Mai 2014                           www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag


Do 1.05. 14 12:12

Heute vor einundvierzig Jahren wurde der Grundstein gelegt. Ohne ihn gäbe es mich in der gegenwärtigen Verfassung nicht, es gäbe weder Kinder noch Enkel, nichts von dem wäre da, sondern etwas anderes, über das ich nur spekulieren kann, aber da die Vorstellung nie an die Wirklichkeit heranreicht, wäre das müßig. 1973 sagten wir ja, und dabei wird es bleiben, bis sie mich auf die Insel bringen. Es war regnerisch, es war kühl und vor allem längst nicht so grün wie heute. Heute werde ich es noch ruhiger angehen lassen als sonst. Es liegen Bücher in Griffweite, es gibt ein Sofa, es gibt Musik, falls gewünscht, die Luft ist nicht mehr so tropisch wie gestern und vorgestern, ich bin ein bisschen erschöpft vom Tanzen, aber das macht nichts.


Fr 2.05.14 14:09

Eine Stadt mit einem See ist zwar keine Stadt am Fluss und schon gar keine Stadt am Meer, aber es ist eine schöne Stadt und ein schöner See, zwar überdüngt von den mit der Aa einfließenden landwirtschaftlichen Sulfaten und wie all diese Schadstoffe heißen mögen, dennoch wohnen hier Canadagänse, Haubentaucher, Enten und Möwen, Angler werfen ihre Haken aus, um Fische ihres Habitats zu entreißen, und an Tagen wie gestern lagern ringsum Meuten grillender Bürger, während andere flanieren und wieder andere Handwagen mit bis auf Mannshöhe gestapelten Bierkästen herumziehen, um zum Bumm-bumm-bumm ihrer Boomboxen, mit denen man seinerzeit die Grugahalle bei der Beatles-Blitz-Tournee hätten beschallen können, den ermutigenden Stechschritt zukünftiger Kriege zu üben. Das lässt hoffen und Rückschlüsse ziehen auf eine aufgeschlossene, ekstatischen Schlachten entgegenfiebernde Jugend, mit anderen Worten, an einem Tag wie gestern sollte der Mensch den Aa-See weiträumig umgehen, am Besten, er bliebe daheim und genösse die Stille des Wohnzimmers, übte dort den GV oder gäbe sich dem Nichtstun hin, das in seiner Gänze nur von Meistern des Hier und Jetzt in aller Kontemplation genossen werden kann, alle Übrigen verlören darüber den Verstand. Nicht so Herr M. Herr M. hat ihn schon vor langer Zeit verloren und es geht ihm gut.


Sa 3.05.14 10:04

Man benötigt das richtige Thema zur richtigen Zeit, aber selbst, wenn man das hat, nutzt es nichts, wenn man nicht über ein funktionierendes Netzwerk verfügt. Netzwerke baut man, indem man Vereinen beitritt, sich regelmäßig an vereinbarten Orten trifft, Konsens herstellt, wo eigentlich kein Konsens herzustellen ist, weil es sich bei allen, die sich dort treffen, um Individuen handelt, die sich für nichts weiter so brennend interessieren wie für sich selbst. Man muss also lügen können oder zumindest so tun, als könne man lügen, ohne rot zu werden. Kann man das nicht, werden die Dinge noch komplizierter, als sie ohnehin sind, denn die Kultur eines Landes spiegelt nur die mehr oder minder ausschweifenden Fantasien ihrer Macher, die ausnahmslos wissen oder zumindest wissen sollten, dass die Kultur das tatsächliche Leben der Menschen nicht einmal ansatzweise nachbilden kann. Also bleibt ihr nichts, als die elegante Verschleierung dieser Unvollkommenheit. Besser wäre, man entzöge sich diesem Betrieb. Aber da man eitel ist, tut man es nicht und versucht, seinen Platz unter Lügnern zu sichern. Das ist der Stand der Dinge. Ich bin nur einer dieser Lügner, aber ich gehöre zu denen, die kaum jemand kennt oder beachtet. Trotzdem lüge ich gern. Keine Lüge hingegen ist, dass alles nur Unterhaltung ist. It don't mean a thing, if it ain't got that swing.

13:53

Er hat mich gesehen, und sofort steht er neben mir, sagt tach und erklärt, was er so tut augnblicklich, wen er kennt, wo sie ihn kennen und wie angenervt er ist von der Lokalkacke. Ich höre zu. Er ist worldwide, ich nicht. Hm hmmm, sage ich, alte Schwede, sagt er, immer wieder alter Schwede, in Amsterdam, in Spanien, überall kenne man ihn, beste Conneckies sagt er, aber hier, hier interessiere das kein Schwein. Hm hmmm, sage ich, alter Schwede, dann wommerma sehn und weg isser, hat n Freund drinnen. Als auch ich drinnen bin, sehe ich, dass ich den auch kenne, ich kenn den, seit er fünfzehn, sechzehn ist, jetzt isser fünfzig und HartzIV, kein Wunder, nie was angefangen, immer nur geträumt, gesponnen, Gurus verehrt, gekifft und gesoffen. Aber glücklich, sachter, da in seim Kaff sei er glücklich. Fein, sage ich, ich geh jetzma rumgucken, bisschen Equipment checken.


