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Mi 1.07.20 8:45 /Krise Tag 109 / regnerisch
Endlich Landregen.
Do 2.07.20 11:30 / Krise Tag 110 / wechselnd wolkig, angenehm
Im letzten Herbst habe ich einen Roman begonnen. Und wie so oft hat mich der Mut auf Seite 50 verlassen. Seit vierzehn Tagen habe ich neuen Mut.
Fr 3.07.20 10:40 / Krise Tag 111 / bewölkt
Sie betteln geradezu um eine zweite Welle. Sie bevölkern Strände, setzen sich in Flugzeuge, schlimm war's, sagen sie, aber jetzt geht's wieder los, jetzt geht's loohooos. Nach der Sommerpause sollen die Fußballstadien wieder zu Hälfte bevölkert werden, omnipotente Fußballmogule scheißen junge Männer mit Millionen zu, während Menschen arbeitslos und in Kurzarbeit sind. Sie kümmert's nicht wirklich, sie haben's noch immer nicht begriffen, dass unser Lebensstil verantwortlich ist, für das, was wir Pandemie nennen, und mittlerweile schwenken selbst Menschen, denen ich mehr Intelligenz zugetraut hatte, zu denjenigen über, die sagen, das war übertrieben. Gut, es ist gerade ein bisschen kritisch mit der Fleischindustrie, wohin bloß mit all den Schweinen, die jetzt nicht geschlachtet werden können, aber ansonsten ersehnt man das Brummen einer Industrie, die den Markt mit Dingen flutet, auf die man getrost verzichten könnte. Die Hoffnung auf einen grundlegenden Kurswechsel zerschellt an Milliardenforderungen der Wirtschaft, alles muss Wirtschaft sein, Menschsein und Zukunft sind nach wie vor gleichbedeutend mit Konsum und Wachstum. Kurzsicht statt Weitsicht, Geld statt Vernunft, speiübel war mir und ist mir und wird mir sein bis ans Lebensende, also schreibe ich, sonst kann ich nichts.
Sa 4.07.20 12:25 / Krise Tag 112 / bewölkt, mild
Ich stelle mein Rad im Hof vor einem Fenster ab, schaue hoch und sehe eine alte Frau. Sie sitzt in einem bequemen Stuhl und schaut aus dem Fenster. Ihr Gesicht ist unbewegt, ich nicke, aber sie reagiert nicht. Sie schaut, wo der Tod bleibt. Von früh bis spät sitzt sie da und wartet, aber der Tod hat Präferenzen, sie muss noch warten. Ich gehe ins Haus, ein Altenheim mit nur noch wenigen Bewohner, die übrigen Zimmer sind als Appartments vermietet. Der lange Gang ist gefließt, alles ist beige und braun. Ein Freund wohnt neuerdings dort. Bis auf die Geräusche ist hier kein Leben mehr, sagt er. Das Haus grenzt an einen Wald.
Mo 6.07.20 11:45 / Krise Tag 114 / bewölkt, windig, frisch
Wenn man Küchenwände verputzt und mit selbst abgetönter Farbe streicht, sollte man einen Rest Farbe zurückbehalten, falls jemand Wein verschüttet oder sonst welche Flecken macht. Ich bin ein begabter Fleckenmacher. Vorletzte Woche waren es Reste eines Öls, mit dem ich den Küchentisch bearbeitet hatte, Freitag hatte ich Rotwein verschüttet. Heute habe ich Farbe nachmischen müssen, habe die Flecken übergestrichen und es scheint, als hätte ich den richtigen Ton getroffen. Mal sehn, wie es aussieht, wenn es getrocknet ist.
Ansonsten: leichtes Stocken. Der Roman ist an einem Punkt, an dem Nachdenken mehr bringt als Schreiben.
13:18
ja, es geht nicht
nein, die welt ist krank,
und die weitsicht
liegt vertäut im schrank.
18:20
Kräftige Wind treiben Wetterfronten und atemberaubende Wolkenformationen heran. Das Licht wird messerscharf, kurz bevor es zu regnen beginnt. Dann wird der Himmel schwarz, Regen prasselt, es hellt wieder auf und das Licht gleißt. Das erste Getreide, die Gerste, kommt vom Halm. Mähdrescher mit acht Meter breiten Messern verwandeln große, wogende Flächen in windeseile in Stoppelfelder.
Als ich Kind war, habe ich mich in Garben versteckt, die zum Trocknen auf den Feldern standen. Wenn die mit breitem Lederriemen betriebene Dreschmaschine auf dem Hof Schünnemann ratternd ihre Arbeit tat, stand ich in beigem Staub und schaute zu. Damals gab es keine Störche in den Wiesen. Die Tauben waren natürlich schon da und fielen in Schwärmen über das Getreide.
