März 2024 www.hermann-mensing.demensing literatur
Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de
zum letzten eintrag
Fr 1.03.24 11:00 grau
Grau ist eine unbunte Farbe. Da sie in diesen Breitengraden häufig vorkommt, muss man sich fragen, was sie bei Menschen anrichtet. Ich habe die grauen Tage seit Oktober gezählt und komme auf 77. Wahrscheinlich sind es noch vierzehn mehr, aber da war ich auf Mallorca, wo bis auf einen Tag die Sonne schien.
18:22
Gegen Mittag Aufhellung. Jetzt Sonnenuntergang mit leichter Färbung des Horizontes. Das lässt hoffen. Ansonsten nach wie vor sprachlos. Alle können mich mal.
So 3.03.24 20:23
Hab mich in den Zug gesetzt, bin nach Osnabrück gefahren, vom Bahnhof zum Blue Note gelaufen, um Tango zu tanzen, aber kaum bin ich da, springt mich der Tango Blues an, ich kann es nicht hören, ich kann es nicht sehen, alles geht mir auf die Nerven, ich esse was, trinke was, und hau wieder ab. Kommt dann und wann vor. Hätte gar nicht erst fahren sollen.
Mo 4.03.24 22:14 grau
Aufmerksamkeitsspanne: Null.
Interesse an irgendetwas: Null
Di 5.03.24 23:07 grau
noch worte
vor 75? ja. worte:
ich, männlich (er/ihm/wie/ihr/sie)
genderresistent
verfüge 52 minuten vor 75
dass liebe herrsche
nichts sonst
alles andere wird abgeschafft
Mi 6.03.24 15:07 licht bewölkt
Ich glaube, es war im letzten Jahr, als das CfL (Center for Literature), mein damaliger Arbeitgeber, einen zwei oder drei Tage dauernden Teambildung Workshop veranstaltete. Große Themen wurden verhackstückt, Spiele gespielt, alle nach Regeln eines psychologischen Hokuspokus, der nichts weiter ist als Hokuspokus, wenn er nicht in den Alltag übertragen wird. Wie der Alltag der Wertschätzung aussieht, habe ich in den fünf Jahren meiner Arbeit für das CfL mehrfach erfahren: es gab sie nicht. Und als ich vor vierzehn Tagen, kaum aus dem Urlaub zurück, eine Mail bekam, in der man mich zu einem Einzelgespräch einlud, ahnte ich nichts Gutes. Als dann heraus war, dass man mich feuern, aber als Freien Mitarbeiter (keine Sozialabgaben etc.) weiterbeschäftigen wollte, habe ich eine Weile gebraucht, eh ich endgültig reagieren konnte. Der Hintergrund dieser Kündigung wurde nicht genannt, man verwies aber auf Förderungsgelder, die nur gezahlt würden, wenn bestimmte Richtlinien der Diversität eingehalten würden. Das CfL ist Meister der großen Worte, man gendert bis zur Lächerlichkeit. Briefe werden ja nach Zugehörigkeit zur geschlechtlichen Identität mit weiblich sie/ihr bzw. männlich er/ihm unterzeichnet. Heute habe ich das Angebot der freien Mitarbeit abgelehnt. Die Angebote des CfL, hochambitioniert, werden nur von einem sehr elitären Kreis wahr- und angenommen, aber von ihm selbst gefeiert. Mal sehn, wie lange das gut geht, die Geschäftsführung an sich selbst scheitert und lernt, was Wertschätzung bedeutet.
Do 7.03.24 18:10 leicht bewölkt, frisch
Mein Geburtstag war ein schöner Tag. Ich wurde abgenabelt, bildete mich, reiste, studierte, schrieb und war abends 75.
