Juli 2016                      www.hermann-mensing.de      

    

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag

Sa 2.07.16 16:45

Sie sitzen zu Dritt auf der Bank der Bushaltestelle, sie und ihre Betreuerin. Die Betreuerin spricht Deutsch mit polnischen Akzent. Von denen auf der Bank spricht nur eine große Frau mit Männerstatur. Sie sitz links, hat lilafarbenen Fingernägel und trägt milchblaue Ohrhänger. Ihr Gesicht ist aufgeschwemmt. Sie hat eng beieinander stehende, tief liegende, dunkelbraune Augen und einen fülligen, sich leicht nach rechts senkenden Mund. Die Rinne zwischen Nase und Oberlappe macht ebenfalls einen Rechtsschwenk. Die Frau redet ununterbrochen mit sehr lauter, aber schwer verständlicher Stimme, eigentlich eher ein Raunen. Duplo, Plätzchen, Hamburger, Kindercountry .... verstehe ich ... Kuchen, Schokolade, sonst nichts. Ich schätze, die Frau ist Mitte Dreißig. Ich sehe sie fast jeden Tag. Über die Straße betrachtet wirkt sie wie eine Kampflesbe.


Mo 4.07.16 10:21

Sie fragen, ob sie sich zu mir setzen können. Natürlich, sage ich. Eine hat ein rundes Gesicht, ist blond, blauäugig und ein bisschen rosig, als wäre noch Babyspeck dran, die andere hat schulterlange kastanienfarbene Haare, ein schmales Gesicht und grünbraune Augen. Beide sind zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Nach einer Weile kommt ein junger Mann. Er setzt sich ihnen gegenüber, die Hände in den Hosentaschen einer weiten, dreiviertel langen, schlabbrigen Baumwollhose vergraben. Er sitzt breitbeinig und irgendwie sieht das aus, als hielten seine Hände Zwiesprache mit den Eiern. Sein Fokus ist auf die Blonde gerichtet, mit der spricht er. Der anderen huscht dann und wann ein Lächeln übers Gesicht, manchmal schiebt sie die Unterlippe ein wenig vor und schlägt die Augen nieder. Es ist eindeutig, dass er ihr gut gefällt, aber ihm fällt das nicht auf.


Di 5.07.16 9:04

heute
den tag vor dem abend loben
man weiß nie
man könnte verloren gehn unterwegs
daher lob heute
julilob sommerlob
himmelslob kaffeelob
lob denen
die kühlen kopf bewahren
und an menschen glauben
die ihr kleines licht
abends ans fenster stellen
damit alle wissen
dass nichts verloren
und immer noch alles möglich ist


Do 7.07.16 9:19

Herr M. hat sich aus dem Fenster gehängt. Da wird er doch den Kopf nicht einziehen, wenn jemand ihm etwas zuruft, was ihm nicht passt. Im Gegenteil. Er wird den Kopf noch weiter raushängen, bis er das Gleichgewicht verliert und aufs Pflaster stürzt. Da können sie ihn dann festtreten, all die Menschen mit Bildung und festen Vorstellungen von Gedichten.


Sa 9.07.16 9:48

wir hatten einen leichten tritt verpasst
und zeit in staniolpapier gerollt
den anfang hatten wir verblasst
aus einem heim geholt


So 10.07.16 23:15

Schon merkwürdig, da denkt sich Herr M. im Hinblick auf sein heraufziehendes Alter eine Tanzalternative aus, Tango in seinem Fall, weil er glaubt, Tango sei weniger körperintensiv als Salsa, und dann stellt er fest, dass es beim Tango Momente gibt, in denen Torsionskräfte auf die Längsachse wirken, die sich als Schmerz in der rechten Hüfte manifestieren. Drei Tage später kehrt dieser Schmerz plötzlich zurück und raubt ihm den Nachtschlaf, sticht auch den folgenden Tag über ständig zu, ist zu Abend immer noch gegenwärtig, so dass Herr M. über einen Besuch beim Orthopäden nachdenkt.

Mo 11.07.16 12.24

Der Orthopäde ließ Herrn M. das rechte und linke Knie vor die Brust heben, griff zu, tastete, sagte "verrenkt", hieß ihn, sich bäuchlings auf einer Liege ausstrecken, zog an seinem rechten Bein, sagte, falls es zu sehr schmerzt, melden, aber es schmerzte nicht, zog prophylaktisch auch am linken Bein, sagte, in zwei Tagen sollte das besser sein, falls nicht, noch mal kommen, und verschrieb ihm einen Stützgürtel.

