Mai 2002                                        www.hermann-mensing.de                 

mensing literatur

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Mi 1.05.02    10:29  (Birganji/Indien 1.05.1978)

flashback: nach alpinem land mit nadelspitz kalter luft endlich die abfahrt durch unzählige haarnadelkurven. nach jeder wird die luft ölig und wärmer. nadelholz weicht sattem laubgrün. am fuße der berge wachsen verlotterte palmen. birganji, der grenzort zu indien. es ist mitternacht. eine staubige straße, hoch beladene lkw, teestuben, geschäftiges hin- und her zwischen grenzen. ich miete ein zimmer und falle in unruhigen schlaf. am morgen bringt mich ein pferdewagen zur grenzstation. beleibte grenzer versuchen jeder arbeit aus dem wege zu gehen. missmutig fertigen sie mich schließlich ab. im nächsten bild jagt ein schrottreifer bus über eine sonngeflutete ebene. muzaffapur ist das ziel. dort mit einer rikscha zur indian state bank und nach erledigtem geldtausch zum bahnhof. einen halben tag noch und eine nacht und ich bin in varanasi.    

11:10

Kleines Alphabet: L

Es ist wahr, in gewissen Lebenslagen lallt der Mensch. Aber dem L sind auch andere Zustände verbunden: Liebe. Lust. Last. Leid. Lachen. Leidenschaft. List. 

Wer noch mehr über das Kleine Alphabet wissen will, klicke unter Notizen auf: Mai 2001, Juni 2001, Juli 2001 und August 2001.  

12:11

Belauschter Dialog: Jakob (7), Malin (6), Hannah (9). 

Jakob: (großspurig) Ich habe auf der Toilette im Kindergarten Kondome gefunden!!!  Malin: ????  Hannah: (hinzu kommend, zickig) Maaaalin, hast du überhaupt schon einen Liebhaber???

12:56

Dichter, das Sein betrachtend, fortwährend von großem inneren Frohsinn durchflutet. 

 

Do 2.05.02   14:57 (Varanasi, 2.05.1978)

Überall blüht Raps. Stoßstangenträger stehen in Reih und Glied und heben kokett ihre Motorhauben. Regen nässt diese und jene. Allgemeingut treibt über Autobahnen, während ich hier bin und schon wieder fort, ohne etwas zu sagen. Ich fülle Zeit.  

15:28

Sie kamen von einem Rockfestival in Eindhoven und wollten nach Hause.  Dreadlocks der eine, kurze und lange Haare die beiden anderen, so standen sie an der B 54. Ich hielt, fragte nach dem Wohin und bot ihnen an, sie nach Münster zu bringen. Das liegt etwa drei Jahre zurück. Seitdem habe ich keine Tramper mehr mitgenommen, weil die, die ich hin und wieder sehe, meist Schüler sind, die ihren Bus verpasst haben. An denen bin ich nicht interessiert, die erzählen selten Geschichten. Sehe ich aber Menschen mit Rucksäcken, halte ich. Heute stoppte ich für einen dicken Engländer, auf dessen Pappschild Bielefeld stand. Meine Frage, ob er Soldat sei, verneinte er und füllte sich auf meinen Beifahrersitz. Es nieselte, er trug ein T-Shirt, was bei Engländern jedoch selbst bei schlimmeren Wetterlagen nicht unüblich ist. Auf dem Weg nach Münster erzählte er, dass er als Internet Consultant Usern hilft, websites in Suchmaschinen zu etablieren. Wir sprachen über das Trampen, dass ich schon zu den vergessenen Fortbewegungsarten zu zählen bereit war. Er überzeugte mich vom Gegenteil. Es gäbe eine gut funktionierende Infrastruktur, websites für hitchhiker, Adressen, all das, was wir uns früher an Autobahnauffahrten zuraunten, stehe heute im Netz. Er war auf Europatour. Bis St. Petersburg soll es gehen. Mir fiel irgendwann Stockholm ein: ich hatte dort vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag am Stadtrand warten müssen, eh endlich ein Auto hielt. Dieses jedoch brachte mich fast bis vor meine Haustür. Die Reise des Engländers kann man unter www.nomadicsimes.com verfolgen. Meine Reisen finden hier statt, aber ich liebe Geschichten, die mich ans Reisen erinnern.   Ja, "... die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen." (1)  Und: "Reisen ist besonders schön, wenn man nicht weiß, wohin es geht. Aber am allerschönsten ist es, wenn man nicht mehr weiß, woher man kommt. (2)

17:46

Hände. 95 Jahre                                 Hand. 3 Wochen

       

21:54

Niemand war zu Fuß unterwegs. Legte den Kopf in den Nacken und schmeckte den Regen. Ab und an fuhr ein Auto. Ansonsten ringsum das Nirwana des kleinen Mannes. Schnitt weißen und farbigen Flieder. Flieder stehlen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Das Warnsignal eines Zuges vorm unbeschrankten Bahnübergang scholl herüber. Wurde nasser und nasser. In den Abwässerkanälen gurgelte es. Zum Westen brach der Himmel schon wieder auf. Die Wolken war wie Blei und Taubenblau. Leuchtend weiß ein offener Himmel im Westen, sofort und immer mit heftiger Sehnsucht nach Meer verbunden. Zur Stadtseite reflektierten die Wolken elektrisches Licht.  

 

Fr 3.05.02     10:30 (Varanasi 3.05.1978)

ich gehe gern spazieren ich pflücke gern blumen ich fahre gern rad ich schwimme gern im meer ich höre gern musik ich lese gern ich liebe gern ich schaue gern in den himmel ich höre gern vögeln zu ich trinke gern kaffee ich bin gern faul ich spiele gern schlagzeug ich lache gern ich gehe gern ins kino ich reise gern ich sitze gern an flüssen ich schaue gern flugzeugen hinterher ich reise gern mit dem zug ich lese gern vor ich bin gern hier... 

13:13

ich gehe nicht gern spazieren ich pflücke nicht gern blumen ich fahre nicht gern rad ich schwimme nicht gern im meer ich höre nicht gern musik ich lese nicht gern ich liebe nicht gern ich schaue nicht gern in den himmel ich höre nicht gern vögeln zu ich trinke nicht gern kaffee ich bin nicht gern faul ich spiele nicht gern schlagzeug ich lache nicht gern ich gehe nicht gern ins kino ich reise nicht gern ich sitze nicht gern an flüssen ich schaue nicht gern flugzeugen hinterher ich reise nicht gern mit dem zug ich lese nicht gern vor ich bin nicht gern hier...

19:43

ich gehe gelegentlich spazieren ich pflücke gelegentlich blumen ich fahre gelegentlich rad ich schwimme gelegentlich im meer ich höre gelegentlich musik ich lese  gelegentlich ich liebe gelegentlich ich schaue  gelegentlich in den himmel ich höre gelegentlich vögeln zu ich trinke gelegentlich kaffee ich bin gelegentlich faul ich spiele gelegentlich schlagzeug ich lache gelegentlich ich gehe gelegentlich ins kino ich reise gelegentlich ich sitze gelegentlich an flüssen ich schaue gelegentlich flugzeugen hinterher ich reise gelegentlich mit dem zug ich lese gelegentlich vor ich bin gelegentlich hier... 

19:57

ich gehe spazieren ich pflücke blumen ich fahre rad ich schwimme im meer ich höre musik ich lese ich liebe ich schaue in den himmel ich höre vögeln zu ich trinke kaffee ich bin faul ich spiele schlagzeug ich lache ich gehe ins kino ich reise ich sitze an flüssen ich schaue flugzeugen hinterher ich reise mit dem zug ich lese vor ich bin hier... 

