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zum letzten eintrag



Mi 1.02.23 13:52 Regen und heftiger Wind

ein wenig gebildet
sind wir und haben erfahrung
können klare sätze formulieren
aber das ist nicht von interesse
denn erst kommt das fressen
dann die moral
dann ist der februar zuende
das frühjahr weckt uns
aus bitterem winterschlaf
wir öffnen die augen
wir sehen
verwüstung hunger krieg sklaverei
wir sind sind dabei
wir ficken wir fessen wir saufen
wir sitzen und hoffen
gott wird uns verzeihen
aber an den glaube wir nicht


15.24

wiederhole
den magischen abzählreim
vorwärts und rückwärts
stundenlang
spreche nichts anderes


16:45

wind voller vokale
weht durch die ritze
konsonaten
schaffen es nicht


Do 2.02.23 15:51 regen regen regen

Seit vorgestern übersetze ich das Gästeführungsscript des Center for Literature zur "Droste Digital" Ausstellung auf der Burg Hülshoff ins Niederländische. Ende Februar darf ich eine Delegation aus Overijssel und Gelderland durch die Ausstellung führen. Ich hatte sie bei der Eröffnung nur flüchtig gesehen, später aber eine Führung mit dem Kurator. Davon ist vieles hängengeblieben. In zwei Wochen öffnet die Burg nach der Winterpause, dann werde ich hinfahren und mir Notizen machen. Im Augenblick schreibe ich über eine Installation des Kollektivs Anna Kapok auf dem Dachboden der Burg. Es geht um "Klänge aus dem Orient", eine Gedichtsammlung der Droste, die zu ihren Lebenzeiten nicht veröffentlicht wurde. Stockt die Arbeit improvisiere ich am Klavier. Harmoniewechsel werden mir immer vertrauter. Ich kann eine Melodie erfinden, umkreisen, woanders hin- und wieder zurück zum Ausgangspunkt führen. Meine linke Hand wird variabler. Da ist noch viel Luft nach oben, und es macht Spaß, es zu erforschen. Ich improvisiere bei etwa 80bpm, fast alles ist triolisch, es gibt Accelerandos und ihr Gegenteil, und das Beste ist, dass es mich oft überrascht. So lenke ich mich von der draußen lauernden Depression ab. Ich mache mir einen Kaffee. Ich rauche einen. Noch einen? Ja. Warum nicht. Die Welt ist voller Fallstrick, aber in meiner Bubble ist es so, wie ich es will und jetzt ist Zeit für Musik. Herbie Hancock: You know when you get there.


Fr 3.02.23 19:02 grau, überwiegend trocken

zum abend
zieht ein gerücht
durch die straßen
alles wird besser
die leute können es
nicht mehr hören
sie lachen
seht ihr
sagt das gerücht


So. 5.02.23 13:31 grau feucht

hier ist wieder
etwas schlimmes passiert
zwei tage lag die person
auf dem teppich im wohnzimmer
den kopf auf einem kissen
das smartphone
mit einer langen liste
unbeantworteter anrufe daneben
ihr phone war die welt
the person you have called
is temorarily not available
hat sie die abfahrt des zuges
kommen sehen
die person sah friedlich aus
sagt einer der sie gefunden hat
aber das sagt man gern
um den schrecken zu bändigen
nächste woche wird man sie
in ein loch legen und zuschütten
von dort gehen keine züge
dort ist die welt still
und ruht glücklich in sich


18:33

Google sagt, ich sei im Januar 19 km gelaufen, habe 114 km mit dem Auto, 73 mit dem Rad, und 575 km mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt, habe den Hot Jazz Club Münster, das Chagal in Ahlen, die Vinothek beim Theater in Münster, den Heidekrug, das La Piazza und De Brantse Aap in Amsterdam besucht, im Netto Markt, in der Galeria Kaufhof, im Rewe, der Königspassage, den Münster Arkaden und beim Echte Bakker in Egmond eingekauft und sei im Hot Jazz Club, auf dem Prinzipalmarkt, im Haus Rüschhaus, im Bürgerhaus Kinderhaus, im Cinema und in der Stadtbücherei unterwegs gewesen. Google hatte sich noch mehr gemerkt, aber plötzlich war die Zeitleiste weg und kam nicht zurück. Soviel also zum freiwilligen Überwachungsstaat. Dabei habe ich mich geweigert, bei der großen Volkszählung in den 80ern teilzunehmen. Heute gebe ich mir Mühe, das Handy so selten wie möglich anzustellen.