Auf dem Heimweg sprach ihn ein junger Obdachloser an, leptosomer Typ, Piercings an Unterlippe und linkem Nasenflügel, Jeans, T-Shirt, Basecap verkehrt herum auf dem Kopf. Wollte eine Spende, weil er als "Deutscher" keine Wohnung bekomme, während dem "Flüchtlingspack" alles in den Arsch geschoben werde. Ich gab ihm nichts, monierte das "Flüchtlingspack", wusste aber, dass es natürlich ein Neidproblem gibt in dieser Gesejllschaft, und dass die Kommunikation hinsichtlich der Aufgaben, mit der unsere Gesellschaft konfrontiert ist, eher unglücklich verläuft, und verstehe auch nicht, wieso Milliarden locker gemacht werden können, während Schulen und soziale Einrichtungen seit Jahren mehr Geld fordern.


Do 15.07.16 10:54

Durch jahrzehntelanges Training bin ich in der Lage, mein Rad in allen denkbaren körperlichen und mentalen Verfassungen zielgenau und ohne größere Abweichungen von der Ideallinie durch Wind und Wetter unfallfrei nach Hause zu bringen, manchmal aber (ich weiß das auch von anderen) gerate ich mit dem Rad an den Rand einer befestigten Weges und weiß im gleichen Augenblick, dass ich ins Bankett rutschen werde. Es ist wie ein Sog, man sieht es kommen, es geschieht, man lenkt das Rad zurück auf den befestigten Weg und alles ist vergessen. Gestern waren wir in den Rieselfeldern unterwegs und hatten beschlossen, an der Grabenböschung der in Fahrtrichtung links liegenden Seite Mädesüß zu pflücken. Ich überquerte die Straße, schwang mein rechts Bein über den Sattel, stand mit dem Fuß des anderen auf der linken Pedale, und dann ging alles ganz schnell. Ich kam von der Straße ab, rutschte aufs Bankett und fuhr in den Graben. Der Graben war nicht tief, ich hielt mich am Lenker fest, stolperte die Böschung auf der anderen Seite wieder empor und wurde von einem Stacheldrahtzaun daran gehindert, in die Wiese zu fallen. Nichts passiert, göttliche Wendung oder sonst irgendetwas, man weiß das nicht, man überlebt und bedankt sich, bei wem, weiß man auch nicht recht, aber der Blumenstrauß am Ende der Fahrt war wunderschön.


Sa. 17.07.16 9:45

Zur Lage

A: Haben Sie eine Idee?
B: Nein.
A: Sie haben keine Idee?
B: Nein.
A: Soll ich Ihnen eine Idee schenken?
B: Haben Sie denn eine?
A: Nein.
B: Was würden Sie mir dann schenken wollen?
A: Die Aussicht auf eine Idee.
B: Gibt es denn eine Aussicht?
A: Das weiß ich nicht.
B: Aber wenn Sie mir eine Aussicht schenken wollten, was für eine Aussicht wäre das?
A: Eine schöne Aussicht.
B: Wäre diese Aussicht eine Aussicht für alle?
A: Ja.
B: Und wäre diese schöne Aussicht eine friedliche?
A: Ja.
B: Dann schenken Sie sie mir doch, bitte.
A: Gern. Aber ich weiß nicht, woher ich sie nehmen soll.
B: Von den Menschen vielleicht?
A: Kennen Sie welche, die ohne Arg sind?
B: Nein.
A: Von den Göttern vielleicht?
B: Die sind an den Menschen verzweifelt.
A. Von den Teufeln?
B: Schon gar nicht.
A. Von wem sonst?
B: Ich weiß es nicht.


So 17.07.16
17:24

Meinetwegen soll er seine islamfaschistische Repbulik haben, dieser feine Herr mit der Riesenvilla in Ankara, aber die Türken in der Bundesrepublik müssten sich schon entscheiden, sind sie jetzt Bundesrepublik, oder möchten sie doch lieber mit Erdogan sein. Falls Letzteres zuträfe, bäte ich sie inständig, sich noch - bevor ihnen der Bart steht und ihre Frauen unter Ganzkörperschleiern verschwinden - einfach abzuhauen. Demokraten jeder Coleur und Hautfarbe hingegen sind mir jederzeit herzlich willkommen.