20:03

ich gehe ich pflücke ich fahre ich schwimme ich höre ich lese ich liebe ich schaue ich höre ich trinke ich bin ich spiele ich lache ich gehe ich reise ich sitze ich schaue ich reise ich lese ich bin ... 

 

Sa 4.05.02    00:53 (Varanasi 4.05.1978)

ich gehe spazieren. aus einer einfahrt kommt ein boxer mit breitem schädel und grauem bart.  ich stutze. ich sage, na, alter? er tut so, als hätte er nichts gehört. ich  gehe weiter. ich pflücke blumen. der hund ist mir gefolgt und markiert löwenzahn. ich fahre rad. ich lenke mit links. mit rechts trage ich einen blumenstrauß. er besteht aus mädesüß, goldrute, dinkel, margaritte und kukucksnelke. der hund stromert durch die felder. ich schwimme im meer. der hund rennt am strand auf und ab und verbellt die brandung. als er mich nicht mehr sehen kann, jault er. ich höre musik.  die blumen lassen den kopf hängen. der hund kriecht unter den tisch und leckt sich. 

12:29

ich lese. aber ich kann der geschichte nicht folgen. alles bleibt vage, obwohl der dichter viele worte macht. mir wären weniger mehr. der hund legt seine schnauze auf meinen oberschenkel. ich kraule ihn hinterm rechten ohr. er seufzt. kein zweifel. ich liebe ihn und er liebt mich. mein blumenstrauß streut blütenstaub. er steht neben einem foto, das c. letztes jahr machte. es ist ein foto vom meer. der kopf in der welle bin ich. den rest sieht man nicht, aber ich weiß noch, ich lag auf dem rücken und schaute in den himmel. dort oben flog ein flugzeug. es schleppte ein werbebanner. ich lege das buch beiseite. der hund springt auf und schaut mich an. ich gehe hinaus auf den balkon und höre vögeln zu. ich trinke kaffee. in den gärten ringsum wird unkraut gezupft und geharkt und gefegt. in den wohnungen über und neben mir wir staub gesaugt und gespült und geputzt. ich bin faul. das einzige, was mir spaß machen würde, wäre schlagzeug zu spielen. ich spiele schlagzeug. aber der hund mag das nicht. er fürchtet sich vor der bassdrum und heult zu den obertönen der becken. ich lache. du musst dich nicht fürchten, sage ich. er reibt seine flanke an einem stuhlbein. ich gehe ins kino. ich sehe "das musikzimmer", ein indischer film aus den 50er jahren. ich reise. ich sitze an einem fluss. der fluss heißt ganges. in der mitte des flusses treibt eine leiche. krähen sitzen auf ihrem kopf. es ist heiß. so heiß, dass ich nur am frühen morgen und am späten nachmittag das haus verlasse. ich schaue flugzeugen hinterher. in drei tagen werde ich selber in einem sitzen. morgen reise ich mit dem zug nach agra. der film geht seinem ende zu. ich fahre nach hause. ich lese dem hund vor. ich bin wieder hier. der versuch ist beendet.

14:31

cd's der letzten wochen: tom waits: mule variations // soul wax: much against everyones' advice //vienna art orchestra: duke ellingtons sound of love // the notwist: neon golden // erdmöbel: das ende der diät //vienna art orchestra: a centenary journey // bob dylan: love and theft // bugge wesseltoft: new conception of jazz moving // chris whitley: rocket house // issaac stern: a birthday celebration // björk: homogenic // chris whitley: perfect day // bob dylan: time out of mind // björk: unplugged // led zeppelin: remasters // gonzalo rubalcaba: inner voyage // del amitri: waking hours // lyle lovett: I love everybody // bob dylan: blonde on blonde // buena vista social club // the zombies: best of.... // duke ellington: jazz & blues // procol harum: shine on brightly // paul motion: thethered moon // nickelback: silver side up // john scofield: überjam //

 

So 5.05.02     10:21 (Varanasi 5.05.1978)

(...) meine heimat ist Österreich, mein vaterland Europa ... meine laune launisch, meine räusche richtig ... ein übler schwimmer, beim kartenspiel unachtsam, im schach eine null, kein schlechter kegler, ein meister im seeschlachtspiel ... ein hasser der polizei, ein verächter der obrigkeit, ein brechmittel der linken, ein juckpulver der rechten, unbehaglich ... Goethe verworfen, gedichte geschrieben,  scheiße gesagt, theater gespielt, nach kotze gerochen, eine flasche Grappa zerbrochen, grimassen geschnitten, ciao  gestammelt, fortgegangen, a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden. (3)

16:38

Auf  dem Handlauf vor einem Schaufenster des teuersten Juweliers der Stadt saß eine doppelt beringte Taube und schaute sich die Auslagen an. Gurrte, als ich sie ansprach, flog dann hoch, tickte gegen die Scheibe, möglich, um mich auf etwas hinzuweisen, war vielleicht nicht zufrieden mit ihren Ringen, wer weiß. Aus ihrer Verwirrung schloss ich, dass sie sich verflogen hatte. Flatterte mit klatschendem Geräusch auf und setzte sich ein paar Meter weiter auf das Dach eines parkenden Golf. Sprach sie wieder an, aber sie wollte nichts mit mir zu tun haben. 

 

Mo 6.05.02   9:40 (Varanasi 6.05.1978)

flashback: die nacht auf dem dach des hotels geschlafen. erholsam im vergleich zu den nächten vorher, in denen ich mich mit feuchten laken zugedeckt hatte, um abkühlung zu finden. stand mit dem ersten licht auf und lief durch die schmalen gassen hinunter zum ganges. auf den ghats brannten schon feuer. saddhus meditierten im schneidersitz. geier hockten auf den dachbrüstungen der höchsten häuser und warteten. unzählige menschen bereiteten sich auf den steilen treppen am flussufer auf das heilige bad vor. heute um 18 uhr verlasse ich varanasi mit dem nachtzug nach agra. morgen früh werde ich den taj mahal besichtigen und anschließend weiter nach new dehli reisen. am 9. mai fliege ich über moskau nach frankfurt. 

11:44 

Ein Wort ist gegeben, ein Vertrag wird vorbereitet, junge Amseln hocken in Büschen und schreien mit vom Körper gestreckten Flügeln nach Futter, jemand schleift Steine, der Maimorgen verreckt in aufziehendem Grau, und man rät mir, das Vampirprogramm möglichst gruselig zu machen. Ich stecke mittendrin, sage ich. Ich weiß nicht, wo oben und unten ist, ich weiß nicht, wo Anfang und Ende sind, aber ich stecke mittendrin. Ich halte mich an die Prinzipien des Laotse. So ist meine Literatur schon immer entstanden. Zu Anfang steht das Nichtwissen. Zu Ende das Vergessen darüber, woher man eigentlich kam.  Manchmal ist das beunruhigend. 

16:07

Und wenn er nicht gestorben ist, hockt er vor seinem Computer und wundert sich still,  schreibt die nächste und übernächste und überübernächste Geschichte, leert seine geheimen Vorräte und verkauft alles, was zu verkaufen ist, nur um zu sehen, ob sie tatsächlich kaufen, ob sie das, wie sie vor Jahren ablehnten, jetzt nicht mehr ablehnen. Sie kaufen.  