19:45
Lenz hatte über etwas nachgedacht, das Lora und ihn beschenkt, herausfordert, die üblichen Fluchtwege abschneidet und konfrontiert. Das brachte eine Reise ins Spiel. Wohin? Es sollte schön sein. Sie suchten und fanden zwei Orte. Einen links, einen rechts. Sie suchten Unterkünfte. Ist doch schön, oder? Lenz stimmte zu. Sie suchten einen Flug. Lenz buchte. Sie flogen los. Lora genoss. Lenz hoffte, dass sie improvisieren lernt und Plänen abschwört, die sie jede Stunde ent- und verwirft. Lenz glaubt, er könne sie zu etwas bewegen, was sie nicht kann. Lora glaubt, sie könne Lenz bewegen. Sie bewegen sich, geben es aber nicht zu. Sie reden sich schön. Sie sind schön Sie schweigen sich an und lachen sich tot. Sie gehen. Lenz ist schneller als sie. Lora sieht mehr. Lenz liebt Lora. Lenz hasst sie. Lenz kann Lora von der Klippe stoßen. Lora kann ihn ins schwarze Loch stürzen. Lebten beide allein, gäbe es andere Lügen. Was Lora in Lenz sieht, weiß Lenz nicht. Er weiß gar nichts. Aber morgen fängt er wieder an, Literatur draus zu machen. Ihm ist schlecht.
Fr 8.03.24 21:20 sonnig, windkalt
war schön gewesen
war es
schön und kalt
war auch gewesen
und sonne war
tatsächlich sonne
war beim arzt gewesen
blut nieren leber gut
ist gut gewesen
feierabend jetzt
und schöne grüsze. M.
demnächst dann prostata
und darm
Mo 11.03.24 14:38 grau, feucht
die forsythie blüht
die magnolie blüht bald
wer weiß
was uns sonat noch blüht
Di 12.03.24 13:16 grau, feucht
breit wie eine heidewachtel
nahm ich einen schmalen spachtel
füllte die hirnanhangsdrüse
mit erstklassigem gemüse
spachelte mit botox falten
in den alten formidablen leib
spachelte den pillermann
dass er nicht mehr tropfen kann
griff dann forsch zur axt und schlug
einen spalt in lug und trug
gab die blutenden ganoven
meinen schweinen zum verzehr
zog den sessel vor den ofen
goß mir ardmore ein und will jetzt
gar nichts mehr (lüge)
Mi 13.03.24 17:07 grau, feucht
während sie töten
und getötet werden
verblöden wir
und fahren selt'ne erden
wir streiten über gender issues
und hören abendliche bad news
wir revoltieren nicht
wir warten ab
die andren liegen längst
im massengrab
Do 14.03.24 21:48 sonnig, spürbarer südost
Acht Kilometer vor Ende meiner Tour waren wieder Bäuche zu sehen, einer, der besser unsichtbar geblieben wäre, aber gezeigt werden musste. Ich saß auf einer Mauer in der Stubengasse. Die Sonne schien. Zum ersten Mal, seit ich aus Mallorca zurück bin, eine verlässliche Sonne. Gleich nach dem Frühstück hatte ich mich aufs Rad gesetzt. Die erste größere Tour dieses Jahres. Ich bin sie schon oft gefahren, es sind knapp 60 Kilometer. Ich hielt mich südostwärts, fuhr durchs Wäldchen am Sportplatz Albachten vorbei, überquerte die Bahn und die A43, streifte die Grafschaft, überquerte den Kappenberger Damm und bog am Restaurant Tito links ab. Ein trostloser, großer Backsteinbau übers Eck mit fünf Autos im Hof und jeder Menge achtlos abgestellter Räder. Ich hatte nicht den Eindruck, dass hier etwas gastfreundliches stattfindet oder je stattgefunden hätte. Schräg gegenüber, wo ich 78 einen Mazda kaufte, traf ich den Sohn des Apothekers auf der Bahnhofstraße in Gronau. Er spielt Klarinette. Ich hatte ihn fünf Jahre nicht gesehen. Er glaubte, ich sei immer noch Dorfschreiber in Everswinkel. Ich folge dem Dortmund-Emskanal, biege am Hotel Krautkrämer, in dem die Rolling Stones wohnten, als sie 1965 in Münster spielten, links ab. Ein seltsam verunglückter, bayerische Architektur nachahmender Bau, jetzt ein Best Western. Durch die Hohe Ward, wo wir letzten Herbst Steinpilze fanden. Feuchte, matschige Wege, zudem wurden bis zum Wasserwerk lange schwarze Rohre verlegt, Durchmesser ca. 80 Zentimeter. Gegenüber vom längst aufgegebenen Gasthof in Albersloh, in dem in den Siebzigern eine legendäre WG herrschte, ist eine Eisdiele mit Terrasse über der Werse. Vanille, Nuss, Sahne, Cappuccino. Es war Mittag. Ich folgte der Werse bis zur Pleistermühle. Eine Reihe großer Buchen links und rechts des Flusses haben dem in den letzten Monaten ständig wechselnden Pegeln nicht widerstanden, sie sind sozusagen ersoffen, unterspült, eine liegt quer übern Fluss. Die Stadt war heute ein lebendiger Ort. Ich aß eine Pommes und fuhr heim. Ich hatte ganz gute Beine, obwohl meine letzte Tour fast fünf Monate zurückliegt.