Heute sehe ich täglich Störche, oft in Gruppen von zehn, fünfzehn Tieren. So etwas gab es damals im Osten, da, wo niemand hinkam und wollte, weil da das Böse hauste. Ich schaue zwar immer noch hin, aber sie sind kein Spektakel mehr. Wenn ich sie sehe, frage ich mich, wieso sie beim Fliegen die Hälse strecken, während die fast so großen Graureiher sie in S-Form zurücklegen.
Es ist für die Jahreszeit ein wenig zu kühl, würden die Meteorologen sagen, aber für mich ist es wunderbar. Nur eines ist anders. Innerhalb eines halben Jahres hat etwas die Welt erobert. Alle wissen, es könnte töten. Es ist nicht wahrscheinlich, aber möglich. Die Welt dreht sich, aber nichts ist wie zuvor.
Mi 8.07.20 10:40 / Krise Tag 116 / bewölkt, frisch
Ich streiche herum wie ein Wolf. Ich wittere, aber die Worte lassen ausrichten, dass sie nicht gestört werden wollen. Das ist mir recht. Ich reiße sie nur, wenn sie Abenteuer versprechen. Alles andere langweilt mich. Meine Existenz ist gesichert, mein Leben steht jeden Augenblick auf dem Spiel, mein Lechzen nach Anerkennung wird nie gestillt werden können. Ich bin unabhängig, sage ich. Ich bin nicht korrupt. Ich weiß, dass das Behauptungen sind. Ich sitze am Tisch und überfliege die Todesanzeigen. Bei jedem Toten, der nach 1949 geboren ist, denke ich: überlebt. Ich freue mich, dass zum ersten Mal seit Wochen wieder Vögel an meiner Futterstelle auf dem Balkon auftauchen. Die Maus ist auch da. Die Überlegung, sie mit einer Falle zu töten, haben wir verworfen. Gestern hat mich ein Freund besucht. Wir haben uns umarmt, wir fühlten uns sicher. Aber nichts ist sicher. Die Welt ist im Ausnahmezustand. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie wieder ins Lot kommen soll. Ich rette mich, indem ich NGO's spende. Ich weiß, dass auch das Illusion ist. Ich lebe mein Leben, mehr kann ich nicht tun. Es ist sehr frisch. Ich hoffe auf einen kühlen, feuchten Sommer. Die Natur könnte durchatmen. Vielleicht, denke ich, gibt es doch einen höheren Plan. Wind streicht durch meine Salatbar unter der Futterstelle. Abends zupfe ich hier ein Blättchen und dort. Pflücksalat, Salbei, Minze, Rukola, Blutampfer, Kapuzinerkresse, Basilikum. Joghurts machen wir neuerdings selbst. Meine Freundin kocht wie ein Sternekoch. Ich sitze. Ich rufe die Frau des vor fünf Wochen gestorbenen Gitarristen an. Sie freut sich. Alle sagen immer, sie wären für einen da, aber dann ist doch keiner da, sagt sie. Ich koche mir Kaffee. Jeder Tag ist schön.
Do 9.07.20 11:06 / Krise Tag 117 / bewölkt, frisch, regnerisch
Dienst auf der Burg.
21:42
die stille ist blei
die stille ist luft
die stille kann fliegen
die stille trägt kronen am leib
und viele ächzen darunter
ich lieb sie die stille
ich hass sie die stille
die stille soll weggehn
das leben will leben
r 0,66
Sa 11.07.20 12:52 / Krise Tag 119 / wechselnd bewölkt, frisch
Samstags teilt ein etwa Zwölfjähriger Werbezeitungen aus, die dann bis Mittwochs im Flur liegen, eh der Putzmann sie entsorgt. Vor vierzehn Tagen hatte ich dem Jungen gesagt, dass er keine Zeitungen durch den Schlitz schieben solle, niemand im Haus wolle sie. Eben traf ich ihn, als er die "Hallo" wieder durch den Briefschlitz zu schob. Ich wiederholte, was ich vor vierzehn Tagen gesagt hatte. Er antwortete, dass er das nicht entscheiden könne, ich müsse den Verlag anrufen, die würden ihm dann Bescheid sagen. Ich sagte, ich hätte bereits angerufen, was eine Lüge war. Ob ich denn für alle im Hause sprechen könne? fragte er. Ich sagte, ja, was keine Lüge ist. Er packte die Zeitungen wieder ein und ging weiter. Ich schaute ihm nach und dachte, was für ein feiner cleverer Junge.