17:53

(...) the blues has no right to stay ... (4)

 

Di 7.05.02   9:16 (Agra/New Dehli 7.05.1978)

Saßen im Hot-Jazz-Club gestern, draußen die im Dunst verschwimmenden Lagerhäuser und Kräne des Hafens, drinnen das Frank-Delle-Quintett, das ein hochenergetische Musik macht, vulkanisch, um sich nach Ausbrüchen irgendwann in einem Solo des norwegischen Pianisten Harvard Wiik wieder zu finden, der es liebt, mit der rechten Hand ausufernde Läufe zu spielen. Ich wippte mit meinem Hi-Hat-Fuß was das Zeug hielt, als sich eine  dunkelhaarige, gedrungene junge Frau mit ihrem Fotoapparat direkt vor mich stellte, um - ihrer Attitüde nach - ein zweifellos künstlerisches Jazz-Foto zu machen. Schwarz-weiß, nehme ich an. Schaute C. an und sagte: Soll ich sie schuppen (westfälisch für: schubsen, stoßen)? C. lachte und sagte: Was könnte man doch für einen Spaß haben! 

11:32

Schuppe sie. Sie verstolpert, dreht sich um, sieht mich und C. lachend am Tisch und sagt: Sagen Sie, ticken Sie nicht frisch? Doch, sage ich, aber es bot sich an, Sie zu schuppen, ich tat's nur zu meiner eigenen Freude und Unterhaltung, es war nicht böse gemeint. Wirklich. 

13:03

Wundervoll beunruhigende Entwicklung des "Vampirprogramms". Es wird gruselig. Hoffentlich nicht zu gruselig. Alles ist zum großen Finale gerichtet. Jetzt kommt es darauf an, die Knoten zu lösen. Schnell zu lösen, denn mehr als fünf Seiten soll es nicht dauern. 

13:34

Das Telefon klingelt. Ich nehme ab. Eine Frauenstimme meldet sich mit Teletipp Leipzig. Keine Werbung, sage ich und lege auf. Wenige Augenblicke klingelt es erneut. Ich nehme wieder ab, die gleiche Stimme sagt: Aber Herr Mensing, das ist doch keine Werbung, wir wollen Ihnen doch nur einen Tipp anbieten. - Das ist das Gleiche in Grün, sage ich und lege auf. Danach klingelt es noch zweimal. Einmal höre ich verwirrte Stimmen im Hintergrund. Ein großer Raum, hallig. Dann klickt es nur. Aufgelegt. Was die sich einbilden!!! 

14:34

Tagelang grüble ich, warte, langweile mich, dann starte ich meinen Computer, lade den Text, an dem ich arbeite, schreibe ein, zwei, drei Sätze, ein, zwei, drei, nie mehr als zehn Seiten, von denen ich hoffe, dass sie meine Langeweile rechtfertigen werden. Kaum notiert flüchte ich vor ihnen wie vor einem gefährlichen Virus, verlasse die Wohnung, gehe spazieren, spiele Schlagzeug, kehre nach einer Weile zurück, starte den Computer erneut und stelle fest, dass meine Hoffnungen enttäuscht werden. Und beginne von vorn. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch von vorn begänne, wenn sie sich erfüllen. Es geht immer eins vor, zwei zurück. Treibe das nun schon so lange, sollte wissen, dass es ist wie es ist, aber es macht mich jedes Mal  wieder verrückt.  

18:01

Ja. 

21:13 

Und ich tue das gern. 

 

Mi 8.05.02    10:25 (New Dehli 8.05.1978)

mein leben im netz: 

mail-eingang:  nach mehrmaligem mitlesen ihrer notizen stellt sich mir folgende frage: sind sie vielleicht ein bisschen verrückt? ausgang: natürlich. fragt sich nur, wer verrückter ist. ich oder sie, der sie sich nicht einmal trauen, mit namen zu unterschreiben. eingang: das war für mich weniger eine frage des mutes, sondern eher der ökonomie... sie haben nicht zufällig einen test parat an welchem wie unseren verrücktheitsgrad messen und ggf. vergleichen könnten? ausgang: habe natürlich einen test parat, wende den aber nur bei namentlich identifizierten individuen an, da das testergebnis ansonsten irrelevant im verhältnis zur übrigen bevölkerung im hinblick auf durchschnittsalter,beruf, verdienst, religionszugehörigkeit etc. wäre. eingang : darf ich mal eben fragen welche werke außer "Tanz mit dem Schafsmann", sie noch von murakami gelesen haben? falls ja, so sei dies hiermit getan... ausgang: alle. weitere hinweise in folgenden netztagebüchern: august 00 - januar 01 - märz 01 - märz 02 - april 02. eingang: hier hab ich zwar nichts von hm (haruki murakami) gefunden, dafür aber von radiohead, was dann letztlich auch ein adäquater ersatz war. jetzt kommt dann die schwierigere frage: haben sie eine erklärung für die tv-people oder der elefant verschwindet oder den tanzenden zwerg? - ich wäre gespannt.... und tests für anonyme verrückte deren ergebnis man dann umrechnen und ggf. mit dem test für namentlich identifizierten individuen vergleichen kann haben sie nicht zufällig parat? ausgang: nein, keine weiteren erläuterungen ohne identifizierung des absenders. basta. eingang: warum stören sie sich so an dem nicht vorhandenem namen? ich meine, wir kennen uns nicht...das zu wissen reicht doch....mein name ist einfach beispieladresse....bzw. beispieladresse bond...

 

Do 9.05.02   10:56 (New Dehli - Moskau - Frankfurt 9.05.1978)

Radfahrer mit Hunden. Stimmen von Balkonen. Plappernde Kinder. Tauben. Finkengesang. Guten Tag, Tag. Mein Projekt: ich trage Anzüge geht in den dritten Tag. Heute: der Glencheck-Zweireiher. Kaufte ihn als meinen dritten Anzug. Mein erster war ein kackbrauner Konfirmationsanzug, den ich danach nur noch zum Abschlussball des Tanzkurses trug. Mein zweiter war ein 1967 auf der Carnaby Street mit eigenem Geld gekaufter. Er war sandfarben, hatte eine verdeckte Knopfleiste, und ich fand ihn "dufte". Trug ihn jedoch so gut wie nie. Mein italienischer Glencheck folgte zwanzig Jahre später. Ich kaufte ihn als Belohnung für den Rowohlt Vertrag - ein Sonderangebot in einem sehr teuren Geschäft. Ich trug ihn ein paar Mal und hängte ihn in den Schrank. Er passt noch. Daher heute also: der Glencheck. Fühle mich wohl nach all den Jahren in zerrissenen Jeans. Gestern trug ich meinen Salz&Pfeffer Anzug. Lockerte ihn mit orangefarbenen Entenschuhen ein wenig auf und spielte so verkleidet auf der Blechtrommel Session zwei Soli, eines mit Unterstützung eines australischen Gitarristen, das andere gegen zwei lahmarschige Saxophonisten, die es nie lernen werden. 

 

Fr 10.05.02    11:17

Im Anzugprojekt heute überraschende Veränderung. Ich kombiniere eine vanillefarbene weite Jeans, die mein ältester Sohn ausgemustert hat, mit einer taubenblauen Trachtenjacke aus Leinen mit Hirschhornknöpfen und Lederstücken auf den Schultern. So verkleidet versuche ich den Schmerz zu lindern, der mich nach einem blauen Brief betr.: Leistungen ihres Sohnes M. in den Fächern Mathematik, Physik und Kunst ereilt hat. M. hat mir jedoch versichert, dass er in der Lage sei, die angemahnten Defizite auszugleichen. Glaube ihm, wie ich ihm immer geglaubt habe. Soll ich ihm auch glauben, dass er mir versichert, ein Großteil seiner Lehrer sei nur noch daran interessiert, die Verrentung zu erreichen? - Ich weiß nicht. Ich hoffe, dass es nicht so ist. Ich weiß aber von einer Lehrerin, die mir genau dies für ihr Gymnasium bestätigt hat. Wörtlich: "Ein Großteil meiner Kollegen schläft ihm Stehen und hofft mit der Verrentung zu erwachen."

