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Hermann Mensing

Hörspielworkshop Paul Gerhardt Schule Ibbenbüren

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

24. - 28. April 2006

Die Teilnehmer der Projektwoche an der Paul Gerhard Schule.
Von links nach rechts, untere Reihe, hockend: Daniel, Matthias, Nikolai, Florian.
Obere Reihe: Dennis, Kai, Kerstin, Tim, Karina, Somlak (die Kleine), Josef, Katja, Carolin, Jacqueline, Jannike, Jennifer, Ayse, Frau Strübbe, die Deutschlehrerin.

 

1. Tag - 24.04.06   14:20

Rings um Ibbenbüren wird gebaut. Ich fühlte mich wie im Metropolen-Verkehr, als ich heute früh, fünf Minuten vor Beginn meines Hörspielworkshops, die Schule anrief, um mitzuteilen, es könne noch dauern, ich stecke im Stau. In der Schule war das Problem glücklicherweise bekannt.

Zehn Minuten später standen sie vor mir: 19 Jungen und Mädchen.
Ich der Schriftsteller, sie die skeptischen Schüler. Ihr Klassenlehrer wollte zuschauen, was der Dichter so macht, aber ich bat ihn, mich die ersten Stunden mit den Schülern allein zu lassen, der Pädagoge im Nacken, gab ich zu, würde mich hemmen. Der Klassenlehrer verstand sofort und ging. Frau S. aber, die mich engagiert hatte, blieb. Und blieb. Sie blieb den ganzen Morgen über, fiel aber nicht weiter auf. Ich nehme an, sie wird die ganze Woche still in einer Ecke sitzen und zuschauen.

Ich begann mit Konzentrationsübungen: das Reihumklatschen, das Richtungswechsel-Klatschen, langsam und schneller werdend, das rhythmisierte Gehen mit plötzlichem Freeze, das Gleiche mit Ausdruck: Lachen, Weinen, Schauen, was immer auch einfällt. Das Herumgehen, das plötzliche Freeze mit einem Satz, einem Wort, einem Ruf. Das Herumgehen mit Geste und Mimik, die der nächste aufnimmt und größer macht. Alles, was ich seit Januar auf den Theater-Soap Proben gesehen hatte, probierte ich heute früh.

Ich las Die Reise ins Glück. Wir besprachen die Geschichte. Jeder benannte, worum es ging: Rassismus. Sklaverei. Verkehrte Welt. Billige Arbeitskräfte. Eine lange Reise. Armut. Menschenhandel. Müdigkeit. Gewalt. Menschenverachten. Angst. Hungersnot. Vergewaltigung. Trauer. Erpressung.

Wir machten Pausen. Wir widerholten das Reihumklatschen mit erhöhter Konzentration. Ich erklärte, wofür ich ihr Wachsein benötige. Wir wollen ein Hörspiel schreiben, richtig? Richtig! Gegen 11:30 hatte ich alle soweit, dass sie in den Hot-Spot traten und sagten, was für ein Hörspiel sie schreiben wollen.

Es soll um Musik gehen. Spannend sein. Es soll um Kriminalität gehen. Um Auslandsreisen. Lustig und spannend soll es sein. Horror soll es beinhalten. Spaß auch. Angst und Freude sollen drin vorkommen. Action. Musik und Erfolg. Liebe und Freundschaft. Jugend von heute.

Wir hörten Freiflug nach Pampalonien. Eines meiner Hörspiele. Ich erteilte eine Aufgabe für morgen. Ich trug jedem auf, mindestens eine Seite über das von ihm benannte, noch zu erarbeitende Hörspiel zu schreiben. Soll es spannend sein, dann schildert, wie spannend. Eine Geschichte? - Ja, wenn euch eine einfällt. Ich ließ sie den Auftrag notieren und verlangte verbindlich, dass jeder daran arbeitet. Das keine Ausrede gälte. Kein gutes Wetter. Kein: ich musste mal....

Ich hatte den Eindruck, sie haben verstanden.

Den Dienstag werde ich genauso beginnen, wie ich heute begonnen habe: mit Nichts. Ich hoffe, gegen Mittag dann schon wieder etwas weiter zu sein.

Mein Fazit für heute: gelungen. Wenn es so weitergeht, schaffen wir eine Story.

 

2. Tag - 25.04.06   13:20

Ganz gleich, wie ich's drehe, ob ich über die Dörfer fahre, die Autobahn einbeziehe, die Reise nach Dickenberg/Ibbenbüren ist nicht unter einer Stunde zu schaffen. Dennoch: wunderschönstes Frühlingsland, flach wie ein Brett zwischen Saerbeck und Riesenbeck, dann überquert man den Dortmund-Ems-Kanal, passiert Hörstel, kommt nach Püsselbüren und fährt steil bergan nach Dickenberg.

