März 2010 www.hermann-mensing.de
mensing literaturBücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de
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1.03.10 13:03
Schon wieder März. Gestern ging mein Salsa Grundkurs zuende. Aber ich mache weiter. Gleich nächsten Sonntag. Heute war mein erster Arbeitstag in der Schule. Für morgen bereite ich Englisch vor. Es bewegt sich, oder ich werde bewegt, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, aber im Grunde glaube ich, dass Chris mich bewegt, wie sie es immer getan hat. Sie war und ist meine größte Kraftquelle. Meine Inspiration. Ich glaube nicht an ein Weiterleben nach dem Tod, aber ich spüre, dass das, was jetzt für mich begonnen hat, kausal mit ihr, mit ihrem Leben und ihrem Tod zusammen hängt. Ohne sie gäbe es mich nicht, wie es mich jetzt gibt. In der letzten Woche habe ich viel darüber nachgedacht. Ich verdanke ihr alles. Sie ist mein größtes Geschenk. Und das alles spüre ich, obwohl ich nicht an ein Weiterleben glaube. Es gibt eben Dinge, die man nicht begreifen kann. Trotzdem, es ist gut so.
2.03.10 9:28
eine katze trug einen korb mäuse herum
die mäuse fanden das aufregend
die katze jedoch fand es mühsam
dann hatte sie eine idee
sie eröffnete eine mäuseboutique
man konnte die mäuse lebendig und tot kaufen
je nachdem
hallal getötet oder auf herkömmliche art
man musste es nur sagen
seitdem hat die katze kaum noch zeit
und so blieb ihr nichts
als 400 euro katzen einzustellen
die nun jeden tag neue körbe heranschleppen
die katze ist jetzt selbständig
kann ihre krankenkassenbeiträge kaum zahlen
und fürchtet sich vor der konjunktur
denn man weiß ja nie wann die nächste krise kommt
schließlich sind mäuse schnell verjubelt
und niemand kann nachher noch sagen
wo sie geblieben sind
als die katze dennoch nach einem jahr
geschäftsjubiläum feierte
betrat ein gelbes schwein ihren laden
und verlangte eisbein
das schwein war testkäufer der schweinerechtsliga
das habe sie leider nicht
sagte die katze
da wurde das schwein rosa
und freute sich so sehr
dass es zum himmel aufstieg
wo die pink floyd schweine schwebten
die auch ganz rosa sind
und eisbein verachten
und so findet alles ein ende
und wird
wie wir aus dem fernsehen wissen
dann doch gut
oder ist das lüge
16:43
Falls es so etwas gibt wie ein Thema, das mir von Natur aus anhängt, ist es die Frage nach Kausalität. Dass Der Weltuntergang, an dem ich seit vier Wochen arbeite, ein Liebesroman, wenn ich das richtig sehe, sich genau in diese Richtung entwickelt, ist also nur folgerichtig.
Ich taste mich langsam voran, arbeite mich durch Berge meines Lebens, und staune über jedes Wort, das ich hervorbringe. Das macht Höllenspaß. Ich weiß, wie der Roman endet, aber ich weiß noch nicht, wie ich schlüssig dorthin gelange. Macht aber nichts, denn mit dieser Unsicherheit lässt sich gut leben, sie ist ein Äquivalent dessen, was ich jeden Tag sowieso tue, leben und schreiben.
Neuerdings tue ich noch etwas anderes. Auch das ein Ereignis, das vom Himmel fiel, anders kann ich das nicht sehen, denn wenn mir vor vier Wochen jemand gesagt hätte, ich würde zum ersten März des Jahres 2010 mit 14 Wochenstunden als Lehrer an einer privaten, reformorientierten Grundschule arbeiten, hätte ich ihn für verrückt erklärt.
Aber so ist es. Die Schule hat 100 Kinder, und es ist nicht so, dass da morgens die Tür aufgeht, ein Lehrer tritt ein und dann geht Mathematik los oder sonst etwas, sondern so, dass es vernetzten Unterricht gibt, Projekte, an denen klassenübergreifend gearbeitet wird, so dass das Einzelne im Ganzen aufscheint und umgekehrt.
Mein Stundenplan lässt mir Zeit, die Dinge zu tun, die ich schon immer getan habe, heute zum Beispiel war ich zwischen 14.00 u. 16.00 in der Schule, morgen bin ich für zweieinhalb Stunden dort, donnerstags habe ich frei, und freitags bin zwischen 8.30 und 14.00 dort, montags von 8.30 - 12.30.
Geradezu befreiend erlebe ich, dass ich keine Geldsorge mehr habe. Es war in den letzten Monaten nicht so, dass ich von früh bis spät daran gedacht hätte, wie ich an Geld kommen könnte. Ich hatte keine schlaflosen Nächte, aber ich wusste, dass es höchstens noch ein Jahr so weitergehen könnte, bis dahin hätte etwas passieren müssen.
Zum Glück habe ich ja Romane in der Hinterhand. Zwei für Kinder, über die noch nicht entschieden ist, ich habe Lesungen, ich mache über Pfingsten diesen sehr gut bezahlten Hörspielworkshop im Literaturhotel Franzosenhohl (mit Pop Life Lesung), ich werde also überleben.
Meine Trauer nimmt nicht ab, aber ich arbeite daran, der Roman hat natürlich damit zu tun, aber Sie dürfen sicher sein, dass es kein lamoryantes Jammern wird, im Gegenteil, der Roman soll ein Fest werden, eines, das das Leben feiert, wie es ist, eines, das sich dem Tod nicht verschließt.
Ich habe vor zwei Jahren einmal ein Hörspiel geschrieben und produziert, das, von der Ernsthaftigkeit dieses Themas getragen, dennoch lachen lässt, und so soll Der Weltuntergang werden. Ich habe jetzt hundert Seiten, ich schätze, dass dreimal soviel werden, kann aber auch sein, dass ich bei zweihundert durch bin.
3.03.10 17:32
Man muss reden. Man muss die Dinge organisieren. Aber muss man so lange reden? Ich glaube, nein. Viel schneller erledigte das ein mit dem Vertrauen aller ausgestatteter Organisator. Er könnte eine eigene Stelle haben. Er säße da und täte nichts anderes, als zu organisieren.
Mir geht es gut.
Ich habe meinen Vertrag unterzeichnet.