Mo 6.02.23 12:15 grau

Oben ist die Welt grau. Am Boden hat sie viele Farben. Hier, an der Schnittstelle zwischen Stadt und Land, leuchtet die Wintergerste grün, die Bäume und Büsche sind kahle Gespenster mit biegsamen Gliedmaßen, auf Birken hocken Tauben in drei Etagen und schauen erwartungsvoll nach Südwesten. Buchfinken und Meisen üben erste Hochzeitsgesänge, dazu läuten Schneeglöckchen, Winterlinge blühen und aus Schornsteinen steigt weißgrauer Rauch in den Himmel. Das alles darf man dem ewigen Kreislauf als Versicherung dafür abkaufen, dass es bald aufwärts geht, aber wie lange bald ist, weiß man nicht. Und wenn demnächst der Weltkrieg wegen tiefsitzenden Misstrauens aller gegen alle losbricht, ist es eh egal.


14:36

albert wollte keine fliege sein
albert wäre gern ein adler
albert äße täglich mäuseklein
und tränk abends gern ein radler

16:09

zeit für ein gedicht
über ein gefundenes wort
ich stehe auf
greife ins regal
finde Ian McEwan
und das wort ZÖGERN
da ist kein ZÖGERN
da ist nie ein ZÖGERN gewesen
da war ein TRAUM
eine flucht (KEIN ZÖGERN)
die mich durch kontinente trieb
und ein nutzloses studium
(KEIN ZÖGERN)
dann die entscheidung
die seitdem mein leben bestimmt
jeden tag erwache ich staunend
und glücklich


Di 7.02.23 18:53 sonnig


Es deutete sich gestern schon an. Die Tauben begutachteten zum ersten Mal seit langem ihr Nest. Die Täubin blickte vornübergebeugt hinein. Ihre leicht abgespreizten Flügelspitzen zitterten, die breiten Schwanzfedern zuckte auf und ab, aber der Täuberich schaute nur zu. Doch wohl noch ein wenig früh, dacht er, aber immerhin, man hatte inspiziert und wird demnächst renovieren. Heute dann ein strahlender Tag. Statt um 7 aufzustehen, die Kamera einzustecken und rumzufahren, blieb ich bis halb neun liegen, stand auf, kaufte den Vögeln neues Futter und machte Frühstück. Danach drehte ich eine kleine Runde über Land und fotografierte. Der Rauhreif war schon fast fort. Auf dem Heimweg sah ich einen prächtigen Bussard auf der Spitze eines jungen Baumes am gegenüberliegenden Straßenrand. Unterm Baum ein rot umrandetes, weißes Schild: 70. Das fotografiere ich, dachte ich, fuhr noch ein paar Meter weiter, um den Bussard nicht zu beunruhigen, aber der hatte längst begriffen, was ich vorhatte. Kaum vom Rad breitete er die Flügel aus, beachtlich die Spannweite, schwang sich in einem eleganten Bogen übers Feld, überquerte die Straße in fahrlässiger Höhe, schlug zwei, dreimal mit den Flügeln, gewann Höhe und segelte entspannt zur Spitze eines fünfzig Meter entfernten Baumes, um sich niederzulassen. Ich erzählte zuhause davon, wir erinnerten wir uns an die Tauben und beschlossen, unser Schlafzimmer von Grund auf zu reinigen. Sie meint, das seien die Hormone. Ich schloss mich ihr an und reinigte die Küchenzeile. Nun ist alles frisch und neu bezogen, mein Lieblingsort wartet. Kurz vor der Dunkelheit hörte ich, wie sich die Straßenlaterne mit der tiefstehenden Sonnen unterhielt. Es ging um den zu erwartetenden Sonnenuntergang und die Erwartung der Menschen, dass sie nun leuchten müsse. Sie habe aber gar keine Lust. Die Sonne seufzte, sagte, sie käme bald zurück, dann könne sie schlafen gehen, und war weg. Die Straßenlaterne fluchte und knipste sich an. N'abend Lampe, brummte die Straße. Die Passanten bekamen wie immer von alldem nichts mit. Während ringsum alles 3D und Vollstereo war, starrten sie auf ihre quäkenden 2dSmartphones, andere rannten in optimierter Kleidung durch ihren Lichtkegel und schauten auf ihre Pulsmesser.