Fr 15. 03.24 23:06 Aprilwetter
Ich kaufe bei einem Mann, der mitten im Wald wohnt, der zur Straße mit grünen Krötenbanden gesäumt ist. Ich halte an, kann aber Kröten weder sehen noch hören. Der Mann bereitet den Geburtstag seiner Tochter vor. Ich lege Geld auf den Tisch und packe Ware ein. Auf dem Heimweg schlingere ich an einem Bus vorbei, der angefahren war, aber nochmal stoppte, als ich schon den freiwerdenden Raum nutzte und im Begriff war, die Spur zu wechseln. Ich musste bremsen, schlingerte knapp am Heck des Busses vorbei, hinter mir hupte ein Auto. Ich hob die Hand. Alles war gut. Ich sah Regen vom Westen. Also beeilte ich mich. Zuhause wartete meine Arbeit. Mein Roman ist seit gestern um neun Seiten auf 170 gewachsen. Außerdem übe ich She's leaving home. Ich hatte die Version, die richtig klang, über Nacht vergessen, das passiert, ich improvisiere dann so lange, bis ich eine andere harmonische Möglichkeit finde. Da ich nicht lesen kann, hangle ich mich am Gesang entlang, aber ich kriegte es einfach nicht hin. Ich rollte mich aufs Sofa. Mein Notizbuch lag auf dem Tisch, ich schlummerte mit der Hoodiekapuze tief ins Gesicht gezogen, mir fiel etwas ein, eine Idee, die glasklar aufschien, aber als ich sie aufschreiben wollte, war sie schon wieder weg. Zu Abend gab es Pellkartoffeln, hart gekochte Eier mit Senfsauce und Möhren mit Petersilie. Die Ware ist gut, aber nichts gegen das Acapulco Gold von 1972.
Mi 20.03.24 14:31 sonnig und mild
Während meine Lebensgefährtin seit drei Wochen an einer Bronchitits laboriert, hatte ich das Gefühl, mein Immunsystem sei gewappnet. Samstagabend gingen wir ins Theater. Ich weiß nicht, wieso, aber ich steckte eine Maske ein. Schon zu Corona Zeiten hatte ich Masken nur ungern getragen, wenngleich ich sie für notwendig hielt. Das Theater war ausverkauft, und so weit ich sehen konnte, trug außer mir niemand eine Maske. Ich überlegte hin und her, abnehmenm oder nicht abnehmen, dachte ich, immer in dieses Papiertuch atmen, fühlte sich nicht gerade erfrischend an, so, als würde man die anwesenden Bakterien mehrfach gustieren, einatmen, ausatmen, und dann hängen sie und schließlich bleibt ihnen nichts, als zuzuschlagen. Am Sonntag ging es los. Die Bronchien rasselten, ich fand und finde kaum in den Schlaf, und manchmal klingen meine Atmenwege, als reichten hinunter bis in die Zehen. Ich bin keine geduldiger Kranker. Ich empfinde Krankheit als unverschämte Beeinträchtigung meiner Lebensqualität, und während ich auf dem Sofa liege, huste, schwitze und mir die Zeit vertreibe, entfaltet der Frühling gerade sein erstes großes Theater. Vorhin habe ich mich mit allem, was in der Apotheke frei erhältlich ist, eingedeckt, Tropfen, Tee, Hustenunterdrücker. Ich glaube nicht, dass sie helfen. Ich glaube, es wird gehen, wie es immer geht, es kommt, es bleibt, und dann geht es weg, ob mit oder ohne.
