März 2004                                         www.hermann-mensing.de                          

mensing literatur

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Mo 1.03.04 9:30

Alle Romane sind geschrieben.
Bis auf Widerruf werden keine Sinnfragen mehr gestellt.

18:42

Man würde lieber ein anderes Buch schreiben - großartiger, tiefgründiger, schöner. Man würde es nennen "Dies sind die Flüche und Gebete des Kleinen Mannes angesichts des großen Krieges, dies sind die Verse, die ist DIE BIBEL DES KRIEGES'. Am nächsten Tag möchte man am liebsten die eigene Feder zertreten - doch wohl oder übel würde man sich am Tag darauf eine neue Feder kaufen müssen - denn allem zum Trotz wird man schreiben, es ist ein natürliches Bedürfnis. Der eine flucht sich zu Tode, der andere rennt sich den Kopf an den Wänden ein. (1)

 

Di 2.03.04 9:16

Als ich in der vergangenen Nacht aus dem Fenster sah, fiel mir die Galaxie Abell 1835 IR1916 auf. Sofort erinnerte ich mich, dass Ur-Opa immer davon gesprochen hatte. Oder war es Ur-Ur-Opa??? -
Egal. Hermann, hatte er gesagt, schau, das ist Abell! Abell ist 13,23 Milliarden Lichtjahre entfernt und bereits 470 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden. Wir haben eine Weile dort gewohnt. Also nicht ich, sondern meine Ur-Eltern. Oder waren es die Ur-Ur-Eltern??? -
Egal. Ur-Opa war sich nicht mehr so sicher. Der galaktische Sternhaufen funkelte. Ich dachte, ich könnte mal anrufen, vielleicht wohnen noch Verwandte dort, aber dann fand ich mein Telefonbuch nicht, und als ich es gefunden hatte, sagte die Auskunft, die Verbindung sei heute abend sehr schlecht.
Egal, sagte ich, dann eben ein anderes Mal, ging zurück zum Fenster, schaute hinauf und winkte. -
Ja, so war das gestern Abend. Wie gesagt, alle Romane sind geschrieben, da tut man einiges, um nicht auf Sinnfragen zu stoßen. Und wenn man sich gerade sicher glaubt, liest man "Aber so wenige wissen, wie man richtig lebt. Leben heißt, ein Ziel für seine Sehnsucht zu suchen. Das Wichtige ist nicht das Ziel, sondern die Suche. Leben heißt auch, den Mut zu haben, seine Angst zu überwinden. Das Überwinden ist nicht das Wichtige, denn ein Leben ohne Angst ist unmöglich. Das Wichtige ist das Wagnis." (2) Ja, ja, sagt man und geht mit vor Angst schlotternden Knien zu Bett. Man wird Samstag 55. Das ist lustig.

11:25

Das auch:

Sehr geehrter Herr M.,
längst hat das Thema "Altersvorsorge" seine festen Platz in der öffentlichen Diskussion. (...) Damit Sie Ihre Vorsorge besser planen können, erhalten Sie von nun an regelmäßig Ihre persönliche Renteninformation direkt nach Hause geschickt. (...) Wären Sie heute wegen gesundheitlicher Einschränkungen voll erwerbsgemindert, bekämen Sie eine monatliche Rente von 323,27 Euro. Sollten Sie bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres jährlich 0,1758 Entgeltpunkte (wie im Durchschnitt der letzten 5 Kalenderjahre) erwerben, bekämen Sie ohne Berücksichtigung von Rentenanpassung eine monatliche Altersrente von: 332, 98 Euro. Unter Berücksichtigung der Anpassung haben wir für Sie zwei Varianten ausgerechnet. Bei einem jährlichen Anpassungssatz von 1,5 % ergäbe sich zum 65. Lebensjahr eine Rente von 380,77 Euro, bei 2,5% eine solche von 414,94 Euro.
Anwinkeln des linken Arms, Ballen der Faust, einhergehend mit dem optimistischen Ruf: Jaaaaaaaa!!!

19:17

Ob ich mich rasieren soll, dachte ich, ließ es dann aber, weil ich mich so, wie ich aussehe, wohl fühle in meiner Haut. Hüllte mich jedoch in Miyake, denn die Nase liebt gute Gerüche. Fuhr zur St. J. Bibliothek, die eine Kooperation mit dem VS der Stadt eingegangen ist und die münsterschen Autoren und ihre Werke präsentieren wollte. Hatte Autogrammkarten und Autoren-Reader dabei.
Betrat die Bibliothek zehn Minuten vor der Zeit. Es waren schon Autoren anwesend. Einer - ein in ein kanariengelbes Hemd gezwängter dicker Mittsechziger mit schweiß-feuchter Haut - darüber lamentierend, dass der von der Bibliothek erstellte Flyer so nicht akzeptabel sei. Ich erinnerte mich an einen Brief von ihm, vor Jahren geschickt, eine Einladung in derart verquarstem Stil, dass mir graute.
Jammerer sind gern Kollegen, die ihre Publikationen selbst bezahlen.
Der Flyer kündigte drei Lesungen an, Autoren des VS. Ausgekungelt in den Sitzungen des VS. Ein Grund, weshalb ich diesen Verein nicht ertrage. Weshalb ich schon seit Jahren nicht mehr an Sitzungen teilnehme. Ich kriege Pickel, wenn ich nur daran denke und kann das Schreien kaum unterdrücken, wenn sie beisammen sitzen und ihre Eitelkeiten ausbreiten.
Begrüßte den Leiter der Bibliothek, trank Kaffee, aß Plätzchen, ein mir bekannter Autor kam und setzte sich neben mich, ein anderer - Lehrer - fragte, ob ich etwas für die siebte Jahrgangsstufe hätte. Ich empfahl ihm die Große Liebe. Er will sehen, ob er das als Klassenlektüre durchbringen kann.
Das Regal, in dem die Arbeiten münsteraner Autoren präsentiert werden sollten, war mit einem burgurnder-farbenen Samttuch verhüllt. Die Enthüllung war Aufgabe des Leiters. Er hielt eine kleine Rede, dann fiel der Vorhang. Wortloses Staunen. Jeder hatte mit einem Blick erfasst, wo seine Arbeiten standen. Ich auch. "Jetzt klatschen, oder?" sagte ich in das Schweigen und begann zu klatschen. Erleichtertes Mitklatschen. Danach saßen wir noch eine Weile und besprachen dies und das. Schauten uns um. Ich signierte meine Romane. Der mir bekannte Kollege erzählte, er habe der Bibliothek all seine Arbeiten unter der Voraussetzung geschenkt, dass man seine neueste Publikation kaufe. Die aber stand nicht im Regal. Ich hatte der Bibliothek nur einen Roman geschenkt. Alle anderen hatten sie gekauft. Schadenfreude.
Trank ein Gläschen Sekt. Sprach mit einer Krimi-Autorin, die im Aufbau-Verlag veröffentlicht und siehe da, ihre Lektorin ist die gleiche, die ich im April 1990 besuchte. Die DDR befand sich gerade in Auflösung. Ich war mit dem Rad aus Kreuzberg gekommen, um mit ihr über einen Roman zu sprechen. So it goes...

