Juli 2003                                      www.hermann-mensing.de                                

mensing literatur

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Di 1.07.03 9:00

Neun Uhr in D. Niemand gibt auf!

10:53

Der Schriftsteller ist Unternehmer. Er denkt Tag und Nacht über sein Unternehmen nach, entwickelt und verwirft Ideen, hofft, seine Mitbewerber vom Markt zu verdrängen, erleidet Stress in einem Maße, das sich abhängig Beschäftigte kaum vorstellen können, er kennt keine Feiertage, keinen bezahlten Urlaub, er kennt weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld, aber er erwirtschaftet im Gegensatz zu anderen Unternehmern selten hohe Renditen.
Trotzdem tut er das alles gern.

15:20

Vor allem, wenn er abenteuerlichste Projekte ausheckt. Am liebsten solche, von denen er nichts weiß. Die täglich vor leerem Papier beginnen und mit ein wenig Glück am Abend mit einer, zwei, manchmal sogar drei Seiten enden. Mit Tagen, die nicht einmal eine Seite hergeben. Er gerät dann in einen Taumel, der Monate anhält, bis das Projekt an ein Ende gebracht ist. Das Ende kommt oft überraschend. In all diesen Tagen hat er versucht, sich dem Lauf der Dinge anzupassen. Er hält ganz und gar nichts davon, sich die Sprache untertan zu machen. Auch glaubt er nicht an die Kraft der Fantasie. Er lauscht nur und schreibt auf, was schon da ist. Falls die Menge der verfügbaren Informationen ihm den Zugang erlaubt. Er glaubt, dass Demut dazu unverzichtbar ist. Er weiß, dass das Scheitern allgegenwärtig ist. Mit diesem prickelnden Gefühl motiviert er sich jeden Tag neu. Ist das anstrengend? Ja. Macht das müde? Ja. Auch. Ist das besser als Kaufmann sein oder Lehrer? - Das kann er nicht sagen. Die Erinnerungen daran liegen zu weit zurück. Aber wahrscheinlich gibt es gar kein besser und schlechter.

 

Mi 2.07.03  8:26

Endlich sind die Sonnentage vorüber. Endlich regnet es wieder. Ich freue mich auf den kältesten und feuchtesten Juli seit 100 Jahren. Beobachte den auf das Garagendach trommlenden Regen, der Tropfen für Tropfen zerplatzt, höre die Geräusche der Nachbarschaft, weiß, dass nun im Garten Ruhe einkehren wird, dass die lieben Nachbarn ihre Wegwerfmöbel aus dem Granulat der in gelben Säcken gesammelten Wegwerfverpackungen nicht mehr mit Pommes- und Bratwurstschalen dekorieren, dass fette Menschen sich nicht in der Sonne wälzen, ungeniert kann ich endlich wieder hinausschauen. Endlich ist wieder Frieden. Endlich herrscht wieder das Wetter, mit dem ich sozialisiert wurde. Nieder mit der globalen Erderwärmung! Keine Chance für Ozonlöcher und Dürre, es lebe der westfälische Regen und die daraus erwachsene Misantrophie, die mir das Leben so lebenswert macht.
PS. Sah gestern Abend zum fünften Mal meinen Lieblingsliebesfilm, bei dem ich spätesten zu weinen beginne, wenn sie zu ihm sagt, "ich bin doch auch nur ein Mädchen, das einen Jungen bittet, es zu lieben." Und dann diese wundervolle Kamerafahrt, die den Helden innerhalb von zwei Minuten durch alle Jahrszeiten führt. Er geht eine Straße hinab, die Straße, in der sich sein kleiner Buchladen befindet, die Straße, in der immer Markt ist, er trägt von Anfang bis Ende die gleiche Garderobe, aber die Jahreszeiten wechseln, während er sie Szene durchläuft. Wundervoll, einfach bewundernswert.
Sonst noch? - Nein. Andiamo also. An die Arbeit.

10:39

Eine der größten Segnungen der Zivilisation ist die Möglichkeit, sich in einem Zimmer einzuschließen, die Welt auf vier Wände und einige wenige eingewohnte Möbel zu beschränken; das Dasein in ein paar Wasserflecken an der Decke zu versammeln, in der weitläufigen Deltalandschaft des Holzbodens und im eintönigen Muster der hässlichen Tapeten; das Zimmer nur für einen kurzen Besuch im Bad zu verlassen und dort das Gesicht des Zwillingsbruders im Spiegel beweisen zu lassen, dass man sein Leben noch nichts ganz verlorengegeben hat. Immerhin kann man es noch betrachten. In dieser Absonderung gibt es die Möglichkeit, sich selbst zu begegnen. (1)

12:39

Wir haben Seite 20 erreicht. Das hieße unter Umständen: ein Viertel der anstehenden Arbeit liegt schon hinter uns. Schön schön.

 

Do 3.07.03 11:22

Liebe Regenfreunde.
Als Herr M. gestern sein bescheidenes Büro verließ, um noch einen Brief auf den Weg zu bringen, wurde er von gießkannenartigem Regen überrascht. Wenngleich er einen Schirm mitgenommen hatte, zog er es vor, ihn nicht zu öffnen, denn das Gefühl des an seinem Kopf herunter rinnenden Regens war so köstlich, dass ein Schirm nur hinderlich gewesen wäre. Er legte also den Kopf in den Nacken und freute sich diebisch, während andere Passanten eher bedrückt in Hauseingänge flüchteten oder unter Bäumen Schutz suchten.
Doch dann kam das Unerwartete: ein Gewitter zog auf.
Herr M., der großen Respekt vor solchen Naturerscheinungen hat und auf der Stelle zu glauben begann, sein letztes Stündchen habe geschlagen, nun und hier werde er für all seine Sünden (und das sind einige) bestraft, beschleunigte. Er versuchte sich vorzustellen, wie der Blitz in seine Fontanelle führe, dort einen letzten, lichtstarken Augenblick verursachte, um ihn dann in Schutt und Asche zu legen, so, wie er es verdient hatte. Aber entgegen all diesen Erwartungen traf der Blitz seinen ärgsten Konkurrenten Harry Potter.
M. lachte froh und war bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen.
Etwa: hätte auch er Freude an ukrainischen Prostituierten?
Oder würde er, wie von Berlusconi vorgeschlagen, auch gern in einem italienischen Film den bösen Nazi im KZ spielen?
Fragen über Fragen, und nicht eine kann letztlich befriedigend beantwortet werden.
Es ist eine Schande.