Mo 5.05.14
18:51

Faulheit, Kaffee, Nikotin und Gras, eins kam zum anderen, und alles zusammen führte zu Herzbumpern. Kein Wunder, dass ich letzte Nacht sehr schlecht schlief und erschlagen erwachte. Ich werde alt. Bald wird es Zeit für nikotinfreie Zigaretten, koffeeinfreien Kaffee, Marihuana ohne THC, Nächte ohne Sex und Autobahnlärm. Es ist furchbar. Vorm Rentenalter kann ich nur dringend warnen. Verzweifelt fuhr ich zum Garten, um ein paar Quadratmeter umzugraben, die schon seit langem brach liegen, weil die vormaligen Gartenbesitzer, zwei homosexuelle Akademiker, nie einen rechten Zugriff fanden und noch linkere Hände hatten als ich. Sollte mich dort doch der Schlag treffen. Der Garten ist nicht mein Garten, ich bin nur assoziiertes Mitglied für schwere, stupide Arbeiten, also quasi das, was Männer auszeichnet. Mit der Grabgabel machte ich mich ans Werk und wurde von Sekunde zu Sekunde gesunder. Ich entfernte Unkraut,
schuffelte einen Weg frei und schaute Vögeln zu, die herumflatternd Vorsorge für den Hausbau betrieben, ich warf Blicke in andere Gärten, in denen schon reichlich Nutzpflanzen sprießen, während in dem, in dem ich wullachte, die Schönheit Vorrang hat. Da wird jedes Blümelein umhegt und gepflegt.

Nun bin ich zurück, bin ein wenig erschöpft, und heute geschieht gar nichts mehr. Ich muss nichts sublimieren, meiner Kunst ist die Luft ausgegangen, die Rente überstrahlt den Horizont, wozu also noch Literatur, die interessiert keine Sau, das Lesungsgeschäft ist sowieso eingebrochen, niemand ruft an, niemand hat Geld oder wäre bereit, es für Kultur auszugeben, es ist ein einziges Keuchen und Hecheln, man möchte sich eingraben und nie mehr ein Wort hören von all den undurchschaubaren Vorgängen dieser Welt. Ich weiß nicht mehr, wo der Hase läuft, vielleicht wusste ich es nie, aber ich weiß, dass es mich ankotzt, es kotzt mich sowas von an, dass es jenseits jeder Beschreibung liegt. Sollte ich dennoch irgendeinen Ton finden, der die Welt spiegelt, bin ich wieder dabei, vorher nicht, vorher halte ich mich vornehm im Hintergrund. Sollen sie sich totschlagen für fadenscheinige, idiotische Gründe, ich mache nicht mit. Gute Nacht. Die Welt ist schön, wir sind dumm.


Di 6.05.14
8:33

Es gibt in diesem Vorort nicht eine Sekunde Stille. Irgendjemand fühlt sich immer berufen, ein Geräusch zu hinterlassen, und selbst, wenn mal alle gleichzeitig still sind, die Autobahn hört man immer. Ich werde hier wegziehen. Früher oder später ziehe ich hier weg. Wie idyllisch und ruhig, dachte ich letzte Woche, als ich K. besuchte, der mitten in der Stadt lebt. Und selbst bei M. ist es ruhiger als hier.

21:01

Kleines Gewitter poltert rum.

22:20

Auf die Knie, die kleine Unkrautratsche in die linke Hand und den Weg freikartätschen, bis kein Unkraut mehr da ist. Aufstehen und sich anschauen, wie das aussieht. Dann denken, hm, nicht schlecht, sollte Mulche drauf streuen. Noch besser. Dann kommt FE aus dem Horst und sagt, ach, die wollte ich doch für die Wege zwischen den Beeten. Okay, kein Problem, fege ich die Mulche wieder zusammen, geht ja ganz schnell.

Und weil mein Blick für die Probleme dieses schönen Gartens langsam reift, mache ich mich an den nächsten Weg. Als der fertig ist, erinnere ich mich daran, dass der Honigklaus gestern sagte, Quatsch, Randsteine, häufle die Beete doch auf. Und während ich grabe und häufle, will ich natürlich, dass es halbwegs gerade wird, und so kommt eins zum andern, und ich singe und flöte, so wie ich zum Beispiel zuhause Glück beim Bügeln generiere (beim Staubwischen nicht), beim Spülen nachts nach Parties (beim Fußbodenwischen in der Küche nicht) und beim Herumliegen, generiere ich unter freiem Himmel mit einer Grabgabel Glück.

Das hätte mir vor zwei, drei Jahren mal jemand sagen sollen. Aber Achtung, als ich so werkelte, fiel mir ein, dass ich als Kind Zugang zu L.s Garten hatte, der Nazi von nebenan, der seinen Garten uns gegenüber hatte, ein netter Mann, jedenfalls war er immer nett zu mir und den Nazi habe ich nie bemerkt, der hat mir in seinem Garten vieles gezeigt und mich machen lassen, und so fühlte ich mich heute nachmittag.

Plötzlich dachte ich, guck, hab damals doch einiges abgespeichert, das ich noch immer abrufen kann.

Übrigens: auf der Weggabelung vor FEs Garten treffen sich nachts die Kaninchen zum Scheißen. Ganz ordentlich, mittig, so dass sie bei Gefahr zu allen Seiten gleichzeitig davon können. Nachts kommen aber auch Nacktschnecken, um FEs Blumen zu fressen, aber die haben die Rechnung ohne FE gemacht, die hockt da nämlich mit der Taschenlampe, sammelt sie ein (120 vorletzten Abend) und schneidet sie in der Mitte durch. Schlecht für's Karma, das weiß sie, aber das geht ihr am Arsch vorbei.