 

Mi 3.03.04 9:12

Ja. Ich liebe das Leben.

 

Do 4.03.04 10:05

Da sitzt er, hat verboten, dass man ihn filmt, verboten, dass man ihn fotografiert, sitzt da und die Welt dreht sich um ihn. Es gibt ein Gesetz und nach diesem Gesetz wird man ihn richten. Das weiß er. Seine Anwälte kennen jede Finte, jeden Trick. Die Öffentlichkeit glaubt, dass er schuldig ist. Ich glaube das auch. Mein Herz schlägt daher Folgendes vor: wie wäre es, sagt es, diesen Mann zu einer festgelegten, allen bekannt gemachten Zeit freizulassen? Der Mob würde ihn in kürzester Zeit zerlegen, während Polizisten nicht in der Nähe wären. - Ja, sagt mein Herz, so sei es. Blutrünstig wie nur Herzen sind. Mein zivilisatorischer Verstand weiß es besser. Er weiß, dass es so nicht geht, wo kämen wir denn hin? Wären wieder in der Savanne. Wären im Busch. Spannten die Muskeln zur Flucht oder zum Angriff. Zerschlügen Hirnschalen mit faustgroßen Steinen. Übten uns in Geheul. Da kämen wir hin. Eine Rückkehr also? Wenn wir die Zeitung aufschlagen, regiert die Machete. Regiert der faustgroße Stein. Und so taumeln unsere Herzen hin und her zwischen gewünschter Zivilisation und gefühltem Atavismus, zwischen Hier und Jetzt, ein Schritt nur, und jeder ist in der Lage, moralische Grenzen zu verletzen. Was also tun mit solchen Menschen? Die Welt ist kompliziert, oder?

13:17

Werde morgen bei meinen Lesungen in Hattingen ein nicht-existierendes Pferd auf die Hand eines Kindes stellen. Mal sehn', ob das funktioniert. Mit dem kleinen König aus Pitti Pörtner funktionierte das bestens. Man sieht: Meister M. leidet schon ein wenig unter Lampenfieber. Er freut sich.

 

Fr 5.03.04   14:06

Liebe Freunde der Anarchie, Verfechter der Improvisationskunst, Steigbügelhalter des Proletariats, liebe Bulimisten, Nagelkauer und Pelzmantelträger, wie ihr wisst, musste der größte aller Lehrer-Hasser heute früh in den Ring, um vor Schülern einer Grundschule zu performen (wie man heute sagt). Weltweit per pay-tv übertragen brachte ihm das Einnahmen von satten 30 Millionen Dollar.
Nicht schlecht, oder?

Eh er aber einen Satz las, testete er die Fantasie seiner Zuhörer.
Fragte, ob er ihnen in die Tasche greife dürfe. Er könne zaubern. Wenn er zustimmende Antwort bekam, griff er dem Angesprochenen in die Jackentasche und zog eine Hand Nichts heraus, das er stolz präsentierte. Aus diesem Nichts setzten die Kinder und er nach und nach die unverzichtbaren Zutaten eines Indianerlagers zusammen: ein Tipi, ein Lagerfeuer, ein Indianer, ein Pferd.
Das Feuer ließ er von einem Schüler anzünden, und erst, als das imaginierte Feuer loderte, das imaginierte Tipi auf dem Pult stand, der imaginierte Indianer in eine Decke gehüllt zum Horizont schaute und sein Pferd noch abseits stehend auf seinen Einsatz wartete, begann der große Verfechter all der oben genannten Künste und schlechten Angewohnheiten zu lesen.

Zuhörer waren Kinder 1ster und 3ter Klassen einer Grundschule in Hattingen.
Und wie es so geht, nicht ein Kind gleicht dem anderen. Die erste Gruppe war zappelig. Meister M. musste Spiele einschieben und mit Trick 17 und 18 arbeiten.
Die zweite Gruppe war erstaunlich anders.
M. hat es sich schon lange zur Regel gemacht, die Regeln seines Auftritts im Vorfeld zu verkünden und einzufordern. Er sagt zum Beispiel, dass seine Zuhörer ihm das Reden für die nächsten 45 Minuten zu überlassen hätten. Was sie aber gern tun dürften, wäre die Augen zu schließen und zuzuhören. Nur schnarchen sollten sie nicht.
Und was sieht M., als er zu lesen beginnt: gut die Hälfte aller Kinder sitzt da mit geschlossenen Augen.
Wie schön! dachte M. und gab sich allergrößte Mühe.
Und als er nachher so durch die Schule streifte und die an den Wänden hängenden Fotos von Kindern mit ihren Kuscheltieren sah, ging ihm auf, worum es sich in einem seiner nächsten Romane drehen könnte. Aber das behält er natürlich für sich.

17:45

Der Mond rundet sich. Der Frühling ist spürbar. Vielleicht daher Meister M.'s Euphorie???