22:50
Ich fahr gerne mit dem Rad über Land. Um diese Jahreszeit blüht überall etwas. Wenn mich Mädesüß anlacht, steige ich ab und pflücke es. Manchmal steige ich zwanzigmal ab und höre erst auf, wenn ich den Strauß nicht mehr in der Hand halten kann. Gestern hatte ich drei verwelkte Sträuße weggeworfen, deshalb war ich heute eher ein Mäher, als ein Pflücker. Ich hatte ein Taschenmesser, wusste, wo ich Blumen fände, fuhr los, hielt, schnitt und schnitt, bis die Satteltaschen voll waren. Jetzt stehen sieben wundervolle Sträußen in schönen Vasen.
Di 14.07.20 9:35 / Krise Tag 122 / wechselnd bewölkt
Ausgewählte Überschriften der Süddeutschen Zeitung
jetzt erst recht
im misstrauen vereint
was zu klären wäre
neue töne
warnsystem
ballermann
fragen nach woher
lebenslang zum schutz der kinder
noch in grenzen
hilfe für waldbesitzer
gegen die verzwergung
des tauchers flucht
im schatten der milizen
hunger nimmt weltweit zu
die gefährtin
prügelei um ballpumpe
haft für polizisten
die unabhängigkeitserklärung
mohrenstraße
verärgerung trotz millionenhilfe
virusbremse kind
zölle über zölle
aussortiert
anleihe renditen steigen
firmen machen viele schulden
auf zur nächsten einkaufstour
Mi 15.07.20 10:15 / Krise Tag 123 / wechselnd bewölkt
Übungen für's Überleben
Brot backen.
Do 16.07.20 11:03 / Krise Tag 124 / bewölkt
Ich weiß nicht, wie es weitergeht.
Fr 17.07.20 11:21 / Krise Tag 125 / wechselnd bewölkt, mild
Nicht einmal plappern gelingt. Weiches Innen, hartes Außen. Bis auf das Lebensende ist alles im Nebel. Kein Gedanke führt in eine erfolgversprechende Richtung. Allerlei saust herum, prächtiges Zwitschern im Hirn, Vogelstimmen überschlagen mich und lassen mir gerade genug Atem, nicht den Verstand zu verlieren. Oh, ja, die Welt, sagt man morgens, wenn die SZ App geladen ist und man liest, was man sowieso wusste. Aber man ahnt höchstens, wie es zugeht in der Welt, man liest es, Fakten, heißt es, seien Fakten, aber wie es sich anfühlt, da zu sein, wenn man hier ist, ist unmöglich. Wir hier, in relativer Sicherheit, die dort, deren Existenz am Faden hängt, keine Absicherung, kein Fangnetz. Hat Rio Reiser recht. Ist alles Lüge?
21:54
Auf der Burgbrücke lagen zwei Hummel. Es sah aus, als fräße eine die andere. Ich stuppste sie mit der Fußspitze an, und da flogen sie wie mitineinander verbunden davon. Hab ich sie beim Begatten gestört. Wie begatten sich Hummeln eigentlich? Bei Wikipedia steht nur "begatten", aber wie - Hummelpenis, Hummelvagina? Weiß das jemand?
Antwort von Boris, FB Freund:
Hautflügler sind Insekten, verfügen also über Stempel (die exakt aufeinander passen müssen, Schlüssel und Schloss vergleichbar) und nicht über mit Säugetieren vergleichbaren Fortpflanzungsorganen.
Mo 20.07.20 14:12 / Krise Tag 128 / wechselnd bewölkt, mild
Heute vor 76 Jahre hätte die Welt aufatmen und sich neu sortieren können, aber Adolf Schicklgruber alias AH hatte mal wieder mehr Glück als Verstand und kam mit leichten Verletzungen davon. Claus Schenk Graf von Stauffenberg und mit ihm 200 in die Vorbereitungen des Anschlages verstrickte Personen wurden in der Folge hingerichtet.
19:18
Heute habe ich Sitzfläche und Rückenlehne vom Polsterer abgeholt und mich daran gemacht, den Stuhl mit dem bearbeiteten Holz wieder zusammen zu bauen. Jetzt bin ich stolz.
Mi 22.07.20 9:45 / Krise Tag 130 / sonnig
Statt mich mit meinem Roman zu plagen, habe ich gestern das herrliche Wetter genutzt und bin den Emsradwanderweg flußaufwärts gefahren.