Mi 7.05.14 20:28


Herr M. gibt sich momentan alle Mühe, Literatur durch intensive Gartenarbeit zu verhindern. Das ist ein sehr erfolgversprechender Plan. Heute hat er mit dem gestern fälscherlicherweise Unkrautratsche genannten Fugenmesser wieder weite Landstriche von Unkraut befreit und darüber hinaus seinem neuen Hobby gefrönt, dem Anlegen von Beeten und entsprechendem Häufeln der Ränder, wie vom Honigklaus empfohlen. Das macht ihm großen Spaß, zumal er einen gewissen Hang zur Symmetrie und geometrisch scharf gestochenen Rändern an sich entdeckt hat. Zwischendurch hat er vorm blauen Häusken gesessen und davon geträumt, mit einem Präzisionsgewehr Tauben und anderes fliegendes Volk zu schießen, weil man so etwas nicht tut. Er hat es dann in Ermangelung eines entsprechenden Schießgeräts unterlassen und sich mit der Vorstellung zufrieden gegeben, dass er sowieso daneben schösse, schließlich ist er immer noch Kriegsdienstverweigerer, und wird das auch bleiben, wenn am 25. Mai der Krieg ausbricht. Aber bis dahin fließt noch viel Wasser aus ihm heraus, und der Garten wird in den darauf folgenden Monaten großer Hungersnot ihn und Frau FE bestimmt ernähren. Zur Not kann man gewisse Blumen ja auch zu Salat verarbeiten, und Nacktschnecken unter Umständen sogar frittieren. Wir werden sehen.

 

Do 8.05.14 10:09

Rätselhaft unruhige Nacht, so dass Herr M. erst dachte, der Vollmond brächte das Wasser in ihm zur Wallung, aber der ist erst nächste Woche, und so bleibt das Rätsel ungelöst.
Macht nichts, denn heute wird bis tief in die Ukraine hinein Rindenmulch verstreut. Erstand gerade drei siebzig Liter Säcke bei örtlichen Dealer. Wind geht, Wolken hängen tief, aber das schreckt den deutschen Schrebärgärtnär nicht, er ist voller Tatendrang, zumal seine Auftraggeberin FE vor Begeisterung ob des stündlich zu begutachtenden Fortschritts in ihrem kleinen, 600 Quadratmeter umfassenden Reich (basisdemokratische Grundordnung mit jederzeit möglichen Ausflügen in die Anarchie) zu nächtlichen Anrufen neigt, um ihm eben diese Begeisterung noch in den Nachtschlaf zu flöten.

Also zur Tat, noch Koffeein in die Herzkammern verfüllt, wer weiß, wie lange das Leben noch so viel Sinn ergibt. Zumal die Dorfzeitung Herrn M. und neun andere Teilnehmer der vom LCB initiierten Literatour zu Stars erklärt. Bullshit, kann Herr M. da nur sagen, denn ein Star hat eine Villa mit Pool, Weiber an jedem Finger und muss beim Tanken nicht auf den Euro gucken.




20:16

So, nach drei Tagen zeichnet sich eine Grundordnung in FEs Garten ab, gemulchte Wege, Beete für dies und das, gehäufelte Ränder, ein Hochbeet, weite Flächen unkrautfrei, die Arbeit in Harmonie und mit viel Lachen verrichtet, zwischendruch Snacks und Essen im Häusken, jetzt ist erst einmal Pause, später werden wir an den Feinschliff gehen, so ein Garten ist ein Fass ohne Boden, irgendeine Pflanze ruft immer was. Ach ja, eh ich's vergesse, habe heute knapp zwanzig Säcke biologischen Abfall geschickt entsorgt. Jetzt werde ich zielsicher eine Flasche Primitivo trinken, Musik hören, Zeitung lesen und den Abend verstreichen lassen.

 

Fr 9.05.14 11:34

W. ist Nachtarbeiter. Wenn er mal frei hat, frühstückt er gegen Mitternacht. Wenn spät abends mein Telefon schellt und Anonym auf dem Display steht, weiß ich, dass er es ist. Ob ich mich noch an J. erinnern könne, fragt er. J.? sage ich. Ja, in R., sagte er. Ich erinnere mich. Eine Hippie WG in den Siebzigern. Vegetarier, vielleicht sogar schon vegan, ich bin mir nicht sicher, aber es fühlt sich an, als hätte man zum Rauchen schon vor die Tür gehen müssen.

Wir haben bei ihnen Sessions gespielt. Alles war indisch, Stäbchen räucherten, es war höchst aufgeräumt, ein bürgerliches Hippie Idyll, ich glaube, mir war es dort immer zu heilig. Ja, J. habe eine CD gemacht und will eine Release Party schmeißen nach vierzig vergangenen Jahren, und ob wir dort spielen wollen, fragt W.

Heute früh hatte ich die CD im Briefkasten. Ich lege sie in meinen Player. Ordentlich ist sie, es gibt nichts zu meckern, sie ist gut produziert, sauber gespielt, durch alle Songs weht Liebe, Friede, Freude und Eierkuchen. Für mich ist das nichts. Und will ich nun auf diese Party im Juni? Auch das weiß ich nicht. Mal drüber schlafen. Dass aber nach vierzig Jahren plötzlich so ein Signal auftaucht, rührt mich, zumal ich die Bewohner bis auf einen nie wiedergesehen habe. Sie waren einfach verschwunden.


Sa 10.05.14 10:17

Es ist grau und frisch, die Eisheiligen sind da. Wenn ich nachher nicht Babysitten müsste, müsste ich heute nichts, aber ich muss eigentlich auch nicht, ich will nur, es macht mir Freude, ansonsten dürfte ich nur nicht vergessen zu atmen, der Rest liegt in meiner Hand. Einkaufen muss ich noch, ja, das schon, aber das ist schnell getan, ein Bund Spargel, Schinken, damit wir zu Essen haben, FE und ich, und dass ich heute abend nicht nach Duisburg reise, um mit R. den Fünfzigsten zu feiern, hat damit zu tun, dass mein Budget keine Extratouren erlaubt, schließlich kann man nicht feiern und zuschauen, wie alle trinken, denn wenn ich tränke, könnte ich nicht Auto fahren und müsste mich um ein Hotelzimmer bemühen, also noch einmal zahlen.