 

Fr 4.07.03 9:32

Als M. an diesem Morgen seinen Bagger bestieg, den Schlüssel ins Zündschloss steckte, den Motor startete, als graublauer Rauch aus dem Auspuff stieg und die Hydraulik ein wenig unwillig seufzend in Gang kam, ahnte er nicht, was ihn erwartete. Seine Aufgabe: heben Sie einen Graben aus. Achten Sie auf Kabel der Telekom. Ein Lageplan liegt bei. M. krempelte seine Ärmel auf. Die Sonne hing überm Wald, Regen glänzte in den Gräsern der Böschung. M. goss ein wenig Kaffee aus seiner Thermoskanne in einen Becher, trank, zündete sich eine Zigarette an, verschloss die Thermoskanne und legte sie in die Ablage. Er schwenkte den Arm des Baggers und begann mit der Arbeit.

12:05

Gegen zehn hob er ein Rattennest aus. Gegen halb elf stieß er mit der Baggerschaufel an einen grauen Metallkasten mit der Aufschrift: Bitte öffnen und sofort konsumieren. Er rief seine Kollegen. Man beratschlagte. Man öffnete den Kasten und fand sorgfältig in Stroh verpackte Flaschen. Man öffnete sie. Der Inhalt roch gut. Man tippte auf Alkohol. Da die Mittagspause nicht mehr weit war, beschloss man, zu trinken. Eine halbe Stunde später saß der Baggerfahrer M. in einer örtlichen Pommesbude und fragte sich vieles.

Etwa: Where do I get my poodle clipped? Oder: Muss man Amerika lieben? Ist der Deutsche a priori schlecht? Sind andere nicht genau so schlecht wie wir? Ist jemand so schlecht wie ich? - Zwischendurch ließ er fröhliche Rülpser. So ein tolles Getränk hatte er lange nicht mehr getrunken.

14:10

Als er zur Baustelle zurückkehrte, standen dort zwei Bagger. Er konnte sich für keinen entscheiden und beschloss, Feierabend zu machen. Feierabend, sagte er, schließlich war Freitag. Er steckte sich noch eine dieser Flaschen ein und fuhr heim.

17:00

Etwa gegen 17:00 fand ihn seine Frau. Er lag im Garten unter einem Busch und machte obzöne Gesten. Nur mit Mühe gelang es ihr, ihn ins Haus zu bringen. Dort verlangte er, sofort mit dem Papst zu telefonieren. Als sie sagte, das ginge nicht, zertrümmerte er das Wohnzimmer. Als die Polizei kam, griff er sofort an. Sie verteidigten sich mit Tränengas. Schließlich überwältigten sie ihn und brachten ihn fort.

 

Sa 5.07.03 14:43

Ich sah eine Afrikanerin. Sie war groß und schön und sehr sehr dick. Sie trug ein blau-weiß gemustertes Baumwollkleid mit einem Bolero-Oberteil. Das Muster sah bayerisch aus. Der Stoff war plissiert und fiel weit wie ein Hauszelt. Ihr Hinterteil, dieser mordsmäßige Arsch, schien gleich unter ihren Schulterblättern zu beginnen und wurde dann breiter und breiter und breiter. Sie lief wie eine Königin. Auf dem Kopf trug sie einen Turban. Er war so geknotet, das links und rechts zwei Hörner vorstanden, anders wüsste ich es nicht zu beschreiben. Die Enden einer Schleife jedenfalls waren es nicht. Woran es nun liegt, dass Afrikaner bei Frauen einen kräftigen Arsch lieben, weiß ich nicht. Ich bin aber fast sicher, dass das grundlegend andere weibliche Körperideal dieses Kontinents in seiner Armut wurzelt. Wer dünn ist, ist arm. Wer dick ist, lebt im Wohlstand und zeigt es her. Bin immer noch hin und weg von der Würde, mit der sie diesen massigen Körper spazieren führte. Daran sollten sich unsere Dicken einmal ein Beispiel nehmen.

18:17

Angenommen, ich fiele jetzt tot vom Stuhl, ich wäre doch ein vom Glück gesegneter.

 

So 6.07.03 10:57

Wir sahen etwas. Es war groß und schön. Nicht gestern, nein. Wir kamen vom Theater zurück, damals. Es war etwa 23 Uhr. Auf dem Heimweg stand am Himmel kurz hinter der Autobahnbrücke etwas gelb Leuchtendes. Mit einem Glimmen von wechselnder Intensität. Als wir näher kamen, erkannten wir die Form eines Zylinders. Darum ein orange farbener Ring. Ein Ballon? Ich hielt an. Wir stiegen aus. Es stand über uns. Seine Höhe war schwer einzuschätzen. 300 Meter vielleicht. Es machte kein Geräusch. Wir fragten uns, was das wäre. Es bewegte sich. Es stieg, es bewegte sich schneller und schneller ist östlicher Richtung, es stieg, war zum Schluss nur noch ein Stern und dann außer Sicht.
Ich rief bei der Polizei an. Ich schilderte, was wir gesehen hatten. Man sagte mir, das sei nichts für den Notruf. Ich rief die Luftaufsicht an. Man sagte, auf dem Radar habe man keine Auffälligkeiten festgestellt. Mögliche Deutungen des Phänomens wären: Wetterballone. Scherzbolde, die ein mit einer Kerze getriebenen Heißluftballon steigen ließen. Aber auch: der Öffentlichkeit nicht bekannte militärische Aktionen. Man sagte, Wetterballone stiegen in Essen auf und in Rheine, jeweils um Mitternacht.
Man sagte aber auch, "da haben Sie wohl ein UFO gesehen."
"Genau diesen Eindruck wollte ich vermeiden", erwiderte ich.
Ich rief den Deutschen Wetterdienst an. Auch dort hatte man keine Beobachtungen gemacht. Als mögliche Deutung bot man an: von einer Wetterstation ausgesandte Lichtstrahlen zur Höhenmessung von Wolken.
Was immer da am Himmel stand, lautlos und schön, muss ein UFO gewesen sein, dachte ich. Zwei Tage darauf las ich, dass in der gleichen Nacht im Süden Deutschlands und in der Schweiz ähnliche Phänomene gesehen wurden.
Gestern Nacht, als wir mit dem Rad nach Hause fuhren, sprachen wir darüber. Wir würden gerne wieder mal ein UFO sehen, aber C. meint, so etwas sieht man höchstens einmal im Leben. Wer weiß. (UFO-Sichtung 1.06.1986)

19:14

Was für ein wundervoller Nachmittag....