Mo 18.07.16 13:05

Nichts wurde fertiggestellt. Und wenn es doch fertiggestellt wurde, führte es zu nichts. Wenn es zu etwas führte, führte es nie dazu, wozu es hätte führen sollen oder hätte führen können, wie es bei anderen, die ständig etwas fertig stellten, zu etwas führte.
Dennoch hatte er immer weiter gemacht, jeden Tag hatte er etwas fertiggestellt, was zu nichts führte. Manches war dann doch anderen zugänglich gemacht worden, die es aber ignorierten oder nur in Maßen wertschätzten. Vieles von dem, was er nie fertigggestellt hatte, war trotz aller Empathie für die Sache, die immer "Dafür" war, auch die Sache "Dagegen", und das war nie so begehrt wie das reine "Dafür."

"Dafür" war das Gute, "Dagegen" das Schlechte, und das Schlechte hätte man besser erst gar nicht begonnen. Das war dem, der ständig etwas fertig stellte, von Anfang an klar, aber von Anfang an hatte er sich gegen das Diktat, ständig müsse etwas fertigggestellt werden, ganz gleich, was es - und wofür es auch sei, mit Händen und Füßen gewehrt. Der Widerwille gegen dieses der Welt inhärente Prinzip war oft so groß und mächtig geworden, dass er alles, war er über Jahrzehnte fertiggestellt hatte, der Vernichtung preisgab, um dann im entscheidenen Augenblick doch wieder Abstand davon zu nehmen. Er liebte liebte es, das Nichtvorhandene durch etwas zu ersetzen, das er nie fertigstellen- und das nie zu etwas führen würde, wobei nie klar war, ob und welches Ziel er verfolgte, weil doch alles, was ihm bekannt war, von vorübergehender Natur, also flüchtig und endlich war.
Für die Endlichkeit musste nichts fertiggestellt werden, denn wozu sollte das gut sein, nur die Unendlichkeit verlangte das Fertigstellen von vorher nicht Dagewesenem, oder?


Fr 22.07.16
9:44

Um den Boden zu verdichten, muss ein Rüttler her. Der Rüttler muss pünktlich um 7:00 zum ersten Mal in Gang gesetzt werden. Um 7:15 verstummt er. Jetzt sind alle wach. Der Rüttlermann schaut sich zufrieden um. Als er bemerkt, dass hier und dort wieder jemand eingenickt ist (Rentner vor allem, erschöpfte Kinder und Studenten, Hausfrauen, deren Männer endlich das Haus verlassen haben), zieht ein Lächeln über sein Gesicht und er zündet die Brennkammern seines viertaktgetriebenen Rüttlers erneut. Nach fünf Minuten sind wieder alle wach und auf den Beinen. Der Rüttlermann zündet sich eine Zigarette an. So verbreitet er jetzt schon seit Tagen Ruhe und Zufriedenheit im Viertel, alle grüßen ihn, alle wünschen ihm nur das Beste.

Sa 23.07.16 8:27

Immer muß einer es vormachen, dann kommt der nächste und macht es nach. Macht einer es mit der Axt, macht der nächste es mit der Langwaffe, und wieder der nächste macht es hiermit, und wieder einer damit, und für die, und ein andere für jene, dann gibt es kein Ende und dann ist wieder überall Blut und zum Schluß weiß keiner mehr, worum es geht. Ich will das nicht. Ich weiß, dass der Mensch gut ist. Warum ist er es nicht?