Also bleibe ich zuhause, umgeben von allem, was längst vergangen ist. Ich kann herumgehen und Selbstgespräche führen, meine Katze geht mir um die Beine, weil sie immer das Eine will, Fotos und Bilder reden auch unablässig, obwohl ich schon einige abgehängt habe, schließlich ist jetzt Jetzt und die Vergangenheit ist nicht der Ort, an dem ich verkümmern will, und noch immer sind es acht Wochen, bis meine Rente kommt. Das Lesungsgeschäft ist am Boden, die Rente könnte das ausgleichen, wenn aber dann doch wieder Lesungen kämen, müsste ich die mit der Rente verrechnen, sobald die Einkünfte einen bestimmten Betrag überschreiten.

450 Euro sagt H., eine Unverschämtheit, fanden wir, dass man nicht dazu verdienen darf, ohne gleich wieder Einbußen hinzunehmen. Und dann die Wohnungsfrage. Dieser Ort, an dem alles geschah, was vergangen ist. Auch hier stellt sich die Frage, ob das noch zu bezahlen ist, und die nächste Frage hat auch mit Geld zu tun. Alles hat mit Geld zu tun, meine Zeitung kostet, mein Telefon kostet, mein Auto kostet, jeder Furz schmälert das Budget, wo also kann ich streichen. Zeitung und Telefon? Ich weiß noch nicht. Sollen erst mal die Eisheiligen ins Land ziehen, wir sind ein bisschen verwöhnt mit dem Wetter der letzten Wochen, alle tun so, als müsse das so sein, der Flieder ist längst verblüht, obwohl er doch eigentlich gerade erst aufgehen sollte. Nun, es ist wie es ist. Andiamo.

16:22

Früher habe ich meine Kinder täglich gewindelt, an so etwas gewöhnt man sich schnell, heute hab ich's mit Milan getan, dem kleineren der beiden in meinen Armen und hatte ein Würgen im Hals.



18:22

Wochenlang hat es nebenan gerumst, gepoltert, geheult und gerumpelt, jetzt sind die Neuen eingezogen, einmal habe ich eine Frau auf dem Balkon gesehen und gegrüßt, wurde zurück gegrüßt und dachte, aha, hübsche Türkin, hübscher vorderer Orient, seither kein Sichtkontakt mehr, nur flüchtige Eindrücke, gerade, als ich den Müll wegbrachte, halb herunter gelassene Jalousien, ein Riesenflachbildschirm, leuchtendes Halbdunkel, junge Menschen, dachte ich, wenn denen schon jetzt nicht mehr einfällt, können sie sich gleich begraben lassen.


So 11.0514 20:35

Das muss eine Bewegung sein, von der ich bisher nichts wusste. Heute mittag waren weite Teile der Stadt gesperrt, denn Menschen liefen einen Teilmarathon und ließen sich mit Farbbeuteln bewerfen, möglichweise die Adaption eines bei den Hindhus jährlich gefeierten Festes, ich bin mir nicht sicher, bin aber natürlich für die kulturelle Vielfalt der Arten, ob es nun um bärtige Wurst oder Annektionen, Handabhacken oder Ausspähen privater Daten, um das Wegsprengen unliebsamer Personen oder Bad Banks geht, all diese Erfindungen und Flashbacks der Zeit sind überaus aufschlußreich und ich beobachte sie aufmerksam. Ansonsten lindere ich gerade das Nachbrennen der Chillies in meinem Mund mit einem Glas Buttermilch, verbringe den Rest des Abends in Schweigen und bin gespannt auf die nächste Woche. Ach was, auf die nächste Stunde, denn alles kann jederzeit passieren.


Mo 12.05.14
10:14

Mein zweieinhalbjähriger Enkel M. nennt mich Frechdachs. Heeeeermann ist ein Frechdachs, hat er gesagt. Frechdachs ist ein Begriff, den man normalerweise Kindern zuschreibt. Der Frechdachs ist ein gewitzter Typ, und wenn ein Kind ihn auf seinen Opa anwendet, zeigt das ein erstaunliches Maß an Einsicht und Verständnis. Ich nehme an, M. kam zu dieser Einschätzung, weil wir bei unserem letzten Zusammensein beträchtliche Zeit damit verbrachten, ein Mundfurzkonzert zu veranstalten, was allseits zu Lachstürmen führte. Wo hat er diesen Begriff aufgeschnappt? Ich nehme an, in der Kindergruppe, woraus ich schließe, dass der soziale Kontakt außerhalb der Familie
schon in frühem Lebensalter nur positiv ist.

Jemand, der mich vor zwei oder drei Monaten auf FB mit "hallo alter Knabe, erinnerst du dich, wir haben mal eine Session zusammen gespielt" ansprach und mit dem ich seither "befreundet" war, wenngleich ich mich nicht an ihn erinnern konnte, beamte mich gestern an, um mir aus heiterem Himmel mitzuteilen, ich "gehe ihm so langsam auf den Zwirn", ich sei ein "Pseudoliterat". Ich antwortete sinngemäß, woher er das wisse, was er überhaupt wisse, riet ihm, sich selbst zu ficken und entfreundete ihn. Das war schön. Der schon nicht mehr jüngere Dr. Ludger E. ist es großer Kämpfer für die Wahrheit, hält jeden und alle für desinformiert, wohingegen er sich im Begriff der Wahrheit wähnt, insbesondere im Hinblick auf die undurchschaubaren Vorgänge in der Ukraine.