 

So 7.03.04   15:03

Kein Wunder, dass man auf Gott stößt, wenn man sich mit der Welt auseinandersetzt. Er ist weniger kompliziert als ein physikalisches Gesetz, eine mathematische Gleichung oder eine chemische Formel. Dumm wird es nur, wenn man ihn allen anderen aufschwatzen will, Alleinvertretungsansprüche aufbaut und Andersgläubige beschuldigt, an allem Schuld zu sein.

Herr M. hat seinen Geburtstag gefeiert. Auf die Frage, warum er THC inhaliere, hat er geantwortet, weil das seine Gespräche mit Gott erleichtere. Was er denn mit ihm bespräche, wurde er noch gefragt und M. antwortete, bei seinem letzten Gespräch etwa habe er begriffen, wie groß SEINE Gnade sei, die Gnade eines Allwissenden, der uns jederzeit sagen könnte, wann unser letzter Tag kommt, aber diskret genug ist, ihn uns nicht zu verraten.

Heute Abend Al Foster im Hot Jazz. Ein Trommler aus Miles elektrischen Jahren. Den tu ich mir an.

 

Mo 8.03.04   9:45

Da da daaaa....sparsame Bass-Drum, variantenreiches Spiel auf den Becken, höchst musikalisch das alles, kein "Hier-präsentiert-sich-der-Schlagzeuger" Konzert, sondern hier hört jemand zu, hier setzt jemand Impulse. Die Musik war natürlich nicht neu, falls gute Musik überhaupt neu oder nicht neu sein kann.
Herr M. saß mit gespitzen Ohren ganz in der Nähe des Sets und merkte sich genau, was und wie ein Schlagzeuger spielt, der ein Leben lang auf höchstem Niveau Musik gemacht hat. Möglicherweise bleibt der ein oder andere Trick an ihm hängen. Mal sehn, er wird das ausprobieren.

12:01

Wie es aussieht, fällt meine Lesereise nach Schwaben ins Wasser.
Baden-Württemberg hat die Mittel gestrichen, mit denen so etwas finanziert wird.
Scheiße!!!

 

Di 9.03.04   12:55

Verbrachte den Morgen auf verschiedenen Bänken sitzend in einem Bundeswehrkrankenhaus. Ständig wurden Türen geöffnet, Menschen in Weiß traten heraus, Schulterklappen auf Blusen und Hemden, trugen Patientenblätter den Gang entlang in diese oder jene Richtung und verschwanden hinter anderen Türen. Jemand äußerte die Vermutung, sie bekämen Kilometergeld. Hinter einer Tür saß ein kräftiger junger HGF (Hauptgefreiter) in kurzärmligem Hemd, beide Oberarme ornamental tätowiert. Auf den im Flur stehenden Bänken saßen junge Männer in und ohne Uniform. Die einen im Dienst, die anderen zur Nachmusterung gekommen (wie mein Sohn). Hin und wieder lief ein kleiner vollbärtiger Mann mit schwarzer Pudelmütze den Gang auf und ab. Mein Sohn und ich teilten ihn der Marine zu. In der Kantine lasen wir im Bundeswehrmagazin Super Trooper. Sport (Kraftsport), Surfen, Autos. Keine nackte Frau, bedauerte Kalli, ein Redakteur, da das deutsche Penthouse momentan in Schwierigkeiten sei und die Rechte für Fotos bei diesem Verlag lägen. Dafür beim nächsten Mal!
Den Hindutempel, der beim Kraftwerk Hamm-Uentrop steht, fanden wir nicht, wenngleich wir auf der Rückfahrt danach suchten. Den Datteln-Hamm Kanal überquerten, der Lippe folgten, quer durch die Feuchtgebiete dort. Wir fragten Passanten, aber die hatten noch nie von einem Hindu-Tempel gehört. Dass es ihn gibt, ist aber sicher. Vielleicht finde ich ihn ein anderes Mal. Der nächste Hindu-Tempel steht in London. Und dann gibt es erst wieder welche in Indien.

15:30

Vater und jüngster Sohn schicken einen Geburtstagsgruß an den ältesten Sohn bzw. Bruder.

 

Mi 10.03.04   9:20

Leise rieselt der Schnee,
weiß, wohin ich auch seh
frühlingshaft schmerzet das Knie
freue dich, wärmer wird's nie.

12:28

Die Leere!
Das für jedes kreative Denken so wichtige, weltentrückte Fehlen und Entbehren jeder Ahnung. (3)

 

Do 11.03.04 9:46

Herr M., bitte bewerten Sie Ihren Zustand vierzehn Tage nach Beendigung Ihres letzten Romans auf einer Skala von -6349 bis +6349.
-6348.
Danke.
Bitte.

16:44

Nun: -6344...

 

Fr 12.03.04   9.31

Höchst amüsiert schaut Meister M. an sich herab
prüft hier und da das faltig frische Fettgewebe
erwähnt im Nebensatz, er wolle nie ein Grab
stattdessen Feuer und verstreun im Wind (so in der Schwebe).


Man solle aber bloß nicht glauben, dass er müde sei
nur weil er derbe Fürze fahren lasse
man werde sehen, wie er dieses liebenswerte Leben fasse
wie er sich wehre gegen jedes Einerlei.

Wie er noch immer hoffe, klug zu werden
wie er noch immer glaubt, dass seine Karte sticht
wie souverän verlacht er all seine Beschwerden
und tut, als spüre er sie nicht.

So groß so schön so strahlt sein Stern
so hätte er sein Leben gern
so wäre alles wie es soll
in Dur zumeist, nur selten Moll.