Im Übrigen arbeitet der Frühling sich vor. Tastend noch, aber immerhin.normal null 115
übertrieben könnte
der mann behaupten
er habe glück
aber was wäre dann unglück
und hätte der mann nicht auch sagen können
es sei ihm misslungen
seit das misslingen erfunden wurde
und wäre nicht alles traum
hätte nicht jemand eingreifen müssen
und wissen wo der kopf steht
und dass knospen bald platzen
wer hat das verfügt und wo steht geschrieben
dass wind über land fegt und hätte der mann
nicht einen schal umlegen und sich aufhängen sollen
als letztens sommer war und sie ihn verließ
wahrscheinlich hätte es nirgendwo bäume gegeben
wären äste morsch in die tiefe gekracht
im konjuktiv hätte der mann niederlagen
in kleine zimmer gesperrt
und die hoffnung beschäftigt
ein jahr krummstäbe gebogen
wäre nie mehr warm geworden
nicht erfroren und hätte höchstens worte geerntet
und keiner wäre alt geworden
niemand wäre geboren und alles hätte für alle
ein ende gehabt aber so geht das nicht
alles wird immer anders und anderswo
ist es genauso
Do 4.03.10 15:13
Komme gerade von zwei Tatoo-Studios. Das eine eher ein Gothic-Tempel, wo eine junge Frau mich bediente, eigentlich (aus meiner Perspektive) eher ein Mädchen, tätowiert natürlich, und auf meine Ansage, ich sei auf der Suche nach einer klaren, kühlen Schrift für den Unterarm, sagt sie, sie machten eher was mit Schnörkeln.
Ob es denn Muster für Schriften gäbe, frage ich und sie sagt, ich solle mal bei Linotype.com nachschauen. Und wieviel das kosten würde, so ein Tatoo? So um die 150, sagt sie, Termine ab Mai. Mooo, sage ich, so viele Leute lassen sich stechen. Ja, sagt sie.
Im zweiten Studio riecht es nach Desinfektion. Heavy Metal auch dort, aber nur aus den Boxen, sonst eher postmodern kühl. Dort läge ein Termin noch weiter voraus, im August oder im September, aber sie stechen keine Namen von Lebenspartnern. Wieso? frage ich. Weil die Leute oft kämen, wenn sie den Lebenspartner geändert hätten, und verlangten, man solle das wieder wegmachen. Mein Lebenspartner ist tot, sage ich. Kurzes Zucken. Dann ginge das, sagt man.
Die Schriften, die sie vorrätig haben, gefallen mir auch nicht.
Auch hier rät man mir zu Linotype und jetzt habe ich zwei Schriften, die mir gefallen.
Die eine sieht so aus
CHRIS Black Arial, so ...
Chris
Die dritte, Copperplate Gothic, finde ich nicht.
Mal sehn, welche ich nehme.
Fr 5.03.10 15:37
Da sitzt also der alte Herr Mensing, der jetzt Lehrer geworden ist, halber Lehrer, um die Dinge zu präzisieren, sitzt da in einem Sessel und vier Kinder steigen auf ihm herum. Sie finden das lustig. Herr Mensing findet das auch.
Das ist immer so. Gibt man ihnen den kleinen Finger, hat man sie am Hals und sie hängen da und schmusen und toben und machen und tun. Herr Mensing hat das gern. Kinder sind das Schönste, was er sich vorstellen kann.
Heute früh hat er in der Kirche ein kleines Rollenspiel aufgeführt. Man hatte ihm einen Text gegeben, den hatte er ordentlich gekürzt, mit Dialogen versehen für ein Mädchen, das nie Zeit hat, für eine Hexe, deren Zeit abgelaufen ist, außerdem spielten mit: vier Steine, eine Katze, ein Maulwurf und ein Zeitmännchen.
The puclic was amused, und so geht er erst einmal ins Wochenende, hat Bier gekauft, gleich legt er sich aufs Sofa, obwohl, einkaufen sollte er noch, eine Maschine Wäsche rotiert gerade, eine hatte er heute früh schon gewaschen und gerade aufgehängt.
Aloha.
Sa 6.03.10 10:19normal null 116
der mann kam aus der stadt
es hatte geschneit
keiner hatte sich darüber gefreut
er hatte seinen sohn bei freunden abgesetzt
die ampeln blieb lange rot
der weg nachhause war nicht mehr weit
in seiner wohnung brannte licht
damit es so aussähe
aber der mann wusste
dass das nicht stimmt
er parkte vorm haus
stieg aus ging hinein
und grüßte die zimmer
er aß einen joghurt
sah die blumen
nahm die strickjacke vom haken
und ging mit ihr ins bett
mehr war nicht geblieben
am morgen stünden da keine geschenke
da wären keine gummibärchen und schokolinsen
da wären keine kerzen
da wäre nur die erinnerung
und so schlief er mit ihr
als er erwachte
war sie unters bett gerutscht
der schnee leuchtete
das neue jahr hatte begonnen
die suppe war vorbereitet
das bier stand auf dem balkon
und das leben lag zwischen den zeilen
er brühte sich einen kaffee
und dachte gleich wecke ich sie
gleich trage ich sie auf händen
und küsse sie von oben bis unten
gleich krieche ich zu ihr
und sage ihr dinge
dann kam die post
und das telefon schellte
und der mann fügte sich in die gegenwart
So. 7.03.10 4:13
normal null 117sieh an
sagt der mann
der gerade sein 62igstes jahr begonnen hat
guck mal
was so ein sack verträgt
vier joints, bowmore laproaigh
wein aus weiß ich nicht mehr
das kann er wegpacken
und auf einem bein stehen
er könnte jetzt vom balkon pissen
aber es regnet nicht
also würde es alle hören
die um diese zeit nicht schlafen
und so sitzt er auf dem sofa
freut sich still
über drei bis an den rand gefüllte schultüten
die man ihm geschenkt hat
und über die anderen dinge
die auf dem vertiko stehen
der mann hat den überblick verloren
aber es scheint
dass sie ihn lieben
und das freut ihn
er hat noch einen kaffe getrunken gerade
jetzt geht er ins bett
und schläft traumlos
aber aspirin ist nicht mehr im haus
das könnte ein problem werden nachher
eine letzte rauchen wir noch
sagt die freundin vom sohn
die wohnung ist aufgeräumt
der rauch verzieht
die musik hat feierabend
gleich kommt der morgen
der mann kam nicht
die handballerin hatte gekniffen
mit der wäre es vielleicht gegangen
14:16
Am Morgen danach
Mo 8.03.10 21:04
Der Tag ist verflogen. Das Frühlingsgefühl auch, jedenfalls das, was vor ein paar Tagen herum flirrte. Die Kinder haben mir heute einen Blumentopf voller Grüße geschenkt. Hätte gern ein bisschen geweint, hab es mir aber verkniffen. Ich bin gern in der Schule. Aber ich spüre schon, dass sie Zeit raubt und noch viel mehr Zeit rauben wird, wenn ich erst einmal so weit bin, mehr Verantwortung übernehmen zu können.