Nun darf ich mir aussuchen, welcher Begriff mir lieber ist, Frechdachs oder Pseudoliterat. Ich nehme an, Sie ahnen es längst. Sollten Sie sich für den von mir nicht favorisierten entscheiden, werde ich nicht zögern, Sie ebenfalls stante pede zu entfreunden. In diesem Sinne wünsche ich eine frohe, von politischer Rebellion und Gemeinsinn geprägten Woche, in der aller Wahrscheinlich wieder Dinge geschehen werden, die Sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten, etwas das Ansinnen der Atomindustrie, die Kosten für den Rückbau der von der Gesellschaft mitfinanzierten Atomindustrie eben dieser Gesellschaft aufzubürden. So wäscht man seine Hände in Unschuld, bringt den Profit unter Dach und Fach, und den Verlust vergesellschaftet man. Nicht wahr, Herr Doktor Ludger E. in HH. In diesem Sinne.

18:25

Meine anfängliche Begeisterung über das Alleinsein hat sich relativiert. Alleinsein ist Kacke.


Di 13.05.14 19:51

Herr M. hat im Weserbergland ca. 260 Kinder belesen, ist danach durch's Weserbergland gefahren, hat in Hameln zu Mittag gegessen, den namengebenden Fluss viermal gekreuzt, sich über die Fahrleistung seines komfortablen Benz gefreut und über das Bargeld, das man ihm nach der Lesung aushändigte, was viel schöner ist als eine Überweisung. Schließlich ist er heimgekommen und hat sich ins Bett gelegt, aber just zu dieser Zeit spielten Kinder im Garten. Das ist ihr gutes Recht, aber Herr M. musste sie erschießen. Nun legt er sich aufs Sofa und spielt gegen Polen. Er ist platt. Morgen wird er mit einem Fotografen durch's Münsterland fahren.




Pssst, ich weiß was...



Wie bitte?



Muckireiten



Do 15.05.14 10:44

Text ist Landschaft, die Geschichten erzählt. Ist man
heute unterwegs, erlebt man dies, morgen das und übermorgen jenes. Mein Text über Westfalen ist seit vier Wochen fertig, gestern aber fuhren ein Fotograf und ich all die von mir beschriebenen Plätze und Orte ab. Der Fotograf hatte ein 1979er Mercedes Cabrio gemietet, das einem befreundeten Kamermann gehört. Er wollte das so. In meiner Geschichte spielt das Auto keine Rolle, und da sieht man gleich, dass Geschichten bei jedem, der sie liest, einer eigenen Deutung unterliegen.

Würde ich die Geschichte heute noch einmal schreiben, wäre es eine völlig andere. Dann läge der Fokus auf den Begegnungen mit den Menschen gestern. Ich würde schildern, mit welcher Kaltschnäuzigkeit der Fotograf in der Lage ist, Türen zu öffnen, die eigentlich geschlossen sind. Es begann in der St. Pantaleon Kirche. Der Fotograf wollte ein Foto der Orgel, aber die Orgelbühne war geschlossen. Also ging er ins Pfarrbüro, schilderte, weshalb wir unterwegs wären, und schon hatte er den Schlüssel. Er scheute sich auch nicht, betende, wallfahrende Frauen in der Gnadenkapelle Eggerode zu fotografieren. Mir wäre das peinlich. Er trägt sein Equipment herum wie eine Legitimation. Vielleicht muss man das, ich täte das nicht. Ich bin eher ein zurückhaltend Beobachtender.

Aufschlussreich war unser Besuch auf Schloß Darfeld. Er ist seit über dreihundert Jahren im Besitz der Vischerincks, westfälischer Adel, Großgrundbesitz. Als ich zum ersten Mal dort war, beschlich mich sofort das Gefühl, dass Besucher dort nicht willkommen sind. Überall Schilder. Alles verboten. Herumgehen ja, aber bitte nicht nähern. Gestern nun lieferte uns jemand den Beweis für dieses diffuse Gefühl. Wir hatten uns dem Eingang genähert, als ein schwarzer Mercedes Transporter heraus kam und an uns vorbei fuhr. Der Fotograf wollte, dass ich ein paar Meter über den Rasen auf das Schloss zuginge, weil er das fotografieren wollte. Ich tat das. Der Mercedes, jetzt vierzig, fünfzig Meter entfernt, stoppte. Ein Mann stieg aus, großgewachsen, Mitte dreißig, und rief uns zu, ob wir die Schilder nicht lesen könnten. Wir gingen zu ihm, sagten, es wäre nur um ein Foto gegangen, wir wären im Auftrag des Literarischen Colloqiums unterwegs, um Geschichten über Westfalen zu schreiben bzw. zu fotografieren. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Er sagte, dass es in Westfalen viele Schlösser gäbe, die öffentlich zugänglich wären, dieses hier aber sei es nicht, und man wolle das auch unter keinen Umständen, man wolle hier keine Touristen, unter keinen Umständen wolle man das, man wolle weder in Bild noch Text irgendwo erwähnt werden.

Das wäre zu verstehen, wäre da nicht dieses hochnäsige, mit süddeutschem, möglicherweise österreichischem Unterton vorgetragene Lamento, das uns darauf schließen ließ, dass wir es mit einem über die Jahrhunderte trainierten Aristokraten zu tun hatten, der davon ausgeht, etwas Besonderes zu sein. Wie gern hätten wir ihm klar gemacht, dass der Plebs, von dem er über die Jahrhunderte profiert hat und noch immer profitiert, in der Lage ist, ihn in die Schranken zu verweisen, aber leider hat es hier keine französische Revolution gegeben.


