Juli 2004                                                www.hermann-mensing.de                               

mensing literatur

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Do 1.07.04   10:12

Geldverleiher war schon immer ein verhasster Beruf. 17,5 Prozent Zinsen auf überzogene Dispos, 12,5 auf den Dispo selbst, dazu die üblichen Kontoführungsgebühren. Nicht schlecht, liebe Blutsauger, die ihr euch täglich neue Paläste baut, möglichst verspiegelt, damit euch das Sonnenlicht nicht pulverisiert, und so hoch, dass ihr den Boden aus den Augen verliert.
Aber keine Angst. Niemand will ich euch Böses.
Die Völker wollen keine Signale mehr hören, wahrscheinlich ist, dass sie zu dumm sind. Sollten sie sie allerdings doch eines Tages vernehmen, werdet ihr die ersten sein, denen es an den Kragen geht.
Bis dahin nehme ich eure Dienste dankbar entgegen und arbeite mich (voraussichtlich noch in dieser Woche) auf Normal Null. Wer nun glaubt, mein Vorstoß zu schwarzen Zahlen würde mit ähnlich hohem Zins entlohnt wie oben geschildert, muss noch dümmer sein.
Aber das wissen Sie ja besser als ich.
Sie haben ja ihren PKW mit einem Kredit finanziert, Sie haben auch sonst alles mögliche von der Bank vorfinanzieren lassen und fragen sich täglich, wie lang das noch gut gehen wird.
Ich kann es Ihnen sagen: bis Sie die Nerven verlieren und sich irgendwo aufknüpfen, so lange.
Oder die Signale hören.
Bis dahin wünsche ich Ihnen schlaflose Nächte.
Und denken Sie daran: wenn Sie den Arsch erst einmal zusammen gekniffen haben, können Sie nichts von dem, was Ihnen gestern, heute und morgen Sorgen bereitet, mitnehmen. Alles fällt an die Bank zurück, weil ihre Kinder, klüger als sie, sich weigern, das verschuldete Erbe anzunehmen.
Lohnt sich also ihr verzweifeltes Bemühen, Werte zu schaffen?
Entschuldigen Sie diesen kleinen Ausflug in vulgär-gesellschaftskritische Gefilde, es kam über mich, als ich meine Bankauszüge ansah.

 

Fr 2.07.04   9:20

Nicht selten verliest man sich. Wenn man es bemerkt, staunt man oft, wie das Unterbewusstsein sich neue Sinnzusammenhänge schafft. Ein bemerkenswerter Verleser stammt von meiner Frau. Ende der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts sah sie in unserer Heimatstadt, eine durch die Textilindustrie geprägte Stadt an der niederländischen Grenze, ein Schild:
Mischehen  bedeuten Volkstod! stand darauf. Sie war sechs oder sieben Jahre alt und las:
Mich sehen bedeutet Volkstod! Fortan hatte sie große Angst davor, ihn zu treffen, ihn, von dem sie doch nicht einmal wusste, wer er war. Bis heute hat sie das nicht vergessen.

Es gibt aber neben diesen Verlesern auch Verhörer:
Wann immer ich als Teenager den Beatles Song "Ob la di - ob la da- life goes on - braaaa" hörte, übersetzte ich bra mit Büstenhalter, was mich heftig ins Grübeln brachte. Bei Hey Jude diskutierten wir stundenlang, ob es sich bei diesem Lied um ein Lied über Juden handelte, und wenn ja, wie es zu verstehen wäre.

Einen grandiosen Verhörer las ich gestern in der FR.
Da hörte jemand als Kind wann immer er "Der Mond ist aufgegangen" von Matthias Claudias vernahm, statt "...und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar" den viel besseren Text "...und aus den Wiesen steiget der weiße Neger Wumbaba".

Mo 5.07.04 9:31

Bei geradezu idealen 16 Sommergraden, erfrischendem Regen aus grauem Himmel meldet sich ihr Korrespondent bester Laune. Er hat eine Party zum 60ten Geburtstag eines Bekannten hinter sich gebracht und dabei so vielen Gespenstern ins Auge geblickt, dass es zur Einsicht reichte, selbst nie so ein Fest zu veranstalten.

Aber bis dahin müssen noch fünf Jahre vergehen, und wer weiß, vielleicht ändert er seine Meinung. Vielleicht veranlasst ihn die auf ihn zukommende Altersarmut, doch noch ein Fest anzusetzen und von allen Gästen Geldgeschenke zu fordern, um seinen Lebensabend erträglicher zu machen.

Vielleicht ist er in fünf Jahren sentimental genug, massive Ansammlungen von Vergangenem lustig zu finden. Vielleicht fast so lustig, wie er seine eigenen Geburtstage findet, zu denen seit Jahrzehnten die gleichen Menschen auftauchen und bis zum bitteren Ende auftauchen werden, es sei denn, er wollte es sich mit allen verderben und verböte ihnen, auch nur noch ein einziges Mal zu kommen.

So lustig also fand M. den vergangen Samstag. Höchst aufschlussreich auch, zumal er als eines der ersten Gespenster B. entdeckte, Bandleader der Band, mit der er in den Siebzigern begann, Musik zu machen. Dessen inzwischen bärtiges Professorengesicht konnte noch immer nicht verbergen, dass er vor akademischem Hochmut fast platzt. M. stellte sogleich fest, dass seine Aversionen gegen Kinder aus gutem Hause in all diesen Jahren nichts an Vitalität eingebüßt haben, im Gegenteil.

Aber er hat Lächeln verschenkt und freundliche Sätze gesprochen. Niemand wird ihm also mangelnde Kommunikationsbereitschaft vorwerfen können, denn als man ihn fragte, wieso er allein gekommen sei und wo denn seine Frau wäre, antwortete er treuherzig und wahrheitsgemäß, die läge auf dem Sofa und hätte keine Lust auf so eine Versammlung von Wracks. Zu spät bemerkte er, wie die von zu vielen Joints schon etwas blutunterlaufenen Augen des knapp fünfzigjähigen Fragers sich verengten, aber da hatte er schon gesagt, was er nicht hätte sagen sollen.

Zu vorgerückter Stunde sattelte M. also still und heimlich sein Rad, fuhr westwärts und saß noch eine Weile auf seinem Balkon, um die Sommernacht zu verträumen. Wie er diese westfälischen Sommernächte liebt, in denen man sich romantisch in warme Decken hüllt und Glühwein trinkt. In denen der Meerwind Büsche und Bäume wiegt und man sich daran erinnert, dass es erst ein
Jahr her ist, als alle Welt von der globalen Erderwärmung sprach, so wie jeden Abend in den Nachrichten jemand davon spricht, die Konjunktur erhole sich, um am nächsten Abend das Gegenteil zu behaupten und am übernächsten wieder das Gegenteil.

Eine ganze Weile saß er also noch so und dachte Dinge wie:
Erfolg wäre, wenn ich Werner anrufen könnte und sagen, Werner, komm mal vorbei, du sollst uns eine Küche bauen.

Oder: Alles kann sowohl dies, das oder jenes sein, so lang es der Fall ist.

Überwältigt von so klaren Einsichten trollte M. sich ins Bett und wünschte sich bescheiden, vielleicht schon sehr bald 500 Euro für zwei neue Matratzen beiseite legen zu können, vielleicht sogar noch dieses Jahr oder nächstes oder vielleicht zum 60ten Geburtstag, der ja gar nicht mehr so weit weg ist und zu dem er vielleicht all die lieben Menschen, die ihn in den letzten Jahrzehnten ertrugen, einladen könnte, um vielleicht der Altersarmut.... der Regen hat nachgelassen. Das Leben ist schön.

 

Di 6.07.04 10:43

Zum planmäßigen Sommer am Dienstag begrüße ich Sie recht herzlich.