Mi 8.02.23 15:58 sonnig

und da hocke ich
auf einer kirchenstufe
hab die knie angezogen
eine sandsteinwand im rücken
sonne im gesicht
alles habe ich mir ausgetrieben

Ein Comedian aus Berlin, ein DJ aus Kassel und ich wollten ausloten, was es mit Hemmingways "Death in the afternoon" (Absynth plus Champagner) auf sich hätte. Nach drei Gläsern über eineinhalb Stunden überwog der Wunsch, mich mit der Welt zu versöhnen. Der Horizont, der kein Meer war, kein Berg, Wüste oder fruchtbare Ebene, sondern ein altes Chaiselongue, winkte mich heran. Ich folgte ihm. Die wie Kolibris schwirrenden Stimmen waren nur noch Geräusch, Wortwind aus anderen Weltgegenden, die Probleme der Welt und die eigenen Eintrübungen, in der Kindheit abwesende Liebe, Erfolg, Mißerfolg, Sein oder Nichtsein, existierten nicht mehr. Aber ich war nicht tot, wie man aus so einem Zustand schließen könnte, nein, ich lebte, ich war dumm und glücklich. Am Morgen ging es mir prächtig. Dieses Experiment werden wir heute abend in anderer Besetzung wiederholen.
Do 9.02.23 12:40 hohe wolken, diesige sonne

Ich glaube, es war im letzten Sommer, als ich auf eine Rede des Büchner Preisträgers Clemens J. Setz stieß. Ich war begeistert. Der Mann war so ganz anders, als die üblichen Preisträgerredner. Ich kaufte mir "Die Bienen und das Unsichtbare" und den Roman "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre". Wer sich so einen Titel traut, sollte wissen war er tut. Ich begann zu lesen. Bei etwa 500 Seiten stieg ich aus. Das über 1000 Seiten dicke Buch ist unhandlich, aber ich würde es beenden, soviel war klar. Gestern habe ich es beendet. Es ist intelligent, witzig und spannend.

16:02

aus der nähe betrachtet
wird die ferne nicht klüger
der himmel nicht fassbarer
und die füße am boden
werden nicht schneller
aus der nähe betrachtet
ist alles mein freund
dem ich jederzeit feindseligkeiten
zutraue


So 12.02.23 23:49

Ich fühle mich nutzlos.

Mo 13.02.23 15:27

Geht wieder weg. Grüße Godot. Beckett hatte das auch.


15:52

offenbar amüsiert
trotz allem glücklich zu sein
schob er seine aprilia
aus der garage
und drückte den starter
die maschine überlegte
sie hatte wochen gestanden
ihr war langweilig gewesen
er hatte sie keines blickes gewürdigt
wenn er sein rad aus der garage holte
nicht ein wort hatte er gesagt
er hätte doch erklären können
dass es zu kalt sei für glück
sie war ausgetrocknet
sie hatte sich nutzlos gefühlt
aber die lichtmaschine drehte
die pumpe pumpte
die sonne schien
und so fuhren sie los
er und sie über land
das sich kaum zehn minuten entfernt
mit den baumbergen rollt
und mit dörfern sprenkelt
die reste vergangenheit atmen
bösensell nottuln darup billerbeck
darfeld horstmar burgsteinfurt borghorst
altenberge hohenholte
er schaute sich blind am wartenden land
die sehnsucht stand über den feldern
fünf rehe flüchteten
als er kam
zwei silberreiher schwebten
über baumwipfel heran
die luft war ihr freund
jeder feder war über beide ohren
in sie verliebt
sie riefen ihr etwas zu
was er nicht verstand
zogen einen kreis
kippten übern linken flügel
ließen den blauen himmel staunen
landeten
die rehe lächelten
das herz der aprillia schlug 900 beats per minute

