Februar 2021                     www.hermann-mensing.de      

mensing literatur 

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Mo 1.02.21 11:53 / Krise Tag 322 / grau

Ich habe meinen Kommandostrand eingerichtet. Erste Angriffe schon heute früh, die Liebste will wieder rauchen, ich nicht. Die Weltachse ächzt, im Westen und sonstwo also nicht Neues. Das einzige, was zählt, ist ob man lebt oder nicht. Wünsche eine ereignisreiche Woche.


Mi 3.02.21 9:45 / Krise Tag 324 / grau

Heute als Wachhund für home-geschulte Enkel engagiert, die, so hat es augenblicklich den Anschein, konzentriert bei der Sache sind. Da sitzt einer vorm Schirm und macht Mathe, da einer über Arbeitsbögen, da ebenfalls, nur der Jüngst hat frei, der darf mit Kapla spielen.

16:23

machen sie
es sich beq uem
gestat tensich schön heit
und glück die
sind anw esend
das wis sens ie doch
warums perrens ie sich
sies ind nichtver ant wortl ich
fürd asch aos die katastrophe
den endreim
sies indharm los
manw irdni cht über sies prechen
manha tsiesch onver gessen
scheiß ensie sich nichtins hemd
al lesi st gutgen ießens ie es


Fr 5.02.21 20:05 / Krise Tag 326 / mittelgrau

Das Nikotin hat sich raffiniert zurück in unser Leben gemogelt. In Reinform bleibt es verboten, mit THC aber ist es ausdrücklich erlaubt. Im Übrigen habe ich beim Spülen am Morgen das Türkische Rondo von Mozart gepfiffen, bin ans Klavier geeilt und habe es nachgespielt. Irgendwann kann ich von hundert Stücken die ersten zehn, zwanzig Takte spielen und darüber improvisieren. Dann erste Sätze für den Roman, die sofort Türen aufrissen, sodass ich aufs Rad sprang und über Land fuhr, um nachzudenken. Einmal geriet ich dabei so ins Träumen, dass ich hundert Meter Wegstrecke brauchte, um mich wieder verorten zu können. Ach ja, da hinten, rechts ab. Nachmittags dann wieder Roman. Jetzt Feierabend.


Sa 6.02.21 14:15 / Krise Tag 327 / grau - kalter Wind

Heute wird nachgedacht. Der Denker sucht sich dazu einen Ort, dem es weder an einer Decke noch an einem Kissen fehlt. Dort wird er ruhen und hoffen, dass sich Türen auftun, durch die er gehen kann, um zu notieren, was er dahinter entdeckt. Manchmal fallen ihm die Augen zu. Manchmal steht er auf und brüht sich einen Kaffee. Mit der Zeit vergeht so die Zeit. Wieder ein Tag. Immer noch schreien alle ihre Meinungen hinaus in die Welt, alle wissen es besser, aber niemand hat eine Lösung. Was, Freunde, wollt ihr denn? Dass es aufhört? Klar, will ich auch. Aber wie soll es denn angehalten werden? Bitte, versucht euch doch einmal vorzustellen, was für ein wahnwitziges Unternehmen die Organisation dieser Krise ist. Fest stand zu Anfang: es musste etwas getan werden. Alles, was seitdem in die Wege geleitet wurde, war natürlich falsch. Wurde etwas anderes in die Wege geleitet, war es auch falsch. Gott im Himmel, gebt bitte Ruhe, lasst die Profis ihre Arbeit tun, und vor allem, seht ihnen nach, dass sie Fehler machen wie alle anderen. Einfach aufhören und so tun, als gäbe es Covid nicht, kann die Lösung nicht sein. Oder wollt ihr all die zusätzlichen Toten? Hat es euch das Hirn auch so verbrannt? Gut, da kann man nichts machen. Eines aber ist sicher: die Krise wird vorüber gehen. Wie bald das ist, weiß niemand. Was man weiß, ist, dass demnächst Frühling wird. Lernt Geduld.


Mo 8.02.21 17:35 / Krise Tag 329 / grau Berge Schnee

ich habe sätze und töne
die lauter sind
aber es geht nicht weg
es scheißt mir ins hirn
ich lege sätze und töne nach


Di 9.02.21 12:55 / Krise Tag 330 / blauer Himmel, Berge Schnee

Überall sind schmale Wege geschaufelt, Schneehöhe links und rechts bis auf einen Meter. Nur von S. Haus hat niemand geschaufelt. S. ist faul. Der Himmel ist strahlend blau. Eine bessere Lage für einen harten Lockdown kann es kaum geben. Wenn es noch eine Woche so bleibt, wird man reden müssen. Man redet ja jetzt schon. Im Übrigen Winterschlaf. Nikotin ist wieder abgeschafft. Die Lage ist ernst.


17:55

Ob meine Lesung am 22.03. im Haus Nottbeck stattfindet? Ich glaube, nein. Ob ich den Dorfschreiber von Everswinkel, denn ich schon letztes Jahr geben sollte, dieses Jahr geben kann, ist auch zweifelhaft. Und ob es wieder Museumsführungen gibt, weiß kein Schwein.


