich voran bringen. Ich erwarte wirklich nichts Großes. Ich bin bescheiden geworden. 66 Jahre schleifen manche Kante, man realisiert, welche Möglichkeiten geblieben sind, und ehrlich gesagt bleiben nicht viele. Man kann schon von Glück reden, dass man noch nicht an der Volksseuche krepiert ist. Aber natürlich gibt es keinerlei Sicherheiten. Jeder Idiot kann einen totfahren. Selbst in Einbauküchen kann man zu Tode kommen. Um so wundervoller ist es, dass ich immer noch lebe. Und dass ich es genieße.


Fr 13.02.15 10:42




Chris 13.02.1953 - 17.06.2009

11:58

Die Sonne scheint, ich geh spazieren.


Sa 14.02.15
11:45

Gestern brachte ich die häufig dem Kopf nach links zuckende Bäckereifachverkäuferin dazu, mir Tisch und Stuhl vor die Tür des Cafés zu stellen. Die Sonne schien. Sie brachte Kaffee und Kuchen. Der Kaffee dort ist schlecht, der Kuchen kaum Mittelmaß, aber ich hätte strategisch nicht günstiger sitzen können. Es war Markt und alle mussten an mir vorbei. Nun ist das Dorf nicht für Müßiggang bekannt, wer hier müßig geht, muss damit rechnen, dass man es registriert, aber das schreckte mich nicht, denn obwohl es so aussah, als täte ich nichts, war ich doch fleißig. So fleißig, dass mir heute jedes Wort, das ich darüber verlieren könnte, fadenscheinig vorkommt. Etwa über die große, im Gegenlicht stehende Raucherin, über die junge Blonde, die aus dem Jaguar steigt und davon eilt, während ihr Mann den Wagen dreht und wartet, die elegant gehende, voll verschleierte Frau, fadenscheinig das alles, ich bin noch nicht wieder so weit, daraus Prosa zu machen.


So 15.02.15 15:21

Strahlender Sonnenschein, 5 Grad, leichter Wind. Ich sollte hinaus, bin aber zu faul. Hätte stattdessen gern, dass jemand mir Kuchen bringt, dass mir jemand Gesellschaft leistet, aber heute ist niemand da. Einer ist krank, eine fort, einer nicht zuhause. Da bleibt nichts, als mit mir auf dem Sofa zu sitzen und einzuwenden, dass ich nach dem Fleischessen mit dem Seemann gestern (wir aßen irisches und baskisches Rind) gegen 23 Uhr ja auf mein Rad stieg und durch eine erstaunlich milde Nacht fuhr, denn es war wolkenlos und normalerweise ist es dann kalt. Aber nein, mild, Sterne zuhauf, stellenweise silbrig und klar, so dass ich überlegte, den Heimweg noch um ein paar Ecken zu verlängern, was ich aber nicht tat. Trotzdem genug bewegt. Ich lege mich lang wie ein Aal und platt wie eine Flunder aufs Sofa , schaue hin und wieder hinaus und denke, wenn jetzt jemand Kuchen brächte und mir Gesellschaft leistete, so wie gestern, als der Bassist auftauchte, mit dem Weltpölzer und ich eine Band hatten, die Groove Missiles, damals, nach dem Nato-Doppelbeschluss. Der Bassist lebt jetzt in Frankreich, besucht seine Mutter, am Mittwoch fährt er zurück, am Dienstag aber werden wir zum ersten Mal seit dreißig Jahren wieder zusammen Musik. Vorausgesetzt, Weltpölzer hat Zeit.

21:53

Bin dann doch aufgestanden, um zu gehen, war schon in der Tür, als das Telefon schellte. Der Bassist war dran. Weltpölzer kann, also treffen wir uns am Dienstag um zwei vor C.'s Studio. Danke C. Draußen war die Hölle los. Die Vögel hatten es längst gewusst. Die Winterlinge sagten, nein sie, sie wären diejenigen. Egal. Die Vögel übten in verschiedensten Tonlagen. Ich richtete meinen Weg so ein, dass die Sonne immer von links vorn kam. Am Friedhof kam mir der Heimatforscher entgegen. Er geht jetzt am Stock. Seine Frau stützte ihn. Wir grüßten freundlich, wissen aber nur wenig voneinander. Ich finde ihn alt, obwohl er höchsten fünfzehn Jahre älter ist.


Mo 16.02.15
22:37

Trank Kaffee und aß Flockensahne, kaum besser als im anderen Dorfcafé. Auf meiner Höhe auf der andere Seite des Ganges saß der Erbe vom Hof, wo jetzt die Westfalen Tankstelle steht. Er hat einen runden Kopf, er ist tonnendick, er wirkt ein bisschen einfältig, aber das täuscht vielleicht, ich kenne ihn ja nicht. Er trank Tee und scrollte sein Smartphone. Hinter mir bestellte jemand Tomatensuppe und Kakao mit Sahne. In der Ecke saß ein sportlicher Vater, Mittdreißig. Er hatte einen klassisch geschminkten Clownsmund, ihm gegenüber saß sein Sohn, ein Pirat mit allem Drum und Dran, der glaubte, den Kindern am Nachbartisch Angst machen zu müssen, indem er Grimassen schnitt und mit seinem Plastikdolch fuchtelte.