17:09

amüsiert
trotz allem glücklich zu sein
schob ich meine aprilia
aus der garage
und drückte den starter
die maschine überlegte
sie hatte wochen gestanden
ihr war langweilig gewesen
er hatte sie keines blickes gewürdigt
wenn er sein rad aus der garage holte
nicht ein wort hatte er gesagt
er hätte doch erklären können
dass es zu kalt sei für glück
sie war ausgetrocknet
sie hatte sich nutzlos gefühlt
aber die lichtmaschine drehte
die pumpe pumpte
die sonne schien
und so fuhren sie los
sie und ich über land
das sich kaum zehn minuten entfernt
mit den baumbergen rollt
und mit dörfern sprenkelt
die reste vergangenheit atmen
bösensell nottuln darup billerbeck
darfeld horstmar burgsteinfurt borghorst
altenberge hohenholte
er rollte durch das geduldige land
sehnsucht stand über den feldern
fünf rehe flüchteten
zwei silberreiher schwebten
über baumwipfel heran
die luft war ihr freund
jede feder über beide ohren in sie verliebt
sie riefen ihr etwas zu
was ich nicht verstand
zogen einen kreis
kippten übern die linken flügel
ließen den blauen himmel staunen
und landeten wie tänzer
nach der letzten figur
die rehe lächelten
ein hase applaudierte
das herz der aprillia schlug 900 beats per minute
meine frau würde heut siebzig

21:37

bands, in denen ich gespielt habe

70er 80er

KORN
KATAMARAN
NEO DEO

80er 90er

LOS CASSETTIES
ACE CATS
GROOVE MISSILES
PIT JANSENS

2000er

THE REAL FULLMOONERS
ALBERT EARLY BIRD & THE WORKING WORMS


Di 14.02.23 17:26 ein Hauch Frühling

ein nest
voll ungelegter eier
reptiloide in der bahn
ein hügel reist zum im himalya
und nackte frauen öffnen ihre scham

ein meer voll exquisiter satzsequenzen
ein depressiver in der dreiererbahn
ein kontinent voll aufgelöster grenzen
ein paradies voller gefahr'n

ein papst der abends yourporn schaut
geschasste politik mit ehrensold
ein motorrad das sich um jede kurve traut
und eines das sich döner holt

ein tag mit eitlen wiederholungen
eine geburt im rachenraum
bdsm mit klatschenden versohlungen
und jeder scheißt in seinen traum

mehr blut mehr blut ist die maxime
die berge vasilier'n ihr glied
die nackten frauen spielen eine pantomime
das meer
verschlingt ein atonales lied

der depressive wird für eine viertelstunde froh
der kontinent baut mauern an den rand
im feuer leuchten städte lichterloh
und ich geb euch die die hand

ich weiß´wie diese letzte inszenierung heißt
wenn gott nicht doch noch hirn auf alle scheißt

23:27

der alltag

ein nest
voll ungelegter eier
reptiloide in der bahn
ein hügel reist zum himalya
und nackte frauen öffnen ihre scham

ein meer voll exquisiter satzsequenzen
ein depressiver in der dreierbahn
ein kontinent voll aufgelöster grenzen
ein paradies voller gefahr'n

ein papst der abends yourporn schaut
geschasste politik mit ehrensold
ein motorrad das sich um jede kurve traut
und eines das sich döner holt

ein tag mit eitlen wiederholungen
eine geburt im rachenraum
bdsm mit klatschenden versohlungen
und jeder scheißt in seinen traum

mehr blut mehr blut ist die maxime
die berge vasilier'n ihr glied
die nackten frauen spielen eine pantomime
das meer verschlingt ein atonales lied

der depressive wird für eine viertelstunde froh
der kontinent baut mauern an den rand
im feuer leuchten städte lichterloh
und ich geb euch die die hand

ich weiß´wie diese letzte inszenierung heißt
wenn gott nicht doch noch hirn auf alle scheißt