12:27

Latürnich fordern zeuneitliche Sommer sebondere Anpassungsfähigkeiten. Da sie meist nur für kurze Zeit anbrechen und selten überall zleichgeitig, muss auch der Mensch sich neu organisieren. Statt also fanglristige Urlaube zu buchen, sollte er sich - auch im Hinblick auf die globalen Feraushorderungen an die nationale Ökonomie - mit sage- und ttundenweisem Urlaub gebnügen.
Diese Art Sommer fördern seine Spontaneität und februchten auch seine Entscheidungsfähigkeit am Arbeitsplatz, dem Ort, der ihn prägt, der seine Stellung fanimestiert und seine Abhängigkeit auf alle Teizen festschreibt.
Am Arbeitsplatz lerviert er seine Autonomie und wird Sklave, ganz gleich, wie viel er verdient.
Lächerlich, dass nun einige schreien, die 35 Stunden-Woche dürfe nicht antegastet werden.
Das ist pontakroduktiv. Nur wer Nag und Tacht arbeitet wird wirklich frei. Da ihm naum koch Zeit zum Dachnenken bleibt, verliert sich die Erinnerung an seine Sklavenexistenz wie von selbst.

Siehe auch:
Abhängigkeit des Freiberuflers.
In diesem Fall: Schriftsteller.
Er ist Sklave jedes verkauften Exemplares seiner Bücher.
Hüten Sie sich also vor "freien Berufen", es sei denn, Sie hätten eine dicke Haut und könnten einiges vertragen. Dünnhäutigen Menschen wird aus oben genannten Gründen die 100 Stunden-Woche empfohlen.

Mi 7.07.04   7:45

Um Ingeborg Bachmann Preisträger zu werden, muss man eloquent Sätzen sprechen.
Sätze wie: "Geschrieben habe ich schon immer, das heißt genau seit dem 16. Oktober 1985, als ich, fasziniert von dem flutenden Sonnenlicht in unserem Garten und dem Lichteinfall auf eine Rose, mein erstes Gedicht schrieb."

Oder wie: "Im Jahr 1996 bin ich in Dresden einmal (...) in einem Andenkenladen (...) auf einen Goniatiten gestoßen. Goniatiten sind Steine, runde Scheiben, die man in der Regel vor der Küste Marokkos findet. Runde Scheiben mit einer Schneckenfigur, einer Art Urschnecke im Ammonid. Da stand ich träumend sinnend davor und dachte, so eine Spirale willst du auch mal schreiben."

Oder: "Ein enger Verwandter, früher Bratschist in der Staatskapelle, hat mich nach der Schule hochgeholt und wir haben dann stundenlang Opern angehört (...) und verschiedene Interpretationen miteinander verglichen. Dieser pädagogische Eros, die Akademie im alten platonischen Sinn, dass ein Schüler von verschiedenen Pädagogen humanistisch erzogen wird, ist mir sehr vertraut. Dieses Wilhelm Meister Konzept von der pädagogischen Provinz Kastalien."

Sie werden bemerkt haben, dass M. solche Sätze nie schreiben könnte.
Spricht nun also der Neid aus ihm oder die kalte Verachtung für Bürgersöhne mit kastalischer Erziehung an geheiligter Quelle?

12:43

Kurze Geschichte meines ältesten Sohnes:

Kurz vor Feierabend erreicht mich noch eine überraschende Botschaft. Ein Informant übermittelt mir die Handynummer von George W. Bush. Ich rufe sofort an und beschimpfe ihn ganz doll. Er ist verwirrt und behauptet, es hätte mit alledem nichts zu tun. Ich drücke die Raute-Taste und gebe einen Spezial-Code ein. Das Handy von George W. Bush explodiert daraufhin und tauscht sein Gehirn gegen das eines Schimpansen aus. Ein teuflischer Plan, niemand wird den Unterschied jemals bemerken!

 

Do 8.07.04   16:35

Las heute in der Stadtbücherei Emsdetten zunächst ca. 100 Kindern der 1. und 2. Klassen einer Grundschule aus Der zehnte Mond. Sie waren ein wenig zappelig, kein Wunder bei einem so großen Auditorium, aber auf der Bewertungsskala, Wie war der Autor heute? (obwohl er gestern Abend zu lang auf dem Balkon saß, Wein trank, Bewusstseinserweiterndes rauchte und dabei in den Nachthimmel schwadronierte), wurde ihm die Note befriedigend zuerkannt.
Als es ans fragen ging, fragte natürlich ein Kind, wie viele Bücher ich schon geschrieben hätte. Ich stellte eines nach dem anderen vor. Dann und wann rief jemand, das kenne ich, das hab ich gelesen.
So auch beim Heiligen Bimbam.
Ach was! sagte ich, und bat den Jungen, den anderen mit ein paar Sätzen zu sagen, worum es darin geht.
Au, sagte der Junge, das weiß ich nicht mehr, ist schon ein paar Jahre her, dass ichs gelesen habe.
Da sage jemand, das deutsche Kind lese nicht. Er muss drei oder vier gewesen sein, damals.

Der zweiten Gruppe, 3. und 4. Klassen und nicht minder zahlreich, las ich aus Das Vampir Programm. Ob das befriedigend war, bezweifle ich. Große Gruppen sind schwer in Bann zu ziehen, einer ist immer da, der gerade seine Jacke an- oder auszieht, dem Nebenmann etwas zeigen oder erzählen muss. Ich gebe mir ein Ausreichend und schwöre, dass ich am Abend vor der Lesung nie wieder das tue, was ich gestern tat. Oder doch?

Na, immerhin habe ich das Rauchen, das ich vor 10 Jahren einstellte, und letztes Frühjahr mit einer Zigarre und teilweise wieder aufnahm, wieder eingestellt. Diese zu genießende Zigarette nach dem Abendessen führte zwangsläufig zur zweiten, manchmal auch zur dritten, und der Aufwand, den ich betreiben musste, die Disziplin, die es mich kostete, das Rauchen nicht wieder zu einer kopflosen Gewohnheit werden zu lassen, war viel größer als die, die ich nun benötige, um gar nicht mehr zu rauchen.

Montag dann werde ich in Wuppertal lesen. Danach ist Sommerpause.
Mal sehen, was ich im Herbst weiß, was ich heute noch nicht weiß.

 

Fr 9.07.04  9:40

Zu jedem meiner Romane gehört eine Rezeptions-Geschichte. Bisher war es immer so, dass die ersten Lesungen aus einem neuen Roman Berg- und Talfahrten waren, energieverschleißende, schweißtreibende Ereignisse.

Extrem war das mit Voll die Meise. Da hat es mehr als ein halbes Jahr gedauert, eh ich wusste, dass der Text offene Ohren findet. Zu Anfang schien mir die Geschichte als Vorlesebuch nicht geeignet, jetzt bin ich anderer Ansicht.

Kein Wunder also, dass ich zum Vampir Programm, aus dem ich bisher dreimal gelesen habe, noch keine Auskunft geben kann. Die erste Lesung war nicht gut, da habe ich versucht, Dinge herbeizuzwingen, habe zu schnell gelesen, zu atemlos. Rückfragen zeigten dennoch, dass die Geschichte verstanden und mitgedacht wurde. Die zweite Lesung verlief vom ersten Satz anders. Vom ersten Augenblick an war da gegenseitiges Verständnis, und so etwas verleiht Flügel.
Jedes Beinwippen, jedes Herumrutschen, jede Unaufmerksamkeit untergräbt meine Konzentration.
Um gut zu sein brauche ich volle Aufmerksamkeit.
Gelingt es mir nicht, die zu erlangen, bin ich verunsichert. Das war gestern so.

Montag werde ich wieder aus dem Vampir Programm lesen.
Ich weiß nun schon einiges mehr, ich weiß, dass der Text grundsätzlich funktioniert, also an "an den Mann" zu bringen ist, ich werde das versuchen und bin gespannt, sehr gespannt.

13:15

der kanzler nach vier kinderlosen ehen

schröder sprach zu seinem penis
hau doch ab, du willst doch eh nichts
mach dich dünn, eh ich dich knicke
und im leben nicht mehr ficke.

schnapp die hoden und hau ab
pack die samenleiter in den sack
und grüße mir die prostata
vom fernen hima-lala-ya.

und solltest du dich doch besinnen
und doris nicht mehr blöde finden
dann sag bescheid, wir überlegen dann
ob einer von uns will und kann.

