Mai 2006                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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Mo 1.05.06   11:10

Ich war vor knapp einer Woche aus Südamerika zurückgekehrt. Wir kannten uns, schon vor meiner Reise hatten wir oft beisammen gesessen, geredet, Musik gehört, die Welt besprochen, aber weiter hatte ich damals noch nicht gedacht. Zum 1. Mai 1973 hatten wir uns verabredet. Mit Freunden brachen wir zu einer Maitour ins Gildehauser Venn auf. Es war ein regnerischer Tag, nicht der strahlende Mai, den man sich wünscht. Am Tag darauf wurde sie von Freunden gefragt: Gehst du jetzt mit dem Mensing? Sie bejahte. Seitdem sind wir ein Paar. Ohne sie ginge nichts. Ohne sie gäbe es mich gar nicht.

14:30

Die Arbeit ist immer noch das beste Mittel, das Leben zum Verschwinden zu bringen. (Gustave Flaubert)

 

Di 2.05.06 8:15

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren.

Hätten Sie gedacht, dass der sensible Politiker, Humanist, Weltenretter, Wahlbetrüger, Kriegsgewinnler, Wirtschaftkriminelle und wiedergeborene Christ George W. Bush Jr. wie ein normaler Mensch abführt. - Ich nicht. Ich dachte, er ließe abführen. Man liest das ja jeden Tag. Überall lässt er abführen, liest man. Dennoch, wenn es um ihn geht, macht er es selbst. Wird wohl da hocken wie die übrigen Abgeführten, mit zusammengeketteten Beinen, die Hosen herunter. Stelle ich mir so vor. Aber ob's stimmt....

15:20

Ganz gleich, ob Krieg ist oder war, Verträge sind einzuhalten, das ist Konsens. Niemand verstößt gegen diesen ehernen Grundsatz. Man könnte sagen, er steht auf der Dringlichkeitsliste noch vor den 10 Geboten.

Ich vereinbare meine Lesungen in der Regel form- und vertragslos und habe noch nie Probleme damit gehabt. Meine Hörspielworkshops habe ich allerdings vertraglich abgesichert, das wollten die Kulturämter so.

Den ersten Workshop habe ich hinter mir. Die Zusammenarbeit sowohl mit dem Kulturamt als auch mit der Schule waren reibungslos, der Workshop erfolgreich.

Das Kulturamt, das den zweiten Workshop gebucht hat, ließ jedoch lange Zeit nichts von sich hören. Man werde sich melden, wenn eine kooperationsbereite Schule gefunden sei, hieß es. Eine nette Dame am Telefon, sehr nett, sehr locker.

Vor vier Wochen rief ich die Dame an und bat, sie möge mir endlich mitteilen, an welcher Schule der Workshop stattfinden solle und bat außerdem, mir zur Vorbereitung Info-Material zur Stadt H. zuzusenden. Beides wurde versprochen.

Bis Mittwoch letzter Woche hatte ich weder das eine noch das andere, rief an und erhielt die Zusicherung, bis Freitag werde man mir das gewünschte Material schicken und definitiv sagen, wo der Workshop stattfände, es gäbe da ein paar Schwierigkeiten, eine Schule habe ihre Kooperationsbereitschaft zurückgezogen.

Keine Nachricht am Freitag.
Auch keine am Samstag.
Darauf schrieb folgende Mail:

Guten Tag Frau ...

es ist Samstag, in einer Woche soll der Hörspielworkshop beginnen, Sie haben mir am Telefon zugesichert, mir bis spätestens gestern Nachricht zu geben und das ist nicht geschehen. Sie werden verstehen, dass ich das nicht witzig finde.

Ich habe gerade einen Hörspielworkshop abgeschlossen, und alle, die daran teilgenommen haben, waren höchst zufrieden, die Schüler, die betreuende Lehrerin, der Leiter des Kulturamtes des Stadt, alle fanden, es sei eine sehr gelunge Aktion gewesen.

Nur von Ihnen bekomme ich eine Woche vor Anpfiff keine gesicherten Informationen. Das ist nicht fair. Ich bitte Sie also dringend, sich verlässlich zu Anfang der Woche zu äußern, andernfalls werde ich mich mit dem Kultursekretariat in Verbindung setzen, denn schließlich haben wir einen Vertrag.

Mit freundlichem Gruß - Hermann Mensing

Heute früh wimmerte die Dame eine Entschuldigung auf meinen Anrufbeantworter, worauf ich zurückrief, in ernstem, aber nicht unfreundlichen Ton Klage führte und sie nochmals an unseren Vertrag erinnerte.
Wir trafen darauf ein paar Vereinbarungen, die sie mir vorhin per E-Mail bestätigte.

Hallo Herr Mensing,

ich gebe hier kurz den Inhalt des Telefongesprächs wieder mit den Vereinbarungen.
Gleichzeitig schicke ich Ihnen noch eine schriftliche Form mit den Infos über H.

Der Termin für den Krimiworkshop wird auf die zweite Jahreshälfe verschoben.
Herr Mensing bekommt innerhalb der nächsten drei Wochen, Terminvorschläge sowie die Schuleform genannt, mit der der Workshop stattfinden soll. Das Kulturbüro zahlt die vereinbarte Gage laut Vertrag zum 12.05. aus.

Sollten Sie noch Änderungswünsche haben, bitte teilen Sie mir diese mit.
Ansonsten schicke ich die Unterlagen am Mittwoch ab.

Mit freundlichem Gruß

Dem aufmerksamen Leser kann nicht entgangen sein, dass die Dame von einem Krimi-Workshop spricht. Ich konnte nicht umhin, Sie darauf hinzuweisen, dass in unserem Vertrag von einem Hörspiel-Workshop die Rede ist.

Die nette Dame ist offenbar aber nicht erst seit heute inkompetent, denn von einem, der schon mit ihr zusammengearbeitet hat, hörte ich Ähnliches.

PS. Ich liebe kompetente Partner.
Sie machen die Arbeit leicht und alles geht mit Freude von der Hand.

 

Do 4.05.06   17:15

Heftiges Autobahnfahren. Zweimal Mönchengladbach hin und zurück. Bei der ersten Hinfahrt, ich hatte einen Puffer von etwa 45 Minuten eingeplant, stellte ich fest, dass die Auffahrt Senden gesperrt war. Ich musste nach Münster zurück, wenden und die Reise von vorn beginnen. Dummerweise war aber gerade an der Auffahrt Senden/Richtung Münster ein LKW gegen einen Bus gefahren, zwanzig, dreißig Schulkinder irrten ein wenig geschockt herum, das Auffahren verzögerte sich, und so kam es, dass ich, obwohl ich um 7:30 losgefahren war, erst um etwa zwei Minuten vor zehn die Schule in Mönchengladbach betrat.