Do 16.02.23 10:29 grau

als hüte herrenlos
durch meine träume schwebten
erwarb ich die lizenz zum fliegen durch das wort
und als die frau sich zu mir legte
blieb nichts als ihr sofort
das blau des himmels auszubreiten
in ihren stillen ort zu gleiten
wo niemand kniet wo niemand knecht
wo kein verrat noch gold noch list ist


Fr 17.02.23 15:39 grau, windig und regnerisch

Ein Comedian aus Berlin, ein DJ aus Kassel und ich wollten ausloten, was es mit Hemmingways "Death in the afternoon" (Absynth plus Champagner) auf sich hätte. Nach drei Gläsern über eineinhalb Stunden überwog der Wunsch, mich mit der Welt zu versöhnen. Der Horizont, der kein Meer war, kein Berg, Wüste oder fruchtbare Ebene, sondern ein altes Chaiselongue, winkte mich heran. Ich folgte ihm. Die wie Kolibris schwirrenden Stimmen waren nur noch Geräusch, Wortwind aus anderen Weltgegenden, die Probleme der Welt und die eigenen Eintrübungen, in der Kindheit abwesende Liebe, Erfolg, Mißerfolg, Sein oder Nichtsein, existierten nicht mehr. Aber ich war nicht tot, wie man aus so einem Zustand schließen könnte, nein, ich lebte, ich war dumm und glücklich. Am Morgen ging es mir prächtig. Dieses Experiment werden wir heute abend in anderer Besetzung wiederholen.

17:26

wind bittet die forsythien zum tanz
spatzen legen patiencen
in verborgenen nestern
es ist freitag
gleich wollen sie trinken
über ihnen - maulwurffarben -
ein durchhängender himmel
ein durchgelegenes bett
in dem unerhörtes volk lebte
regennasse dächer
wischen sich die traufe aus der stirn
solarpanele sind zeugungsunfähig
koniferen tun so
als wären sie kugeln und pyramiden
sie sind herumgekommen
sie haben speiselokale besucht
leere züge gesehen und träume
von denen niemand etwas ahnt
pitschnasse winterlinge
ein abgetretener bürgersteig
in garagen brütende suv's
sie sind betrübt
weil sie außer ihren besitzern
keine freunde haben
alles hier hat einen plan
aber niemand spricht darüber
nur wenn es stockdunkel wird
wenn die nacht marodiert
und sie nur noch sich selbst fürchten
gestehen sie
dass nichts so gekommen ist
wie sie es erträumt hatten
sie zünden türgroße flatscreens
und zappen durch fremde träume


Sa 18.02.23 10:57 grau regnerisch windig

wind bittet die forsythien zum tanz
die spatzen legen patiencen
in verborgenen nestern
es ist freitag
gleich wollen sie trinken
über ihnen mausgrauer himmel
ein durchgelegenes bett
in dem unerhörtes volk lebt
regennasse dächer
wischen sich die traufe aus der stirn
solarpanele sind zeugungsunfähig
dazu die mimikry der koniferen
sie tun so als wären sie
kugeln und pyramiden
sie sind herumgekommen
sie haben speiselokale besucht
leere züge gesehen und träume
von denen niemand etwas ahnt
pitschnasse winterlinge
ein abgetretener bürgersteig
in garagen brütende suv's
sie sind betrübt
weil sie außer ihren besitzern
keine freunde haben
alles hier hat einen plan
aber niemand spricht darüber
nur wenn es stockdunkel wird
wenn die nacht marodiert
und sie nur noch sich selbst fürchten
gestehen sie
dass nichts so gekommen ist
wie sie es erträumt hatten
sie zünden türgroße flatscreens
und zappen durch fremde träume