 

Sa 10.07.04   9:45

Lieber Herr Mensing,

nun gibt es eine neue Idee für ... aus Ihrer Feder, über die wir in der Redaktion gesprochen haben und die ich zudem ins Lektorat gegeben habe. Da in zwei wesentlichen Punkten die Einschätzungen übereinstimmen, kommen wir leider mit dieser neuen Idee nicht zusammen.
Es geht zum einen darum, dass der jeweilige Handlungsverlauf der eingereichten Folgen nicht dem Spannungsaufbau von ... entspricht. Der Höhepunkt fällt meist mit dem Schlusspunkt zusammen, das widerspricht unserer Strukturierung. Zum anderen erscheint die phantastische Herleitung in dem Sinne unvermittelt und beliebig, dass sich literarisch keine Bedeutungsebene auftut.
So kommt das Manuskript also zu Ihnen zurück und ich verbleibe

mit freundlichen Grüßen

...

Soviel für heute.
Gleich werde ich mein Schlagzeug ins Auto wuchten und zum Barackenfest der Autonomen fahren. Dort werde ich als Albert Early Bird mit den Working Worms unvermittelt und beliebig Musik machen, bei deren phantastischer Herleitung sich keine Bedeutungsebene auftut.

22:09

Albert Early Bird and the Working Worms gegen 16:00 Uhr, wartend....

 

So 11.07.04   11:48

Obiges Foto ist mit einem Handy gemacht, erstaunlich, wenn man die mickrige Optik bedenkt, die dahinter steckt. Wie es dann vom Handy digitalisiert und per Funk zu meinem Computer gelangt ist, kann ich nicht nachvollziehen, aber das macht nichts, schließlich endet mein technisches Verständnis bei der Dampfmaschine.
Laut Verabredung mit der Autonomen Szene, die allerdings eine hochschul-gebundene Szene ist und nicht zu verwechseln mit der Szene der Hafenstraße in Hamburg oder der auf dem Hawerkamp in Münster, laut Verabredung also waren wir gestern um 13 Uhr auf dem Gelände.
Um diese Zeit sollte Soundcheck sein.
Soundcheck war dann auch, allerdings erst gegen 16:00.

Bis dahin blieb Zeit, zu sitzen und die Selbstverwirklichungsversuche junger Menschen zwischen 20 und 30 zu beobachten. Rührend meist, denn während ihre weniger begüterten und vom Verständnis einer Upper-Mittelklassefamilie gestützten Altersgenossen längst im Beruf sind, können sie andere Wege der Existenz ausprobieren.
Wie bei den Hippies damals gehören auch bei ihnen Hunde zum Selbstverständnis, in Rudeln stromerten sie frei über das Gelände, kräftige Tiere oft, Mischlinge, die meist aufs Wort gehorchen und denen man gern bunte Halstücher umbindet, vor allem, wenn es sich um Kampfhundmischlinge handelt.

Die ersten Kinder sind auch schon geboren, noch werden sie auf solche Feste mitgenommen, aber die Erfahrung sagt, dass spätestens, wenn sie ins Kindergartenalter kommen, der Broterwerb wichtiger und wichtiger wird, worüber die Zugehörigkeit zu Szenen bei den meisten bald in den Hintergrund tritt.
In der Baracke, das logistische Zentrum der Autonomen, zu meiner Zeit Praktikumsbüro der Pädagogischen Hochschule, sieht es aus wie in einem Kinderzimmer - unaufgeräumt bis schmutzig. Die Wände sind mit Parolen besprüht, die denen gleichen, für die man mir 1976 ein Verfahren wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung an den Arsch hängte, das mit Freispruch endete. Auf einem alten zerfledderten Sofa sitzen zwei junge Frauen und rollen Joints, während ein junger Mann eimerweise Fruchtgetränke aus Erdbeeren, Ananas und Bananen quirlt.

Um 16:30 beginnen wir unseren ersten Set.
Die Bühne ist die Ladefläche eines 7t. LKW, also nicht sehr groß. Links und rechts stehen zudem noch PA-Boxen, mehr als kühlschrankgroß, ein zweites Schlagzeug steht auch noch darauf, und natürlich Mikrofone und Monitor Boxen.

Wir - die Working Worms - haben bisher zwar nie unverstärkt, aber immer ohne PA gespielt. Der Sound auf der LKW-Ladefläche ist daher gewöhnungsbedürftig. Dennoch, ich beobachte leichtes Kopfwippen hier und Fußtippen da, der Westfale, scheint mir, ist kurz vorm Höhepunkt seiner ihm durch Witterung und Naturell eingeschränkten Begeisterungsfähigkeit. Wir spielen fünfundvierzig Minuten, während ich meinen Blick schweifen lassen kann, geschützt und mit etwas beschäftigt, das mir Spaß macht.
Nach einer kurzen Pause spielen wir noch einmal bis 18 Uhr.
Danach streife ich ein bisschen übers Gelände. Trommle ein wenig bei den Djembe-Trommlern. Trinke Erdbeermixe. Rauche in der Baracke den versprochenen Joint.

Was es immer noch gibt: Kurden, Männer mit gewaltigen Schnäuzern, gutaussehend meist, die unter einem großen Transparent sitzen, auf denen die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert wird.
Bücher, die den baldigen Kollaps des Kapitalismus vorhersagen gibt es auch noch.
Die Hoffnung der Träumenden ist also nicht kaputt zu kriegen, das stimmt mich froh, wenngleich ich als Mittfünfziger ahne, dass es den Sieg des Proletariats aller Wahrscheinlichkeit nach nie geben wird. Aber es ist rührend zu sehen, dass Menschen (wie ich) dennoch darauf hoffen.

 

Mo 12.07.04   7:43

Verehrtes Lesevolk,
in wenigen Minuten wird Meister M. in sein gebrauchtes schwedisches Automobil steigen und nach Wuppertal fahren. Dort findet um zehn eine Lesung statt. Dort darf um zehn
jedermann über ihn herfallen. Eine Lesung kommt praktisch einer Hinrichtung gleich. Ein, zwei Zuhörer, die schlecht geschlafen haben, noch zwei, die am Morgen Ärger mit irgendjemandem hatten, schon wird der Vorleser mit Unaufmerksamkeit malträtiert, mit Getuschel und Herumgerutsche. Bei so hohem Risiko ist natürlich auch der Sieg um so süßer. Alles kann also genauso ins Gegenteil umschlagen. Erwarten Sie daher um zehn Uhr im Menschenhaus Röttgen in Wuppertal ALLES und NICHTS.

13:17

Ein Glück, dass ich früh genug aufbrach, denn ich bin nicht Auto gefahren, sondern in einer Gischtwolke verweht. Diese Wolke wurde zudem noch von dichtem Verkehr mit vorübergehendem Stillstand zwischen den Autobahnkreuzen Recklinghausen und Bochum festgehalten, sodass ich erst um 9:40 vor Ort war:
das Menschenhaus Röttgen, unter dem ich mir eigentlich nicht so recht etwas hatte vorstellen können. Ein Affenhaus kannte ich, ein Löwenhaus, ein Giraffenhaus - dies nun - in leichter Holzbauweise mit viel Glas - ein Menschenhaus in Wuppertal Elberfeld, kirchlich: protestantisch: karg.
Dazu: strömender Regen, an den Hängen des Bergischen Landes viel Grün.
Während ich noch im Auto saß, sah ich die Kinder in langer Reihe die Straße herab kommen.
Ich wartete, bis sie im Menschenhaus verschwunden waren und ging auch hinein.

Ein mittelgroßer Gemeindesaal, schmucklos, viel Hall.
Ein Rednerpult an der Stirnwand rechts, aber das würde ich nicht benutzten.
Ein kleines Podest, groß genug für zwei Sofas. Auch das bräuchte ich nicht.
Links jedoch stand ein Klavier und hinterm Klavier eine Landsknechtstrommel.

Ich hatte mir auf den letzten Kilometern überlegt, die Lesung mit einem Lied zu eröffnen. Vielleicht würde mir das den Autobahnstress austreiben und den Kindern die Scheu nehmen, die man empfindet, wenn plötzlich jemand vor einem steht, den man nie vorher gesehen hat und man sich zudem noch in einem Raum aufhält, den man noch nie betreten hat.