Do 11.02.21 12:30 / Krise Tag 332 / blauer Himmel, Berge Schnee

Alles wird gut. Die Sonne scheint und die Tage werden länger. Die Inzidenz liegt bundesweit gemittelt bei 61, in Münster bei 19,3. Der Schnee tut der Verringerung der Infektionszahlen gut, und mein Roman geht voran. Langsam zwar, mit ständigen Korrekturen und Anpassungen, aber ich bin nicht in Eile. Die letzten Wochen habe ich so viel gelesen wie lange nicht mehr, Romane von Ludwig Homann, Stan Nadolny, Thomas Hettche, Alexander Lernet Holenia, die Biographie von Keith Richards, schöne Stunden. So sehr mir die Welt fehlt, so sehr gefällt es mir in meinem Königreich. Ich habe eine neue Königin gefunden. Die alte lebt schon im zwölften Jahr nicht mehr. In Tagträumen taucht sie noch oft auch, aber erkennen kann ich sie nicht.

Fr 12.02.21 17:55 / Krise Tag 333 / überwiegend blauer Himmel, eiskalt

Überall schieben sie Schnee zu kleinen Halden, aber es ist viel Schnee und so schnell geht das alles nicht, jeder noch so kleine Gang erfordert erhöhte Aufmerksamkeit. Seit gestern fahren wieder Busse in die Stadt, der Aasee ist zugefroren, aber man kann noch nicht auf das Eis, es wird gewarnt, gut vierzehn Tage Dauerfrost wären nötig, um eine stabile, 15cm dicke Eisdecke zu bilden, nächste Woche sind steigende Temperaturen vorhergesagt, das heißt, mit dem Schlittschuhlaufen wird es voraussichtlich nichts. Die Inzidenz in Münster liegt bei 15,2. Das ist bequem, da könnte man sich schon das ein oder andere vorstellen, Frau Merkel sagt, wir seien auf dem absteigenden Ast, warnt aber vor voreiligen Öffnungen. So Leid es mir tut, ich sehe das auch so, aber bald, bald muss es vorbei sein, ich bin am Limit.


Mo 15.02.21 12:55 / Krise Tag 336 / grau, Regen

Nachdem ich gestern bei strahlender Sonne auf dem Aasee Schlittschuh gelaufen bin, hat heute das Tauwetter eingesetzt. Der Aasee friert nur alle 8-10 Jahre zu. Gegen halb elf war ich auf dem Eis, weil ich dachte, da wäre ich noch allein, aber es waren doch schon einige unterweg. Die Mengen kamen dann gegen Mittag, da war ich schon wieder zu Hause. Vielleicht war dies das letzte Mal, dass ich auf dem Aasee Schlittschuh gelaufen bin. Wenn der Zyklus stimmt, könnte ich, vorausgesetzt, ich lebe noch, mit achtzig, zweiundachtzig mit dem nächsten kalten Winter rechnen. Ob ich dann körperlich noch in der Lage bin, werde ich sehen. Falls die geringste Chance besteht, werde ich sie nutzen.


Di 16.02.21 18:45/Krise Tag 337 / mittelgrau, trocken, fast 20 Grad wärmer als vor zwei Tagen

Gegen 16:40 höre ich Kraniche.
Dreißig, vierzig Vögel in Formation nach Nordost. Sie irren selten. Erste Sichtung im letzten Jahr am 15.März.

21:20

Die Tage vergehen ruhig. Es taut, aber Schneeberge liegen immer noch überall. Ich stehe gegen acht auf, ich mache Kaffee, wir frühstücken, wir sitzen bis zehn halb elf, ich arbeite, ich trinke Kaffee, ich rauche, ich arbeite, wir essen zu Abend, ich rauche, ich trinke Wein, ich schaue mir eine Doku an oder ich lese, manchmal tue ich beides, dann gehe ich Schlafen. Aufs Schlafen freue ich mich besonders. Ich schlafe gut, und bin froh, schlafen gehen zu können, weil ich dann nicht mehr denken muss.


Do 18.02.21 12:53 / Krise Tag 339 / mittelgrau, trocken

Erstaunlich, wie schnell der Schnee taut. Ich hatte erwartet, er würde in Strömen davonfließen, aber das tut er nicht, er wird einfach weniger.


Fr 19.02.21 18:00 / Krise Tag 340 / sonnig

Ein wunderbarer Tag. Allein, die Seele macht nicht mit. Die Seele hat die Faxen dicke. Alles fehlt.