Im Augenblick bin ich eher der liebe alte Mann, der Spökes macht und hier und da beim Schreiben, Rechnen oder beim Spitzen von Speeren hilft, die in der Steinzeitgruppe mit heiligem Ernst bearbeitet werden. Das Konzept der Schule gefällt mir. Ich finde jedoch, dass die Leistungskontrolle nicht genügend verfolgt wird. Da wäre ich konsequenter und schärfer. Morgen ist Englisch, ich übernehme eine Einheit und werde wahrscheinlich mit Laptop und Mikro anrücken, damit sie mal hören können, wie sich das anhört, was sie so sagen.
Den Tag über war ich sehr müde, die Party hing mir noch in den Knochen, gestern beim Tanzen war ich unkonzentriert, aber mit dem Kugelblitz macht das nichts. Hatte mich heute mittag eigentlich erst einmal ein wenig hinlegen wollen, habe dann aber aus Sorge um meinen Roman gleich den Rechner hochgefahren und bis vor einer Stunde durchgearbeitet. Es braucht immer ein wenig Zeit, eh ich in Schwung komme, und da ich ja nun einen Beruf habe, einen fremdbestimmten Beruf, etwas, das ich in meinem bisherigen Leben nur aus der Erinnrung kannte, ist das freie Herumstreifen ein wenig eingeschränkt, wenngleich ich natürlich mit meinen 14 Wochenstunden nach wie vor ein höchst luxuriöses Leben führe. Aber wie gesagt, ich werde Verantwortung übernehmen müssen, und zwar jeden Tag etwas mehr, und dann könnte es kritisch werden.
Ich bin also sehr konzentriert augenblicklich, ich nähere mich 130 Seiten, und bin noch lange nicht fertig. Ich schreibe im Schnitt 4-5 Seiten pro Tag, da kann ich mir ausrechnen, wann ich wo bin. Das Gefühl für den Roman wird täglich besser. Ich nehme keinerlei Rücksichten mehr, weder auf mich noch auf sonst irgendwen. Die Zeiten sind vorbei. Ich erzähle auf Teufel komm raus. Das tut gut.
So. Ich habe gekocht, Max spült, ich mache Feierabend, lege mich aufs Sofa und schaue mir eine DVD an, die ich letzten Donnerstag begonnen hatte, aber dann kam der Geophysiker von nebenan, und wenn Gäste kommen, stelle ich den Fernseher grundsätzlich ab.
Gute Nacht für heute.
Di 9.03.10 20:06
Den Morgen über habe ich meinen Roman vorangetrieben. Ich bin jetzt auf Seite 130 . Ich kreise das Thema ein, nähere mich, um wieder Abstand zu nehmen und andere Geschichten zu erzählen, die dazugehören. Ich war Zeitmillionär, das bin ich nicht mehr.
Ich war Zeitmillionär, weil meine Frau jeden Tag zur Arbeit gegangen ist, und ich mit den Einkünften aus meinen Lesungen für bescheidenen Luxus da war, aber das ist leider vorbei. Ich bin jetzt ein Angestellter mit 14 Stunden Vertrag, und diese 14 Stunden fordern weit mehr. Ich lerne viel, aber meinen Roman lasse ich mir nicht aus den Händen nehmen, ganz gleich, was passiert.
Schön ist die Zuneigung der Kinder. Die mögen mich. Als wir gestern, ich hatte Aufsicht, als Zug mit vielen Anhängern (ich war die Lok) das Spielgelände der Kinder kreuzten, dachte ich, vielleicht sollte ich nichts anderes sein als ein Spökesmann. Aber dafür haben sie mich nicht eingestellt. Ich soll Lehrer sein. Ich wusste immer, dass das nicht einfach ist, deshalb bin ich es nie geworden, aber jetzt bin ich es, aus der Not geboren, und werde das Beste draus machen.
23:31
Amseln sangen, als ich mit dem Radt die Stadt verließ und Richtung Aa-See fuhr. Der Horizont war gerötet. Jogger hasteten um den See. Ich bin müde. Vielleicht noch immer von meiner Geburtstagsfeier. Vielleicht auch vom Radfahren, das habe ich lange nicht mehr getan, es war viel zu kalt und verschneit in den letzten zehn Wochen.
Mi 10.03.10 18:20
Wäre fast mit dem Rad zur Schule gefahren, fast, aber da sind doch noch Schneeflecken hier und da, nicht sehr groß, aber sie sind da, und dann dachte ich auch, hab noch so viel, was ich heute tun will, schreiben, bügeln, Gedichte für die Lesung aussuchen, kochen tut der Sohn, heute abend werde ich tanzen gehen. Vielleicht gehe ich tanzen, sagen wir's mal so, denn es könnte sein, dass ich nicht vom Rechner wegkomme, denn der Anfang für das 9 Kapitel fehlt noch, der erste Satz, der mich fort reißt, und den will ich spätestens morgen haben, denn morgen habe ich frei, morgen will ich mir den Arsch wund schreiben, Freitag ist Großelterntag, da gibt es viel zu organisieren in der Schule, über's Wochenende schreibe ich auch, mache Geburtstagsbesuche, dann ist schon wieder Montag und da beginnt das Projekt Erde, zu dem ich schon ein paar Ideen habe, und die muss ich vorbereiten.
Do 11.03.10 15:14
Da hab ich mir endlich einen neuen Funkwecker gekauft, und es sind keine Batterien dabei.
Ärgerlich sowas.
Als ich heute nacht in meine Straße einbog, war da, wo sonst ein Haus stand, das im Sommer von Malven umblüht wurde, die letzte Erinnerung an eine Zeit, als diese Straße noch ein Weg war, an dessen Ende das Haus einsam in Wiesen stand, ein Steinhaufen.
Ich hatte das vermutet, schon vor Wochen waren die Mieter ausgezogen, aber ich war trotzdem erschrocken. Sie werden da irgendeinen Mist hinbauen, groß genug ist das Grundstück, irgendjemand hat sich aufs Leben verschuldet und jetzt geht alles seinen sozialistischen Gang.
Schade, dachte ich. Kein schöner Steinhaufen.
Ich war durchgeschwitzt. Ich kam vom Hot Jazz. Die Freundin vom Kugelblitz war da, eine Tänzerin, die Salsa z eher als sportliche Herausforderung sieht. Mit der habe ich eine Reihe Tänze getanzt, dass ich schon fürchtete, zu kollabieren, stattdessen habe ich wahrscheinlich ein Kilo Körperfett verbrannt, wogegen ja nichts zu sagen ist.