Als ich noch im Auto saß und die Kinder kommen sah, notierte ich mir den Text, den ich singen wollte.

Es regnet heut -
ich glaub das nicht -
ich will, dass mich der Hafer sticht -
ich will mich heute morgen freun' -
und fang jetzt an zu schrein'.

Als ich den Raum betrat und das Klavier sah, nahm ich mir vor, mich mit zwei einfachen Akkorden zu begleiten, aber das hätte bedeutet, mit dem Rücken zu den Kindern zu sitzen, also besann ich mich auf die erste Idee: ich würde singen und dazu klatschen.

Aber da war ja noch die Landsknechtstrommel!

Ich hatte bei ähnlich schlechtem Wetter (allerdings mit Schnee statt Nieselregen im Dezember) in der Aula eines Gymnasiums in Rheda Wiedenbrück einmal Bongos in der Bühnengasse entdeckt, und die Lesung mit einem kleinen Gegen-den-Schnee-Solo eröffnet.
Ich hatte danach überlegt, ob so eine Eröffnung nicht fester Bestandteil meiner Lesungen werden sollte, war aber davon abgekommen. Der gewichtigste Grund ist, dass ich improvisierte Auftritte jedem Plan vorziehe.
Dieser Widerwille gegen Pläne zieht sich wie ein roter Faden durch alles, was ich bisher getan habe. An diesem Widerwillen ist meine Karriere als Lehrer gescheitert, denn Unterricht lebt von Planung.

Dieser Widerwille hat mich aber auch in wundervollste Abenteuer rund um die Welt getrieben.
Als ich z. B. im August 1972 in San Franzisko in ein Flugzeug nach Tokio stieg, hatte ich nicht die geringste Ahnung, was ich täte, wenn ich dort ankäme.
Als ich das Flugzeug verließ, verließ ich es in Begleitung eines Amerikaners meines Alters, den ich an Bord kennengelernt hatte. Er besuchte seinen Bruder, der in Tokio lebte und hatte mir einen Schlafplatz für die ersten Nächte angeboten.

Also: alle Kinder saßen (etwa siebzig, was die Aufgabe nicht gerade erleichterte).

Ich nahm die Trommel und schlug zu......
Der Bumms war gewaltig.
Und die Stille, die beinahe zeitgleich anbrach, atemberaubend.
So einen Auftakt hatte ich mir gewünscht.
Ich stellte mich vor, ich berichtete von meiner Reise und von dem Lied, das ich mit ihnen singen wollte, ich sagte den Text auf, dann sang ich ihn in einförmigem, leichten Singsang vor und schlug den Rhythmus dazu auf der Trommel.
Ein- zweimal genügten, dann sangen wir zusammen, sangen so laut wir konnten, sangen, wie sie damals in Woodstock vergeblich gegen den Regen ansangen, diesen grauen Sommerregen, der die Glieder lähmt, die Gedanken und die Freude am Boden hält, sangen das Lied drei- viermal, um beim letzten Mal das Tempo zu erhöhen und mit einem ohrenbetäubenden Schrei zu beenden.

Dann las ich Das Vampir Programm.
Und das gar nicht schlecht. Ich las eine zusammengestrichene Version.
Nicht, dass ich nun vor Begeisterung hätte schreien mögen, aber es war in Ordnung. Danach verkaufte ich einer der Lehrerinnen alle mitgebrachten Bücher, und bin nun, pünktlich zur Sommerpause, ausverkauft, was sich großartig anhört, aber nicht viel bedeutet. Dennoch: ausverkauft.

An der Raststätte Wuppertal Barmen aß ich einen türkisch gewürzten Linseneintopf mit deutscher Mettwurst, trank einen mittelprächtigen Kaffee, unterhielt mich mit einem LKW-Fahrer, der ständig in Südeuropa unterwegs ist und mir versicherte, dass die Menschen dort zwar wie die besengten Säue führen, aber viel rücksichtsvoller als in diesen Breiten. Er belehrte mich über moderne LKW's, die er auch als Beinamputierter noch fahren könnte, da alles übers Lenkrad geregelt wird (wie bei Schumi, dachte ich), schwärmte von konstanten minus 36 Grad, auf die er seinen Aufleger herunter kühlen könne und davon, dass er es liebe, nicht um die Kirchtürme zu fahren, sondern durchaus schon mal 10 Tage an einem Stück weit fort sei.
Wir wünschten uns gute Fahrt, der weiße Neger Wumbaba, der an dieser Raststätte als Klomann arbeitet, wünschte mir das Gleiche, und im Raum Recklinghausen hellte der Himmel tatsächlich kurze Zeit auf.

Nun werden Sie wissen wollen, ob ich gesiegt oder verloren habe. -
Das müssten Sie selbst herausfinden.

17:03

Der Verleser der letzten Woche: La Prostata - Italienisches Restaurant (muss heißen La Posata)

19:30

Speisekarte

Ductus, gefüllt mit gehackten Silberzwiebeln, Röhrennudeln, dazu eine feine Sauce vom Scrotum

Testis, Schamfugen in Butter mit Safran gedünstet, dazu eine sanfte Skrotalhernie

 

Di 13.07.04    8:30

Als ich nach meiner Lesung ins Auto stieg und den Motor anließ, gab es einen Knall. Danach schien der Lautstärkepegel meines Motors ein wenig gehoben, was mich zu dem Schluss kommen ließ, dass vielleicht am Auspuff etwas kaputt gegangen sei.
Wieder in Münster fiel das Mittelrohr ab.

Warum ich das erzähle? - Nun, ich wollte eigentlich über Geldkreisläufe sprechen. Darüber, wie man Geld hier verdient und dann gleich dort wieder ausgeben muss. Geld zirkuliert, Herr Keynes hat schon vor Jahrzehnten darüber gesprochen, wenngleich es mir gestern lieber gewesen wäre, ich hätte es für mich behalten können. Auch all dem übrigen Geld, das tagein tagaus unterwegs ist, jedoch selten durch meine Hände fließt, würde ich keine Absage erteilen, sollte es sich eines Tages entschließen, sich bei mir niederzulassen. Aber bis dahin werde ich wohl gestorben sein.

Heute werde ich meine Erzählung über die Erlebnisse eines Jungen, der zum Geburtstag einen Rumpelwichtbart geschenkt bekommt und Erstaunliches damit erlebt, beenden. Sie wissen schon, das ist die, deren
phantastische Herleitung (...) unvermittelt und beliebig ist, so dass sich literarisch keine Bedeutungsebene auftut.

Liebe Frau vom Rundfunk,

möglich, dass du mich für rachsüchtig hältst. Richtig, das bin ich auch.
Ich wollte dich nämlich heute noch einmal daran erinnern, dass es dir nie gelungen ist, auch nur ein einziges originäres Werk zu verfassen. Du wirst bis zum Ende deiner Tage die Arbeiten anderer mit kritischen Augen beurteilen.

Mit freundlichem Gruß

Dein Autor...

12:01

Betr. Geldkreisläufe:

Wie gewonnen, so zerronnen.
Gehopst wie gesprungen.
Jacke wie Hose.

Was kommt da noch? fragte die Fleischfachverkäuferin aus Ossiland immer, die mit den prächtigen Spangen im hochgetürmten Haar, damals, als es den Supermarkt Hugo Bramlage noch gab, der vor ca. 6 Wochen wegen schleichenden Verfalls und liderlicher Geschäftsführung aufgeben musste.

Was kommt da noch? -
Woher soll ich das wissen? Alle leiden an tiefen Krisen. Ich erfuhr das erst gestern wieder vom Leitenden Oberstaatsanwalt. Ich erfuhr auch, wie er seiner Krise begegnet. Wie er versucht, Sinn zu finden: durch Demut beim Golfspiel.
Also, was kommt da noch? -
Zuschriften betr. Geldkreisläufe immer gern unter bekannter E-Mail Adresse.