Immerhin, man könnte sagen, ich wäre pünktlich gewesen, pünktlicher als manche andere, denn in der Familie Mensing gibt es ein Timing, das, glaube ich, kaum zu überbieten ist. Selbst bei unvorhersehbaren Zwischenfällen, etwa bei der Evakuierung der U-Bahn Station Baker Street in London, die wir betreten hatten, um zu einer Verabredung mit einer in London lebenden Bekannten zu fahren, gelingt es uns, dennoch auf die Minute genau einzutreffen.

Wie wir das machen, ist mir ein Rätsel.

Vielleicht gibt es Gene für so etwas. Stress kommt dabei jedenfalls nicht auf. Auch gestern nicht. Der Verkehr auf der A43 und später dann auf der A44 war zähfliessend, tausendundeinmal wünschte ich mich fort, aber wohin. Um zehn nach zehn begann meine erste Lesung. Sechzig zappelige Erstklässler, denen ich den 10 Mond vorspielte. Anschließend etwa die gleiche Anzahl Drittklässler, die ich das Gruseln lehrte. Im Anschluß ein Husarenritt über die A44, die A57, die A-weiß-ich-nicht-Duisburg-Venlo, über die A-3 und A2 auf die A31 bis ins Studio nach Gras, wo Carsten und ich das Hörspiel, das letzte Woche entstanden ist, schnitten und mit Geräuschen unterlegten. Wir sind beide höchst zufrieden mit den Ergebnissen.

Heute dann noch frühere Abfahrt, dennoch wieder zwei geschlagene Stunden, eh ich in Mönchengladbach ankam. Las aus Flanken, Fouls und fiese Tricks und aus Voll die Meise. Und singen wollte man. Es hatte sich wohl herumgesprochen, dass da einer ist, der seltsame Lieder auf der Ukulele vorträgt, in denen auch schon mal von jemand die Rede ist, der von einer Leiter kackt.

Gute Lesungen, anstrengende Autofahrten, ein Unfall auf der Hinfahrt, ein Unfall auf der Rückfahrt gestern, Gegenfahrbahn Richtung Venlo, reichlich zertrümmertes Material, erstaunlich eigentlich, bei dem Wahn, der auf Autobahnen herrscht. Wer regelgerecht 80 fährt, wenn irgendwo 80 angezeigt ist, macht sich auf der Stelle unbeliebt.

Das Durchfahren verschiedener Landschaften wird bei dieser Art Stress nur am Rande erlebt, das Ruhrtal etwa, der Rhein, die niederrheinische Tiefebene, die Ränder des Bergischen Landes, Westfalen, all das nur schemenhaft. Dennoch ist das Reisen mit unserem neuen gebrauchten Auto angenehm. Es nimmt viel von der Raserei, und wer sich wie ich bei 120 KMH am Wohlsten fühlt, hat Chancen, zu überleben. Mehr von den Lesungen vielleicht schon morgen, für heute soll es erst einmal gut sein.

 

Fr 5.05.06   10:28

Deutsche Arbeitslose im Gewinnrausch!

Herr Deutsche Bank, Frau Elfriede BMW, Herr Riese Bertelsmann, die Brüder Allianz und der Düsseldorfer Herr Henkel haben für das erste Quartal dieses Jahres glänzende Aussichten. Herr Deutsche Bank etwa verbesserte seinen Gewinn vor Steuern um 46%, nach Steuern sogar um 55%, das beste Ergebnis ever.

Verdopplungen der Gewinnmargen sind keine Seltenheit. Man ist optimistisch.

Kein Wunder, dass nun schärfere Kontrollen und Sanktionen bei Arbeitsunwilligkeit eingeführt werden sollen, zeigen doch die genannten Beispiele, dass der, der will, auch Arbeit findet. So erscheinen die 4,4 Millionen Arbeitslosen in immer schlechterem Licht, und man darf vermuten, dass es sich bei der Hälfte von ihnen, wenn nicht bei 3/4 um arbeitsscheue Elemente handelt, die gar nicht am neuen Boom teilhaben wollen, sondern faul von ihm profitieren, indem sie nicht zur Arbeit gehen und vom Staat ALG einzustreichen.

Ein Skandal, wie wir finden.

13:05

Der linksrheinische Katholizismus sitzt tief, zumindest schließe ich das aus zwei Schulen, die ich im Rahmen meiner Lesetour in den letzten Monaten besucht habe. Beide waren aus ähnlich düsterem, rotbraunen Klinker, beide ähnlich streng konzipiert, mit zentralen Treppenaufgängen, als gälte es, hunderte Schüler aufzustellen, wenn der Kaiser kommt.

Durch schwere Eichentüren betritt man einen dämmrigen Flur, folgt ihm, erreicht die steile Eichentreppe, steigt hinauf und blickt im ersten Stock auf den gekreuzigten Herrn, übermannsgroß. Das Kreuz hängt zentral an einer eichernen Wand, links und rechts Klassentüren.

Was denkt ein Sechsjähriger, der jeden Morgen unter dem gebrochenen Blick eines zu Tode gequälten halbnackten Mannes seine Klasse betritt. Geradezu absurd wird diese christliche Installation, wenn man sich der geradezu panischen Diskussionen um das Tragen oder Nichttragen von Schleiern bei Muslima erinnert.

Tiefes Mittelalter also links vom Rhein, und ich schätze, dass dieses Mittelalter nicht nur in den Gebäuden steckt, sondern mestastasenähnlich in den Köpfen einer sedierten Bevölkerung, die nicht aufschreit, wenn sie hört, dass Konzerngewinne in astronomische Höhen schnellen, die nicht kotzt, wenn sie von den sinntriefenden Äußerungen unserer gute Frau von der Leyen hört, die sich nicht zu schade ist, bei Eröffnungen von Autohäusern (Family Cars, Senden) aufzutreten, den Ententanz zu tanzen und jedem, der es nicht hören will, zuruft, dass Kindergeschrei die Musik der Zukunft sei.

Düstere Zeiten, meine Damen und Herren, die Frage nach der Revolution ist nach wie vor relevant, die Frage ist nur, welche Art Revolution sollte es sein, woher sollen die Werte kommen, wenn alles korrumpiert ist.