Mi 18.02.15
14:01

Die Straße ist schnurgerade, ein scharfer Schnitt auf zwei Kilometer, kein Auto weit und breit, Nebel überm Land, der alles verzaubert. Man hat, gibt man zu, in Erwartung des Musikmachens mit den Groove Missiles eine Pfeife geraucht, bevor man losfuhr, nun ist man ins Grübeln geraten, man grübelt über den Chilenen, mit dem man im Dezember und Januar zusammen gewohnt hat, man denkt so dies und das über ihn, das Grübeln geht eine Weile, und als man aufhört zu grübeln, ist der Schnitt noch nicht halbwegs durchfahren und für zehn, fünfzehn Sekunden hat man nicht mehr die geringste Ahnung, wo man im Augenblick ist. Alles ist milchig, die Straßenbegrenzungspfosten sehen aus wie kleine Menschen, aber das ändert sich beim Näherkommen sofort, und man weiß wieder, man ist da und da, fährt gleich links und wird in etwa einer dreiviertel Stunde vor Ort sein.

Die Mitmusiker kommen, wir haben beste Bedingungen, Carstens Studio klingt nicht nur gut, es ist auch ein schöner Ort, wir bauen auf, ich klemme mein Yamaha Pocketrak CX an ein Stativ mitten im Raum, ich drücke auf Record und der Nachmittag beginnt.

Nach vier Stunden endet er. Wir fantasieren ein wenig. Wir machen eine Tour durch Südfrankreich. Wir essen einen Döner, dann verabschieden wir uns voneinander. Wieder auf dreißig Jahre? Nein. Der Bassist fährt zurück nach Frankreich. Ich fahre nach Hause. Schreck unterwegs. Nichts von dem, was wir gespielt haben, ist aufgenommen. Ich habe etwas falsch gemacht. Mist. Heute mittag dann Entwarnung. Bei genauem Durchforsten der einzelnen Ordner finde ich unsere Musik.


Do 19.02.15
12:04

Die neue Matratze hatte einen Tag, um aus- bzw. einzuatmen, denn sie war ja zusammengerollt, als sie kam, Kaltschaum, 7 Zonen, nicht polar, gemäßigt, tropisch, subpolar, nein, sieben Zonen, wo immer die auch liegen mögen. Es war noch nicht 23 Uhr, als ich mich hinlegte und dachte, himmlisch. Ich lag auf der Seite und fühlte mich wie auf Wolken. Seltsam war, dass ich nicht einschlief. Normalerweile schlafe ich recht schnell ein, aber auf dieser Matratze dachte ich, himmlisch, gemütlich, wundervoll, ich dachte alles mögliche, aber ich schlief nicht ein. Ich dachte, gut, jetzt probiere ich mal eine andere Position, auch die fühlte sich richtig an, ich traf den Trommler aus Osnabrück auf einem Fest und er hatte es noch immer mit jungen Frauen, immer noch, obwohl er so alt ist wie ich, traumhaft, dachte ich, da war es schon drei, ich dachte ich träume fifty shades of grey, was aber in meinem Fall nichts mit Sex zu tun hatte, sondern mit dem Sortieren schwedischer Fahnen an Fahnenmasten vor ochsenblutroten Holzhäusern an schwedischen Seen, ich mache mal Pipi, dachte ich, da war es vier oder fünft, wundervolles Liegen dachte ich, und als ich gegen neun aufstand, hatte ich gut gelegen, aber kaum geschlafen. Seltsam, oder?


Mo 23.02.15 20:33

Mein Rechner überprüfte sich selbst. Buchstabenkolonnen, Zahlen, Prozentangaben liefen über den Schirm. Seltsam, dachte ich, ich hatte das nicht initiiert und versuchte vergeblich, den Vorgang abzubrechen, was misslang. Schließlich fuhr ich den Computer herunter. Beim Neustart am Tag darauf begann die gleiche Prozedur. Ich fuhr wieder herunter. Gegen Abend fror der Cursor ein. Beim Neustart informierte der Rechner darüber, dass er keinen Zugriff auf die Festplatte habe. Ich schraubte das Gehäuse des Laptop auf und zog die Festplatte heraus. Ich pustete auf die Kontakte, man kann ja nie wissen. Ich schob die Festplatte wieder herein und verschraubte das Gehäuse. Dann startete ich. Auch diesmal kein Zugriff. Ich hörte mich im Netz um. Die Festplatte werde bald abrauschen, sagte jemand aus Kassel. Ob ich Backups habe, fagte jemand aus Osnabrück. Einige, dachte ich und fuhr den Rechner erneut hoch. Dieses Mal hatte ich Zugriff auf die Festplatte. Ich schloss eine externe Festplatte an und sicherte Audiodateien. Am Samstag brachte ich den Rechner zur Reparatur. Diagnose: Festplatte kaputt. Da sei so ein Klacken. Das hatte ich auch gehört. Auf die Buchstabenkolonnen angesprochen, sagte man, das könne mit einem Update von Microsoft zu tun haben, da hätten einige Kunden Probleme gehabt, man müsse Windows neu aufspielen. Heute mittag holte ich den Rechner ab. Wie Sie sehen, kommunizieren wir schon wieder miteinander.