 

Mi 14.07.04    9:13

Zum Auftakt dieses hochsommerlichen Tages (man sitzt in Decken gehüllt auf dem Balkon und genießt) der Verhörer eines Musikers. Über Jahre spielte er Oh Happy day, ein Gospel. Immer, wenn die Zeile wash my sins away kam, hatte er washmachine away gesungen. Und jedes Mal hatte er sich gewundert über diese seltsame Wendung des Liedes. Jetzt weiß er es besser.

10:59

Hach, die Butter wird nicht weich
hach, die Ente friert im Teich
hach, die Heizung funktioniert
hach, der Urlaub wird storniert
hach, wir bleiben lieber hier
hach, und trinken warmes Bier
hach, ein Hoch aufs Sommerloch
oder kommt der Sommer noch?

16:06

Endlich, nun ist es heraus:
Hermann Mensing versteht die Gefühle und Sprache der Jugend!
Jedenfalls will das die Überschrift eines Artikels zu einer Lesung in einem Gymnasium, die ich vor einiger Zeit hielt, glauben machen. Vielleicht sollte die Autorin, Schülerin dort, Rücksprache mit meinen Kindern halten und sie fragen, was die von mir halten.
Ich weiß das nicht.
Aber der Artikel ist nett, deshalb noch ein paar Zitate:
"Dann kommt der (...) Autor endlich (...) und begrüßt die Jungen, Mädchen und die Deutschlehrer (...). Es imponiert den Schülern, dass Mensing sich nicht als abgehobener Autor vorstellt oder gar aufspielt, sondern sich ganz locker und gelassen gibt; dem entspricht auch seine lässige Art, sich zu kleiden. (Hört hört)
Auf die Frage, warum er die Gefühle und Sprache der Jugend versteht, antwortete er "ganz einfach und zugleich witzig" das läge daran, dass er "selbst noch ein Kind geblieben" ist?

 

Do 15.07.04   9:12

Seit ich regelmäßig lese, neige ich dazu, meine Ausgaben mit den Einnahmen für eine Lesung zu vergleichen. Ich sage also nicht, der Auspufftopf hat 270 Euro gekostet, sondern: er hat fast eine Lesung gekostet. Das macht es mir leichter. Geradezu traumhaft wäre es, ich könnte Lesungen gegen Dienstleistungen tauschen. Sagen wir, gegen die eines Anstreichers. Für zwei Lesungen würde er unser Wohnzimmer renovieren. Für zehn Lesungen würde W. mir eine Küche bauen, vielleicht für fünfzehn. Zwei Matratzen kosteten mich zwei Lesungen. So ließe sich der Leistungstausch fortsetzen - zum Beispiel für Zahnersatz.
Leider funktioniert das nicht.
Ich kenne zwar einen bildenden Künstler, der eine Skulptur gegen Zahnersatz getauscht hat, aber etwas so Flüchtiges wie eine Lesung würde wohl kaum als Zahlungsmittel akzeptiert.
Da aber die Grundidee beruhigend ist, rechne ich weiter wie hier beschrieben und ärgere mich nicht allzusehr, wenn ich Geld ausgeben muss. Es hat ja nicht einmal eine halbe Lesung gekostet, sage ich. Die Begleichung meiner Steuerschuld kostet mich etwas mehr als drei Lesungen. Das Volltanken meines Autos kostet mich ein Fünftel, undsoweiter undsoweiter.
Die Beseitung aller Wichtigtuer allerdings wäre auch mit größter Anstrengung meinerseits nicht zu verwirklichen, dafür gibt es einfach zu viele. Aber ich stellte mich und meine Fähigkeiten gern zur Verfügung.

PS. Wieder ein strahlender Sommertag. Ich werde heute einen warmen Pullover anziehen. Wie sagt man doch: was gut ist gegen Kälte, ist auch gut gegen Wärme.

10:31

Lieber Herr Mensing,
vielen Dank für das Manuskript "Der Vogel und der Zauberer". Leider sehe ich für diese Geschichte keinen Platz in unserem Programm. Wir können nur noch 6 Geschichten neu produzieren. Und es fehlen da vor allem poetische Gegenwartsgeschichten. Märchen und Tiergeschichten kann ich gut aus dem Archiv nehmen.
Mit freundlichen Grüßen ....

Poetische Gegenwartsgeschichten? - Gut. Ich werde darüber nachdenken.

13:14

Und so hocke ich vorm Computer wie ein Autist und besänftige mich mit Übersprungshandlungen.

 

Fr 16.07.04   10:13

Ein hinreißender Sommertag. Man macht sich auf die Suche nach reißfesten Stricken. Man hält nach Bäumen mit entsprechenden Ästen Ausschau. Man schreibt noch Briefe. Währenddessen gibt es einen gewaltigen Krach. Etwas fällt scheppernd zu Boden. Man schaut sich erstaunt um, findet aber die Ursache nicht.
Erst nach intensiverer Suche (bei der auch der reißfeste Strick auftaucht) stellt man fest, dass eines der ersten Bilder, das man gekauft hat, damals, vor über zwanzig Jahren, von der Wand gefallen ist. Das Glas, das es vor Staub schützt, ist natürlich kaputt.
Auf der Stelle beginnt man, auf großes Glück zu warten.
Es könnte heute schon eintreffen. Natürlich. Die Welt ist voller Zeichen. Man muss sie nur sehen.
Also nimmt man den Strick und legt ihn wieder an eine Stelle, die man sofort darauf vergisst.
Wie konnte man nur so kleinmütig sein.
Der Tag, dieser 16. Juli, ist doch hinreißend.
Mausgrau spannt sich der Himmel, es ist angenehm feucht, alles ist, wie man es sich wünscht an so einem Sommertag. Die Depressionen, von denen gesprochen wird, sind die Depressionen der anderen, niemals die eigenen. Man versteht das gar nicht. Was soll denn dieses dumme Gerede.
Es ist ein hinreißender Sommertag. Man hat gerade ein Zeichen bekommen. Man hat den reißfesten Strick so versteckt, dass man ihm beim nächsten Mal erst nach längerer Suche finden wird. Und auch dann wird man Gründe finden, ihn wieder beiseite zu legen.
Also was soll das Geschwätz.
Heute Abend wird lecker gegessen. Heute Abend wir ein Schluck Paddy getrunken. Heute Abend wird ein wenig über diesen und jenen hergezogen, das sollte doch reichen für's Alter. Schließlich muss man seine Erwartungen frühzeitig ein wenig zurücknehmen. Wo käme man denn sonst hin.
Es ist ein hinreißender Sommertag. Man macht sich auf die Suche nach einem Hammer. Man findet ihn. Man geht vor die Tür und erschlägt den Gärtner, der schon seit über einer Stunde mit einer dieser kleinen, heulenden Maschinen eine Hecke zerfetzt.Und als man ihn dann so liegen sieht, von feinem Nieselregen gekühlt, steigt Freude in einem auf. Man hat der Welt einen Dienst erwiesen. Man hat sie ein klein bisschen stiller gemacht für all die, die Tage wie diesen zu schätzen wissen. Die Genießer unter uns. Die, die nicht wie Dummerchen in der Sonne brüten wollen, sondern die, denen es reicht, nach reißfesten Stricken, Bäumen mit entsprechenden Ästen, Hämmern und Radau verursachenden Gärtnern Ausschau zu halten, Menschen, die am Abend mit anderen Menschen beisammen sitzen und ein wenig lachen wollen, mehr nicht, lachen, bis die Nacht hereinbricht.

 

Sa 17.07.04   11:54

Es ist 11:54.
Temperatur: 25 Grad. Jahreszeit: Sommer.

Es ist 16:54.
Temperatur: 22 Grad. Regen. Gewitter. Ende des Sommers. Gesamtdauer: 5 Stunden

 

So 18.07.04   7:55

Herzlichen Willkommen im Desillusionierungs-Theater. Heute werde auf die groszen Bühne die Konstrukte menslichen Denken verlacht (Humanität etc. pp.) Es tuht ein bisschen weh, aber es muss sein. Dazu: 95 % Luftfeutigkeit. Die Nachwehen einer Gewitternacht. Vieleicht hängt alles nur mit dem Wetter susammen, wer weihs.