Weiter im Text jetzt. Roman schreiben.
22:13
Gedichte sortiert für die Lesung morgen. Die, die auf jeden Fall gelesen werden, sind in der gelben Mappe. Die möglichen ind der blauen, alle übrigen in der roten. Außerdem lese ich ein Kapitel aus dem neuen Roman. Jetzt gleich lege ich mich schlafen.
Fr 12.03.10 17:03
Der Anzug ist gebügelt, die Eingangsmusik ausgewählt, der Bolero von Ravel, der mich an ein Konzert mit Weather Report in Düsseldorf erinnert, und am liebsten wäre mir, es wäre wie bei diesem Konzert, ich stünde auf der Bühne, denn es gibt ja eine Bühne heute abend, stünde da im Düsteren, und dann ertönte das Crescendo, ein Vorhang fiele, die Lichter gingen an, und ich begänne zu lesen. Keine Eingangsworte, keine Begrüßung, nur das Crescendo, das Licht und der Leser. Aber natürlich wird jemand reden wollen vorab, das kann ich nicht verhindern. Schön wäre, wenn möglichst viele Menschen kämen, aber ich erwarte erst einmal nichts.
Sa 13.03.10 00:34
Tja, was soll man sagen, zwei Mann von der Presse, die große Dorfzeitung schickt einen nach dem 1. Staatsexamen abgeschmierten Lehrer, die kleine Dorfzeitung, die früher als linke Dorfzeitung galt, eine Praktikantin. Dann noch die 25 Zuschauer, ein äußerst gesprächiger, freundlicher Hausmeister, die beiden Organisatorinnen, und Herr Mensing, oben auf dem Podest. Da sitzt er und liest und staunt, als sie das Gedicht normalnull 8 geradezu frenetisch beklatschen.
17:20
normal null 119
der mann
liebte kuchen
die aussahen wie brüste
er buk selbst
an wochenenden
bog sich sein vertiko
er buk sophia loren
und lara croft
die buk er besonders gern
da gab er sich mühe
und ließ der fantasie keinen lauf
vor allem bei brustwarzen
hatte er eine technik entwickelt
die die kunstwelt in den frühen siebzigern
photorealismus nannte
er buk mit durchscheinend feinen adern
und selbst feinstes haar wurde nachgebildet
aber das größte
das allergrößte
was er je gebacken hatte
(und nie aufgegessen, wie er nie kuchen aß, die er buk)
waren die brüste von dolly buster
in die war er vernarrt
die hatte er wieder und wieder gebacken
kleine törtchen große törtchen
selbst in plätzchenform tauchten sie auf
und dann eines tages
er hatte photos seiner kuchen im internet veröffentlich
schellte es
der greis hatte es nicht gern
wenn es schellte
er zögerte zur tür zu gehen
doch dann hörte er diese stimme
diesen slawischen akzent
und da wusste er
was die stunde geschlagen hatte
er öffnete
seitdem hat er nie mehr brüste gebacken
weil er einsehen musste
dass die natur selbst im alter
noch überraschungen für ihn bereit hielt
von denen er nie im leben geträumt hätte22:09
Das Projekt Erde ist vorbereitet. Herr M. ist müde.
Heute nachmittag 2 fette Stück Kuchen gegessen und zu schwarzen Kaffee getrunken, der immer noch nachpumpt. Morgen nachmittag nochmal Kuchen. Morgen abend tanzen und danach Essen mit Frau Platon. Der Roman ist auf Seite 140.
Mo 15.03.10 16:39
Wenn ich nicht aufpasse, fliegt mir die Woche unterm Arsch weg. Das kann sowohl ein gutes, als auch ein schlechtes Zeichen sein. Ich glaube, dass es ein gutes ist. Ich bin gern da, wo ich jetzt bin, es ist anstrengend, aber wie das so ist, Input bringt Output, und so habe ich nach einem turbulenten Morgen gleich nach meiner Rückkehr zwei Seiten Roman aus den Augen geschlagen, dass es nur funkte hat. Ich glaube, er wird dir gefallen.
Jetzt muss ich meine Einheit Erde vorbereiten, für die ich verantwortlich bin. Morgen ist Showtime. Ich werde mich bemühen. Ich habe so ein Gefühl, als läge das, was ich von Kindern halte, den Montessori Ideen sehr nah, ich bin quasi Montessori herself, bis auf den heiligen Humbug, aber für Kinder mag das angehen, für Kinder mag Gott eine gute Stütze sein, die Welt zu begreifen.
Dass sie sie nicht begreifen werden, merken sie früh genug.
Ich könnte jetzt auch noch ein Gedicht für dich raushauen, mache ich aber nicht, morgen vielleicht, ich habe noch zwei Maschinen Wäsche.
Ich vermisse dich jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde.
Ich liebe dich mehr als je.
Mach's gut, drück mir die Daumen, hörst du, ich werde gebraucht.
22:53
Ich kannte das Wort Feierabend bisher nur aus Erzählungen. Ich hatte nie einen, ich arbeite immer, jetzt habe ich einen, und arbeite immer noch immer. Jetzt zum Beispiel. Das ist aber nicht das, was ich erzählen will. Erzählen will ich von einem Theaterstück, dass eine Gruppe der Schule, an der ich jetzt arbeite, heute nachmittag im Festsaal des Stiftes Tilbeck aufgeführt hat.
Das Stück, Ergebnis eines Projektes über das Mittelalter, ein Schattenspiel, wurde in Zusammenarbeit mit Patienten des Stiftes realisiert. 6 bis 10 jährige Kinder spielten Szenen aus dem Mittelalter mit geistig Behinderten. Ich würde Bekloppte sagen, aber das darf ich nicht, das ist verboten. Ich fand das sehr beeindruckend. Und finde es wunderbar, dass Kinder mit Behinderten in Berührung sind. Das hilft beiden Seiten, fördert das Verständnis und bringt Lebensfreude.
Di 16.03.10 16:39
Harter Tag. Gegen 9:30 schellte das Telefon. Sah schon an der Nummer, dass es gefährlich werden würde, nahm dennoch ab, (was ich nie mehr tun werde), erfuhr, dass ich vertreten muss, war nicht vorbereitet, schlug in der Gruppe der größten Krawallmacher auf, und heute abend ist auch noch Elternabend. Ein Glück, dass morgen Mittwoch ist.