Fr 16.05.14 10:00

Während Herr M. noch auf gewisse Zeichen der inneren Reinigung wartet, brummt der Tag übern Rasen und Blau spannt den Himmel. Der Schlaf war lang und tief, beste Voraussetzungen für einen Dichter, aber der scheint nicht motiviert. Er hat keine Lust, Fingerspitzen tanzen zu lassen. Er sagt sich, eh nicht einer meiner Verwerter endlich aus der Deckung tritt, rühre ich keinen Buchstaben mehr an. Lieber fährt er hinaus in den Garten und zupft dieses und jenes Kraut, das macht Sinn. Zumindest aber lässt es vergessen, dass nichts, was er heute früh aus der Zeitung erfuhr, Sinn ergab. Und das nicht einmal, weil der Mensch schlecht wäre, sondern nur, weil es immer um Vor- und Nachteile geht, um Haben und Nichthaben. Das, denkt Herr M., kann ich nicht lösen. Die Revolution kann es auch nicht. Falls es überhaupt geht, muss es jeder für sich lösen, erst danach könnte es besser werden. Jetzt schreit Ludger E. aus HH. natürlich Reaktionär, aber, lieber Ludger, Dr. Ludger E. müsste ich wohl besser sagen, so wenig wie du damals dein Instrument spielen konntest, um dann dreißig Jahre an deiner Promotion zu arbeiten, so wenig wirst du die Welt ändern können. Schade, aber dabei wissen es alle. Man fängt immer bei sich an.

14:17

Herr M. benötigt Input, ein Bütterken etwa. Die innere Reinigung ist noch nicht vollzogen. Das hat damit zu tun, dass Herr M. nicht wie üblich Nikotin zum Kaffee inhaliert hat. Das wäre der sichere Weg, aber den will er heute nicht gehen. Offenbar hat Herr M. andere Pläne. Sicher ist, dass er ein Hochbeet gestrichen und einen Weg unkrautfrei gemacht hat. Mehr war nicht zu erfahren.

 






16:54

Gegen siebzehn Uhr, so ist zu hören, wird Herr M. ein atemberaubendes Experiment ausführen. Worum es sich handelt, war nicht zu erfahren. Manche meinen, er würde dem Hochbeet weiße Punkte malen. Wir glauben jedoch, dass das auszuschließen ist. Andere vermuten, Herr M. werde sich in Luft auflösen und nie wiederkehren. Auch das können wir bei aller gebotenen Vorsicht ausschließen, denn wir sind sicher, dass seine Eitelkeit so einen Schritt undenkbar macht. Aber was dann, fragt sich die beunruhigte Welt?


19:47

Das Experiment hat noch immer nicht stattgefunden. Herr M. arbeitet an einer Lösung. Vielleicht klappt es morgen.



Sa. 17.05.14 12:26

Der Fotograf und ich waren auf der Hunderennbahn. Wir brauchten noch ein paar Bilder. Als der Fotograf einen Endvierziger mit drei Greyhounds sah, die an langen Leine herumstreiften, ging er nicht etwa zu ihm und sagte, er sei im Rahmen eines literarischen Projektes unterwegs, er bräuche ein paar Fotos etc. pp., nein, er rief dem Mann aus etwa zwanzig Meter Entfernung zu, er solle mit seinen Hunden doch einmal zu ihm kommen, er benötige ihn für ein paar Fotos. Der Mann folgte.

Der Fotograf nennt das die invasive Methode. Der Mann tat alles, was der Fotograf wollte, er ließ sich hierhin schicken und dahin, sogar zu Wiederholungen war er bereit. Ich war erschrocken, dass er wegen eines imponierend großen Fotoapparates um den Hals eines ihm wildfremden Menschen bereit war, Dinge zu tun, die er eigentlich nicht hatte tun wollen. Der Fotograf sagte, so sei das nun mal, die invasive Methode funktioniere fast immer, alle anderen kosteten nur Zeit. Für mich ist das nichts. Ich beobachte lieber, statt zu inszenieren.

17:01

Jetzt ist es wieder passiert. Ich fuhr an frisch gemähten Wiesen entlang, über die Störche stakten. Ich fuhr unter blauweißem Himmel, an dem Bussarde kreisten. An Grabenrändern blühten Kuckucksnelken. Da kam sie mir entgegen. Die Illusion wirkt immer nur für Bruchteile von Sekunden, ist aber so mächtig, dass mir Tränen in die Augen schießen. Ich hätte sie rufen können, aber sie würde natürlich dumm schauen, denn sie weiß ja nicht, für wen ich sie hielt. Ich atme durch. Ich könnte ihr jetzt einen Strauß pflücken, wie ich das so gern getan habe, aber ich bringe es nicht übers Herz. Ich erreiche das Dorf, kaufe mir stattdessen eine kleine Zigarre, fahre heim, stelle Musik an, rauche und freue mich, dass ich sie sehen durfte.


So 18.05.14 11:31

Es gibt Wohnmobile hier, die kosten grob geschätzt 200tausend und haben Extrakojen für Hunde, es gibt aber auch zum Schlafen hergerichtete Sprinter und Bullis, es gibt Zelte mit Gestühl drumherum und einfache Wohnwagen, und da sitzt man, die schlanken Rennhunde liegen und dösen, ihre Herrchen und Frauchen trinken Bier oder Kaffee. Vielleicht müssen die Hunde heut nicht mehr rennen, vielleicht haben sie es längst getan, schließlich sind Deutsche Kurzstreckenmeisterschaften für Windhunde, und dazu zählen die großen und kleinen, die ganz großen und die ganz kleinen.

Die ganz ganz kleinen allerdings, die zu Füßen der dicken alten Frau liegen, die nicht, das sind Pekinesen, die rennen nicht, die sterben vor Glück. Die dicke Frau hat 18 Hunde, und "simmerma ehrlisch, jünger werde mer nit" sagt sie, und was dann mit den Hunden, nimmt das kleinste Hündchen hoch und legt es sich in die linke Schultermulde, hat extra ein Tuch, damit das Tierchen nicht auskühlt. Rings um das Tier, also an ihren Ohren, im Haar, an den Handgelenken, um den Hals, egal wo eben Platz ist, hängen Perlen. Ob echt oder nicht echt, wer weiß, ich nicht.