17:34
ich taumle
wahr ist unwahr
unwahr wahr
ich zweifle
um mein wunderbar
ich bin gesund ich bin versorgt
ich lebe doch mein leben ist geborgt
ich taumle und ich träume traum
als alb im höchsten baum
Fr 24.07.20 10:05 / Krise Tag 132 / sonnig, leichte Bewölkung
Warum nicht aufhören? Warum nicht sagen, gut, Herr M., Sie hatten das zweite Staatsexamen in der Tasche, Sie hätten Englisch, Deutsch und Geschichte unterrichtet, womöglich wäre ein Eigenheim dabei herumgekommen, später ein Wohnmobil, in den Sommerferien wären Sie und ihre Familie damit herumgefahren, dann hätte man sie pensioniert, und den Rest hätten Sie neu denken müssen. Aber Sie wollten das nicht, Sie wollten Dichter werden, hatten keine Ahnung und haben 42 Jahre später immer noch keine. Aufhören, gut, aber dann?
Sa 25.07.20 13:40 / Krise Tag 133 / bewölkt, windig
Er hat, als er die Spüle einbaute, ein bisschen gepfuscht. Die Aussparung in der Arbeitsplatte war einen halben Zentimeter zu groß, so dass sich dort nach vier, fünf Wochen ein kleiner Spalt auftat, der schnell größer wurde. Ich rief ihn er, da müsse er ran, sagte ich, was ihm peinlich war, aber es blieb ja nichts. Heute kam er. Ich räumte ihm den Arbeitsplatz frei. Ich fragte, ob alles gut sei, oder ob etwas störe, und er sagte, es sei meistens der Kunde, der störe. Seitdem nähere ich mich ihn nicht mehr und warte, bis seine Arbeit getan ist.
14:00
es gibt tänzer
die liegengebliebenen beine machen
sänger
die ungehörtes erhören
dichter
die raushauen
was möglich ist
wenn es fliegt
verneigt man sich
wenn nicht
hat man pech
man hat oft pech
So 26.07.20 10:15 / Krise Tag 134 / bewölkt, es riecht nach Regen
Mo 27.07.20 12:46 / Krise Tag 135 / bewölkt
Es ist feucht. Es ist frisch. Es ist noch immer Corona. Ob in erster, oder jetzt schon in zweiter Welle, weiß ich nicht, bin aber zunehmend beunruhigt.
14:10
alle geister
haben mich verlassen
suche überall
bin verloren für die massen
übe für den fall
bin das treibholz
das auf wellen tanzt
meine ohren sind verwanzt
mache gläser voll und leer
wanke hin und her
radebreche fahl im licht
bin ich bin ich nicht
hatte würde hätte werde
alt auf leidgeprüfter erde
Di 28.07.20 10:12 / Krise Tag 136 / bewölkt, windig
Do 30.07.20 9:25 / Krise Tag 138 / klarer Himmel, es wird warm
Ich holte mein Rad aus der Garage, fuhr los und dann fiel mir ein, dass ich die Maske nicht eingesteckt hatte. Also musste ich nochmal ins Haus, denn der Spuk, der das Land jetzt schon seit 138 Tagen erschreckt, ist ja noch längst nicht vorbei.Ich fuhr westwärts, nicht die klügste Entscheidung, denn von dort blies ein kräftiger Wind, ich hatte ein Ziel, ich kannte Wege, die mich dorthin brächten, und wenn ich dort wäre, würde ich entscheiden, ob ich den Rückweg per Bahn anträte.
Die ersten zwanzig Kilometer kannte ich wie meine Westentasche, die letzten bis Coesfeld waren Neuland, vorbei an Lutum, am Haus Varlar, ein klassizistischer Aristokratensitz derer von Salsm, peinlich und groß.
Seit rote Pfeile für Rentnerhorden auf E-Bikes aufgestellt sind, ist die Navigation von A nach B kein Problem. Man folgt und kommt an. Ich erreichte die Stadt, gleich rechts war die Bürgerhalle, die tief in meiner Vergangenheit wühlte, denn vor dieser Bürgerhalle saß ich in den späten 60ern nach einem Konzert im Bandbus von Cuby & The Blizzards, eine niederländische Bluesband. Das Rockgeschäft war noch familiär, man durfte die Helden anfassen, kiffte und trank mit ihnen, denn auch die Helden hatten noch nicht recht begriffen, dass sie Teil eines Geschäftsmodells waren, das sie von ihren Fans entfernt.
Coesfeld ist keine sonderlich schöne Stadt. Aber nun hatte ich es erreicht, und fühlte mich nach gut 38 Kilometern, einem Eis und einem Capuccino noch fit für die Rückfahrt. Der Wind käme diesmal von hinten, war mir aber nicht klar, dass es den Coesfelder Berg gäbe, und dass nach dem Coesfelder Berg noch einige andere Steigungen der Baumberge vor mir lägen.
