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mensing literatur 

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Di 1.07.25 23:12 29 Grad

Gestern hieß es plötzlich, die Schränke müssten heute abgeholt werden. Also hatte ich ein Stadtteilauto gemietet, und mich gefreut, an einem der bisher heißesten Tage (heute nachmittag 37,5) zur Werkstatt meines Freundes zu fahren, dort vier 205 cm hohe Schränke, zwei davon siebzig, zwei etwa fünfzig breit, aus seiner alten Werkstatt in den gemieteten Toyota zu laden. Als ich ihn im Parkhaus Bremer Platz abholte, fand ich zunächst den Schlüssel nicht. Dann fand ich ihn, stellte aber bei der Ausfahrt fest, dass mein Handy verschwunden war. Ich parkte in der kleinen Straße zwischen Mosche, Islamischen Kulturverein, Dönern und Parkhaus, rannte zurück, vorbei an den Junkies und Crackrauchern, die das Elend der Welt mit ihrer Inszenierung noch elender machten, ich dachte, vielleicht liegt es im 1 Parkdeck am Boden, hoffentlich ist keiner drüber gefahren, aber da lag es nicht. Ich dachte, Arsch lecken, erst mal die Schränke abholen. Ich stieg wieder ins Auto, und da lag es, ich hätte es wissen müssen, es lag da, wie alles, was man verliert, lag es, stumm geschaltet, es hatte sich nicht melden könne. Dieser Toyota Sprinter war hochmodern und tiefgekühlt, so dass ich, aus der Hitze kommend und schwitzend, mein Jackett anziehen musste. Er hat eine hervorragende Rückfahrkamera, die mir mit roten und der blauen Linien das Rückwärtsfahren, das nicht zu meinen Stärken gehört, enorm erleichtert hat. Unterwegs hat das Auto genervt, denn bei jeder noch so geringen Geschwindigkeitsüberschreitung gab es sofort drei gluckernde Töne von sich. Ich wette, es wäre keine Problem, meine Fahrdaten auszudrucken und mir nach Rückgabe des Autos entsprechende Strafmandate zuzusenden. In China würde ich wahrscheinlich Sozialpunkte einbüßen, und dürfte fünf Jahre nicht mehr ins Hallenbad. Das ist die schöne Welt, davon aber mal abgesehen, ist alles gut gelaufen, die Schränke passten, trotz Mittagshitze ist niemand kollabiert, jetzt stehen die Schränke in der Garage und warten, dass das Jahr vergeht, bis wir umziehen, dann kommen sie mit.


Mi 2.07.25 11:21 33 Grad

Das Paar hat ein Kind. Beide sind kaum dreißig. Sie haben viel Geld ausgegeben für die Einrichtung, für eine Küche, die wir nicht übernehmen, und dann haben sie festgestellt, dass sie sich nicht verstehen. Zum 1. August ziehen sie aus. Am 1. Dezember ziehen wir ein. Die Wohnung hat 20 Quadratmeter weniger Grundfläche und war ursprünglich die Wohnung der Besitzerfamilie. Wir hatten deshalb auf eine höherwertige Ausstattung spekuliert, und tatsächlich ist es so. Die Laminatfußböden sind von gehobener Qualität, der Zustand der Wohnung ist mehr als in Ordnung, der Keller hat 20 Quadratmeter, liegt unter unserer Wohnung, so dass Schlagzeugspielen möglich ist. Die Küche ist sehr klein. Die Verwalterfirma hat uns angeboten, sie in den Nebenraum zu verlegen, der größer ist und Möglichkeit für Tisch und Stühle böte. Wir haben das noch nicht entschieden, werden uns aber mit dem Schreiner, der unsere Küche gebaut hat, beraten. Wir werden abspecken müssen. Wie genau, werden wir sehen. Unser Nachbar wird die Wohnung Anfang August vermessen, die Daten in ein Programm übertragen, das ein virtuelles 3-D Abbild generieren kann, das es uns ermöglicht, einen detaillierten Einrichtungsplan zu erstellen. Er gibt es einen ordentlichen Waschmaschinenkeller, einen Fahrradkeller, wir haben eine Garage und vom Wohnzimmer direkten Zugang zu unserem Balkon, der darunter liegenden Terasse und einem schätzungsweise 30 Quadratmeter kleinen Garten, den wir gestalten können. Wenn jetzt jemand mit einem Zauberstab käme, wären wir Pling!!! schon dort und könnten das neue Leben beginnen. Wir freuen uns. Wir haben Glück gehabt. Die Nachbarschaft, haben wir erfahren, sei ein guter Mix zwischen jung und alt. Aloha. Wir kommen. Nächste Woche verhandeln wir die Einzelheiten. Das alles ist schmerzhaft, aber wir kriegen das hin.


14:57

die tageshitze
schrumpft klöten und gehirn
ich werde petrus meine meinung flöten
er programmiert die wetter app
im feinen zwirn
ihr habt's euch doch selbst eingebrockt
sagt er und lächelt mild
ich schenk mir einen ayran ein
während die sonne grillt
zu abend wird laut wetter app
und petrus kühler
es soll regnen
ich werde mich nichr mehr bewegen
ich bin noch jung
das grüne kleid ist auf dem sprung
ich bin schon alt
es knallt



Do 3.07.25 13:20 wechselnd bewölkt 22 Grad

Als gegen fünf Wolken heranzogen und erste Blitze zuckten, verwandelte sich die trockene Hitze in kaum tragbare Schwüle. aber es ging nicht richtig los. Das Gewitter zog wenig spektakulär von den Baumbergen Richtung Altenberge, der Wind hatte aufgefrischt, der Regen war mäßig. Zu Abend regnete es noch immer, mittlerweile war es ein schöner Landregen. Ich setzte mich aufs Rad und umkreiste das Dorf. Alle Gerste bis auf ein Feld war geschnitten, aber das Stroh lag noch auf den Feldern. Die Bösenseller Straße, von Linden gesäumt, roch betörend. Ich konnte gar nicht aufhören zu fahren, kam bis kurz vor Timbuktu, und drehte um. .