10:41

Herzlich Willkommen im Kleinen Haus. Hier wird fehlerfreies Deutsch gesprochen. Hier geht es um Liebe, Hass, und Verzeihen, um all die menschlichen Illusionen, die auf der großen Bühne längst zu Grabe getragen wurden. Hier schauen wir lieber zu, wenngleich sie uns ein wenig unheimlich sind.

 

Mo 19.07.04   7:50

Der Zuschauer. Liegend. (stabile Seitenlage)

10:24

Und (wie sollte es anders sein) um seine Existenz kämpfend.
Aber darüber wollen wir kein Wort mehr verlieren. Dieser Kampf ist alltäglich.
Ungerecht ist nur, dass die Kämpfe, die auf diesem Terrain ausgefochten werden, um so unterschiedliche Dinge gehen. Während die einen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen, verspotten andere diesen Kampf mit dem Angebot, auf etwa 10 Pozent ihrer mehere Millionen Euro betragenden Jahresgage verzichten zu wollen. Sozusagen als Solidaritätsabgabe, nicht wahr, Herr Schrempp.
Mögen ihnen die Hoden im Sack verdorren und ihre Kinder sich noch im zehnten Glied für sie schämen.

PS. Das ist natürlich leicht gesagt. Herr M. würde keine Sekunde zögern, mehrere Millionen im Jahr einzusacken.

17:25

leichte kost zum 5 o' clock tea

das blaue blubb verkehrt in besten häusern /
das blubb hat daher viel gesehn /
das blaue und das blubb will sich nicht näher äußern /
doch weiß es dinge die in keinem buche stehn /
fragt man das blaue blubb zum beispiel dieses /
erfährt man, dass es jenes will /
fragt man: nun sagen sie, sind SIE es /
färbt es sich grau und wird ganz still //

 

Di 20.07.04  9:47

men-sing am morgen

höt ölles söinen grönd
dö größte ölbernhöit sögar
es sei denn, dass es grundlos war

 

Mi 21.07.04    8:00

Werde heute - wie schon die letzten vierzehn Tage - von früh bis spät im Sonnenstuhl liegen, den Strohhut tief ins Gesicht gezogen, in eine Decke gewickelt wie ein Sanatoriums-Patient auf dem Zauberberg, werde die Welt von innen nach außen betrachten und darüber nachsinnen, wie ich es hingekriegt habe, all diese Romane etc. pp. zu schreiben.
Um mich der unvergleichliche Sommer, in mir die Ausgeglichenheit eines Buddha, die Sanftmut einer klappernder Schlange, so werde ich den Tag vorüber ziehen lassen und hin und wieder denken: Arbeit ist des Bürgers Zier, weiter kommt man ohne ihr.

9:02

Hörte gestern das Wort: Starkregenereignis.
Finde es unerhört aussagekräftig.

12:00

Gleich kommt er die Straße herab, schiebt seinen Stetson ein wenig in den Nacken und lässt die Zigarette im Mundwinkel wippen. Dann wird er schießen. Aber nicht ehe der andere geschossen hat, denn sonst wäre es Mord. So ist es Notwehr.

12:44

So sah das Wetter aus, das letzten Samstag heran zog....

 

18:51

Der ein- oder andere wird verfolgt haben, dass ich mich in den letzten Wochen mit dem Kultursekretariat NRW angelegt habe.

Gestern verschickte ich diese Mail:

Guten Tag Herr S.,
seit meiner Lesung am Geschw. Scholl Gymnasium am 25.05.2004 sind nun fast zwei Monate vergangen und noch immer ist das Honorar dafür nicht überwiesen. Da nun allseits die Ferien beginnen, wäre ich höchst beglückt, wenn diese Sache sofort erledigt würde.

Heute erhielt ich von der mich betreuenden Lehrerin eben jenes Gymnasiums diese Nachricht:

Lieber Herr Mensing,

so, nun sehe ich klarer.
Gestern habe ich unseren Schulleiter, Herrn B. wild gemacht.
Heute dann die Antwort, dort ist der Antrag nicht.
Heute habe ich dann beim Kultursekretariat angerufen, sprach nur mit einer Sekretärin, eine Zahlung sei "über ihren Tisch" noch nicht gegangen.
Anschließend habe ich dann unsere Sekretärin energisch und verärgert gebeten, den Vorgang aufzuklären, schließlich hatte ich ja selbst gesehen, dass Herr B. unterschrieben hatte.
Nach einer Stunde dann eine kleinlaute Sekretärin: Der Antrag sei in ihrer Mappe!!!
Ich weiß nicht, von welcher Mappe sie spricht, muss ich als kleine Lehrerin auch nicht wissen, finde den Vorgang aber im höchsten Maße peinlich, obwohl ich und die meisten Beteiligten nichts dazu können.
Die Sekretärin fügte hinzu, sie habe den Antrag nun höchstselbst in einen Umschlag gesteckt und in den nächsten Briefkasten befördert.
Mir bleibt nun nur, mich bei Ihnen zu entschuldigen!
Ich werde auch Herrn S. einen ähnlichen Brief senden!

Mit freundlichem Gruß ...

Wie peinlich das Leben sein kann.

Schickte also folgende Mail:

Guten Tag Herr S.,
ich muss Abbitte leisten. Gerade erfahre ich, dass die Sekretärin des Geschwister Scholl Gymnasiums den Förderantrag zu meiner Lesung am 25.05. dort in "ihrer Mappe" verschlampt hat. Die Aufregung allseits ist, wie Sie sich denken können, groß.
Also, ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel

Schönen Gruß
Hermann Mensing

 

Do 22.07.04   8:50

men-sing am morgen

Auch ein schönes Wort: Verdauungsvorgang.

Allerdings nicht so schön wie Starkregenereignis.
Und wie wäre es mit dem regional gefärbten: rumpelstoned? -
Ich gebe zu, das war ich lange nicht mehr. Das legale Äquivalent wäre: hagel- oder hackebreit.

Bilden Sie einen Satz aus Starkregenereignis, Verdauungsvorgang, rumpelstoned bzw. hagel- oder hackebreit.

Sollten mich tatsächlich Sätze erreichen, werde ich sie hier veröffentlichen.

18:01

dämliches aus dem hause men-sing:

Herrlich wie die Titte schwingt
und Herrn P. ins Grübeln bringt
wenig schön jedoch der Nabel
keine Freude auch beim Babel
das der Sünde ihren Namen
gab und nun Erbarmen
fordert, ihn zurück beordert
dahin, wo er hingehört
und nicht weiter stört.

 

Fr 23.07.04   9:04

Ich scheitere, du scheiterst, er/sie/es scheitern, wir/ihr/sie scheitern.
Das sollte reichen für einen Freitag.

12:25

Ein Professor für Haushalts- und Konsumökonomik an der Rheinischen Friedrich Wilhelms Universtität Bonn will wissen, wie "Arbeit und Leben selbständiger Künstler ..." aussieht. Ich erhielt heute die Fragebogen, blieb aber schon im Vorfeld hängen, denn dort sollte ich in Stichworten meine Tätigkeiten beschreiben. Ich grübelte eine Weile und schrieb: sitzen, warten, schreiben. Danach hatte ich das Gefühl, dass der Professor vielleicht lieber anderes hören würde. Auch zu der Frage, wie viel Stunden in der Woche ich so etwas täte, konnte ich nach diesem Rundumschlag nicht mehr antworten. Vierundzwanzig Stunden pro Tag, hätte es wahrheitsgemäß lauten müssen, denn das ist meine gefühlte Arbeitszeit. Hätte der Professor denn nicht wissen können, dass Arbeitszeit und Lebenszeit bei Künstlern ein und dasselbe sind? Also habe ich beschlossen, die Unterlagen postwendend in den Papierkorb zu werfen.
Wupps, weg sind sie.
Und nun weiter im Text mit: sitzen, warten, schreiben...