14:03

Würge mich durch das Finale des "Vampirprogramms." Erhellende Einsicht wird dringend erbeten.

16:16

M. ist faul. Das ist alles.  

 

Sa 11.05.02   8:38

Und wie stand es mit dem Vater? War es nicht so, dass ihm die Lehrer bescheinigten, er sei zwar intelligent, aber nur dann bereit zu arbeiten, wenn ihn etwas wirklich interessiere? - Ja. Genau so war es. Und so ist es noch heute. Und wenn er nicht gestorben ist, wird es auch so bleiben. - Ein Glück also, dass wir Dummheit als Ursache ausschließen können. 

9:52

Wir führen das Anzugprojekt fort. Wir zeigen uns nackt. Nicht gerade ein erfrischendes Bild, aber befreiend. Dazu ein Seidenschal in leuchtendem Orange. Vielleicht eine Kopfbedeckung. Mehr nicht. Very basic das alles, ein Japaner hätte es nicht minimaler inszenieren können. 

Einwurf: als  Kopfbedeckung wird ein dezentes Basthütchen mit elegant drapiertem Efeu vorgeschlagen. 

11:20

Endlich die Wahrheit: Männer leiden unter der evolutionsbedingten Angst, eine sexuelle Gelegenheit zu verpassen. Meine Rede seit Jahrtausenden. Jetzt durch eine Studie der Princeton Universität verifiziert. Ich bin rehabilitiert!!!

15:34

Kleines Alphabet L: Lüge

 

So 12.05.02     1:29

In einer Zeit, in der sich Konflikte an ethnischen- und religiösen Widersprüchen entfachen, verbrachten wir einen   Abend mit Menschen jüdischen, evangelischen und katholischen Glaubens. Aßen Avocado auf Radiccio mit Olivenöl-Zitrone Dressing und gebratenem Speck, mariniertes Hühnerbrustfilet in einer Petersilien-Joghurt Sauce und Basmati Reis, Himbeeren mit saurer Sahne, Sahne und caramelisiertem braunen Zucker, tranken Whiskey und Wein, rauchten drei Joints und hörten folgende Musik: Udo Lindenberg (die erste, noch auf Englisch von 1971), Ball Pompös, ebenfalls Lindenberg, Max Webster "Muting up my sleeve", Bill Bruford "Feels good to me", Ideal "Der Ernst des Lebens", Jan Akkerman & Kaz Lux, die Erdmöbel "erste Worte nach Bad mit Delfinen", Jan Delay "searching for the jan soul rebels" und Chris Whitley "Perfect Day".  Es wurde weder geschossen noch des anderen Weib begehrt, es wurde kein Land annektiert, niemand wurde diskriminiert, niemand verlangte vom anderen Unmögliches. Nun ist dieser Abend zu Ende und ich bitte, unseren Modellversuch möglichst zu übernehmen. Essen und gespielte Musik dürfen gern variieren, aber das Grundmuster sollte Standard sein. Danke. 

12:49

von: Herz/Nieren/Leber-Zentrale an: 

H. Mensing 

Sehr geehrter Herr Mensing, 

hiermit teilen wir Ihnen mit, dass Sie wegen wiederholten Verstoßes gegen die mit Ihnen vereinbarten Pflege-Vorschriften ihrer Organe mit einer Verkürzung Ihrer Lebenszeit rechnen müssen. Weitere Schritte (Herzinfarkt/Schlaganfall/altersbedingte Demenz etc.) behalten wir uns vor.  

Mit freundlichem Gruß Ihre Herz/Nieren/Leber-Zentrale

19:38

Besuchten am Nachmittag eine geradezu surreale Veranstaltung: den Einlauf der Gladiatoren des Giro d'Italia in Münster. Die Bandenwerbung, die  Ballone am Weg, halbhoch schwebend, die Absperrungen, die T-Shirt Verkäufer, die Krankenwagen im Pulk, die Polizisten, alles original italienisch, nur die Zuschauer (wir) waren Westfalen. Die Stadt war seit dem Mittag weiträumig gesperrt. Und dann kamen sie: dreißig Sekunden, unzählbare behelmte Köpfe vornüber gebeugt, wie um ihre Leben strampelnd. Und schon wieder verschwunden. Knatternde Hubschrauber über ihnen, insgesamt drei, mit Kameras der RAI bestückt, damit niemandem bloß nichts entgeht. Den größten Applaus ernteten die Nachzügler. Man liebt die Verlierer mehr als die strahlenden Sieger.  

 

Mo 13.05.02   10:12

Rhythmisches Gurren, heisere Krähenrufe, Hähne in Hinterhöfen, an der Schnittstelle zwischen Stadt und Land paart sich das mit der Hysterie einer zum Leben erwachten Stadt, die gleich hinter der Autobahn beginnt und ihre Tentakel immer weiter ausstreckt. M. hat Kaffee getrunken, die Zeitung überflogen und sich einen Reim gemacht, M. hat mit Freude registriert, dass in Israel Menschen denken wie er, M. hat sein Glück zu begreifen versucht, das Glück der Veröffentlichung, aber wie so oft vorher ist er wieder gescheitert, und da er es genau nimmt, bezweifelt er mittlerweile sogar, dass das Glück ist, ergo hat er sich vor laufendem Computer einstehen müssen, dass ihm nichts weiter bleibt, als sich täglich neu zu erfinden, ob er will oder nicht, und so beginnt der Tag für ihn und den 4075ten Leser dieser Notizen mit dem, was bleibt, wenn man einen Strich macht und die Summe errechnet. Eine schöne Woche. Mut zum Weitermachen. Und die Erinnerung an das, was er immer noch glaubt. 

11:47 

Das Anzugprojekt  sieht heute einen olivfarbenen Sommeranzug aus einer Viskose/Polyestermischung vor, den ich mir nach meiner Lesung in Hattingen kaufte, wohl noch voller Begeisterung über die handfeste Bestätigung meiner mir sonst eher zweifelhaft scheinenden Existenz. Er trägt sich leicht, er atmet, ich finde, ich sehe gut aus, wenn ich mich in ihm bewege, und ich schätze, ich werde ihn heute Abend zur Session in Dortmund tragen. Ein vierter Anzug wartet noch auf seine Premiere. 

13:16

Kleines hochmoralisches Intermezzo: Während wir uns fragen, was wir als nächstes essen, wird um uns vor Hunger gestorben. Nicht, weil die sterbenden Menschen zu faul wären, für ihr Essen zu sorgen, nein, sie sterben, weil  wir  fetten verfressenen Humanisten  unseren Arsch nicht bewegen, um die, die wir seit Beginn der Kolonialisierung erbarmungslos ausbeuten, zu retten. Spätere Generationen werden mit Fingern auf uns zeigen. Der Holocaust wird ihnen wie ein Witz erscheinen gegen das, wovor wir täglich die Augen verschließen.  Und dann regen wir uns über Lappalien wie den 11. September auf!!!

 

17:06

Es ist so weit. Compuserve ist nicht mehr zu erreichen. Wir arbeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit und könnten jetzt alles sagen. Dennoch hüten wir uns.  