16:00

Geschäft ist Geschäft, denkt man, die Konditionen für unseren Wohnungswechsel sind gut, dennoch bleibt, dass wir nicht freiwillig gehen. Die neuen Eigentümer hätten uns lieber heute als morgen raus. Montag sollen die entscheidenden Gespräche stattfinden, wer zahlt was wie wann an wen. Wir diskutieren gerade über die Küche, und haben uns mit dem Schreiner abgesprochen, der glaubt, dass er den Umbau hinkriegen wird. Dazu muss er aber erst einmal die Küche ausmessen, und das geht erst ab 1. August, wenn die alten Mieter ausgezogen sind. Deshalb habe ich heute angeregt, das Gespräch auf den August zu verschieben. Gerade kam ein Anruf. Es wären neue Interessenten aufgetaucht, daher wolle man den Vertrag doch schon jetzt abschließen, über die Modalitäten sprächen wir am Montag. Ich halte das für eine Finte. Sie versuchen, Druck aufzubauen, um sich um eine Abfindung zu drücken. Aber so einfach geht das nicht. Wir sind diejenigen, die Forderungen stellen können, denn wir sollen aus unserer alten Wohnung in eine, zugegeben schöne, wenngleich 20m2 kleinere Wohnung mit Terrasse und eigenem Garten ziehen. Dass die neuen Eigentümer sämtliche Umzugs- und Renovierungskosten zahlen, ist nur rechtens. Unabhängig davon werden wir auf eine Abfindung bestehen. Interessante Zeiten. Mir macht dieser Deal Spaß.


21:56

darmerkrankungen sind nicht schön
herz ist auch nicht schön
prostata ist höllisch unschön
ms ist nicht schön
demenz weiß man nicht
könnte schön sein
ansonsten ist gar nichts schön
bis auf die schöne welt
und die schönen menschen
die es gut meinen und scheitern


Fr 4.07.25 8:35 sonnig 17 Grad

Der polnische Schrotthändler winkte ab. Wenn ich sie brächte, okay, aber geben würde er mir nichts, sie käme gleich in den Container. Das war mir zu schade. Mein Nachbar sagte, verkauf sie bei ebay. Also habe ich inseriert: aprilia scarabeo gegen eine Flasche Whisky abzugeben. Wenig später die Nachricht, meine Anzeige sei gelöscht, sie verstoße gegen die Richtlinien von ebay. Also setzte ich eine neue auf: aprilia scarabeo, Bastlerfahrzeug, gegen kleine Gefälligkeit abzuholen. Was denn eine Gefälligkeit sei, fragten viele. Die Anfragen kamen im Minutentakt. Wann soll kommen abholen? Hallo, wann haben Sie Zeit zu abholen? Was möchten Sie denn dafür haben? Wenn es kostenlos ist, kann ich es morgen abholen? Hallöchen, ich habe Interesse daran. Ich interessierte Roller. Kann jetzt kommen? Haben Sie noch? Hi ich würde ihnen eine Kiste Bier mitbringen eine Kiste Cola, 2 Kisten Wasser und ein Stück Kuchen vom Bäcker. Bayreuther Helles, keine Cola, lieber Tonic, Wasser mit Kohlensäure, Kuchen immer gern, schrieb ich. Das wäre der Deal, hätte sich nicht noch ein Landwirt gemeldet, der die Aprilia als Ersatzteillager für seinen Roller wollte. Was kann ich ihnen Gutes für den Roller geben, lieber Bargeld, Kaltgetränke, neue Kartoffeln aus eigenem Anbau? 50 Euro, Fleisch vom Rind oder Schwein. 5 Kilo frische Kartoffeln, schrieb ich. Rind habe er nicht, wohl aber Schwein, und mit den 50 Euro sei er auch einverstanden. Würde es ihnen passen, wenn ich ihn Sonntag abhole? Ja, sagte ich. Sonntag. Jetzt überlege ich, was ich sonst noch bei ebay verkaufen könnte, schließlich muss ich umziehen.


10:56

Gestern bin ich eine halbe Stunde geschwommen. Ich schätze, 700, 800 Meter. Ich schwamm Brust. Das Freibad in Havixbeck ist grundrenoviert und sehr sehr schön. Anschließend habe ich zwei Kopfsprünge vom Einer gemacht und war erschrocken über die Wucht des Aufpralls, der sich anfühlte wie eine Ohrfeige. Mein Plan war, auch vom Dreier zu springen, was ich seit Jahrzehnten nicht mehr getan habe, aber der war gesperrt. Als ich nachher am Beckenrand auf einer Bank in der Sonne saß, fiel mir ein, dass ich in den 70ern auf Lipari nach langem Zögern einmal von einem ins Meer ragenden, etwa 15 Meter hohen Förderband gesprungen bin, allerdings mit den Beinen voran. So etwas würde ich heute nicht mehr tun. Dann fielen mir die Klippenspringer aus Acapulco ein. Mutige junge Männer, die sich aus bestimmt fünfzig Metern Höhe in die Tiefe stürzten.