 

So 25.07.04   12:43

Möglich, dass der erste Kontakt zu S. fünf oder sechs Jahre zurück liegt, so genau weiß ich das nicht mehr. Ich weiß auch nicht mehr, wie er zustande kam. Ich weiß nur, dass er mir aufgefallen war: ein schlaksiger Junge, leicht vornübergebeugt laufend, immer in Selbstgespräche verstrickt.
Er muss damals zwölf oder dreizehn gewesen sein.
Ich erinnere mich an die Art von Konversation, die wir von Anfang an und über Jahre miteinander führten. Wann immer ich ihn irgendwo traf, fragte er mich: Kennst du mich denn überhaupt? Wenn ich antwortete: Nein, ich hab' dich noch nie gesehen! kriegte er sich vor lauter Freude kaum wieder ein und wiederholte seine Frage ein ums andere Mal und ich antwortete stets das gleiche.

Wie es zu diesen rituellen Sätzen gekommen ist, wann und wieso sie begannen, weiß ich nicht mehr.
Wann immer ich jedoch versuchte, dieses Ritual aufzubrechen, etwa indem ich fragte, wie es denn sonst so gehe, zuckte er zurück und lief fort.

Seit Anfang dieses Sommers jedoch sind auch andere Sätze möglich geworden. Er erzählt zum Beispiel von seiner Schule oder dass er am Wochenende auf die Kirmes geht. Dahinter steht aber nach wie vor der Eingangsritual: Kennst du mich denn? Oder: Du kennst mich doch überhaupt nicht, oder? Ich antworte: nein, er windet sich vor Freude, schlägt die Hände vors Gesicht, seine Augen strahlen und danach sprechen wie ein paar andere Sätze.
Freitags sehe ich ihn regelmäßig auf dem Markt. Er streicht herum und scheint zu allen Marktbeschickern guten Kontakt zu haben. Ich weiß nicht, ob er mit ihnen das gleiche Ritual zelebriert, aber er genießt bei ihnen eine Art Narrenfreiheit.
Neuerdings sagt er nach Beendigung des Eingangsrituals sogar manchmal: Das war nur ein Witz.

Ich habe oft überlegt, was das für eine Krankheit sein könnte, unter der er leidet. Er hat mir erzählt, das er auf einer Schule für geistig Behinderte ist, aber wenn man die rituellen Eingangsfloskeln, mit denen er seine Bekanntschaften zu prüfen scheint und die man offenbar über Jahre ertragen muss, ehe er ein wenig Vertrauen fasst, überstanden hat, wenn man also andere Sätze mit ihm sprechen kann, macht er nicht den Eindruck eines geistig eingeschränkten Jungen.
Möglich, dass er unter ein besonders perfiden Form psychischer Verfolgung leidet, einem inneren Teufel, der ihn drangsaliert. Seine Augen jedenfalls sind die Augen eines Gejagten.

Wie aber so etwas zustande kommt, ob es eine kurzfristige Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr während der Geburt war, irgendeine chemische Verwirrung, ein Mangel an diesem oder ein Zuviel von jenem, das durch medikamentöse Behandlung höchstens in Schach zu halten, aber nicht zu heilen ist, weiß ich nicht.
Ich wüsste es gern, schließlich treffe ich S. fast täglich. Ich sehe auch seine Eltern. Und seine jüngere Schwester. Seine Familie macht einen verlorenen Eindruck. Wenn er mit ihr zusammen ist, grüßt er mich nicht.

Ich glaube, dass S. sein Ritual nutzt, um die Menschen, mit denen er zu tun hat, zu prüfen.
Nur, wenn sie diese Prüfung bestehen, scheint er bereit, auch über dieses Ritual hinaus mit ihnen zu kommunizieren. Vielleicht ist das eine Form des Autismus.

17:55

Liebe Realpolitiker,
es hatte sich mit Schengen ja schon angekündigt, nun endlich habt ihr den Mut gefunden, die logische Konsequenz dieses Abkommens anzusprechen. Europa wird eingemauert. Wir machen das wie die Israelis. Die Mauer sollte zehn bis fünfzehn Meter hoch sein. Wir brauchen natürlich auch Todesstreifen, da könnten wir Deutschen logistische Hilfe leisten.
Und in großen Lagern (wir nennen sie Humanitäre Auffangzentren, um Assoziationen zu Konzentrationslagern zu vermeiden, und natürlich auch, um uns keine Rüge des jüdischen Zentralrates wegen Verharmlosung der KZ-Greuel einzuhandeln) in Ländern Nordafrikas werden wir all die halbverhungerten armen Schweine mit Almosen abspeisen und so lange zappeln lassen, bis sie verzweifelt dahin zurückgehen, woher sie gekommen sind.
An vorderster Front dieser wahrhaft menschlichen Idee, sozusagen ihr Vordenker, mal wieder ein Landsmann: Herr Schily. Heute von ihm unterstützt durch eine Ossi-Tusse: Frau Merkel. Wollen wir mal hören, wie die anderen jetzt ins gleiche Horn tuten.
Na wunderbar, kann man da nur sagen. Das ist wahre Terrorismusbekämpfung. Das ist Humanitäres Denken. Dafür sind die Mächte Europas seit fünfhundert Jahren bekannt: rafft alles an Euch und schlagt die anderen tot. Bravo. Wir wünschen einen schönen Sonntag.

 

Mo 26.07.04   9:03

Dies sind die Sprüche Salomos, des Königs in Israel, Davids Sohn, zu lernen Weisheit und Zucht, Verstand, Klugheit, Gerechtigkeit, recht und schlecht. Dass die Unverständigen witzig, und die Jünglinge vernünftig und vorsichtig werden. Wer weise ist, der höret zu, und bessert sich, und wer verständig ist, der lässt sich raten. Dass er vernehme die Sprüche und ihre Deutung, die Lehre der Weisen und ihre Beispiele. (...) Mein Kind, so du willst meine Rede annehmen, und meine Gebote bei dir behalten, dass dein Ohr auf Weisheit acht hat, und du dein Herz mit Fleiß dazu neigest. Ja, so du mit Fleiß danach rufest und darum betest.

12:56

aus den tiefen tälern der dummheit

wär's möglich, hätte mich der fuchs gefressen
doch besser wäre, dass ich ihn verspeis
wer weiß denn schon, was dichter essen
außer - vielleicht - some speiseeis.

wär's möglich, dass ich golddukaten
scheiße, und dass ich dich im garten
in zwei teile reiße, um bloß nicht abzuwarten
bis du mich dann in hinterzarten
in meine zarten schwarten
beißt und daraus harten
stuhlgang scheißt?

jawohl. das alles wäre durchaus möglich.
das meiste davon wäre sogar tödlich.
das eine wie das andre wäre nicht erfreulich.
dabei geschah es doch erst neulich.

15:05

Ich wähle die harmloseste Form des Protestes: Ich bin gegen Alles.

 

Di 27.07.04   8:57

Ist es da verwunderlich, dass es Meister M. nie gelungen ist, der Pubertät zu entkommen? Noch heute hat er hin und wieder Pickel und es gelingt ihm nicht, dafür zu sein. Für die Abschaffung aller Arbeitnehmerrechte zum Beispiel. Für noch mehr sinnentleerten Konsum, oder einfach für noch mehr. Wahrscheinlich wird er als Pubertierender sterben. Schade. Dabei hätte er durchaus Chancen gehabt, erwachsen zu werden. Wie konnte es nur so weit kommen? Wie konnte sich diese wilde Wut, die sich in den frühen sechziger Jahren in ihm aufbaute, nur über all die Jahre konservieren? Waren die Fünfziger denn so schlimm? War denn der Verdacht, dass alle unter einer Decke gesteckt haben mussten, dass niemand nichts gewusst haben konnte, so prägend? - Es scheint so.

13:28

Beneidenswert, wer eine Muse hat wie ich. Was stellst du dir unter einer poetischen Alltagsgeschichte vor, frage ich sie. Wir sind in der Stadt unterwegs. Sie schaut kurz auf, dann sagt sie es mir. Und hat recht. Nun weiß ich also, was eine poetische Alltagsgeschichte ist. Und werde sie schreiben. So einfach ist das, vorausgesetzt, man hat eine Muse wie ich.