 

Di 14.05.02   9:29

Nun weiß ich, wie man auf vier Rädern über Land schwebt und vergisst. Wie man schneller fährt als die Augen Entfernungen einschätzen können. Meine Augen sehen bis 120 km pro Stunde. Alles was schneller ist, entgleitet ihrer Kontrolle. Ertappte mich dennoch, dass unser neues Auto 140 mit mir fuhr und zwang es wiederholt, langsamer zu werden. Langsamer durch die Nacht letzte Nacht, das Schiebedach weit geöffnet, mit zappelnden Lichtfischen über mir, sicher geleitet. 

10:59

Hörte der Big Band zu und dachte, wer ist bloß dieser Trompeter? Schließlich dämmerte es mir. 1979/80 habe ich zwei Spielzeiten als Percussionist und Schauspieler am Deutschen Theater Göttingen in "Simplicius Simplicissimus - 30 Jahre Krieg" gespielt. Ich ging zu ihm. Ich sagte, "warst du nicht der Landsknecht, der mir den Schwedentrunk einflößen sollte, damals, vor zwanzig Jahren in Göttingen?" "Ja klar", sagte er. "Du bist Hermann, stimmt's?" Ich nickte. Wir waren eine freie Theatergruppe, Profis und Laien, die an einem festen Haus arbeiteten. Bei einer der Vorstellungen war ein Teil der Bühnenaufbauten,  eine Brücke, auf der er mir den Trunk einflößen sollte, unter uns zusammen gebrochen, bei einer anderen hatte es im Foyer gebrannt und die Leute hatten in Scharen den Saal verlassen, während wir weiterspielten und uns fragten, was eigentlich los wäre. Bei wieder einer anderen hatte ich einen Auftritt verpatzt, war mit der Trommel vorm Bauch in die falsche Szene marschiert, hatte einen verschämten, vom Publikum wahrscheinlich als gewollt gedeuteten Halbkreis gedreht und mich schleunigst zurück in die Gasse verzogen, wo die Kollegen sich vor Lachen  bogen.  

14:21

M., ein Nachbarjunge, hat mir eine lange Nase gemacht und die Zunge herausgestreckt. Ich habe mich revanchiert und das gleiche getan. Es kommt auch vor,  dass wir uns, hinter Ecken und Autos verschanzt, beschießen. Piuuu piuuu ist ein beliebtes Geräusch für links und rechts vorbei zischende Geschosse.  

16:08

Ich hüte mich sehr. Ich sage nichts mehr über Amerika. Es ist nämlich so, dass jeder, der etwas sagt, Antiamerikaner ist. Ich sage auch nichts mehr über Israel, denn wer ist schon gern Antisemit. Ich bleibe stumm. Bleibe stumm, schaue zu, warte ab. Die Dinge werden sich erledigen, denn die Geschichte fordert immer ihr Recht, darauf kann man sich verlassen. Sie wird auch beim "auserwählten Volk" keine Ausnahme machen. - Von Gott auserwähltes Volk! Kommt mir das nicht bekannt vor? - Stinkt das nicht nach Vorsehung??? -

Religion macht uns zu Deppen. Religion lässt uns haarsträubende Dinge sagen und tun - Christen, Juden, Muslime, alle mit Freifahrtscheinen für größtmöglichen Irrsinn ausgestattet. Allerdings ist der Atheist um keinen Deut besser.    

23:51

Sirius überm Sichelmond, von nachtblauen Wolken getragen, im Westen, umwerfend schön. (Allerdings bin ich nicht sicher, was Sirius anbelangt. Wahrscheinlicher wäre Jupiter.)

 

Mi 15.05.02     8:11

Ist es nicht herrlich, dass man ganze Tage verträumt, weil man ein Foto in die Hand bekommen hat, das einen Garten zeigt, in dem man an warmen Sommertagen in einer Zinkwanne planschte? Ist es nicht schön, die Äpfel riechen zu können, die über einem im Baum hingen, die Schritte der Nachbarn zu hören, ihre Stimmen, die durch die hinter den Häusern liegenden Gärten schwirrten? Würde man nicht gern in diesem Foto verschwinden, bleiben, bis einem der Penis schrumpelt und das Hirn faltig zerbröselt, um dann unterm Rosenstrauch begraben zu werden? O ja. Das würde man gern. Ein schöner Morgen liegt überm Schreibtisch. Eine Fahrt über Land vor mir. Ein Besuch bei der Greisin und ihrer Schwester. 

13:22

Der heitere Raps, die zuversichtlichen Buchen, der vor Freude leuchtende Löwenzahn, der Wehmut der ersten gemähten Weiden, das peitschende Gelb von Ginster, die verschwiegenen Kuckucksnelken an Böschungen, über Land, einmal Hin und Zurück.

 

Do 16.05.02    9:39

Heiteres Verstummen zwischen Stadt und Land. 

17:26

Unter Bäumen am anderen Ufer des Flusses sitzen Junkies und kommentieren Vorübergehende. Auf meiner Seite gehen Angestellte der Landeszentralbank flussaufwärts zum See und beteuern, sie wollten nie mehr zurück an ihren Schreibtisch. Ihre Mittagspause hat begonnen. Ich kenne keine vertraglich vereinbarte Pause. Ich habe kein festes Gehalt. Ich genieße den Schatten, die Henry Moore Plastik auf dem Rasen vor der Bank und meinen eingeschlagenen Weg. Es ist Sommer, alles ist leicht und schwer, dabei ist doch erst Mitte Mai. 

 

Fr 17.05.02   8:30

Der Zentralrat der Juden empfiehlt: 1 + 1 = 3 Ich versuche zu begreifen, aber Unrecht wird nicht zu Recht, weil es israelische Politik ist. 

12:21

Die letzten Sätze des  Vampirprogramms lauten. "Und so endet diese Geschichte. Sie endet, als hätte sie nie begonnen, denn keiner der Beteiligten kann sich an sie erinnern. Es ist, als wäre ein Vorhang gefallen."

14:03

Tief durchatmen, das Manuskript weglegen und vor nächster Woche nicht wieder hervor holen. 

 

Sa 18.05.02    11:27

Erhielt gestern die Druckfahnen von "Voll die Meise."  Konnte trotz erbitterter Gegenwehr nicht durchsetzen, dass Fürze Fürze genannt werden. Stattdessen:  All diese Sachen rochen, als hätten sich alle Pupser, die je in Sessel gepupst worden wären, hier versammelt. Herzig, isn't it. Ich erinnere mich, dass mir die Redaktion des SFB Anfang der 90er riet, "Negerküsse" durch "Schaumküsse" zu ersetzen. Da ich mich weigerte, bewarfen sich die Kinder auf der Geburtstagsparty, die in dieser Geschichte geschildert wurde, stattdessen mit "Schwarzwälder Kirschtorte."  Was die Sauerei um einiges verschärfte. Wir sind eben gute Menschen, wir hier in Deutschland. 

 

So 19.05.02   10:45

Ich bekenne mich zu meiner dämonischen Natur, die mich auf alle Zeit von allen Schurken dieser Welt unterscheidet, ich senke beschämt den Kopf und tanze den Tanz der scheinheiligen Eiertänzer. Unterm Druck der Tabus verbiege ich mich bis zur Unkenntlichkeit, nenne Ja - Nein und Nein - Ja und übergebe mich glücklich. 

22:18

now to something completely different: da ich längst vergessen habe, welche Bedeutung die meisten religiösen Feste haben  (obwohl man es mir immer wieder sagt), stand dieser Pfingstsonntag ganz zu meiner Verfügung. Mein persönlicher Gott hatte nichts dagegen, dass C. und ich eine kleine Reise machten. Er hätte uns jederzeit töten können, stattdessen hat er uns ein wenig von seinen Wundern gezeigt. Zauberhaft, finden Sie nicht. Ich mag meinen Gott sehr. 