Viel Buchenwald, liebevoll restaurierte Höfe, Ausblicke bis an den Rand des Ruhrgebietes. Jemand, der Westfalen nicht kennt, würde glaube, er sei in einem Mittelgebirge, wenngleich es nie höher als 200 Meter hinauf geht. Ich folgte getrost den roten Pfeilen, die manchmal von der Richtung, in die ich glaubte, fahren zu müssen, abwichen, ich folgte trotzdem, bis ich sie, bei Nottuln wieder in vertrauter Umgebung, ignorierte.
Vom Sendemast des WDR beim Longinusturm bis nach Havixbeck ging es drei Kilometer bergab, was wundervoll war. Gegen fünf war ich zurück, hatte 72 Kilometer zurückgelegt, und fühlte mich gut.
21:15
Der Anschluss meines Tablett zickt seit geraumer Weile. Seit gestern ist er tot. Auf meinem Smartphone laufen Spotify und Whatsapp zwar auch, aber ich lese die Zeitung online, und dafür ist es zu klein. Wo gibt es einen Laden, der das reparieren könnte, lautete die Frage heute früh. Ich erinnerte mich an einen Laden auf der Kanalstraße und fuhr hin. Am Fenster stand, man könne alles reparieren, aber man war im Urlaub. Hmm.Wo könnte es noch so einen Laden geben? Auf der Wolbecker, dachte ich, die Wolbecker Straße ist bunt, und richtig, vorm Pepperoni gibt es einen Chinesen. Eine Frau wird bedient, als ich reinkomme. Der Chinese ist ein junger Mann. Vor der Theke rechts steht noch ein Chinese, ein alter Mann. Als die Frau bedient ist, gebe ich ihm Zeichen, schließlich war er vor mir da, aber er hebt die Hände, offenbar ist er ein Verwandter, ein Opa eher als ein Vater, ein Onkel vielleicht, auf jeden Fall Verwandtschaft.
Ich erkläre dem jungen Mann mein Problem. Er versucht es mit einem anderen Stecker, vergeblich. Den Anschluss neu zu löten sei viel Arbeit, sagt er, das lohne nicht, bei Lidl gäb es für unschlagbare 179 Euro ein Huawei Tablett. Danke, sage ich, fahre heim, und checke die Webseite des Lapstore, bei dem ich schon seit zwanzig Jahren gebrauchte Lenovo Notebooks kaufe. Der Lapstore, anfangs ein kleiner Laden an der Warendorfer mit einem mürrischen, Kette rauchenden Chef, den ich trotzdem mochte, ist über die Jahre groß geworden. Er zog um zur Hammer Straße. Der Laden dort war zehnmal so groß, und den Chef sah ich nie mehr. Auf der Webseite fand ich ein Lenovo Tablett für 89 Euro. Das kaufe ich, dachte ich, fuhr hin, um festzustellen, dass man zum Bült umgezogen sei. Dort war ich schon mal, hatte aber vermutet, die Innenstadtpräsenz sei nur eine weitere Vergrößerung des Geschäfts. Also nicht, also zum Bült, wo mir ein äußerst netter junger Mann mit volltätowierten kräftigen Armen sagte, man verlange eine Anzahlung von 79 Euro, falls ich wolle, dass man das Gerät repariere. Auf meine Frage, wie es mit den Apps sei, das Lenovo Tablett arbeite doch mit Windows 10, das Tablett aber mit Android, sagte er, Apps in dem Sinne gäbe es für Windows nicht, ich könne zwar mit Whatsapp arbeiten, aber das sei komplizierter. Ich sagte, ich benötigte es im Grunde nur zum Zeitunglesen, worauf er meinte, ich sei ein entspannter User, das wäre es doch das Einfachste, sich bei Saturn ein günstiges Tablett zu kaufen. Also machte ich mich auf den Weg. Ich musste über den Fischmarkt, vor Oxfam stand nicht ein einziger Kunde, was seit Corona geradezu sensationell war, also trat ich ein, sah einen Sommeranzug aus Wolle und Caschmir, feinstes Pepita in braun und beige, ließ Tablett Tablett sein, kaufte den Anzug und fuhr heim. Dort checkte das Internet noch einmal auf Tablett Reparierer und stieß auf einen Laden an der Hafenstraße, der zum Festpreis Anschlüsse erneuert. Jetzt weiß ich, was ich morgen früh tue.