Di 26.07.16 11:35

Der Mann kann tanzen. Der Mann kann Wassertreten. Aber wenn der Mann sich auf den falschen Stuhl setzt, der entweder zu hart oder zu weich ist, kann er plötzlich gar nichts mehr, dann fühlt es sich so an, als sei seine rechte Hüfte schon wieder verrenkt, dabei hat er doch in den letzten vierundzwanzig Stunden getanzt, Wasser getreten und ist fünfzig Kilometer mit dem Rad gefahren. Als er sich gestern spät in der Nacht Weather Report Live in Montreux 1976 angeschaut hat, dachte er plötzlich, das war's, von diesem Stuhl komme ich nicht mehr hoch, hat sich auf die Erde gerollt, hat eine Weile geglaubt, dort die richtige Position gefunden zu haben, kam aber anschließend kaum ins Bett. Es war mehr ein Kriechen unter Schmerzbeschuss. Heute ist der Schmerz zwar noch anwesend, aber nicht mehr lähmend. Nun gut, vorhin kam der Mann kaum von der Toilette, aber gleich duscht er sich, denn heute nachmittag fährt er in seine Stadt, die ja auch die Stadt Udo Lindenbergs ist, und der wird heute Ehrenbürger. Kleine Feierstunde, da hofft der Mann natürlich, dass die Stühle nicht von IKEA 1971 sind. Sonst eigentlich hofft der Mann nur darauf, dass jetzt nicht alle Populisten fordern, alle Flüchtlinge auf der Stelle zu expedieren, sondern darauf, dass wir den Paranoikern unserer Gesellschaft glaubhaft vermitteln, dass Flüchtlinge Menschen sind und nicht Halsabschneider, wie manche zu glauben scheinen, und dass unsere Regierenden nicht den Kopf verlieren, das alles hofft der Mann.


Mi 27.07.16 18:00

Udo Lindenberg stand auf der Terrasse vom Rockmuseum in Gronau, umringt, wie es sich für einen Rockstar gehört, hier jemanden umarmend und dort, und ich dachte, wieso grüßt er mich nicht, wir kennen uns doch, und ich dachte auch, er sieht ganz anders aus als auf seinen Fotos, na ja, dachte ich, Photoshop, natürlich, aber so anders? Dann wieder Abgleich mit dem, was ich von ihm kenne - die Mundpartie, irgendwie stimmt die nicht. Und als ich mit anderen spreche, und sage, Udo sieht irgendwie anders aus, sagt einer, nee, nee, das ist er schon, ich habe ihn vorhin schon vorm Hotel gesehen. Im Saal ist es wenig festlich, allerdings ist überall Presse, Stative, Männer mit Kameras und Fotoapparaten, wir finden zwei für die Presse reservierten Stühle, setzen uns und niemand scheucht uns davon. Und erst, als es losgeht, wird klar, dass der Udo, den ich draußen gesehen hatte, nicht der ist, der jetzt den Saal betritt, draußen war also ein Fake-Udo, gleich gekleidet, jedes Detail stimmte, sogar die dicke Zigarre, aber eben ein Fake, und da dachte ich, wie kommt man bloß darauf, sich als Fake durch die Welt zu bewegen.

20:50

Meine Tanzstundendame war da, wir waren vierzehn, sie hatte schon einem Jungen den Abschlußball zugesagt, wollte aber lieber mit mir und ich mit ihr, weil wir gute Tänzer waren, und dann haben wir das durchgesetzt, große Aufregung mit dem Ergebnis, dass wir den Abend am Tisch der Tanzlehrerin verbringen mussten, was blöd war, aber im Verlauf des Abends hat sich alles mehr oder weniger verflüchtigt und wir saßen mal hier und mal da. Mein Vater war betrunken, und da er den Vater meiner Tanzstundendame gut kannte, und der auch betrunken war, kamen die beiden irgendwann zu uns, und sagten wir wären doch so ein schönes Paar, wir sollten doch ...


22:53

Bassam Tibi, ein Soziologe aus Göttingen, schreibt in einem Artikel, die Deutschen hätten einen großen Fehler gemacht, Flüchtinge aufzunehmen. Die nämlich hätten, er wisse das, weil er daher komme, grundsätzlich andere Vorstellungen, ganz und gar unvereinbar mit den unseren, und unsere "Willkommenskultur" sei nichts anderes, als der Versuch, die Scham, die uns wegen des Holocausts anhängt, wieder gut zu machen.

Ich weiß, wovon er spricht, bilde mir aber ein, dass dieses Schuldgefühl seit etwa zehn Jahren langsam verschwindet. Wir werden normaler. Normal bedeutet auch, dass wir mit Nazis leben müssen. Wir müssen sogar mit ihnen reden. Wir müssen sie argumentativ kalt stellen. Verteufeln hilft nicht. Die lage ist tatsächlich kompliziert. Man stelle sich vor, wir hätten die Grenze dichtgemacht. Es hätte viele Tote gegeben und alles vorstellbare Leid, und wir wären es wieder gewesen. typisch.