Mo 20.02.23 15:10 grau

Gegen 7:30 sagte die Stimme, ich könne den kurzen Weg zum Erledigen des Geschäftlichen mit geschlossenen Augen zurücklegen, ja, es sei nicht einmal nötig, zu erwachen, aber ich müsse es bald tun, sonst ginge es in die Hose. Es ging nicht in die Hose, schließlich gendere ich und sitze bei meinen
Geschäften. Das Bett war noch warm, als ich zurückkehrte. Die Stimme erinnerte mich daran, dass heute der Tag der allgemeinen Raserei, des Alkoholismus und der Promiskuität sei, meinte aber, zu all dem sei ich zu alt. Ich hatte in den vergangenen fünfzig Jahren zweimal erfolglos versucht, mich diesem Tag anzunähern, aber mein Frohsinn ist von anderer Natur. Ich sog Luft in die Nase und dachte, du musst überhaupt nichts, während die Luft meine Lungen füllte. Ich hielt sie für eine Weile an, atmete aus und wusste, das ist der richtige Ansatz. Ich zog mir die Decke über die Fontanelle, achtete auf die Luftzufuhr und träumte bis zehn. Sollte ich mich ankleiden? Eine Notwendigkeit bestand nicht, aber ich folge gewissen äthetischen Grundsätzen, allerdings benötigte ich erst mal einen Energieschub. Ich machte Capuccino, las Zeitung, checkte das Internet auf Likes, eine völlig nutz- und folgenlose Bestätigung oder Ablehnung meiner Arbeit, ließ mir eine Wanne einlaufen, las ein paar Seiten des vierten Clemens J. Setz Romans (Die Frequenzen) in Folge und dachte, mein Lieber, langsam komm' ich dir auf die Schliche.

Ich kleidete mich an und öffnete die Webcam des Prinzipalmarktes. Bunt bewimpelt, wenig Bewegung. Grau. Feucht. Ich frühstückte. Ich spielte Klavier. Das schiefergraue Schleifen der Wolken irritiert mich seit Wochen. Der Februar ist von allen dunklen Monaten der unangenehmste. Die Vögel haben fundiertere Informationen und singen schon. Das heitert mich auf und gibt mir Vertrauen. Meine Zeit vergeht sowieso, egal, was und wieviel ich tue. Erfolg und Nichterfolg sind nicht zu erklären. Ich bin mein einziger Vertrauter. Das wäre nicht zu ertragen, wenn ich mich nicht liebte. Aber ich liebe mich. Ich liebe meine Volten. Ich liebe meine physische und psychologische Struktur. Ich staune über mich. Dann und wann bin ich stolz. Stolz eine morsche Konstruktion, man sollte ihr nie vertrauen. Mittlerweile ist es 16:38. Der LWL zeigt kein Interesse, meine Korrespondenz mit der Droste zwischen Buchdeckel zu pressen. Mittlerweile ist sie e auf 60 Briefe angewachsen. Ich schätze, man findet nicht gut, dass ich die Droste als Kollegin betrachte und vermisst die Hochachtung von der berühmten Dichterin. 16:54. Ich werde Klavier spielen. 18:40. Ich habe Klavier gespielt. Es ist dunkel und feucht. Ein Regen, der vollen allen Seiten kommt.


Di 21.02.23 13:21 grau, feucht

ich habe
keine angst mehr vor den tönen
ich lad sie zum kaffee ich sage ja
iihr seid gemeint
ihr seid mein tete a tete
ihr seid die terz auf meinem boot
die quart im achtersteven
die quint als retter in der not
die sext für die eleven
die sept ist mir noch unheimlich
ich navagiere
leg bisweilen an
in häfen die so anders klingen
stehe ich meinen mann
improvisiere mich durch kontinente
ertappe mich beim halben ton
kassiere jeden monat meine rente
der igel sagt da bin ich schon (fertiggestellt 16:40)

Dreieinhalb Stunden für diesen Text, die Stunde 150 Euro, aufgerundet 600 Euro, crowdfunding ist möglich. paypal. standardüberweisung sparkasse münsterland ost. alternativ dazu: massenhaft likes zum abjerken.