Sa 20.02.21 16:47 / Krise Tag 341 / sonnig

Herr M., Kraftsportler und auch mit knapp 72 noch in der Lage, ein Kalb, eine gut gewachsene Frau oder einen Zentner Kartoffeln zustemmen, Herr M. also, dem auch das Fliegen nicht fern liegt und der auf Rosinante rückwärts nach Gibraltar ritt, hat nach den furchtbaren Verwerfungen der letzten 338 Tage, die ihn nur maskiert in der Öffentlichkeit sahen, dem Schneechaos der letzten Woche und der tiefsten Düsterniss seiner Seele heute laut aufgeschrien, seine Aprilia gestartet und ist 100 Kilometer durch Westfalen gefahren. Er weiß noch jeden Baum, jeden Kirchturm, und den winterweißen Bussard. Es gab kaum eine Kurve, die nicht mit achtzig genommen werden konnte, und so fuhr und fuhr er durch den vermeintlichen Frühling, 30 Grad wärmer seit letzter Woche. Trotzdem stach er ihm durch die Haut ins Fleisch bis auf die Knochen, und hat seine Testikel auf die Größe von Amseleiern geschrumpft. Da Herr M. als Wortartist jederzeit in der Lage ist, sie wieder auf Straußengröße zu schreiben, macht ihm das nichts. Er hat ein geräumiges Ego, da ist noch viel Platz nach oben, und so nimmt er die Worte, die Kurven, die Bäume, die Welt, und mischt alles neu , damit auch die Blinden sehen und das Leben endlich zurückkehren kann.


So 21.02.21 17:42 / Krise Tag 342 / sonnig

Alles was Räder und Beine hatte, war unterwegs. Auf dem Werseradweg der joggende Psychopath. An der Brücke die ins Smartphon lächelnde Studentin. Die aufgeputzte Dame. Die Sportlichen in hohem Tempo. Reiter im Gallop. Am Himmel Cessna. Ich fand nicht eine freie Bank. Und dann kam ich vom Weg ab, was mir unerklärlich ist. Nicht, dass ich nicht gewusst hätte, wo ich bin, aber ich hätte woanders sein müssen. Schließlich feinsten Kuchen und damit ab in den Garten, wo M. gräbt, dass der Schweiß nur so fließt.


Do 25.02.21 14:20 / Krise Tag 346 / sonnig, aber etwas kühler als gestern

Die Tage zerrinnen mir unter den Fingern. Schon ist wieder Donnerstag. Und was ist passiert? Ich war mit der Aprilia unterwegs. Ich habe den Roman eingesprochen und eine Menge Korrekturen erledigt. Der Rest folgt in den nächsten Tagen, dann wird wieder geschreiben. Heute war ich bei U. in Borghorst, der meiner Aprilia einen neuen linken Bremshebel angebaut hat. Ich habe zugesehen und weiß jetzt, wie es geht. Sollte also wieder einer kaputt gehen, könnte ich es allein, vorausgesetzt, das Loch zum Festschrauben ist nicht, wie bei dem eingebauten Hebel, einen Millimeter zu eng und müsste ausgefräst werden.


14:45

Die Bauern bringen Gülle aus,
der Optimist
gibt seine dicken Faxen ab,
täglich springt jemand
von dem allerhöchsten Haus
wo man auch hinschaut
geht es steil bergup.


Sa 27.02.21 11:20 / Krise Tag 348 / grau

Besuch aus Berlin gemäß der staatlichen Coronaverdordnung. Vorgestern trafen sich die Überlebenden der Real Fullmooners vor Ws Gartenlaube, um eine wenig Musik zu machen. Gitarre, Bass, Cachon und Urdu, eine große Tonvase mit Schallloch und Resonanzfell am Boden, die mir große Freude machte. Dazu verschiedenste Genussmittel, eines Gin, das andere THC. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und ich sang eigene Texte zu improvisierten Melodien.


So 28.02.21 22:10 / Krise Tag 349 / sonnig, frisch

Auf dem zum Radweg umgebauten Bahndamm zwischen Darfeld und Burgsteinfurt traf ich einen jungen Mann, der mir auf Anhieb unsympathisch war. Er war auf einem Skateboard unterwegs, und er war schnell. Mal fuhr er vor mir, dann überholte ich ihn
, dann wieder er mich, drei- viermal ging das so, bis er stehen blieb, weil sie Smartphone ihm irgendetwas mitgeteilt hatte. Ich legte einen Zwischenspurt ein, um ihn endgültig abzuhängen. Schnurgerade freie Fahrt bis Burgsteinfurt, durch den Bagno nach Borghorst, über schmalste Wege nach Nordwalde, Altenberge und von dort Richtung Häger bis zur Bundesstraße 54 zur Landstraße über Hohenholte zurück nach Hause. Gegen halb zwölf war ich losgefahren. In Westfalen ist es leicht, von Kirchturm zu Kirchturm zu navigieren, aber ich kenne die Gegend wie meine Westentasche. Die ersten zwanzig Kilometer bis zum Bahndamm hatte ich müde Beine und mein Po tat weh. Nachdem ich den Skater abgehängt hatte, wurde es besser. Die restlichen fünfzig Kilometer waren zwar hier und da mühsam, vor allem der Berg vor Altenberge, aber Beine und Lungen funktionierten bestens. Sah Kibitze im Kümper und freute mich, dass sie zurück sind. Seltene Vögel, die ich sehr mag. Hatte am Morgen ein Feld im Bodennebel fotografiert. Auf dem Heimweg dann eine Reihe rot leuchtender Kopfweiden. Ich liebe es, herumzufahren. Ich fahre herum, um mich zu vergessen, aber hinter mir lassen kann ich mich nicht.