Ich wäre gern ein leichtes Volk, aber was soll ich machen. Ich finde, dass es falsch ist, über Nationen und deren Eigenheiten zu sprechen. Nationen sind Konstrukte, Mentalitäten hingegen gibt es unzählig mehr als Nationen. Dass die syrische-islamische eine andere ist als unsere, weiß jeder. Aber die meiner Nachbarn ist auch oft eine andere. Menschen lebten schon immer in Gesellschaften voll unterschiedlicher Mentalitäten, die zu befrieden ihnen bis jetzt leider nicht gelungen ist und zunehmend aussichtslos scheint, zumal die Mittel zur gegenseitigen Vernichtung immer perfider werden. ich bin völlig ratlos, Aber die Diskussion ist eröffnet, die Populisten hocken in den Startlöchern, die wenigsten Menschen lesen vernünftige Zeitungen, ihr Interzugang erschöpft sich in Pornografie und gestreamten Filmen, ich möchte gern Hilfe rufen, denn im Grunde meines Herzens bin ich Monarchist und träume vom guten König. Äußerst rätselhaft das alles, aber ich bin sicher, dass es das Leben ist, und das Leben ist aufregend, widersprüchlich und ganz und gar unverständlich.


Do 28.07.16
23:02

Sie besucht mich selten, heute aber war sie da. Sie hatte den Nachmittag frei und wollte, dass wir Dicke Bohnen kochen. Während wir Gemüse putzten, erzählte sie, dass eine Somalierin der Flüchtlingsgruppe, der sie versucht, Sprache und Kultur der Eingeborenen näherzubringen, gesagt habe, Erdogan sei ihr Superstar und dass es da innerhalb der Gruppe sofort zu ordentlichen Reibereien gekommen sei, sie haben natürlich alle unterschiedliche Auffassungen von Gesellschaft und Politik, manche finden auch Assad gut, jedenfall war es so, dass sie auf der Zunge hatte zu sagen, liebe Frau Soundso aus Somalia, dann beantragen sie doch in der Türkei Asyl.


Fr 29.07.16 10:16

Die Diskussion ist eröffnet. Ich werde mich kundig machen, wie die Basis unseres Denkens, die Aufklärung, die Hinwendung zu Vernunft, die Bewahrung unseres Wertekanons im Chaos der Gegenwart, die zunehmend bedroht wird, in die Normalität übersetzt werden kann, eine Normalität, die sich darauf beruft, dass Menschen, die hierher kommen und Aufnahme finden, nicht erwarten können, dass ihre Vorstellungen eines Islam, der sich auf die Sharia beruft, unsere Werte unterläuft und Anpassung unsererseits verlangt. Das kann und will ich nicht dulden. Ich weiß aber nicht, wie das funktionieren soll. Ich ahne, dass die Dikussion sich öffnen muss. Sie verlangt von uns, dass wir mit Empathie Grenzen setzen, dass wir Forderungen formulieren, klare und eindeutige Forderungen, die sich nicht damit abfinden, dass "schon alles gut gehen wird", sondern dass Menschen, die hier leben wollen, sich in einer durch die europäische Aufklärung geprägten offenen Gesellschaft, einfügen müssen. Nicht wir müssen uns ihnen anpassen, sie müssen sich diesen "westlichen" Werten öffnen, sonst kann das nicht gut gehen.

14:21

Wir benötigen Normalität, Empathie und sofortiges, angemessenes Handeln in Situationen, in denen unsere Freiheit, eine Erfolgsgeschichte für dieses Volk, die ich um keinen Preis und von niemandem verhöhnt sehen möchte, bedroht wird. Bedrohung ist nicht nur physisch, viel größer ist fast noch die psychologische Blutspur in den Erinnerungsräumen der Menschen.