Mittwoch 16:58
feierabend
die köpfe
auf stangen reden ununterbrochen
bis einer aufsteht
und ihnen die schädel einschlägt
19:31
Geriet heute in eine äußerst fruchtbare Diskussion über die Elemente der Erde. Was da alles vermutet wurde. Und wie bereit die Kinder waren, sich auch auf philosophische Diskussionen einzulassen, zum Beispiel darüber, dass man in die Vergangenheit schaut, wenn man in den Himmel guckt. Das war sehr schön. Ich bin da gut aufgehoben, und in einem halben Jahr gibt es Gehaltserhöhung. Da freut sich der alte Mann und denkt, vielleicht wird es ja doch noch was mit der Rente.
21:07
Neues Gedicht....
Do 18.03. 18:43
Wann immer ich erzähle, was ich jetzt tue, gratuliert man mir. Man freut sich mit mir. Darüber freue ich mich. Ich habe jetzt finanzielle Sicherheit. Aber dich habe ich nicht mehr.
Fr 19.03.10 8:19
Gleich eine Einheit über die Erde, über Gravitation, über Gewicht, Masse, über spezifisches Gewicht, darüber, warum manche Dinge schwimmen und andere nicht. Also Physik für Kinder. Tricky. Habe mir aber ein paar Aktionen ausgedacht, um zu demonstrieren, warum manche Dinge schwimmen und andere nicht, wie Erdanziehung funktioniert, warum manche Dinge weiter fliegen als andere, wie es sich mit der sogenannten Schwerelosigkeit verhält. Bin gespannt, ob ich das hinbringe.
15:16
Kaum zurück, schellt es. Meine Vermieterin steht vor der Tür. Es ist das die vierte oder fünfte Mal in den letzten Wochen. Sie lacht und meint, sie habe etwas mitgebracht. Max und ich stehen stolz in der Tür, weil wir wissen, wie sehr sie uns mag. Wir sollen aber nun nicht lachen, sagt sie, denn sie habe Dinge gekauft, die wir Männer vielleicht vergäßen. Dinge für den Haushalt. Wir sind Profis, Max und ich, sage ich, wir vergessen nichts. Ja, aber weil ich mich so freue, dass Sie jetzt eine Arbeit haben und hier wohnen bleiben, sagt die Vermieterin und reicht mir eine bis an den Rand gefüllte Tasche. Darin sind drei Flaschen verschiedener Reiningungsmittel, eine Flasche Bio-Olivenöl, eine Dose Fisch in Tomatensauce, eine Tafel Schokolade, ein Aufnehmer und zwei Tüten Suppe. Vorgestern brachte sie eine Flasche Sekt und eine Max Planck Biografie.
15:45
Finde in meinem Briefkasten gerade eine Weihnachtskarte von Uli und Stella aus Berlin und einen von mir allerdings falsch adressierten Brief vom 15.12.09. Die DHL ist worldwide die erste Adresse für Logistic, das wusste ich schon immer, jetzt habe ich den Beweis.
20:06
Blind an den CD Ständer, CD herausgegriffen, nicht drauf geschaut, mit geschlossenen Augen eingeschoben, auf Start gedrückt, und was kam: Herbert Grönemeyer Unplugged. Höre den dann und wann ganz gern.
Meine Exkurse über Erde, Erdanziehung und all diese komplexen Dingen waren ganz lustig. Das A und O dieser Schule aber scheinen Arbeitsblätter, ohne Arbeitsblatt kein Glück, ohne Glück kein Lernerfolg, ich aber hatte extra keine Arbeitsblätter gemacht, weil ich dachte, ich löse das in Aktionen. Eine davon war ein Marmeladenglas, das ich auswiegen ließ, es wog 250 Gramm. Legte das in eine Schüssel voll Wasser. Es schwamm. Dann forderte ich die Kinder auf, die Gewichte, insgesamt 5 a 50 Gramm, auch aufs Wasser zu legen. Die schwammen natürlich nicht. Lebhafte Diskussion.
Dann die Demonstration zu Fliehkraft versus Erdanziehungskraft. Machte mit mehreren Kindern Ringelrein, bis sie sich in die Luft erhoben. Auch schön. Schwerkraft, so die Meinung, sei im Wasser nicht vorhanden. Das zu widerlegen, war nicht ganz einfach. Dennoch gelang es.
Las während des Mittagessens aus Paul Maar's Sams. Gutes Buch, viele Lacher, vor allem aber ebbt der Lärm ab, wenn während des Essens jemand liest. Wurde um Zugabe gebeten, ließ das aber. Montag geht es in die Christenwoche. Kann es nicht ändern, der ganze Schnack von Jesus etc. pp. Zum Glück habe ich mich auf eine Geschichte festgelegt, eine Geschichte über einen Osterhasen, der sein Geschäft vorbereitet und darüber ein wenig ins Schwimmen gerät. Diesmal jede Menge Arbeitsblätter etc. pp. Bin gespannt, denn die Geschichte läuft zeigleich in allen Gruppen. Halleluja.
Heute nachmittag Besuch von den kosovarischen Albanern aus dem Nachbarhaus. Nette Leute, mit denen ich dann und wann Kaffee trinke. Emine erzählte von ihrem Sohn, der eine deutsche Freundin hat und dort eingeladen war. Es gab etwas zu essen. Natürlich Schwein, und das darf er als Muslim ja nicht essen. Nicht einfach, so ein Leben mit Migrationshintergrund. Anschließend Wäsche gewaschen, Wäsche aufgehängt und die Wäsche der letzten Wochen, drei Maschinen, von der Leine genommen und gebügelt.
Genug jetzt von Herbert. Muss was anderes hören. Feierabend.
Sa 20.03.10 11:16
Frühling
Frühling, Frühling,
Grillen zirpen jetzt noch nicht,
aber Falter flattern froh,
Regen pladdert, Meister M. sitzt auf dem Klo,
bammelt unter ihm ein Leichtgewicht?Nein, mitnichten, dicke Klöten
wackeln sanft in sei'm Gekröse.