 

Mo 7.07.03 12:47

Sehr geehrter Herr Mensing.
Wir wussten ja nicht, dass Sie damals gern Kontakt mit uns aufgenommen hätten. Wir zogen es vor, diskret zu bleiben, wie es unsere Art ist. Nachdem wir aber nun lasen, dass Sie sich freuen würden, mal wieder ein UFO zu sehen, bitten wir Sie, sich heute Abend gegen 22:30 auf Ihrem Balkon bereit zu halten.
Wir würden uns freuen, Sie für ein Abendessen an Bord unseres Schiffes begrüßen zu dürfen. Bitte bestätigen Sie Ihre Bereitschaft, an Bord zu kommen, mit einer Notiz auf ihrer Webseite.
Mit freundlichem Gruß
Waithan Halakan, Kommandant

17:37

Sehr geehrter Herr Waithan Halakan,
sehr gern kämen wir an Bord Ihres Schiffes. Wir werden also zur vereinbarten Zeit auf unserem Balkon sitzen.
Mit freundlichem Gruß
Hermann Mensing

 

Di 8.07.03 9:53

Das Schiff glich unserem Wohnzimmer. Herr Waithan Halakan sah aus wie meine Frau. Die übrigen Besatzungsmitgliedern glichen wechselweise unseren Söhnen, unserem Wellensittich, hin und wieder auch meiner Stereoanlage. Ein seltsamer Abend, der damit endete, dass Herr Halakan sagte, für mich sei alles möglich, vorausgesetzt ich wäre in der Lage, folgende Aufgabe zu lösen.
Dann gab er mir einen Zettel mit dieser Notiz:
WINWORD verursachte einen Fehler durch eine ungültige Seite
in Modul MSGRGE32.DLL bei 015f:0200a7e4.
Register:
EAX=0062f88c CS=015f EIP=0200a7e4 EFLGS=00010206
EBX=00000001 SS=0167 ESP=0062f858 EBP=00bb95c8
ECX=00000001 DS=0167 ESI=01fc000f FS=37a7
EDX=00bb0001 ES=0167 EDI=0062f88c GS=0000
Bytes bei CS:EIP:
8a 06 46 88 07 47 49 74 25 84 c0 74 29 f7 c6 03
Stapelwerte:
0045c270 01fc000f 00000001 01fd1176 0062f88c 01fc000f 00000001 00bb95c8 0201542a 0201542a 00000000 00010000 0000ffff 00000000 01fdb92d 02013657

Tja, und da sitze ich nun und frage mich, was das zu bedeuten hat.

 

Mi 9.07.03 8:21

Spielte rather erbärmly gestern, mühte mich, statt zu genießen. Wenn ich Romane schreibe, leidet meist das Schlagzeugspielen ein wenig. By the way: der nächste Besucher ist der 9000.

15:13

Gestern erzählte mir jemand, seine Mutter sei nach dem Tritt eines Pferdes gestorben. Sofort war meine Trauer zurück. Ich fuhr daher heute den alten Weg in die alte Stadt, in der seit Anfang April niemand meiner Leute mehr lebt. Sah das Land mit den Augen des Abschiednehmenden, die ersten Getreidefelder geerntet, die Stadt Ziel vieler Touristen, die die grenzüberschreitende Landesgartenschau besuchen. Tat, was ich immer tat, wenn ich früher dorthin fuhr, ging die alten Wege, diesmal ohne die im Rollstuhl sitzende Tante. Dachte wie schnell alles vorüber ist. Fuhr in tiefen Gedanken wieder zurück und werde auch den Rest des Tages vertrauern. Und morgen dann sehen, ob es wieder geht.

 

Do 10.07.03 9:31

Heisssa hoppsassa Pipi, was für ein schöner Morgen. Frau Y. steht verzückt vor meinem Balkon, auf dem ich vertieft in die Lektüre der Zeitung sitze, Tee trinke und nebenher dieses und jenes denke. Sie ruft: "Hermann, heute morgen schlag ich die Zeitung auf, und wer lacht mich freundlich an: Hermann." Ach ja, natürlich, das Interview. Letzte Woche rief mich ein Redakteur der Westfälischen Nachrichten an und bat mich, etwas zum Leseverhalten der Kinder im Allgemeinen und zu Harry Potter im Besondern zu sagen. Sagte auch etwas. Y. schien begeistert. Mein Dorfruhm hat also heute einen neuen Höhepunkt erklommen. Hinzu kommt, dass ich gerade eine Lesereise für die letzte Aprilwoche des nächsten Jahres zwischen Freiburg und Bodensee vereinbart habe. Und noch etwas: Frau M. findet den Beginn meines neuen Romans durchaus gelungen. Worauf ich ihn sofort an den Verlag weiterreichte. Und da ich gestern Abend bereits um neun im Bett war und bis heute früh durchschlief, bin ich ausgeruht und zu allem bereit. Kommt doch her, ihr Verteiler von Geld und Ruhm. Ich scheiße auf Euch.