 

Mo 20.05.02   17:22

Als wir gestern von einer Radtour zurückkehrten, erfuhren wir, dass unser Nachbar B. in unsere Wohnung eingedrungen war, um an den Zweitschlüssel seiner Wohnung zu gelangen, den wir seit Jahren für den Fall, dass mal etwas ist, aufbewahren.  Er hatte mit Hilfe eines weiteren Nachbarn zunächst versucht, unsere Balkontür zu öffnen. Nachdem ihm das nicht gelungen war, war ihm aufgefallen, dass eines unserer Fenster zum Garten weit offen stand. Er kam auf die Idee, seine Tochter auf die Fensterbank zu heben. Die sollte nun einsteigen und den Schlüssel vom Schlüsselbrett nehmen, dann aber bot sich mein Neffe, der im Nebenhaus wohnt, an, dies zu tun, in der Hoffnung, dass es eher zu akzeptieren wäre, wenn ein Verwandter in unsere Wohnung einstiege. Was er auch tat. Ich war und bin aber nach wie vor sehr erbost über diese Unverschämtheit. Geriet mit Frau B. nach allen Regeln der Kunst aneinander, was mir viel Freude machte, denn sie ist eine verwöhnte Zicke, die ihren Interessen überall Priorität einräumt, das Haus mit ihren Dingen vollstellt (ausgemusterte Sofas im Keller, Kleiderständer, Kommoden, Kinderspielzeug) und gern über andere tratscht. Hinzu kommt, dass sie mit großem Talent das hilflose Weibchen darstellt, dem MANN helfen soll. Zischte ihr zum Schluss meiner lautstarken Rede ein fröhliches "blöde Zicke" hinterher. Bin gespannt, wie es nun weitergeht, denn eigentlich ist dieses Haus ein Haus, in dem bisher jeder nach seiner Fasson selig wurde. Ich erwarte allerdings eine Entschuldigung, denn es geht um Hausfriedensbruch. C. meint, dass ich damit nicht rechnen könne, Herr und Frau B. seien sich keiner Schuld bewusst.

19:47 

Erwäge, B.'s Auto in die Luft zu jagen.  Auch möglich, dass ich die Familie mit Sporen eines im Oktober letzten Jahres beliebten Krankheitserregers versorge. Halte mich da ganz an die kreativen Methoden verschiedener kriegsführender Staaten. Nichts ist einfacher als von ihnen zu lernen. Ich hasse sie. 

 

Di 21.05.02    10:03

Gerade kam die rätoromanische Lizenzausgabe einer Ueberreuter Anthologie, in der ich mit der Geschichte "Alles ist gut, gar nichts" vertreten bin. Übersetzt heißt sie: Tut è bun e nagut. Rätoromanisch, auch Ladinisch genannt, wird mit Unterbrechungen vom St. Gotthard bis an den Golf von Triest gesprochen. Romanische Volksgruppen sind die Bündner im schweizer Kanton Graubünden, die Ladiner in Südtirol und die Friauler im Friaul.  (dtv-brockhaus) Kleiner Auszug: (...) Ich spürte, dass der mausgraue Himmel immer tiefer sank. Er kam, um mir zu helfen. Gleich würde er sich auf den Prinzipalmarkt herabsenken und alles verhüllen.  Jau sentiva ch'il tschtiel grisch-mieuer sa sbassava pli e pli fitg. El vegniva per ma gidar. El sbassava gist sin il Prinzipalmark ed enzugliava tut. 

 

13:01

Ein gleißender Sonnentag vorm Computer. Rief meinen Verlag an und bat um einen höheren Vorschuss. Raunen! Da müsse man nachfragen. Fragen Sie! sagte ich. Der Herr schenke mir einen Bestseller!!! 

16:07

Noch immer voll Hass auf die Nachbarn. Umgehe sie weiträumig. Atavistische, wilde Wut. Erschrecke davor und genieße sie. Male mir aus, was ich ihnen antun könnte. Wüsste tausend Dinge. So ein Gefühl braucht man, um einen Krieg anzuzetteln. 

21:58

Fass! 

die bigotten Amerikaner: die potenten Deutschen: die kriegslüsternen Engländer: die korrupten Russen: die auserwählten Israelis:  

Fass das Pack. Fass.

Fass alle. Die anderen auch!!!

 

Mi 22.05.02     8:50

La Finta giardiniera zum Frühstück, Mozart macht gute Laune, dazu ein Auszug aus Pea von den Red Hot Chilli Peppers:  (...) I'am a pacifist, so I can fuck you shit up, oh yeah I'm small, fuck you asshole, you homo (xeno) phobic redneck dick, you're big and tough and macho, you can kick my ass.... Angekommen? Danke! Und jetzt klopfen wir auf den Busch. 

 

Do 23.05.02    11:44

Beim Kauf der Zeitung bin ich zunächst der, der die Süddeutsche kauft, weil die Rundschau wegen eines Streiks in der Druckindustrie nicht vor der Tür lag. Ich stehe in einer Schlange. Ich bin noch ein wenig verschlafen, aber meine Lieblingskassiererin sitzt hinter der Kasse, mit der ich gern kurze, prägnante Sätze wechsle. Ach der Verrückte, denkt sie, die ich auch bin, während ich Artikel über den Scanner schiebe. Die Kasse addiert: Summe. Die Kasse klappt auf, ich nehme Geld entgegen und sehe, wie jemand eine Bild auf das Rollband legt. Sie liegt unter anderen Waren, aber das Foto einer oben entblößten Blondine springt mir sofort ins Auge. O je, denke ich. Eine Kundin zahlt und sagt, ist das dunkel hier! Ich sage, da sind ein paar Leuchtstoffröhren kaputt. Der Mann mit der Süddeutschen schaut mich an. Ich kassiere. Der Mann mit der Süddeutschen sagt, ein Glück, dann muss man nicht alles sehen. Ich sage: meinen Sie mich? Ich antworte: nein. Ich sage: da bin ich aber froh. Was meinten Sie denn? Ich sage: das Foto und schaue auf die Bild. Ich nicke und werfe ihm einen wissenden Blick zu. Ich zahle. Der Typ mit der Bildzeitung, der ich auch bin, hat von all dem nichts mitbekommen. Ich zücke mein Portemonnaie und freue mich auf die Bild. Ich überquere die Straße. Fünf Minuten später sitze ich auf dem Balkon. Ich sitze hinter der Kasse und muss bis 18:30 arbeiten. Ich verlasse mit der Bild unterm Arm den Supermarkt. 

14:22

Versuche die Welt im Rahmen meines Anzugprojekts schon seit Tagen mit wechselnden Verkleidungen zu täuschen. Gestern mit tiefblauem irischen Leinenanzug. Da glaubt jeder sofort, ich hätte etwas zu sagen. Zur Session im Fundus trug ich den olivenfarbenen.  Zwischendurch jedoch immer wieder zerrissene Jeans, damit die Zweifel der Betrachtenden geschürt werden. Was ist mit Herrn M.? Hat er endgültig den Verstand verloren? Ist er reich geworden?  Das neue Auto, die Anzüge? Treibt er ein Spiel mit uns? Ja. Er treibt ein Spiel. Er treibt es mit sich und findet es sehr unterhaltsam. 