19:07

ich bin kein mutiger junger mann
ich bin ein mutiger alter mann
ich halte mich über wasser
ich halte fest
was zu halten ist
ich träume die welt
aber die welt träumt nicht mit
ich bin glück und unglück
was mach ich bloß
ich bin ein mutiger alter mann
der nichts weiß
das ist alles
zum fürchten genug


Sa 5.07.25 14:27 bewölkt, leichte Schwüle, etwas windig

geraten sie nicht in panik
sie haben es weit gebracht
als mann aus ottenstein
ein millionen schweres haus in berlin
war wohl viel drin für sie
mit den covid masken
sie haben beste anwälte
die ihren arsch retten
der ihnen ja wichtig ist
oder herr spahn



So 6.07.25 23:35 bewölkt, feucht zum Abend

einsam ist jeder für sich,
allein kann man zu zweit sein.


Mo 7.07.25 16:06 wechselnd bewölkt, Schauer

Erkenntnis des Tages, ein alter Hut: das Kapital sitzt immer am längeren Hebel. Immerhin haben wir jetzt einen Deal, mit dem wir leben können. Wenn der Umzug hinter uns liegt und wir aufatmen könen, gehen wir den Rest der Strecke an, so lange, bis wir dahin verschwinden, wo alles schon immer war, sich so und so materialisiert hat, eine Weile sichtbar war, eh es wieder verschwand. Die erste Party in der neuen Wohnung ist angedacht, wir haben die Nerven bewahrt. Ich jedoch träume weiter von Revolution, weiß aber nicht, welcher.


22:06

Jetzt ist jeder Tag Abschied. 148 Tage lang. Angefangen hat er vor 14996 Tagen. Damals wie heute war Montag. Alles war verpackt. Morgen kämen Freunde, um uns zu helfen. Einer meiner Backenzähne war entzündet. Ich fuhr spätabends zur Zahnklinik und fiel von der Spritze, die mir der Arzt in den vereiterten Kiefer stach, in Ohnmacht. Als ich zu mir kam, sagte er, ich hätte ja wohl auch getrunken, wie? und grinste. Ich hatte ein Bier getrunken, und hätte ihm am liebsten in die Fresse gehauen, aber ich hau ja keinen. Heute, Montag, erster Tag vom Abschied, wollte ich nach dem Gespräch mit den Immobilienmenschen in Havixbeck eine halbe Stunde schwimmen. Unterwegs begann es heftig zu regnen. Ich wurde pitschnass und dachte, vielleicht schwimme ich eine Stunde. Aber das Freibad hatte geschlossen. Neue Regelung wegen der anstehenden Sommerferien. Schade. Ich hätte das Bad für mich allein gehabt.

Anfang 1984 hatten wir Ähnliches durchgemacht, wie heute. Wir hatten wochenlang von nichts als der neuen Wohnung geredet. Wir hatten Pläne gemacht. Verworfen. Wir hatten ein Mietlimit. Wir mussten mit dem Pfennig rechnen. Auch damals war der Kapitalismus gemein. Eine widerwärtige Krankheit. 40 Jahre, 11 Monate und 10 Tage später stellt sich Erleichterung ein, wie damals. Wir landen. Diesmal in neuer Besetzung. Hinter uns lauter Tote. Wir sehen weiter. Wir müssen sehen, dass wir weiter sehen. 40 Jahre, 11 Monate und 8 Tage vorher
fuhr ich nach Hamburg, um den Vertrag für meinen ersten Roman zu unterzeichnen. Morgen fahre ich mit der Frau in die Stadt. Ich habe mich in einen Ledermantel verguckt, der vielleicht nur aus Plastik ist, aber Vintage. Sie soll sagen, wie sie ihn findet. Hoffentlich ist er noch da. Noch eines, noch eine Kleinigkeit, die mir sehr gefällt. Man hat uns zugesichert, dass wir alles, was wir entsorgen wollen, nicht auf den Sperrmüll schleppen müssen, sondern einfach zurücklassen. In allen von uns gemieteten Räumen. Nach unserem Auszug wird hier eh alles in Trümmer gehen, dann stehen Container vor der Tür, da kommt der ganze Dreck rein.



Mi 9.07.25 11:06 bewölkt

Jeder, der den Lederhut sieht und mit seinem Träger abgleicht, klein, kompakt, haselnussfarbene Haut, ahnt, woher diese abgegriffene, speckige Kopfbedeckung stammt, ja, stammen muss, denn nirgendwo sonst gibt es solche oder ähnliche Hüte. Nur Menschen mit einem sehr speziellen Temperament, das man latent gefährlich nennt, können solche Hüte tragen, aber weder der Mann noch sein Hut können etwas für unsere Vorurteile. Er kreuzt die Straße und verschwindet im Salon eines arabischen Friseurs. Als er nach einer Viertelstunde wieder herauskommt, streicht er sich über den Kopf, schiebt sich den Hut wieder auf und verschwindet mit der Buslinie 8 Richtung Kinderhaus. Währenddessen sind Schulkinder aufgetaucht. Noch ein paar Tage bis zu den Sommerferien, da fällt den Pädagogen auch nichts mehr ein, sie fluten mit ihren Schülern die Stadt, begründen dies mit Exploration des städtischen Raumes und reihen sich vor der Eismanufaktur auf. Die Lehrerin ist hochschwanger. Nach den Sommerferien geht sie in den Schwangerschaftsurlaub und von den dreißg Grundschulkindern werden so viele wie eben möglich auf eine weitergehnde Schule wechseln. Die Glocken läuten. In Lamberti ist Totenmesse für einen stadtbekannten Galeristen. Eine Mutter mit drei Söhnen sagt, sie habe die Nase jetzt voll und wolle einfach mal fünf Minuten Ruhe. Sie rührt mit einem Holzstäbchen in ihrem Kaffeebecher, und wenn sie spricht, wirft sich ihre Stirn in Falten. Der tote Galerist hört das Bimmeln der Totenglocke und ist froh, dass er sich um nichts mehr kümmern muss, während die Besserverdiener die Kirche verlassen, an deren Türmen die Widertäuferkäfige darauf warfen, dass man den Präsidenten des hochmütigsten Landes dieser Erde dort oben verrecken lässt. So, Leute, nun kommt mal wieder raus da, ruft die Lehrerin. Ein Radfahrer stemmt sich gegen den Wind, während er das Rad zum Theater treibt, in dem er arbeitet. Er hat schon ein Großteil seiner Haare verloren, denn dort herrscht Zwietracht und Eifersucht. Wie groß ist das Eis, Digga! ruft jemand. Bärtige und Tätowierte überall, mein Großvater mütterlichseits, den es vor Verdun erwischt hat, würde sich wohl fühlen. Alda, du hast Laufallergie! ruft jemand.