Rumms, ein Aufwind geht ihm flöten
Frühlings-fröhliches Getöse.O, wie wohl ist ihm beim Kacken,
und wie weit ist Panama,
lohnt es sich, ihn abzuhacken,
oder lässt er'n besser da?Fragen, Fragen über Fragen,
keiner weiß die Antwort nicht,
könnte er sie selber sagen,
bräuchte er die Fragen nicht.Bräuchte wohl nur aufzuschauen,
sehen, wie der Himmel strahlt,
säh die Wolken Türme bauen,
hätt' die Welt genarrt.Hätte allen Sinn dahin gegeben,
und sich Arbeit auf den Leib gepackt,
hätte nicht so angegeben,
wäre nie in Bitterkeit versackt.Sei's drum, heute wird zurück gerudert,
es wird alles anders, das verspricht er euch,
heute wird sein Antlitz frisch gepudert,
dafür legt er jetzt ins Zeug ... (to be continued)17:20
Ich kenne den Schreck. Ich kenne ihn, seit ich schreibe. Ich zucke zurück und fürchte mich. Ich bin überzeugt, dass dieser Satz der letzte war. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es weitergehen soll, obwohl ich die Geschichte kenne, die ich erzählen will. Aber der nächste Satz will nicht kommen. Der nächste Satz scheint weiter entfernt als alles, was ich je geschrieben habe, und dann schreibe ich ihn. Er ist falsch. Schon, während ich ihn beginne, weiß ich, dass er zu nichts führt. Er hat nicht die Kraft, eine Lawine zu lösen. Also flüchte ich. Also bejammere ich mein Schicksal, aus und vorbei, denke ich, ich bin überzeugt, dass es aus und vorbei ist, ein für alle Male, ich weiß, dass ich mich schon tausendmal so gefühlt habe, trotzdem fühle ich es wieder. Es ist die Müdigkeit, denke ich diesmal, die Arbeit in der Schule raubt Kraft und ich hatte mich so auf das Wochenende gefreut, ich hatte gedacht, okay, Feierabend, Rechner hochfahren, Datei laden, weiter schreiben.
Aber so geht das nicht. Gestern abend war ich noch überzeugt, dass ich den richtigen Satz hätte. Heute macht er kaum Sinn. Bis vor zehn Minuten saß ich eher verzweifelt und dachte, aha, das ist der Preis für ein monatliches Gehalt, ich hatte es sowieso befürchtet, mein Kopf ist voll von Schule, Mist, dass es mich gerade jetzt trifft, jetzt, wo ich mitten in einem Roman stecke. Ich hatte heute früh schon versucht, anzufangen. Aber ich war zu müde. Ich hatte mich aufs Sofa gelegt. Dann hatte ich in die Stadt fahren wollen, um mir die neue Peter Gabriel CD zu kaufen. Ich war zu faul. Ich hatte mich wieder aufs Sofa gelegt. Dann ging ich einkaufen. Die Luft ist so schwer und mild heute, hin und wieder fallen dicke Regentropfen, die Vögel singen aus vollem Hals, aber die Sätze singen nicht. Und dann kommt er doch, dieser Satz. Jetzt steht er da und wartet. Aber jetzt werde ich erst einmal die Rouladen vorbereiten, die Klöße kochen, dann werden wir essen, dann fahre ich auf eine Geburtstagsparty, und morgen ... wer weiß, was morgen ist. Morgen vielleicht. Wenn der Satz morgen noch Sinn macht, könnte ich zwei, drei Seiten schaffen. Ich weiß, ich weiß, es war immer so. Immer dieses Hangeln von Satz und Satz, hin und wieder plötzlicher Schwung, der für ein paar Seiten am Stück reicht, dann wieder düsterstes Nichts.
So 21.03.10 10:58
Als die Party vorüber war, setzte ich mich auf mein Rad und machte mich auf den Heimweg. Die Nacht war ungewöhnlich mild, ein Sichelmond schnitt durch ein Wolkenloch und verschwand. Ampeln sprangen von Grün auf Rot und von Rot auf Grün, Nachtigallen sangen, in einem Restaurant am See wurde gefeiert, Stimmen, Musik, Tänzer.
Kaninchen huschten durch den Lichtkegel meiner Lampe, sogar Angler waren schon wieder unterwegs, ich sah ihre Stirnlampen am gegenüberliegenden Ufer, dann begann schwerer Regen zu fallen. Ich nahm meine Mütze vom Kopf, damit er mich kühlt.
Ich dachte, wie schön so ein Frühlingsregen ist, wie er erfrischt und die Gedanken klärt, wie er mich tröstet, denn schließlich war ich allein unterwegs und würde mein Bett mit niemandem teilen, obwohl ich nichts lieber täte, als einmal wieder mit jemandem einzuschlafen und aufzuwachen, mehr nicht, nur einzuschlafen und aufzuwachen, aber die, mit der ich es mir vorstellen könnte, hat einen Freund, und die andere einen Mann.
Der Regen wurde stärker und stärker, so dass ich irgendwann mein Regencape überzog, aber da war ich längst nass. Pitschnass war ich, als ich zuhause ankam, zog mich aus, kroch unter die Bettdecke, das Fenster stand weit offen, das Platschen des Regens war beruhigend, und so schlief ich ein.
Ich werde weiter auf Partys gehen, ich werde weiter davon träumen, einmal wieder mit jemandem einzuschlafen und aufzuwachen, aber das wird wohl ein Traum bleiben. Stattdessen wird man mit mir ins Theater gehen, was auch schön ist. Man wird mich einladen. Vielleicht wird man sagen, er kann schöne Geschenke aussuchen, ich weiß nicht, was man sagen wird, ich weiß nur, dass ich meinen Kaffee allein trinke, dass ich meinen Tag mit mir verbringe, mit mir, mit meinem Roman, mit der vor mir liegenden nächste Woche, mit der Angst vorm nächsten Satz und den Träumen von schönen Frauen, denen ich Kaffee ans Bett bringen kann.
Mo 22.03.10 13:10
Der Kugelblitz tanzt besser als alle anderen, hat aber die Tendenz zum Ehrgeiz. Deshalb ist es gut, dass er mit mir tanzt, ich habe nämlich keinen Ehrgeiz. Ich will nur tanzen, so wie die großen Hunde nur spielen wollen. Am Mittwoch aber, das haben der Kugelblitz und ich uns geschworen, werden wir den Laden in Grund und Boden salsen. Darauf freue ich mich.
Jetzt aber ist Feierabend. Wir haben über Ostern gesprochen. Jesus kommt nach Jerusalem. Die Menschen sind freudig erregt. Die Römer fürchten einen Aufstand. Sie schicken Spione. Sie verabreden eine Strategie. Wie kann man ihn am besten gefangen nehmen. Wann und wo soll das geschehen. Jesus räumt indes den Tempel auf. Für Kinder sind das sehr schöne Geschichten. Einen alten Sack wie mich rühren sie weniger. Ich weiß ja, was wir daraus gemacht haben.
Soviel zum Morgen in der Schule.
Jetzt wird die Wohnung aufgeräumt, dann wird Roman geschrieben.
22:18
Gegen 17:45 nahm mein Roman eine überraschende Wende. Nicht, dass ich nicht jeden Tag staunte über die Volten, die so ein Roman schlägt, wenn man sich ihm erst einmal stellt, aber diese war atemberaubend. Sie bringt mir die nächsten dreißig Seiten. Das beruhigt, denn die Ferien rücken näher, und da werde ich mit allen Mitteln der Kunst klotzen. Andererseits sind Ferien natürlich Ferien.