12:18

Ich schaue auf den Wind, der die Blätter vorm Fenster streicht, ich genieße die Kühle im Zimmer, die üblichen Verdächtigen gehen von hier nach dort und umgekehrt, ich werfe die alte KM 3 von Braun an und mache mir einen Bananen-Milchshake, der Krach ihres Elektromotors übertönt für ein-zwei Minuten jedes anderes Geräusch, ich süße mit Zimtzucker, ich trage den Shake ins Wohnzimmer, setze mich in den Wassily Chair, meine Freude darüber, ihn auf dem Sperrmüll gefunden zu haben, kehrt zurück und verdoppelt sich, es ist Mittag, ich habe noch kaum einen Satz geschrieben, stattdessen aber die Konturen meines Hauptverdächtigen ein wenig geschärft, ich grüße die Sonnenblume, sie nickt, ich höre "Der blaue Himmel" von den Erdmöbeln, ich fixiere mein Ziel für den Tag: rücke von Seite 28 auf Seite 30 vor. Sieh zu, dass du bis 15 Uhr fertig bist, dann kannst du dich aufs Sofa legen und mit den Radrennfahrern durch Frankreich fahren. Abgemacht? - Abgemacht. Starte jetzt!!!

19:14

Die schlagende Idee für den Verlauf kam mir, als ich mich kurz nach Mittag für ein Stündchen aufs Ohr legte. Womit wieder bewiesen wäre, dass jeder Idiot arbeiten kann, aber noch lange nicht jeder darauf vertraut, dass Ruhe ihn weiter bringt. Zwei Seiten für diesen Tag. Feierabend also. Wünsche einen schönen Abend in D.

 

Fr 11.07.03 7:44

Der Junkie ist im Netz. Er grüßt die, denen es ähnlich geht. Aber (sagt er) es gibt Schlimmeres.

9:59

Vor ein paar Wochen bauten Stadttauben vor unserem Balkon in einem Busch, der im Herbst orangerote Beeren trägt (keine Vogelbeeren, wenngleich sie gern von Amseln gefressen werden) ihr nachlässiges Nest. Mit klatschendem Flügelschlag kündigte sich jeweils der Wechsel bei der Brutpflege an, Gurren am Morgen, Mittag und Abend, ein Geräusch, das ich gern mag. Schließlich waren zwei junge Vögel geschlüpft, die schnell wuchsen. Vor ein paar Tagen übten sie Flügelschlag und wir hofften, ihren Jungfernflug miterleben zu können. Vorgestern standen Schulkinder auf dem Bürgersteig vor unserer Wohnung, riefen "Iiiiiiiii!" und starrten auf die Straße. Ich fragte, was los sei. Sie sagten, da läge eine Taube. Eine alte oder eine junge? Sie sagten, eine alte. Ich ging nachschauen. Es war ein Jungtier. Ich nehme an, sie ist beim Jungfernflug über die Straße gesegelt und mit einem Auto kollidiert. So kurz also kann das Leben sein. Ein absurdes Spektakel, das man genießen muss, sonst wäre es nicht zu ertragen. Also, liebe Junkies im Netz. Genießt es. Im nächsten Augenblick trifft euch womöglich der Schlag.

 

So 13.07.03 10:48

Unsere Portion sinnfreien Sprechens gib uns heute:
kreativität - kretativität - krematorium - kretamativum - kreislauf - kreimativilaum - krepieren - kreatpativieren - krepmativorium - kretaeipierität - kreis - kreitativiepirium - krempel - krempatimorium - kretamapelkrem - kreimapeltatimoretatität - kreptametorivität - kretimapelkreipierium - usw. undsofort.

18:11

Wegen ...

 

19:55

Der Eintrag von 18:11 wurden gestrichen. Was man mit George W. Bush machen sollte, war dem Verfasser schon vor zwei Jahren klar.

 

Mo 14.07.03 8:06

Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wer diese website besucht. Wer sind die? Immer die Gleichen? Oder nur zwei oder drei Halbwahnsinnige, die mehrfach lesen?
Melden Sie sich doch einmal. Sagen Sie, wie alt Sie sind, welchen Beruf Sie ausüben. Das interessiert mich.

11:58

Also: Auf Wiedersehen dann.

 

Di 15.07.03 15:12

Test Test. Eins zwo eins zwo.

 

Mi 16.07.03 9:43

Der barocke Mensch lebte mit dem Bewusstsein seiner Vergänglichkeit. Die Aufklärung verschob dies zugunsten des Lebens. Die Gegenwart verleugnet den Tod. Alles soll Leben sein und Vergnügen. Ich glaube, ich bin barock.

14:39

Test Test. Hitzestau. Eins zwo eins zwo. Gedankensperre.

 

Do 17.07.03 8:09

Soll niemand sagen, der Schriftsteller mühe sich nicht. Bin gespannt, wie weit er heute kommt.

10:10

Nichts als Ausschuss und spinnerte Ideen!!! Vielleicht wäre es besser, sich einzugraben und abzuwarten.

16:02

Hart gekämpft. Nicht aufgegeben. Test Test. Immerhin: eineinhalb verwertbare Seiten.

 

Fr 18.07.03 9:31

Swinge mit Milestones. Ziel der heutigen Etappe: Stabilisierung des Erreichten. Gut möglich nämlich, dass ich seit gestern über'n Berg bin. Ich will's nicht beschwören, aber es kam mir so vor.
Gar nicht swingend war "Die Entführung aus dem Serail", die wir gestern Abend sahen und hörten. In weiser Voraussicht hatte der Regisseur die ersten zwei Stunden durchspielen lassen, sonst wäre ich nach der Ouvertüre gegangen. Dabei liegt mir Mozart. Er hat so etwas Treibendes. So verzweifelt fröhliche Uptempi. Aber genug: mit Celia von Paul Motian nähere ich mich dem Zeitfahren. Eine Tasse Tee noch, dann gebe ich mir die Sporen. Test Test. Eins zwei. Eins zwei.