Wir, der Dichter Mensing und sein Alterego M., wünschen ein friedensreiches Wochenende im Land der Ausbeuter und Gewinnmaximierer.

 

Sa 6.05.06   14:35

Ich hatte noch nicht ausgepackt, die Kinder der ersten Klassen frühstückten noch, als die Rektorin der Schule kam, um mir drei Zweihunderter zuzustecken. Damit wir das gleich erledigt haben, sagte sie. Aber wir hatten etwas anderes vereinbart, sagte ich, lassen Sie uns nachher in Ruhe darüber sprechen.

Wir hatten 750 vereinbart, dafür würde ich zweimal quer durchs Ruhrgebiet fahren, den Rhein überqueren und viermal vor insgesamt etwa 250 Kindern lesen. Ich ahnte nichts Gutes, zumal der erste Eindruck, den die Rektorin auf mich machte, ein sehr strikter war, mit der ist nicht gut Kirschen essen.

Nach der ersten Lesung gingen wir ins Raucherzimmer, sie bot mir eine Zigarette an, ich trank Kaffee und sagte, Sie brächte mich in eine unangenehme Situation. Sie mich auch, antwortete sie und erklärte, ich selbst hätte bei unseren Verhandlungen am Telefon schließlich bei 600 eingewilligt, allerdings gebe sie zu, dass zu Anfang von 750 die Rede gewesen sein. Ich erinnerte mich nicht an 600, aber ich habe Vordrucke, in die ich die Daten der Veranstalter eintrage, wenn ich mit ihnen verhandle, einen handschriftlich, dann, später, einen Ausdruck, und auf beiden stand 750.

Was also sollen wir tun? fragte ich.
Die Rektorin fragte, ob wir uns nicht auf 675 einigen könnten.
Gut, sagte ich.

Motorpsycho spielten in Münster.

Der Skaters Palace war, als ich kam, schon sehr voll. Ich suchte mir einen Platz auf einer der Rampen, über die normalerweise Skater jagen und beobachtete, wie sich die Masse langsam verdichtete. Elias Canetti (den ich sehr schätze) hätte seine helle Freude gehabt, denn er hat beschrieben, wie Massen sich verhalten, was Massen antreibt, wie Massen einem gemeinsamen Höhepunkt entgegen fiebern, einer Verschmelzung aller mit allen, einer Entindividualisierung, er hat beschrieben, wie Massen versuchen, diesen Zustand möglichst lange aufrecht zu erhalten, im Wissen, dass sie trotzdem zerfallen wird.

Motorpsycho arbeitete diesem Phänomen instinktiv zu. Das Konzert sollte um 21 Uhr beginnen. Tatsächlich begann es gegen 22 Uhr. In dieser Stunde konzentrierte sich das Publikum immer stärker auf die Bühne. Gegen 21.30 gab es erste auffordernde Pfiffe, Rufe. Hin und wieder lief ein Techniker über die Bühne. Gegen 21:45 wurden die Verstärker angestellt, Gitarren wurden auf die Bühne gebracht. Menschen,die bis dahin saßen, standen auf. Aber das Konzert begann dennoch erst 15 Minuten später. Statt der fiebernden Menge aber einen Kracher um die Ohren zu hauen, schien die Band in den ersten fünf Minuten des Konzerts eher mit sich und einer nicht sehr gehaltvollen Improvisation beschäftigt, die einzig und allein durch eine leise gespielte Bassphrase zusammengehalten wurde. Dann aber wurde es schneller. Seltsam diese Band, die in einer Zeit, in der Popsong höchstens 3 Minuten lang sind, Lieder spielt, die fünfzehn Minuten dauern, plötzlich in sich zusammenfallen, sodass man nicht weiß, ob die Band nun den Faden verloren hat, um dann ebenso plötzlich wieder loszudonnern.

Ich besitze zwei CD's der Band. Komplexe Musik ist das, High-Speed Rock, überlagert vom sehr melodischen Gesang des Bassisten, harmonie-unterstützt vom Gitarristen, orchestral instrumentiert teilweise. Mich erinnert das phasenweise an Caravan, eine Band aus den 60igern. Auch die Doors höre ich. Kein begeisterndes Konzert, dennoch keine Reue.

 

So 7.05.06   18:10

Sonniger Tag mit starkem Ostwind, Radtour, jetzt: erschöpft.

 

Mo 8.05.06   11:55

Die ersten 25 Kilometer fuhren wir gegen den Wind. Nicht zu unterschätzen, so ein kontinentaler Ostwind, aber ohne ihn wäre es vielleicht schon zu warm gewesen. Bei Kilometer 8, wir saßen auf einer idyllischen Bank mit Blick auf die A 1, wollte mein Hut auf und davon. Meine Frau stürzte ihm nach, ich sah sie schon kopflos über die Straße rennen und rief ihr nach, lieber der Hut als du.
Sie blieb stehen, mein Hut besann sich, so ging alles gut aus.

Bei Kilometer 13 (Amelsbüren) rasteten wir in einer Eisdiele.
Neben uns Mutter und Sohn, dreizehn vielleicht, gepflegte Langhaarfrisur, coole Sonnenbrille, arrogant gelangweiltes Gesicht, beide wortlos. Irgendwann fuhr ein Audi der oberen Oberklasse vor, ein etwa 40jähriger, mittelgroßer, schlanker Mann mit schwarzem Basecap stieg aus und setzte sich zu den beiden. Kein Zeichen freudigen Erkennens. Der Mann bestellte sich einen Schokobecher.

Als sie gezahlt hatten, brach zwischen Mann und Frau eine Diskussion über den Preis des Schokobechers aus. € 3,20, das wären ja DM 6,40, das wäre doch wohl ein bisschen viel. So sind sie, die wohlhabenderen Menschen. Während wir, die Habenichtse, unser Geld fröhlich unter die Leute bringen (wo es ja auch hingehört) hocken sie auf jedem Cent.

Weiterfahrt mit der kurzfristigen Illusion, der Wind könne nachgelassen haben. Nächste Pause mit Waldesrauschen bei Kilometer 21 in der Hohen Ward, einem Waldgebiet zwischen Albersloh, Hiltrup und Rinkerode. Vereinzelte Jogger, ein älteres Ehepaar mit auf den Mercedes geschnallten Freizeiträdern, Falter und Vogelgesang.

Ab Albersloh (Kilometer 30) dann Erleichterung. Wir wechseln die Fahrtrichtung, der Wind treibt nun von hinten rechts unsere Durchschnittsgeschwindigkeit in die Höhe. Erhöhtes Radtouristenaufkommen, denn der Werse-Radweg ist beliebt. Freuten uns über die angestrengten Gesichter der uns Entgegenkommenden.