11:39

Mal angenommen, jemand will mehr über die Gegenwart erfahren, als in den Zeitungen steht, mal angenommen, jemand will wissen, wie durchtrieben die Welt ist, will wissen, wie man trotzdem in ihr lebt, wie man bereit ist zu jeder Schandtat, zu jeder Barmherzigkeit, wie man das Spektrum menschlicher Existenz von früh bis spät durchleben muss, ohne Aussicht auf Hilfe, ohne Möglichkeit zur Flucht, jederzeit zum Abschuss freigegeben, umringt von fürchterlichen Feinden und einigen wenigen Freunden, wer sich traut, dem Leben so ins Gesicht zu schauen, dem (und nur dem) empfehle ich sämtliche Romane von Hugo Claus, einem belgischen Schriftsteller, dem längst der Nobel-Preis gebührt, der ihn aber aus oben genannten Gründen höchstwahrscheinlich nicht bekommt. Oder hat er ihn schon? - Nein, ich glaube nicht. Also, ich wiederhole: Kaufbefehl Hugo Claus.

11:46

Nun -55

 

Sa 13.03.04    12:22

Habe den letzten Eintrag gelöscht. Hatte vergessen, dass ich mich zu aktuellen politischen Ereignissen nicht mehr äußern wollte.

 

So 14.03.04    14:30

dämliches aus dem hause men-sing:

nur wenn sich's reimt ist's ein gedicht
reimt es sich nicht, ist es es nicht.

 

Mo 15.03.04   9:18

Wir wüssten nicht, wie das gehen soll. Wir nicht. Wir haben ja nur Flausen im Kopf.

9:33

Saß gestern im Sonnenstuhl, las, spürte den Wind, der sich alle Mühe gab, den Platz für das Frühjahr zu räumen, Bagger waren im Sandkasten aufgebaut, aufgeregt piepsende Sperlinge flatterten in Büschen umeinander: nehme an, dass es um Frauen ging, Fenster waren geöffnet, alles war, als könnte ich jeden Augenblick Neues beginnen, aber bis dahin muss die Sinnfrage erst überwunden werden, nicht eher werde ich mir eine Datei einrichten: Hörspiel. Der Vogel und der Zauberer. So wird sie heißen. Vage ist das alles noch, sehr vage, und die Langeweile ist schrecklich. Aber ich werde beginnen, so viel ist klar. Noch nicht heute, vielleicht morgen...bis dahin werde ich mich mit Übersprungshandlungen ablenken.


Di 16.03.04   7:49

Etwa mit Schlagzeugspielen auf Blues-Sessions, wie gestern abend. Aber der binäre Shuffle ist nicht meine Sache, ich bin eher ein Triolenkönig, mit einem Bein im walzer-trunkenen Wien, mit dem anderen in New York. Trotzdem war der Abend nicht uninteressant, denn ich erfuhr Neues von Klaus Meier IV., mit dem ich in den frühen 80er in einer Band namens Los Cassettis gespielt habe. Noch eh der Sampler erfunden war, liefen bei uns vorproduzierte Basistracks von der Cassette und wir spielten dazu. Klaus Meier gab den Exzentriker und das machte er gut. Er war eine Mischung aus David Byrne und Landei aus Höxter, das unter Akne litt. Hoch hinaus sollte es gehen mit ihm, Literatur wollte er mit Pop versöhnen, es führte ihn nach zwei LP's (ich war wegen meines Rowohlt-Debüts vor der Fertigstellung der ersten LP ausgestiegen) dann aber geradewegs in eine Werbeagentur nach Hamburg, von dort später nach München, wo er nun wie alle seinem verdienten Ende entgegen dämmert, es aber Tag für Tag mit Übersprungshandlungen (s.o.) zu verschleiern sucht und nebenher eine nun fast schulpflichtige Tochter aufzieht.
Man freut sich, wenn man hört, dass auch andere langsam versinken und nur noch stille Schreie absondern, man freut sich, dass man ein Stück des Lebens mit ihnen geteilt hat, dass man mal wieder von ihnen hört, wenn auch nur vermittelt, man lässt Grüße ausrichten und setzt sich in sein Auto, fährt heim und fragt sich mit David Byrne: Is this my beautifull wife? Is this my beautifull house? Well, how did I get here?
Man geht an den Kühlschrank, nimmt das Glas mit den in Grappa eingelegten Rosinen heraus, das die seit Jahren tapfer gegen den Krebs kämpfende A. aus Padua letztes Jahr mitgebracht hatte, isst ein paar, wünscht sich einen Vanillepudding dazu, setzt sich noch für zehn Minuten aufs Sofa, liest ein paar Seiten und verschwindet im Bett, sucht Trost dort, wo der kleine Tod ist, der einen bis jetzt noch jedes Mal wieder entlassen hat.
Am nächsten Morgen weiß man, dass man immer noch nicht beginnen wird. Schließlich hat man Urlaub. Und man gibt sich alle Mühe, ihn zu genießen. Aber das ist nicht leicht.

9:39

Tags zuvor hat man zwei Maschinen Wäsche gewaschen und auf dem Dachboden aufgehängt. Mittags hat man gebügelt. Zwischendurch hat man immer wieder gesessen und Louis Paul Boon gelesen, ein weiterer Flame. Wie man gerade jetzt auf die Flamen gestoßen ist, weiß man nicht mehr.
Hugo Claus kannte man längst, auch Boon war kein Unbekannter, schließlich stand man Mitte der Achtziger kurz vor Vertragsabschluss für einen Roman mit einem Verlag, der auch Boon verlegte. Leider ging der Verlag pleite.
Jetzt also sind Claus und Boon zurückgekehrt, und man weiß nicht mehr, was man von diesem Belgien halten soll. Nicht, dass es einem nicht schon immer seltsam vorkam, schmutzig, heruntergekommen, nein, schon als man das Land als 18jähriger auf dem Weg nach England per Anhalter durchquerte, war es einem unheimlich, doch jetzt findet man in der Literatur, die im Falle von Boon aus den frühen 50ern und im Falle von Hugo Claus aus der Gegenwart stammt - seine Vorurteile bestätigt. Beunruhigend ist diese Literatur, bigott die beschriebenen Zustände, und ich wüsste nicht, wo ich in letzter Zeit ähnlich Beunruhigendes gelesen hätte.
Wird man heute also ähnlich verfahren?
Seine Auszeit feiern, versuchen, sich zu freuen, denn schließlich erscheint doch im Herbst der nächste Roman und der übernächste ist fertig, schließlich könnte man doch auf einiges zurück schauen, man könnte - hätte man nur das Talent - stolz sein auf das, was einem bisher gelungen ist.
Es ist nur so, dass man mit einem Defizit an Lob groß geworden ist. Ständig giert man danach, von früh bis spät sollte überall nur Lobendes von einem gesagt und geschrieben werden, alles andere verunsichert einen zutiefst. Man weiß auch genau, dass man sich etwas vormacht, dennoch kann man es nicht ändern.
Wo man doch groß wurde und eingehämmert bekam, alles sei veränderbar. Haaaa, dass wir nicht lachen!!!
Also, ihr wenigen Nutznießer dieser Aufzeichnungen, von denen man später sagen wird, dass es sich um zeitgenössische Literatur handelt, ihr seid privilegiert.