 

Sa 19.07.03 11:47

Im Wohnzimmer meiner Kindheit (Gronau/Westfalen, Bismarckstraße 22) gab es einen dunkelbraun mit Stich ins rötliche furnierten Schrank. Sein rechte Seite war verglast. Eine Vitrine für selten bis nie gebrauchte Weingläser. Im unteren Teil waren zwei Türen. Dort wurden Keksdosen, Schalen, Vasen und Fotoalben aufbewahrt. Die gesamte linke Front überm unteren Teil konnte man aufklappen. Man hatte dann eine Schreibfläche. An der saß ich während meiner kaufmännischen Lehre manchmal, um Hausaufgaben zu erledigen. Nun war die Bismarckstraße 22 nie ein Haushalt, in dem viele Bücher vorkamen, aber eines muss dort gewesen sein, und das habe ich sehr früh gelesen. Es hieß "Als Vaters Bart noch rot war" von Wolfdietrich Schnurre. Wie es dorthin gekommen ist, weiß ich nicht. So viel zur Ursachenforschung. Gerade habe ich "Ein Unglücksfall" vom gleichen Autor gelesen und möchte es allen empfehlen, die sich mit Deutschland, seiner Geschichte, der Geschichte der Juden und Fragen der Schuld auseinander setzen. Es ist ein überwältigend klares Buch. Schnurre, der nicht zuletzt wegen "Der Schattenfotograf" zu meinen Lieblingsautoren zählt, hat hier etwas gewagt, was in der deutschen Literatur selten ist und oft daneben geht. Nicht so bei Schnurre. Also los in die Bücherei, in die Buchläden, auf nach Amazon, wenngleich ich zugebe, dass es nicht unbedingt ein Sommerbuch ist. Falls es Sommerbücher gibt.

19:50

Test Test. Eins zwei eins zwei. Wer sich als Erster bewegt, hat verloren.

 

So 20.07.03 12:52

Die Hitze schält jeden Gedanken vom Leib. Man wird aufgeben müssen. Wird jeden Schritt auf später verschieben. Auf die Nacht etwa, wie letzte Nacht, die wir auf unserem Balkon vertrödelten. Fast vier Uhr war's.

17:14

Während manche der Tänzerinnen aussahen, als ersehnten sie sofortige Penetration, waren andere eher mit Schrittabfolgen beschäftigt oder froh, sich halbwegs im Rhythmus zu wiegen. Hier und da souveränes Schweben, die Regel jedoch Mittelmaß. Die Tänzer oft ernst, manche sogar ein wenig verängstigt, denn der Tango, so, wie er seit einigen Jahren wieder in Mode ist im alten Europa, fordert, dass man Stellung nimmt, und da ist der durch Jahrzehnte harter Emanzipationsdebatten verunsicherte mitteleuropäische Mann häufig überfordert. Die manirierten Stilisten sind in der Minderzahl. Erfreulich die bunte Mischung der Tanzenden an diesem mediterranen Abend am münsterschen Hafen, alte und junge, herausgeputzt und auch nicht, alles ging, alles bewegte sich, tanzte. Ich sah zu und dachte an meinen Tanzkursus und daran, dass damals alle glaubten, die Revolution begänne mit vereinsamtem Hüpfen, dabei wäre sie vermutlich viel schneller voran gekommen, wenn man gemeinsam gehüpft und gesprungen wäre. Kurz nach Mitternacht fuhren wir heim. Durch die Straßen der nachglühenden Stadt hinaus, vorbei am Zoo mit den strengen, fernen Gerüchen, hinab ins Aa-Tal, vorbei an kühlem, mannshohen Mais. Über uns: der nachtblaue Himmel mit klaren Bildern und kräftigem, abnehmenden Mond.

 

Mo 21.07.03 8:30

Ruhig bleiben. Augen zu. Durch.

9:42

Alles ist und bleibt selbst eingebrockt. Etwa die Rezensionen, die vom Verlag kamen. Bis auf einen Verriss spricht alles für mich. Aber was bedeutet das? Macht die Tatsache, dass das Kultursekretariat NRW mich fördert, mich zu einem besseren Autor? - Nein. Einzige Rettung wären vernünftige Verkaufszahlen. Der Erlös relativierte das Gerede der Zeitungsschreiber, der Verlag wäre glücklich und der Autor riefe eine frohes "Leckt mich am Arsch!" Aber wie sagt schon Bond: seltsam, dass jeder auf Resonanz angewiesen ist.

12:02

Der eine sagt, dieser "Weihnachtskrimi hat alles, was kleine Leseratten fesselt. Doch der Text bietet noch mehr als nur Spannung, Abenteuerlust und Spaß: vor allem bildreiche, witzige Formulierungen, die bei jungen Lesern viel Freude am Umgang mit der Sprache wecken können. Der andere behauptet: "weder ein handwerklich solide konstruierter Krimi noch in irgendeiner Weise ein zwingendes Buch für die Vorweihnachtszeit." Noch ein anderer lobt, ich beschriebe "sensibel und differenziert meine Protagonisten und deren zwischenmenschliche Beziehungen" und beweise damit meine "Fähigkeit, die Lebenswelt junger Menschen treffend, ohne eine Spur von Aufgesetztheit oder anbiedernde, jugendlich gewollte Erwachsenenschreibe zu bescheiben". Der erste veröffentlich in verschiedenen Zeitungen des südwestdeutschen Raums, der zweite schreibt Empfehlungen für den Ankauf öffentlicher Büchereien. Der dritte war Jurorin für die Aufnahme in den Autoren-Reader des Landes NRW.
Damit lebe ich. Ganz gleich, welcher Auffasung ich bin, jeden Augenblick kann irgendjemand kommen und seine Meinung sagen. Jeder dahergelaufene Idiot kann das tun, und ich kann es nicht verhindern. Manchmal macht mir das Angst.

14:17

Schon am Freitag ahnte ich, wer der Täter sein könnte. Heute habe ich überprüft, ob er in das Konzept, das ich bisher entwickelt habe, hineinpasst. Er passt. Er fügt sich ein, als wäre das von Anfang an verabredet gewesen. Nur ein zusätzlicher Satz war nötig, ein Satz! Das reicht für den Tag nach dem Wochenende. Das reicht für einen Montag mit einem Stapel Rezensionen und einem Paket voller Belegexemplare des neuen Romans.

16:42

Take this...