Fr 11.07.25 wechselnd bewölkt, leicht schwül

Eismanufaktur hieße ein noch nicht geschriebener Roma. Als erste Protagonistin taucht eine Zwanzigjährige auf. Sie trägt ein schwarzes Lederminikled. Ihr Haar ist dunkelrot, feurig, hochgesteckt und in alle Richtungen weisend, über der Stirn ein Pony. Ihr Gesicht ist rund und wirkt fröhlich, unbekümmert, frech. Sie hat eine breite Nase und einen knallroten Mund. Ihre Strümpfe sind aneinandergereihte Löcher verschiedener Größe, dazu schwarze Lederschuhe mit Nieten und derben Sohlen. Ihre Freundin ist dunkelblond, trägt ein blaues gemustertes Baumwollkleid über breiten Hüfen, das bis zu ihren kräftigen Waden fließt. Was mit den beiden geschieht, wäre herauszufinden. Da dies aber der Alltag ist, also viel bunter als die meisten Romane, überlasse ich es dem Leser, die Geschichte weiter zu denken. Ich bin heute vom Glück überwältig. Auf dem Weg in die Stadt habe ich an sieben Orten Bücher ausgewildert, bei einem Freund Apothekengras geraucht und bin dann zu Foto Erhard gefahren, um meine digitalisierten Dias, fast 1700, abzuholen. Gleich beim ersten Anschauen war ich hingerissen von ihnen und den Erinnerungen, die sie hervorriefen. Es stimmt, was man sagt, Bilder sagen mehr als tausend Worte.


19:09

noch ein wort
und er schlägt sie
da liegt sie
sie hat es verdient
sie wird ihn anzeigen
er hat keine chance
es gibt keine verständigung
zwischen geschlechtern
doch eventuell liebe


Sa 12.07.25 19:03 ganz angenehm

Unsichtbarer Mann in Flip Flops. Paradoxe Intervention am Michaelisplatz. 11:40 bisher vier Lächelnde. 2 Euro Einnahmen. 11:43 Jemand lacht laut. 12:00 eine gebrechliche Dame wirft 4 Cent ein. Der Schlag soll sie treffen. 12:14 zwei alte Damen lachen laut. 12:15 ein Sechzigjähriger lacht. Zwei Frauen Anfang Vierzig recken den Daumen und rufen: Sehr coole Idee. Das ist Kunst, rufe ich. Sie nicken. Ansonsten Zurückhaltung, Skepsis, Langeweile. Viele Zombies. 12:30 Nebenan hat ein schwedisches Blasorchester zu spielen begonnen. 12:32 Vermehrtes Lächeln, aber kaum Spendenbereitschaft. 12:50 Der Literaturpapst war da und fand es gut. 12:52 Spende. 13:30 wieder ein Lächeln. Das Ordnungsamt fährt langsam vorbei, schaut, fährt weiter. 13:45 oft nur der Anflug eines Lächelns, kaum sichtbare Entspannung um Mundwinkel. Gregor taucht auf. Gespräch mit zwei Schweizerinnen. Der ist ja tatsächlich unsichtbar, sagt eine. Ja, ja, sage ich. Und wenn ich nachher wegginge, wäre er dann immer noch unsichtbar? Ich nicke. Wie ich ihn denn unsichtbar gemacht hätte? Monatelange Versuche, sage ich. Manche murmeln des Text meines Plakates im Vorübergehen. Unsichtbarer Mann .... sagen sie, und wenn sie es begriffen haben, drehen sie nach ein paar Metern kurz um und lachen. Werde in einer Viertelstunde Feierabend machen. 14:00 Ende der sozialen Skulptur: Unsichtbarer Mann mit Flip Flops. Einnahmen 10.82


So 13.07.25 13:46 mild 24 Grad

Nach einer halben Stunde zügigen Schwimmens im Freibad Havixbeck beschloss ich, die Stunde voll machen. Kurz vor der vollen Stunde schwamm ich Delphin, brach aber nach ein paar Zügen ab, weil meine Beinmuskulatur heftig zu schmerzen begann. Ich legte mich auf den Rücken, ließ mich eine Weile mit leichten Fußbewegungen treiben, und es wurde sofort besser. Als ich aus dem Wasser stieg und die Schwerkraft zurückkehrte, fühlte ich mich wie ein Sack Kartoffeln. Ich legte mich eine Viertelstunde in die Sonne.