Ständig kommen Menschen vorüber und grüßen. Alle kennen sich, sie verbringen ihre Wochenenden auf Hunderennbahnen, auch die gebrechlich wirkende zierliche Frau mit dem hohen Hut, den man eher in Ascott erwartete. Sie hat ein flaches Gesicht mit grotesk überschminkten Augen, sie schaut drein, als habe sie gerade etwas Schreckliches gesehen, wahrscheinlich ihr Spiegelbild, aber sie ist ein tragischer Fall der Selbstüberschätzung, wahrscheinlich findet sie sich schön.

Kurzstrecke für Windhunde heißt 275 Meter, und die legen die Meister in sechzehn, siebzehn Sekunden zurück, macht einen Schnitt von ca. 60 mit Spitzen bis zu 80 KmH, sagt mir der Startmeister an den Boxen, da sind nur Geparden schneller. Und Doping, frage ich. Ja, ja, gibt es sagt er, das Arschloch hängt immer am Ende der Leine. Womit denn gedopt werden? Schokolade, Kaffee, sagt er und bietet mir eine Zigarette an. Die Hunde heulen vor Aufregung, eh man sie in die Startboxen schiebt. Und, der nächste Termin? Weltmeisterschaften in Finnland. Da fahren dann wieder alle hin.


22:29

Der Hut der Dame hatte die Form eines Kraftwerkkühlturms, natürlich nicht ganz so hoch und ohne Rauchfahne. Um den Sockel wand sich eine schwarze, geraffte Samtschleife, die Krempe war vorn ein wenig hochgeschlagen.
Das Ensemble machte ihren von Natur aus kleinen Kopf noch kleiner, so dass ich befürchtete, er nicke gleich vornüber und könne sich nie mehr heben.

Nachdem ich das Neujahrsschwimmen verpasst hatte, fuhr ich heute zum Kanal, um anzuschwimmen. Das Wasser war atemberaubend frisch. Als ich aber drin war, begann nach kurzer Zeit die Haut ein wenig zu brennen, danach wurde es herrlich. Schwamm zur Sicherheit in der Nähe des Anlegers hin und her. Ich dachte, falls der Kreislauf kollabiert, könnte man mich vom Ufer mit Stöcken heranziehen und müsste nicht reinspringen, um mich zu bergen. Erntete viel Anerkennung für meine mutige Tat.


Mo 19.05.14 9:40



Alles strahlt heute früh, mein Hausgeist rät, nichts zu übereilen. Also rüste ich mich zum zweiten Kaffee.

15:56

Zwei Kaffee später. Keine Idee. Keine Ahnung.

16:54

soll man in den garten fahren,
dort im schatten stille harren,
soll man harken, unkraut zupfen,
oder lieber röcke lupfen,
soll man ja und jenes nein,
weiß kein schwein. weiß kein schwein.


Di 20.05.14 12:09

Eine ist abgehauen und weiß nicht mehr, wo der Hase läuft. Eine andere glaubt, sie müsse den Hasen fangen. Sie soll sich um ihre eigenen Hasen kümmern, da sind genug und starren mit roten Augen aus dunklen Löchern. Dann ist auch noch einer aus der Vergangenheit aufgetaucht. Die liegt so lange zurück, dass man kaum noch sagen kann, ob es sie wirklich gegeben hat. Wahrscheinlich ist sie ein Hirngespinst, das man für Leben hält. Was bleibt, ist die Gegenwart. Herr M. hat eine literarische Reise durch Westfalen hinter sich, für die man ihn gut bezahlt hat. Jetzt hofft er, dass daraus noch mehr Kapital zu schlagen ist. Schließlich hat man ihn über den Klee gelobt, also hat Herr M. einen Plan und eine Hoffnung. Mehr hat er nicht, mehr hatte er nie, aber das ist immerhin etwas. Außerdem hat er frisch gebrühten Kaffee, er hat eine Katze und eine Freundin. Die Blätter der japanischen Kirsche fächeln sich, Tauben gurren, Schwalben sicheln und irgendwo reibt sich jemand die Hände.
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Mi 21.05.14 10:34

Gestern abend dachte ich, da streiten sich zwei an der Bushaltestelle, die sich zu meinem Bedauern nur ein paar Schritt von meinem Balkon befindet, aber es handelte sich um einen jungen Mann (Deutschtürke, Deutscharaber, akzentfrei), der, auf den Bus wartend, hoch erregt auf- und ab schritt und in sein Mobiltelefon brüllte. Da fickte es nur so, war der Hurensohn allgegenwärtig, da verpisste man sich und übte biblische Flüche und Verwünschungen. Ich mag das nicht.

12:19

der tag verfliegt,
die stunden kleben unterm fingernagel,
und mit minuten hadert nur, wer sich versteckt,
ich schneid' ein brot, ich lege erdbeer'n drauf,
trinke kaffee und übe dauerlauf.

19:14

Lag auf dem Rasen im Garten dicht bei den Blumen. Hummeln summten, Amseln sangen. Sie neigen zu Anfang zu ganzen Noten, zu weiten Bögen und enden in Trillern, während die Rotkehlchen sich gleich in Achteln und Sechzehnteln überschlagen. Elstern schien, Krähen punktierten, und Tauben klatschten dazu mit den Flügeln. Ich bewegte mich nicht. Ich schlummerte und war, als ich aufstand, völlig zerschlagen. Hoffte eine Weile auf ein reinigendes Gewitter, aber daraus wurde nichts. Der Himmel ist wieder klar, kein Wort ist geschrieben, nicht eine Idee hat sich eingestellt. Alles was falsch ist, erkenn' ich sofort, das Richtige ängstigt mich.