 

Di 22.07.03 8:45

"Wo beginnt der Unschuldigen Schuld? Sie beginnt da, wo der gelassen, mit hängenden Schultern daneben steht, den Mantel zugeknöpft, die Zigarette anzündet und spricht: Da kann man nichts machen. Seht, da beginnt der Unschuldigen Schuld." (Gerty Spies, Schriftstellerin, 1897-1997)

11:09

Kanzler sagt Nein zu höherer Idiotensteuer: Berlin, 21.Juli (vgo/dpa/rtr). Die Idioten hier zu Lande müssen sich vorerst nicht auf wesentliche höhere Idiotensteuer einstellen. Bundeskanzler Hermann Mensing (MPD) hat einer Anhebung der Idiotensteuer eine klare Absage erteilt. "Wir haben derzeit nicht vor, bei der Idiotensteuer irgendetwas zu ändern", reagierte er am Montag in Berlin auf entsprechende Überlegungen aus SPD und Grünen. "Ich sehe mit Missvergnügen, wie sich im Sommerloch der eine oder andere breit macht, um eine Debatte über die Besteuerung von Idioten zu führen."

 

Mi 23.07.03 13:10

M. besinnt sich auf das, was er kann: Geld machen. Säckeweise wird er es scheffeln und fort schaffen auf eine nur mit Schafen bewohnte Insel da hinten, wo er schon ein Haus hat, und wenn dann einer kommt und Literatur sagt, wird er ihn mit Boden-Boden Raketen beschießen. Ihn mit Nebelwerfern benebeln und zu Hackepeter verarbeiten. So sei es.

 

Do 24.07.03 10:47

Sehr geehrter Herr Mensing,
wie konnten Sie nur auf die Idee kommen, einen Roman für Kinder zu schreiben, der sich mit Exhibitionisten und Menschen sexuell belästigende Männer in Parks beschäftigt. Wussten Sie nicht, dass die Verkaufschancen eines so schwierigen Themas sehr gering sind. Schreiben Sie in Zukunft bitte nur Lesefutter.
Ihr Verlag

Sehr geehrter Verlag,
ich weiß es auch nicht. Aber da ich mich augenblicklich auf Seite 42 festgefahren habe, nehme ich Ihre Anregungen gerne auf, lasse die Finger davon und schreibe Harry Potter Band 6.
Ihr Autor

20:29

Habe mir eine neue Corporate Indentity geschaffen. Hätten Sie nicht gedacht, wie???

 

Fr 25.07.03    14:22

ich merke
erst heute
wie schön die welt
mit mir ist
es braucht wohl tage wie diesen
und davor etliche jahre.
(aus: ...und Silbermond und... Gedichte 1982)

 

Sa 26.07.03    10:27

Seltsam fand ich die Häufung von Pleiten schon, die sich immer dann, wenn ich irgendwo ankam, ankündigten, aber ich will das nicht überbewerten. Auch dieses Mal nicht:
Sorge um Fortbestand des Kultursekretariats NRW

Wuppertal. Um den Fortbestand des Kultursekretariates Nordrhein Westfalen mit Sitz in Wuppertal sorgt sich dessen langjähriger Direktor Dietmar N. Schmidt. Zwar stehe die Arbeitsgemeinschaft aus 24 NRW-Großstädten nicht vor dem unmittelbaren "Aus", sagte Schmidt der dpa am Donnerstag. "Angesichts der akuten Finanznot des Landes und seiner Städte aber fürchte ich für die Zukunft das Schlimmste." So drohe mangels Gestaltungsspielraums beispielsweise "Manovrierunfähigkeit", meinte Shcmidt. Weil in Zukunft auf der Grundlage einer Prioritätenlisten von Projekt zu Projekt entschieden werde, müsse deren Bewilligung jeweils mit den Kulturdezernenten der Städte und dem Land NRW "erstritten" werden. Die chronische Unterfinanzierung sowie der "Verlust an Souveränität" drohte sowohl Quantität wie Qualität des Programms dauerhaft zu schädigen.

12:58

Buchhaltersorgfalt ist gefragt, wenn man sich an das Gestalten einer Webseite macht. Seit drei Tagen tue ich nun nichts anderes und fühle mich angenehm entrückt vom sonst oft quälenden Schriftstelleralltag. Woraus ich schließen darf, dass meine Buchhalterseele, die schon immer nichts anderes tun wollte, als das, was ein System ihr vorschreibt, all die Jahre seit meiner kaufmännischen Ausbildung überlebt und nur darauf gewartet hat, endlich wieder in Aktion treten zu dürfen.
Mit so einer Mentalität kann man natürlich auch andere Dinge erledigen.
Es muss nur ein eindeutiger Befehl im Raum stehen: nicht selbst denken, sondern den Systemanforderungen unbedingt Folge leisten.
Jawoll ja. Jawoll. Töten. Vernichten. Frieden schaffen, Herr Bush.

 

So 27.07.03    12:32

Während sich Wolken übern Himmel schleichen, verfliegt die Benommenheit einer langen Nacht mit Nachbarn im Garten. Berge Fleisch wurden über Holzkohle gegrillt, Salate gegessen, Herrencreme gab es aus großen Schüsseln, Bier wurde getrunken, Bärlauch Schnaps und Whisky, Wein und Sprudel, philippinische Lieder wurden gesungen, afghanische und deutsche, alle, die sich sonst nach Herzenslust mobben, saßen in dieser milden, später ein wenig feuchten Nacht beieinander. Ein schönes Bild. Waffenstillstand für ein paar Stunden. Schlechte Musik kam von einem grottigen Blaster. Die letzten gingen heute früh gegen sechs. Nun herrscht Sonntagsfriede.

15:10

Fliegen landen gern da, wo sie nicht sollen, Schläge gehen häufig ins Leere, aber seit ich weiß, dass man sie von vorn angreift, steigt meine Trefferrate. Jahrzehnte ging ich sie von hinten an, immer in der Annahme, sie aus dem Steigflug greifen zu können. Seit Kurzem aber schaue ich in ihre vielfach untergliederten Augen und sie schauen zurück. Denken, ha, da kommt wieder so einer und starten. Aber nicht frühzeitig genug. Klatsch liegen sie mit gebrochenen Flügeln auf meinem Handrücken. Ich entsorge sie im Papierkorb. Oder in Aschenbecher. Körper, von denen ich glaubte, dass sie endgültig Form und damit jedes Leben verloren hätten, reorganisieren sich aber nicht selten, so dass ich geneigt bin, an Wunder zu glauben.