Mo 14.07.25 21:45 schwül war's

Ich verabschiede mich, weil hier keine Zukunft mehr ist. Die Zukunft beginnt am 1. Dezember. Bis dahin muss ich 40 Jahre entsorgen. Heute habe ich DVDs verkauft und den unverkäuflichen Rest in einen Mülleimer am Marienplatz geworfen. Morgen sortiere ich das Eckregal in meinem Zimmer. Ich will es leer haben. Traurige Tage wechseln mit fröhlichen. Heute kann ich mir ein fröhliches Morgen nicht vorstellen. Es wird so sein, trotzdem bleibt heute ein trauriger Tag.


Di 15.07.25 17:05 Sonne, Regen, kurze Gewitter

er strauchelt fällt
ein leben lang
und immer ist er aufgestanden
bis diese krankheit kam
und noch eine und eine obendrauf
die seine achse destabilisiert
ein silly walker
ein bizarres wagnis
und seine rede schwer verständlich
fünfzehn tabletten übern tag
alle vier stunden
sonst geht nichts
dennoch
kein wort der klage
anderen gehe es viel schlechter
macht seine arbeit jeden tag
ein manifest des schönen
das ich liebe und bewundere
wie ihn


Fr 18.07.25 18:39 schwül warm

Nun ist schon wieder etwas passiert. Wir ziehen schon zum 1. September um. Der Suspense bis zum 1.Dezember wäre zuviel gewesen. Sechs Wochen noch, dann haben wir es hinter uns.


Sa 19.07.25 17:19 30 Grad

Auf Abruf in der Dorffeldstraße. Die ersten Kartons warten im Keller. Dann und wann wird mir alles zuviel, das schaffe ich nie, denke ich, das wächst mir über den Kopf, wohin bloß mit all dem Vinyl, den CDs und den Büchern, wäre es nicht vernünftig, jetzt alles abzustoßen, damit ich an neuem Ort in Ruhe abwarten kann, dass der schwarze Vogel mich holt, dann hätten meine Nachfahren nicht das Problem, alles entsorgen zu müssen. Suche nach Lösungen.

22:14

Am frühen Abend zum Kanal am Venner Moor. Ruhiges Wasser, weiter Blick, herrliches Schwimmen und zum Schluß eine wunderschöne Ringelnatter im Wasser gesehen.


So 20.07.25 12:55 sonnig

Wundervoller Nachtregen. Nach dem Aufstehen gleich in den Garten, barfuß durchs nasse Gras steige auf die Leiter mit der Chance, umzukippen, von den Brombeerranken zerrissen zu werden, oder beides. Aber es geht gut. Ich habe eine stabile Achse und das Schicksal will nicht, dass ich zu Tode stürze. Jedenfalls heute nicht. Ich fülle die Früchte in eine Schale. Die Überreifen riechen leicht vergoren. Die Guten essen wir zum Frühstück mit ein wenig Zucker und flüssiger Sahne. Dann fahre ich ins Freibad. Ein wenig mehr Betrieb als die letzten Male. Viele Frauen mittleren Alters, die hocherhobenen Hauptes herumpaddeln und sich Geschichten erzählen. Wenn sie sich zu Dritt auf meiner Bahn austauschen, nervt das ein bisschen. Ich schwimme eine halbe Stunde, lege mich eine Viertelstunde auf die Liege und fahre heim. Pflücke der Liebsten unterwegs einen Strauß Wegwarte. Sie ist im Keller, als ich komme. Ich stelle die Blumen in eine Vase, und die Vase in ihr Zimmer. Sie kommt in die Wohnung. Sie geht in ihr Zimmer. Ich sage, schon gesehen? Was? sagt sie. Da! sage ich, denn ich bringe sie ihr ja mit, weil sie immer so entzückt ist, wenn ich ihr Wegblumensträuße mitbringe, was mich glücklich macht. Jetzt ist sie glücklich. Ich dusche und mache Kaffee.


Mo 21.07.25 8:16 bewölkt

Nachtregen, wieder gleich in den Garten, barfuß durchs nasse Gras, Brombeeren pflücken im Bademantel. Tauben gurren. Der Hund vom Nachbarn bellt nicht mehr. Entweder ist er gestorben, oder die Nachbarn sind fortgezogen, wie ich fortziehen werde nach 40 Jahren, und mich rette mit Worten. Nach dem Wetterwechsel habe ich schlecht geschlafen. Aufgaben warten. Also Kaffee. Kaffee auf den Abschied, auf das Leben in Kartons. Manchmal springt mich Panik an. Vieles ist durchdacht, Termine stehen fest, noch diese Woche treffe ich den Verleger, um auf den Vertrag anzustoßen. Morgen trete ich mein - wie sagt man - Ehrenamt bei Oxfam an, wo ich einmal die Woche arbeiten werde, wenn alles vorbei ist und das neue Leben beginnt. Du hast deine Frau verloren, dagegen ist ein Umzug ein Fliegenschiss, sage ich. Die Liebste schläft noch. Die Kinder leben ihr eigenes Leben. Noch 5 Montage, dann fährt der Umzugswagen vor. Gestern war Tango im Schloßpark. Eine Gruppe junger, italienischer Touristen schaute fasziniert zu. Ich ging zu einer von ihnen und forderte sie auf. Sie könne doch gar nicht Tango tanzen, sagte sie, während ihre Freunde, junge Männer und Frauen, lachten und johlten, sie solle doch, los. Sie zierte sich. Ich sagte, wir müssen nur gehen, wirst schon sehen. Okay, sagte sie. Sie hieß Julia. Das Gehen gelang ihr mühelos. Sie wusste, wo die Eins ist. Tanzt du? fragte ich. Hip Hip und Ballett, sagte sie. Ihre Freunde filmten. Als die Tanda zuende war, applaudierten sie ihr. Gegen sieben kam der Regen. Da war ich längst zuhause. 92 Quadratmeter sind zuhause. Dieser Ort ist zuhause. Dieses Leben ist zuhause. Jedenfalls glaubt man das, aber zuhause bin ich nur bei mir. Zum Glück steht eine Frau neben mir. Durchdrehen werde ich nicht. Aber ich wäre lieber heute als morgen schon fort, um neu zu beginnen. So ist das. Man beginnt jeden Tag neu.