Schafften heute den Titel.
Das Hörstück heißt nach demokratischen Mehrheitsentscheid: The Trip.
Es wird: eine Klassenfahrt mit Horror, Liebe, Humor. Die erste Szene ist notiert und ausgedruckt. Die Teilnehmer des Workshops haben den Auftrag, die heute entstandene Szene zu lesen, laut zu sprechen, sich Positionen auszudenken zu ihrer Figur und sich Gedanken zu den nächsten Szenen zu machen.
Mein Vorschlag für die Busreise: eine Vollbremsung. Warum. Wieso.

Morgen dann: Durchlauf der ersten Szene, Arbeit an weiteren Szenen.
Möglicher Durchlauf anschließend.
Sprechproben.

Geräusche.
Ich brauche eine Geräusche-CD.

20:23

Rief Frau B. vom Bürgerfunk an, mit der ich schon ein paar Mal zusammengearbeitet habe. Die hatte Geräusche. Hunderte und noch einmal Hunderte, die ich in drei mühsamen Stunden auf meine Festplatte und auf CD's kopiert habe.

Schlaucht, so ein Workshop. Macht auch Spaß.

 

3. Tag - 26.04.06   13:45

Große Kunst machen wir nicht, aber die war auch nicht gefragt.
Wir machen ein Hörspiel, an dem 19 Schüler beteiligt sind. Jeder spricht. Hin und wieder bezieht sich der eine auf den anderen. Wir nageln die Geschichte zusammen wie eine Hütte im Wald. Man sagt, man hätte Spaß. Darum geht es. Heute sind wir bis zur siebten Szene gelangt. Morgen schreiben wir noch drei oder vier Szenen, in denen es zum dramtatischen Höhepunkt kommt, dem Verschwinden und Wiederauftauchen einer/mehrerer Personen, dann ist Schluss. Freitag nehmen wir auf. Die Deutschlehrerin staunt. Ich sage ihr nicht, dass ich auch staune. Schließlich hat sich alles ergeben. Nichts war geplant. Das soll mir erst mal jemand nachmachen.

 

4. Tag - 27.04.06

Während der vorpubertierende Hermann beim zufälligen Mithören einer Unterhaltung seiner Eltern über die Hämorrhoiden des Vaters noch rote Ohren bekam, ist die Jugend der Gegenwart viel weiter. Zum Beweis der Text eines fünfzehnjährigen Rappers aus Püsselbüren, der ohne Zweifel leidet. Er ist groß, blond, hat ein viereckiges Gesicht, steht auf Bushido, trägt einen gefakten viereckigen Brillantohrring im linken Ohrläppchen, Jeans, blaues Sweatshirt, die Basekap halbschräg, er ist Teilnehmer meines Hörspielworkshops, und weil sein Text so schön gewaltätig ist, habe ich ihn hitlerized....

Kaine Chance Alter

Egrrro fäckt oich alle
äch mord oich alle
äch stech oich alle ab
mät maim Messa we Viecher
ähr könnt mäch nächt bändäger, äch bän da grrößta Dägger
äch fäcke daine Motter
äch fäcke dainen Vater
äch fäcke daine ganze Famälie
ond se wärd zom Krrater
dain Haus wärd abgebrrannt
do bäst aine arschgefäckte Horrre
do mainst, do kannst mäch verrarschen
doch äch werd däch ämma bochen
äch werd dain Geld nächt bezahlen
do bäst ne Horrre
ond do hast mär gar nächts zo sagen
äch bän hia da Käng am Mäkrrrofon
äch fäck dain Däng am Mäkrrrofon
daine Votze äst nächt das was äch wollte
do bäst ain Horrrensohn
äch fäcke däch, äch fäcke alle de äch kenne
äst schaißegal wen
äch komm än maim Mercedes Benz
do domme Votze, äst schaißegal ob do ain Mädchen bäst
äch wächs där äns Gesächt
äch wächs än daine Frrresse
äch wächs där auf den Bauch!!!
da schlägst do de Aogen auf
do bäst ne Schaißvotze
mainst, do kannst mäch verrarschen
äch hasse däch för ämma & för alle Tage
äch bän öbelst angepässt
halt de Frrresse ond verpäss däch aus maim Leben!!!!

 

5. Tag - 28.04.06   Aufnahme

Die Workshopteilnehmer lesen sich ein....

 

       

 

Aufnahme...

      

  

 

Leute Leute, das war ne schöne Woche.
Heute kam Carsten, hat sein Equipment aufgebaut, zwei Kondensatormikrofone, Vorverstärker, einen Dat-Recorder, gegen 9:30 waren wir klar, haben eine Sprechprobe gemacht und dann Szene für Szene eingesprochen. Gegen 12:00 war alles fertig, alle waren stolz und glücklich, nächste Woche werden Carsten und ich das Hörspiel bearbeiten, mastern, auf CD brennen und dann werde ich noch einmal nach Dickenberg fahren und das Hörspiel feierlich überreichen.

 

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