Sa 30.07.16 15:23

Der junge Mann ist höflich. Seine Wohnung liegt unter der von Frau E., und er hat oft Gäste. Andere höfliche junge Männer, Studierende allesamt, anzunehmen ist, dass sie, wie er, aus gutem Hause kommen, dass ihn die Wohnung, für die Frau E. und andere Bewohner des Hauses Lebenszeit opfern, um die Miete zahlen zu können, keinen Cent kostet, da die Eltern ihn unterstützen. Ein Glückskind also, wenn er nicht dazu neigte, mit den genannten Gästen unmäßig laut zu kommunizieren, oft geht das Gespräch in fröhliches Johlen über, in Geschrei auch, dann wieder denkt man, nun ist ihnen der Geschreistoff ausgegangen, aber das stimmt nicht, oft geht es bis tief in die Nacht. Dazu macht es beständig Bumm, Four on the Floor bei 120 Beats per Minute. ie Balkontüren stehen weit offen, damit frische Luft den Kommunikationsfluss befeuern möge. Frau E. hat schon mehrfach interveniert, und immer ist ihr versprochen worden, man werde in Zukunft ruhiger sein. Gestern ging es bis ein Uhr. Ich hatte alle Fenster und die Balkontüren schließen müssen, um halbwegs ungestört lesen zu können. Heute früh dachte ich, wenn ihr mir den Nachtschlaf raubt, raube ich euch den Morgenschlaf. Nun war es zwar nicht sechs Uhr, als ich hinunterging und schellte, aber doch auch erst acht an einem Samstagmorgen, draußen standen Räder, die jungen Männer schliefen also ihren Rausch aus, die Jalousien waren herab, also schellte ich kräftig, lang anhaltend und dreimal. Beim vierten Mal hörte ich eine Stimme. Beim fünften Mal öffnete sich die Tür. Der junge Mann himself. Ich sagte Guten Morgen, ich müsse mit ihm über die Freiheit des Individuums sprechen, die immer nur so weit reicht, wie sie die Freiheit eines anderen nicht beeinträchtig, und bat ihn, seine Ankündungen auf das nächste Mal wahrzumachen. Das versprach er, aber das täte er immer, sagte Frau E.

17:47

Seit Wochen hatte der Rechner gefragt, ob man nicht auf Windows 10 upgraden wolle. Wenn einem 10 nicht gefalle, könne man bis dann und dann zurück zu 7. Nee, hatte man geantwortet. Gestern blieben plötzlich nur noch vier Stunden zum Upgrade, danach würde es kosten, und da fragt Frau E., ob sie nicht doch upgraden solle? - Mein Ältester sagt, seine Firma (Werbung/Design und Hosten von Websites) grade nicht up, sage ich, aber das musst du wissen. - Wär das nicht besser, ich meine...? - Ich weiß das nicht, sage ich, meinen Rechner hat Windows nie gefragt, ich mach's nicht. - Wie lange dauert das denn wohl? fragt sie - Stunde? - Ja, gut, sagt sie. In anderthalb Stunden muss sie zur Arbeit. So hofft, dass sie den Rechner mitnehmen kann. Könnte knapp werden, sage ich. Als sie los muss, hat er 49 Prozent heruntergeladen. Als der Download fertig ist, meldet der Rechner, dass er den Download nun konfigurieren muss. Er werde währenddessen mehrfach herunterfahren und wieder hoch. Ok, sage ich und lege mich schon mal hin. Schlafen werde ich noch nicht können, ich will ja wissen, wie es weitergeht. Plötzlich leuchtet das Display nicht mehr. Ich stehe auf. Der Rechner tut was, sagt aber nicht was. Ich lege mich wieder hin. Nach einer Weile leuchtet das Display wieder auf. Ich flitze hin, nachsehen. Die vorherige Windowsversion wird wiederhergestellt, sagt er. Danke, Bill, sage ich.

21:45

sie haben geschnitten
störche folgten ihnen
morgen werfen sie wunder
auf weite flächen
wenn wieder freitag ist
trinken sie alkohol
aus hohen gläsern
so geht das bis sonntag
pinkeln dürfen sie sonntags nicht
das hat er verboten
sie nehmen katheter
das ist was anderes
dann ist montag
da gehen sie hinters haus
schwenken ihre penisse
und lassen ihn hochleben


So 31.07.16 11:15

Die Balkontür steht offen, ich liege unter einer Decke auf dem Sofa, ich lese Zeitung und höre die Beatles. Die Zeitung gibt nicht allzuviel her. Die Beatles sind alte Freunde. Die Zeitung knistert, ich kämpfe mit ihr und überlege, ob ich sie gegen ihre digitale Ausgabe tauschen soll. Aber womit putze ich dann die Fenster? Seit zwei Tagen ist der Weizen vom Halm, das als Statusmeldung für Großstädter, die so etwas selten bis nie zu sehen bekommen. Alles normal also, nur zu trocken und überall Blutverlust. Blut ist und bleibt eine beliebte Währung in den Kämpfen für den Profit der Wenigen. Schöner Sonntag also. Horkheimer und Adorno waren stinksauer gestern abend, als ich vorzog, den Rest des Abend mit Joyce zu vertrinken.