Di 22.07.25 8:49 grau und frisch

Keine Brombeeren heute. Stattdessen Honigmelone. Die Liebste hatte gesagt, du musst dran riechen, oben, wo sie an ihrer Planze festsaß, erst ein bisschen drauf drücken und dann riechen. Das hab ich getan, gestern im Aldi Nord, sie roch gut. Gerade habe ich sie aufgeschnitten. Meine Nase hat mich nicht betrogen. Honigmelone also, Kaffee, ich sitze in eine Decke eingemummelt auf dem Sofa und denke an Umzug und Abschied und Abschied und Umzug. Gestern habe ich begonnen, mein Büro reisefertig zu machen. Habe Manuskripte in den Papiermüll geworfen, anderes in den Restmüll, weg, alles was weg kann, weg, jetzt ist Zeit der radikalen Verschlankung. Vier großen Taschen voller Bücher habe in das Antiquariat in Tilbeck gefahren, ein Glück, dass ich meine Aprilia habe, der Roller ist ein zuverlässiger Esel. Ich habe Unterlagen zusammengelegt, Rente, Steuer, Künstlersozialkasse, die ständig Bescheide verschicken, gestern zB. großartige Steuererhöhung von, ich weiß nicht, irgend so ein lächerlicher Betrag. Fahre im Kreisverkehr, und muss aufpassen, nicht aus der Kurve zu fliegen, aber ich schlafe noch gut. 17 Grad. Erst gestern habe ich wieder gelesen, das jedes Hirn seine Welt halluziniert, dass es keine objektiv wahrnehmbare Welt gibt, aber der Clou ist, dass ich diese subjektive Sicht steuern kann. Die Welt ist schön, sage ich. Autosuggestion. Schon immer habe ich das gesagt, obwohl sie immer schrecklich war, aber bis jetzt hat mir das geholfen. Es schützt nicht gegen das Schicksal, das Schicksal ist gnadenlos, aber meine Sicht auf die Dinge trägt mich. Dass ich nicht dumm bin, erschwert die Sache ein wenig. Also Welt, behandle mich weiterhin so, wie du es bisher getan hast. Imagine... Ich bin ein Träumer. Zum Glück bin ich Dichter geworden. Das ist mein Leben. Ein anderes kann ich mir nicht vorstellen.

9:19

ich schenke
der nachbarin schöne teller
sie gehören zu einem tee-service
dass ich ihr letzte woche brachte
schenk ihr bloß kein geschirr mehr
hatte ihr mann mir gesteckt
die macht mich verrückt
überall steht was

aber was will ich machen
die teller gehörten dazu
und dann stehen wir da
stehen in ihrem flur
und sie sagt
ich kann mir das gar nicht vorstellen
dass du bald nicht mehr da bist
du bist doch immer da gewesen
und ich nicke und sage
hör auf
sonst muss ich heulen
und sie sagt ich auch
und ihr mann sagt
wann immer du hilfe brauchst
ja ja sage ich
und so ist das
es ist wie es ist
und es kommt wie es kommt
umbrüche sind reich an platitüden


Mi 23.07.25 00:34

wieder nacht
wieder schlafen
wieder morgen
wieder aufwachen
wieder kaffee
wieder schon wieder
mittag
wieder schon wieder
ach
und was
wenn nicht

12:48 bewölkt

er wird noch zwei
kleine klappkisten kaufen
für technik für kabel für mikrofon
für das leben danach
danach ist sein zimmer reisefertig
dabb kämen kräftige männer
er könnte zuschauen
es ist alles bezahlt
er muss nichts heben schleppen wuchten
er muss nur die nerven bewahren
aber das tut er
er findet sich souverän
es macht ihm sogar spaß
nur die entscheidungsschwäche
der liebsten irritiert dann und wann
dann bringt er ihr blumen
dann nimmt er sie in den arm
er geht mit ihr ins kino
sie tut sich schwer mit weinen
er ist am wasser gebaut
das tut gut


17:51

plädoyer für autodidakten

der studierte
der klassisch studierte
der in hörsälen saß
schlief mitschrieb
und wieder schlief
der in der mensa saß
wo man vegan isst
oder nicht vergan
derdiedas studierte
seinenihren master machte
hat den kopf vollet
theorien und gedanken anderer
die er nie wieder los wird
fragen sie musiker
die um den eigenen ton kämpfen
dichter um ihr eigenes wort


der autodidakt
hät sich fern von so etwas
es muss selbst denken
jeden augenblick selbst
sonst kapern fremde gedanken
sein leben und das will er nicht
deshalb ist er autodidakt
autodidakten halten sich plänen fern
das macht sie flexibel
autodidakten werden nichr ernst genommen
aber das macht nichts
sie wissen es besser

pläne führen zur ordnung
ordnung führt zu faschischmus
hoch lebe das chaos
das fehlen des plans


Do 24.07.2511:43

demnächst sind es statt 7,5
nur noch 6,3 km zum dom
und der bus ist auch schneller
aber heute vergesse ich den umzug
heute radle ich
gestern war ich schwimmen