Im Landgasthaus Pleistermühle (Kilometer 42) Kaffee und Mandarinen-Schmandkuchen, während ringsum der Wochenendtourismus tobt. Menschen vor Weißbieren, Menschen in Canus, Menschen beim Minigolfspiel.

Die letzten Kilometer werden zunehmend mühsam. Wir erreichen Münster über den Prozessionsweg, umrunden das Zentrum auf der Promenade, fallen ins Aa-Tal, mühen uns wieder heraus und sind nach 55,6 Kilometern wieder zu Hause.

Und heute? Werden Theater-Monologe geschrieben. Jetzt gleich.

13:40

Etwa so sieht das Cover des Hörspiels aus, das ich mit den Schülern der PGS Ibbenbüren erarbeit habe.

 

Di 9.05.06   9:32

M. hockt schon seit früher Stunde
vor dem britzelnden PC
Dialoge brütend, die in aller Munde
Wohlsein zünden, niemals Weh.

Ist es klug. M. ernst zu nehmen
hat Herr M. noch alle dicht
sollte man nicht auch erwähnen
dass er mit sich spricht?

Oh an diesem Maientag
der in Blütenpracht ertrinkt
bleibt die Frage unbefragt
ob ein Zaunpfahl winkt.

Oder winkt da etwas andres,
winkt ein Scheck, winkt bares Geld
warum hockt M. dann zum Teufel
schon so früh auf dieser Welt?

Wie man sieht, schon wieder Fragen,
wie man hört, sinnlos dazu
wie man weiß, ist M. in allen Lagen,
und mit allen Fragen dieser Welt auf DU.

 

Do 11.05.06   13:00

Als wäre die Last von Himmel und Hölle nicht schon genug, gibt es auch noch Arbeitsplätze und Mobbing und Chefs mit angestelltem, illegitimen Kind (Gerücht), das Vorrechte vor allen genießt, dafür nichts tun muss und für dieses Nichtstun auch noch gelobt wird. Ein Dilemma. Was also soll man einem Sohn raten, der sich in so einer Firma wiederfindet und noch zwei Jahre braucht, um seine Ausbildung abzuschließen. Ein klärendes Gespräch? Das Zünden einer Bombe? Ich weiß es nicht. Ich bin ratlos. Ich bin mutlos. Ich bin verzweifelt.

17:05

Fassen wir zusammen: die Sprengung des Planeten Erde erfolgt nicht aus den bei Douglas Adams beschriebenen Gründen, sondern wegen fehlender menschlicher Wärme, Kompetenz, wegen Umdeutung aller Werte und globalen moralischen Verfalls. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Restaufenthalt von, sagen wir, ....

 

Fr 12.05.06   8:15

Gern werde ich gefragt, Herr M., wann kommen Ihnen eigentlich Ihre Ideen?
Oh, antwortete ich letztlich vor großem Auditorium, etwa fünftausend Mütter und Väter, die zehntausend meiner Romane kaufen wollten, das ist kein Geheimnis: Beim Scheißen zum Beispiel. Beim Scheißen sprechen oft Stimmen zu mir. Sie sagen, Herr Mensing, versuch es mal damit. Und das tue ich dann.

PS. Die Romane wurden dann doch nicht verkauft.

PPS. Was die Sprengung angeht, ich werde mich beispielhaft und quasi als ihr Personal Jesus heute mittag gegen 12 Uhr wegsprengen. Ich hoffe, Sie machen anschließend den Dreck weg. Ob Sie bleiben oder nicht, ist mir egal. Besser wäre, Sie folgten schnell, denn wenn erst das Jüngste Gericht kommt, werden Sie schon sehen, was Sie davon haben.

Und nun noch ein aufmunterndes Wort des FREIEN an alle GEKNECHTETEN DIESER ERDE, die in Lektoraten hocken und über Herbstprogrammen brüten: ich wette, ihr hört keine Stimmen, stimmt's. Wahrscheinlich könnt ihr nicht einmal sämig scheißen.

Bin fäkal drauf heute. Also.

 

Sa 13.05.06   10:30

Schweres Wegschädeln mit weichen Drogen. Anschließend hurtige Nachtfahrt durch Münster Südwest. Frau Mensing vorneweg. Ihre natürliche Reisegeschwindigkeit von 17 KmH wurde durch die Aussicht auf ein gemütliches Bett noch um einiges erhöht. Herr Mensing, dem satt-gelben Vollmond hin und wieder zuzwinkernd, hatte Mühe, ihr zu folgen.

Süd-West lag wie ausgestorben. Obwohl sich in den letzten fünf Jahren mindestens 2500 Menschen dort angesiedelt haben, wurde Herr M.das Gefühl nicht los, etwas Entscheidendes fehle. Geplant als Mix aus Eigentum und Sozialbau ist die Struktur dennoch eindeutig. Vom Südwesten im Halbkreis nach Südost reihen sich die Eigenheime, nach Norden hin, die breite Achse der Hauptstraße querend, die Mehrfamilienhäuser und Wohnblocks. Garniert wird das trübe Ensemble mit Aldi, einem Bäcker, einer Apotheke, Schulen und einem Bürgertreff. M. möchte dort nicht einmal tot überm Zaun hängen.

Heftiges Schädelweh, gegen sechs mit Aspirin bekämpft, gegen halb neun mit kneippschen Güssen bedrängt, beim Brötchenholen im Schutz der dunklen Ray-Ban langsam eingekreist, jetzt besiegt.

Ausdrucksstarke Erdbeerflecken auf die frische Hose geträufelt.

Traurige Geschichten klingen nach, die Tochter flüchtet sich in ständig wechselnde Krankheiten, u.a. in die klassische Bulimie, der Sohn ist ein Nerd (sagt man so), einer, der nächtelang am Computer zockt, nur das mittlere Kind scheint sein Leben greifen zu können, studiert und tröstet Mutter und Vater: Ich bin doch auch euer Kind. Ihr könnt nichts dafür.

17:30

Zurück aus Burgsteinfurt. Frühe Erinnerungen an diese Stadt auf dem halben Weg zwischen Münster und Gronau gehen bis in die frühen sechziger Jahre, als ich mit dem Rad zum 1. Mai zum Bagno fuhr, ein von den Fürsten zu Bentheim angelegter Lustgarten.