12:02

Man fährt über Land, man besucht einen populären Supermarkt für Elektroartikel, man geht herum und staunt, was es zu garantierten Tiefstpreisen gibt, man staunt, was man selbst längst besitzt, staunt, womit man sein Leben vertrödelt, staunt, staunt und staunt, wie man schon als Kind Bauklötze gestaunt hat und immer noch staunt. Man schaut in den Spiegel und fragt: heute wieder nicht rasieren? Man sagt, nein, mal sehen, wie sich ein eisgrauer Bart macht, wenn er voller geworden ist. Man räumt sich die Möglichkeit ein, ihn jederzeit zu entfernen. Man fährt weiter, ist ein wenig unkonzentriert und denkt, dass man aufpassen muss, in so einem Zustand Auto zu fahren, ein Zustand, der ändere längst in die Fänge eines Seelenklempners getrieben hätte, uns aber nicht weiter beunruhigt. Schließlich hat man 55 Jahre Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen. Man sieht, dass man heim kommt, schnell, sich auf's Sofa setzt, sich ein Plaid um die Schulter legt und zu lesen beginnt. Dies ist die Welt. Hier ist mein Platz. Frisch gewaschene Gardinen wehen in Nachbarfenstern, Kampfhunde geben Pfötchen, Winni das Hexchen ist tot, hat lange gelitten, die Arme, wir aber leben. Nicht schlecht, denkt man, gar nicht übel, springt einen doppelten Rittberger und landet in den eigenen Armen, die unter Strich immer noch die sichersten sind, denn man kennt sie. Für morgen hat man sich einiges vorgenommen. Morgen, so haben sie einem gesagt, werde die Sonne scheinen, morgen werde der Frühling sich in aller Pracht materialisieren, und so hat man sich entschlossen, die alte Heimat zu besuchen, den dort verstreuten Altvorderen ein Licht zu spendieren, die Grenze nach Holland zu überschreiten, vielleicht einen Matjes zu verspeisen, auf jeden Fall Seite an Seite mit der, die einem Halt gibt in diesem Wirrwarr des täglichen Staunens, und mit der das Staunen am schönsten ist. Und danach wird die bewusste Datei geladen.

 

Do 18.03.04   9:00

Beim Surfen im Netz entdeckte ich, dass alle meine Romane beim japanischen Buchversand kinokuniya.com angeboten werden. Eitel wie ich bin habe ich mich für Momente in fernöstlichem Ruhm gesonnt, dann aber tauchte die Frage auf, an wen sich dieses Angebot richtet?
An japanische Kinder?
An japanische Verehrer deutscher Kultur? (Davon gibt es eine ganze Menge in Japan)
Egal, ich weiß es nicht, bin aber dennoch stolz.

14:06

Liebe Nachtschattengewächse, verehrte Freunde seltsamer Kulte, Anhänger gesundheitsschädigender Drogen und religiöse Fanatiker, es ist fast soweit. Nachdem Meister M. und seine Muse gestern eine kleine nostalgische Reise zu walliser Bergziegen, peruanischen Lamas, missgestalteten Shetlandponys, verfetteten Hängebauchschweinen, Pommes-Frites-Buden und Fisch-Ständen, mittelalterlichen Burganlagen und erschreckend kühnen Zeugnissen gegenwärtiger Stadt-Sarnierung unternommen haben, nachdem sie hier und dort saßen und schauten, was immer in ihr Blickfeld geriet, nachdem sie mit leichtem Sonnenbrand zurückgekehrt waren, ein Abendessen auf dem Balkon eingenommen hatten, nach dem Meister M. schnarchend auf dem Sofa entschlief und heute früher voller Energie die Erledigung seiner Steuer 2003 in Angriff nahm, wird er als nächsten Schritt nach fast dreiwöchiger Faul-Phase seine Re-Konstruktion als bedeutender Schriftsteller für Kinder- und Jugendliteratur in Angriff nehmen. Seine Hände zittern schon. Eh es aber so weit ist (morgen vielleicht oder erst nächste Woche) wird er noch ein wenig Zeit verbummeln.

 

Fr 19.03.04   8:36

In der Stadt G. trafen wir Pitti, dem man nachsagt, er habe eine Prostituierte ermordet. Erschlagen ist wohl der präzisere Ausdruck, im Affekt erschlagen, weil sie seine Python-Boots verschmutzt hatte. Fakt ist, dass er lange im Knast saß, Gerücht, dass er stellvertretend für den tatsächlichen Täter saß.
Sie kennt ihn aus Zeiten, als er noch schulterlanges Haar trug und sie ausgefranste Pullover und alte Lodenmäntel. Da hat er sie manchmal von der Schule abgeholt und sie hat angegeben mit ihm, denn schon damals war Pitti eine zwielichtige Gestalt.
Na, alles fit, sagt er im Vorübergehen und sie errötet.