Fr 25.07.25 9:13 grau 18 Grad

Ich spüle, das Flattern hört auf. Ich muss mich beschäftigen. Ich spüre, dass die Flügel sich spreizen. Ihre Spitzen zittern. Noch 38 Tage bis Liftoff. Die Liebste ist noch im Bett. Sie hatte gestern Kopfschmerzen vom Arbeiten mit Nadel und Faden. Ihre Ausstellung ist im Oktober. Wir flattern. Ich habe im Stift Tilbeck zwei kleine Gurken gekauft. Tilbeck führt eine inklusive Gärtnerei mit den Patienten. Sie arbeiten mit Sorgfalt. Ich decke den Tisch. Frischkäse dazu. Ich gehe in den Keller und hänge Mützen und Schals, die ich gestern gewaschen habe, auf den Ständer. Ich pflücke Brombeeren. Reiche Ernte, ich musste nicht mal auf die Leiter. Die Liebste kommt. Wir trinken Kaffee. Die BRD will kritischer mit Israel sprechen. Das wurde auch Zeit. Hoffentlich knicken sie nicht wieder ein, weil wir die Bösen waren. Ich bezahle die Kleidersäcke, die ich gestern bestellt habe. Ich vermeide Paypal. Ich will das nicht mehr. Heute um drei kommt jemand von der Spedition, um sich die Wohnung anzuschauen und einen Kostenvoranschlag zu machen. Ich bin im Orbit und sehne mich nach dem Touchdown. Ich sehne mich sehr. Ich schlafe gut. Die Unruhe habe ich von meiner Mutter geerbt. Sie hat den Krieg allein überstanden, mein Vater war in Afrika und bis 48 in Gefangenschaft. 1943 starb meine Schwester Ingrid. Sie war drei, sie hatte Scharlach, behandelbar, aber es gab keine Medikamente. Meine Mutter durfte sie nur durch ein Fenster sehen. Ich weine. Das Leben ist grauenhaft. Es ist Krieg, immer wieder ist Krieg, diese räudige Hündin, die niemand will, bis auf die, die sich ihre Taschen damit füllen. Die müssen weg. Ich weiß nicht, wie, aber die müssen weg. Weg müssen die. Totgeschossen werden, aber damit geht es schon wieder von vorn los, man schießt niemanden tot. Man muss sich lieben. Man muss den, mit dem man lebt, jeden Tag umarmen, dann geht es. Dann hält man durch. Die Spitzen zittern nicht mehr. Gleich werde ich meine Tagebücher einpacken. Von 1970 bis 1999, danach wurde meine Welt digital. Der Alltag im Web. Ich habe zwei Söhne. Beide arbeiten hart, beide müssen kämpfen. Beide machen es gut. Auf beide bin ich stolz. Bin ich stolz auf mich? Ja. Immer häufiger. Mache ich es gut? Ja. Ich wünsche einen schönen Freitag.


Sa 26.05.25 16:40 bewölkt 26 Grad

Kunstbände, vor Jahren oder Jahrzehnten gekauft, die Goethe Gesamtausgabe, aussortierte Literatur, alles kommt in die großen Satteltaschen, die ich auf meinen Esel packe, der mit mir nach Tilbeck trabt. Währenddessen verpacken die Liebste und ihre Freundin Geschirr und Gläser. Schon stehen zehn, elf, zwölf, dreizehn Kartons im Flur. Anfang nächster Woche werden die Keller geräumt. Die Tagebücher verpackt. Die Fotoalben. Das Bücherregal wird geräumt. Mit jedem neuen Karton wird mir leichter. Wie wir unsere Kunst transportieren, steht noch aus, ich schätze, wir machen das mit dem Nachbar, der hat einen Hänger. Der Mann von der Spedition war da, hat sich umgeschaut und alles aufgeschrieben. Er war mir sympathisch. Einer, der sagt, kein Problem. Das ist das, was ich will. Den Neuanfang so entspannt wie möglich erledigen. Trotzdem kostet es Kraft. Wir haben die ganze letzte Woche gepackt und geplant. Gestern Abend habe ich mit einem Freund auf dessen Balkon gesessen. Wir haben geredet, wir haben getrunken, heute bin ich so erschöpft, dass ich nicht einmal mehr Tango tanzen will.

23:41

gänzlich
es wrack
vorsätzlich
glücklich
tausendfach
gescheitert
jahaaaaa
neiheiiiiiiin


So 27.07.25 23:14

Gestern gegen sieben kurz einen Kaffee gekippt und zurück ins Bett bis knapp neun, Brombeerpfannkuchen gefrühstückt, mit der Aprilia in die Flamenstraße gefahren, weil ich hoffte, unser Vormieter sei zuhause. Ich wollte fragen, ob er mir seine Kellerregale überlässt. Seine Rolladen waren herabgelassen. Im Küchenfenster darüber stand eine Frau und hantierte mit Küchengerat. Ich fuhr zum SpecOps. Tango-Brunch. Paar Tänze, nach Hause, Badezeug eingepackt, in Havixbeck geschwommen, in Tilbeck Kuchen gekauft, mit der Liebsten Kaffee getrunken, Brombeeren gepflückt, zu Abend gegessen, einen Film auf Netflix geguckt und Die Tyrannei der Schmetterlings von Herrn Schätzing weitergelesen. Manchmal muss ich Scheißbücher lesen, damit ich weiß, wie gut die anderen sind.