Heute waren wir dort, um die Ausstellung eines Richter Schülers zu sehen, Bernard Lokai, ein gebürtiger Tscheche, der Landschaften malt. Nicht, dass es mich umgeworfen hätte, Klaus Geigle ist besser, dennoch war es schön, die Bilder anzuschauen.

In der Stadt war Kirmes. Es ist eine sehr schöne Stadt, es gibt Straßenzüge, deren Bausubstanz an die zweihundert, zweihundertfünfzig Jahre alt ist, im 16. Jahrhundert gab es dort schon eine Universität, eine der ersten in NRW, die es heute nicht mehr gibt.

Im Ortskern saßen wir eine Weile in einem Café, um Kirmesbesucher anzuschauen. Erstaunlich viele Roma und Sinti, gegen die junge türkische Familien bürgerlich sittsam wirken, dicke Menschen, viel soziales Elend, vielleicht von der Kirmes angelockt.

Seltsam berührt jedenfalls, wie sich dieses Westfalen über die Jahre verändert hat. Hätte mal einer einen Afrikaner gesehen, damals, als ich klein war, die Menschen wäre zusammengelaufen. Saßen also da, schauten in die Gesichter, erschrocken, dass in manchen kaum noch Zukunft sichtbar war. Wer unten ist, hat kaum Chancen, nach oben zu kommen. So etwas nährt Hass und Wut und ist nicht ungefährlich. So viele Parallelgesellschaften wie anwesende Menschen. Integration ist da nur ein Wort.

 

So 14.05.06   16:20

Wahrscheinlich hat jeder schon einmal ein Bild von Caspar David Friedrich gesehen. Die Kreidefelsen auf Rügen etwa, vielleicht auch den Wanderer über dem Nebelmeer. Das Museum Folkwang in Essen zeigt augenblicklich eine Ausstellung mit rund 80 Gemälden und über 100 Arbeiten auf Papier des Künstlers.

Ich beschloss, mir die Ausstellung anzusehen. Ich hatte nie ein inniges Verhältnis zur Romantik, jedenfalls nicht zu der, die man mir kulturhistorisch unterzujubeln versucht hat. Ich hatte immer das Gefühl, sie sei verlogen.

Die Bilder Caspar David Friedrichs (der eher ein Zeichner als ein Maler ist) sind handwerklich auf höchstem Niveau, darüber hinaus ohne Emotion, bis in feinste Pinselstriche konstruierte Natur wohin man schaut. Möglich, dass mancher das als romantisch erlebt, ich nicht. Mir war langweilig. Nicht ein Bild hatte die Kraft, mehr zu sein als perfekte Konstruktion, nicht eines, das verstörte, anrührte, beunruhigte.

Welche Erlösung, als Frau M. und ich den Saal verließen und den Malern näherkamen, die wussten, dass Kunst mehr ist als millimetergenaue, mit Zirkel und rechtem Winkel erzeugte Harmonie. Van Gogh, Nolde, Kokoschka, Munch....

Wie viele Visionen in den Bilder von Turner, die wir sahen, als wir das letzte Mal im Folkwang Museum waren. Da hatte es uns von einem Bild zum nächsten gerissen, staunend hatten wir gestanden, wie dieser Maler mit Licht umgehen konnte, wie er Landschaften auflöste, Abstraktionen vorausahnend.

Nichts, gar nichts davon bei Caspar David Friedrich.
Der Bürgerkitsch eines Erbsen zählendes Perfektionisten, der, jedes Risiko vermeidend, keinen Quadratmillimeter seiner Leinwand dem Leben widmet.

Nicht hinfahren.

 

Mo 15.05.06   9:50

Und woher weiß Herr Mensing das alles? -
Es weiß es gar nicht.

Es ist seine Meinung.
Es ist nämlich auf der Welt, um sich eine Meinung zu bilden.
Eine eigene Meinung

 

Di 16.05.06   15:45

Eigentlich fing es schon gestern Abend an. Ich hätte Sweet sixteen nicht zuende sehen sollen, ein Spielfilm über das Leben eines Jungen, der in einer kleinkriminellen Familie groß wird. Drogen, Gewalt und ständige finanzielle Engpässe sind an der Tagesordnung. Ich hätte es einfach so machen sollen wie Frau M., die sich auf den Balkon setzte, weil sie den Film nicht mehr ertrug.

Ich aber habe ihn zuende gesehen, bin ins Bett gegangen, habe geschlafen, nicht gut geträumt, was weiß ich nicht mehr, und bin mit dem dumpfen Gefühl erwacht, heute würde es hart. Stand unter der Dusche und dachte, heute sollte ich es besser sein lassen. Setzte mich ins Auto und dachte, Scheiße. Fuhr und fuhr über die verstopften Landstraßen nach Bielefeld Senne, erreichte die Schule, eine sehr schöne Schule übrigens, wurde freundlich empfangen und dachte immer noch, nichts wie weg hier, keine Antwort auf keine Frage, keinerlei Erleuchtung, nichts, nur dumpfes leeres Brummen.

Dann begann auch schon die erste Lesung von etwa 80 Kindern. Ich las Voll die Meise und erst nach gut zwanzig Minuten begann ich, lebendig zu werden. Danach ging es bergauf. Die zweite Lesung aus der Sackgasse 13 war routiniert. Ich hatte ja schon gesagt, ich glaube, ich bin jetzt Profi und kann trotz leeren, düsteren Brummens Lesungen halten, ohne dass jemand merkt, dass ich gar nicht da bin. Die Lehrerinnen jedenfalls waren schlichtweg hingerissen, so aufgelockert, so nah bei den Kindern etc. pp. Ich bin wieder zuhause. Dies ist mein Fazit. Nichts mehr heute. Das heißt, doch, ich habe Theaterprobe.

 

Mi 17.05.06   13:53

Das Auto ist bezahlt. Die Sonne scheint. Wir können wieder.

 

Do 18.05.06   9:32

Nachdem verschiedenen Quellen zufolge augenblick eine Katzenpissewolke die Welt umkreist und Menschen verunsichert, möchte ich auf ein weiteres Phänomen hinweisen, das bisher nicht ausreichend geklärt ist. Heute früh war mein nagelneues, von mir mit dem Erlös harter Selbstdarstellung vor Grundschulkindern bar gezahltes Automobil rechtsseitig mit senfgeblem Vogelschiss bedeckt.

Ich zweifle, ob es sich um Einzeltäter handelt, denn häufig findet sich Vogelschiss ähnlicher Konsistenz auch an Fensterscheiben. Wie es dem/ oder den Vögeln gelingt, ihre Exkremente derart zielgenau auf die genannten Flächen zu applizieren, ist mir ein Rätsel.