Und kaum habe ich die ersten Sätze dieser Volte skizziert, damit sie mir nicht durch die Finger flutscht, weil nichts schneller verschwindet als eine gute Idee, klingelt das Telefon und man bietet mir vier unverschämt gut bezahlte Lesungen an aufeinander folgenden Sommerabenden an einem See im nahen Niedersachsen.
Das freut den Meister, das tut er erstens gern, zweitens könnte ihm diese Gage leicht eine Fernreise mit bestem Hotel finanzieren, falls er denn fern reisen würde und eine Begleiterin hätte, so aber weiß er noch nicht, was er mit dem ganzen Geld anfangen soll.
Zur Bank bringen etwa, die ihm 0,5 Prozent auf ein Sparbuch und umwerfende 0,9 Prozent auf ein Tagesgeldkonto bietet. Dafür müsste ich Sie eigentlich erschießen, sagt Herr M. zur der Sparkassenangestellten, aber Sie sind ja auch nur angestellt. Sie lächelt, wohl wissend, was für eine Sauerei das ist. 17 Prozent zahlt Herr M. für seinen Dispo. Er hat nichts gegen Gebühren für diesen Service, er nimmt ihn gern in Anspruch, aber 17% sind happig, und werden doppelt unverschämt, wenn man sie in Bezug zu den Haben-Zinsen setzt.
Dienstag, 23.03.10 11:00
nachrichten für die liebenden
geht einer raus
der schon alles hat
nur das eine nicht
deshalb war er reingekommen
hatte sich umgeschaut
ob es da ist
aber es war nicht da
dann hatte er diese flasche gesehen
auf der flasche stand schnaps
aber solche flaschen gibt es gar nicht
auf schnapsflaschen steht nie schnaps
auf solchen flaschen steht korn oder whiskey
bei den armen steht wermut drauf
aber auf dieser flasche stand schnaps
da war er neugierig geworden und hatte sie eingesteckt
jetzt geht er zum bahnhof
wo die züge kopf stehen
und die weinenden freudentänze aufführen
setzt sich auf eine bank in der nichtraucherzone
und beginnt zu trinken
gleich nach dem ersten schluck weiß er
dass etwas nicht stimmt
nach dem zweiten fällt er vornüber
die züge entspannen sich
die vor freude tanzenden greifen zu baseballschlägern
die sonne hat kein mitleid
und sein blut fließt über den bahnsteig zum meer
so ist sein besuch ausgegangen
wenn er noch lebte
würde er davon erzählen
wie er einmal wo rein kam
wo keine krähe saß
und die buchstaben aus den regalen fielen
aber das meer ist rot jetzt
und der bahnsteig wurde zusammen gefaltet
die krähen rupften den himmel
und die schnapsflaschen treiben
mit nachrichten für die liebenden
auf der flut20:10
normal null 127
vorm deich
saßen zwei männer mit angeln
der eine angelte immer
der andere nie
den ersten fisch fing der andere
der angler war eifersüchtig
anfängerglück sagte er
da packte den anfänger der ehrgeiz
und er fing nichts mehr
die sechs schollen
aßen sie abends in butter
dazu grünen salat
mit muttis sauce
ganz einfach die sauce und lecker
zitrone, öl, zucker, sahne, salz, pfeffer, geriebene rote zwiebel
die schollen schmeckten
bis der angler an einer gräte erstickte
da rief der eine die polizei
sagte alles
fuhr nach hause
und träumte vom angler
Do 24.03.10 9:30
wiederholungstäter
am schreibtisch
sitzt ein mann und weiß nicht
was ein dichter ist
er ruft überall an
einer sagt
ein dichter ist berühmt
ein anderer
ein dichter träumt unsere träume
ein dritter behauptet
ein dichter sei nicht ganz dicht
der mann nimmt ein blatt papier
und malt einen mann
der mann hat vier ohren
und einen riesengroßen mund
das ist ein dichter
schreibt der mann auf das blatt
er ist nicht berühmt
er ist nicht ganz dicht
und gestern hat er es wieder getan
er ist ein wiederholungstäter
man muss ihn einsperren
also ruft er die polizei
und behauptet er wäre ein dichter
das geht uns nichts an
sagt die polizei
oder ist gefahr im verzug
ja sagt der mann
bei dichtern ist immer gefahr
18:12
das dilemma
ich will nicht arbeiten
dachte der mann mit zwei köpfen
aber er hatte die rechnung ohne den linken gemacht
der dem rechten kopf widersprach
der linke versuchte ihn abzuschlagen
aber der rechte dominierte die gliedmaßen
der linke versuchte den rechten zu ertränken
aber das führte zu nichts
denn als sich der rechte verschluckte
verschluckte sich auch der linke
so entkamen beide nur knapp dem tod
was dem ziel näher als alles andere war
aber das begriff der linke kopf nicht
der rechte war klüger als er
der arbeitete gern
so entstand das dilemma
und ist seitdem auf der welt
ein grausames gespenst
dem niemand entkommt
Do 25.03.10 9:25
Ich habe es schon wieder getan. Ich muss aufpassen. Wenn sie mich erwischen, bin ich dran. Schuld ist mein vulgäres Sprachgen. Ich sage Arschloch, ohne zu wissen, dass ich es sage. Ich sage, pass auf du Arschloch, dich kriege ich noch. Und dann fällt mir auf, was ich gesagt habe. Das ist pädagogisch nicht wertvoll, aber gefühlt richtig. Ich bin wie ein Kind. Und wenn mich ein anderes Kind reizt, sage ich sowas. Ich hatte das Problem schon, als ich Referendar war. Da habe ich einmal vor versammelter Klasse so etwas gesagt und hatte anschließend Ärger.
Heute habe ich frei, morgen ist der letzte Tag, dann gehe ich in die Ferien und staune, dass ich schon fünf Wochen Schule hinter mir habe. Ich wäre lieber das, was ich vorher war, frei schaffend, ungebunden durch den Tag treibend, aber es ist nicht zu ändern.
Ich muss ja Miete zahlen wie alle anderen auch. Es ist nicht so, dass ich das, was ich jetzt tue, nicht gern täte. Im Gegenteil. Aber es treibt mich auf meiner Scholle fort von dem Land, in dem ich mich am wohlsten fühle. Bleibt also nichts, als den Roman jetzt Seite für Seite zu strukturieren, Erzählzeit, erzählte Zeit, ich werde einen minutiösen Plan erstellen, anders werde ich ihm nicht gerecht, denn das freie Assoziieren wird selbst durch 14 Wochenstunden massiv eingeschränkt.