 

Fr 24.05.02   10:41

Nachbarin B. legt wieder der Stern vor unsere Tür, wie früher. Ich schlug vor, ihn zurückzubringen. C. meint, es sei besser, zur Normalität zurückzukehren. Nicht ohne Entschuldigung! sage ich. Sei nicht blöd,  sagt sie. Ich bin aber blöd.  Ich backe mir B. aus Salzteig und steche Nadeln rein, sage ich. Spinner! sagt sie. Stimmt, sage ich und küsse sie, denn natürlich hat sie Recht. Aber weiß sie, dass Rache süß ist? Dass ich B. mit dem Arsch nicht mehr ankucken werde? Dass ich sie mit Telefonterror überziehe und bösartige Dinge sage? - Nein. Das weiß sie  nicht. Und die zerstochenen Reifen an B.'s Auto? Mein Werk. Und die angesägten Spurstangen? Mein Werk. Ich bin Gott. 

14:11

Das Geschäft mit den Lesungen läuft an. Ich hatte schon befürchtet, alle säßen auf ihren Etats und warteten auf bessere Zeiten. Habe zwölf Lesungen in den letzten fünf Tagen vereinbart. Immerhin! Ich bin ein froher Lesetrottel für Kinder und Lehrer, die eine dreiviertel Stunde Abstand vorm Alltag buchen. 

14:17

M., der von drei blauen Briefen geplagt letzte Woche die Chance hatte, sich in Mathematik zu rehabilitieren, hat dies getan und ist heute mit einem "Gut" nach Hause gekommen. Hatte also Recht. Er arbeitet nur, wenn Not am Mann ist, ansonsten ist er lieber faul. Typisch für sein Alter. Gesund und normal.  

21:50

Wenn der Verfasser schon selber zu Worte kommt, noch etwas (...) Kennen Sie das? Jemand fragt, Wovon ist eigentlich die Rede? Als ob ausgerechnet ich das wüsste! Ich mache mir keine Gedanken über den Inhalt. Jemand wird antworten, Haha, das sagen alle! Ich sage: Meinetwegen, antworten Sie das. Es hilft nicht weiter. Ich weiß trotzdem nicht, wovon die Rede ist. Selbst ein Elefant weiß erst, wohin er wollte, wenn er angekommen ist. Und ich glaube gar nicht, dass ich ankommen werde. Ich liefere bloß eine Beschreibung. Machen Sie damit, was Sie wollen. Das geht mich nichts an. Es wird sich schon jemand finden, der eine Beschreibung der Beschreibung liefert. Das dazu, sagt der Verfasser. Ich sage nichts mehr. Hören Sie doch nicht zu. Gehen Sie doch raus. Werfen Sie das Buch doch weg. Oder schenken Sie es Ihrer Tochter. Oder verkaufen Sie es an eine Wohlfahrts-Organisation. Oder verbrennen Sie es. Das geht schon. Übergießen Sie es mit Benzin und zünden Sie es an. Oder werfen Sie es in den Ofen. Oder legen Sie es ins Scheißhaus, blättern beim Scheißen darin, reißen nach dem Scheißen ein, zwei Seiten heraus und wischen sich mit diesem Textabschnitt den Arsch ab. Das Papier ist heutzutage saug- und wischfähig genug. Aber fragen Sie nicht mich. Stellen Sie sich vor, dass ich vor längerer Zeit gestorben bin. Ich kann Ihnen nicht antworten. Sie müssen selber sehen, wie Sie weiterkommen. Eines Tages wird es sowieso keine Verfasser mehr geben. Und keine Bücher. Das wäre schön, wenn es schon soweit wäre. Aber noch leben Sie in der Bücher-Zeit. Da kommen Sie um diese Dinger nicht immer herum. Solange heißt es eben: Rein und durch. (5)

22:46

Erhalte seit einer Woche fast täglich diese Mail...

TOTAL VERRÜCKT NACH DIR !!!
Jemand der Dich kennt hat uns beauftragt Dir eine Nachricht zu senden.
Die Person ist verrückt nach Dir und hat dieses gesagt:
     - Du bist Charmant 
     - Du bist attraktive 
     - Du siehst süß aus            
     - Du wirkst Intelligent
     - Du siehst sehr aufregend aus
Wenn Du wissen willst wer diese Person ist, dann rufe bitte folgende Nummer an sobald es dir möglich ist: 0190 842 1537
Der Anruf ist total anonym für Dich.
Liebe Grüsse,
FLIRT LOVE-BOX

Sa 25.05.02   10:24

Rief gestern Abend noch an. Es war Julia Roberts, genau wie ich gehofft hatte. Wir wollen uns treffen, natürlich heimlich, denn schließlich bin ich verheiratet und sie hat einen Freund.  Sie sagte: Ich bin doch nur ein Mädchen, dass einem Jungen sagen will, dass es ihn liebt.  O ja Julia, wie schön du das gesagt hast. 


So 26.05.02     10:49

mein leben im netz: fiel auf eine viren-warnung herein, ein HOAX. ein bekannter mailte, es handle sich um ein virus, das sich über das adressbuch von outlook verbreite, und da ich in seinem adressbuch stünde, wäre es besser, nachzuschauen. ich schaute nach und tatsächlich, da war sie, die ominöse datei mit dem gummibärchen-icon und der bezeichnung jdbgmgr.exe. bloß nicht öffnen, hatte er geschrieben, sofort löschen und eine mail an alle, die in deinem adressbuch stehen. zwar fragte ich mich, wie ein virus auf meine platte gelangen konnte, ohne dass ich je eine anlage von jemandem geöffnet hatte, den ich nicht kannte. da aber der absender der mail ein vertrauenswürdiger mensch ist, tat ich wie geheißen, um ein paar stunden später festzustellen, dass die datei kein virus, sondern teil des windows-programmes ist. reingefallen. zum glück konnte ich die gelöschte datei von meiner windows-cd reinstallieren. nähere informationen dazu unter:  www.hoax-info.de

18:09

Bleiern die Müdigkeit, gestern vom Schwimmen, heute vom bloßen Sein. Morgen treffe ich meine Lektorin. Übermorgen backe ich die Nachbarin aus Salzteig.  Und dann ist da natürlich noch Julia Roberts. 


20:32


Wir werden einen weiten Bogen um Cannes machen. Wahrscheinlicher ist, dass wir uns in einer Eisdiele treffen. So gegen Mittag in Gievenbeck, wenn alle hinter ihren Bild-Zeitungen versuchen, der Tagesmitte ein wenig Abwechslung abzugewinnen. Dann wird sie niemand erkennen. Ja. So machen wir's, Julia. Aber vergiss nicht die Sonnenbrille und lern den Satz auswendig, den du mir am Telefon gesagt hast. Du weißt schon. 


Mo 27.05.02    7:52

Los, M., löse die Kleiderfrage und mach dich auf den Weg nach Dortmund, der Verlag wartet in Person deiner Lektorin. Sei dort ganz du selbst.  


16:23


Nach der Rückkehr stellt sich die Frage: wer war ich dort?