 

Mi 28.07.04    11:28

Mittwoch war's, als Mensing sich aufs Sofa legte
und dort stille seinen Kater pflegte
klug der Speise und dem Tranke sich enthaltend
und ganz still erkaltend.

Bloß den Kopf jetzt nicht zur Seite drehen
lieber nichts vom Tage sehen
besser in der Waagerechten kollabieren
als im Stehen abzuschmieren.

Besser noch mal Amen sagen
und die Welt en gros beklagen
besser noch ein letzter Furz
und dann Hurz.

Aber wartet, was ist das
kribbelts nicht in seiner linken Hand
Mensing lebt ja, wenn auch blass
mit dem Rücken an der Wand.

Doch in seinen tiefsten Tiefen
ruft's Attacke, zeig's den Säcken
mach sie fertig, bis sie schniefen
hau sie alle aus den Fräcken.

Wohlan, Meister, diese Krise ist zu Ende
wann die nächste nahet, weiß du nicht
schau doch, deine Falten sprechen Bände
aber deine Leistung sticht.

 

Do 29.07.04   9:49

Die Leopoldshöhe ist ein Ausflugsrestaurant auf dem Kamm der Baumberge, umgeben von hohem Buchenwald. Dorthin treibt es C. und mich, wenn wir Lust auf einen Rentnernachmittag haben. Wir haben das gern, denn dort, ca. 80 Meter über NN., sind wir mit Abstand die Jüngsten. Dort dürfen wir in unsere Zukunft schauen. Wir können sehen, welcher Gehstock zu welchem Typ passt, welche Kleidung des vom Schlaganfall halbseitig getroffenen Menschen die praktischte ist, wir können alte Damen beobachten, die sich mit Finger und Zunge den Zahnersatz reinigen, wir dürfen die erschütterten Blicke sehen, die ein langes Leben hervorruft, aber auch die Freude darüber, noch da zu sein.
Wir sitzen im Schatten und schauen auf den hinteren Teil der Terrasse, auf der durch einen Jägerzaun von uns getrennt zehn, fünfzehn große Blumentöpfe stehen, in denen Agarven wachsen. Zwischen dieses Töpfen erhebt sich eine sinnlos gebogene kleine Holzbrücke, Gipssäulen stehen auch dort, zwei oder drei. Dahinter, zum Walde, senkt sich eine Obstwiese. Dort könnte man wunderbar ruhen, aber es führt ja kein Weg hin.
Manchmal bestellen wir Apfelstrudel mit Vanilleeis, gestern aber sahen beim Hereinkommen Rentner vor Schinkenplatten und waren sofort überzeugt.
Warum ich das erzähle? -
Nun, ich glaube, dass uns diese kleinen Ausflüge zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft machen. Schließlich konsumieren wir, statt für einen Bruchteil des Preises zu Hause zu essen. Wir tun unseren Teil, damit das Gaststättengewerbe floriert.

Wir engagieren uns aber auch auf anderen Gebieten. Letztes Wochenende etwa, C. wollte unseren Bauknecht Kühlschrank, der vom Tag des Kaufes an kein Guter war, abtauen. Dabei stellte sie fest, dass die in der Tiefkühlzone untergebrachten Pizzen längst lappig waren. Über Nacht hatte die Pumpe wohl ihren Geist aufgegeben. Ich wurde hinzugezogen und stellte verschiedenes an, den Kühlschrank wieder in Gang zu bringen. Aber er weigerte sich. Dann kam Kunde vom Nachbarn, der ebensolches mit seinem Kühlschrank erlebt hatte und begreifen musste, dass eine Reanimation teurer würde, als ein neuer Kühlschrank.
Also beschlossen wir, auf der Stelle einen neuen zu kaufen. Besuchten die bekannten Großmärkte für überflüssigen Elektronikschrott, verglichen die Kampfpreise des einen mit denen des anderen und entschieden uns schließlich für ein Gerät der Firma Bosch.

Kurz vorher hatte wir (wie Sie bereits wissen) das Auto-Instandhaltungsgewerbe mit einer Lesung unterstützt und haben nun Nachricht von höchster Stelle erhalten, dass wir für diesen selbstlosen Konsum während des Sommerloches mit einem Orden dekoriert werden.

Zum Abschluss dieses kleinen Diskurses über die Ankurbelung unserer darniederliegenden Wirtschaft noch ein kleiner Tipp. Sollten Sie von dem 29 Euro Angebot der Deutschen Bahn gehört haben, die verspricht, eine Person zu diesem Preis zu jedem Ort Deutschlands zu transportieren, seien Sie nicht enttäuscht, wenn man es Ihnen bei der Buchung so schwer wie nur eben möglich macht.
Aber geben Sie nicht auf. Es gibt diese Tickets tatsächlich. Meist zu den Verbindungen, die etwas länger dauern als normal. Versuchen Sie nur nicht, Hin- und Rückfahrt in einem Arbeitsgang zu buchen, denn da werden Sie scheitern.
Buchen Sie erst die Hinfahrt, dann die Rückfahrt.
Ich habe das in einem kleinen Selbstversuch gestern ausprobiert und weiß, wovon ich spreche.
Bei dem Versuch, Hin- und Rückfahrt in eins zu buchen, versucht die DB nämlich, ihren Kunden zu suggerieren, eine Rückfahrt zu dem gewünschten Termin gäbe es nicht, man solle doch auf den nächsthöheren Tarif ausweichen.
Erwischt! liebe Bahn AG. So einfach geht das nun auch nicht.

Sonst noch? - Ja, lassen Sie mich Ihnen noch kurz erzählen, wie mich der Hafer stach und ich mich in eine Casting-Liste für eine Segelschiff-Seereise nach Amerika eintrug, mit der der WDR im Oktober-November dieses Jahres die Auswanderungen des vorletzten Jahrhunderts nach Amerika nachspielen will.
Sollte man mich tatsächlich einladen, werde ich zum Casting fahren, die Reise, die mir erst sehr verlockend erschien, werde ich aber nicht antreten. Zum einen, weil die See mir doch sehr unheimlich ist, zum anderen, weil die Überfahrt zu einer Zeit stattfindet, in der der Atlantik gern verrückt spielt.
Ich glaube, ich sollte lieber bei meinem Traum von einer Fahrradtour nach Gibraltar bleiben.

 

Fr 30.07.04   10:00

Wie letztes Jahr werden wir auch in diesem eine Woche am Meer verbringen. Im gleichen Hotel. Wir werden so tun, als könnten wir uns das leisten. Wir leisten es uns, weil der September mit sechs Lesungen für alles geradestehen muss. Wir leisten es uns, weil wir unterm Strich mit Nichts dastehen werden. Es wird also sein wie immer. Irgendjemand muss sich ja etwas leisten. Wir leisten uns auch andere Dinge. Fragen zum Beispiel. Vor allem Fragen. Wir leisten uns, dass es kaum Antworten gibt, es sei denn, man wäre gläubig. Wir leisten uns unausgeschlafene Tage und lange Abende, wir leisten uns Liebe mit all ihren Komplikationen, wir leisten uns all das, weil unsere Eltern nicht umhin konnten, sich uns zu leisten. Und so wird es wohl am besten sein, wenn man sich etwas leistet. Oder?

 

Sa 31.07.04   11:26

Mit den Worten "Angela Merkel, melde mich zum Dienst" und der rechten Hand an der Schläfe zum Soldatengruß begann die Kandidatin am späten Donnerstagabend (Ortszeit) ihre mit Spannung erwartete Rede. "Als Eure Oberkommandierende werde ich Euch nie irreführend in einen Krieg führen. Und ich werde einen Verteidigungsminister haben, der auf den Rat der Militärs hören wird", sagte Merkel. Ihre Rede wurde von mehr als ... Millionen Menschen im Fernsehen verfolgt und selbst linke Medien wie ... werteten die 50-minütige Ansprache als "die beste Rede ihres Lebens."
Aufschlussreichster Satz ihrer Rede:
Sie werde, wenn es um die nationale Sicherheit geht, "nie ein Veto anderer Staaten oder internationaler Organisationen akzeptieren!" Na, da freuen wir uns doch und gehen beruhigt in den Urlaub.


 

 

 

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