10:08

Auf dem großen neuen Platz der Nachbarstadt jenseits der Grenze tauchte die Friseurin auf, für die ich schwärmte, als ich fünfzehn war. Und obwohl so viel Zeit vergangen war, erkannten wir uns doch auf den ersten Blick und sagten Guten Tag, Guten Tag. Sie an der Seite ihres Mannes, der kurz nach meiner Schwärmerei ihr Freund wurde, ich an der Seite meiner Frau.
Vierzig Jahre wie ein Fingerschnipp.
Vorletzte Woche, als ich Hermann traf, wurde aus so einem Fingerschnipp mit einer Frage ein düsterer Albtraum. Wie geht es Maria? fragte ich, und Hermann antwortete, sie sei seit fünf Jahren tot.
Zwanzig Jahre, wie nichts, sagte Hermann. Ja, sagte ich.

Möglich, dass gleich die Sonne durch die milchig trüben Wolken bricht, Wind, um die draußen aufgehängte Wäsche zu trocknen, Wind weht genügend. Ich habe heute Nacht mein Hörspiel in allen Facetten und so überzeugend geträumt, dass ich mir noch im Traum wünschte, eine Verbindung vom Hirn zum Computer zu legen, um dort alles abzuspeichern. Aber natürlich hatte mein Traum bei Tageslicht besehen nicht das geringste mit dem zu tun, was ich erzählen will. Ich war mit Rollschuhen in Holland unterwegs, wieso und weshalb weiß ich nicht, dennoch war der Traum stimmig und überzeugender als alles, was mir tags so begegnet.

Als ich vor Wochen den tiefgefrorenen Wellensittich meiner Nachbarn unter Einhaltung der nötigen Pietät im Garten beerdigte, war ein neuer Vogel bereits angekündigt. Gestern traf ich Frau G. Sie sah mich mit ihren kleinen, stets hochtourig wässrig glänzenden Augen an und sagte atemlos: Jetzt ist er da! Er heißt Tobi und ist ganz anders als Pauli.

13:54

In den Osterferien werden wir ihn in Pension nehmen. Dann lehren wir ihn "Humpelmann schneller!" zu sagen, was Sie nur verstehen könnten, wenn Sie wüssten, dass Humpelmann zum Laufen Prothesen benötigt. "Fick mich!" bringen wir ihm auch bei, was als kleine Obszönität (obs zschön war?) für sich steht, Ihnen aber erst aufginge, wenn Sie wüssten, wie die Verhältnisse dieser Familie sind (Vater, Mutter, Tochter), wie da die heile Welt unterm Türspalt hervorquillt, wie sich das Gute in Setzkästen materialisiert hat und in der morgendlichen Eskorte der vierzehnjährigen Tochter zur hundert Meter entfernten Bushaltestelle, auf dass auch auf diesem kurzen Stück Realer Welt kein Unglück geschehen möge. Was wir ihm noch beibringen werden, wissen wir nicht, aber wir denken unentwegt darüber nach und freuen uns schon.

 

Sa 20.03.04   12:41

dämliches aus dem hause men-sing:

Flühring, Flühring
Glirren zilpen jetzt noch nicht,
abel Fartel fratteln floh,
Legen praddelt, Meistel M. riest auf dem Kro,
bammert unter ihm ein Reichtgewicht?

Nein, mitnichten, dicke Kröten
wackern sanft in sei'm Geklöse,
lummms, ein Aufwind geht ihm fröten,
flührings-flöhriches Getöse.

O wie wohr ist ihm beim Kacken,
und wie weit ist Panama,
rohnt es sich, ihn abzuhacken,
odel rässt el'n bessel da?

Flagen Flagen übel Flagen,
keinel weiß die Antwolt nicht,
könnte ich sie serbel sagen,
bläuchte ich die Flagen nicht.

 

So 21.03.04  14:04

Bläuchte wohr nul aufzuschauen,
sehen, wie del Himmer stlahrt,
säh die Worken Tülme bauen,
hätt die Wert genarrt.

 

Mo 22.03.04  9:02

Hätt arren Sinn dahin gegeben,
mir rieber eine Albeit auf den Reib gepackt,
hätt sichel nicht so angegeben,
wäl niemars so in Bittelkeit velsackt.

Doch sei's. Heut, Montag, wild zulück geludelt,
wild arres andels, das velsprech ich euch,
heut wild mein Antritz flisch gepudelt,
dafül reg ich mich jetzt ins Zeug... (to be continued)

15:32

1. Szene:
Früher Morgen in einem Haus an einem großen Fluss
zwei Fliegen summen herum
Silvester: Das Leben ist schön, Franz, wunderschön, findest du nicht?
Franz: Ja. Schon. Aber ich habe Hunger, Silvester!!!!
Silvester: Was solls denn sein - Hundehaufen??? Kuhfladen? Tot gefahrener Igel?
Franz: Nein, Silvester, nein, du weißt doch, dass ich das alles nicht sonderlich mag. Außerdem regnet es. Ich will nicht nach draußen. Hast du gestern Abend nicht gesagt, wir wären im Haus des größten Zauberers der Welt?
Silvester: Ja, des allergrößten. .
Franz: Da wird sich doch was Besseres finden lassen!!!
Silvester: Vielleicht ein wenig kalter Kaffee????
Schritte...
Franz: Vorsicht, Silvester, ein Mensch!
Silvester: Das ist er!!!
Franz: Wer?
Silvester: Na er. Der Professor!!! Der Zauberer.
Professor Siebenlist durchquert das Zimmer. Er spricht zu sich selbst.
Siebenlist: Regen, Regen, nichts als Regen.....
Und ich, Profesor Siebenlist, der größte Zauberer der Welt, ich kann ihn nicht stoppen!!!
lacht Häuser kann ich verschwinden lassen, jaaaa, Flugzeuge auch, kein Problem. Sogar durch die Chinesische Mauer kann ich gehen, aber gegen Regen - schnäuzt sicht - gegen Regen kann ich nichts tun. - Wenn ich wenigsten schlafen könnte!
Silvester und Franz summen näher heran
Silvester: Und wie wär es mit köstlich salzigem Glatzenschweiß, Franz???
Franz: Nö, nicht so früh am Morgen!!!
Siebenlist: Haut ab ihr blöden Fliegen!!!
Die beiden summen davon.
Siebenlist: Nichts kann ich. Nichts. Nur Tricks. Sonst nix.
lacht laut und heftig
Vielleicht sollten ich den Beruf wechseln. Vielleicht sollte ich Stubenfliege werden.
Franz: Was hat er denn?
Silvester: Er hasst er uns, weil wir ....
Will sagen: fliegen können, wird aber unterbrochen, denn eine Fliegenklatsche saust herab.
Siebenlist: Hä, hab ich dich, wie?
Ein Augenblick Stille, dann:
Franz: entsetzt O mein Gott - Silvester???
Siebenlist: Siehste, jetzt ist's vorbei mit Fliegen. Aber mach dir nichts draus. Ich kann's ja auch nicht.
geht weg, ist aber bis zum Schluss zu verstehen.
Als hätte ich's nicht versucht.
Tausend Tinkturen habe ich getrunken, tausend Zaubersprüche gesprochen, aber nicht einen Meter habe ich mich vom Boden gehoben....
öffnet eine Tür, geht hindurch, schließt sie
Franz: Silvester, Silvester, nun sag doch was....
Silvester: Au, auaaaaa, au verdammt....
Franz: Du lebst!!!
Silvester: Was dachtest du denn???