Mi 22.03.23 13:22 milchig milder

sie waren aufgesprungen
weil auf der bühne
jemand mit stimmbändern
rachen zunge und lippen
worte durch reifen springen
löwen bändigen und feuer spucken ließ
aber am meisten jubelten sie
als er mit den verbotenen worten jonglierte
die sie ihr leben lang begleitet hatten
und nun aus allem gestrichen waren
was ihnen lieb war
aus kinderbüchern aus romanen
aus filmen und theaterstücken
worte von denen die welt plötzlich annahm
sie führten schnurstracks ins verderben
den tod auf den schlachtfeldern aber
den hunger das leid
und die obszönen profite des kapitals
ließ man unangetastet

16:38

Wie sieht das Glück aus, von dem immer die Rede ist? Trägt es ein schlichtes Seidenkleid mit Flügelapplikationen, ist es ein Zimmer voll gegenständlicher Möbel, das sich von Kunst an den Wänden unterhalten lässt, ist Glück der Moment des Einschlafens, den man nie erlebt? Glück ist alles, aber man muss genau hinschauen.
Am Besten, man schließt einen Wahrnehmungsvertrag mit der Allianz. Oder man glaubt, Glück sei der Wind, der beim Radfahren in den Ohrmuscheln wirbelt. Glück tanzt als Melodie zwischen zwei Grundtönen. Glück geht abends in einen Club und tanzt. Glück hat die Welt gesehen und war erschrocken.

Do 23.02.23 21:22 grau feucht

Trägt das Glück ein schlichtes Seidenkleid mit Flügelapplikationen? Ist es ein Zimmer voll gegenständlicher Möbel, die sich mit abstrakter Kunst an den Wänden unterhalten? Ist Glück der Moment des Einschlafens, den man nie erlebt? Am Besten, man schließt einen Wahrnehmungsvertrag mit der Allianz, damit man Glück sehen kann. Oder man glaubt, Glück sei der Wind, der beim Radfahren in den Ohrmuscheln wirbelt. Glück ist eine Melodie zwischen zwei Grundtönen. Glück tanzt. Glück hat die Welt gesehen und war erschrocken.


Sa 25.02.23 22:35 kalt kalt

die notwendigkeit
diesen leib durch ein leben zu tragen
hatte ich mir nicht ausgesucht
ich hatte den akt nicht gewollt
der neun monate zur tatsache reifte
und noch immer tatsache ist

so etwas kann niemand begreifen
am wenigsten ich
der das leben liebt
nicht die notwendigkeiten und tatsachen
den träumen verfallen ist
leben auf sich regnen lässt
und dem gott des nichtstuns
jeden wunsch erfüllt


Mo 27.02.23 13:27 recht sonnig, kalt

sie lieben es
beieinander zu stehen
sie tuscheln
sie sind gern froh
aber heute bekam eine von ihnen
etwas in den falschen hals
eine schrie die andere
stach ihre verachtung ins beet
dass die erde bebte
die luft
wehte eiskalt
um die gemüter zu kühlen
die anderen
läuteten ihre glockenköpfe
aber es half nichts
der einen wie der anderen
waren tuscheln und frohsinn vergangen
und der winter
war auch noch nicht besiegt
wer hilft ihnen
wo ihr ende absehbar ist
nebenan warten narzissen
aber nachts rollen züge
mit schwerem gerät
und noch präziser zu töten


16:15

sie lieben es
beieinander zu stehen
sie tuscheln gern
und sind froh
aber heute bekam eine
etwas in den falschen hals
sie schrie und die andere
stach ihre verachtung ins beet
dass die erde bebte
die luft
wehte eiskalt
um die gemüter zu kühlen
die umstehenden
schwenkten ihre glockenköpfe
aber es half nichts
der einen wie der anderen
waren tuscheln und frohsinn vergangen
und der winter
war auch noch nicht besiegt
wer hilft ihnen
wo ihr ende absehbar ist
nebenan warten narzissen
aber nachts rollen züge
mit schwerem gerät
und noch präziser zu töten


Di 28.02.23 12:45 sonnig, kalt, Nordostwind