Fr 22.03.24 13:29 grau
der rekonvaleszente herr
hat keinerlei reserven mehr
es pfeift und rasselt überall
nur was der fall ist ist der fall
So 24.03.24 19:21 gruseliges Wetter
Wir wissen, wo Bärlauch steht, wir sind bei Sonne losgefahren und bei Regen angekommen, wir waren lang nicht mehr da, Bärlauch Pesto ist nicht mein Lieblingspesto, aber pflücken macht Spaß, auch bei Regen. Wir haben genug für ein, zwei Gläser, das wird reichen.
Di 26.03.24 14:34 mittelgrau
Alles deutet darauf hin, dass ich diesen März besser vergesse. Das böse Husten ist zwar vorbei, hat aber Kraft gekostet. Ich bin noch nicht wieder gesund. Es wird grün ringsum, eigentlich Grund genug, um das Leben zu feiern, aber auch das zündet nicht. Der Zündfunke streikt. Ich werde mich dreinfinden müssen, ich gebe mir noch eine Woche, dann sollte es mit der Arbeit weitergehen, ich hänge auf Seit 178, eigentlich nicht schlecht, wenn ich bedenke, dass ich im letzten Oktober mit nichts begonnen habe. Ich arbeite immer gegen das Nichts. Alles andere interessiert mich die Bohne.
Mi 27.03.24 20:20 mittelgrau
Der Landwirtschaftsweg steigt sanft aus dem Aatal. Mittig kommt mir ein Fiat500 aus den Fünfzigern entgegen. Am Steuer ein Mann mit brauner Kordmütze mit Kappe, ein Kapitän. Er fährt Höchstgeschwindigkeit. Er darf hier gar nicht langfahren, Durchfahrt nur für Anlieger, und Anlieger ist er nicht, auf dem Stodtbrockweg gibt's keinen, der zum Spaß mit nem 500er rumdüst, da gibt's nur Bauern. Die dürfen hier sein und ich darf es auch, also mach mal bisschen Platz fürn Radfahrer, die Bauern tun das, aber er denkt nicht dran, vielleicht kann er gar nicht, wer weiß. Ich bleibe, wo ich bin. Entweder fährt er mich um, oder er bremst und weicht aus. Er erschreckt. Damit hat er nicht gerechnet, er hat gedacht, wenn er da angeknallt kommt, springen alle zur Seite, er bremst, gerät auf die Bankette, schlingert ein bisschen und hupt. Ich nicke ihm zu. Den Mittelfinger lasse ich stecken, er hatte sich schon genug geärgert, nicht, dass er nachher noch stirbt.
Do 28.03.24 11:40 grau, feucht
Wie gestern. Ich stehe auf, die Sonne scheint, ah, denk ich, jetzt. Ich trinke Kaffee und schon trübt es sich ein. Ich geh ans Klavier, spüre Tönen nach und verbinde sie zu einer Melodie, ich suche harmonische Grundierung, schaue auf und es regnet. So geht und geht das ,it nur geringen Veränderungen seit Oktober letzten Jahres. Wer mir da noch sagt, mit Resilienz wäre das wegzustecken, dem glaub' ich nicht.
13:26
gehst du
jetzt endlich weg da
lässt die finger von
hörst du jetzt auf
mit diesem scheiß
Sa 30.03.24 13:18 bewölkt
Es ist mild. Die japanische Kirsche öffnet zaghaft die ersten Blüten. Die Tage gehen dahin. Der Roman wartet. Jeden Tag werfe ich einen Blick darauf und lasse ihn weiter warten. Wozu sollte er gut sein? Es gibt schon so viele Romane. Meine fallen aus dem Rahmen. Sie passen nicht in eine Welt voll unsinniger Regeln, verschleiernder Sprache und gefährlicher Irrer. Sie fallen in Fetzen von Himmel, und ich kann nicht ständig überall sein und sie aufsammeln.
So 31.03.24 21:47 überwiegend sonnig
Radtour an Albachten vorbei in die Alvingheide, Stift Tilbeck, durch den Brock an Overwaul vorbei, Stippvisite bei B., und dann heim. Bisschen gearbeitet. Gegen acht ein kurzes Gewitter.