Im Vorbeiflug vielleicht - aber wie?
Indem sie, das Rektum voran, im Steilflug und unter großem Druck abkacken?
Oder handelt es sich um reine Glückstreffer?
Wer mehr weiß, möge sich melden.
Die beschriebenen Vogelschisse sind etwa handtellergroß. Ich schätze, die dazu passenden Vögel müssten dreißig, vierzig Kilo schwer sein, denn proportional ist das, was der Autor in frühen Morgenstunden gern unter sich lässt, von ähnlicher Menge.

16:50

Nachdem Goleo, das Maskottchen der WM 2006, kläglich gescheitert ist, hat das Organisationskomitee beschlossen, ein der DEUTSCHEN LEITKULTUR näheres Maskottchen herauszubringen.
Schauen und urteilen Sie selbst. Wir finden es sehr gelungen.

 

 

Fr 19.05.06   15:10

Las heute zweimal in Gronau. Meine ersten Zuhörer waren Schüler einer 10ten Realschulklasse, die in vier Tagen entlassen werden. Die zweiten waren Schüler 7. und 8. Klassen, die eigentlich dachten, sie hätten frei. Weit gefehlt. Herr M. hielt sie 50 Minuten in Bann. Und wurde auch noch bezahlt dafür. Gut bezahlt. Also: ein schöner Morgen.

Nachdem nun alles getan und bezahlt ist, hier das neueste Objekt der Begierde, ein Bild von Klaus Geigle.


Sa 20.05.06   9:15

Wem der gestrige Eintrag ein wenig zynisch vorkam, hier die Auflösung: die gute Bezahlung der Lesung ist auf eine kleine Abmachung unter Seilschaften zurückzuführen, die beinhaltet, dass der Dichter M. dem Rektor der Schule, an der er gestern las, heute ein Geburtstagsständchen darbringt. Ihm ist überlassen, wie er das tut, Hauptsache, er tut es. Nicht, dass er es nicht auch ganz gern täte, schließlich ist er eitel und seine Stadt ist immer noch seine Stadt und vielleicht gelingt es ihm ja auf Dauer sogar, dass dort eine Straße nach ihm benannt wird. Also wird er sich gleich in sein japanisches Automobil setzten, losfahren, und dort vor versammelter Festgesellschaft ein launisches Gedicht vortragen. Launische Gedichte waren eine Spezialität seines Vaters. Insofern lebt dieser Tag für Tag in ihm fort. Und so ganz nebenbei wird er versuchen, den Festgästen seine Ballade von einer Kanaken Stadt zu einem horrenden Preis unterzujubeln. Nun wird der ein oder andere einwenden, dass es ihm wohl um nichts als Geld und wieder um Geld geht. Ja, ja, antwortet der Dichter. Ja, ja, ja, stimmt schon. Werden Sie mal 57. Seien Sie mal Dichter.Nichtsdestotrotz ist M. guten Mutes. Er schaut auf, er sieht wie sich die Baumwipfel im Wind wiegen, Sturm ist angesagt, die Vögel singen letzte Lieder, der Himmel ratscht grau über die Hausdächer, die Dachpfannen glänzen feucht, der Kaffee ist übers Schreiben kalt geworden, Herr M. geht on-line, und dann ab dafür, schönes Wochenende.

 

Mo 22.05.06   21:30

Ein alter Mann betritt die Bühne. Er geht zu einem Tisch, der in der Mitte einer kreisrunden Fläche aus hellem Holz steht und setzt sich. Auf dem Tisch steht ein Tonband. Nach einigem verwirrtem Hin und Her findet er in der Schublade des Tisches Tonbandspulen.

Er legt ein Band auf und hört zu, was er als junger Mann gesagt und gedacht hat.
Das ist alles, was Samuel Beckett braucht, um das Leben eines Schriftstellers revue passieren zu lassen.

Ich fand es zum Brüllen komisch, obwohl es tatsächlich tief traurig war, wie alles Traurige komisch ist. Mein Lachen hatte damit zu tun, dass da jemand von Dingen sprach, von denen ich etwas verstehe: vom Staunen über die Welt, von der Sinnlosigkeit der Existenz, von Eitelkeiten.

Der Schauspieler, ein Star, Otto Sander, machte das gut.

Ein wenig zu komisch, fand Muse M.

Herr M. fand, das sei lediglich eine Frage der Inszenierung, darüber könne man reden, Sie wisse ja, dass Regisseure häufig willkürlich in der Bearbeitung von Texten seien.

Herr M., der augenblicklich selbst Theater schreibt, dachte, er wüsste schon einen Schauspieler, mit dem er Verschiedene Zimmer, verschiedene Räume inszenieren könnte. Er will drüber nachdenken.

Das Letzte Band (Samuel Beckett) wurde im Rahmen Ruhrfestspiele im Festspielhaus Recklinghausen aufgeführt. Und natürlich werden vor und nach den Vorstellungen in der Gastronomie des Hauses auch große Inszenierungen geboten. Wie man sich anzieht. Was man trinkt. Wie man zusammensteht und über Räume und Licht palavert. All das hat mindestens ebensoviel Spaß gemacht. Zuschauen ist immer schön. Zu jedem fallem einem Texte eine, jedem liest man die Geschichte vom Revers. Dann fährt man nach Hause und denkt, das war ein schöner Abend.

Ein ebenso schönes wie merkwürdiges Ereignis war der Geburtstag des Realschuldirektors. Ich war, Sie wissen ja, gegen gute Gage als Geburtstagsüberraschung gebucht und hatte ein Gedicht verfasst. Mein eigentlicher Plan aber war, meine Ballade von einer Kanaken Stadt an möglichst viele Menschen zu verkaufen, schließlich wird das Buch verramscht und ist bald nicht mehr erhältlich. Aber der Zeitrahmen war eng, ein Lehrerchor wollte ein Ständchen bringen, eine Band spielte, dann sollte es Essen geben.

Hmmm. Scheiße.

Es wäre nicht schlecht, die Ballade mit einem Gitarristen aufzuführen, dachte Herr M plötzlich und fragte die die Musiker, ob jemand Slide Gitarre spielen könne. Jemand konnte, Christoph. Herr M. fragte, ob er über ein Blues-Schema improvisieren und möglichst schräge Töne spielen könne und wolle, während er, Herr M., die Ballade singsänge. Das käme ihm sehr entgegen, sagte der Gitarrist. Und so begannen wir.