Mo28.078.25 19:06

Wir wollten sehen, wie es den Pflaumen geht, die in Natrup an den Landwirtschaftswegen stehen. Sie sind noch nicht reif, sie brauchen noch vierzehn Tage, und so sind wir kreuz und quer gefahren, an den Stoppelfeldern vorbei, an Roggen und Weizen und hohem Mais, die Baumberge immer im Blick, dieses Westfalen, das ich nicht missen will, weil es Heimat ist, in der ich fast jeden Weg kenne. In Havixbeck haben wir Kaffee getrunken, sind durch Gennerich zum Haus Stapel gefahren, von dort nach Hohenholte, wo auf einer Wiese am Ortsrand neben einem Haus ein weißer Strauß, ein Bankivahahn, Hennen und ein paar Gänse standen. Der Strauß schaute herum, klapperte manchmal kaum hörbar mit dem Schnabel, dann aber machte er ein Geräusch, das ich noch nie gehört hatte. Es klang wie der Ton einer Tuba, Hupen nennt das der Vogelkundler, ein voluminöses Geräusch, zwei, dreimal, wobei Hals und Brust leicht vibrierten. An der Klostermühle Hohenholte, eine Wassermühle, 1225 von Adelheid von Bevern errichtet, setzten wir uns an den Mühlenkolk, rauchten uns einen und fuhren heim. Eine Vier-Stunden-Tour ohne Gedanken an Abschied, was erholsam war. Zurück in der Wohnung war sofort wieder Umzug. Wir müssen uns bei den Stadtwerken ummelden. Telekomummeldung ist erledigt. Ummeldung beim Bezirksamt West folgt nächste Woche. Der Kopf schwirrt, wir warten auf Erlösung. Erlösung wird sein, wenn alles von A nach B transportiert wurde. Noch etwas mehr als vier Wochen. Umzug ist ein Drama, sagte M., der Dienstags immer das Tangotraining moderiert.


Di 29.07.25 12:32 wechselnd bewölkt 21 Grad

ich saß
mit einer dicke tante
in der tinte
und traute ihrem busen nicht
ich hielt ihre tentakel
für ne finte
und fand den knopf nicht
für ihr licht
sie sagte zwar
er sei doch dort
es war zu feucht
ich rannte ich fort

21:59

es kreist
es heißt
man nennt es gern
man hätt' es lieber nicht
es ruiniert dir tag und nacht
man wird es überstehn
man hat schon vieles überstanden
es könnte schlimmer werden
man könnte sogar daran sterben
wird man voraussichtlich wohl nicht
weil man zu mitteln greift
die hier im garten wachsen
und wenn's dann überstanden ist
trinkt man die flasche leer am meer


Mi 30.08.25 17:02 bewölkt, um die 20 Grad

Alles, was meine Existenz ausmacht, war fort. Alles war gestohlen. Ich erwachte zerschlagen und unruhig. Wenn das so ist, mache ich Tabula Rasa im Keller, dachte ich. Ich hatte mir das eh vorgenommen, es ist zwar noch Zeit bis zum Tag X, aber was weg ist, ist weg. Also ging ich in den kleinen Keller, der bis auf drei Kartons voller Fotos schon leer ist, warf nicht einen Blick in die Kartons und entsorgte sie in die Mülltonne. Vorhin traf ich meine Schwester auf dem Markt und erzählte ihr davon. Schade, sagte sie, und ich dachte, stimmt. Panik stieg auf. Wann kommt die Müllabfuhr? Morgen. Ich fuhr heim, rettete die Fotokartons, sortierte alles von den frühen 80ern bis Anfang 2000 in zwei Plastikkisten und beschriftete sie entsprechend. Nun ist schon wieder etwas passiert. Beim Umzug gibt es ein unerwartetes Problem. Nicht, dass es bei Umzügen nicht immer Probleme gäbe, eigentlich ist jeder Umzug das Problem, aber dieses hat mit den Vormietern zu tun. Abgesprochen war, dass die Wohnung zum 1.08. frei würde. Dementsprechend hatten wir mit dem Schreiner, der unsere Küche dem neuen Raum anpassen will und einem Anstreicher einen Termin für den 8. August festgelegt, so dass am 1. September alles fertig wäre. Aber einer der Vormieter hat noch keine Wohnung gefunden. Was bedeutet, dass unser Einzug zum 1.09. sich um ein bis zwei Wochen nach hinten verschieben könnte. Hilft nix. Müssen wir durch. Mal bin ich unten, mal die Liebste. Dann halten wir uns eine Weile fest, und es geht wieder. Bei manchen der geretteten Fotos musste ich weinen. Schönes grausames Leben. Ich überlege, ob ich in eine Partei eintrete. Ich spende monatlich 3 Prozent meiner Rente an Hilfsorganisationen, als wäre ich ein guter Mensch. Ich bin aber kein guter Mensch. Ich bin genauso gierig und dumm wie alle anderen. Was also tun? Irgendwelche Tipps im Schwarm? Gut, ich arbeite demnächst für Oxfam.


Do 31.07. 25 17:03 bewölkt, bisschen schwül

ich bin ein leben lang
verrückt und freu mich auf den rest
mir war oft bang
ich saß jedoch in einem nest
mit frau und kindern hasen
mit meerschweinchen und ratten
langen nasen
mit einem vogel
katzen hatifnatten
mit allem
was wir uns zu bieten hatten
wir hielten durch
wir lachten weinten
wir ließen uns nichts bieten und verneinten
wir wollten ja
und jetzt nicht eben
das hammwer nu davon
ein reiches wildes leben

23:39

Vorhin sah ich den zunehmenden Mond. Es wird wahrscheinlich der letzte in Roxel. Den nächsten sehe ich in Nienberge. Ich habe Frieden gemacht, ich füge mich, seitdem geht es mir gut. Ich bin gelassen. Gestern habe ich die Fotos, die ich schon entsorgt und dann doch gerettet hatte, sortiert. Von den 80ern bis in die 2000er ist alles dabei, aber auch vieles von meinen Eltern, Großeltern und Menschen, die ich nicht kenne.