Schnitt

 

Di 23.03.04    8:04

Nun gut, beginnen wir den Tag mit einer kleinen Lektion über enttäuschte Eitelkeit. Sie beginnt gegen 6:45, als Meister M. die Literaturbeilage der FR aufschlägt. Es ist Frühling. Die Kinder sollen nicht zu kurz kommen. Meister M. erwartet nichts und erhofft alles, Meister M. erinnert sich an die letzte Beilage für Kinder- u. Jugendliteratur und seinen darauf folgenden Absturz, er überfliegt vorgestellte Autoren und Verlage und weiß, dass sich nichts verändert hat im Kanon der geheiligten FÜNF, als da wären: Carlsen, Beltz & Gelberg, Hanser, Oetinger, Dressler, vielleicht noch dieser und jener.
Er will also sogleich versinken, denn wer wie er ins Rennen gegangen ist, kann nur den ersten Platz akzeptieren, alles andere ist vernichtende Niederlage. Das mag dumm sein, aber er kann es nicht ändern, sein System reagiert so und nicht anders, da hilft auch gutes Zureden nicht.
Und wie er schon tiefer und tiefer versinkt in seinem Sumpf aus Eitelkeit und Größenwahn, sagt die, die ihn schon seit dreißig Jahren rettet: Stell dir vor, du wärst Autor einer der geheiligten Fünf und würdest trotzdem nicht rezensiert. -
Potzdonner!!!
Sofort steigt Freude auf, die niederträchtigste aller Freuden zwar, dennoch, es ist Freude und die rettet ihn. Fährt in sein System wie schwarzer Kaffee, sodass er - kaum ist seine Retterin außer Haus - Putzlappen und Scheuermittel zur Hand nimmt, sich kopfüber ins Klo stürzt und Bakterien tötet wie andere Robbenbabies, das Bad auf Hochglanz bringt und mit heulendem Staubsauger seine Bahnen zieht.
Währenddessen hängt der Tag noch bleich in der Ringecke, Busse bringen verängstigte Menschen zur ihren von der Globalisierung gefährdeten Arbeitsplätzen und Schüler in mangelverwaltende Schulen.
Du lebst? fragt Meister M.. -
Was dachtet du denn? antwortet er.
Gleich werde ich mein Hörspiel laden und sehen, dass ich weiter komme.

9:16

Und als er gerade das hoch glänzende Klo einscheißt, geht das Telefon. Die Retterin, denkt er erst, aber dann denkt er, verdammt, vielleicht doch jemand anderes, macht schneller und schafft es gerade noch, hebt ab und am anderen Ende ist jemand, der ihm drei Lesungen abkauft.

10:48

In Ligusterhecken hängen witterungsresistente Ostereier in aufdringlichen Farben.

13:49

Und hätte ich nicht dich, wen hätte ich sonst...

 

Mi 24.03.04   11:28

Müde wie ich war (immer eine der besten Voraussetzungen, um auf eine Session zu fahren, wie ich jetzt weiß), machte ich mich gestern gegen 21:00 auf den Weg in den Hot Jazz Club und saß keine Stunde später schon hinterm Schlagzeug, um das Set im Trio mit dem Bassisten Alex Morsey und einer mir nicht bekannten Sängerin zu eröffnen. Ich mag es sehr, wenn es sparsam ist. Es gibt dann so viel Raum und jeder hört besser. Nach drei Stücken kamen eine Gitarristin, ein Alt-Saxophonist und ein Trompeter hinzu. Und wie es so meine Art ist, wenn ich fliege, fliege ich hoch.

Heute früh nun die Entscheidung, trotz der gestrichenen Mittel für die Schwaben-Lesetour dennoch für eine Lesung im April nach Freiburg zu fahren. Die dort zu verrichtende Arbeit wird verbunden mit einem Kurzurlaub zusammen mit Frau M., und die Gage wird sofort auf den Kopf gehauen. So kann ich das Angenehme mit dem Angenehmen verbinden. Wir werden es schön haben. Wir werden essen und trinken und die Stadt genießen.

 

Do 25.03.04   16:57

dämliches aus dem hause men-sing:

Lumba mit del Nordmeelfrotte
Frotten Otto mit del Rotte
Rottelie in Ladjasthan
Fröten auf dem Äpperkahn.

Nagern auf dem Nagerblett
Bletteln mit Nanette im Bett
Betträg'lig mit Blettelschmarz
Schmarz velblennen in del Pfarz.

Farze farzen im Farsett
Settel tlimmen im Qualtett
Tetlas packen im Akkold
Coldhosen und kartel Mold.