16:53


Eine mögliche Antwort wäre: ein frisch rasierter Mann Anfang Fünfzig, der bestes Parfüm benutzt, um nicht wie ein Fünfzigjähriger zu riechen. Eine andere: ein Schriftsteller, dem es nicht gelingt, für seinen im Jahr 2004 erscheinenden Roman "Das Vampirprogramm" einen höheren Vorschuss als den im Vertrag genannten herauszuholen. "Ich habe das durchgerechnet, das geht nicht...." Noch eine andere: ein Mann der Manuskripte an Verlage verkauft. Noch eine: ein Mann,  der darauf baut, noch vor seinem Ableben größer als Erich Kästner zu werden. Sein Lektorat findet "das gut". Wahrscheinlich ist es diese Art von Hochstapelei, die der Mann kultivieren sollte, um damit bei einem Treffen mit der nächsthöheren Gehalts- und Entscheidungsebene im Verlag  schwer Eindruck zu schinden. Und noch eine: ein Hochstapler auf sämtlichen Ebenen, dessen Hochstapelei jeden Augenblick unter  furchtbarem Getöse in sich zusammenfallen kann. Die letzte: ein Mann, der im Doppeldeckerwaggon unten saß und wegen der dichten Vegetation links und rechts des Bahndammes den Eindruck gewann, er fahre durch einen Tunnel. Hoffte, die Reise von M. nach D. möge noch Stunden dauern. Leider war nach 50 Minuten schon Schluss. Die allerletzte: ein Mann, der gefragt wurde, ob er sich vorstellen könne, für die Lovin 'U Reihe seines Verlages noch einen Roman zu schreiben. Warum man ihn gerade das frage? fragte der Mann. Ob das mit dem Verkauf seiner Romane zu tun habe? Auch, war die Antwort, aber davon abgesehen schätze man den anderen Blickwinkel, den er als Mann einbringen könne. Der Mann antwortete: er werde darüber nachdenken. Ich werde darüber nachdenken.

18:12


Und während er sitzt und nachzudenken versucht, vergeht ihm das Gefühl, Schriftsteller zu sein, so gründlich, dass er sich schütteln muss und zurufen: Sie sind es, Herr M., ganz gleich, wie das Leben ausgeht, Sie sind es, manchmal sind Sie es sogar selbst. - Ach ja? - So getröstet mit den Lügen der heiligen Kirche Hoffnung beschließt er, alles auf sich zukommen zu lassen. 

22:12


Dann ein Blick in der Herbstkatalog. Im Vorwort steht: (...) als unabhängiger Traditionsverlag sind wir auf dem richtigen Weg, um in diesem Jahr - davon bin ich überzeugt - mit ihrer Hilfe unsere Marktpräsenz noch einmal deutlich stärken zu können. Dafür sprechen ein engagiertes und überzeugendes Programm, hoch motivierte MitarbeiterInnen sowie Autorinnen und Autoren, die bei uns ihr Zuhause gefunden haben: (...) und Hermann Mensing haben sich zu Erfolgsautoren entwickelt, (...).... Was das Zuhause angeht, stimme ich zu. Ich fühle mich wohl bei Ueberreuter. Einen Erfolgsautor stelle ich mir jedoch anders vor. 


Di 28.05.02   7:57

Alle vorwiegend von Profitsucht und Egoismus bestimmten Entwicklungswege führen die Menschheit mit Gewissheit in den nächsten 30 Jahren ins ökologische Verderben. Nur eine Politik einschneidender Korrekturen, am besten gepaart mit einer veränderten Einstellung der Menschen, hält - mit Glück - den Schaden für die Umwelt in erträglichen Grenzen. In allen anderen Fällen wird der Druck auf die natürlichen Lebensgrundlagen übermächtig, der vom absehbaren Wachstum der Weltbevölkerung und der Weltwirtschaft ausgeht. Das Klima läuft aus dem Ruder und die vom Menschen ungestörten Naturräume schrumpfen bis auf Restflecken zusammen. (Klaus Töpfer - Leiter der UN-Umweltbehörde)
Soviel zum Morgen, liebe Menschen, die ihr noch immer frohen Mutes seid und glaubt, alles sei halb so wild.  Habt keine Angst, Rettung naht: ich leide für euch. Mit pränataler Depression geboren fällt mir das leicht. Mehr noch, es macht mir Spaß, ich könnte gar nicht ohne. In diesem Sinne, plündert die Welt, sie hat es verdient, ohne euch weiter zu leben. 

Mi 29.05.02   9:16

Es war nicht leicht, aber ich habe den Erfolgsautor in einem harten Kampf niedergerungen und bin jetzt wieder der, der ich vorher war. 

22:46


Letztes Jahr waren sie zu dünn und nur halb so zart. Dieses Jahr sind sie richtig. Wirst sehn, warte, ich mach dir einen fertig. Jakob nimmt sein Messer und mit drei Schnitten ist die Arbeit getan: Kopf, Innereien, Haut - weg damit. Mit Zwiebeln? Ich nicke. Er streut gehackte Zwiebeln darüber und gibt ihn mir. Ich fasse ihn beim Schwanz, lege den Kopf in den Nacken, lasse ihn überm Mund baumeln und beiße ab. Jakob hat Recht. Die neuen sind zarter und fetter. 

Do 30.05.02     11:33

Am Himmel (dräuend): die Schreibblockade. Hockt da und scheißt mich zu mit ihren Zweifeln.  


16:59


Ich habe keine Nazi-Vergangenheit. Ich bin kein Antisemit. Im Gegenteil: Juden gehen mir am Arsch vorbei. Sind sie freundlich, oder sind sie es nicht? Traue ich ihnen, oder traue ich ihnen nicht? Tun sie, was sie sagen, oder reden sie nur? Das sind die Dinge die zählen. Nicht, ob sie dies oder das sind. 


19:48 


Lese mich in die Prosa von Hans Joachim Schädlich ein und begreife seine Verknappungen; welche Räume er öffnet und Freiheiten lässt, seine Geschichten mit eigenen Bildern zu füllen. Gegenüber die Tür, zwischen den Fenstern, das Bild. (6) Das gefällt mir.

22:36


Sprach vorgestern mit Herrn B. Erklärte ihm, dass ich eine Entschuldigung erwarte und keineswegs geneigt sei, das Eindringen in  unsere Wohnung auf die leichte Schulter zu nehmen. Heute nun ist meine Wut verraucht, eine Entschuldigung hat man uns noch nicht angeboten und wenn Frau B. mir - wie heute Nachmittag geschehen - im Treppenhaus begegnet, bekommt sie einen angestrengt starren Blick und geht grußlos vorbei. Amüsant. Bin gespannt, wie lang sie das durchhält. 


Fr 31.05.02   9:45

Verbrachten den gestrigen Nachmittag in einer Laube des botanischen Gartens. Mund- und fußfaul beobachteten wir unterschiedlichste Charaktere männlichen und weiblichen Geschlechts. Jedem, der nach M. kommt, sei dieser Garten wärmstens empfohlen. Man sitzt unter Zedern, unter himmelhohen Rotbuchen, nahe hohem Schilf, in alpiner Umgebung, in der Heide oder in einem westfälischen Bauerngarten. Man sitzt, sieht und riecht und man freut sich. Und die Welt, die am 30 Mai regelmäßig untergeht, ist wieder nicht untergegangen. 


12:08


Was man bedauern mag, aber nicht muss. 


15:58


Schreibe "Der Faxenmacher", die Geschichte von Johann N'dugu, der aufwächst, ohne zu bemerken, dass er anders ist, und der, als er es bemerkt, aus allen Wolken fällt. Dass er schwarz ist, wird in der Geschichte mit keinem Wort erwähnt. Sollte ich sie fertig  bringen, wird sie mein Beitrag zur nächsten Ueberreuter Anthologie. 

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1: Goethe Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre //. 2: Laotse Chinesischer Philosoph // 3: H.C. Artmann // 4: Blood Count (Billy Strayhorn) auf: Vienna Art Orchestra "Duke Ellington's Sound of love" // 5: Hans Joachim Schädlich "Schott" Roman Rowohlt // 6: Hans Joachim Schädlich: 'Nirgend ein Ort'  in: "Versuchte Nähe" Prosa Rowohlt //

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