Am Schlimmsten finde ich die Mitarbeiterkonferenz, die einmal pro Woche stattfindet. Du brummt mir der Kopf schon nach fünf Minuten. Mein Vorschlag, die Dinge zu straffen, das Wichtige gleich zu Anfang zu besprechen, kollidiert mit all den Themen, die es über die Woche auf die Flipchart geschafft habe. Immer ist irgendwo etwas, und dann reden alle und das, was wirklich wichtig ist, wird dann in den letzten 15 Minuten zerhackt.
Also, die Sonne scheint, die kurze Form, das Gedicht, bringt ein wenig Entlastung, einkaufen jetzt, ein DIN-A-4 Heft kaufen, den Roman strukturieren und dann zwei Wochen lang reinklotzen, reinklotzen, reinklotzen.
21:06
der zahnarzt
hat apparate für kleine und große erschütterungen
der pastor auch
ich habe nichts
nur erschütterungen
Fr 26.03.10 17:05
Nach Erkältungsbad schlapp wie ein Lappen.
23:58
ich bin ein alter schriftsteller
ich stelle schrift wie ich will
und trage die volle verantwortung
ich bin ein alter schriftsteller
ich hebe jedes wort
wenn es da ist
ich bin ein alter schriftsteller
und schreibe mich bis ans ende des lebens
das ist das schöne
das schreckliche ist
dass ich nichts weiß
alte schriftsteller sind immer da
und unterscheiden sich nicht
alte schriftsteller haben alte füße
alte köpfe und alte geschlechtsteile
aber die sind nicht schlechter
als junge geschlechtsteile
nur nicht mehr so schnell
ich bin ein junger schriftsteller
der jetzt alt ist und träumt
allerdings träume ich jünger als viele alte
träume trümmer und neubauten
und weiß nichts von architektur
so ist das mit alten schriftstellern
alles andere stimmt nicht
Sa 27.03.10 11:04
ich bin ein alter schriftsteller und liege im bett
als das mobiltelefon eine nachricht meldet
frau platon grüßt und wünscht schöne ferien
sofort bin ich glücklich
schiebe die grippe ans fußende
und bin fast wieder gesund
habe pläne für dies und das
sehnsüchte galoppieren zum fenster hinaus
aber frau platon hat anderes vor
will den achterhoek leer shoppen
und sich von mama beschmusen lassen
schade denke ich
das hätte ich tun können
aber frau platon ist jung
und hat einen jungen freund
ich bin alt und habe eine tote frau
außerdem greift mich die leidenschaft nicht mehr so schnell
und alleinsein hat auch sein gutes
ich weiß jetzt was schrecken sind
ich weiß was verlust ist
ich weiß wie salzig das leben schmeckt
wenn es die wangen hinab rinnt
ich bin ein alter schriftsteller
trinke eine kanne kaffee
ich habe pläne mit alten männern
wir treffen uns nächste woche
und machen eine nacht lang radau zum vollmond
wir werden trinken und kiffen und sehr erschöpft sein
und weiter träumen bis einer tot umfällt
23:24
ich sitze in block b reihe 3
und verstehe nichts
ich warte bis die bilder verschwimmen
bis musik und bühne nur noch
von tanzenden schatten bevölkert sind
und dann sehe ich sie neben mir
ich weiß dass sie es nicht ist
sie ist tot
aber sie sitzt neben mir
ich spüre ihren oberarm an meinem
so ein theater ist eng
ich schaue nicht hin
ich will die illusion nicht zerstören
ich schaue aus augenwinkeln
und die bestätigen alles
sie ist es
sie ist gekommen um neben mir zu sitzen
sie heißt anders
sie ist jünger
sie sieht nicht so aus wie sie
sie kennt meinen namen nicht und nicht meine geheimen orte
aber es gibt keinen zweifel
sie sitzt neben mir
alles stimmt
ich weine still und mag kaum noch atmen
Mo 29.03.10 11:39
Ich habe Ferien, aber die Schule hallt nach. Es fühlt sich an, als vermisste ich sie bereits. Dabei bin ich das Alleinsein in einer Wohnung gewöhnt. Ich habe mein Leben hier verbracht, ich habe die Kinder groß gezogen. Jetzt liegen die ersten vier Wochen Schule hinter mir und ich staune. Auf dem Wohnzimmertisch liegt mein Roman. Ich extrahiere seine Struktur, damit ich morgen oder übermorgen weiterschreiben kann. Auf jeder Seite finde ich Motive, die ich aufnehmen kann. Retrospektiven, Ausflüge in die Zukunft, alles ist möglich, noch aber dröhnt es in meinem Kopf. Vierzehn Tag Ferien hört sich ewig an, aber sie fliegen, das weiß ich jetzt schon. Also nicht die Nerven verlieren. Ruhig einen Schritt nach dem anderen tun. So wird es gehen.
Di 30.03.10 19:51
Gehadert, ein paar Zeilen geschrieben, gehadert, aufs Rad gesetzt, über Land stadteinwärts geradelt, Hasen gesehen, Rehe gesehen, umeinander flatternde Vögel gesehen, Knospen gesehen und gedacht, Scheiße Frühling, ich hätte dich lieber zusammen mit dir. Jacke gekauft, Eis gegessen, gedacht, jeden Tag jährt sich jetzt irgendetwas, nach Hause gefahren und sieben Seiten geschrieben. Ob sie etwas taugen, sehe ich morgen.
Mi 31.03.10 13:42
Noch einmal so viele Seiten geschrieben. Jetzt wird gestaubsaugt, ein bisschen geputzt, jetzt wird der wilde Frühlingsblues vertrieben, der mir seit Tagen im Nacken sitzt, dieses verzweifelte Einsehenmüssen, dass alles ist und nichts mehr so wird, wie es war, und dass die, die mir am nächsten sind, keine Fragen stellen und ich einen Teufel tun werde, mich aufzudrängen, darauf müssen sie schon selbst kommen.
Und morgen wird in die Geschichtsbücher geschrieben, dass vier alte Männer auf einem Bauernhof in Ostbevern sich ganz und gar und gegen jede Regel daneben benahmen, nichts peinlich fanden, ihre Verstärker bis zur Schmerzgrenze aufdrehten und so lange schrieen, bis einer sagte, ich kann nicht mehr, ich hau mich jetzt hin.
16:32
Für drei Konzerte habe ich Karten. Alan Holdsworth in Münster, the Notwist in Bielefeld und Motorspycho in Köln.
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