Die Zuhörer waren begeistert.
Sie glaubten, das wäre von langer Hand vorbereitet.
Ich verkaufte anschließend 10 Bücher.

E., der geschasste Kulturamtsleiter, der Intrigen aus der CDU zum Opfer gefallen ist, kam auf die Idee, Udo L., der Interesse an dieser Ballade bekundet hat, das Buch mit Widmung zu schicken.

Ich willigte ein.

Danach gab es tatsächlich Essen. Herr M. aß viel zu viel. Dann fuhr er heim. Fuhr durch schweres Wetter, fand die Straßen um Asbeck mit Hagel gekörnt, brummte zufrieden über sein Lieblingsland, das an allen Ecken und Enden goldgelb im Raps steht und kam heim.

Und tat es schon wieder.

Heute fuhr Herr M. nach Warburg. Könnte ins Schwärmen geraten über das durchfahrene Land, Loblieder singen auf seinen neuen Mitsubishi, der ihn so geruhsam transportiert, dass es eine Freude ist. Während ringsum alles jagt als gäbe es etwas zu verlieren, fährt Herr M. und schaut, was zu schauen ist. Und sieht zum ersten Mal in seinem Leben einen Dachs. Leider leider war es ein toter Dachs.

Schalten wir also live nach Warburg.

Warburg: 22. Mai 2006. 13:22

Man glaubt sofort, dass Warburg mitten in Deutschland liegt.
Gewelltes Land, Buchenwälder, Windradwälder, Horionte in leuchtendem Gelb. Am Horizont: Kegelberge. Das Städtchen auf dem Rücken eines Hügels. Kopfstein gepflasterte Gassen, Fachwerk, die Geschäfte über Mittag geschlossen. Wie luxuriös. Mittagsruhe also in Warburg im Eiscafé Furlan. Die Bedienung spricht Polnisch oder Russisch. Eher Polnisch.

Zwei Lesungen in der Hauptschule liegen hinter mir. Eine war lebhaft. Las vor 5ten Klassen aus Flanken, Fouls und fiese Tricks. Las über eine Stunde, was viel ist, hätte noch weiter lesen können, sprach aber lieber noch eine Weile mit den Schülern, die einiges wissen wollten.

Die zweite Lesung war ein wenig unheimlich. Ich las Das Vampir Programm. Man hatte mich vorab vor unruhigen Kandidaten gewarnt. Ich hatte gesagt, ja, ja, das wird schon. Und dann saßen da zwei 6te Klassen mucksmäuschenstill. So still, dass ich dachte, es gefällt ihnen nicht, aber das Gegenteil war der Fall. Hatte sie wohl sprachlos gelesen.

Zudem gehöre sich das, sagten sie.

Na also, denkt der Dichter. Es geht doch. Habe einen guten Eindruck hinterlassen.

Aber wieso, denkt er dann, kaufen all diese Menschen meine Bücher nicht.
Vergessen sie so schnell?

Ich weiß es nicht.

Ich wurde jedenfalls gelobt, was auch schön ist.

So ganz anders als die von Gudrun Pausewang wäre meine Lesung gewesen, versicherte man mir, also das wäre eine echte Enttäuschung gewesen. Frau Pausewang scheint nicht lesen zu können und man hatte den Eindruck, sie empfände Kinder eher als Störung.

Ich trinke Capuccino. Erschöpft? Ja. Schon ein wenig, aber gleich werde ich eine Kleinigkeit essen, dann werde ich in der Bücherstube Cramme lesen. Ab sofort verbiete ich mir, nachzufragen, wohin das alles führt, denn alles führt zum Tod. Hat man das erst einmal begriffen, lösen sich die übrigen Fragen wie von selbst, das Leben wird leichter, weil alle das gleiche Schicksal teilen.

Schön, oder?

Titel für einen Roman: Dickes Mädchen, dünnes Mädchen.

Der Buchhändlerin war ein wenig klamm, wer an einem Montagnachmittag um 15 Uhr freiwillig in eine Buchhandlung käme, um einem hervorragenden, aber nicht im Lichte des Ruhms leuchtenden zeitgenössischen Dichter für Kinderliteratur zuzuhören. Und als wolle sie ihre Furcht noch verstärken, erzählte sie mir von einer Vollbremsung mit glücklichem Ausgang bei 150 KMH und dass ihr die Knie noch zwei Stunden später gezittert hätten.

Zwei Hände voll Kinder kamen und hörten dem 10ten Mond zu.
Ich ärgerte mich, dass ich meine Ukulele im Auto gelassen hatte.
Wohl, weil ich dachte, es käme sowieso niemand.

Kinder, die in Buchhandlungen kommen, werden von Eltern genötigt.
Sie sind viel skeptischer als die, die ich in Schulen treffe. Dennoch hat es Spaß gemacht.

Und Rückflug.
Die Autobahn gut befahrbar.
Keine besonderen Vorkommnisse.

 

Di 23.05.06   10:32

Regeneration, weil: morgen wird an einem sozialen Brennpunkt gelesen.

 

Mi 24.05.06   14:52

Heute war ich schlecht.
Heute waren die Kinder schlecht.
Heute hatte ich keine Lust.
Heute wusste ich schon beim Aufstehen, dass ich schlecht sein würde.
Schon gestern abend wusste ich das.
Heute hieß es also, Augen zu und durch.
Vielleicht war ich aber doch gar nicht so schlecht.
Zugabe Zugabe haben sie schließlich gerufen. Doch.
Heute ist nicht mein Tag.
Heute um 6.30 sagte jemand auf dem Bahnsteig zu mir:
Ein Glück, dass wir das Wetter nicht auch noch beeinflussen können, sonst gäb's noch mehr Krieg.

Aber immerhin. Ich hätte einen Namen für eine neue Heldin oder einen Helden einer noch nicht geschriebenen Geschichte: Messergeck. So einen Namen kann man sich nicht ausdenken. So einen Namen hatte eine Lehrerin, die mit einer Klasse in meinem Abteil saß, gerade, als ich von Krefeld zurück reiste.

20:02

Muse M. meint, wenn ich schlecht gewesen wäre, wäre ich sicher immer noch besser gewesen als die, die glauben, dass sie gut sind. Das ist zu bedenken. Muse M. hat ein messerscharfes Gefühl für die Wirklichkeit. Mit ein wenig Autosuggestion könnte es mir gelingen, ihr zu glauben.

Außerdem, sagte Frau T., Lehrerin des H. Gymnasiums, an dem ich nächste Woche lese, als sie mich vorhin anrief, wären alle Kinder heute zappelig gewesen. Verlängertes Wochenende! Aha. Der Nebel lichtet sich. Vielleicht war ich in Wirklichkeit doch gut.