Di 24.02.15 18:54

Der Mensch wartet darauf, dass jemand etwas sagt. Möglichst soll etwas Freundliches gesagt werden. Wenn aber kaum Aussicht besteht, dass irgendetwas gesagt werden könnte, schweigt er gern und vermeidet Blickkontakte. Überprüfen Sie das in den Warteschlangen, in denen Sie täglich stehen. Wenn es Ihnen aber gelingt, in einer solchen Warteschlange ein Gespräch zu beginnen, ein möglichst ungezwungenes Gespräch über ein ungefährliches Thema, wie mir heute, mit der jungen Frau hinter mir, die Doppelrahmquark auf das Band gestellt hatte, worauf ich sofort neidisch wurde, denn ich hatte fetten Joghurt kaufen wollen, aber nur fettarmen gefunden, wenn das so ist, und man ein ungezwungenes, fröhliches Gespräch über fetten bzw. fettarmen Joghurt beginnt, leuchten die Gesichter der Menschen oft auf, denn nun sind sie nicht mehr allein, sie fühlen sich wahrgenommen und geschätzt. Vorausgesetzt, sie texten ihr Gegenüber nicht zu, sondern halten das Gespräch kurz und möglichst witzig, werden Sie viel Freude erleben.


Mi 25.02.15 13:36

Kaum hat man die Augen geöffnet, ist schon wieder Mittag. Man sitzt am blutroten Tisch. Ringsum externe Festplatten, die Tasche mit den verschiedenen Programm-CDs, das Heft mit den Zugangspasswörtern, dennoch ist das, was ich eigentlich tun will, nicht möglich. Die Reinstallation meines Nuendo 3 Audioprogrammes funktioniert nicht. Da es aber mit gleichem Betriebssystem und der vorherigen Festplatte auf eben diesem Rechner lief, muss es einen Weg geben. Frage ist, wie man ihn findet. Stelle das mal in den Raum. Vielleicht gibt es jemanden, der folgende Frage beantworten kann: wieso fordert Nuendo 3 mich bei der Installation auf, die im Hintergrund laufenden Prozesse zu stoppen, da sie die Installation behinderten. Tut man das, hat man dennoch keinen Erfolg. Hat das was mit dem e-lycenser zu tun? Läuft der auf 32 - statt auf 64bit? Fragen über Fragen? Jetzt bitte die Spezialisten.

15:08

Sehr geehrter Herr Mensing

Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Nuendo 3 nicht mehr unterstützt wird. Ferner war Nuendo 3 nicht für Win7 spezifiziert. Auf einem 32 Bit Rechner mag das mit viel Glück noch laufen, jedoch spätestens auf einem 64Bit System wird Nuendo 3 nicht funktionieren.
Sie können entsprechend ihrer Symptombeschreibung höchstens noch probieren, die entsprechenden Programme und Prozesse VOR Beginn der nuendo3 Installation zu stoppen. Evtl auch die Zugehörigkeit der Prozesse zu Programmen (z.B. Sicherheitssoftware) herausfinden und das gesamte Programm vor der installation zu beenden. (Nuendo Support)


Fr 27.02.15 14:36

Gestern um 17:45 war es endlich soweit. Die Amsel, die Jahr für Jahr für mich singt, hatte sich entschlossen, die Saison zu eröffnen. Ihre Triller fielen dann und wann noch in sich zusammen, auch die Tonhöhentreffsicherheit war noch nicht wie gewohnt, aber sie hatte es getan, ich hatte es gehört, und nun weiß es die halbe Welt. Das ist tausendmal schöner, als Verwirrten dabei zuzuschauen, wie sie ihre jahrtausendalte Geschichte mir Vorschlaghämmern zerstören, statt stolz darauf zu sein.

23:30

Dass ein Systemzusammenbruch mit Datenverlust mich so nervt, ist lächerlich, aber wahr. Dem konnte ich heute früh nur mit Yoga begegnen. Yoga ist wie Gott. Wenn ihn braucht, nimmt man ihn, wenn nicht, lässt man ihn. Ich hoffe, dass ich mich nicht noch länger ärgere, denn diese körperlichen Reaktionen lassen sich kaum steuern, die kommen von selbst. Ich hatte das schon als Kind. Wenn etwas falsch lief, ging es mir sofort ans Herz.


Sa 28.02.15 16:19

Wellen transportieren Energie, niemals Materie, daran erinnere ich mich. Handbreit hoch rollen sie übern Aasee heran, aber nur scheinbar, denn das Wasser tut ja nur, was es nach den herrschenden physikalischen Gesetzen nicht lassen kann. Wenn die Energie das Ufer erreicht, wenn die Welle schwappt und ausläuft, tanzen Luftblasen auf der Wasseroberfläche, und da die Sonne scheint, spiegeln sie sich und sehen aus, wie senkrecht im Wasser tanzenden Spaxe oder Schrauben.