Do 22.05.14 14:13

Der Himmel ist hoch. Weiße, graue und taubenblaue Wolken, Allflecken dazwischen, nichts bewegt sich. Wenn es losbräche gleich, könnte es wundervoll werden. Bin gespannt. Bis tief in die Nacht über einem Song gesessen, der - schon spät - plötzlich von C. hereinkam: Jonny & Mary von Robert Palmer. Brummte meinen Gesang auf die produzierten Spuren, das hat Spaß gemacht. Da ich fatalerweise nie länger schlafe als sieben, halb acht, bin ich ein bisschen müde. Mittagsschlaf jetzt, ich darf das, ich bin Rentner.


Fr 23.05.14 12:45

Immer wieder werde ich gefragt, wie ich mit meinem sagenhaften Reichtum klar komme. Nun, gar nicht, antworte ich. Diese Zeitmillionen, die ich von meinen Konten in irrwitzigen Transaktionen täglich um die Welt jage, um noch mehr Zeit zu akkkumulieren, machen mich nervös.

14:31

soll man in den garten fahren,
dort im schatten stille harren,
soll man harken, unkraut zupfen,
oder lieber röcke lupfen?

soll man ja und jenes nein,
weiß kein schwein, weiß kein schwein.

früher deckte man noch gern,
wenn auch selten apfelkuchen,
heute bleibt man lieber fern,
sollen's andere versuchen.

soll man ja und jenes nein,
weiß kein schwein, weiß kein schwein.


Sa 24.05.14 11:12

freitagnachmittag
ich habe keine lust,
wenn bald abend ist
wird noch gemusst,
wenn dann nacht kommt
klappe ich mich ein und penne,
eh' ich blind ins unglück renne.

samstagmorgen
und noch immer kein motiv,
wenn bald mittag ist
hängt über m. das mittagstief,
wenn ich nachmittags die trommel schlage,
werd' ich vielleicht herr der lage.


So 25.05.14 20:36

Wenn ich herumfahre auf dem Rad, mich umschaue und vor lauter Pracht kein Wort heraus bringe, fällt es schwer, mir vorzustellen, dass es kaum zehn Wochen her ist, als die Welt noch mehr oder minder schwarz-weiß war, und noch weniger kann ich mir vorstellen, dass diese Pracht wieder verschwindet, dabei ist es doch Jahr für Jahr dasselbe. Bei mir geht dieses Staunen nun ins sechsundsechzigste Jahr, und ich bin mir sicher, dass ich auch, als ich ein noch nicht mit Begriffen für alles gefülltes Wesen war, vor lauter Staunen über die Welt manchmal keinen Ton herausbrachte.

Ich werde weiter staunen. Und wenn es zuviel wird, schneide ich mir die Welt einfach in kleine Stücke, dann kann ich begreifen, was ich sehe. In Gänze kann ich sie nicht wahrnehmen, das wäre zuviel Information, das kann kein Hirn, das Hirn ist begrenzt in seiner Aufnahmefähigkeit, deshalb lieben Menschen Bilder der Welt, ganz gleich, ob gemalt oder fotografiert, Hauptsache, sie zeigen einen Teil, der für das Ganze spricht und verständlich bleibt.







Mo 26.05.14 15:38

Feucht und rumpelnd ziehen Gewitter herum. Ich habe nichts zu tun. Ich könnte mir etwas zu tun machen, aber ich will nicht. Ich will, dass es mich hinreißt. Ich will keinen Text, damit Text entsteht. Die Welt ist zugemüllt von Text. Alle Welt schreibt Krimis. Zum Wegrennen. Lieber warte ich. Möglich, dass ich grün werde davon. Grün und grau, na und? Werde ich eben grau und grün und alt, daran führt eh kein Weg vorbei.

17:36
Herr M. ist tagaktiv. Er verlässt seinen Schlafplatz mit Tagesbeginn, mit Sonnenuntergang sucht er ihn wieder auf. In den frühen Morgenstunden ist die Nahrungssuche am intensivsten. Die Aktivitätsphase wird häufig durch Ruhe- und Putzphasen unterbrochen. Herr M. sucht in der Gruppe die Umgebung nach Nahrung und Futter ab, da Sämereien räumlich und zeitlich ungleichmäßig verteilt sind. Häufig geht er zum Trinken und Baden an Wasserstellen.
Das ganze Jahr über verhält sich Herr M. wenig territorial. So verteidigt er zwar den Wohnbereich, jedoch kein Revier. Brutgruppen kommen häufig vor. Außerhalb der Brutzeit lebt er in kleinen Gruppen, aber auch in Schlafgemeinschaften mit bis zu 40 Exemplaren. Lediglich bei der Unterschreitung der Individualdistanz kommt es zu Auseinandersetzungen. Dabei reicht jedoch meist das Drohen mit offenem Mund und gesträubtem Kopfgefieder aus. Streitigkeiten werden unter „Tschrr“-Rufen durch Kämpfe mit Hieben und Fußtritten ausgetragen. Herr M. ist ein süßer Vogel.

21:08

Wiederholung wegen großer Nachfrage

Sehr geehrter Herr Mensing,

vielen Dank für das Übersenden Ihrer Unterlagen zu »Herr Dordrecht wollte glücklich sein«.
Bedauerlicherweise müssen wir Sie enttäuschen und Ihnen mitteilen, dass uns nach der Prüfung Ihres Manuskriptes leider kein passender Verlag für die Realisierung Ihres Buchprojektes einfällt. Bitte entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat.
Ihre Unterlagen liegen bei uns bis 15. Juli 2014 zur Abholung bereit.
Wir hoffen auf Ihr Verständnis und wünschen Ihnen viel Erfolg an anderer Stelle.