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Sie schuettete den Sand aus der Urne und zeichnete mit dem Finger darin. Papa. Feine, weißgraue Asche, von Muscheln durchsetzter Sand, Kalksplitter, Papa. Mit den Händen schob sie die Asche zu einem kleinen Hügel. Mehr nicht, Papa. Zerrieb ein wenig davon zwischen den Fingerspitzen, die weiß wurden. Schaufelte sie zurück in die Urne und machte sich auf den Weg. Es gab Lieblingsplätze. Die drei Linden auf dem Berg, der sich allein weit und breit aus der Ebene erhob, der den Blick freigab auf das Land bis zur Grenze, der im Innern ausgehöhlt erst den Nazis, dann der Nato als Raketenbasis diente, dorthin fuhr sie mit ihm. Sagte, weißt du noch, Papa, du und ich auf Onkel Hans Motorrad, wie mein Haar flog und wie dann der Motor streikte und du uns einfach den Berg hinabrollen ließest, bis der Motor sich nicht länger weigern konnte und knallend ansprang? - Eine Handvoll, einverstanden? - Die Asche verwehte, stand in der Luft wie ein Hauch, während die Kalksplitter zu Boden fielen, Spreu und Weizen. Komm, Papa, weiter. - Der Ausflug nach B. - Ich war acht oder zehn und ein anderer Onkel, ich habe seinen Namen vergessen, hatte uns zu einer Landpartie eingeladen. Er besaß ein Auto. Und auf dieser weiten Straße, die gewellt vor uns lag, weit und grau, erreichte ich zum ersten Mal in meinem Leben hundert Stundenkilometer. Der Himmel über mir flatterte wild, die Welt links und rechts löste sich auf in verschwommenem Grün, zerschnitten vom Rausch der Geschwindigkeit. Und du riefst: Geht es nicht schneller, Heinz. - Richtig, jetzt weiß ich es wieder. Er hieß Onkel Heinz. Aber schneller als hundert ging damals noch nicht. - Zwei Hände voll, einverstanden. Sollst über der Straße schweben auf ewig und jeden beschützen. - Und ein wenig von dir muss auch in den Fluss, der dir so nah war. Das Wasser ist Mutter. Vom Wasser kam alles. Kannst über ihm schweben, kannst weich und weiß langsam eintauchen und einmal das Meer erreichen. - Nun treib schon davon, Papa, geh. - Und was übrig bleibt, Papa, stelle ich auf mein Klavier. Ich werde dich bei mir haben, die ganze Zeit, werde ab und an mit dir sprechen, und wenn Mama dann tot ist, wenn Mama auch Asche ist, so wie du, dann werde ich euch in einem Eimer vermischen, so dass keiner mehr unterscheiden kann. Und dann fort mich euch in den Fluss. Dann will ich euch nicht mehr sehen. Dann ist es aus und vorbei. Dann habe ich lange genug für euch gesorgt.

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