 

Mo 28.07.03    6:03

Damit die Existenz eines Schreibenden Sinn macht, sollte er sich um diese Zeit auf die andere Seite drehen, sich die Bettdecke über die Ohren ziehen und so aller Welt demonstrieren, dass er zwar weder eine nennenswerte Rente noch sonst irgendwelche Leistungen im Alter erwartet, sich aber durch Privilegien auszeichnet, die andere erst genießen können, wenn die Zeit der Erwerbstätigkeit hinter ihnen liegt. Stattdessen ruckediguu't ihm ein Taubenduo die Flausen aus dem schlafttrunkenen Kopf, die Dusche im Nachbarhaus scheint materialisiert als Wasserfall direkt auf sein Bett zu stürzen und Kaffeeduft zieht aus der Küche zu ihm. Ein Kanari singt sein verblödetes Lied, ein Hund schlägt Alarm, ein Flugzeug bringt den Mehrwert Mehrende von A nach B und Touristen in noch heißere Weltgegenden. Die Sonne bleicht den Himmel hinterm Dachfirst der Nachbarhäuser. Der Schriftsteller (wahlweise: Dichter. Autor, je nach Präferenz einzusetzen) verrichtet Verwünschungen murmelnd seine Notdurft, küsst seine Frau und verschwindet wieder aus diesem Montag. Sollen andere sich um den Mehrwert sorgen. Er nicht. Er hat Großes vor. Er weiß nur noch nicht, was. Vielleicht träumt er es, jetzt gleich schon. Nie darf er nie sagen, denn alles ist jederzeit möglich. Mit dem Signalhorn eines Nahverkehrszuges werden jedoch all seine Hoffnungen aufs Weiterschlafen brutal zerstört. Nun fragt er sich, was er denn soll um diese Zeit. Leben? Das kann doch nicht des Lebens Ernst sein, oder?

8:13

Ohrenbären sind Radioerzählungen für Kinder im Vorschulalter. Sie werden um 19:30 gesendet. Es sind Gute-Nacht-Geschichten, die Mutter und Vater entlasten sollen. Ich habe schon eine ganze Reihe solcher Erzählungen geschrieben. Aber seit die Redaktion personell von Grund auf erneuert wurde, ist es mit nicht mehr gelungen, dort mit einem Manuskript zu landen. Ich glaube, ich war zu frech. Deshalb nun ein erneuter Versuch.
Hier also das Exposé für einen Ohrenbär. Ich plane sieben Folgen.
Mein Held heißt Pottgornie. Herr Franzobel Pottgornie. Er ist Pilot. Aber er ist kein normaler Pilot, sondern Pilot einer fliegenden Untertasse. Jeden Morgen fliegt er vom Küchenschrank auf den Küchentisch. Jeden Morgen stellt man eine Tasse Kaffee oder Kako auf seine Untertasse. Jeden Morgen schwappt etwas vom Inhalt der Tasse auf seine wertvolle Flugmaschine. Das ärgert Herrn Pottgornie. Es ekelt ihn. Aber er kann nichts daran tun. Schließlich ist er Pilot mit fest umgrenzten Aufgaben. Nach dem Frühstück fliegt er gemäß Flugplan A. vom Tisch in die Spülmaschine, wo man ihn oft tagelang vergisst. Auch das ärgert ihn. Und so fasst er eines Tages einen Entschluss. Er will fort. Hinaus in die weite Welt.
Ende Folge 1.


Die zweite Folge beginnt an einem Morgen. Die Spülmaschine wird geöffnet. Herr Pottgornie zündet die Triebwerke seiner Untertasse und steigt auf. Statt aber wie jeden Morgen auf dem Küchentisch zu landen, nähert er sich mit seiner Untertasse dem Fenster. Was zu großer Aufregung führt. Denn der Besitzer dieser und anderer fliegender Untertassen will nicht hinnehmen, dass sich eine Untertasse selbständig macht. Sie schließt das Fenster, und Herr Pottgornie, wenig vertraut mit der Welt außerhalb seines Küchenschrankes und der Spülmaschine, stürzt ab. Unkontrolliert taumelt seine Untertasse zu Boden. Als er erneut starten will, stellt er fest, dass seine Untertasse beschädigt ist. Erst nach mehrfachen Versuch startet sie, landet aber kopfüber auf dem Küchentisch und wird von dort sofort in die Spülmaschine gestellt. Ende Folge 2.

In der dritten Folge plant Herr Pottgornie den Protest aller in Spülmaschinen und Küchenschränken aufbewahrten Untertassen. Es kommt zu erregten Diskussionen über Sinn und Zweck der täglich ausgeführten Flugbewegungen. Die einen sind mit ihrer Misson zufrieden, andere nicht. Schnell bilden sich sich widersprechende Gruppen. Herr Pottgornie, der nichts weiter will, als endlich hinaus in die Welt zu fliegen, wendet sich enttäuscht ab und versucht es ein weiteres Mal auf eigene Faust. Diesmal klappt es. Zu seinem eigenen höchsten Erstaunen braust er hinaus in die Welt. Ende Folge 3.

Was aber nun anstellen hier draußen. Ganz und gar unheimlich ist ihm, kaum hat er die heimatliche Küche verlassen. Unendlich weit scheinen ihm Himmel und Erde und so beschließt er schon nach kurzem Flug, es gut sein zu lassen und erst einmal zurück zu kehren. Aber er findet den Weg nicht mehr. Alle Häuser scheinen ihm gleich auszusehen und nirgendwo ist ein geöffnetes Fenster. Und so verbringt er den ersten Tag und die erste Nacht in einer Grünanlage. Ende Folge 4.