 

Do 25.05.06   17:10

Viel gerühmt: dennoch grottenschlecht: Tsotsi, der südafrikanische Film.

Ich nehme an, die Kritiker wollten lieb sein zu den armen Schwarzen und haben ihre Betroffenheit über die Townships Südafrikas in ihre Kritiken einfließen lassen. Das sollten sie besser nicht tun, denn beim Film geht es um nichts anderes als die Glaubwürdigkeit der Geschichte, die Motive der Personen, die Stringenz der Handlung. Und in diesem Film passt überhaupt nichts. Alles wird an den Haaren herbeigezogen, und so dauerte es auch nicht viel länger als eine dreiviertel Stunde, bis ich meiner neben mir im Dunkel des Kinos sitzenden Frau zuraunte, was das für ein abgewichster Scheißfilm wäre und sie, die geglaubt hatte, ich fände ihn vielleicht gut, glücklich aufatmete und meinte, sollen wir gehen? Zack waren wir draußen.

Es regnete, wir tranken noch ein Glas Wein im Schoppenstecher und schworen uns, nie wieder auf Kritiken hereinzufallen. Ja. So war das mit dem viel gerühmten Film Tsotsi, der in Wirklichkeit eine Elends-Schmonzette ist und sofort auf die schwarze Liste der Filme kommt, deren Anschauen mit verschärftem Weinen nicht unter drei Stunden bestraft wird.

 

Fr 26.05.06   8:50

Las gestern Joyce Carol Oates Über Boxen, stieß auf folgende Sätze und formulierte sie um, indem ich Boxen durch Schreiben, Sport durch Beruf ersetzte.

Das liest sich dann so:

Sieht man Schreiben als Beruf, so ist es der tragischte aller Berufe, denn er zerschleißt die Begabungen, die er hervorbringt, mehr als jede andere menschliche Aktivität - dieser Verschleiß ist sein wahres Drama. Sich zu verausgaben, um den nächsten Roman zu schreiben, heißt zwangsläufig, sich auf dem Abstieg zu befinden, denn der nächste Roman kann eine Niederlage sein, ein abrupter Absturz in den Abgrund.

 

So 28.05.06   17:30

Als ich 17 war, trampte ich mit einem Freund nach Schweden und Finnland. Und wo immer ich hinschaute, wehten Nationalflaggen an Masten in Vorgärten. Ich fand das beneidenswert. Ich fand, es müsse wunderschön sein, seine Verbundenheit mit dem Land, in dem man lebt, zeigen zu können. Seit drei, vier Jahren, vor allem aber, seit die Weltmeisterschaft ins Haus steht, wehen auch in deutschen Vorgärten, an PKW und Hausgiebeln deutsche Fahnen. Falls das ein Zeichen von Normalität ist, jetzt, vierzig Jahre später, brauche ich es nicht mehr.

 

Mo 29.05.06   13:15

Haben wir's schwer augenblicklich?
Ja. Haben wir.
Sollten wir drüber reden? - Ja. Aber nicht hier.
Haben wir gelesen heute? - Ja. Haben wir.
War's gut? - Ja.
Sind wir auf Wolke Sieben? - Nein.
Sonst noch? - Ja. Aber auch nicht hier.

 

Di 30.05.06   8:40

Eine Stunde vorm Auftritt. Die Schwere ist gewichen. Nicht, dass es daran läge, dass die Sonne scheint, nein, die Schwere hat mit dem Wetter wenig zu tun. Sie hat damit zu tun, dass die Welt manchmal so sehr auf den Schultern drückt, dass nichts mehr Spaß macht. Heute ist die Welt immer noch schwer, aber Herr M. hat wieder Oberwasser. Also wird er versuchen, Spaß zu haben, gleich, vor 9. und 10. Klassen eines Gymnasiums. Mal sehn, wie das ausgeht.

13:27

Segelte in ruhigem Wind vor schüchternen Gymnasiasten. Eine junge Frau sagte mir nach er Lesung, sie wolle Autorin werden und ob es stimme, dass man, eh man einen Roman schriebe, alles wissen müsse. Ich verneinte. Ich sagte, natürlich gäbe es Autoren, die ihre Geschichten von Anfang bis Ende planten, ich sagte, wahrscheinlich wären das die erfolgreicheren, aber ich täte das nicht, ich würde es nie tun und ich fände, dass das Abenteuer des Schreibens nicht durch Pläne getötet werden dürfe, denn das Leben kenne keinen Plan, das Leben entscheide von Moment zu Moment neu, ständig müsse man auf der Höhe seiner Zeit sein, andernfalls verlöre man den Kontakt. Sie war sehr glücklich, so etwas zu hören, das wäre auch ihr Ansatz, aber ihre Lehrerin (die, die mit in der Lesung war) behaupte Gegenteiliges, zöge sich zurück auf die Planbarkeit, käme mit Interpretationen, die so und nicht so zu sein hätten. Vergiss das, riet ich. Immerhin, vielleicht jemandem den Rücken gestärkt, ein Abenteuer zu beginnen. Das ist doch was, oder?

 

Mi 31.05.06 9:00

Hallo Herr Menzing,

ihr Buch Abends am Meer hat mich sehr fasziniert und ich habe von meinem Mitschüler Sinan gehört dass sie es sich ausgedacht haben. Es ist wirklich unglaublich das jemand in ihren alter über Jugendlichen so vieles bescheid weist. Und ich dachte das Erwachsene Jugendliche nicht verstehen können. Ich hätte nie gedacht das ich irgendein Buch wie dieses interessant finden werde. Jetzt tuh ich es. Herzlichen Glückwunsch Herr Menzingen sie haben einen Jugendlichen der sich gar nicht für einen Buch interessiert hat zu einem Buchsüchtigen gemacht. Was natürlich gut fürmich ist. Aber was ich blöd fand war es zum Schluss ich habe noch so viele fragen zu diesem Buch. Sie müssen unbedingt einen 2. Teil rausbringen. Bitte!

Mit freundlichen Grüßen Selda A. Sophie Scholl Gesamtschule Hamm.

13:45

Hatte gestern großes Glück auf der Session. Ein Pianist und ein Sopransaxofonist aus Estland waren da und spielten so inspiriert, dass der alte Herr M. zu Höchstleistungen auflief, obwohl er da schon mehr als zwölf Stunden auf den Beinen war und viel lieber im Bett gelegen hätte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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