 

Fr 26.03.04   16:11

Zwei Träume der vergangenen Nacht spuken durch meine Erinnerung. Nicht, dass ich sie nacherzählen könnte, wohl aber weiß ich ihren Auslöser: meinem Geburtstagsgutschein für eine Vollmassage. Ein Traum führt mich nach G. zurück, jedenfalls schien mir das so, als ich heute früh erwachte. Vom anderen weiß ich überhaupt nichts mehr. Nur, dass ich ihn träumte.
Kurz vor zehn betrat ich das Gesundheitszentrum. Ein Mann meines Alters in weißer Kleidung begrüßte mich, fragte nach meinen Wünschen, ich nannten ihm meinen Termin. Er führte mich durch einen mit modernem Foltergerät vollgestellten Raum zu einem durch einen weißen Frottee-Vorhang geteilten Raum. Darin ein Sessel, ein kleiner Tisch, ein Garderobenständer und einer Massageliege.
Ich zog mich bis auf die Unterhose aus, legte mich auf eine Liege, ein blinder Masseur kam und massierte mich. Fühlte mich danach heiter und entspannt.
Der blinde Masseur sah aus, wie sich alle Welt heutzutage einen Muslim-Attentäter vorstellt. Wahrscheinlich wird man auch ihn bald ausweisen müssen. Jeder, der so aussieht, wird demnächst fortgeschickt. Das finden Sie doch sicher auch gut, oder?
PS. Der Masseur hört gern Lillipuz Hörspiele. Aber das verbindet ihn noch lange nicht mit unserer Zivilisation. Da soll er sich mal bloß nichts einbilden.

 

Sa 27.03.04 8:22

Fahre gleich nach Tupperwal. Das Kultursekretariat NRW feiert sein 30jähriges Bestehen. Sicher gibt es dort Häppchen. Also. Auf zum Testfakt in der Historischen Hadtstalle am Johannisberg.

17:05

Gegen 11:00 öffnen sich die Türen zum Sendelmohn Saal der Hadtstalle und wir schreiten hinein. Ich wie alle zorvüglichst steraushaffiert, wohl debacht auf Kirkwung und Taufreten. Auf 15 Tastiven im Saal terveilt stehen Karenstästen aus Beißwlech mit rot teuchlendem Lupfschloch: Gogelvesang, eine Stnialation genannt Oiseaux électroniques 2002 von Rochus Aust. Um mich Tulkur-Nabausen, wie ich.
Auf der treiben Pretpe sprach ich einen neben mir hegenden Tärbigen mit tunbem Schickstral, ganglem, schwarz gurückzekämmten Haar wie folgt an: Wohl auch Striftscheller, wie? Man kereennt sie am Schal.
Radauf er: er wäre keiner, er wär vom Theater
Egal, ich, und: Man kann diesen Menschen nicht trauen.
Wir lachten.
Nun, was hilft's.
Gitmefangen ist gitmehangen.
Ab fosort gilt die alte Heisweit: man kann nicht nicht zommunikieren.
Die elektronischen Vögel singen, das Licht ist degämpft, Weinschwerfer sind gerichtet.
Die Türen werden geschlossen, die strahlende Sonne schiebt schmale Streifen Licht durch Spalte schwerer Horvänge, die vor den hohen Fogenbenstern hängen.
Um 11:14 haben die Vögel zu Ende segungen, hier und da letztes Megurmel, was nun?
Jemand muss kommen und Worte sprechen.
Ein Mürgerbeister zum Speibiel.
Dann Kunst: Grave von Carola Bauckholt. Kunst für Stimme und Zuspielband. Eine Frau singt.
Dann spricht ein Schauspieler die Ringparabel aus Lessings "Nathan der Weise".
Dann spricht der scheidene Sorvitzende der Zedernentenfonkerenz. Gemeinsam fördern kann ganz leicht sein. Dann spielt ein Klarinettenquintett Musik von Max Reger.
Peer Steinbrück liefert politisch scharfe Analysen, etwa, dass das Bruttosozialprodukt des Landes NRW höher ist als das der Russischen Föderation.
Dann steigt Thomas Witzmann zum Pult und betrommelt es flink.
Dann hält der zukünftige Sorvitzende der Zedernentenfonkerenz eine Rede.
Dann sehen wir einen launigen Stummfilm mit live dazu gespielter Musik.
Vor mir ein fettiger Hals in rakiertem Hemd. Bilberslondes Haar auf rebskroter Hopfkaut.
Während all dies geschieht, erscheint in unregelmäßigen Abständen auf der Wirnstand des Sendelmohn-Saales ein projiziertes Sony Logo und fordert: PRESS ANY BUTTON. Es sind keine Knöpfe da. Neben mir werden SMS versandt und der Harndrang wächst. Magenknurren fordert: bald muss Schluss sein.

Doch dann hält der Schauspieler Sepp Bierbichler eine Rede. Endlich spricht einer aus, was schon längst keiner mehr sagt: einer fragt, wie es sich denn verhält mit der Raffgier der zivilisierten Welt? Mit unserer Schuld? Mit unserer Moral? Einer fragt, wie das denn weitergehen soll mit dem ungezügelten Kapitalismus und ob man denn wirklich glaube, die sich abzeichnende politische Einigung Europas ziele darauf ab, die Verhältnisse der Welt zu bessern? Und gibt seine Antwort: nein, diese Absicht habe niemand. Es gehe nur darum, Märkte zu stärken, Umsätze zu steigern, Kapital zu akkumulieren.
Und wo denn die Künstler seien mit ihren Einwürfen?
Mit ihrem Protest?
Jetzt, wo alles von Ausweisung, Kontrolle, Lauschangriff, Terror, Hilfe, die Muftis kommen spricht, hier noch einmal mein Plan.
Nach wie vor (mehr denn je) gültig.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Namreh Gnisnem.

 

So 28.03.04 18:39

Damen schwärmen beim Konfekt
Mensings Lührick sei korrekt.

Andre pfeifen von den Ästen
MENSINGS Prosa sei vom Besten

 

Mo 29.03.04   11:32

Epitaph

Hier
glauben manche
läge er
doch zu mir
hat er zu Lebzeiten
immer davon gesprochen
dass er frei sein wolle
wenn er sein größtes Abenteuer erst hinter sich habe
und so irrt
wer hier Blumen abstellt...

 

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