In Folge fünf werden die Abenteuer des Piloten Pottgornie in dieser Nacht geschildert. Ende Folge 5.
Folge 6
bereitet die Rückkehr an den Ausgangspunkt der Geschichte vor. Herr Pottgornie erkennt, dass planmäßige Flugbewegungen seiner fliegenden Untertasse ohne Küche nicht möglich sind. Hier draußen ist das Orientierungssystem seiner Flugmaschine total überfordert. Er macht sich auf eine abenteuerliche Suche zurück. Tatsächlich findet er sein Haus. Aber alle Fenster sind geschlossen. Er landet auf dem Fenstersims und beschließt, dort zu übernachten. Ende Folge 6.

In Folge 7
entdeckt man die verschmutzte Untertasse des übermüdeten und vom vielen Fliegen erschöpften Herrn Pottgornie auf dem Fenstersims und beschließt, sie von nun an als Untersatz für einen Blumentopf zu gebrauchen. Das ist Herrn Pottgornie zunächst gar nicht recht, aber schnell schließt er Freundschaft mit dem zufrieden wirkenden Blumentopf, der sich gar nichts anderes vorstellen kann, als ein Blumentopf zu sein. Und so kommt es, dass zum Schluss alle zufrieden sind.
Titel: Die Abenteuer eines Piloten einer fliegenden Untertasse.

 

Di 29.07.03   9:13

Ich mache mir keine Illusionen. Mein Verlag wird mich in dem Augenblick fallen lassen, in dem die wirtschaftlichen Bedingungen nicht mehr zu seinen Gunsten ausfallen. Niemand wird auch nur eine Träne um mich weinen, denn überall hocken Schriftsteller in den Startlöchern und warten sehnlichst darauf, ausgebeutet zu werden. Mögliche Strategie kann daher nur sein: melke die Kuh, so lange es geht.

23:08

Das Schwere leicht machen wäre etwas, für das sich zu schreiben lohnt.

 

Mi 30.07.03 10:24

Alles hat angehalten. Alles schaut. Alles ahnt, wer da kommt. Dabei fangen doch morgen die Ferien an.

12:15

Seit gestern Abend (besser: heute früh) weiß ich, wer für das Attentat auf das WTC New York verantwortlich ist: Dustin Hoffman. Zu Ende des Films "Wer ist Harry Kellermann?" stürzt er sich mit einem (allerdings viel kleineren) Flugzeug auf Mana Hatta, diese Felseninsel, die man den Indianern für ein Butterbrot abgeschwarzt hatte. Grund für seine Tat: Das Leben als Popstar war ihm zu viel geworden. Er konnte die Einsamkeit nicht länger ertragen.
Herrn Bin Laden sah diesen Film, als er Anfang der Siebziger mit seiner Familie in Schweden Urlaub machte. Schon damals war ihm die westliche Zivilisation zuwider, er wusste es nur noch nicht. Er gab das viele Geld, das seine Familie in Saudi Arabien verdiente, noch mit Freude für Rolex Uhren und ungläubige Prostituierte aus. Erst viel später, als er sie alle gevögelt und sich mehr und mehr vor sich selbst und seinen Rolex Uhren zu ekeln begann, wuchs in ihm die Idee, zu Höherem berufen zu sein.
Er wusste zwar noch nicht, wofür, aber das würde ihm schon noch einfallen.
Und dann fiel es ihm ein: er wollte die Welt verbessern. Wie jeder aus der Geschichte ablesen kann, mutieren Weltverbesserer in der Regel innerhalb kurzer Zeit zu Folterern, Gefängnisaufsehern und Mördern. So kam es, wie es kommen musste: eines Tages fiel ihm der Film wieder ein, den er damals gesehen hatte.
Von dort war es nur noch ein kleiner Schritt bis zum 11. September 2001.

14:23

Erkläre die Umgestaltungsarbeiten an meiner Webseite für beendet. Die Arbeit war interessant und stumpfsinnig. Die Stadien, die ich seit Sitelaunch vor drei Jahren durchlaufen haben, lassen sich so umschreiben: vom Chaos zum organisierten Chaos. Vom Nichtwissen zu gesteigertem Nichtwissen. Von Höcksken auf Stöcksken.
Hest du dat metkriägen, Blödkopp? Kiekes. Hat ik nich dacht.

19:06

Mein neuer Briefkopf. Hermann rennt. Vom Comic Zeichner Eckart Breitschuh für mich.

 

Do 31.07.03     10:32

Haaaaa!
Ein namhafter Verlag zeigt Interesse an meinem von Ueberreuter wegen des zu schwierigen Themas abgelehnten Roman. Das ging schnell. Es heißt aber noch nicht, dass er verkauft ist. Nur die Voraussetzungen sind gut!!
Und noch etwas: heute gelang es mir zum ersten Mal, den Quellcode einer meiner Dateien, die nicht so funktionieren wollte, wie ich mir das vorgestellt hatte, zu manipulieren. Jetzt zeigt sie, was ich will.
Ich werde zweifellos besser. Und das an der Schwelle zur steppenmäßigen Vergreisung. Wer hätte das gedacht!!!

12:02

Kann man also sagen, der Schriftsteller M. ist bester Laune? Ja. Das kann man sagen. Sein Flugzeug fliegt ohne Störungen in großer Höhe. Die Welt sieht schön aus von dort oben. Sollte es abstürzen, wäre da noch der Fallschirm. Manuskripte, wohin das Auge reicht. Alle werden eines Tages verkauft. Das Ergebnis der letzten zwanzig Jahre. Ich werde noch lachen, wenn andere längst verstummt sind.

21:19

Seit Wochen trage ich nichts außer einer dreiviertel Hose, einem T-Shirt, ich laufe barfuss, ich schlafe bei geöffneten Fenstern, ich esse leicht, ich trinke Wasser und Wein, ich rauche Marihuana, ich bin guter Laune, ich habe Perspektiven, ich habe und hatte nie Schulden, ich habe und hatte nie Rücklagen, ich kaufe nur, wenn ich zahlen kann, ich zahle nicht mit Kreditkarten, ich habe keine Lebensversicherung, ich bin mir in jedem Augenblick des Todes bewusst. So schön ist das Leben. Das Jammern der andern widert mich an.

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1. Lennart Hagerfors "Der Sarekmann" Rowohlt 1993

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